Die Namen Rink (auch Rinck) und Wagner sind mit der Historie Odessas eng verbunden. Daher möchte ich an dieser Stelle einen kurzen Überblick zur Familie geben.
Das „Englische Geschäft“ ist ein bis heute prägendes Gebäude der Stadt.
Wagner Geschäftshaus, 1899, Ecke Deribasovskaya- und Ekaterininskaya-Straße, alte Ansicht von Odessa1
Der württembergische Untertan Friedrich Wilhelm Wagner (12. September 1802, Dornhan – 10. Oktober 1882, Odessa) wanderte mit seinem Vater Joseph Wilhelm (*18. August 1782) nach Odessa aus und machte zunächst eine Ausbildung bei dem Kaufmann James Cortazzi (*1798, Smyrna/Türkei).2
James Cortazzi war der Sohn des venezianischen Konsuls in Smyrna, Luc Tricon Cortazzi (*1766 Smyrna) und der Elizabeth Hayes (1768, Izmir/Türkei–1847, Odessa), Tochter des britischen Konsuls.3 Er leitete das englische Handelsgeschäft der Familie Cortazzi in Odessa und war von 1848 bis 1857 Bürgermeister der Stadt.
Cortazzi war bei seinen europäischen Geschäftspartnern vor allem im Weizenhandel ein hochumstrittener Handelspartner, der jedoch bestens vernetzt war und in Odessa über viel Einfluss und entsprechende Kontakte verfügte.4
Warum dieses Geschäft in den Besitz von Wagner kam, ist unklar, sicher ist, Gründungsdatum des Handelshauses Wagner war der 1. März 1833. Wilhelm Wagner handelte unter anderem mit Maschinen, Galanterie- und Manufakturwaren.
Anzeige in: Neuer Haus- und Landwirtschaftskalender für deutsche Ansiedler im südlichen Russland auf das Schaltjahr 1884, L. Nitzsche Odessa. p. 102, digitalisiert Taurien e.V.
Von 1863 bis 1873 war er Mitglied der Stadtduma von Odessa aus der Kaufmannsklasse, Kaufmann der 1. Gilde und vererbte das Geschäft an seinen Schwiegersohn Karl Jakovlevic Rink-Wagner. Dieser nahm mit der Eheschließung den Nachnamen Rink-Wagner an. Helene Wagner, die am 14. April 1906 in Berlin-Schöneberg starb, war die Tochter des Wilhelm Wagner und der Katharina geborene Stigler (1821–1901).
Helene Rink-Wagner, Sterberegister Standesamt Berlin-Schöneberg 1906
Karl Rink-Wagner besaß im Laufe der Jahre neben dem Handelshaus mehreren Häusern in Odessa und eine große „Datscha“ in der Wagnerovsky-Gasse.5 Dieser Besitz wurde unter seinen Erben aufgeteilt, nachdem er im Alter von 66 Jahren am 27. Mai 1895 gestorben war.
Zu diesen Erben gehörten Karl Wilhelm (30. Juli 1868, Odessa – 26. Dezember 1954, Freiburg im Breisgau), ebenfalls Gallanteriewarenhändler. Er war seit Anfang 1893 mit Gertrud Clay (*1868), Tochter des Baumwollhändlers Thomas Campbell Clay aus Wavertree, Lancashire/England verheiratet, in zweiter Ehe mit Amalie Henriette Else Zumpft (1884–1954), Tochter des Kaufmannes Robert Zumpft;
Eduard Wilhelm Wagner (*20. Dezember 1873), der mit seinem Bruder Karl Wihelm K. Rink-Wagner u. Eduard Wilhelm Rink-Wagner u. Co. Galanteriewaren führte;
Emilie Caroline Magdalena Wagner (15. September 1877, Odessa), verheiratet mit Karl Förster (*1867);
Richard Wilhelm Carl Wagner (26. Dezember 1880, Odessa);
und Helene Katharina Henriette Rink-Wagner (21. Juni 1871, Odessa – 28. Oktober 1961, Odessa), Frau des Professors Dr. med. Nikolaus Käfer (24.1.1864, Neumontal – 28.12.1944, Odessa). Beide heirateten am 25. Juli 1897 in Odessa.
Nach der Befreiung Odessas am 10. April 1944 wurden Professor Dr. med. Käfer und seine Frau verhafteten und in das örtliche Gefängnis überstellt. Unter den extremen Haftbedingungen verschlechterte sich seine Gesundheit rapide und man entließ ihn zum Sterben († 28. Dezember 1944), Helene musste im Gefängnis bleiben und wurde erst nach seinem Tod am 3. Februar 1945 unter Auflagen entlassen. Sie verstarb am 28. Oktober 1961 in Odessa, beide wurden auf dem 2. christlichen Friedhofs von Odessa, Abteilung 22, beigesetzt.
Ihre Kinder waren Prof. Ing. Woldemar (14. April 1898 – 22. August 1981), außerordentlicher Professor des Kältetechnikinstituts von Odessa.
Tochter Vera (12. November 1907 – 11. Mai 1991), verheiratet mit Boris Zozulewitsch (6. Januar 1910, Lodz – 8. März 1998, Moskau). Sie Tochter Vera (12. November 1907 – 11. Mai 1991), verheiratet mit Boris Zozulewitsch (6. Januar 1910, Lodz – 8. März 1998, Moskau).
Sie studierte zunächst am chemisch-pharmazeutischen Institut in Odessa, arbeitete dann am Institut für Ernährung, wurde Assistentin der Abteilung für anorganische Chemie des medizinischen Instituts in Odessa und später war sie im klinischen Diagnoselabor des Instituts für Augenkrankheiten in Odessa tätig.6
Ihr ebenfalls in Odessa lebender Sohn Georgy Borisowitsch Zozulewitsch (29. Oktober 1941 – 19. Januar 2024) schrieb die Familiengeschichte Professor Käfers auf, sodass 2007 eine Veröffentlichung7 erfolgen konnte.
Der zweite Sohn Dr.-Ing. Boris Kaefer (*4. Juli 1902, Odessa), blieb bereits in den 1920ern in Deutschland und studierte an der Technischen Hochschule München.
Boris Kaefer : Beitrag zur Ermittlung der Eigenschwingungszahlen ebener und räumlicher Stabwerke. (Mit 22 Textabb.) Stuttgart 1935: A. Bonz‘ Erben (51 S.) 8° München (Techn. Hochschule), Dr. – Ing. – Diss.8
Im Jahre 1936 war er dann als Bauingenieur bei der Nord-Süd-Bau Bayern G.m.b.H für Siedlungs-, Hoch-, Tief und Eisenbetonbau (Rosenheim)9 tätig, ehe er in späteren Jahren eigene Bauunternehmung Dr.-Ing. Boris Kaefer KG gründete.
Sein Name ist aber auch eng mit dem Eishockeysport verbunden.
Seine Söhne Alexander „Sascha“ (1937–2019) und Jochen Nikolai (1939–2024) spielten in früher Jugend beim SC Riessersee. Nach ihrem Umzug nach Grafing bei München gründete die Familie Kaefer 1957 den EHC Klostersee, dem sie im Vorstand und bei der Vereinsarbeit treu blieben bis ins hohe Alter. Auch heute ist ein Kaefer aktiver Spieler.
Funfzig Jahre in beiden Hemisphären: Reminiscenzen aus d. Leben eines ehemaligen Kaufmannes, Band 2, von Vincent Nolte, Hamburg, Perthes-Besser & Mauke 1853, p. 311ff ↩︎
STAHL UND EISEN ZEITSCHRIFT FÜR DAS DEUTSCHE EISENHÜTTENWESEN Herausgegeben vom Verein deutscher Eisenhüttenleute Geleitet von Dr.-Ing. Dr. mont. E.h. O. Petersen unter verantwortlicher Mitarbeit von Dr. J.W. Reichert und Dr. W. Steinberg für den wirtschaftlichen Teil HEFT 49 5. DEZEMBER 1935 55. JAHRGANG, p.189 ↩︎
Tonindustrie-Zeitung: und Fachblatt der Zement-, Beton-, Gips-, Kalk- und Kunststeinindustrie, Band 60, Chemisches Laboratorium für Tonindustrie, 1936, p.859 ↩︎
Pastor Dr. phil. Johannes Heinrich Lhotzky2 wurde am 21. April 1859 in Claußnitz bei Burgstädt (Sachsen) geboren und starb am 24. November 1930 in Ludwigshafen am Bodensee.
Sein Vater Eduard Heinrich Julius (1.7.1816 Waldenburg –27.11.1862 Claußnitz)3 war ebenfalls Pfarrer und Sohn eines Kupferschmiedes aus Böhmen, seine Mutter Hephzibah Winkles aus London, hatte mit ihm fünf Kinder.
Seine Ausbildung genoss er 1858 in der Herrnhuter Erziehungsanstalt Niesky, wechselte 1860 an die Gymnasien in Bautzen und Dresden, eher er 1878 ein Studium der klassischen Philologie, dann der Theologie und Assyriologie an der Universität Leipzig aufnahm. In dieser Zeit verstarb sein Vater und seine Mutter heiratete erneut, ebenfalls einen Pfarrer (in Lausa), welcher acht Kinder hatte.
Im Jahre 1881 wurde er Lehrer auf einem Gut bei Dorpat, nach seiner Beschreibung ein einsames Gut von zwei Quadratmeilen Größe, die einzigen deutsch sprechenden Menschen waren die Hauseltern und ihre Kinder. Alle andern sprachen estnisch.4 Bereits 1882 nahm er sein Studium in Leipzig wieder auf, ehe er nach Berlin wechselte.
In den Jahren 1883 und 1884 folgte der Militärdienst im Leipziger Infanterieregiment Nr. 107, seine Promotion zum Dr. phil. bei Friedrich Delitzsch in Leipzig (Die Annalen Asurnazirpals, 884–860 vor Christus, nach der Ausgabe des Londoner Inschriftenwerkes umschrieben, übersetzt und erklärt) folgte 1885.
Zunächst als Lehrer und Prediger nach Bessarabien berufen (1886), wirkte er in Strembeni, Oneschti und Kischinew, ehe er 1890 Lehrer und Prediger auf der Krim wurde. Seinen Wechsel begründete er mit dem Eindruck, seine Freundschaft zu dem jüdisch-christlichen Missionar Joseph Rabinowitsch mißfiel der Gemeinde.
Joseph Rabinowitz/Rabinowitsch (Bild gemeinfrei)
Ich hätte gern länger dort gearbeitet unter unseren Aermsten und Verlassensten und wußte, daß nach mir sich niemand ihrer so annehmen würde, daß er unter ihnen wohnte und ihre Arbeit und Armut teilte. Allein eine peinliche Naturanlage verhinderte ein längeres Verweilen. Ich war zwar weit draußen in der Steppe, war aber doch der Angestellte meines Seniors. Die Natur hat mir aber leider versagt, Untergebener und Angestellter zu sein, und solche Leute können Vorgesetzte, namentlich wenn sie von ihrer Würde tief durchdrungen sind, schwer vertragen. Ich glaube, meine Freundschaft zu Rabinowitsch mißfiel auch auf die Dauer. Es gab allerhand heimliche christliche Nadelstiche in der bekannten herzlichen christlichen Liebe. So wurde mein Bleiben nach etlichen Jahren abgekürzt, und ich war froh, daß ich in der Krim ein ganz unabhängiges Amt überkam. Ich schied von meinen Kolonisten ungern, ging aber gern in ein neues, überaus freies und schönes Arbeitsfeld.
Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken Heinrich Lhotzky, Selbstverlag 1925
Lhotzky heiratete am 3. Januar 1888 in Kischinew Berta Emilie Bauer (24.09.1866 St. Petersburg 5– 20.05.1950 Überlingen6), Tochter des russischen Staatsrats Albert Heinrich Bauer und seiner Ehefrau Natalie Catharina geborene Siebert.
Seine bessarabischen Erlebnisse verarbeitete er in dem Roman Immanuel Müller, ein Roman aus der bessarabischen Steppe. Haus Lhotzky Verlag Ludwigshafen am Bodensee. 1912
Ich hatte langst die eigentliche Not des Kischinewer Kirchspiels durchschaut. Das umfaßte alle deutschen Kolonisten ganz Beßarabiens mit Ausnahme des Akkermaner Kreises. Dieses ungeheure Gebiet, zu dem im letzten Türkenkriege noch alles Land bis zum Pruth gekommen war, mußte auf Deutsche abgesucht und bereist werden. Also hatte ich den Vorschlag gemacht, selbst weit draußen mit zu siedeln und von einem größeren Pachtgute aus, das ich selbst betrieb, als Bauer und Pastor, die deutschen Siedler zu betreuen.
Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken Heinrich Lhotzky, Selbstverlag 1925
Eintragungen im Kirchenbuch Kischinew 1887 zu Trauungen des Pastors Dr. H. Lhotzky in Kischinew und Strembeni
Ich hatte in der Krim ein Gebiet zu verwalten so groß wie das halbe Königreich Sachsen – möge die Heimat mir verzeihen, ich wollte natürlich sagen, wie der halbe Volksstaat Sachsen. Auf diesem Gebiete hatte ich mehr als 30 Predigtorte zu bedienen, was mit Wagen oder Dampfer geschah. Mein Konsistorium lebte 2000 Kilometer entfernt in Petersburg, und es war eine Freiheit, wie sie selten Menschen zuteil wird.
Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken Heinrich Lhotzky, Selbstverlag 1925
In der Krim herrschte ein prachtvolles Verhältnis zwischen den Gemeinden und ihren Pfarrern. Es gab natürlich zuweilen Zusammenstöße, wie sie in jeder Ehe vorkommen und überall zwischen Hirt und Herde, aber schließlich gewann doch immer das Ansehen des Heilswahrers den befriedigenden Ausgleich. Ich führte mich damals ein mit den Worten des Apostels: »Gott hat uns nicht zu Herren über euer» Glauben gesetzt, sondern zu Genossen eurer Freude.« Dieses Wort des Paulus schwebte mir seit Jahren vor als kennzeichnend für die Stellung eines geistlichen Hirten. So haben wir auch gelebt. Nur habe ich unausgesetzt versucht, ihre höchste Freude, den Weizen, auf eine etwas höhere Stufe zu heben. Auf die Höhe, von der der Apostel redet. Es gelang nicht immer, aber doch zuweilen. Wo es nicht gelungen ist, hat der Weltkrieg seine bitterböse Predigt gehalten, und der ist durchgedrungen. Ein kleines Erlebnis darf ich wohl anführen, weil es unsere Krimmer Bauern kennzeichnet. Ich hatte kurz vor meinem Weggang einmal an einer Hochzeitstafel eine etwas freiere Bemerkung gemacht, als sie sonst im heiligen Rußland üblich war. Da stand der reichste Bauer auf und sagte: Wäre ich der Kaiser von Rußland, so würde ich bestimmen, daß Sie auf der Stelle Rußland zu verlassen hätten. Ich antwortete, das werde auch ohne das geschehen, und die Sache schien erledigt zu sein. Zehn Jahre nach diesem Worte stand der Bauer in meinem Hause am Bodensee. Er sei in Karlsbad gewesen zur Kur und habe die Gelegenheit benützen wollen, seinen alten Pfarrer wieder zu sehen. Er war also mein sehr willkommener Gast. Da sagte er: Eigentlich führt mich etwas anderes her. Sie erinnern sich vielleicht meiner Aeußerung bei unserem letzten Beisammensein. Ich mußte herkommen, Sie deshalb um Verzeihung zu bitten, daß wir ganz einig sind, ehe ich sterbe. Er wird wohl den schweren Krieg nicht überlebt haben. Gott segne ihn und alle unsere armen Volksgenossen in der Ferne. In Beßarabien war’s ja anders. Dort regierte der Sekteneigensinn mehr als der Weizen. Aber das schadet auch nichts. Unter allem Sektierertum schlummert und pulst ein ehrliches ernstes Wollen. Wenn das nicht immer die rechten Formen findet, muß man damit Geduld haben. Dazu ist gerade der Pfarrer in seiner priesterlichen Stellung da, die Güte des Vaters über Gerechte und Ungerechte und Sonnenschein und Regen über Böse und Gute gleichmäßig walten zu lassen. Er wird auch niemals gefragt werden nach seinen Erfolgen, sondern nur nach seiner Haltung, ob man des Vaters Geist an diesem geistlichen Vater gespürt habe. Nein, wer ein Pfarramt ohne ganz zwingende Gründe aufgibt, den verstehe ich nicht. Ich mußte es tun ohne irgend welche äußere Nötigung. Die Leute haben sich zwar den Kopf darüber zerbrochen und mir allerlei heimliche Schande und Laster nachgesagt, besonders die lieben Amtsbrüder, es war auch damals eine Denunziation im Gange, aber sie war längst im Sande verlaufen, als ich meinen Entschluß ausführen mußte. Eines wußte ich freilich dumpf und lastend, es würde ein sehr schweres Unglück über Rußland kommen. Ich wäre dem aber nicht ausgewichen. Ich glaubte später, es sei der japanische Krieg. Aber der berührte unsere Siedlungen ja gar nicht. Daß es dieses maßlose Entsetzen des Weltkrieges war, ist mir erst später deutlich geworden. Ja unsere Feinde haben mehr gelitten als wir und denen, die heute über ihren Lügensieg frohlocken, ist auch schon die Axt an die Wurzel gelegt. Deutschland hat ja den Krieg verloren, aber die anderen werden den Sieg verlieren, soweit es nicht schon geschehen ist
Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken Heinrich Lhotzky, Selbstverlag 1925
Dem Paar waren acht Kinder beschieden, Robert *1888, Bruno Johannes (1890–1917), Friedrich Christoph (1891–1916), Martha *1892, Josef *1894, Annamarie *1900, Eva Georgine *1902 und Heinrich *1904.8
Eva Georgine Lhotzky, geb. am 21. Juni 1902 in Berlin-Grunewald13
Ab 1902 wieder in Deutschland, nahm er eine Tätigkeit als Mitarbeiter Johannes Müllers (1846–1949) für die Blätter zur Pflege des persönlichen Lebens auf Schloss Mainburg an und arbeitete 1904 bis 1911 als freier Schriftsteller in Pasing. Zudem war er Herausgeber der Zeitschrift „Leben“. In dieser Zeit siedelte er nach Ludwigshafen am Bodensee über (1910), wo er bis zu seinem Lebensende 1930 blieb.
Er schrieb neben seinen Predigten eine Reihe von Aufsätzen, Zeitungsartikeln und eine größere Anzahl Bücher, wie Die Seele deines Kindes 1908 und Das Buch der Ehe, 1911, beides im Verlag Langewiesche veröffentlicht, später im Eigenverlag Haus Lhotzky.
Von zuverlässiger Seite wird uns hierzu geschrieben: „Die Hungersnot, die in diesem Jahre mehrere Gouvernements Rußlands betroffen hat, wütet am rasendsten im deutschen Gebiete an der Wolga. Im Herbst 1920 und im Frühjahr 1921 wurde ganz wenig ausgesät, wegen Mangel an Samen. Dazu gesellte sich in diesem Jahre noch die Dürre. Bis zum 15. Juni d. J. hat die Außerordentliche Kommission für Bekämpfung des Hungers festgestellt, daß 70 % der Aussaat verloren ist. Der andere Theil hätte bei günstiger Witterung noch 349 860 Pud geben können, was – auf eine 450 000 köpfige Bevölkerung verteilt 31 Pfund pro Seele im Jahr ausgemacht haben würde. Jedoch günstige Witterung ist nicht eingetreten, sodaß auch dieses Quantum nicht geerntet wurde. Bis zum 15.6. waren im deutschen Gebiete 30 000 (299 000) Hungernde, die Mehrzahl der Hungernden sind Bauern. Man lebt jetzt direkt vom Gemüse, wo solches vorhanden ist; die Mehrzahl nährt sich von Zieselmäusen, Pfiffern u.s.w. Hungernde Kinder laufen auf den Straßen umher und suchen verschiedene Abfälle auf, womit sie ihren Hunger stillen. In manchen Dörfern kommen täglich bis 20 Todesfälle durch Hunger vor, Zu diesem Uebel haben sich noch Cholera und Typhus eingestellt, die täglich reiche Ernte halten. Man verkauft alles, was sich verkaufen läßt, für Spottpreise, sogar ganze Gebäude mit Hof und allem möglichen werden für 15 Pud Korn verkauft, auch das alles, um nur irgendwie sein Leben zu fristen.
aus der Geschichte der Kolonie Töplitz in Bessarabien.1
Geordnete Verhältnisse traten für die Töplitzer Schule erst mit der Anstellung August Kludts im Jahre 1836 als Lehrer ein. Da der „alte Kludt“ sehr lange im Dienste der Töplitzer Gemeinde stand und großen Einfluß auf das Schulleben ausübte, sei hier sein Lebenslauf etwas ausführlicher behandelt. Johann August Kludt war der Sohn des IX. Malojaroslawetzer Ansiedlers Wilhelm Kludt 2 und wurde am 1. Juli 1811 bei der Durchreise seiner Eltern durch Polen in Lusche bei der Stadt Dombie geboren. Da Kludts Eltern sich meistens auf der Wanderschaft befanden, waren die Kinderjahre des August sehr arm an Freuden. In Bessarabien angekommen, fand Kludts Vater bei dem Mausirer Fürsten eine Anstellung als Gärtner. Nachdem er mehreremal seine Anstellungen gewechselt hatte, ließ er sich endlich im II. Malojaroslawetz nieder. Der junge August erhielt seine Ausbildung meistens bei seinem Vater. Im Alter von 17 Jahren ging er nach Deutschland, um sich als Missionar ausbilden zu lassen, kehrte aber nach 8 Monaten wieder zurück, um seinen Vater, der unterdessen die Küsterstelle in Töplitz übernommen hatte, zu unterstützen. Von 1835-36 vervollständigte er seine Bildung unter der Leitung des Lehrers Utz aus Großliebental, wo er das Amt des Provisors bekleidete, und legte in der evangelisch-lutherischen Synode zu Odessa seine Lehrprüfung ab. Am 1. Mai 1836 wurde August Kludt von Probst Graubaum an der Töplitzer Schule angestellt. Am 4. Juni 1836 trat er in die Ehe mit der Gnadentaler Ansiedlerin Eva Katharina, geb. Hägele (gebürtig aus Hahnweiler, Württemberg), über den Einfluß der Studienzeit auf die Charakterbildung Kludts schreibt Johs. Kämmler Folgendes: „Sein kurzer Aufenthalt in Deutschland hatte jedoch für den Jüngling eine weittragende Bedeutung und wir sehen bei seiner Rückkehr, daß der junge Mensch seine Zeit nicht vergeudet hat, sondern wohl ausgenützt, denn er kam zurück, ausgerüstet mit vielen schönen Kenntnissen für die damalige Zeit. Natürlich kam ihm bei solch schnellem Reifen sein feuriger, von Wissensdurst getriebener, nach Wahrheit suchender Jünglingsgeist zu statten, überhaupt hatte die kurze Zeit, in welcher der Jüngling Gelegenheit hatte, in Deutschland sich um die dortigen Schulen und in anderen Kreisen umzusehen, einen großen Einfluß auf die Bildung des Charakters des jungen Kludt und manche Eindrücke haben sich in seinem Geiste befruchtend fortgesetzt, die später in seinem Amtsleben manch schöne Frucht zur Reife brachten, so ist er auch auf seiner Reise in die „Herrnhuter Brüdergemeinde“ gekommen und hat deren Leben, Liebe und Glauben durch einen kleinen Aufenthalt dort
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kennen gelernt. Dasselbe machte auf den lebhaften Geist des Jünglings solch tiefen Eindruck, daß er nach kurzer Zeit als einer der Ihrigen schied und nie, bis heute noch von den Hauptprinzipien dieser Gemeinschaft abgekommen ist, sondern im Gegenteil, auch in dieser Hinsicht in der Gemeinde fruchtbringend wirkte, besonders auch an Kranken- und Sterbebetten mit seinem trostreichen aus kindlichem Glauben fließenden Zuspruch, wie solches bei vielen ja heute noch in guter Erinnerung lebt,“ August Kludt war an der Töplitzer Schule 43 Jahre lang tätig. Ältere Leute können sich seiner noch lebhaft erinnern. Johs. Kämmler würdigt das Andenken des alten Schulmeisters in folgenden schönen Worten: „In unserem Gedächtnis taucht eine schöne, hehre, Liebe erweckende Mannesgestalt auf: Es ist der „alte Kludt“, wie wir ihn heute bezeichnen. Was und wieviel mit diesen beiden Worten ausgesprochen ist, können natürlich nur wir älteren Männer in der Gemeinde wissen. Das junge Geschlecht hat ja wohl auch manches gehört von ihm, vielleicht übertrieben und entstellt, indessen auch die Eindrücke und Vorstellungen von demselben verschiedenartig sich ausgebildet haben. Aber uns Älteren, die wir sozusagen unter seiner Hand aufgewachsen sind, schwebt sein edler Charakter, der für alles Schöne und Edle so empfänglich war, noch voll und deutlich vor der Seele“. Der alte Kludt hat es sich bei seiner großen Kinderschar oft recht sauer werden lassen. Bis 1864 mußte er allein unterrichten, was bei einer Schülerzahl von 100 und darüber eine nicht zu verachtende Leistung war. Es ging in der Schule oft bunt zu. Da der Schulmeister mit dem Abfragen nicht herumkam, stellte er sich bessere Schüler als Gehilfen an (Dieses Verfahren wurde übrigens auch von den Geistlichen empfohlen. Die Gehilfen des Lehrers wurden „Monitore“ genannt). Diese mußten die Schüler die Aufgaben hersagen lassen und die Nichtskönner dem Lehrer angeben. Da fielen dann die Schläge manchmal hageldicht. Doch nicht immer waren die aus der Mitte der Schüler ernannten Aufseher zuverlässig. Eine Handvoll geplatztes Welschkorn, ein Stückchen Süßholz oder sonst irgend ein Leckerbissen genügte, um dieselben zur Nachsicht zu bewegen, welchen Umstand natürlich manche Faulpelze fleissig ausnützten. Kam jedoch eine solche Vertuschung der Tatsachen ans Tageslicht, so hatte der Aufseher das Zusehen. Er wurde sofort von seinem Amt abgesetzt, und durfte mit des Schulmeisters Hand, die Übrigens von gewaltiger Größe gewesen sein soll, sehr nahe Bekanntschaft machen. Für faule Schüler hatte der alte Kludt eine ganze Auswahl von Strafen. Konnten sie ihre Lektion nicht, so mußten sie entweder knien oder bekamen Tatzen, je nachdem der Schulmeister in der Laune war. Ein von ihm geliebtes Verfahren war, den Schüler mit den Worten „Groß und faul gibt auch ein Gaul“ an den Ohren bis an das Katheder zu ziehen. Verspätete sich ein Schüler, so wurde er gewöhnlich mit den Worten „Komm i net heut, so komm i morga“, oder „Eine gut
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Ausred ist drei Batzen wert“ empfangen. Da bei der großen Schülerzahl immer viele ohne Beschäftigung waren, verübten die Kinder aus Langeweile verschiedene harmlose Streiche, deren Entdeckung von dem Schulmeister gewöhnlich ein böses Nachspiel mit sich brachte. Während den Pausen herrschte eiserne Strenge. Ballspielen und Schreien wurden nicht geduldet. Wehe dem Schüler der beim Schlittschuhlaufen auf dem Eise ertappt wurde. Der bekam gewöhnlich Hiebe im Überfluß, gepfeffert mit verschiedenen Moralsprüchen, wie z.B. „Gehorsam ist besser denn Opfer“ und dergl. Bei aller Strenge war der alte Schulmeister doch auch sehr gutmütiges kam oft vor, daß er den gezüchtigten Kindern hernach in seiner Wohnung Honigbrot gab. Da das Schuljahr damals etwa vom 1. Oktober bis 1. April dauerte, konnte sich der alte Kludt während der langen Sommerferien allemal von den Strapazen der Schule gründlich erholen. Das Gehalt des alten Schulmeisters war verhältnismäßig gut, hauptsächlich was die Naturalien anbelangt. Im Jahre 1838 bekam er z.B.230 Rubel Assignation, „Kisik“ (Mist zum Brennen) und 160 Kapizen Heu, im Jahre 1844 360 Rubel, 5 Faden Kisik, 20 Fuhren Heu und 12 1/2 Tschw. Weizen. Auch fehlte es nicht an verschiedenen Anerkennungen seitens der Gemeinde und der Schulobrigkeit. Im Jahre 1863 schenkte ihm die Gemeinde für seine getreue Arbeit in der Schule 23 Rubel. Pastor Hastig schreibt gelegentlich einer Inspektion der Schule im Jahre 1839 über Kludt: „Ist ein sehr brauchbarer und christlicher Schullehrer „Pastor Breitenbach im Jahre 1841: „Besitzt vorzügliche Fähigkeiten, ist fleißig und treu in der Führung seines Amtes und macht durch seinen gottseligen Lebenswandel demselben Ehre“. Am 3. Sepber 1847 bekam er eine Belobigungszeugnis von Generalsuperintendent Flittner unter N.524 und am 23. November vom Generalsuperintendenten Richter unter N. 135. Bei den Pastoren war der alte Schulmeister auch sehr beliebt. Feindselige Gefühle hegten gegen ihn nur Pastor Knauer, weil er während des Streites um die „Goßner’sche Richtung“ auf der Seite der Gemeinde stand, und Pastor von Lösch (P. Lösch kam ein paar Jahre später ins Irrenhaus), weil er wenig Fähigkeiten und scheinbar auch Sympathien für die russische Sprache besaß. Als Kludt älter wurde, begann sich das harmonische Verhältnis, das zwischen ihm und der Gemeinde bestand, etwas zu trüben. Einige Gemeindeglieder waren mit seinen Leistungen, die wegen des hohen Alters nicht mehr gut sein konnten, nicht zufrieden; andere wieder konnten es ihm nicht verzeihen, daß er zu den Stundenbrüdern hielt. Die Unzufriedenheit nahm noch mehr zu, als Pastor von Lösch unter der Gemeinde heftig gegen den alten Schulmeister zu agitieren begann. Zur Lösung der aktuell gewordenen Schulmeisterfrage wurde im Jahre 1879 eine Gemeindeversammlung einberufen. Auf derselben machten einige Männer den Vorschlag, dem alten Kludt aus Gemeindemitteln ein Häuschen zu bauen und ihm für seinen langjährigen und treuen Dienst bis zum Tode eine Pension („Das Ausgeding“) zu geben. Dieser Vorschlag rief unter Kludts Gegnern ein großes Geschrei hervor und sie ruhten nicht, bis sie die
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Gemeinde umgestimmt hatten. Es wurde der Beschluß gefaßt, den alten Kludt zu entlassen und einen anderen Lehrer zu mieten. Wie sehr dieses Vorgehen der Gemeinde den alten Mann kränkte, geht aus einem an die Gemeinde gerichteten Schreiben hervor, das folgenden Inhalt hatte: “Der werten Gemeinde zu Töplitz. Indem ich, liebe Gemeinde, bei Euch durch Gottes Gnade alt und grau geworden bin in Eurem Kirchendienste und in dieser langen Zeit mit Euch Freud und Leid geteilt habe und zu jeder Zeit bereit und willig war, in jeder Beziehung ohne Eigennutz Euch zu dienen, so viel nur in meinem Vermögen war, nun aber aus Altersschwäche nicht dienen kann, daher ich schon im vergangenen Jahr 1877 um Entlassung bitten wollte, aber dringendes Bitten und Anhalten veranlaßten mich, noch ein Jahr zu bleiben. Da sich aber unsere Verhältnisse seitdem, sowohl in Kirche wie Gemeinde verändert haben, und unser Herr Pastor (Lösch, der verrückt gewordene) mich neulich bei öffentlichem Gemeinde als einen Mann bezeichnete, der ihm nicht willfährig ist, gegen den russischen Unterricht ist und sogar behauptet, die Gemeinde selbst sei gegen das Russische und der Verstoß mit mir ihn veranlasse, sogar unsere Schule nicht zu besuchen, was mir unerträglich ist. Dazu kommt noch, daß einige Männer unserer Gemeinde bei der neulichen Gemeindeversammlung mich auf das schmählichste verunglimpft haben, das macht mir unmöglich, meine Stellung als Schullehrer so noch länger zu behalten. Ich bin daher entschlossen, das Schulhaus gleich zu räumen und mein Amt niederzulegen, denn wie kann ein Mann der Gemeinde noch Gottesdienst halten, der seine eigenen Kinder nicht liebt und vertreibt und mit Lug und Trug umgeht und den sein eigener Pastor als seinen Gegner ansieht. Ich bitte also um Eure gefällige Entlassung. Ich will kein Leibgedinge weder von Euch noch vom Herrn Pastor. Ich danke recht herzlich für Euer bisheriges Vertrauen, Liebe und Teilnahme zu mir, was der liebe Gott Euch und Euren Kindern reichlich belohnen wolle. Euer Euch treuer unvergeßlich liebender alter Schullehrer August Kludt. „ Töplitz, den 3. Januar 1879.
So mußte der alte Schulmeister an seinem Lebensabend recht bitter den Undank der Gemeinde fühlen. Kämmler schreibt in seinem Tagebuch: „Unser alter Kludt ist schimpflich Fortkommen aus Töplitz, das bleibt feste Wahrheit
zur S c h a n d e f ü r T ö p l i t z.“
Nach einiger Zeit scheint bei der Töplitzer Gemeinde doch die Stimme des Gewissens aufgewacht zu sein und sie versuchte, das begangene Unrecht gut zu machen. Am 31.März 1879 beschloß sie, dem Lehrer August Kludt, weil er während seiner Dienstzeit in dem ihm zugeteilten Garten viel Obstbäume und Weinstöcke (im Jahre 1881 kaufte die Gemeinde zur Nutznießung für den Küster den Weinberg der verstorbenen Elisabeth Eckstein für 60 Rubel 30 3/7 Kop.) angepflanzt hatte, 190 Rubel zu schenken. Der alte Kludt zog im Jahre 1879 ins Chersonsche Burg (Neudorf?) zu seinem Sohn Benjamin Kludt, woselbst er ein halb Jahr
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blieb und hernach zu seinem Sohn Samuel Kludt nach Friedensfeld übersiedelte. Der alte Schulmeister war reichlich mit Kindern gesegnet. Er hatte 9 Söhne und 4 Töchter: Johannes, geb.1837, Gebietsschreiber in Gnadenfeld, Samuel, geb. 1840, Großbauer in Friedesfeld bei Sarata, Bess., August, geb. 1841, Baptistenprediger in Amerika, Heinrich, geb.1846, Küster und Lehrer, Großliebental, Benjamin, geb. 1850, Küster und Lehrer in Neudorf, Wilhelm, geb. 1852, Gotthilf, geb. 1860, Karl, geb. 1861, Lehrer an der Zentralschule zu Freudental, Woldemar, geb. 1863, Küster, Lehrer und Organist in Grunau, nachher Buchhalter in Berdjansc, Sophie, geb. 1843, Maria, geb. 1853, Johanna, geb. 1855, Karoline, geb. 1858. Er starb am 12. April 1897 im Alter von 85 Jahren, 10 Monaten und 12 Tagen und wurde auf dem Kirchhof zu Friedensfeld begraben. Kludts Nachfolger war David Dieno, der das Küsteramt von 1880-93 versah. 1896 starb er im Hospital zu Gnadenfeld.
Records of the National Socialist German Labor Party (NSDAP): National Archives Microcopy no. T-81 Roll 634 Frame 5434969-5436973 Verfasser: Deutsches Ausland-Institut (Stuttgart) (Main Author) American Historical Association. Committee for the Study of War Documents (Added Author) Veröffentlichung: Washington, D.C.: American Historical Association. American Committee for the Study of War Documents ↩︎
Martin Friedrich Schrenk wurde als Sohn des Schneidermeisters Johannes Schrenk (1797–1848) und dessen Ehefrau Katharina geborene Breimaier (1807–1881) in Höfingen geboren.
Schrenk absolvierte die Baseler Missionsschule, ehe er in den Kaukasus entsandt wurde. Hier war er von 1862 bis 1877 in Elisabetthal (Assureti) und 1877–1880 in Katharinenfeld Pastor. Nach seiner Abberufung nahm er die Stelle des Pfarrers von Glückstal (1880–1892) und Großliebental (1904–1908) bei Odessa an.
Über seine Erfahrungen in Russland verfasste er verschiedene Bücher und Aufsätze.2
Verheiratet war er mit Auguste Sophie Denner aus Lauterburg. Sie war die Tochter des Pfarrers Johannes Denner (1806–1859) und dessen Ehefrau Sophie Friederika geborene Vögelin (*1813). Die Eheschließung fand am 4. Juni 1863 statt. Aus dieser Ehe sind Tochter Anna Marie Sophie (1864–1948) und Sohn Ernst (*1868) bekannt.
Es sollten noch zwei Ehen folgen, Sophie Hofer aus Württemberg starb bereits am 3. November 1873, so ehelichte er Maria Gruner aus Esslingen am 28. November 1878. Auch diese Ehefrau sollte er überleben (†1892). Ihre gemeinsame Tochter Maria Lidia kam am 29. September 1881 in Glückstal zur Welt.
Seinen Lebensabend beendete Pastor Schrenk in Ditzingen am 22. November 1911 in Folge von Altersschwäche.
Auch Geschwister waren ausgewandert, so seine Schwester Katharina (1834–1904) verehelichte Seidenspinner, Maria Barbara (1839–1879), verheiratet mit Pastor Johann Jakob Stuber (1839–1906)3 und Carolina (1841–1882), verheiratet mit dem Käsereimeister Alexander Bieri.
Von Anna Marie Sophie, der Tochter aus erster Ehe, ist uns ein bemerkenswertes Dokument erhalten geblieben. Sie war tätig als Pfarrfrau und Lehrerin, starb am 6. April 1948 unverehelicht in der Diakonissenanstalt Schwäbisch Hall an Altersschwäche.
In einem Rückblick berichtet sie vor allem über Erlebnisse innerhalb des ersten Weltkrieges in Russland.5
Es erlaubt uns auch, Einblick zu nehmen in den Lebensweg des Pfarrers Immanuel Winkler, der nicht nur in Russland tätig war, sondern auf dessen Initiative eine Ansiedlung der Russlanddeutschen in Tirpitz stattfand.
Meine Erlebnisse (im deutsch evangelischen Pfarrhaus) in Russland —–o——
von Anna Schrenk, Korntal, Altersheim
Meine Erlebnisse erstrecken sich auf viele Jahre, denn unser lieber Vater war 45 Jahre als Pastor in Russland tätig, davon 19 Jahre in Transkaukasien, 22 Jahre im Odessaer Popstbezirk ind er Kolonie Glückstal und 4 Jahre noch als Hausgeistlicher in den Barmherzigskeitsanstalten es Herrn Probst Alber, da zur Führung des Amtes in dem grossen Kirchspiel die Kräfte nicht mehr ausgereicht hatten. Von dieser letzten Arbeitsstätte kehrte mein Vater als 75-jähriger müder und kranker Mann in die deutsche Heimat zurück, wo ich ihn noch 3 Jahre pflegen durfte, bis er im November 1911 eingehen durfte zur Ruhe des Volkes Gottes.
Nach seinem Tode ging ich im Frühjahr 1912 wieder nach Russland zurück, einem Ruf des jungen Pastors Winkler in der Kolonie Hoffnungstal im Odessaer Bezirk folgend. Da derselbe noch unverheiratet war und 2 jüngere Schwestern bei sich hatte, sollte ich im Pfarrhause Mutterstelle und in der Gemeinde die Pfarrfrau vertreten. Das hatte ich in meines Vaters Gemeinde schon Jahrelang getan, da unsere liebe Mutter schon im Jahre 1892 verstorben war.
Die ersten Jahre meines Aufenthaltes in Hoffnungstal vergingen in ruhiger, friedlicher Arbeit, wie ich das von früher her gewohnt war. Da kam 1914 der Weltkrieg und schuf eine ganz andere Lage. Mit ihm begann der Leidensweg der deutschen Kolonisten Russlands und somit auch des evang. Pfarrhauses. zunächst waren es hauptsächlich die Gemeinden und Pfarrhäuser im Westen
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und Süd-Westen des Reiches, die gefährdet waren, weil sie sehr bald in die Kriegszone zu liegen kamen. Wohl waren es nicht Bedrängnisse um des Glaubens willen, die man zu erdulden hatte, sondern um des Deutschtumswillen. Man sah plötzlich in den Deutschen, mit denen man vorher in Frieden und Eintracht gelebt hatte Feinde und Landesverräter. Zwar zogen die deutschen Söhne und auch viele Familienväter ihrem Fahneneid getreu ohne Murren in den Krieg, es ist mir auch kein Fall bekannt, dass einer Fahnenflüchtig oder zum Verräter geworden wäre. Aber sie zogen schweren Herzens hinaus, das kann ich bezeugen, ging es doch gegen deutsche Brüder, gegen das deutsche Mutterland, an dem die deutschen Kolonisten doch noch hingen, trotzdem sie es nicht kannten, – oder doch nur Einzelne von ihnen, – und trotzdem das deutsche Mutterland sich auch nie um seine nach Russland versprengten Söhne gekümmert hatte. So oft eine neue Einberufung stattfand, wurde ein Abschiedsgottesdienst mit Abendmahl abgehalten, und diese Gottesdienste waren immer sehr ergreifend. Mit der Zeit wurden sie aber verboten, wie ja später die deutsche Predigt überhaupt verboten wurde und die Pastoren sich damit halfen, dass sie passende Bibeltexte zusammenstellten und die dann verlasen. Dazwischen wurden dann immer wieder passende Verse gesungen. Auch diese Gottesdienste wurden gut besucht und brachten den besonderen Segen, dass man recht in die Bibel eingeführt wurde.
Doch in den beiden ersten Kriegsjahren bestand dieses Predigtverbot noch nicht, dagegen war es bei 3000,- Rubel (damals noch Rm. 6000,-) Strafe oder 3 Monate Gefängnis verboten auf der Strasse deutsch zu sprechen. Da wir geschlossene deutsche Siedlungen hatten, so konnte man durchkommen ohne diese Strafe, aber es kam öfter vor, dass der herumstreifende
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jemand ertappte beim Deutschsprechen, dann wurde ein Protokoll aufgenommen, von dem sich die Leute aber meist wieder loskaufen konnten durch Geld oder Lebensmittel. Ein Fall ist mir aber doch bekannt, wo einer der führenden Männer im Dorf, es unter seiner Würde hielt, sich loszukaufen und lieber ins Gefängnis ging.
Der junge Pastor W., bei dem ich war, wurde im Jahre 14/1915 als Feldgeistlicher einberufen, kam aber nach einem halben Jahr wieder zurück, weil er den Herren bei der Militärverwaltung seine deutsche Gesinnung nicht ganz verbergen konnte. Aber nicht ganz ein Jahr danach bekam er eines Nachts (das pflegte man immer nachts zu machen) den Ausweisungsbefehl wegen seiner „germanophilen Gesinnung“. Und nicht nur er, sondern auch alle unsere Hausgenossen: eine baltische Lehrerin, die bei uns in Pension gewesen, desgleichen die Gemeindeschwester und er Probejahrskandidat Merz, der im Hause gewesen war, sollten binnen 2 x 24 Stunden das Dorf verlassen und 100 Kilometer ostwärts ziehen, da ich in Deutschland erzogen und geschult worden war, blieb von dem Befehl ausgeschlossen. Es ist mir noch heute ein Wunder, wie Gott mich in der ganzen Kriegszeit beschützt hat in allen Gefahren, denen ich ausgesetzt war. „In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über mir Flügel gebreitet!“
Durch die Fürsprache eines hohen Beamten in Odessa, wurde aber für diesmal der Ausweisungsbefehl wieder zurückgenommen, jedoch einige Monate später nachdem Pastor W. kurz vorher geheiratet hatte, bekam er wieder den Ausweisungsbefehl und diesmal musste er fort und bald danach seine junge Frau auch. Sie hielten sich mit noch vielen andern, meist baltischen Pastoren
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im Osten der Stadt Saratow auf; Pastor W. durfte aber später nach Charkow übersiedeln.
Ich löste nun den Haushalt in Hoffnungstal auf und begab mich wieder nach Grossliebental, wo ich schon früher in den Anstalten gearbeitet hatte und wo Propst Alber mich erwartete.
Da fing nun die schwierigste Zeit für mich an. Es war im Sommer 1916 als ich dahin übersiedelte und Odessa mit Umgebung schon Grenzgebiet geworden. Immer lag Militär da, immer wurde man bewacht und beobachtet, auch das Predigtverbot kam in dieser Zeit. Propst Alber6, der selbst schon pensioniert war, aber immer noch amtierte, hatte ind er Zeit den jungen Pastor Koch als Amtsgehilfen bei sich, der dann auch sein Nachfolger wurde.
Am Weihnachtsabend 1916 kam ein ganzes Regiment Reservisten an die rumänische Front, durch Grossliebental. Die armen Menschen waren totmüde, viele liessen sich auf der aufgeweichten Strasse fallen, weil sie nicht mehr weiter konnten. In dieser Nacht war in allen Häusern Einquartierung, in manchen 50 bis 60 Mantt. Auch wie im Pfarrhaus hatten etliche Mann, Sibirier waren es. Oh wie leid taten mir diese Männer, die doch nur als Schlachtschafe dahingetrieben wurden.
Das war unser Weihnachten 1916. Im Februar darauf kam dann der Umsturz. Erst war man wie gelähmt als es hiess: „der Zar ist enttront, “ – der Mann der bisdahin beinahe göttlich verehrt wurde in Russland! Einige Monate, solange die Kerensky-Regierung am Ruder war, lebte man noch einigermassen ruhig, aber die Hoffnung, das der schreckliche Krieg ein Ende nehmen werde, erfüllte sich auch da nicht. Den äusseren Krieg zu Ende zu bringen und dafür den inneren anzufangen, das war erst der bolsche-
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wistischen Regierung beschieden. Bald wogten Strassenkämpfe in und um Odessa zwischen Ukrainern und Bolschewiken, bis schiesslich die Bolschewiken den Sieg davon trugen. Es begann die Zeit der bolschewistischen Agitation.
Doch vorher, noch zur Zeit der zaristischen Regierung und der Kerensky-Regierung hatten wir 2 tiefeinschneidende Erlebnisse. Das erste war der Kongress der Schwarzmeerdeutschen in Odessa, wo Vertreter von allen Kolonistenbezirken des Südens zusammen waren und ihnen das sogenannte „Liquidationsgesetz“ vorgelegt wurde, das der Zar selbst unterschrieben hatte. Da wurden die deutschen Kolonisten vor die Wahl gestellt, ob sie ihr Deutschtum ablegen und damit auch zur russischen Kirche übertreten wollen, oder aber müssten sie Russland verlassen, „arm“ wie sie gekommen seine, also ohne jede Entschädigung. Fast einstimmig erklärten sie „wir gehen lieber arm zum Land hinaus, als dass wie unser Deutschtum und unsern Glauben verleugnen.“
Das zweite Erlebnis fällt in die Zeit der Kerensky-Regierung, soviel ich mich erinnere. Da waren in Grossliebental serbische Offiziere stationier, die aus österreichischen Kriegsgefangenen meist Tschechen, ein neues Regiment für die russisch-rumänische Front formieren sollten. Was an diesen armen Kriegsgefangenen, die nun auch den russischen Fahneneid schwören sollten, für Grausamkeiten begangen wurden, darüber liesse sich viel sagen. Ich will mich aber damit nicht aufhalten, sondern nur eins erzählen, wovon auch das Pfarrahsu betroffen wurde. Eines abends wurde ein serbischer Offizier meichtlings ermordet. Das wurde nun den Deutschen zur Last gelegt und es kam tags darauf vom Generalgouverneur der Befehl, ganz Grossliebental müsse binnen 2 x 24 Stunden geräumt und alle Bewohner in die östlichen
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Provinzen, ich glaube an den Ural, verschickt werden. Da war nun die Not aufs höchste gestiegen. Die Gemeindevorsteher baten nun die beiden Pastoren inständig, sie möchten selbst beim Generalgouverneur Fürbitte tun, dass dieser Befehl rückgängig gemacht werde. Nachdem die Herren sich im Gebet gestärkt hatten, begaben sie sich auf die Reise nach Odessa. In voller Amtstracht, – de galt damals noch viel in Russland, – traten sie vor den hohen Herren und legten Fürbitte ein für die Gemeinde. Erst war er ziemlich ungnädig, wurde aber dann auf die Vorstellung des alten Propstes hin etwas freundlicher und versprach schliesslich den Befehl zurückzunehmen, dalls die Gemeinde binnen einer Woche den Täter ausfindig mache. Das gelang dann mit Gottes Hilfe, es war einer der tschechischen Soldaten, und so wurde das Unheil abgewandt. Aber solcher Vorkommnisse gab es mancherlei und immer hing das Schwert über der Gemeinde und auch über dem Pfarrhaus.
Das wurde auch nicht anders, als im Herbst 1917 das bolschewistische Regiment anfing sich auszubreiten. Erst wurden nur einzelne Ueberfälle unternommen, die andauernd die Kolonie in Angst versetzten, sodass jede Nacht 60 Mann Wache stehen mussten an den Dorfeingängen. Von diesen Ueberfällen war besonders auch das Pfarrhaus bedroht, sodass man keinen Abend wusste, ob man den Morgen noch erleben werde. Doch Gott wachte übe runs und liess uns nichts geschehen. Mit der Zeit setzten sich aber die Bolschewiken im Dorfe fest. Sie pflanzten an der Gemeindeverwaltung und am Krankenhaus die rote Fahne auf und wir waren somit in ihren Händen.
Eine ihrer ersten Taten sollte die Ermordung der Bourgoisie sein in Odessa und Umgebung, nachdem sie die zaristischen Offiziere schon alle umgebracht hatten, soweit dieselben ihnen
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nicht entkamen. Da gelang es der geängstigten Einwohnerschaft von Odessa an das deutsche Militär die Bitte um Hilfe durch ein Funktelegramm gelangen zu lassen und am Tag, vor der geplanten Bartholomäusnacht, erreichte eine Abteilung deutscher und österreichischer Soldaten die Stadt und auch unser Dorf. Das war ein Jubel und heisse Dankgebete stiegen zu Gott empor! Sofort verschwanden alle Roten und wir durften frei aufatmen, da Odessa vom deutschen Militär besetzt wurde. Das war im März 1918.
Nun kamen für uns noch einige schone, ruhige Monate, in denen wir im Pfarrhaus ab und zu Besuch von hohen deutschen Militärpersonen bekamen, was immer grosse Freude auslöste. So kam eines Tages, es war August, auch der Oberkommandierende der Besatzungsarmee, Graf Waldersee. Er speiste mit seinen beiden Adjutanten bei uns im Pfarrhaus zu Mittag. Ihm trug nun Propst Alber, die Bitte vor, ob er uns nicht die Einreisebewilligung nach Deutschland verschaffen könnte. Sehr freundlich ging der hohe Herr auf diese Bitte ein und versprach uns: Herrn Propst, seiner Frau und mir, innerhalb 2 Wochen die Erlaubnis zu verschaffen, von seinem Freund, dem König von Württemberg. Schon nach zwölf Tagen war die Erlaubnis in Odessa, wo uns von der Militärbehörde zugleich die Weisung gegeben wurde, innerhalb drei Tagen uns reisefertig zu machen, da wir mit einem deutschen Militärzug bis über die deutsche Grenze mitgenommen würden. So reisten wie dann in den letzten Septembertagen 1918 frohen und dankbaren Herzens aus Odessa ab, zusammen mit etwa 60 jungen Kolonistensöhnen, sie sich als Freiwillige für die Westfront gemeldet hatten.
Ich reiste allerdings damals in der Hoffnung ab, wenn die Kriegswirren vorüber sein würden, wieder an meine Ar-
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beitsstätte in Grossliebental zurückkehren zu können. Doch, es kam anders. Und heute danke ich Gott, dass er mich zur rechten Zeit aus diesem Lande herausgeführt hat, das für viele meiner Landsleute zu einer Hölle geworden ist. Mit wehem Herzen gedenke ich ihrer und bitte Gott, dass Er sie im Glauben stärken und erhalten möge!
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Anna Schrenk: Mein Erlebnis im deutsch evangelischen Pfarrhaus in Russland, Manuskript 8 S.
BMA QS-30.001.0374.01Title: Schrenk, Martin Friedrich. Creator: unknown studio Date: 1861 ↩︎
Schrenk, Martin Friedrich: Jubiläums-Gedichte von Friedr. Schrenk, Pastor zu Glücksthal. – Als Manuskript für Freunde gedruckt – Odessa: L. Nitzsche, 1886, 17. S. Aus der Geschichte der Entstehung der evangelisch-lutherischen Kolonien in den Gouvernements Bessarabien und Cherson, speziell in kirchlicher Beziehung. Stuttgart, J.F. Steinkopf. III, 167 S. Geschichte der deutschen Kolonien. Zum Gedächtnis des fünfzigjährigen Bestehens desselben. Tiflis 1869, 197 S. ↩︎
Anna Schrenk: Mein Erlebnis im deutsch evangelischen Pfarrhaus in Russland, Records of the National Socialist German Labor Party (NSDAP): National Archives Microcopy no. T-81 Roll 634 Frame 5435004-5435011 Verfasser: Deutsches Ausland-Institut (Stuttgart) (Main Author) American Historical Association. Committee for the Study of War Documents (Added Author) Veröffentlichung: Washington, D.C.: American Historical Association. American Committee for the Study of War Documents ↩︎
Propst Johannes Alber, (20.10.1845 Nikolajew – 30.9.1932 Pfullingen) ↩︎
Die Verführung, durch das Smart-Match-System den Stammbaum zu erweitern.
Wer lange Ahnenforschung betreibt, kennt die Irrwege und Sackgassen, Anfängerfehler, Fehlschlüsse durch mangelnde Faktenlage und die Änderungen, die man vornehmen muss, wenn doch ein Dokument zum Vorschein kommt.
Auch die Schreiber der Ortsfamilienbücher sind davon nicht befreit und manche Unstimmigkeit der Daten muss über einen Blick auf die alten Dokumente geklärt werden.
Im Zuge der modernen Plattformen zur Ahnenforschung ist es groß in Mode gekommen, die Papierforschung hintenan zu stellen und per Smart-Match den Stammbaum zu erweitern, Fotos und Quellen zu übernehmen. Selbstverständlich finden sich nach wie vor sehr akribisch aufgebaute Stammbäume, aber leider auch wild zusammen gewürfelte, die keinen Sinn ergeben.
Daher möchte ich eine kleine Anekdote dazu berichten, wie in mehreren Onlinestammbäumen ein falscher Urgroßvater und seine Nachkommen auftauchten, obwohl durch Geburtsorte der Kinder und Sterbeort bzw. Sterbedatum offensichtlich war, dass er es nicht sein konnte.
Doch beginnen wir am Anfang. Zunächst hatte meine Freundin erste Forschungsergebnisse zu ihrer Familie online gestellt, eher magere Daten, wie man das so macht, wenn man einen DNA-Test und ersten Stammbaum online einbindet. Ein paar Fotos dazu, mehr nicht.
Während sie nun intensiver begann, die Daten nach Kirchenbüchern zusammen zutragen, erfolgten in anderen Stammbäumen die Zusammenlegungen ihrer Daten. Ehe sie sich versah, prangten die bereit gestellten Fotos in der Plattform bei vielen anderen, ebenso verbreiteten sie sich in Windeseile in anderen Plattformen.
Jetzt fragt man sich – was ist dabei, dafür wurde das Ganze geschaffen – mag sein, aber hier zeigte sich Fluch und Segen.
Der Urgroßvater begann ein doppeltes Leben.
Am 9. Dezember 1880 wurde Gottfried Bernhard in Frank an der Wolga geboren, obwohl er sein gesamtes Leben den Kontinent nicht verlassen hatte, tauchte er als Auswanderer in den USA auf.
Ein reger Austausch entstand mit den Inhabern der Stammbäume. Diese legten ihre Dokumente vor, wonach sie keinen Zweifel hatten, ihr Gottfried ist identisch und damit stimmen die Daten. Es gab einen Grabstein, also muss der Großvater meiner Freundin ein anderer sein.
Es wurde in Foren angefragt, wie man an weitere Unterlagen gelangen kann, es gab viele eigene Unterlagen und Dokumente, Kirchbuchkopien wurden erworben, kein einfaches, dafür recht kostspieliges Unterfangen, ihren Urgroßvater und die Richtigkeit ihrer Daten nachzuweisen.
Mit den Unterlagen begann für uns eine umfängliche Überprüfung der verschiedenen Stammbaumdaten, die Linien wurden erfasst und im Laufe der Wochen kristallisierte sich der Fehler der Datenübernehmer erwartungsgemäß heraus.
Am 9. Dezember 1880 wurden sowohl in Frank, als auch in Galka, Kinder dieses Namens geboren. Es hatte bisher jedoch niemand diesen Zufall beachtet.
Gottfried Bernhardt, geb. 9. Dezember 1880 in Frank, Wolga1
Johann Gottfried Bernhardt, geb. 9. Dezember 1880 in Galka, Wolga2
Letzterer wanderte nach Amerika aus und starb dort. Seine bisherige Anbindung an Vorfahren in Frank erwies sich als falsch. Zudem lagen weitere Dokumente zur Eheschließung, Geburten der Kinder und zum Tod vor, die alle die Herkunft des Urgroßvaters in Frank belegten, was den Auswanderer aus Galka deutlich ausklammerte, während dessen familiären Beziehungen nachweislich in die USA führten.
Erst über diese Dokumentation konnten die Nutzer von ihrem Fehler überzeugt werden und korrigierten ihre Daten, ebenso die Nachkommen-Daten der AHSGR in den Wolgadeutschen Datenbanken. Ein sehr umfängliches Unternehmen, um die Weiterverbreitung dieses Missverständnisses zu verhindern.
Obwohl das Löschen wirklich lange dauert, ehe es auch aus Suchergebnissen im Internet verschwindet, es lohnt sich, Fehler zu korrigieren und hilft zukünftigen Stammbaumerstellern, ihre Zeit nicht mit falschen Daten zu verschwenden.
Dokumente und Literatur:
1Fond 278.1.4 Frank Taufen 1874–1886
2Fond 339.112.52 Galka Taufen 1863–1884
Rauschenbach: Deutsche Kolonisten auf dem Weg von St. Petersburg nach Saratow. Transportlisten von 1766-1767. Moskau, 2017
Rauschenbach: Auswanderung deutscher Kolonisten nach Russland im Jahre 1766, (2019)
Verfallener Friedhof, am einsamen Ort, Nun geht der Pflug bald über dich fort. Noch hüllen mit traulichem Dämmerschein Die alten Linden dich friedlich ein. Verwitterte Steine nur ragen auf, Wo die Hügel versanken im Zeitenlauf. Und alles umwuchert Gras und Strauch, Und drüber weht des Vergessens Hauch. Ein einziges Grab ist an diesem Ort, Drauf blühen die Veilchen und Rosen noch fort. Wenn Lenzluft weht um dieses Grab, Wankt her ein Mütterlein am Stab. Sie trauert noch dem Einen nach, Der einst das junge Herz ihr brach.
Paul Barsch (1860 – 1931), schlesischer Mundartdichter
Kostiantyn Antonets beschäftigt sich schon länger mit der Entdeckung der Geschichte der ehemaligen deutschen Dörfer und stellte mir daher freundlicherweise seine Fotos zur Verfügung. Der Fund dieser alten Grabsteine erzählt uns die Geschichte des Missionars Wilhelm Heine (1833–1897), seines Sohnes Pastor Wilhelm Heine (1866–1938) und aller mit ihnen verbundenen Familien. Der Friedhof befindet sich auf dem ehemaligen Familienbesitz Federowka (Wesselyj Haj, Novomykolayivka, Zaporiz’ka, UKR).
Missionar Wilhelm Heine
Foto aus: Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909
Mitunter sind die Lebenswege eines Menschen ungewöhnlich, so auch im Falle des Carl Wilhelm Heine. Geboren am 12. Februar 1833 als Sohn des Schuhmachers Wilhelm Hein(e) (†1849) und seiner Frau Maria Schmidt (um 1805–1865) stammte er aus recht einfachen Verhältnissen. Seine väterlichen Vorfahren sollen aus Sachsen ausgewandert sein, vermutlich aus der Meißen, wie uns die Angabe im Sterbeeintrag des Schneiders Ludwig Hein(e) verrät, der als Pate wohl Bruder des Vaters war. Der Sterbeeintrag der Mutter Maria vermutete Bayern als ihre Herkunftsregion.
Geburt und Taufe im Kirchenbuch Molotschna 1833
Unter dem Einfluss des Pfarrers Eduard Wüst (1818–1859), der als Prediger der pietistischen Brüdergemeinde in Berdjansk wirkte, fühlte auch Wilhelm Heine eine religiöse Erweckung.
Pfarrer Eduard Wüst10
Wüst und seine Anhänger, darunter auch viele Mennoniten, verfolgten das Ziel, die Disziplin in den Kirchengemeinden und ihre eigene Frömmigkeit zu stärken, Wüst bekämpfte zudem sehr aktiv den weit verbreiteten Alkoholismus und Hexenglauben unter seinen Gemeindemitgliedern. Als Prediger der Ideen der pietistischen Erweckungsbewegung nahm er Kontakt zum Begründer der Bewegung der Jerusalemsfreunde, Christoph Hoffmann, auf.
Die strenge Bibelauslegung der Pietisten hatte allerdings zur Folge, dass aus der pietistischen Brüdergemeinde heraus durch unterschiedliche Auffassungen nicht nur die neue Separatistengemeinde, sondern auch die Hüpfer- und Springersekte („die Munteren“) entstand. 1857 musste Wüst sich auf Betreiben des Evangelisch‑Lutherischen Generalkonsistoriums verpflichten, nicht mehr außerhalb seiner Gemeinde zu predigen und keine geistlichen Handlungen an Lutheranern zu vollziehen.
Zu den Gleichgesinnten, bei denen die Gemeindeversammlungen unter Wüst stattfanden, gehörten die Familien Schaad, Heinrich, Blank, Brühler, Dillmann, Schwarz und viele andere, mit denen sich Heine auch in späteren Jahren noch stark verbunden fühlte.
Der Missionsgedanke war ein fester Bestandteil der pietistischen Gesellschaft, Pfarrer Wüst bemerkte die Gelehrsamkeit und tiefe Religiosität Heines alsbald und überzeugte ihn, in die Ausbildung der Inneren Mission zu gehen. Von dieser Idee erfüllt, führte ihn sein Weg zunächst, gemeinsam mit Jakob Knauer (Neuhoffnungstal), Hermann Sudermann (Berdjansk), Heinrich Bartel (Gnadenfeld) und Johann Klassen (Liebenau) nach Reval zur Bauer’schen Rettungsanstalt. In diese wurden arme Kinder und Jugendliche aufgenommen, um sie vor der Verwahrlosung zu bewahren.
Die Reise erfolgte mit einem Dreispänner 1854 über Liebenau (20. September), Orechow, Charkow (28. September), Kursk, Fatesch (4. Oktober), Moskau (12. Oktober). Von dort nach einwöchigem Aufenthalt mit dem Zug am 19. Oktober nach Sankt Petersburg, diese Fahrt dauerte 48 Stunden. Am 6. November, sieben Wochen nach ihrer Abreise, trafen sie in Reval ein, um ein Jahr zu bleiben.
Unter dem Eindruck der Predigten und Berichte des Missionars Carl Hugo Hahn (1818–1895), welcher über viele Jahre in Afrika tätig war, entwickelte sich bei Heine und Knauer das Bedürfnis, ebenfalls in die Äußere Mission der Rheinische Missionsgesellschaft (RMG) zu wechseln. Dazu war eine drei- bis vierjährige Ausbildung in Barmen notwendig.
Am 2. Januar 1856 war es so weit, mit neuen Pässen und einem Pferdeschlitten sollte die Reise von Reval über Pernau, Riga, Königsberg, durch die Niederung bei Marienburg, Berlin und Hamburg nach Barmen gehen. Mit einem Zwischenaufenthalt von 3 Tagen in Berlin, trafen sie am 15. Februar ein. Jakob Knauer wurde für seine Missionarstätigkeit in Afrika ausgebildet, Wilhelm Heine für Sumatra.
Während Heine an Pocken erkrankte Anfang 1858, war es für Jakob Knauer so weit, er reiste nach Afrika ab. Heines Abschied kam am 29. Oktober 1860. Seine Ordination galt nur für das Missionieren, er unterlag der absoluten Gehorsamsverpflichtung gegenüber der Rheinischen Missionsgesellschaft, musste in allen wichtigen Missionsfragen eine Erlaubnis einholen und durfte fünf Jahre nicht heiraten.
Am 12. November 1860 machte er sich auf den Weg zur Einschiffung in Holland. Die Seereise sollte 3 Monate dauern und um das Kap der Guten Hoffnung nach Sumatra führen. Nach schlimmen Stürmen, die das Schiff fast sinken ließen, erreichten sie Batavia auf der Insel Java, reisten weiter nach Padang/Sumatra. Nach neun Wochen Aufenthalt ging es am 7. August 1861 nach Siboga, wo er am 17. August ankam. Am 20. August reiste er weiter, Djagodjago, Batangtoru (23. August), Paggerutan, dann Sipirok. Es ging zu Fuß und auf dem Pferderücken durch Kampferbaumwälder, Flüsse ohne Brücken, über Berghänge, durch Kaffeeplantagen. Am 20. Oktober erreichte Heine den Ort seiner Mission, Sigompulan. Hier musste alles erst geschaffen werden, am 1. Januar 1862 war Einzug und Einweihung der neuen Missionsstation.
Bild aus: Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909
Die Missionarstätigkeit, die nun vor Wilhelm Heine lag, ist heute unter dem Begriff Batak-Mission bekannt und war im christlichen Sinne sehr erfolgreich.
Grund für diese Mission war der antikolonialen Aufstand in Borneo 1859, bei dem neun Missionsangehörige ums Leben kamen, die niederländischen Kolonialregierung daher die Missionsarbeit in dem Gebiet untersagte. So wandte man sich dem Inneren von Sumatra zu, hier lebte das indigene Volk der Batak, welches aus mehreren Volksgruppen bestand, welche auch eigene Stammessprachen besaßen. Die Batak waren keineswegs unzivilisiert im heutigen Sinne, sondern besaßen eine hochkomplexe Zivilgesellschaft, die sich von den Küstenbewohnern abschottete.
Karte aus „Mission, Kolonialismus und Missionierte; Über die deutsche Batakmission in Sumatra“ 2
Schon Marco Polo brachte 1292 Gerüchten über menschenfressende Bergvölker, die er „Batta“ nannte, mit nach Europa, weshalb bis etwa 1824 kaum Kontakt mit Europäern bestand, da diese die Bergvölker mieden. Heine befragte dazu einen Radja, der ihm erklärte, Verbrechen wie Ehebruch, Landesverrat usw., wurden mit Gefressenwerden bestraft. Auch Kriegsgefangene und Spione wurden verzehrt, an diesen Bestrafungsmahlzeiten nahmen nur Männer teil.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten die islamischen padri-Krieger aus Westsumatra Silindung mit Krieg überzogen und waren sogar bis an den Tobasee vorgedrungen, wo sie den Priesterkönig Singamangaraja X. töteten. Seit den 1840ern war die niederländische Regierung in kriegerischen Auseinandersetzungen mit den padri verwickelt, einer militanten, über Mekkapilger wahhabitisch beeinflussten islamischen Bewegung aus Westsumatra. So sollte das Gebiet der Batak zur Befriedung und Stabilität in der Region beitragen, die Christianisierung Verbündete schaffen.
Die Missionare brachten nicht nur die Bibel und öffentliches Bildungswesen mit, sie hatten die Sprache der Einheimischen erlernt und beachteten ihre Traditionen, sodass die Batak ihre kulturellen Eigenheiten bewahren und mit christlicher Tradition verbinden konnten. Die so entstandene Huria Kristen Batak Protestan ist heute die größte evangelische Kirche Indonesiens.
Zunächst galt es, das Vertrauen der Einheimischen zu gewinnen, was nicht so einfach war, da man Heine unterstellte, ein Spion der holländischen Regierung zu sein, der die Battas dazu bringen solle, für das Gouvernement Kaffee anzubauen und Wege anzulegen. Dann hieß es, er würde die Kinder behexen, mit seinem Fernrohr die edlen Metalle im Innern der Erde erspähen, in seiner Uhr einen Geist bei sich führen u.a.m.
Weil die RMG die Idee hatte, auch Fotografien anzufertigen zu lassen, waren die Missionare mit Apparaten und Fotochemikalien ausgestattet. Nachdem Heine ein Landschaftsfoto entwickelte, hieß es: „Seht, der fremde Mann bringt mit Hilfe der Geister, die in dem Kasten stecken, unser Land aufs Papier und trägt’s davon.“ Kein Einheimischer war daher bereit, sich fotografieren zu lassen. Als kurz darauf das tropischen Klima die mitgebrachten Chemikalien zersetze und für eine gewaltige Explosion derselbigen sorgte, riefen die Battas: „Haben wir’s nicht gesagt, dass der Mann ein großer Zauberer ist und viele Geister ihm zu Diensten stehen? Seht ihr, jetzt sind alle Teufel los.“8
Nachdem die 1864 für eine Reise nach Indien vorgesehene Lehrerin Therese Wilhelmine Barner (1842–1909)6, jüngsten Tochter des Hausvaters und Schulmeisters der Rettungsanstalt in Korntal/Württemberg, Andreas Barner (1773–1859) und seiner Ehefrau Maria Regina geborene Metzger (1806–1848), nach Sigompulan entsendet wurde11, fand sich auch für Wilhelm Heine eine Gefährtin.
Eintrag der Therese Wilhelmine Barner im Familienregister Blatt 7 Korntal17
Im Dezember 1865 reiste Heine der ihm aus Europa gesandten Braut nach Padang entgegen. Die Ehe wurde im Februar 1866 geschlossen unter den Gewehrschüssen der Volksmenge , er mußte dann einen Stier schlachten und mit den Vornehmen verzehren. Hatten bisher nur Männer die Station besucht, so bestürmten nun die Frauen und Mädchen das Haus um die njonnja (europäischen Frau) zu sehen und ein kleines Geschenk zu erhalten.
Die eigentliche Aufgabe der Missionarsfrauen bestand vorrangig darin, den einheimischen Frauen und Mädchen das Nähen und Singen christlicher Lieder beizubringen. Sie kümmerten sich um die Haushaltsführung und ihre Kinder. Sobald diese schulpflichtig wurden, mussten sie nach Deutschland in die Obhut der Rheinischen Missionsgesellschaft zur Ausbildung gegeben werden.
Heines Ehefrau fand sich ziemlich schnell zurecht. Sie wurde eine wichtige Person in Sigompulan. Befreundete Battas brachten Hühner und Reis zum Gruß, und aus verschiedenen Dörfern kamen Einladungen zu einer Mahlzeit, denen Heine sich nicht entziehen konnte und wollte, weil er darin eine Gelegenheit sah, den Leuten näher zu kommen. Besonders feierlich wurden die Neuvermählten im Dorfe Lumbandolok empfangen. Selbst der datu (Gelehrte des Dorfes) ehrte das Paar mit Reis, Siri, inländischem Brot und Segensgebeten.14
Es gab zwar zahllose Rückschläge, da den ersten getauften Einheimischen der traditionelle Familienrückhalt entzogen wurde und diesen eigene Dörfer und Felder für die Lebensgrundlage geschaffen werden mussten, damit sie von der Familie unabhängig leben konnten, aber die Schar der christlichen Gemeinde wuchs beständig.
Als es 1866 über mehrere Monate eine Pockenepidemie in Silindung gab, sich einer der Einheimischen infizierte und die Erkrankung nach Sigompulan brachte, zeigte sich der Vorteil, entweder gegen diese geimpft oder die Pockenerkrankung überstanden zu haben, um den isolierten Erkrankten betreuen zu können. Leider wurde Heine zu seinem Totengräber, als dieser letztlich starb.
Am 25. November 1866 kam Sohn Wilhelm Heine, zur Welt, er sollte später ebenfalls Pastor werden. Insgesamt kamen 4 Kinder in der Missionsstation zur Welt, Therese (*1868), die später den Gutsbesitzer Andreas Müller (1858-1911) ehelichte, Hugo (1870–1899), Chemieingenieur, nach kurzer Ehe heiratete sein Witwe Pauline Müller (*1873) im Jahre 1913 seinen Bruder Wilhelm und Friedrich (*1872), ebenfalls jung, ledig, in Russland verstorben.
Geburt und Taufe von Wilhelm und Therese Heine 1877 im KB NeustuttgartGeburt und Taufe von Hugo und FriedrichHeine 1877 im KB Neustuttgart
Im März 1868 erlaubte der Radja Wilhelm Heine und einigen Begleitern, den bis dahin mit einem Tabu für Nichteinheimische belegten Tobasee zu besuchen. Dieser Besuch war hochgefährlich, weil die hier lebenden Bergstämme vermuteten, es handle sich um padri und wollten sich an den Eindringlingen rächen für die 1831–1832 ermordeten Bewohner ihrer Dörfer. Als sich herausstellte, dass es sich um Missionare handelte, welche große Unterstützung unter den Einheimischen fanden, wendete sich das Blatt nach Verhandlungen zum Guten.
Tobasee, größter Kratersee der Erde, 87 km lang und 27 km breit3
Im Jahre 1868 ging über Pfarrer Jakob Heinrich Staudt (1808–1884) aus Korntal das Gesuch des Missionars Heine und seiner Ehefrau im O.A. Kirchheim ein, Therese Wilhelmine aus dem Württembergischen Untertanenverhältnis zu entlassen unter Verzicht des Bürgerrechtes, da er von dem Angebot, das dortige Bürgerrecht zu erhalten, keinen Gebrauch machen wolle. Er war bereits russischer Untertan und wollte das auch bleiben. Das Amt bestätigte daher ihren Bürgerrechtsverzicht am 9. Juni 1868 und entließ Therese Wilhelmine als ausgewandert nach Russland.
1873 nahm die Familie Heine ihren Abschied und schiffte sich ein, die Reise ging durch den am 17. November 1869 eröffneten Suezkanal, über den Indischen Ozean, das Rote Meer und durch den Kanal ins Mittelmeer nach Jaffa. Von dort aus landeinwärts nach Jerusalem. Es folgten Besuche von Bethanien, Bethlehem, dem Jordan und des Toten Meeres, alles Orte, die in der christlichen Welt von hoher Bedeutung sind. Nach einem Monat Aufenthalt bestieg die Familie erneut ein Schiff und reiste über Konstantinopel nach Südrußland.
In Folge des für die Kinder ungewohnten Klimas und des extrem strengen Winters 1873/1874 in Russland bekamen sie alle eine Lungenkrankheit, welche Tochter Therese nur mithilfe eines Luftkurortes in Deutschland überwand, ihre beiden Brüder starben daran jung.
Im Mai 1874 trafen alle in Korntal/Württemberg ein, hier war Heine für die Mission unterwegs, ehe er im Herbst 1874 gänzlich nach Russland zurück kehrte und im Chutor Andrejewsk überwinterte, weil seine Frau hochschwanger war, Tochter Maria kam am 3. Dezember zur Welt.
Marias Geburt und Taufe im KB Neustuttgart 1877
Im Frühjahr 1875 nahm er seine Tätigkeit als Pastor des Kirchspiels Neustuttgart-Berdjansk7 auf und bezog das Pfarrhaus in Neustuttgart.
Bild aus: Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909
Hier traf er auf eine recht zersplitterte Gemeinschaft, die sich unter Pastor Wüst trennte und über die Jahre getrennt blieb. Die Bewohner des Kirchspiels lebten in Neustuttgart, Neuhoffnungstal und Rosenfeld und gehörten entweder der lutherischen Kirche oder der schwäbischen Brüdergemeinde (Separatisten) an. Die Neustuttgarter waren im Verhältnis 1:1 geteilt, in Neuhoffnungstal und Rosenfeld waren es überwiegend Mitglieder der Brüdergemeinde, Berdjansk dagegen hatte keine Anhänger der Brüdergemeinde.
In Neustuttgart entstanden aus dieser Glaubensverschiedenheit zwei Bethäuser, Pastor Zeller, der 1867 das Kirchspiel übernahm, gelang es nicht, eine Einigung der zwerstittenen Parteien zu erzielen, weshalb er sich letztlich von seinem Amt entbinden ließ. In Neuhoffnungstal und Rosenfeld besuchten man zu diesem Zeitpunkt abwechselnd den Gottesdienst der Glaubensgemeinschaften im selben Bethaus gegenseitig.
Diese Kluft zu überbrücken, gelang Heine auf Grund seiner großen Erfahrungen aus Sumatra, er entschärfte die Glaubenszwistigkeiten, näherte die verstrittenen Kirchengemeinden einander an, um im Januar 1876 eine öffentliche Einigung der Separierten und Lutheraner zu erzielen.
Die Bedingungen sind folgende: „Vereinigungspackt der freien evangelischen Gemeinde und der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Neustuttgart. Die freie evangelische Gemeinde in Neustuttgart hat nach eingehender Beratung in ihrer Mitte den Beschluß gefaßt, mit Beginn des Jahres 1876 sich mit der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Neustuttgart auf die unten genannten Bedingungen hin zu vereinigen. Es kann dies Ereignis nur mit Freuden begrüßt werden – denn so nur kann für Zucht und Ordnung in der Gemeinde, für die Erziehung der Jugend, für Kirche und Schule zum Segen des Ganzen gewirkt werden. Welches von den beiden am Ort befindlichen Bethäusern zur Kirche erweitert und welches zur Schule eingerichtet werden wird, das bleibt einer späteren Beratung Vorbehalten.
Die kirchliche Gemeinde kommt den Gliedern der freien Gemeinde entgegen, ihnen die Mitbenutzung ihres Bethauses bereitwillig zu gestatten.
Das heilige Abendmahl soll gemeinschaftlich gefeiert werden.
Bei Taufen und Trauungen bedient der Pastor die Glieder der freien Gemeinde nach der alten württembergischen Agende.
Die Konfirmation soll bei den Kindern der freien Gemeinde im 14. Jahr stattfinden dürfen.
Der Pastor übernimmt die Führung der Kirchenbücher der freien Gemeinde.
Im Fall eines Sterbefalles bei Abwesenheit des Pastors soll dem Kirchenvorsteher der freien Gemeinde gestattet sein dem Sterbenskranken das heilige Abendmahl reichen zu dürfen – freilich nur im dringendsten Fall.
Die Vereinigung soll für die ganze Zeit, die Pastor Heine in Neustuttgart im Amte steht, als bleibend und unlöslich betrachtet werden: im Fall eines Pfarrwechsels soll jedoch unter Umstanden der freien Gemeinde die Freiheit gewahrt bleiben, sich wieder loszulösen – was Gott verhüten wird.
Die freie Gemeinde tritt beim Zahlen des Pfarrgehalts und bei der Übernahme anderer Verpflichtungen mit der kirchlichen Gemeinde von: 1. Januar 1876 ab in gleiche Reihe.
Die Kirchenvorsteher der freien Gemeinde und die Kirchenvormünder der kirchlichen Gemeinde treten unter Vorsitz des Pastors und unter Hinzuziehung des Schulzenamts zusammen, um die Ordnung in der Gemeinde, der Kirche und Schule aufrecht zu halten.
Der dreieinige Gott gebe seinen Segen zu dieser Vereinigung, ihm zur Ehre, zum Wohl der Gemeinde!
Zur Bekräftigung und zu gegenseitiger Beobachtung dieses Bereiniguugsvertrages unterzeichnen heute: Neustuttgart, den 12. Januar 1876. seitens der freien Gemeinde: seitens der Kirchengemeinde: Andreas Bihlmeier Adam Erlenbusch Jakob Klotz Immanuel Bauer.“
Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909, p. 157f
Wie wohlwollend die Kirche das Wirken von Pastor Heine aufnahm, zeigte sich im folgenden Schreiben:
Schreiben des St. Petersburger Konsistoriums an Propst Behning vom 27. Februar 1876, wo diese Behörde sich folgendermaßen über die Bereinigung der Separierten und Kirchlichen äußert. „…….. Ein anderes aber ist es, wenn man den in Rede stehenden Antrag aus Neustuttgart in dem Sinne auffaßt, daß die freie evangelische Gemeinde daselbst gar nicht gesonnen ist zu der evang.-lutherischen Kirche in Rußland über- und in unsern Konsistorialbezirk einzutreten, sondern daß sie nur das Zugeständnis begehre, sich unter Beibehaltung ihrer bisherigen bürgerlichen wie kirchlichen Stellung und ihres bisherigen inneren Glaubensstandes der Person und des Amtes des Herrn Pastor Heine bedienen zu dürfen, so daß also die ganze Vereinigung mit der evang.-luth. Gemeinde in Neustuttgart nichts als ein Akt persönlichen Vertrauens zu Herrn Pastor Heine wäre. Ja dies scheint auch in der Tat die Meinung und der Wille der Petenten zu sein, die ja die „Bedingungen der Vereinigung“ klar und deutlich in Punkt 7 aussprechen, daß die Bereinigung „nur für die Zeit, da Pastor Heine in Neustuttgart im Amte steht, als bleibend und unumstößlich betrachtet wird, im Fall eines Pfarrwechsels jedoch – der freien Gemeinde die Freiheit gewahrt werden soll, sich wieder loszulösen.“ In diesen! Sinn den Antrag verstanden trägt das Konsistorium kein Bedenken, die vorgestellten Bedingungen zur Vereinigung der Gemeinde in Neustuttgart zu genehmigen und dem Herrn Pastor Heine die Autorisation zu erteilen, auch an den Gliedern der freien Gemeinde seines Amtes, aber in soweit, zu warten, als er bei aller Treue in Ausübung seines geistlichenHirtenamts mit seinem Gewissen wird verantworten können. Das Konsistorium erteilt diese Genehmigung um so lieber, als es sich aufrichtig der Annäherung zwischen beiden Gemeindeteilen in Neustuttgart freut, welche durch den Beschluß ihrer Vereinigung bezeugt ist, und in derselben eine starke Bürgschaft künftigen dauernden Friedens und gottgefälliger Einigkeit sieht. Von den Gliedern der sogenannten freien Gemeinde aber erwartet das Konsistorium, daß sie ihrem nunmehr selbsterbetenen Seelsorger fortwährend alle Liebe und Ehrfurcht beweisen, und allem, was er in geistlichen Dingen zu ihrem eigenen Heil vorschreiben oder anordnen wird, pünktlich Gehorsam leisten werden. Nur so wird sich die Gemeinde des göttlichen Segens trösten dürfen, den wir von dieser Vereinigung hoffen.
Präsident: Frommann. Sekretär: Fabricius.“
Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909, p. 158f
Diese Einigung wurde bei einigen Mitgliedern der Brüdergemeinde jedoch alles andere als positiv aufgenommen. So unterstellte man ihm nur auf Betreiben Zellers die Stelle bekommen und die Separatisten in eine Falle gelockt zu haben mit seinem Einigungsvertrag, aus der sie nun nicht mehr entkommen könnten, zumal es einigen egal wäre, ob im Gottesdienst ein Bruder oder Pastor auf der Kanzel steht.4
So schreibt Kröker:
Als Jüngling kam er von seinem Heimatdorfe Prischib an der Molotschna oft nach Neuhoffnung, wurde hier bekehrt, und weil er Lust und Begabung zur Missionsarbeit zeigte, schickte Wüst ihn nach Barmen ins Missionshaus, wo er auf Kosten der Separatisten ausgebildet wurde. Nach seiner Rückkehr wurde er als Bruder und Gesinnungsgenosse mit offenen Armen aufgenommen. Gleichzeitig wurde ihm die vakante Predigerstelle der Separatisten, wie auch vom Konsistorium das Pastorat in Neustuttgart angetragen. Er entschied sich für letzteres. Das Vertrauen der Separatisten hat er schnöde mißbraucht, und für die genossene Liebe und Wohltaten hat er sich sehr undankbar erwiesen. Durch Anwendung von Mitteln, die eines gläubigen Christen unwürdig sind, ist es ihm gelungen, den größten Teil der vier Dörfer, halb gegen ihren Willen, zur lutherischen Kirche und unter das Konsistoriums zu bringen
Kröker, Abraham: Pfarrer Eduard Wüst, der grosse Erweckungsprediger in den deutschen Kolonien Südrusslands, Spat bei Simferopol, Selbstverlag, H.G. Wallmann Leipzig, Central Publ. C,. Hillsboro Kansas, 1903, p. 107
Heine sah sich als Bindeglied und Vermittler zwischen den Lutheranern und Mennoniten, zumal er mit dem Mennoniten Ältesten Dirks von Gnadenfeld, ebenfalls ehemaliger Missionar in Sumatra, eng befreundet war.
Für das Schulwesen war seine einstigee Tätigkeit ebenfalls von Vorteil, da er dafür sorgte, das in Neustuttgart das separierte Bethaus zum Schulhaus wurde, Neuhoffnungstal ein neues, zweistöckiges Schulgebäude errichtete, diese und die Lehrerwohnungen nun beheizbar waren. Es wurden Lehrer angestellt und besoldet, Schulbücher angeschafft.
Mit dem Ende seine Tätigkeit als Pfarrer im Frühjahr 1894 gab Heine öffentlich bekannt, wie im Vertrag geregelt, daß jeder Separierte, der sich der Kirche angeschlossen hatte, sich nun zu entscheiden habe, ob er bei der Kirche bleiben oder wieder zum Separatismus zurücktreten wolle.
Er zog dann mit seiner Frau zur Tochter Therese nach Michailowsk, um noch einmal im Auftrag der Mission zu reisen. Am 5. Juli 1895 traf er in New York/USA ein. Am 15. Juli reiste er nach Buffalo und zu den Niagarafällen, dann Erie (19. Juli), Brooklyn/Ohio (23. Juli), Sandwich (29. Juli), Amboy/Minnesota (13. August), Mountain Lake – hier lebten ehemalige Berdjansker, weiter nach Canada – Gretna/Manitoba (27. August). Es folgten Junkton/Dakota (9. September), Sutton/Nebraska (24. September), Scotland (29. September). In Scotland besuchte er die Witwe von Pastor Karl Bonekemper (1827-1903). In Menno traf er auf den 1887 ausgewanderten Gebietsschreiber Münch aus Zürichtal und besuchte auf dem Weg nach Sutton (1. Oktober) weitere Auswanderer. Traf in Ferberg auf Mennoniten der Molotschna und kam in Denver/Colorado an (14. Oktober). Besuchte den Pikes Peak, Colorado Springs, Newton und St. Louis/Illinois. Hier traf er seinen alten Freund Hermann Sudermann wieder, mit dem er in Reval war. Weiter ging es nach Chicago (18. November), Sandwich (27. Oktober) und 8 Monate nach Beginn dieser Reise traf er am 31. Dezember 1895 zu Hause ein. Pünktlich zum Jahreswechsel.
Das viele Reise begünstigte sein Steinleiden, am 25. Januar 1897 starb Missionar Wilhelm Heine an den Folgen einer Steinoperation in Michailowsk, seine Frau folgte ihm am 13. November 1909.
Mennonitische Rundschau9
Orte, die Wilhelm Heine in seinem Leben bereiste15
Sohn Wilhelm, als erstes Kind in Sigompulan 1866 geboren, trat in die Fußstapfen seines Vaters und nahm am 17. August 1884 ein Theologiestudium in Dorpat auf.5
Am 1. Mai 1891 in Tiflis/Kaukasus ordoniert, wurde er von 1892-1893 Pastor-Adjunkt in Batum-Kutais/Kaukasus, ab1893-1895 Adjunkt bei seinem Vater in Neu-Stuttgart, der im Frühjahr 1894 nach 19 Jahren im Amt in den Ruhestand ging.
1895 legte er das Gymnasiallehrerexamen ab und nahm eine Hauslehrerstelle in Sankt Petersburg an. Von dort kehrte er als Konsistorialvikar für die Kreise Bachmut und Slawjanoserbsk, Gouv. Jekaterinoslaw (1898–1899) zurück, wurde dann Pastor in Schidlowo (1899-1907) und scheidet aus dem geistlichen Amt aus.
Erneut im Dienst in Schidlowo (1914–1928), anschließend Pastor in Katharinenfeld/Kaukasus (1928–1930). In Katharinenfeld wurde er am 14. August 1931 wegen der angeblichen Bildung eines „antisowjetischen Agitationsnetzes16 verhaftet und bis 1934 nach Tymsk am Ob, Gebiet Tomsk (Westsibirien) verbannt.
Nach der Rückkehr lebte er in Feodosia/Krim und wurde am 4. Juli 1937 wurde er erneut verhaftet.12 Nach kurzem Aufenthalt im Simferopoler im Gefängnis wurde er nach Verurteilung zur Hinrichtung am 2. Januar 1938 erschossen. Offiziell wurde Wilhelm Heine am 9. Oktober 1989 rehabilitiert.13
Die Familienmitglieder, die auf dem kleinen Friedhof ruhen:
Andreas Müller, geboren am 17. Juli 1858 als Sohn des Kaufmannes und Gutsbesitzers Friedrich Michael Müller (1837-1860) und der Dorothea Heine (1835-1860). Dorothea Heine war eine Schwester des Missionars Wilhelm Heine.
Geburt und Taufe KB Hochstädt 1858Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1911
Verstorben ist Andreas Müller am 28. August 1911 in Charkow, beigesetzt am 31 August.
Johanne Elisabeth Blank wurde am 8. Juli 1845 in Molotschna als Tochter des Schullehrers Friedrich Blank (1820-1878) und seiner Ehefrau Margaretha Brühler (1824-1850) geboren.
Geburt und Taufe KB Molotschna 1845
Ihr Ehemann, der Gutsbesitzer Friedrich Müller (*1841), war der Neffe des Andreas Müller (1858-1911). Hier treffen wir auf die Verbindung zu Ludwig Hein(e) (1789-1854). Dessen Tochter Maria Magdalena Heine (1844-1929) war verheiratet mit dem Cousin von Johanne – Lehrer Friedrich Blank (1841-1889)
Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1907
Verstorben ist sie am 16. Mai 1907 auf dem Gut Federowka und wurde am 19. Mai beigesetzt.
Michael Müller, beider Sohn, geboren am 29. November 1877 auf dem Gut Federowka
Geburt und Taufe KB Molotschna 1878Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1899
Er starb am 30. April 1899 auf dem Gut Federowka an einer Entzündung des Abdomens und wurde dort am 2. Mai des Jahres beigesetzt.
Olga Müller war die Tochter von Friedrich Müller (*1870), ebenfalls ein Sohn des Gutsbesitzers Friedrich Müller (*1841), Olgas Mutter war Bertha Mathilde Ottilie Petersenn (*1874). Olga wurde auf dem Gut Federowka am 23. November 1904 geboren.
Geburt und Taufe KB Friedenfeld 1905Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1911
Ihr kurzes Leben endete durch Scharlach und Diphterie auf dem Gut am 12. November 1911, beigesetzt am 14. November.
Friedrich Müller, genannt Fritz, ihr Bruder, wurde am 28. Juli 1907 auf dem Gut geboren.
Geburt und Taufe KB Friedenfeld 1907Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1911
Auch sein Leben wurde von der Erkrankung dahin gerafft, er starb am 24. November und wurde am 26. November beigesetzt.
Vielleicht gehören die Bruchstücken auf dem Friedhof zu den Resten des Grabsteines der Schwester Margarethe Müller, sie starb bereits am 19. November im Alter von 10 Jahren ebenfalls an der Kinderkrankheit und wurde am 21 November beigesetzt. So entstanden innerhalb einer Woche drei Kidnergräber der selben Familie.
Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1911
Dr. med. Alexander Friedrich Gustav Petersenn, Arzt, war der Bruder der Bertha Mathilde Ottilie Petersenn (*1874) und verehelicht seit dem 12.11.1896 mit Johanne Heine (*1878), Tochter des Missionars Wilhelm Heine (1833-1897)
Geboren und getauft wurde er in Riga19, sein Vater Karl Johann Georg (1832-1892) war ebenfalls Arzt, seine Mutter Karoline Wilhelmine geborene von Erbe (1846-1907) ist ebenfalls auf dem Gut Federowka versotben und beigestezt worden.
Dr. med. Petersen verstarb am 5. Januar 1905 auf dem Gut an einer Auszehrung, beigesetzt wurde er am 8. Januar.
Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1905
Der Stein seiner Mutter ist nicht aufgefunden worden. Jedoch belegt ihr Sterbeintrag vom 21. Januar 1907 die Beisetzung am 24. Januar daselbst.
Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1907
1Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909
2Hans Angerler: Mission, Kolonialismus und Missionierte; Über die deutsche Batakmission in Sumatra in: Beiträge zur historischen Sozialkunde 2/93, 23. Jahrgang Nr. 2, April bis Juni 1993, p53-61
4Prinz, Jakob; Die Kolonien der Brüdergemeinde: ein Beitrag zur Geschichte der deutschen KolonienSüdrusslands. Prinz, Pjatigorsk, 1898, p.163f
5National Archives of Estonia Heine Wilhelm; EAA.402.2.9133; 17.08.1884
6Dorothee Rempfer: Biografisches Verzeichnis von Missionaren, Missionarsfrauen, Missionsschwestern und lokalen Mitarbeiter*innen der RheinischenMissionsgesellschaft (RMG ) in der Herero- und Batakmission. Stand Juli 2021 p.5
7Mittheilungen und Nachrichten für die evangelische Kirche in Rußland begründet von Bischof Dr. E. E. Ulmann, gegenwärtig redigiert von J-Th. Helmsing, Oberlehrer in Riga, unter Mitwirkung der Pastoren: E. Kaehlbradnt in Neu-Pebalg, R. Räder in Goldingen, A.H. Haller in Reval u. A. 32. Band Neue Folge. Neunter Band. Jahrgang 1876. Riga 1876. Verlag von Brutzer & Comp., p.281
8Allgemeine Missions-Zeitschrift. Monatshefte für geschichtliche und theorethische Missionskunde. In Verbindung mit einer Reihe Fachmänner unter specieller Mitwirkung von D. Th. Christlieb, Professor d. Theologie zu Bonn und Dr. R. Gundemann, Pastor zu Mörz. herausgegeben von Dr. G. Warneck, Pfarrer in Rothenschirmbach bei Eisleben. Vierter Band. Gütersloh 1877. Druck und Verlag von C. Bertelsmann. p.12
9Mennonitische Rundschau. herausgegeben von der Mennonite Publishing Company, Elkhart, Ind. 21. Jahrgang 7, Februar 1900 No. 6, p.2
10Kröker, Abraham: Pfarrer Eduard Wüst, der grosse Erweckungsprediger in den deutschen Kolonien Südrusslands, Spat bei Simferopol, Selbstverlag, H.G. Wallmann Leipzig, Central Publ. C,. Hillsboro Kansas, 1903
11Dorothee Rempfer: Gender und christliche Mission; Interkulturelle Aushandlungsprozesse in Namibia und Indonesien. Global- und Kolonialgeschichte Band 11.Dissertation am Institut für Geschichte der FernUniversität Hagen. transcript Verlag, Bielefeld 2022. p.54
13Dr. Viktor Krieger: Verzeichnis der deutschen Siedler–Kolonisten, die an der Universität. Dorpat 1802-1918 studiert haben
14Evangelisches Missions-Magazin, Neue Folge. Herausgegeben im Auftrag der evangelischen Missionsgesellschaft von Dr. Hermann Gundert. Dreizehnter Jahrgang. 1869. Basel im Verlag des Missions-Comptoirs. In Commission bei J.F. Steinkopf in Stuttgart udn Bahnmaiser Verlag (E. Detloss) in Basel. Druck vomn E. Schulze. p.70ff
16Litsenberger, Olga, Evangelical Lutheran Church in the USSR in the 1930s (2007). Deutsche in Russland und in der Sowjetunion 1914-1941. Alfred Eisfeld, Victor Herdt, Boris Meissner (Hg.). Lit. Verlag Dr. W. Hopf. Berlin, 2007 p. 424
17Familienregister Blatt 7 der Gemeinde Korntal/Württemberg, Kopie freundlicher Weise überlassen von B. Arnold, Korntal
18Verzichtserklärung und Entlassung aus dem Württembergisschen Untertanenverband 9.6.1868, O.A. Kirchheim, Auswanderergesuche Bd. 69-71 1855-1890
Erste Mittheilungen von unserem Großvater Johannes Kludt. Aufgesetzt von meinem Bruder Wilhelm Kludt.1
Von unseren Urur- Großeltern ist nur so viel bekannt, daß sie ungefähr, zur Zeit des dreißig jährigen Krieges von dem Rheingegenden bei Köln nach Preußen auswanderten, und sich in der Gegend zwischen den Städten Schneidemühle, Bromberg und Gnesen in der Provenz oder Herzogthum Posen ansiedelten. Die nächsten Marktflecken waren Rogasen, Schönlank und Schocken. Sie waren evangelischer lutherischer Konfession, und redeten die blattdeutsche Mundart.
Sie hatten sieben Söhne und zwei Töchter, unter welchen unser Großvater Johannes Kludt, geboren 1743, ihr jüngstes Kind, ein Zwillingssohn, war. Als 12jähriger Knabe, wurde er eine Vater und Mutterlose Waise, wurde, und mußte von dem an bei Bauersleuten sein Brod mit Dienen suchen. Zur Zeit des siebenjährigen Krieges mußte er als Fuhrknecht bei den Rußen, der fürchterlichen Schlacht, bei Zorndorf, beiwohnen, wo er von einem rußischen Barbier, ein Rasiermesser noch kaufte.
Im Jahre 1773 trat unser Großvater mit der Großmutter Katharine, geborene Dreher, geboren in dem Dorfe Ninke, 6 Meilen2 von Posen und eine Meile von Rogasen, in den Ehestand, und nährte sich von Schafzucht und Handarbeit. Einer von den Brüdern des Großvaters starb ledig, und ein zweiter wurde Katholik, übersetze seinen Familien Namen ins Polnische: Grundschinski, zum großen Ärger, seiner Verwandten.
Nach Beendigung des siebenjährigen Krieges wanderten viele Deutsche nach Polen ein und ließen sich besonders in den Weichselgegenden nieder; und auch unsere Großeltern entschlossen sich endlich dazu, und ließen sich in der Gegend der Städte Wrozlawek, Konin und Rostositz nieder. Ihre Kinder waren der Alterfolge nach folgende. Martin, Michaelx), Johannes (mein Vater), Maria und Christoph. Sie starben, die Großmutter 41, der
x) Katharine
Großvater: 60 Jahre alt. Martin und Michael haben in Polen bei der Stadt Peterkau, ihre gekauften Landgüter und Christoph Schneider und Schullehrer bei der Stadt Kowol.
Mein Vater Johannes Kludt wurde nach seiner eigenen Angabe, im Dorfe Turke bei der Stadt Konin in Polen geboren den 3./15 April 1783 geboren und in Muchlin getauft. Sieben oder achtjährig, verunglückte er bei einer Wasserschlause. Wer ihn errettet hat, weiß er nicht, nur das er beim wiedererhaltenen Bewußtsein schon geretet war, und seine Mutter sehr weinte.
Da es bei seinen Eltern wegen mancherlei Unglücksfälle sehr armselig herging, so hatte es auch mein Vater sehr schwer, zumal in polnischen Dörfern und Wäldern, besonders was den Unterricht der Kinder anbelangt. Er lernte bei seiner Mutter nur nothdürftig lesen, besuchte im Winter 1795 auf 1796 die Schule in dem deutschen Dorfe, Sporse, und wurde 1796 in Groß Neudorf confirmiert. Nach der Confirmation erwachte in ihm ein besonderer Drang zum Gebet und weiteren Schulkenntnissen; Durch imsige Selbstübung brachte er es im Deutschen und im polnischen lesen und schreiben, bei seinen armen Verhältnissen
ziemlich weit, und war dazu auch noch so glücklich, ein kleines Rechenbüchlein, Pescheks Rechenschüler, zu bekommen, um sich auch im Rechnen zu üben. Siebenzehn Jahr alt, trat er bei einem Schneidermeister in die Lehre. Im zwanzigsten wurde er Schullehrer und diente als solcher von 1802 bis 1804 in Ladna, von 1805 bis ins 1811 Jahr in Lusche, von 1811 bis 1815 in Groß-Neudorf, und von 1815 bis 1819 in Lipin.
Im Jahre 1803 den 23. Nov./5. Dec. trat er in Ladna mit meiner Mutter Anna Maria, geb. Will, in die Ehe. Sie ist in Polen geboren, in einem Dorfe bei Konin den 23sten April 1787, und confirmiert 1801. Ihre Eltern waren: Adam Will und Anna Maria geb. Milbrat, wohnten auf ihrem Landgut Dombjer Hauland bei der Stadt Dombje. Sie war eine gottesfürchtige, da bei sehr ökonomische, und für das leibliche Wohl ihrer Kinder bedachte Frau.
In Folge von einer von der russischen Regierung an die Deutschen in Polen erlassenen Aufforderung und Privilegien, zu einer Ansiedlung in Bessarabien, wanderten mein Vater und noch vier andere Familien Reinke, Hirsekorn, Makus, und Död aus dem deutschen Dorfe Lipin bei der Stadt Kolo im Jahre 1819 nach Bessarabien aus, und übernahm dort so gleich, in der ersten Kolonie Leipzig, den dortigen Schuldienst. Allein da uns das bessarabische Clima gewaltig zusetzte, und wir alle erkrankten, so entschloß sich mein Vater mit seiner Familie wieder nach Polen zurückzureisen. Auf dieser Rückreise, im Herbste 1820 traf uns bei unsern kranken Umständen, noch das Unglück, beim Dorfe Karbun, durch das Umwerfen des Wagens fast alle verwundet zu werden, besonders die Mutter, die sehr beschädigt war, und so genöthigt wurden, in Keschinoff zu bleiben. Unser Vater übernahm dann, in Folge diesem Unfalle, bei dem damals daselbst wohnenden Fürsten Kontagusin, eine Gärtnerstelle, die ganz nah bei dem, bei der Stadt liegenden Dorfe Durlest, ist; wo wir
sich alle von unseren kranken Umständen bald erholten.
Nach einem Jahre wurde der Garten verkauft, die Fürstliche Familie zog auf ihre Güter bei Magilleff, und mein Vater übernahm daher 1822 und 1823 die Gärtnerstelle des Obersten v. Stamo im Dorfe Horest. 1824 übernahm er die Gärtnerey in Galbin.
1825 die Schulstelle in Katzbach; 1827 bis 1834 verwaltete er die Schulstelle in Töplitz, und von 1834 bis 1839 wieder die Schule in Katzbach, und zog dann wieder zurück nach Töplitz, zu meinem Bruder August Kludt, welcher indessen die dortige Schulstelle angenommen hatte.
Wilhelm Kludt
Nachtrag zu dem vorstehenden Aufsatz meines l. Br. Wilhelm Kludt.
Diese, meine lieben Eltern, denen ich nächst Gott mein Leben und so unzähliges Gute zu verdanken habe, führten und hatten, besonders in ihren letzten Jahren ein etwas unstätes Leben, und hatten es daher, manchmal recht schwer. – Sie verließen 1939 Katzbach, – sich in den Ruhestand begebend, – und kamen und wohnten bei mir in Töplitz, zehn Jahre weniger zwei Monate, und zogen nachdem 1848 zu meinem Bruder Wilhelm in II. Malojaroslawetz. Hier aber erkrankte bald darauf meine Mutter Anna Maria Kludt geb. Will, an einer Art Lungensucht und starb den 19ten Oktober 1848, im Alter von 64 1/2 Jahren, und wurde den 22sten Octob. Nachmittags von Pastor Pingoud beerdigt. Sie hatte den Heiland schon seit längerer Zeit gesucht und kennen gelernt, und liebte ihn sehr, und so auch Jedermann; besonders aber war sie gegen ihre Kinder, eine gar zärtliche liebende und um sie besorgte Mutter. Der Herr vergelte ihr alles im ewigen Leben. In ihrer letzten Krankheit hatte sie manche schwere Anfechtungen von der Macht der Fensterniß in ihrem Innern durchzumachen und klagte mir ihre Trostlosigkeit; ich suchte sie zu beruhigen und zu trosten so gut ich wußte und konnte. Ich mußte ihr dann das14te Kapitel Johannes
vorlesen, was sei mit rechter Gespanntheit anhörte; und der Herr schenkte ihr in Gnaden wieder Trost und Frieden, und ging so, als eine gebeugte Sünderin im Glauben an den Herrn Jesum, still und sanft, in die ewige Heimath.
Von 1851 bis 1854 wohnte der Vater dann wieder,
als Witmann, alleine bei uns in Töplitz, und zog nach diesem wieder von uns, bis er 1857 wieder zu uns kam, aber auch nicht wieder auf eine lange Zeit, – sondern er kehrte noch einmal wieder zurück zu meinem Bruder Wilhelm in II. Malojaroslawetz. Jetzt erkrankte er nach einigen Wochen an einer sehr schmerzlichen Wassersucht, die von Zeit zu Zeit immer mehr zunahm und ihm so nach als sein letztes Läuterungsfeuer zu seinem Ende dienen mußte. Er war erweckt, liebte das Gute, und suchte oft mit Eifer und Ernst die Beförderung des Reiches Gottes nach seinen Ansichten, die manchmal gerade nicht die richtigsten waren; – und schadete sich selbsten damit, besonders durch seine lieblings Idee, von der Zukunft Christi, und den unsichtbaren und zukünftigen Dingen. Er sahe nun mit Schmerzen ein, daß er sich öfters geteuscht hatte. Er starb im kindlichen Glauben an Jesum, den 29sten März 1862, und wurde den 31 März von Pastor Pingoud beerdigt, im Alter von 79 Jahren. Beide Eltern ruhen nun dicht nebeneinander auf dem II. Malojarosl. Friedhofe, dem großen Tag der Auferstehung entgegenharrend.
Ach es wär zum weinen Wenn kein Heiland wär, Aber sein erscheinen, Bracht den Himmel her.
geboren den 16. Mai 1807 in Polen in Lusche, confirmiert 1823 den 22. März in Sarata. verheiratete sich den 18. Juli 1827, mit Susanna geb. König in Polen den 10. Decemb. 1811
Er übernahm 1826 die Schreiberstelle in Katzbach, 1827 und 1828 die Schreiberstelle in Krasna, 1829 und 1830 die Schulstelle in II. Ferechampenaise, 1831 und bis 1833 die in I. Malojaroslawetz, und von 1834 an übernahm er die Schulstelle in II. Malojaroslawetz, wo auch unsere ganze Kluds-Familie als Mitbürger eingetragen sind.
Wilhelm Kludt´s Kinder :
1) Christina, verehelichte Sannewald, geboren in I. Malojarosl. d. 28. Octob. 1831 2) Samuel geb. in II. Malojar. d. 5 Decemb. 1833 3) Louisa, den 25. Decemb. 1835
4) Eva Rosalia, verehel. Sannewald gebren. den 5. Januar 1838 5) Gotthilf Friedrich geb. d. 23. Sept. 1840; gest. in Amerika 6) Susanna geb. d. 3. April 1843 gest. 5/4 1843 7) Wilhelmine geb. d. 13 April 1844 gest. 4/11 1845 8) Gottlob Michael geb. d. 6. Juli 1846. gestorb. 9) Dorothea geb. d. 21. März 1849 gest. 27/6 1850 10) Jacob geb. d. 10. Juni 1851. gest. d. 15/6 1851 11) Gotthold geb. d. 12. Novemb. 1852 12) Emilie geb. d. 20. Nov. 1854 gest. 1856 13) Adolph geb. den
Carl Wilhelm Kludt II. Malojaroslawetz den 30. Mai 1856
II. Friedrich August Kludt. geboren den 1. Juni 1811 in Lusche bei der Stadt Dombje in Polen, wurde mit meinem Bruder Wilhelm den 22sten März 1823 in Sarata von Pfarrer Lindl confirmiert, und habe von jener Zeit an, einen bleibenden und gesegneten Eindruck behalten. Ich hatte die Wohlthat zu geniessen, von meiner Kindheit an bis in die Jünglingsjahre, im väterlichen Hause zu sein, nur daß ich, leider im eigentlichen keinen Schuluntericht hatte, als nur den Häuslichen, neben der Schule meines Vaters. welchen Mangel ich oft füllen mußte. – denn meine Eltern lebten meistens in nicht überflüßigen Umständen, und konnten daher nicht viel für mich verwenden, zudem für meinen Bruder Wilhelm seine Weiterbildung gesorgt werden muste, und man mich auch zu Hause nothwendig brauchte. Von 1831 bis 1832 übernahm ich die Schreiberstelle in I. Malojaroslawetz, und kam dann wieder zu Hause nach Katzbach. Von 1834 bis 1835 machte ich, besonders durch Betreibung meiner lieben Mutter, eine Besuchsreise zu unseren Verwandten in Polen
und nach Deutschland, in die Herrenhutter Brüdergemeinde Gnadenberg, Niske, Kleinwebke, Herrenhut und Bethelsdorf, – die für mich von großem Nutzen war. –
Von 1835 bis 1836 wurde ich durch Betreibung meines Bruders Wilhelm, – dem ich viel zu verdanken habe, in Befärderung was Bildung
anbelangt, – der Heer vergelte es ihm, – Schulgehülfe oder Proviser in Großliebenthal, was mir in Schulsachen sehr zu nutzen kam. Vom 23sten April 1836 an mußte ich auf betreiben der Gemeinde Töplitz ihre Schulstelle übernehmen, die ich auch bis 1879, bei mancher Schwäche, Noth und Anfechtung, durch Gottes Gnade besorgte, aber auch dabei manchen Genuß des Guten und der Freude erfahren durfte. In diesem Jahre 1836 den 5ten Juni verehelichte ich mich mit meiner lieben Gehilfen Eva Katharina geb. Hägele. Sie wurde den 15ten November 1819 in einem kleinen Dorfe Hahnweiler bei der Stadt Wennenden, geboren in Würtemberg. Ihre Eltern waren: Johann Conrad Hägele, und dessen Ehefr. Eva Katharine geb. Schäfer. Sie hatten sich in Deutschland, wohnend bei den ziemlich vermögenden Schwiegereltern in Hahnweiler, Ulrich Schäfer und dessen Ehefr. Eva Katharine geb. Fischer, mit der Schneiderey ernährt, und wanderten 1830 nach Rußland ein, wo sie sich in der Kolonie Gnadenthal niederließen. Meine Schwiegermutter Katharine Hägele hatte den Unfall gehabt, in ihren Jugendjahren, an einem Beine zu erlahmen, und mußte daher Krücken gebrauchen, bis an ihr Ende; was ihr freilich viele Beschwerden verursachte, aber ihre schöne Gestallt, besonders ihr christlicher Sinn und bescheidenes freundliche Benehmen machte sie allgemein beliebt. Im Jahre 1831 starb sie an der Cholera, im Alter von 33 Jahren. Mein Schwiegervater Conrad Hägele wurde im November 1798 in Nelmerßpach in Würtemberg geboren. Seine Eltern waren Christian Hägele, und dessen Ehefr. Johanna. Er hatte folgende Geschwister: Einen Bruder Namens: Christian, und zwei Schwestern: Sara, und Anna Maria. Er war, wie sein Vater ein Schneider. Nach dem Tode seiner Frau, verehelichte er sich zum zweiten Mal, mit Katharine geb. Frick, von der er
folgende Kinder hatte: Friedrich, Christian, Johannes, Adam, Johanna Bizer, Louisa Käß, Christina Ridliger, Maria Wagner. Auch diese Frau starb ihm, und er verheirathete sich zum dritten Mal, mit Louise geb. Häcker, von der noch die Tochter Friederika vorhanden ist. Er selbsten starb etwa im Jahre 1856.
Meine Frau war das einzige Kind der ersten Frau meines Schwäers, Eva Katharine geb. Schäfer und wurde von derselben gar sorgfältig auferzogen, mit dem imsigen Anhalten des Schulbesuchs, dessen Untericht sie noch in Deutschland zu genißen hatte. Aber nach dem Tode dieser lieben Mutter, der gleich im anderen Jahre der Einwanderung erfolgte, fiel die ganze Last der Haushaltung auf sie, als einem 12jährigen Mädchen, und Noth aller Art, bittere Armuth, Krankheiten, später dazu auch noch dazu großer häuslicher Druck, von der Stiefmutter, wechselten miteinander, bis sie durch die Führung des Herrn, mit ihrer Verheiratung, davon befreit wurde. Die Veranlassung bei mir, ihr den Antrag zum Heirathen zu machen, war die Antwort des Herrn auf mein inniges Flehen zu Ihm: Joh. 14, 27, „den Frieden lasse ich auch, meinen Frieden geben ich euch. Nicht gebe ich euch wie die Welt giebt, Euer Herz erschrecke nicht, und fürchte sich nicht.“ – Der Herr hatte jetzt geholfen und die Noth war gehoben, aber des ungeachtet hat Er uns dennoch so manchen Denkstein Seiner Errettung von Noth und Tod gesetzt, besonders bei einigen schweren Geburten, und einigen schweren und tödlichen Krankheiten. Lauter Beweise Seiner Gnade, daß Er uns nicht nur hier Gutes thun, sondern auch selig haben will. – und Gottlob! wir haben Ihn kennen und lieben gelernt, Seine Gnade an uns ist nicht vergeblich gewesen. – O möchte sie sich an allen, uns geschenkten lieben Kindern, so mächtig beweisen, an einem Jedem ins Besondere, daß wir alle, als ein Lohn Seiner Schmerzen einst rühmen könnten: „Siehe Herr, hier bin ich und die Du mir gegeben hast.“ –
Unsere Ehe ist reichlich gesegnet worden mit 16 Kindern, von denen 2 tod geboren sind, und hier folgen; alle sind in Töplitz geboren:
Johannes den 14ten September 1837.
Samuel Jacob den 3. Februar 1840.
Friedrich August den 15ten December 1841.
Sophia Katharina den 31ten October 1843
Immanuel Heinrich den 13ten October 1846. Ein todgeborener Knabe den 2ten Januar 1849.
Benjamen den 23. Februar 1850.
Reinhold Wilhelm den 14. April 1852.
Maria Salome den 12. October 1853.
Johanne Friederika Amalia den 7ten Novemb. 1855. Ein todgeborener Knabe den 1856.
Caroline Elisabeth den 17ten Januar 1858.
Gotthilf den 27ten Februar 1860.
Carl Immanuel den 19. August 1861.
Woldemar den 11. August 1862.
Gotthilf den 2. Januar 1868.
davon sind gestorben:
Amalia den 15. Juni 1858. 3. Gotthilf den 19. Juni 1861.
Caroline den 27. Decemb. 1859. 4. Gotthold den 7. Januar 1870.
Lebensende der lieben Mutter in Friedensfeld
Hier in Friedensfeld erkrankte unsere liebe theure Mutter, nach manchen vorhergehenden Unpäßlichkeiten und Krankheiten, zu Ostern 1890, aufs Neue, an sehr schmerzhaften Magen- und Urinbeschwerden, so daß sie oft 4-5 Tage lang keinen
Stuhlgang und Urinlassen hatte, und nur durch verschiedene Purigiermittel und Operationen wieder in den Gang kam. Zu diesen Leiden verbunden mit Gichtkrämpfen, erhielte sie noch zuletzt, einen sehr starlen brennenden braunrothen Friedel, der erst am fünften Tage etwas abtrocknete. Sie fühlte sich dann wie etwas besser und leichter, so daß sie nmanchen Tag einpaar Stunden auf war, nach unserer Wäsche nachsahe und andere Hausbedürfnisse anordnete, bei mir. So war sie noch am 4ten Juli etwas auf, küßte und drückte mich, mit dem Bedauren, daß ich so viele Arbeit und Mühe mit ihr haben müßte. Ich etgegnete ihr: Mir ist noch kein Gedanke gekommen, daß mir dein Kranksein zuviel oder lästig wäre, wenn es auch noch zwei Jahre dauerte, wenn Du nur nicht stirbst, – Sie antwortete: Aber siehe, ich bin schon schwach und elend, mir selbst und Anderen zur Last, für mich ist sterben das Beste. – Noch am Abend desselben Tages war sie auf, und hielten miteinander unsere Abendandacht. Ich las einen Aufschlag aus Hillers Liederkästlein und betete, und sie betete dann auch; indem sie sich als eine arme Sünderin, in das Erbarmen Jesu hineinwarf. – Wir gingen dann ganz gemüthlich beide zu Bette. Sie war ruhig und klagte nichts. Uum 2 Uhr Morgens, sagte sie zu mir, ich solle aufstehen, und meinen dicken Rock auf die Bettdecke noch legen, sie könne gar nicht warm werden, udn war dann wieder ganz stille, nach dem ich den Rock auf sie gelegt hatte. bis gegen 4 Uhr hörte ich auf einmal wie einwenig röchlen oder schnarchen. Ich rief ihr sogleich, aber sie gab keine Antwort mehr, sie war schon im Abscheiden. Ich eilte
sogleich den Samuel und seine Leute zu rufen, und wie sie kamen dauerte es nur noch einpaar Minuten, und sie hatte ihr Leben ausgehaugt. – Das war den 5ten Juli gegen 4 Uhr Morgens 1890. Am 7ten Juli Abends wurde die Mutter von dem hiesigen Schullehrer Enßle beerdigt. Er eröffnete die Leichenfeier mit einem schönen mehrstimmigen Gesange, und las eine wichtige Leichenrede, über Luk. 12,41- 44 – „Der Herr aber sprach: Wie ein großes Ding ist es um einen treuen und klugen Haushalter, welchen der Herr jetzt über sein Gesinde, daß er ihnen zu rechter Zeit ihre Gebühr gebe.
Selig ist der Knecht, welchen sein Heer findet also thun, wenn er kommt. Wahrlich, ich sage euch, er wird ihn über alle seine Güter setzen.“
Die ganze Leichenfeier wurde dann wieder mit einem mehrstimmigen Gesange geschloßen. – Die Mutter hatte ihren irdischen Lauf vollendet im Alter von 70. Jahren 7 Monat und 20 Tagen: war
[hier endet die Aufzeichnung leider]
1Abschrift in der originalen Rechtschreibung, Akte DAI, R57 1405 Bundesarchiv
Herr Lehrer Chr. Schaab, ein unermüdlicher Sammler von Materialien zur Geschichte unserer Wolgakolonien, hat in der Kolonie Pfeiffer3 interessante Familienpapiere bei dem Kolonisten Michael Herrmann entdeckt, die der Urgrossvater seiner Frau Magdalena, Valentin Conradi, bei seiner Einwanderung nach Russland mithereingebracht hat und die bis zur jetzigen Stunde in der Familie wie ein Heiligtum aufbewahrt werden. Wenn doch in allen unseren Kolonistenhäusern die von den Voreltern zurückgelassenen alten Papiere so teuer und so wert geachtet worden wären! Wieviel wertvolle Beiträge wären das für unsere Kolonial- und die Familiengeschichte jetzt, wo wir mit fragenden Blicken zurückschauen nach den vergangenen Zeiten, wo unsere alten Väter gelebt, gewirkt und gestrebt, geduldet und gelitten haben! Allein wie unverständig ist man oft mit solchen alten und oft gar kostbaren Familien- und Gemeindepapieren umgegangen. Wurde uns doch in einer Kolonie erzählt, wie man daselbst noch Anfang der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts im Kolonieamt um das Stammbuch der Kolonie herumgesessen und darin gelesen habe, woher die eingewanderten Väter gewesen seien, was sie an Vorschuss und Unterstützung in Russland bekommen, und dergl. mehr, dass man dann aber alle alten Papiere, auch das Stammbuch, verbrannt habe, um den neuen Aktenbündeln Platz in dem enggewordenen Gemeindeschrank zu machen. Aehnlich handelte man auch in einer anderen Kolonie: um ebenfalls im Gemeindeschrank Platz zu machen, warf man in den achtziger Jahren die alten Papiere heraus und papierarme Leute griffen rasch darnach, zerschnitten sie in lange Streifen und beklebten damit im Herbst ihre Fensterrahmen. Und wiederum in einer Familie wurde uns auf unsere Frage nach etwaigen alten Familienpapieren geantwortet, dass vom Grossvater wohl ein dickes, vollgeschriebenes Heft nachgeblieben wäre, dass es an ein Tagebuch erinnert und man auch früher noch als Schüler darin gelesen habe aber es sei, „allmählich so verrissen gange.“ Verbrannt, zerrissen, zerfetzt! Wie wehe tut’s einem so etwas hören zu müssen. Doch nicht alle handeln so unvernünftig. So werden z. B. in der Familie Lippert in Katharinenstadt für die Geschichte unserer Kolonien gar wertvolle Aufzeichnungen alter Kolonistenväter aufbewahrt. Herr Pastor Kufeld hat einen Teil dieser sogenannten „Lippertschen Manuskripte“ im „Friedensboten“ 1900 Nr. 10-12 veröffentlicht. Ebenfalls hat Pastor Kufeld die Aufzeichnungen eines alten Schulmeisters Möhring im „Friedensboten“ 1901 Nr. 4 und 5 zur allgemeinen Kenntnis gebracht. Leider fehlen mehrere Blätter mit den Aufzeichnungen aus den Jahren 1709 -1774 (Diese sogenannte „Möhringsche Chronik“ wurde Herrn Pastor Kufeld von einem seiner Gemeindeglieder verehrt).
Auch das frühere Dumamitglied, Herr J. Dietz in Kamyschin, ist im Besitz von Aufzeichnungen des Schulmeisters Bath, die er im Titteler Kirchspiel aufgefunden, deren erster Teil bereits in der „Volkszeitung“ (1906 Nr. 7-9) veröffentlicht ist und deren zweiter Teil nun nächstens folgen wird. Ebenso sollen sich alte Dokumente im Besitz zweier Männer in Boaro und in Gnadenflur befinden. Und wie viele Dokumente werden doch hoffentlich sonst noch still auf bewahrt! Lasst sie uns doch veröffentlichen! Abgesehen davon, dass sie einen allgemeinen Wert für unsere Kolonialgeschichte haben, lässt sich aus ihnen gar oft auch noch eine kleine Familiengeschichte erschliessen, wie aus den eingangs erwähnten Conradi´schen Familienpapieren in Pfeiffer.
Wie bereits gesagt, werden diese Conradi´schen Familienpapiere von dem Kolonisten Herrmann aufbewahrt. Es sind sechs Dokumente:
1 und 2) die Taufscheine des Valentin Conradi7 und seiner Frau Anna Maria geb. Menger8, lateinisch und deutsch. 3) Der Trauschein der beiden Eheleute, ebenfalls lateinisch und deutsch.9 4) Bescheinigung des Amts- und Gerichts-Schultheissen des Fleckens Weissenau bei Mainz, vom 24. Dezember 1765, dass Anna Maria Menger keine Leibeigene, sondern ehrlicher Bürgerleute Kind sei. 5) Reisepass für Valentin Conradi zu seinem Bruder nach Prag, herausgegeben am 14. Dezember 1765 von der hochfürstlich Würzburgschen Regierung des Adam Friedrich, von Gottes Gnaden Bischof zu Lamberg und Würzburg usw., usw., usw.10 6) Ein deutsches Flugblatt, herausgegeben im Winter 1765 auf 1766 von dem russischen Kommissar in Frankfurt a. M, in welchem sowohl die grossen Vorteile, sich als Kolonist für Russland anwerben zu lassen, als auch die Saratowschen Steppen als ein wahres Paradies, fast so schön wie das südliche Frankreich, angepriesen werden: Ströme und Flüsse seien voll Fische, Vieh und Geflügel spottbillig, das Gartengewächs ebenso wohlfeil, Rettige und Zwiebel sehr gross, ein Rettig wiege bis 10 Pfund und koste 2 Pfg. Auch gebe es daselbst viele Weinberge, der Wein sei süss und das Viertel koste 10 Kreuzer Auch Rosinen und Feigen seien wohlfeil. Der Spargel aber wachse wild wie Unkraut auf dem Acker, und so fort in diesem Tone.
Ferner gehört zu diesen Familienpapieren auch noch eine silberne Denkmünze aus dem 17. Jahrhundert, in der Familie das „Schaustück“ genannt, 9 Lot schwer, auf der einen Seite ein Stadtwappen, auf der anderen eine Kirche darstellend. Die Inschriften sind lateinisch.
Und schliesslich soll unter diesem ganzen Familienschatz sich auch noch eine gedruckte Schrift über Einwanderung der Kolonisten, Gründung und erste Zeit der Kolonien befunden haben; doch im Jahre 1885 sei die Schrift entwendet worden.
Die aufbewahrten Conradi’schen Familienpapiere machen es uns möglich, unter Benutzung anderweitigen kolonialgeschichtlichen Materials eine kleine Familiengeschichte des einst in Pfeifer eingewanderten Valentin Conradi zusammenzustellen, die also lautet:
Randersacker in alter Ansicht5
Valentin Conradi, der Sohn des katholischen Bürgers Lorenz und seiner Ehefrau Margaretha aus dem Dorfe Randersacker in der Nähe der Stadt Würzburg im heutigen Bayern, war 1737 geboren. Als er herangewachsen war, erlernte er gleich seinem älteren Bruder das Bäckerhandwerk und begab sich nach damaliger Sitte nach beendigter Lehrzeit auf die Wanderschaft, um sich in der weiten Welt etwas umzusehen und im Dienste bei verschiedenen Bäckermeistern sich in seinem Handwerk zu vervollkommnen. In die Heimat scheint er erst im Alter von 28 Jahren, also 1765, wieder zurückgekehrt zu sein. Der Vater muss allem nach schon gestorben gewesen sein; der Bruder aber lebte im Oesterreichischen in der Stadt Prag als Proviantbäcker. Nun denkt auch unser Valentin daran, sich einen eigenen Herd zu gründen.
Christian Georg Schütz d. Ä. (1718-1791) Ansicht der Kirche in Weisenau im Süden von Mainz, 17856
In Anna Maria Menger, einem elternlosen und vereinsamt dastehenden Bürgermädchen aus dem Marktflecken Weissenau bei der Stadt Mainz, findet er eine Lebensgefährtin. Am 10. Dezember 1765 lässt er sich mit seiner um 7 Jahre älteren Braut in Würzburg trauen. Wohl meldet uns eines der Familienpapiere von der Absicht, sich in Randersacker niederlassen zu wollen. Aber die anderen erzählen uns, wie er schon 4 Tage nach der Trauung am 14. Dezember sich einen Reisepass nach Prag zu seinem Bruder besorgt und am 24. Dezember desselben 1765. Jahres auch noch ein Attestat für seine junge Frau des Inhalts, dass sie eine freie Person, freier Bürgersleute Kind und keines Herrn Leibeigene sei. Nach 6 Monaten steht er schon auf russischem Boden als Kolonist. Dieses aber setzt voraus, dass er sich im Frühjahr 1766 als Kolonist gemeldet hatte. Wahrscheinlich war der junge Mann schon auf seiner Wanderschaft mit dem verlockenden Manifest der russischen Kaiserin Katharina II bekannt geworden, halte die alleinstehende Anna Maria Menger gewonnen, als seine Lebensgefährtin mit ihm das Glück im fernen Russland zu suchen und dort ein Heim zu gründen, war sodann mit derselben nach seinem Heimatsdorf Randersacker zurückgekommen, um sich mit ihr trauen zu lassen und die zu der fernen Reise nötigen Familienpapiere zu besorgen, machte möglicherweise auch einen Abschiedsbesuch bei seinem Bruder in Prag und meldete sich alsdann im Frühjahr 1766 bei dem russischen Kommissar in Frankfurt a. M., wo kürzlich erst eine Werbestation eröffnet worden war, für den russischen Kolonistenstand. Von hier wird er zusammen mit vielen anderen angeworbenen Kolonisten hinüber nach der Fulda gebracht, fährt auf diesem Flusse und der Weser stromabwärts und gelangt nach Durchquerung der Lüneburger Haide über Hamburg nach der Stadt Lübeck an der Elbemündung.
Wanderwege von Frankfurt/Main bzw. Roßlau/Elbe über Lübeck, Häfen und Wanderweg nach Pfeifer/Wolga. Die Angaben der Entfernung sind gerundete Werte (google maps2)
Lübeck war damals der Hauptsammelort für alle in Westdeutschland angeworbenen Kolonisten, denn dort trafen auch die Kolonistenzüge aus Roslau an der Elbe ein, während die Kolonistenzüge aus dem östlichen Deutschland und aus Polen über die Stadt Danzig gingen. Dass nun Valentin Conradi sich einen Pass nach Prag ausstellen lässt und ein Attestat für sein junges Weib, dass sie ein freies Bürgerskind sei, wird uns verständlich, wenn wir beachten, was in dem eingangs erwähnten Artikel „Kolonistenzüge in Anhalt“ gesagt ist, nämlich, dass die deutschen Landesregierungen das Fortlocken ihrer Leute nach Russland keineswegs wohlwollenden Auges sahen und deren „Wegzug gerne Schwierigkeiten in den Weg legten: auch dass die russischen Kommissare sich hüten mussten, den Regierungen vor den Kopf zu stossen oder gar Leibeigene ohne Erlaubnis- oder Losschein ihrer Gutsherren als Kolonisten anzunehmen.*)
Grosse Scharen von Männern und Weibern, Burschen und Mädchen, Alten und Kindern strömten wohl damals in der freien Stadt Lübeck zusammen. Ein sorgloses Leben konnten sie hier führen: erhielten doch die Männer täglich zum Unterhalt 15 Kop. S., die Frauen und die erwachsene Jugend 10 K. S. und die Kinder je 6 Kop. S., ein für jene Zeit reichliches Tagegeld. Hat man es schon hier so gut, wie herrlich wird es erst in Russland sein, denkt da so mancher und die Flugblätter, die alles so paradiesisch schön an der Wolga ausmalten, werden die Armen nur noch mehr in ihrem Wahn bestärkt und immer neue Scharen angelockt haben. Endlich ging es auf die Schiffe. Valentin Conradi und sein Weib kamen auf ein Lastschiff, genannt „der Löwe.“ Ihre übrigen Reisegefährten waren alles Leute aus den Rheinländern: Katholiken, Lutheraner und Reformierte – eine grosse Schar von 414 Personen. Ein Schneider aus Laubach, Joh. Philipp Stiel mit Namen, war Vorsteher. Er führte die Aufsicht über die Leute, durch ihn liess der Führer dieses Transports oder Kolonistenzuges, der russische Leutnant Fedor Fedorow, auch die Tagegelder auszahlen.
Im Juli 1766 kam Conradi’s Schiff bei Oranienbaum, in der Nähe Petersburgs, an. Erst nach fast einem ganzen Jahre gelangte Conradi’s Trupp auch in Saratow an, nachdem man im innern Russland überwintert hatte. Hier in Saratow erhält Conradi mit den andern vom Kontor 25 Rbl. Vorschuss, 2 Pferde, 1 Zaum und 1 Seil von 5 Faden Länge.11 Alsdann ging es in eine endlose Steppe hinein.
Der 15. Juni 1767 ist der Gründungstag der Kolonie Pfeifer, denn an diesem Tage kam Conradi mit vielen andern seiner Glaubensgenossen an der Stelle an, wo heute diese Kolonie liegt. Hier gründete er mit seinem Weibe sein neues Heim. Noch im selbigen Jahre riss er anderthalb Dessjatinen Steppenland mit seinen 2 Pferden um, um im nächsten Frühjahr den ersten Samen auszustreuen. Hier wartete er nun auf das Glück, von dem er in der alten deutschen Heimat geträumt. Doch es liess auf sich warten Ein schweres Leben war es, die ersten 30 Jahre. Die Alten haben es erzählt, Tränen schossen ihnen dabei in die Augen Und oft dachte man an die liebe alte deutsche Heimat. Man hatte sie so leichtsinnig verlassen. Um so teurer wurde einem das, was man noch aus derselben in dies Elend mitgebracht hatte. Für Valentin waren es seine Familienpapiere, war es seine silberne Gedächtnismünze, war es auch das Flugblatt, ein Wechsel an die russische Regierung, den sie nicht einzulösen vermochte.
*) Man kann also mit ziemlicher Sicherheit behaupten, dass der leibeigne Bauer Deutschlands von der Auswanderung nach Russland ausgeschlossen blieb und dass die grösste Anzahl der Kolonisten Handwerker gewesen sind, Ackersleute aber nur insofern, als sie freie Bürger kleiner Flecken und Dörfer gewesen sind.
1Frankfurter Blätter für Familien-Geschichte : süddeutsche genealogische Monatshefte / hrsg. von Karl Kiefer. Frankfurt, M. : Englert & Schlosser, 1908 – 1914, Jahrgang 2, September 1909, Heft 9, „Von den Deutschen Kolonien an der Wolga“ p.142-144
7 Pfarrtaufe: Taufschein vom 18.07.1737 Ioannes Valentin Conradi, Sohn der rechtmäßigen Ehegatten Laurentius und Margaretha Conradi. Als Paten fungierten die Ortsbewohner Valentin Reichert und Jacob York. Ausgestellt mit persönlicher Unterschrift und Siegel von Randersaker 22.12.1765
8 Pfarrtaufe am 7. Mai 1730 nach katholischem Ritus von Anna Maria, Tochter der rechtmäßigen Ehegatten Jakob und Maria Elisabeth Menger. Die Patin war Anna Maria Roth. Ausgestellt, signiert und gesiegelt in Weisenau am 9. Oktober 1764.
Abschrift des Dokuments AndI, Dokument im ГАСО, upload Elena Diesendorf, Forum zur Geschichte der Wolgadeutschen
9 Urkunde über die Hochzeit von Pater Emmert am 30.11.1765 von Johann Valentin Conradi mit Anna Maria Menger. Die Hochzeit fand in der Kirche St. Andreas in Herbipoli statt [Herbipoli lat. Würzburg]
Abschrift des Dokuments AndI, Dokument im ГАСО, upload Elena Diesendorf, Forum zur Geschichte der Wolgadeutschen
10 Reisepass ausgestellt für Valentin Conradi für eine Reise zu seinem Bruder nach Prag. Von Gottes Gnaden, wir Adam Friedrich Bischof zu Bamberg und Würzburg , des Heil. Röm. Reichs Fürst und Herzog zu Franken, etc. ersuchen hiermit männiglichen Stands-Würden nach respective freund-und gnädigst, den Untserigen aber ernstlich befehlend, Sie wollen Vorzeiger dieses Valentin Conradi Bürger und Bäckermeister zu Randersaker ohnweit Würzburg wohnhaft, welcher von hier (allwo Gott Lob! Noch reine und gesunde Luft ist) umher Eger, so dann umher Prag zu seinem Bruder einem Proviant Becker zu verreisen entschlossen, aller Orthen sicher, frei und ohngehindert nicht allein paß- und repassieren lassen-( последнее слово затерто ) Auch zu sicherer schleuniger Fortkommunalen guten beförderlichen Willen beweisen: Das seynd Wir um einen jeden nach Stands- zu erkennen erbithig, die Unserige aber vollziehen hieran Unsern gnädigst- befehlenden Wen. (слово переклеено печатью) in unserer Fürstlichen Regierungs-Stadt Würzburg den 14 Decembris 1765 HochFürstlich Würzburgische Regierung Graf von Seinsheim 1755-1779
Abschrift des Dokuments AndI, Dokument im ГАСО, upload Elena Diesendorf, Forum zur Geschichte der Wolgadeutschen
11 Igor Pleve, Einwanderung in das Wolgagebiet 1764-1767; Band 3 Kolonien Laub – Preuss, p382, Nr. 20
Konrad Valentin, 28, kath., Bäcker aus Würzburg Frau: Anna Maria, 37 in der Kolonie eingetroffen am 15.6.1767 erhalten vom Vormundschaftskontor inSaratov 25 Rbl., 2 Zäume, 5 Sazen` Seil, 2 Pfd. 1768 gab es in der Wirtschaft 2 Pfd., gepflügt: 1,5 Des.
Nach Mitteilungen unseres Abonnenten Herrn Lehrer Schaab in Pfeifer.1
Auf Grund eines Manifestes der Kaiserin Katharina II., Schwester Friedrichs von Anhalt-Zerbst wurden in den Jahren 1764-67 durch Kommissare in Deutschland Kolonisten zur Ansiedlung an der Wolga geworben. Ein damals verbreitetes Flugblatt hat folgenden Wortlaut:
„Avertissement. (1765) Nachdeme es ohnehin schon offenkündig ist, dass alle und jede Ausländer, welche sich vermöge des Allerhöchsten Russisch-Kayserlichen Manifests de dato Peterhof den 22ten Julii 1763. in dem Russischen Reiche niederlassen, und insonderheit bey dem Anbau fruchtbarer, aber noch uncultivirter Ländereyen, eine gute und reichliche Nahrung suchen wollen, von den Russisch-Kayserlichen Gesandtschaften durchgängig die willfährigste Aufnahme und Förderung zu gewarten haben: So dienet hiermit weiter männiglich zur Nachricht, dass nunmehro auch die Anstalt ist getroffen worden, dass selbigen sofort nach ihrer Ankunft und Anmeldung in Franckfurt bey dem Russisch-Kaiserlichen Commissario, nachstehende Vortheile angedeyen sollen: Erstlich, empfängt eine völlig erwachsene Manns – Person sechszehn Kreutzer, eine Weibs – Person zehn Kreutzer, ein herangewachsener Sohn oder Tochter, jedes gleichfalls zehn Kreutzer, und ein Kind, ohne Unterschied des Geschlechts, sechs Kreutzer Reichsmünze, zum täglichen Unterhalt, welches für eine gantze Familia etwas nahmhaftes ausmachet. Zweitens, wird in Franckfurt für ihre gemächliche Einquartierung, bis zur Zeit ihrer Abreise von hier nach Lübeck Sorge getragen, und noch zur Erleichterung der Reise von Frankfurt bis Lübeck für die Weiber und Kinder samt denen bey sich habenden Sachen ein Fuhrwerk verschaffet. Drittens, wird in Hamburg und Lübeck gleichergestall nach aller Möglichkeit für ihr Unterkommen gesorget, und zur Bestreitung des Quartiergeldes und ihrer übrigen Bedürfnisse, werden ihnen vorbemeldte Taggelder bis zu ihrer Einschiffung nach Russland, immer richtig abgereichet Viertens, wird für die gehörige Verproviantierung der Colonisten auf der Reise zu Wasser, Sorge getragen, und ihnen der Proviant ins Schiff geliefert. Fünftens, wann eine genügliche Anzahl solcher Colonisten in Lübeck beysammen ist, wird zu ihrer Ueberfahrt nach Russland ein eigenes Schiff, das sonst keine andere Ladung bekommt, bedungen; und da sich für eine jede Familie nicht gleich ein besonderes Schiff betrachten lasset, so dörfen die in Lübeck ankommende Colonisten daselbst nur so lang verziehen bis ihrer sich so viele gesammelt haben, dass sie ein eigenes Schiff besetzen können. Schliesslich ist noch zur Nachricht anzufügen, dass die Transports von hier nach Lübeck gegen die Mitte des Monat Mertzen anfangen, und gegen den 15ten Septembris aufhören, in welcher Zeit die sich meldende Personnen angenommen werden, dahingegen vom löten Septembris bis Ende Februarii niemand aufgenommen wird.“
Im Jahre 1765 wurde ferner folgender „Brief aus Petersburg“ verbreitet.
Extract = Schreibens aus St. Petersburg d, d. 2. Junii 1765. „lc. Enthaltend eine zuverlässige Nachricht von dem Zustande der Kolonien bey Saratow im Astrachanischen Gouvernement. Es ist bereits eine grosse Anzahl Deutsche und andere Ausländer dort etabliret. Fünf Dörfer sind würcklich neu angelegt.) Es wird nicht nur pünktlich alles gehalten, was im Manifest versprochen, sondern es geschieht noch mehr. Das Land selbst ist noch lange nicht so fruchtbar und angenehm beschrieben, als es würcklich ist, wie ich aus so vielen Zeugnüssen vormahliger und jetziger Augen-Zeugen weiss. Es ist ähnlich wie in den warmen Provinzen Franckreichs. Ströme und Flüsse sind voll Fische in so erstaunendem Ueborfluss, dass man es kaum glauben möchte. Auch ist bey gegenwärtiger Ruhe in Persien die schönste Aussicht vorhanden zur etablirung eines sehr vorteilhaften Handels. Die benachbarten Calmücken, Cosaken, Russen sind freundschaftliche Leutgen, die unschwer zu gewinnen sind, und ewig treue Freunde seyn werden, wenn man sie nur nicht hintergehet. Die Grone defraiiert*) die Hereinkommende bis Hamburg doch nur Vorschussweise, so dass sie einmahl in 10. Jahren in dreyen Terminen solchen nebst anderem Vorschuss wieder erstatten müssen. Von Hamburg hierher werden sie eben so transportieret. Von hier aber nach Saratow werden sie gantz auf Kosten der Crone ohne Wiedererstattung Geleitet. Man bauet ihnen gute Häuser, sie bekommen jede Familie 30. Decetinen, ohngefähr 25. Morgen Feld, Wiesen, Waldung, freye Fischerey und Jagd, wenige Artikel ausgenommen, Pferde, Kühe, Schafe, Schweine, als Vorschuss, wie oben, und hinlängliches richtiges Kostgeld bis zu ihrer ersten Ernde. Dabey wird ihnen sonst Handwerkszeug, Materialien, kurtz, was sie nur immer wünschen können, mit ungemeiner Freygebigkeit fourniret Sie haben Freyheit im Lande und ausser Landes zu reisen, doch ausser Landes nicht anders als nach entrichteten Schulden. Verschiedene sind würcklich zurück gekommen, nachdem sie in einem Jahr so viel gewannen, dass sie nicht nur allen Vorschuss schon bezahlet, sondern auch noch einige hundert Rubel baar gehabt, um ihre ganze Familie herein zu holen. Die Religions-Uebung ist vollkommen frey und öffentlich. Die Monarchin hat angefangen, ihre eigenen Unterthanen, die in Servitudine gebohren waren, frey zu machen Es sind würcklich schon über 1500. Familien da, 800 neu angekommen in Oranienbaum und über 1000 unterweges. Dieses alles kan ich Ihnen foi d’honnete homme zuversichtlich melden, und schreibe es zur Ehre unserer Monarchin, des Herrn Grafen Orlows und der Tutel-Cantzley, ja der gantzen Nation, ohne dazu erkauft oder sonst incitiret zu seyn. Man kann also allen Armen, Nothleidenden aber arbeitsamen Leuten, die in ihrem Vatterland ihr Brod nicht haben, mit gutem Gewissen den Rat geben, nach Russland zu gehen, und versichert zu seyn, dass sie es dancken werden.“
*Diese 5 Dörfer scheinen gewesen zu sein: Anton (angelegt am Sept 1764). N-Dobrinka (20. Juni 1764). Galka (19. August 1764) Schilling und Beideck. **Kost- und zehrungsfrei halten.
Jeder Kolonist hatte das Recht, bei seiner Einwanderung nach Russland Waaren bis zu 300 Rbl. an Wert zollfrei mit über die Grenze in seine neue Heimat zu nehmen. Diesen Umstand benutzten einige ausländische Geschäftsleute und schmuggelten auf den Namen einzelner Kolonisten Waren zollfrei über die russische Grenze, oder sie schickten einen Begleitmann mit, der sich als Kolonist bei den russischen Werbungskommissaren gemeldet halte; kleinere Geschäftemacher worden wohl auch selber mit ihren Waren unter dem Schein eines Kolonisten herein gekommen sein. In Russland verkauften sie ihre zollfreien Waren und kehrten alsdann wieder mit gutem Gewinn zurück. Die russische Regierung lässt nun in dem letzten Abschnitt eines Flugblattes sowohl die Kolonisten als auch die eigentlichen Besitzer der Waren vor solchem Unterschleif warnen, und um den ausländischen Spekulanten alle Lust zu weiteren derartigen Unternehmungen gründlich zu verderben, so bestimmt sie: wenn ein Kolonist mit fremden Waren herein nach Russland käme und bereuete und bekennete denselben, so sollen ihm die Waren als Eigentum zu fallen, der ausländische Spekulant aber solle derselben verlustig gehen und seiner Klage weiter auch gar kein Gehör mehr vor den Gerichten geschenkt werden. Beachtet man, dass aus Petersburg 1765 gerade damit gelockt wird, das verschiedene Kolonisten in Russland in einem Jahr so viel gewonnen, dass sie nicht nur schon allen den Kolonisten gegebenen Geldvorschuss bezahlt, sondern auch noch einige hundert Rubel baar gehabt, so verstehen wir nun, was das für Kolonisten gewesen und auf welche Weise sie so schnell zu Geld gekommen waren. Auch die russischen Kommissare wussten das sicherlich nur zu gut. Aber dennoch lockten sie damit, wie ja überhaupt das ganze Flugblatt aus Russland ein wahres Schlaraffenland macht, sie betrogen die Menschen, da sie für jeden angeworbenen Kolonisten ein bestimmtes Kopfgeld bekamen, und so konnte es nicht fehlen, dass viele Elemente mit hereinkamen, die am besten draussen geblieben wären, Betrogene, durch die die russische Regierung sich später ebenfalls in ihren Erwartungen betrogen sah. Zahlreich meldeten sich die Kolonisten und es konnten in den Jahren 1764 – 67 von der russischen Krone im Wolgagebiet (Berg- und Wiesenseite), welches damals zum Astrachanischen Gouvernement zählte, zirka 102 Deutsche Kolonien mit rund 800 Familien und nahezu 25000 Seelen angesiedelt werden. Diese Siedlung verursachte der Regierung einen Kostenaufwand von 5199 813 Rubel, wovon auf jede lebende Seele 250 Rubel Kornschuld zu zahlen kam. Auf der Bergseite entstanden 39 Mutterkolonieen, davon waren 13 katholisch und auf der Wiesenseite 63, wovon 21 katholisch. Die Kolonisten stammten aus Holstein, Wesphalen, Hessen. Pfalz, Baden, Württemberg, Tyrol, Bayern, Sachsen, Schlesien, Ostpreussen. Holland, Schweiz und Elsass. Die Ansiedlung geschah ohne Rücksicht auf ihr Heimatland, vielmehr wurden sie nach eigenem Ermessen des „Kontors“ angesiedelt. Nur die Katholiken machten in dieser Regel eine strenge Ausnahme: ihnen wurden sämmtlich abgesonderte Niederlassungen angewiesen. So entstanden auf der Bergseite 13 katholische Dörfer; mit Ausnahme von Kamenka und Semenowka wurden die Dörfer nach ihrem ersten Vorsteher: Goebel, Schuck, Leichtling, Kühler, Pfeifer, Hildmann, Vollmer, Husaren, Seewald, Rothhammel und Depoll benannt. Die Kolonie Semenowka wurde am 24. Juli 1767 gegründet; jede Familie als solche, unbeschadet der Kopfzahl, erhielt 30 Dessätin*) Land und einen „Vorschuss“ von 15 Rubel, 2 Pferde, Gang, Räder, 2 Achsen, das Gabeldeichselband, Bogen, 1 Paar Sielen, 18 Faden Strick, 1 Schüppe, 1 Sense, 1 Pflugschar, 1 Sech. Hiervon machten einige Wohlhabendere, welche „Nichts“ erhielten, eine Ausnahme; es waren im Ganzen 46 Hauswirte und 144 Seelen.
*) = 109 1/4 Ar
Ueppiges Grün, Flüsse, Teiche, Sträucher, Laub- und Nadelwälder waren mit dem jungfräulichen Boden die Zierde und der Reichtum der zukünftigen Gemeinde. Aber auch an wilden Tieren, Horden und Räubern fehlte es nicht. Hasen, Füchse, Wölfe, Eber und Bären trieben ihr Wesen. Die Regierung hatte für die Ansiedler, für jede Familie ein Häuslein errichten lassen, zwar äusserst bescheiden, aus Holz, mit Brettern gedeckt, darin Türe, ein Fenster und ein Russenofen: die ganze Breite betrug 3, die Höhe 1, die Länge 5 Faden (= 6:2:10 Meter circa!) Noch heute erklingt manchmal das Lied der ersten Ansiedler:
Mit frohem Mut, doch leerer Hand, Betreten wir das Russenland; Ein Häuslein dient zum Unterschlupp, Worin man backt und kocht die Supp. Ackerbau und Landkultur Lag in der Sache der Natur. Die Wirte in dem neuen Heim Bildeten sich den Liederreim: Gott im Himmel droben Wollen wir stets loben! —
Von dem gesamten Flächenraum der Kolonie (cca. 3900 Dessätin) waren nur etwa 330 Dessätin nutzbar, sodass kaum 6 Dessätin brauchbares Land auf jeden Hauswirt entfielen. Im Jahre 1786 wurde dieser Not durch einen Zuschnitt von 5400 Dessätin abgeholfen. Die Namen und Herkunftsorte der 46 ersten Ansiedler sind auf nachstehender Liste angegeben. Da die russischen Beamten nur nach dem Gehör die Eintragungen machten, sind die unglaublichsten Wörter entstanden und es bedarf einer Menge Scharfsinns daraus die deutschen Dorfnamen wieder zu erkennen. Versuchsweise haben wir mutmassliche, passende Orte dazu gesetzt. Die eingeklammerte Zahl bedeutet die Kopfzahl der Familie. Die Bewirtschaftung ging anfänglich sehr schwer und litt durch den Aufstand Pugatschofs (1773—1774). Bald folgten neue Einfälle von Seiten Kusolka’s und Pereschipnoe’s (1797— 98), doch gelang es dem Obervorsteher Christof Kühne in zweimaliger Audienz beim Hofe 1812 und 1824 den Bestand der Kolonie sicherzustellen. Im Jahre 1871 besass die Gemeinde 13700 Dessätinen Land, 720 Dessätinen Wald, 780 Höfe mit 5860 Seelen. Eine Kirche (60000 Rubel) Volksschule (5000 Rubel) und Wasserleitung (25000 Rubel). Laut Ukas vom 9. November 1906 wurde das Gemeindeland als Einzelbesitz auf immer bestätigt. Ihre deutsche Sprache, Sitte und Art haben die Kolonisten bewahrt. So erscheint z. B. auch zweimal wöchentlich in Saratow eine „Deutsche Volkszeitung“, welche es sich angelegen sein lässt, die Familientraditionen der nun schon fast 150 Jahre angesessenen deutschen Ansiedler zu pflegen und deren familiengeschichtliches Material zu sammeln.
(Anmerkung: Scrollbalken am Ende der Tabelle)
Nach dem Russischen:
Mutmasslich:
Land
Ort
Land
Ort
1
Mihm, Joachim (4)
alt 36 Jahre
Schultifoll
Dorf
Altehausen
Fulda
Althausen
2
Rötling, Valentin (2)
31
Tiful
„
Probstangel
Stenzel
3
Schalitz, Anton (2)
31
„
Tidiheim
Tigenheim
4
Irle, Christof (6)
36
Stafulda
Stadt
Ammolbuig
Fulda
Hammelburg
5
Röberlein, Heh. (4)
52
Wützburg
Dorf
Wesni
Würzburg
6
Roth, Johannes (3)
32
Stolberg
Stad
Brusa
Stolberg
7
Röberlein, Joh. (3)
45
Swezelburgisch
Dorf
Weisted
Schwarzburg
8
Rupp, Nicolaus (2)
25
Pasenheim
„
Kreuzberg
Bassenheim
Kreuzberg
9
Tihl, Joh. (4)
38
lvurmenz
„
Upsch
Kurmainz
10
Ell, Joh. Eberh. (2)
29
Fuldschigin
„
Kamerzal
Fulda
Kammerzell
11
Schlert, Peter (3)
21
Schwarzburg
„
Arbach
Schwarzburg
Urbach
12
Schmalz, Josef (3)
44
Zesarien
„
Kapel
Oesterreich
Kapell
13
Ellang, Balth. (3)
34
Kurmenz
„
Langenbretz
Kurzmainz
Langenprozelten
14
Rebart, Lorenz (4)
45
„
„
„
„
„
15
Rubrecht, Tobias (2)
66
Merw
„
Weschwasser
?
?
16
Wanstenderer, W. (4)
50
Köln
„
Adano
Köln
Adenau
17
König, Jacob (2)
23
Kurmenz
„
Michelbach
Kurmainz
Michelbach
18
Bensack, Joh. (3)
27
„
„
„
„
„
19
Siebert, Joh. (3)
25
Spifulschin
„
Usenfeld
Fulda
Hosenfeld ?
20
Krau, Paul (3)
27
Wüzenburg
„
Irbach
Württemberg
21
Gobert, Joh. (4)
37
Menzerku
„
Langabrozelja
Kurniainz
Langenprozelten
22
Ritt, Joh. (6)
40
Trawünawhana
„
Bart
Grafsch. Hanau
23
Flanz, Michael (3)
28
Luchsenburg
„
Sümer
Luxemburg
24
Renndorf, M. Wwe. (1)
38
Kumenz
„
Eselbach
Kurmainz
Esselbach
25
Jerkop, Balth. (4)
39
Stafoldüschin
“
Robsteisal
Fulda
26
Frank, Joh. Adam (2)
23
Daamstadt
„
Rudiseim
Darmstadt
27
Konrad, Jacob (4)
38
Darloschin
„
Becherbach
Durlach
Wöschbach
28
Schwab, Mathias (3)
24
Kurmenzar
„
Eschtädt
Kurmainz
29
Breitinger, Peter (4)
28
Erbach
„
Schinbach
Erbach
Schönberg
30
Schwab, Caspar (2)
18
Kurmensterland
„
Eschtädt
Kurmainz
31
Elhart, Math. (2)
28
Schtjafuldischina
Stadt
Sammstcrn
Fulda
Salmünster
32
Frisch, Johann (3)
36
Luchsenburg
Dorf
Ischen
Luxemburg
33
Reis, Joh. Heh. (2)
60
Schtifuldischen
„
Brunzwelt
Fulda
Bronzell
34
Schwab, Bernh. Ww. (2)
21
Schtaluldischen
Stadt
Eis
„
35
Baier, PhilippWwe. (5)
45
Kurmeschta
Dorf
Fröschhausen
Kurmainz
Froschhausen
36
Kloster, Joh. Adam (7)
44
Otowalschin
„
Zeulert
Odenwald
Zeilhard
37
Rousch, Valentin (2)
38
Fultauschen
„
Tedo
Fulda
38
Siebert, Nicolaus (2)
30
Ganauschen
Stadt
Ano
Hanuu
Hanau
39
Apfel, Johann (5)
24
„
Dorf
Pidar
„
Bieber
40
Neuhard, Joh. (2)
24
Fultauschen
„
Schmulno
Fulda
Schmalnau
41
Oberst, Joh. (1)
29
Würzburg
„
Koponwün
Würzburg
42
Schaab, Elis. Wwe. (3)
36
„
„
Mitgenfeld
„
Mitgenfeld
43
Grein, Joh. Conr. (5)
44
Darmstadt
„
Lank
Darmstadt
Langen
44
Fosbusche. Ign. Ww. (1)
60
„
„
?
?
45
Matelheim, Georg (1)
37
Kurmenz
„
Bari
Kurmainz
46
Borger, Hermann (5)
38
Würzburg
„
Sentelbach
Würzburg
1 Frankfurter Blätter für Familien-Geschichte : süddeutsche genealogische Monatshefte / hrsg. von Karl Kiefer. Frankfurt, M. : Englert & Schlosser, 1908 – 1914, Jahrgang 2, August 1909, Heft 8, Von den Deutschen Kolonien an der Wolga p.113-116