Fort – nur fort …

Sparwasser – aus Hessen über Schlesien nach Russland

Sparwasser – viele werden sagen: „Da klingelt doch was?“ Der bekannte Namensvertreter und Fußballer Jürgen Sparwasser ist jedoch nicht gemeint, sondern die Büdesheimer Brüder Johann Jacob1 (1.12.1745-24.3.1819) und Johannes1 (17.11.1752-19.5.1790) Sparwasser, welche dem Aufruf des Werbers Johann Hartmann Schuch, Verwaltungsbeauftragter der neuen Kolonien in Schlesien, folgten.

Schuch war ursprünglich selbst Kolonist, als Richter für eine neue Kolonie im Kreise Brieg vorgesehen, machte er eine Eingabe mit dem Verweis auf seine besondere Eignung als Werber an den Grafen Karl Georg von Hoym im September 1771, in der er erklärte, über 800 Familien geworben zu haben. Hoym, davon überzeugt, wendete ihn im Spätherbst und Winter 1771 in die Ämtern Nidda und Schotten, die Grafschaft Solms-Laubach, ins Hanauische und auch ins burgfriedbergische Territorium.

Seine Abwerbung blieb dort nicht unbeachtet, der Amtmann des Karbener Amtes meldete im Dezember die unerwünschte Tätigkeit Schuch’s, worauf das Burgregiment Friedberg am 20. Dezember 1771 eine Untersagung aussprach. Am 9. Januar 1772 wies die Burg den Amtmann an, Schuch, „falls er sich nicht fügen und den Ort räumen wolle, in Arrest zu ziehen und nach Burg Friedberg gefänglich einzuführen.“

Am 27. Januar 1772 teilt die Burg dem Amtmann zu Büdesheim mit, man sei wegen Schuch mit dem königlich preußischen Minister von Hochstetten in Korrespondenz getreten und am 3. Februar 1772 war ein Gesinnungswechsel eingetreten, Schuch konnte werben und den als Kolonisten angeworbenen wurde der Abzug gestattet, sofern sie Zehnt-Pfennig, Auszugs- und Ledigungsgeld bezahlt hätten.6

Wenn man sich nun fragt, warum Schuch überhaupt so erfolgreich war, und warum der Amtmann so harsch reagierte, muss man in diese Zeit zurückblicken:

Einerseits waren die Lebensbedingungen der Landbevölkerung durch Leibeigenschaft geprägt, Leibeigene gehörten dem Grundherrn, sie bewirtschafteten seine Ländereien und waren zu Frondiensten verpflichtet, durften ohne seine Genehmigung weder wegziehen noch heiraten und unterlagen seiner Gerichtsbarkeit, im Gegensatz dazu waren Bürger einer Stadt freie Menschen. Während Frankreich diesen Zustand 1789 beendete, war man auf den deutschen Territorien in dieser Frage uneins, im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel seit 1433 aufgehoben, behielt man sie in Mecklenburg bis 1822 bei und erst 1832 wurden die Frondienste in Sachsen abgeschafft. Im Großherzogtum Hessen wurde die Aufhebung der Leibeigenschaft per Gesetz am 25. Mai 1811 verordnet und zum 13. Juli 1813 rechtskräftig. Es wurde eine Entschädigungsleistung der ehemaligen Leibeigenen an die vormaligen Leibherren vorgesehen, was im Grunde die Abhängigkeit mangels Kapital aufrechterhielt.

Der zweite, viel wichtigere Aspekt war jedoch der Bevölkerungsmangel und damit verbundene Arbeitskräftemangel, der die Herrschaft aufhorchen ließ. Diese geht auf die erheblichen Hungerjahre zurück, die in Europa eine Ursache in der kleinen Eiszeit nahmen und durch kriegerische Auseinandersetzungen verstärkt wurden.

Die Verringerung der Sonnenaktivität, auch Vulkanismus mit erheblichem Ausstoß in die Atmosphäre und veränderten Meeresströmungen bestimmten bis ins frühe 19. Jahrhundert das Klima in Europa. Die Temperaturen gingen seit etwa 1570 deutlich zurück, bis 1610 reihten sich Missernten, Orkane und harte Winter aneinander und bildeten den Nährboden für Missgunst, Neid, Auseinandersetzungen und letztlich Kriege.

1636-1637. Schreckliche Hungersnoth in Deutschland und zum Theil in der Schweiz als Folge des 30-jährigen Krieges, ganz besonders in Sachsen, Hessen und Elsaß. Die Menschen verthierten infolge der entseglichen Zustände derart, daß sie nicht blos Gras, Baumblätter, Eicheln, Wurzeln, Baumrinden, Erde, Thierfelle und krepirte Thiere verschlangen, sondern sogar menschliche Leichname verzehrten, indem sie das Fleisch auf dem Schindanger holten, Leichen vom Galgen herabstahlen, die Gräber nach Menschenfleisch durchwühlten und lebende Kinder schlachteten. Blutsverwandte mordeten und fraßen sich auf und nahmen sich dann, über die entsehliche Sättigung in Wahnsinn verfallend, selbst das Leben. Es bildeten sich Banden, die auf Menschenfleisch behufs Verzehrens förmlich Jagd machten; so wurde z. B. zu Worms eine Menschenfresserbande vertrieben. Die Chroniken berichten so gräßliche Details und haarsträubende Episoden, daß man sich mit Eckel davon abwendet.

Unglücks-Chronik oder die denkwürdigsten elementaren Verheerungen und Zerstörungen in Natur- und Kulturleben aller Zeiten.
Wenger, J.:Verlag: Bern Verlag von Rudolf Jenni’s Buchhandlung (H. Köhler). (Ca. 1889)., 1889 p.49

Hongersnood in Duitsland, 1637)
Caspar Luyken, Rijks Museum, Amsterdam
Hongersnood in Duitsland, 1637, Caspar Luyken2

Unsere Sparwasser waren in Büdesheim lange ansässig, Daniel, hochadlige schützischer Jäger und Waldförster, aus Florstadt stammend, heiratete 1666 in Büdesheim, der Pfarrer schätze sein Alter auf 31 oder 32 Jahre, nach dem Sterbealter war er schon 34. Er war der Vater von Georg Wilhelm, Daniels Schwiegervater Henrich Volz stammt aus der Zeit um 1600, Enkel Georg Philipp, Vater unserer Auswanderer kam im Jahre 1717 zur Welt, sie erlebten die Zeiten, mit Sommern, so kurz, dass Korn und Früchte nicht mehr reiften.

Die Not war extrem, man kannte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Kartoffelanbau, nur Hackfrüchte, die ebenfalls kaum wuchsen, die Preise explodierten für das Wenige, was vorhanden war, Fleisch war rar, da auch das Vieh nicht mehr versorgt werden konnte, das Wild zurückging, Seuchenzüge waren die Folge, sie trafen sowohl die geschwächten Menschen, als auch das Vieh.

Es folgten weitere Jahre mit extremen Teuerungen, auch verursacht durch Ankauf von guten Ernten und Preiswucher, die ebenfalls Hungersnöte ausbrechen ließen.

In den Jahren 1770 und 1771 fielen zudem nicht nur die Kornernten schlecht aus, weshalb es erneut zu einer erheblichen Verteuerung kam (europäische Hungerkrise 1770–1773), Ursache waren extremen globale Klimaanomalien – während es in Zentralamerika, Indien und Teilen Afrikas zu schweren Dürren kam, versank Europa im Schlamm verheerender Regenfälle, die überwiegend die Sommermonate betrafen. Die Ernteausfälle breiteten sich über den Kontinent von Frankreich bis in die Ukraine und von Skandinavien bis in die Schweiz. In Folge des sich ausbreitenden Hungers und der Nässe, die alles faulen ließ, grassierten Ruhr, Typhus und die Pest, die zu einer drastischen Sterblichkeit führten, die Preise explodierten um 300 bis 1000 Prozent.

So findet sich in der Chronik der Stadt Ellrich4 folgender Bericht:

In den Jahren 1770 und 1771 war Mißwachs, große Theurung und Hungersnoth; noch zu Ende 1769 kostete ein Scheffel Rocken 15 bis 18 gr,, Anfangs 1770 1 rthl. 8 gr. und Ende 1771, und Anfangs 1772 3 rthl. bis 3 rthl. 16 gr., die übrigen Früchte waren verhältnißmäßig eben so theuer. Beym Steigen der Preise und der Hungersnoth wurden unter den ohnehin schon schlechten, zum theil bey der Nassen Erndte ausgewachsenen Rocken, alle Arten von Früchte selbst Hafer und Drespe, untergemahlen, Kartoffeln gekocht und hinzugethan, und von der Armuth mit samt der Kleye verbacken, ja die Noth stieg endlich so hoch, daß Hieselbst arme Leute, von Hunger und Aberglauben getrieben, eine Art Kalck im Jtel geholet haben, welcher vom Frost zermalmet gewesen, welchen sie dafür angesehen, daß derselbe Mehl sey, welches Gott zu ihrer Rettung aus der Erde hervorgehen lasse, und diesen Kalck haben sie würklich unters Mehl gemenget und mit verbacken. Dieses verbreitete sich dazumal in hiesiger ganzen Gegend, und Schreiber dieses erinnert sich noch sehr gut, daß auch ins Hannoversche nach Scharzfels, wo derselbe dazumal war, dieses Gerücht erscholl, worauf die Armuth in den umliegenden Dorsschaften, ein ähnliches Wunderwerk bey Nüxey entdeckt zuhaben glaubte, wo sie eine Art weißen ganz feinen Mergel, Dux genannt, holeten, mit unters Brodt backten, davon krank wurden und häufig davon starben; so daß Obrigkeitswegen dergleichen verbothen, von den Kanzeln der Jrrthum erkläret, von der Hannoverischen Regierung aber Früchte hergegeben, verbacken, und das Brodt unter die Armuth vertheilet wurde. Des Frühjahres 1772 holeten die Menschen die ersten grünen Kräuter, um solche zu kochen, sie trafen mitunter viele schädliche, weil ihnen jegliches grüne Keimchen angenehm war, und auch dadurch und durch den lange erlittenen Hunger wurden noch viele Menschen krank und starben sehr häufig. Dies waren traurige, traurige Jahre, selbst für den Wohlhabenderen, dies Leiden, ohne Allen helfen zu können, mit ansehen zu müssen, viele Familien gingen ganz zu Grunde, andere haben es lange Jahre nach her, und manche noch nicht verwinden können, der Mittelstand unter Bürger und Bauer, versetzte, verkaufte, borgte, nahm ausstehende Capitalien aus und setzte sein ganzes kleines Vermögen zu, und dieser giebt es am mehrsten, der Wohlhabenden nicht so viel. Das Jahr 1772 und die gute Erndte desselben machte dieser höchst erbärmlichen Scene ein Ende.

Man kennt Zahlen aus Kur-Sachsen, wo 150.000 Menschen 1772 am Hunger und seinen Folgen starben, in Böhmen etwa 180.000 und das ebenso in allen anderen Teilen des damals noch zersplitterten Deutschlands.3

So versteht sich die Erklärung der künftigen Kolonisten, die 1772 die Auswanderung nach Schlesien wünschen, von selbst, da sie ,,bei diesen theuren und nahrungslosen Zeiten sich das benöthigte Brod zu ihrem Lebensunterhalte nicht zu schaffen vermögten und daher gesonnen seien, nach Schlesien zu ziehen, in Hoffnung, es daselbsten besser zu treffen“

Der weitaus größere Teil wanderte bis Ungarn, da diese Region von den Wetterunbilden verschont geblieben war.

Johann Jacob war zum Zeitpunkt der Auswanderung verwitwet, vermutlich hatte seine Frau den Hunger nicht überstanden, daher wanderte er mit den Kindern Johann Georg (1768 – nach 1814) und Anna Elisabeth (1770-1804) in die neu zu gründende Kolonie Süssenrode aus. Sein Bruder Johannes und dessen Frau waren noch kinderlos. Zuvor zahlte Johann Jacob Sparwasser 5 Guldenb, 15 Albusb, Bruder Johannes 3 Gulden Ledigung (Loslösung aus Leibeigenschaft)1.

Geburtseintrag Johann Jacob Sparwasser 1745 im Büdesheimer Taufregister 1701-1756 (Archion)

Geburtseintrag Johannes Sparwasser 1752 im Büdesheimer Taufregister 1701-1756 (Archion)

Für unsere kleine Sparwassersippe war es verlockend, Schuch versprach in Schlesien geschenkt ein Haus und Grundbesitz von 40 rheinischen Morgena, es sollte freies Bau- und Brennholz geben, eine Steuerfreiheit der nächsten acht Jahre, danach lediglich eine Abgabe von sechs Albus je Morgen, das klang gut. Zudem zahlte die preußische Regierung 2 Thalerc pro Kopf Reisekosten.6 So machte man sich Anfang März 1772 mit den anderen Kolonisten auf den rund 740 km langen Weg in die neue Heimat, für Süssenrode sollten 14 andere Familien die neuen Nachbarn sein. Der Zeitpunkt war so gewählt, dass die Ankömmlinge bei Ankunft noch die Saat einbringen konnten.

Strecke Büdesheim – Süssenrode (Mlodnik) (google maps9)

Die Strapazen der Reise waren unsäglich, Nahrung knapp und teuer, zehrte daher das wenige Habe auf, viele der Kolonisten wurden krank, wie schlimm es stand, berichtete Schuch dem schlesischen Provinzialminister Graf von Hoym, in den elf neuen Kolonien waren im Mai 1772 insgesamt 266 Männer, 195 Frauen und 449 Kinder, davon 113 krank, 31 Personen verstorben.7

In Süssenrode fand Schuch bei seiner Kontrolle am 21. Mai 1772 insgesamt 15 Männer, 14 Frauen und 22 Kinder vor, 6 davon inzwischen Waisen, 10 Erkranke, zwei Männer und zwei Frauen gestorben. Doch lesen wir selbst:

Nummero 10. d. 21. May 1772.
Sussenrothen.
Diese Colonie stehet unter der aufsicht des Herrn Oberfürsters Büttner; soll bestehen auß 16 wohnungen; sind aufgeschlagen vom Zimmerman und sind in voller arbeit.
Die Colonisten von dieser Colonie sind nach folgender Liste:
No 1) Casper Jost, ein Bauer und Schumacher von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 33; Fr.: 40; To.: 20; So.: 8 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch.
No 2) Jacob Sparwaßer ; ein Bauer von Biedesheim, kaiserl. Burg Frieb. Hoheit. alt: 27; So.: 4; To.: 2 Jahr; 3 Köpf. R.: Evangelisch.
No 3) Joh. Schäfer ; ein Bauer von Biedesheim Friebbergischer Hoheit. alt: 56; Fr.: 58; So.: 18; So.: 12 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch.
No 4) Joh. Jacob Sparwaßer ; ein Bauer von Biedesheim Friebbergischer Hoheit, alt: 25; Fr.: 30 Jahr; 2 Köpf. R.: Evangelisch.
No 5) Joh. Cun ; ein Bauer von Biches, Biedingischer Hoheit, alt: 30; Fr.: 35; So.: 8; To.:10; To.: l Jahr; 5 Köpf. R.: Reverwirtd.
No 6) Daniel Sefftel; ein Bauer von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 25; Fr.: 24; So.: 2 Jahr; 3 Köpf.
R.: Reverwirth.
No 7) Stofel Lipp ; ein Bauer von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 29; Fr.: 30; So.: 7; To.: 2 Jahr; 4 Köpf. R.: Reverwirth.
No 8) Hein. Meister ; ein Bauer von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 25; Fr.: 20 Jahr; 2 Köpf. R.: Reverwirth.
No 9) Anderas Nickelaus; ein Bauer von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 24; Fr.: 22 Jahr; 2 Köpf. R.: Reverwirth.
No 10) Martin Holtzheimer; ein Bauer von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 30; Fr.: 25 Jahr; 2 Köpf. R.: Reverwirth.
No 11) Peter Mehrling ; ein Bauer von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 25; Fr.: 22 Jahr; 2 Köpf; R.: Reverwirt.
No 12) Casper Jost; ein Bauer von Ostheim aus ; der Grafschaft Hanau. alt: 30; Fr.: 40; So.: 8 Jahr; 3 Köpf. R.: Reverwirth.
No 13) Joh. Lick ; ein Bauer von Ostheim auß der ; Grafschaft Hanau. alt: 25; Fr.: 22 Jahr; 2 Köpf. R.: (fehlt)
No 14) Conrath Meßer ; ein Bauer von Biches, Biedingischer Hoheit. alt: 30; Fr.: 22 Jahr; So.: 4 Tage; Schwie.: 20 Jahr; 4 Köpf. R.: Reverwirth.
No 15) Conrath Buhsch ; ein Bauer von Kroßen Karben Kayserl. Burg Frieb. Hoheit, alt: 46; Fr.: 45; So.: 20; To.: 12 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch.
No 16) Diese Nummero ist vagant;

Auf dieser Colonie befinden sich 15 Mann, 14 Frauen, 16 Kindern, die 6 weisen dazu gerechnet macht 22; Summa: 51 Seelen.
Kranck: 10 Personen.
Gestorben von dieser Colonie: 2 Mann, 2 Frauen; Summa: 4 Seelen.
Auf dieser Colonie ist noch nichts von sommerfrüchten hinaußgesäet, weil diese Colonisten mehrst alle kranck gewesen sind; sie liegen noch alle in Butgewitz, weilen ihre Häuser noch nicht alle vom Zimmerman aufgeschlagen sind.
Der Grund und Boden ist sehr gut; es stehet aber ein gar starcker wald drauf, daß es also hier zeit erfodern wird, biß er urbar gemacht wird, indem er naß liegt und ein starcker graben geschrodt werden muß.
Diese Colonisten haben noch kein Vieh.

Monatsschrift für Sippenkunde und Sippenpflege, Heft 6 und 7, 1939, Berlin

Ortsplan Süssenrode6

Was den Kolonisten nicht bewusst war, man suchte in Schlesien vor allem Holzfäller, die den Wald roden sollten und die Hochöfen der Eisenproduktion mit Holzkohle versorgen. Daher waren die Landflächen nur als „Gartenwirtschaft“ ausgelegt, reichten daher einem Bauern nicht zur Vollversorgung seiner Familie, zumal nur ein kleines Stück gerodeter Acker zur Ansaat des Nötigsten übergeben wurde, den Rest mussten die Kolonisten selbst roden. Dafür erhielten sie pro Morgen 4-20 Taler, je nach Schwierigkeit des Geländes. Da ihre Kolonien noch nicht fertiggestellt waren, zog der Oberforstmeister Süßenbach, der diese Arbeiten überwachte, die Kolonisten zur Handlangerdiensten heran, dafür zahlte er 4 Groschen täglich. Zudem wurden die Kolonisten mit Brotgetreide und jeweils 2 Kühen unterstützt.

Süssenrode hatte einen nassen Wald, die Kolonisten waren die ungewohnt schweren Waldarbeiten nicht gewohnt und kränkelten und waren trotz aller Bemühungen und allen Fleißes in einem so erbärmlichen Zustand, dass der Oberförster Büttner 1774 nach Breslau schrieb:13

Die Hungersnot unter den Kolonisten ist nunmehr aufs höchste gestiegen und deren Jammern und klägliches Lamentieren mit Worten nicht zu beschreiben. Ich selbst muss bekennen, daß ungeachtet sich sämtliche das Roden mit besonderem Fleiß angelegen sein lassen, in Sonderheit bei dem harten Winter sie nicht im Stande sind, sich das Brot zu verdienen.

Oppelner Heimat-Kalender für Stadt und Land, 1934, Jg. 9 p77

Johann Jacob ehelichte 1773 in Tauenzinow (ehemals Ostenbrug) Anna Elisabeth Rohn (Rahn), sie war aus Gonterskirchen mit ihrem Vater Heinrich ausgewandert und findet sich ebenfalls in Schuch’s Bericht7.

Geburtseintrag Anna Elisabeth Rohn 1749 im Gonterskirchener Taufregister 1665-1767 (LDS)

Nummero 9. d. 21. May 1772.
Ostenbrug.
Diese Colonie stehet unter der aufsicht des Herrn oberforstmeister Büttner; soll bestehen aus 20 wohn Häuser, sind alle fertig vom Zimmermann und Mäuren biß zur folgender aufebauung der Scheuern.
Diese Colonisten, die auf der Colonie wohnen sollen, sind nach folgender Liste:

No 1) Philippus Lenhing ; ein Bauer und Schmidt aus dem Fürstenthum Gedern.
alt: 48; Fr.: 35; So.: 15; To.: 10; To.: 7; So.: 5; So.: 3 Jahr; 9 Köpf. R.: Evangelisch.
No 2) Peter Weißbecker; ein Bauer und Zimmerman aus Käichen, Friebbergischen Hoheit. alt: 34; Fr.: 33; So.: 8; So.: 3 Jahr; 4 Köpf. R.: Catolisch.
No 3) Thomas Görtler ; ein Bauer und Zimmerman aus Käichen, Friebbergischer hoheit. alt: 36; Fr.: 38; To.: 13; So.: 7; So.: 5; To.: l Jahr; 5 Köpf. R.: Revermirt.
No 4) Joh. Georg Schmeißer ; ein Bauer aus dem Heilbrunnischen. alt: 48: To.: 22; To.: 18; To.: 15; So.: 11; S.: 8 Jahr; 6 Köpf. R.: Evangelisch.
No 5) Andereas Marthin ; ein Bauer und Zimmerman auß dem Dorf Käichen, Frieb. hoheit. alt: 32; Fr.: 35; So.: 5 Jahr; 3 Köpf. R.: Catolisch.
No 6) Georg Reinhart Dorß ; ein Bauer auß dem Württbergischen. alt: 28; Mut.: 55; Schw.: 20; Br.: 17; Br.: 15; Schw.: 8; Schw.: 6 Jahr; 7 Köpf. R.: Evangelisch.
No 7) Joh. Conrath Fickel; ein Bauer aus Gonterskirchen aus dem Laubachischen. alt: 34; Schw.: 28; To.: l Jahr; 3 Köpf. R.: Evangelisch.
No 8) Nickelaus Schneidmüller; auß Gedern ein Bauer. alt: 25; Fr.: 44; So.: 18; So.: 13 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch.
No 9) Conrath Weifert; ein Bauer von Kaichen Burg Frieb. Hoheit, alt: 32; Fr.: 36; So.: 4 Jahr; 3 Köpf. R.: Catolisch.
No 10) Joh. Adam Geiger; aus der Pfaltz ampt Bocksberg. alt: 36; Fr.: 34; To.: 14; So.: 8 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch.
No 11) August Crach; ein Bauer, Burg Frieb. Hoheit. alt: 36; Fr.: 35; So.: 9; So.: 3 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch.
No 12) Johannes Löß; ein Bauer und Schuhmacher aus Gedern. alt: 32; Fr.: 24 Jahr; 2 Köpf. R.: Evangelisch.
No 13) Heinrich Rahn ; aus Gonderskirchen ein Bauer.alt: 62; To.: 23 Jahr; 2 Köpf. R.: Evangelisch.
No 14) Johannes Landmann ; ein Bauer aus dem Dorf Gedern. alt: 45; Fr.: 33; So.: 20; So.: 18 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch.
No 15) Jacob Hiltebrand ; ein Bauer und Steindecker auß Gedern. alt: 43; Fr.: 22 Jahr; 2 Köpf. R.: Evangelisch.
No 16) Peter Hartman ; ein Bauer aus dem Dorf Freiesehe. alt: 26; Fr.: 36; So.: 3 Jahr; To.: 6 Wochen; 4 Köpf. R.: Evangelisch.
No 17) Michel Bopp ; ein Bauer von Frohnhaußen, Grafschaft Biedingen. alt: 36; Fr.: 36 Jahr; 2 Köpf. R.: Reverwirth.
No 18) Joh. Georg Mänttler ; ein Bauer aus dem Württbergischen. alt: 32; Fr.: 34; So.: 2; So.: l Jahr; 4Köpf. R.: Evangelisch.
No 19) Joh. Nieckel aus Maul; auß dem Anspaischen. alt: 32; Fr.: 21; 2 Köpf. R.: Evangelisch.
No 20) Johannes Dörr; ein Bauer von Erbstadt, Fürstl. Heßischer Hoheit. alt: 44; Fr.: 49; To.: 12; To.: 7; So.: 4 Jahr; 5 Köpf.

Diese Colonie bestehet auß 20 wirthe, 17 Frauens, 41 Kindern; Summa: 78 Seelen.
Kranck sind auf dieser Colonie: 8 Personen.
Diese Colonisten haben fleißig gearbeitet; sie haben mit der Hand gerothet zu 10 Schefel erdoffeln, 12 morgen zu hirsche, welches sath ihnen gereichet worden von Herrn oberfürster Büttner; hat auch ein jeder Colonist eine Kuh bekommen; haben auch ihr Land mehrentheils geräumt vom Holtz, daß sie können eine gute winder ernde hinauß stellen.
Diese Colonie ist die beste, vor allem, indem der erdboden allhier sehr gut ist.

Monatsschrift für Sippenkunde und Sippenpflege, Heft 6 und 7, 1939, Berlin

Ortsplan Tauentzinow (Ostenbrug)8

Johann Georg Sparwasser, geboren am 21. Mai 1768 in Büdesheim heiratet am 23. Dezember 1793 in Tauenzinow, wie Ostenbrug später genannt wurde, Maria Magdalena Copp (um 1773 -1813), aus dieser Ehe sind vier Kinder bekannt, Johannes (1794-1876), Katharine (1796-1872), Johann Peter (1798-1805) und Gottlieb (1805-1809).

Geburt Johann Georg Sparwasser 1768 im Büdesheimer Taufregister 1757-1807 (Archion)

Eheschließung von Johann Georg Sparwasser mit Maria Magdalena Copp 1793 in Carlsruhe (Pokoj) (LDS)

aus: Oppelner Heimat-Kalender für Stadt und Land, 1934, Jg. 9, p73, (von mir colorisiert)

Warum nun wanderte Johann Georg aus?

Die Erklärung ist tatsächlich das Wetter, Schlesien erlebte seit der Ansiedlung mehrere Jahre mit Missernten, bereits 1784/1785,1789, 1795, 1800 und 1803/1804 waren Hungerjahre12, da es teilweise extrem nass war, sodass wieder alles Getreide faulte, die Krankheits- und Sterberate durch den Hunger war in den Kolonien erheblich. Entsprechend suchte man sein Heil in der Flucht nach Süden, in der Hoffnung, hier nicht nur die versprochenen Siedlungsbedingungen zu finden, von denen die Werber für Russlands Kolonien sprachen, sondern vor allem endlich bessere Witterungsbedingungen, um keinen Hunger mehr zu leiden.

Geburtseintrag Johannes Sparwasser 5. März 1794 in Tauenzinow (Okoly), KB Carlsruhe (Pokoj) (LDS) – Vermerk bei Johannes und Vater Johann Georg „nach Russland“

So zogen man erneut in die Fremde, diesmal auf einem Weg von etwa 1.960 km, die Reise dauerte mindestens 5 Monate, eher mehr, da man mit dem Wagen, meist von Ochsen gezogen, selten Pferdefuhrwerke, mit Zwischenlagern und je nach Wetter nicht so schnell wie heute unterwegs war. Es gab keine gut ausgebauten Straßen, sondern unbefestigte Wege. Die 900 km aus Hessen nach Schlesien hatten bereits gute 2 Monate gedauert.

Wanderweg von Tauenzinow über Grodno Richtung Molotschna (google maps9)

Am 27. Februar 1804 passieren sechs Kolonistenfamilien, fünf hatten sich unterwegs angeschlossen, unter der Führung von Johann Georg Sparwasser den Kontrollpunkt Grodno (Hrodna). Die Sparwasser bekamen für den Zeitraum vom 26. Februar bis 10. März 1804, also 13 Tage, 9 Silberrubel und 10 Kopeken Verpflegungsgeld, und für die nächsten 40 Tage 28 Silberrubel, dazu in Banknoten und Kupfermünzen 50 Rubel Futtergeld für Pferde. Außer ihnen war nur noch eine Familie mit Pferden unterwegs.10

Nach kurzem Lager zogen sie innerhalb eines Monats nach Schitomir und erhielten auch dort ein Verpflegungsgeld von 21 Rubel zur Weiterreise, wie wir der erhalten gebliebenen Akte entnehmen können:14

Etwa Mitte Mai 1804 trafen sie in Jekaterinoslaw (Dnipro) ein, wo sie zusammen mit 209 anderen Familien für ein Jahr im Quartier lagen, ehe sie ihre Kolonistenstellen übernehmen konnten.

1805 finden wir im Zensus von Wasserau den Vermerk: Sparwasser, Georg 40, seine Frau Magdalena 37, seine Kinder Johann 16 und Catharina 14. Wirtschaft: 12 Rinder, 1 Pflug, 1 Egge, 1 Wagen.11

Johann Georg wird noch einmal heiraten, eine Witwe, seine Frau hat die Strapazen der Auswanderung ebenso wenig verkraftet, wie seine jüngsten Söhne. Die beiden ältesten Kinder bekommen noch ein kleines Geschwisterchen, ehe sie eigene Familien gründen.

Die zahlreichen Nachkommen finden sich heute nicht nur wieder in der alten Heimat Deutschland, sondern auch in den USA und Kanada.

Anmerkungen:

a1 rheinischer Morgen = 3176 m²

b1 Reichstaler = 1 ½ Gulden = 22 ½ Batzen = 30 Groschen = 45 Albus = 90 Kreuzer = 360 Pfennige = 384 Heller

c1 Reichsthaler in Preußen = 90 neuen Groschen zu je 18 Pfennig

dReverwirth – Ansiedler der ein Revers (Dokument) unterschreiben musste

Quellen:

1Sachakte HStAD, R 21 B, NACHWEIS Sparwasser, Jakob, Herkunft: Büdesheim / Ziel: Schlesien. – Alter/geb.: 27 Jahre. Beruf: Bauer. Anzahl Kinder: 2. Bemerkungen: Angesiedelt in Süßenrode

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Signatur: HStAD, R 21 B, NACHWEIS
Beschreibungsmodell: Sachakte
Titel: Sparwasser, Jakob, Herkunft: Büdesheim / Ziel:

Sachakte HStAD, R 21 B, NACHWEIS Sparwasser, (NN.), Herkunft: Büdesheim / Ziel: Schlesien. – Alter/geb.: 30 Jahre. Ehepartner: Johann Jakob S.‘. – Quelle: siehe Blat “Schlesien“

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Signatur: HStAD, R 21 B, NACHWEIS
Beschreibungsmodell: Sachakte
Titel: Sparwasser, (NN.), Herkunft: Büdesheim / Ziel:

Sachakte HStAD, R 21 B, NACHWEIS Sparwasser, Johann Jakob, Herkunft: Büdesheim / Ziel: Schlesien. – Alter/geb.: 25 Jahre. Bemerkungen: Mit Frau. Zahlt 5 Gulden, 15 Albus für Loslösung von Leibeigenschaft

verz227144
Signatur: HStAD, R 21 B, NACHWEIS
Beschreibungsmodell: Sachakte
Titel: Sparwasser, Johann Jakob, Herkunft: Büdesheim / Ziel:

2Hongersnood in Duitsland, 1637, Caspar Luyken (print maker), Johann David Zunnern (publisher)
Kupferstich, Rijks Museum, Amsterdam, Objektnr. RP-P-1896-A-19368-1952, public domain

3Unglücks-Chronik oder die denkwürdigsten elementaren Verheerungen und Zerstörungen in Natur- und Kulturleben aller Zeiten.
Wenger, J.:Verlag: Bern Verlag von Rudolf Jenni’s Buchhandlung (H. Köhler). (Ca. 1889)., 1889 p.49

4Chronik Stadt Ellrich von K. Heine, Rektor in Ellrich
Ellrich. verlag der G Krause´schen Buchhandlung 1899, p20

5Abbildung Hungergedenkmünze aus: Die Auswirkungen der Hungerjahre 1770-1772
auf die letzte Großepidemie der Mutterkornseuche und die damals
und in der Folgezeit veranlaßten Gegenmaßnahmen
Von Karl Böning, München
[Nachrichtenbl. Deutsch. Pilanzenschutzd. (Braunschweig) 24. 1972, 122-127] p.123

6Schlesienwanderer aus dem Freigericht Kaichen
Fritz H. Herrmann
Sonderdruck aus Band 9 der „Wetterauer Geschichtsblätter“ Friedberg L H., 1960 inkl. Karte Süssenrode

7Schuch’s Siedlerlisten von 1772
Friderizianische Kolonistenverzeichnisse aus Schlesien
von Staatsarchivrat Dr. Karl G. Bruchmann 1939

8Karte der 1772 innerhalb der Friderizianischem Kolonisation gegründeten Kolonie Tauenzinow im Kreis Oppeln Unbekannt, alte preußische Karte, erstellt um 1773. – Hans-Joachim Helmigk: Oberschlesische Landbaukunst um 1800. Verlag für Kunstwissenschaft, Berlin 1937. S. 190 CC BY-SA 4.0

9Nutzungsbedingungen für Google Maps/Google Earth

10Litauer Grodnoer Schatzkammer Oktober 1803 bis 16. März 1809. RGIA Akte 347 Nr. 38 Akte freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Taurien e.V.

11Stumpp K. Die Auswanderung aus Deutschland nach Rußland in den Jahren 1763 bis 1862. – Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland. 8. Auflage, 2004

12Joachim Poppe: Podewils in Oberschlesien: Zur Geschichte des Dorfes im Kreis Oppeln. 250 Jahre Friderizianische Kolonisation ‎ Books on Demand 2022 9232

13Oppelner Heimat-Kalender für Stadt und Land, 1934, Jg. 9, p77
Hrsg. Stumpe, Friedrich. , Obmann der „Vereinigung der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft im Kreise Oppeln“
Verlag: Heimatkreisstelle Oppeln

14Listen des Gouverneurs von Schitomir. RGIA Akte 215 Nr. 1. Akte freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Taurien e.V.

Geschichtliche Ortsnachrichten von Brieg und seinen Umgebungen
herausgegeben von Karl Friedrich Schönwälder, Professor am Königl. Gymnasium
Erster Theil Einleitung, Vorstädte, Umgebung
In Commission bei I. U. Kern in Breslau, Druck von G. Falck in Brieg 1845/1846

Dominik Collet: Die doppelte Katastrophe
Klima und Kultur in der europäischen Hungerkrise 1770–1772
in: Umwelt und Gesellschaft Bd. 18
Herausgegeben von Christof Mauch und Helmuth Trischler
2018 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783525355923 — ISBN E-Book: 9783647355924

Thore Lassen
Hungerkrisen
Genese und Bewältigung von Hunger in ausgewählten Territorien Nordwestdeutschlands 1690-1750
2016 Universitätsverlag Göttingen

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genealogische Recherche, Bildbearbeitung, inklusive Karten, und Text: Jutta Rzadkowski

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