Am 1. April 1946 konnte sich Opa Fritz, frisch aus der amerikanischen Gefangenschaft entlassen, in Woltwiesche melden. Hier wurde ihm am 3. Mai 1946 ein vorläufiger Ausweis ausgestellt.

Die Möglichkeit, im Niedersachsen einen Neuanfang nach dem Krieg zu beginnen, stand ihm offen, er kam als Reichsbahn-Beamten-Anwärter und Schlosser zu Büssing-NAG Braunschweig und war nicht allein, da seine Schwägerin hier Verwandtschaft hatte.

Doch letztlich entschied er sich, nach Potsdam heimzukehren, hier lebte doch die ganze Familie, Frau, zwei Kinder, die Eltern. Am 23. Mai 1946 gestattete ihm das Arbeitsamt Braunschweig die Kündigung unter der Auflage, tatsächlich in den russischen Sektor zurückzukehren. Am selben (!) Tag stempelt man in Potsdam einen vorläufigen Ausweis, da dem „Zuzug“nichts entgegenstand.

Er war zu Hause.

Das vor allem durch den Luftangriff auf Potsdam am 14. April 1945 zerstörte Stadtzentrum mit St. Nikolai, im Vordergrund die Trümmer vom Palast Barberini (Foto 1.1.1947)1

Die Stadt seiner Kindheit lag in Trümmern, so begann zunächst eine Phase des Aufräumens, auch Oma war nun Trümmerfrau.


Anderthalb Jahre später, am 28. Januar 1948, nahm er bei Auto-Ebel eine Tätigkeit als Werkmeister auf und blieb dort bis zum 21. August 1951. Die Firma hatte einen guten Ruf in Potsdam. Die einstige Schmiede in der Potsdamer Luisenstraße hatte bereits 1898 den Hufbeschlag der Garnisonspferde durchgeführt, später den königlichen Fuhrpark mit seinen Kutschen und Equipagen betreut. Ab 1910 wurden Kraftfahrzeuge in den Service übernommen, ab 1937 offerierte man den Service für anspruchsvolle Automobile wie Opel, Steyr, Maybach, Adler oder DKW.

In der Zwischenzeit reifte der Plan, sich als Fuhrunternehmer selbstständig zu machen. Dazu war es nötig, einen LKW zu besitzen.

Ich erinnere mich noch gut an die Zeit als Kind, wenn es hieß, Opa geht zur Garage. Das war für uns ein geheimnisvoller Ort und es gab keine Sekunde des Zögerns, wenn er fragte, ob man mitkommen möchte. Die Garage war ein Erinnerungsort, auf dem Weg und dort erzählte er viel von „früher“.

Oben, an der sehr hohen Decke, gab es einen schwarzen Fleck vom Auspuff, verursacht beim Starten des Motors. Er erzählte vom Holzvergaser, der unterwegs mit Holzresten gefüllt werden konnte, damit der LKW fahren konnte, von der Kurbel zum Anlassen eines Motors, die auf keinen Fall losgelassen werden durfte wegen des Rückschlages und vieles mehr. Wir lernten hier eine Menge, das man Motoren mit der Öllampe vorwärmen konnte, was er sich alles ausgedacht hatte und wie er seine Ideen umsetzte. So sorgten seine beruflichen Kenntnisse und eine Menge Einfallsreichtum dafür, aus vorhandenen Wracks einen lauffähigen LKW zusammenzubauen. Ein vorhandener Renault-Rahmen bildete die Basis, Aufbauten, Bremsanlagen und weiteres montierte er selbst.

Zu transportieren gab es damals viel und so machte Oma ebenfalls einen LKW-Führerschein. Einerseits faszinierte uns das, andererseits amüsierte es uns, wenn sie erzählte, wie sie sich Holzklötze angebunden hatte, da die Füße nicht an die Pedalen reichten, um die Prüfung zu machen. Natürlich kümmerte sie sich um die Buchhaltung, Rechnungswesen war ein Teil ihrer Berufsausbildung gewesen und so ergänzten sich beide ganz vorzüglich.

Die Steuererklärung des Jahres 1952 ist uns erhalten geblieben und zeigt, was der Finanzexperte der CDU, Friedrich Merz, im Jahr 2003 für ein Konzept plante, als er erklärte, sie müsse auf einem Bierdeckel erklärbar sein. Ein Blatt mit allen Zahlen reichte damals dem Finanzamt.

Einnahmen von 20.756,24 M standen Ausgaben von 14.205,74 M gegenüber. Gewinn 6.550,20 M. Das waren monatlich 545,88 M, ein durchschnittlicher Arbeiter in Deutschland bekam etwa 147 M2 im Monat. Das sieht natürlich danach aus, als wären meine Großeltern nun reich geworden. Natürlich nicht, es lebte eine ganze Familie von dem Gewinn und Sparsamkeit blieb weiter an der Tagesordnung, da von Anfang an klar war, ewig würde der aufgebaute LKW den Anforderungen nicht genügen.

Die Auftragslage war gut und so wurde ein zweiter LKW angeschafft. Der Phänomen-Granit 27 war ein Zweitonner des VEB Kraftfahrzeugwerk Phänomen Zittau der ab 1951 gebaut wurde. Der Renault erhielt einen neuen Aufbau, der original für den Granit 27 hergestellt wurde.

Dieser Anhänger war nach eigenen Entwürfen gebaut, da man so auch komfortabler Urlaub machen konnte.

Wenn einer den Campinganhänger und das Reisen damit erfunden hat, so muss das mein Opa Fritz gewesen sein. Wir hörten oft als Kinder, wie Schrank, Bett und Gartenbank auf die LKW Pritsche kamen, meine Urgroßeltern saßen dort und es ging dann in den Urlaub. Natürlich war auch Peter, der Kater, dabei. Er wärmte sich gern auf dem Motor des LKW und einmal war er wohl so voll Schmiere, dass er nach dem Ablecken des Fells Durchfall bekam.

Die Bilder zeigen einige Ausschnitte dieser Urlaubsfahrten und bieten einen kleinen Einblick in das Innenleben der Pritsche.

So idyllisch diese Fotos erscheinen, so tief steckte doch der Krieg noch in ihnen. Es wurde immer wieder berichtet, dass es Momente gab, in denen es hieß: „Flieger, werft euch in den Graben!“ und alles lag wirklich flach auf dem Boden, obwohl beispielsweise nur die Sirene vor der Sprengung von Felsen warnte.

Ab dem 1. April 1958 wurde aus dem selbständigen Fuhrunternehmer der angestellte Spediteur des VEB Güterkraftverkehrs in Babelsberg, der mit seinen eigenen LKWs Ladungen fuhr.

Heute würde man das als Scheinunternehmer bezeichnen, der offiziell als Subunternehmer angefangen hatte, jedoch nur einen Auftraggeber hat und daher letztlich als Angestellter des Unternehmens anzusehen ist. Damals war es eher der „sanfte“ Zwang und die „schleichende“ Enteignung der privaten Unternehmer in Richtung Volkseigentum.

Diese mehr oder weniger freiwillige Zusammenarbeit mit dem VEB Güterkraftverkehr hatte seine Vorgeschichte im Sommer 1949, als eine Industrie-Vereinigung volkseigener Betriebe „Wirtschafts-Kraftverkehr“ für das Land Brandenburg in Potsdam gegründet wurde.

Die Verwaltungen Volkseigener Betriebe (VVB) Kraftverkehr wurde auf Anordnung des Ministers für Wirtschaft vom 5. August 1949 gebildet. Ihre Aufgaben bestanden in der Durchführung von Güter- und Personentransporten mit Kraftfahrzeugen (Bussen, LKW, Taxis), sowie in der Unterhaltung von Kraftfahrzeugreparaturbetrieben. Es existierten sowohl reine Einsatzstellen für den Personen- und Güterverkehr und reine Reparaturbetriebe, als auch beide in Kombination. Diese Vereinigung sollte durch eine Zusammenfassung der volkseigenen Fahrzeuge eine rationellere Ausnutzung des Transportraumes herbeiführen und in Zusammenarbeit mit dem privaten Kraftfahrzeugwesen der Versorgung der volkseigenen Schwerpunkt- und Kommunalbetriebe seine besondere Aufmerksamkeit widmen. Dazu sollten im Lande Brandenburg neun Bezirksstellen eingerichtet werden und zur reibungslosen Aufrechterhaltung des Verkehrs auch eine Anzahl von Reparaturwerkstätten in ihren Wirkungskreis einbezogen werden, unter anderem die Großreparaturwerkstatt Ludwigsfelde bei Berlin3.

Auf der Grundlage der Verordnung über Maßnahmen zur Einführung des Prinzips der wirtschaftlichen Rechnungsführung in den Betrieben der volkseigenen Wirtschaft vom 20. März 1952 wurde die VVB zum 1. Juli 1952 aufgelöst. Mit der Bildung der Bezirke Potsdam, Cottbus und Frankfurt (Oder) wurden drei Verwaltungen volkseigener Betriebe Kraftverkehr gebildet. Diese stellten ihre Tätigkeit zum 31. Mai 1954 mit der Bildung von Bezirksdirektionen für Kraftverkehr bei den Räten der Bezirke, Abteilung Kraftverkehr, ein.

Opa schaltete damals auch verschiedenen Anzeigen in der „Neuen Zeit“ zwischen 1956 und 1961, da er ein Auto erwerben wollte und Ersatzteile rar waren.

Das Ende seines nunmehrigen Fuhrgeschäftes kam durch den Bau der Mauer am 13. August 1961. Wie er erzählte, war er kreuz und quer durch Berlin und das Umland unterwegs. Für Lieferungen von Potsdam aus ein kurzer Weg, er kam immer über die Glienicker Brücke, die Berliner Straße entlang, auch, als die Grenzen geschlossen wurden, diesmal auf dem Weg nach Hause. Er konnte mit Mühe und Not den Grenzern klarmachen, dass er in Potsdam wohnt und dort seine Familie hatte, die Kontrolle seiner Papiere belegte das und daher ließen sie ihn durch, ansonsten hätte er in West-Berlin fest gesessen. Fortan war ein großer Umweg erforderlich, da jede Fuhre um Berlin herum gefahren wurde, was auf Dauer unwirtschaftlich war und daher andere Strukturen her mussten.

Wieder musste Opa Fritz sich beruflich neu orientieren.

Fortsetzung


Quellen: Familienarchiv
Wikipedia
1Wikimedia: Potsdam, Ruine der Nicolaikirche; von Bundesarchiv, Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst – Zentralbild (Bild 183) Bild 183-H26014 / CC BY-SA 3.0 de
2Tariflohnentwicklung
3Neues Deutschland, 2. Juli 1949, Jahrgang 4, Ausgabe 152, S. 7

weiterführend zu lesen: Das Kriegsende in Potsdam – Erinnerungen, Dokumente und Fotografien von Zeitzeugen