Amerika

Es zog unsere Vorfahren in das Land der „unbegrenzten“ Möglichkeiten so, wie viele andere auch. Die Gründe waren mannigfaltig, ob blanke Not, Geschäftssinn, Kriegswirren, Familienzusammenführung, immer waren viele Hoffnungen damit verbunden.

Die Anfänge waren mindestens so hart, wie die der „Ostwanderer“, die ersten gingen als Pioniere und eroberten den Westen, später folgten andere nach und verteilten sich über den Kontinent.

Grund für die Abwanderung aus Russland war unter anderem die Einführung der allgemeinen Militärdienstpflicht am 1.1.1874, ab dem 21. Lebensjahr mussten 6 Jahre aktiver und weitere 9 Jahre Reservistendienst in der russischen Armee geleistete werden, ein klarer Wortbruch des einst zugesicherten Privilegs der Befreiung vom Militärdienst als Kolonist. Um die Bedeutung dieses Privilegs zu verstehen, muss man einmal auf die geltende Gesetzgebung eingehen:

Durch den Friede von Bukarest am 28. Mai 1812 mit Russland verbunden, galt bis 1859 das Prinzip der Zwangsrekrutierung mit 25-jähriger Dienstzeit, bis 1873 dauerte der Militärdienst 15 Jahre, man wählte per Losverfahren unter den zur Gemeinde gehörenden Familien diejenigen, welche einen Rekruten zu stellen hatten. Die Rekrutierung führte zum Entzug der Arbeitskraft des Betreffenden in seiner Familie für eine lange Zeit, was manch eine Familie ruinieren konnte, da sich nicht jeder einen Knecht leisten konnte, ab 1874 betraf das auch die ehemaligen Kolonisten, welche mit Aufhebung der Kolonistengesetze vom 4.06.1871 „Siedlereigentümer“ genannt wurden und ihre Selbstverwaltung durch das Fürsorgekomitee verloren.

Die schleichende „Russifizierung“ begann jedoch schon eher, 1828 wurde der Autonomiestatus Bessarabiens aufgehoben und als Amtssprache 1829 russisch eingeführt, 1833 durften Gottesdienste nicht mehr auf rumänisch stattfinden, in höheren Schulen ab 1842, in Grundschulen ab 1860 nur noch auf russisch unterrichtet werden. In Folge des Krimkrieges wurde der südwestliche Teil zwischen 1856 und 1878 zu Moldau, 1859 Teile an Rumänien abgetreten.

Katharina die II. lockte einst mit ihrem Manifest vom 22.7.1763 und der Aussicht auf das Erbrecht an Land, zinslose Kredite, Steuerfreiheit auf 30 Jahre, Selbstverwaltung der Gemeinde, Religionsfreiheit , Freiheit vom Militärdienst, Ausstellung eines Passes etc. auf „ewige Zeiten“ Tausende in die Wolga – und Schwarzmeerregion, welche bei Ankunft eine leere Steppe und härteste Bedingungen vorfanden.

Hoffnungen, Träume, aber auch Enttäuschungen können eine Triebfeder des Handelns sein, die Aussicht, sich etwas schaffen zu können, der Traum vom bescheidenen Wohlstand und der besseren Zukunft für die Kinder und Kindeskinder motivierte unsere Vorfahren genau so, wie uns heute. Wie bitter die Enttäuschung ist, wenn Zusagen nicht eingehalten werden, zeigt sich in einem Volkslied der Kolonisten, welches in Saratow 1914 veröffentlicht 1 wurde, jedoch der älteren Generation seit 40 Jahren bekannt war:

1.
Das Manifest, die Kaiserin
Sie denket nach den Deutschen hin,
Sie sollen pflanzen Brot und Wein,
Und sollen auch Kolonisten sein.
2.
Sie verließen auch ihr Vaterland
Und zogen in das Russenland.
Die Russen sind uns sehr beneidt,
Weil wir waren so lang befreit.
3.
Sie brachten es mit ihrer List,
Dass wir nicht mehr sein Kolonist.
Kein Kolonisten sein wir mehr
Und müssen tragen das Gewehr.
4.
Katharina, als sie Kaiserin war,
Und ihren ersten Sohn gebar,
Denkt sie an den großen Eid:
Die Deutschen sollen sein befreit,
5.
Herrscher in dem russ’schen Reich,
Alexander und Monarch zugleich!
Brichst du deiner Mutter Wort,
So müssen deutsche Kinder fort.
6.
Katharina hat uns sehr betrogen,
Sibille hat doch nicht gelogen:
Was sie hat vorher gesagt,
Das ist alles schon vollbracht.
7.
Ach, hätten wir nur weißes Brot,
Täten wir danken dem lieben Gott.
Wär Deutschland unser Vaterland,
Wär’s uns vor diesem auch nicht bang.
8.
Soldaten sind doch keine Hund,
Es ist ihn‘ alles gut genug.
Bei guter Kost können sie’s bestehn,
Mit schlechter wollen sie es gar nicht sehn.

USA 1816

Die Erschließung des Westens durch den Eisenbahnbau und die damit verbundenen Geschäftsmöglichkeiten, Gerüchte vom „schnellen Geld“ durch Goldfunde, aber auch die Behördenwillkür in der Heimat veranlassten zahlreiche Familien, noch einmal zu neuen Ufern aufzubrechen, die wechselnden „Herren“ boten keine ausreichende Verlässlichkeit für die Zukunft mehr, dazu kam die attraktive Aussicht auf Land in den USA, da immer mehr Nachkommen der ersten Kolonisten nur noch sehr wenig oder gar kein Land mehr besaßen.

Bereits 1862 verabschiedeten die USA den „Homestead Act„, ein Gesetz, welches einem Siedler, der mindestens 21 Jahre alt war, gestattete, 160 acres (56 Deßjatinen) Land zu übernehmen, wenn er sich bereit erklärte, es mindestens 5 Jahre zu bewohnen und zu bebauen, oder gegen eine geringe Gebühr diese Frist zu verkürzen.

Ein Beispiel für diese Siedlungstätigkeit sind Kulm und Gackle, North Dakota. Bessarabier, deren Ahnen-Wiegen im Schwarzwald standen – Gackle/ Gaeckle/ Geckle/ Gäklin/ Geklin – egal, wie sie es schrieben, ein Name, dessen Klang uns so vertraut ist.

Vornehmlich in der Region Calw lassen sich auch meine Wurzeln finden, über die Jahrhunderte breiteten sich die Familien aus, bis sich einige nach Amerika aufmachten, dort Orte gründeten und Unternehmen – so brachten sie die Kunst des Wagenbaus mit und bauten Waggons für die Eisenbahn, welche damals den Westen eroberte. Auch das haltbar machen von Fleisch in Büchsen war eine Geschäftsidee, aus den Anfängen wurde eine Fabrik, welche Büchsenfleisch für die U.S. Army lieferte.

Ihre Angehörigen und deren Nachkommen ließen es sich nicht nehmen, aus ihren Siedlungsgebieten in Bessarabien ebenfalls in die USA und Kanada zu gehen und so treffen sich viele Familien wieder.


1) Das Jahrbuch des Deutschen Volksliedarchivs „Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture“, 1928 – 1999 „Jahrbuch für Volksliedforschung“.
Max Matter, Nils Grosch, Waxmann-Verlag (Münster) p 133 ff
Aufgezeichnet in der Kolonie Marienthal (Kreis Odessa), Ukraine, von Viktor Schirmunski und Hermann Bachmann im Sommer 1928 und 1930
Text: Joh. Kress (63 Jahre) und P. Heinz (72 Jahre); aufgez. 1928 von Hermann Bachmann, Melodie: Jörg Kress (74 Jahre); aufgez. im Sommer 1930 von Viktor Schirmunski.
DVA: DVL – M 3, Nr. 3 (Text); sowie Transkription von Tondok. DVL – U VI 23c [Nachaufnahme, da Erstaufzeichnung vom Sommer 1928 (DVL: U VIII 17) unbrauchbar].

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