„Ohne den Hirten wird aus Schafen nie eine Herde.“  – in Erinnerung an die Schäfer


In Sachsen wurde aus dem spanischen Merino und einheimischen Rassen eine besonders fein-wollige Schafrasse gezüchtet, deren Wolle die Engländer als Elektoralwolle (kurfürstliche Wolle) bezeichneten, daraus abgeleitet wurde die neue Rasse als Elektoral-Schaf (kurfürstliches Schaf) bekannt.

Die Wolle erzielte überragende Preise, weshalb zahlreiche kurfürstliche Schäfereien eingerichtet wurden.

Durch die Zucht auf Feinwolle war das Schaf klein und wies Schwächen in der Konstitution auf, daher bemühte man sich, durch Einkreuzung und Auslese, die Schafe und ihre  Hautoberfläche durch Faltenbildung zu vergrößern, dass daraus resultierende Schaf wurde in Europa, Amerika, Russland und Australien sehr begehrt bei Wollproduzenten und erhielt den Namen Saxon Merino.

Während der napoleonischen Kriege litt die sächsische Schafzucht sehr stark, nach der Aufhebung der von Napoléon erzwungenen Kontinentalsperre bezog die englische Tuchindustrie jedoch wieder Schafwolle aus Sachsen und Anhalt.

Dem Herzog Ferdinand von Anhalt-Köthen fehlten zur Erweiterung seiner eigenen Zucht bei Nienburg (Saale) die Weideflächen, daher bekundete er im Herbst 1826 in einem Schreiben an den russischen Geschäftsträger in Leipzig sein Interesse, in Russland eine Kolonie für Schafzucht einzurichten, in der Hoffnung, bessere Geschäfte zu machen.

Russland bemühte sich zu diesem Zeitpunkt sehr um die Einfuhr veredelter Schafrassen aus Deutschland, so genehmigte man im Herbst 1827 einer Delegation, die nach geeignetem Land suchen sollte. Die Wahl fiel auf Steppe 71, einem Gebiet an der alten Salzstrasse, welches rund 50.000 Desjatinen (ca. 550 km²) umfasste. Da der Boden sehr arm war, erhielt Ferdinand von Anhalt-Köthen 48.000 Desjatinen geschenkt, sowie weitere 6.000 Desjatinen am Schwarzen Meer.

Die Bedingungen im russischen Reich waren denkbar günstig seit 1797. Nach der Einrichtung von Landwirtschaftsakademien und landwirtschaftlichen Märkten, dem Import von Zuchttieren und der Gründung verschiedener Sozietäten und Kompanien, wurde mit Ukas vom 22. Mai 1826 eine weitere Verordnung zu Gunsten der Schafzucht erlassenen. Dem Adel der Ostsee-Provinzen wurden  109.000 Silber-Rubel auf 18 Jahre ohne Zinsen vorgestreckt, um fünf veredele Schäfereien, jede verbunden mit einer praktischen Schule der Schafzucht, unter Leitung sachkundiger, aus dem Auslande berufener Männer, einzurichten. Zur Erleichterung des Absatzes wurden in Riga, Reval und Libau Jahrmärkte angeordnet und die Wolle bei der Ausfuhr von allen Zöllen befreit. Fremden Schäfern und Hirten, die sich in Russland niederließen, wurde Abgaben-Freiheit und weitere Privilegien zugesichert.1 

So wurde dem Herzog Ferdinand durch Ukas des Zaren vom 3. März 1827 das Land übereignet und im Jahre 1828 das Gut Askania-Nova (Neu-Aschersleben, in Russland auch als Anhalt-Köthen oder Neu-Köthen bekannt) als Kolonie des Herzogtums Anhalt-Köthen gegründet. Der Name bezieht sich wohl auf das anhaltische Herzogsgeschlecht der Askanier in Erinnerung an die jahrhundertealte Schmach des Verlustes der Lehensrechte an Aschersleben.

Am 11. August 1828 verließen die ersten Siedler mit 2.642 Schafen, zwei Stieren, acht Kühen und acht Pferden ihre Heimat. Die logistische Leistung war gewaltig, da nur 35 Schafe verloren gingen. Ihnen folgten 1829 weitere Kolonisten.

Für die Tiere wurden Ställe nach Bandhauers Vorbild in Grimschleben erstellt, am 22. Juli 1830 stand in Askania Nova eine Herde „von 3000 Merinos vorzüglich schöner Art mit 250 Böcken erster Qualität aus seinem Herzogtum Köthen“ .2 

1835 kam in Odessa die neurussische Schafzuchts Gesellschaft mit einem Capital von 800.000 Rubeln zustande, die es sich zur besonderen Aufgabe machte, das Sortieren und Waschen der Wolle im größerem Massstabe zu betreiben. Die alte Siedlung Tschapli, die 1822 erstmals urkundlich erwähnt wurde, wurde im gleichen Jahr ebenfalls in Askania Nova umbenannt.

Askania Nova um 1840

Trotz der zehnjährigen Steuerfreiheit war die Schafzucht von wenig Erfolg gekrönt und musste wiederholt durch das Herzogtum finanziell unterstützt werden. Das Steppenklima war ungewohnt, man maß 19 1/2 Zoll Regen im Durchschnitt in Berlin, in Askania-Nova 6 Zoll, die Jahre 1832 und 1833 waren Dürrejahre ohne Regen oder Schnee, 1838-1842 hatten im Schnitt 47 Tage mit Regen oder Schnee. Der Regen 1838 und 1839 verwandelte den Steppenboden wochenlang in einen Brei, der die Wagen bis zu den Achsen einsinken ließ. Die Schafe- und Rinderherde versanken im Morast und bekamen die „Klauenseuche“, so wurde vermutet, der Maul-und-Klauenseuchenzug durch Europa (1838-1842) nahm hier seinen Anfang. Das im Sommer überschwemmte Heu wurde unbrauchbar, das Wintergetreide verfaulte und der Teil des Roggens, der den Winter überstand enthielt zu einem Viertel Mutterkorn. Zwischen 1832 und 1841 traten Nachtfröste teilweise bis Mitte Mai auf und setzten bereits Ende August ein. Der Boden bat Bäumen keine Nahrung, sie kümmerten trotz Pflege in den Gärten. Da Düngung der Böden nicht möglich war, benötigten sie lange Phasen der Ruhe zur Erholung. Die Bauern hatten Brachen von 8-10 Jahren, bei kürzerer Nutzung lohnte die Ernte den Aufwand nicht. Kartoffeln und Rüben wuchsen kaum, Weißkohl gar nicht. Das Neuland wurde mit Hirse und Leinsamen bestellt, dann folgten Sommerweizen und Gerste, zuletzt Roggen, der sich mitunter durch Ausfall selbst vermehrte. So waren 1834/1835 beste Roggenjahre, 1835/1837/1838/1839 waren Hirsejahre, Sommerweizen gedieh 1837 und 1839 besonders gut, brauchbare Gerstenernten gab es 1837-1840.3

Zu den Kolonisten, die versuchten, dem Boden eine Existenz abzuringen, gehörte auch der Friedentaler (Kantakuzovka) Johann Georg Müller mit seiner Frau Catharina Barbara. Im Jahre 1841 wurde seine Tochter Elisabeth in der „Anhalt Gotheischen Collonie“ geboren, weitere Kinder in Askania Nova getauft. Johann Georg war zu dieser Zeit Schäfer in der Kolonie. Vermutlich kam er nach 1837 nach Askania Nova, da die beiden ersten Kinder noch in Friedental geboren wurden. Ihr letztes Kind, Margaretha Friederika, heiratete Jakob Frasch, ihre gemeinsame Tochter Emilie verband sich 1896 mit Jakob Schwarzmann, Sohn des Johann Michael, Nachkomme von Einwanderern Sarata´s in Bessarabien und der Elisabeth Ehnis, deren Vorfahren nach Zürichtal eingewandert waren. Die Familien Müller und Frasch waren eng verbandelt mit den Geckle, meiner Verwandtschaft aus Bernbach im Schwarzwald.

Doch zurück zum weiteren Schicksal der Kolonie Askania Nova:

Nach dem Tod des kinderlosen Herzog Heinrich von Anhalt-Köthen ging Askania-Nova1847 zunächst an Anhalt-Bernburg und 1853 an Anhalt-Dessau. Herzog Leopold IV. verkaufte das unrentable Unternehmen mit Erlaubnis des Zaren Nikolaus I. laut Kaufvertrag vom 16. August 1856 an den Großgrundbesitzer Friedrich Fein (1794–1864)4 .

Nach dem Tod des kinderlosen Herzog Heinrich von Anhalt-Köthen ging Askania-Nova1847 zunächst an Anhalt-Bernburg und 1853 an Anhalt-Dessau. Herzog Leopold IV. verkaufte das unrentable Unternehmen mit Erlaubnis des Zaren Nikolaus I. laut Kaufvertrag vom 16. August 1856 an den Großgrundbesitzer Friedrich Fein (1794–1864)4. Er erwarb die Kolonie inklusive der rund 49.000 Schafen, 640 Pferden und 549 Rindern und bewirtschaftete das Gut als Pferdelieferant für die russische Armee.

Sein wichtigster Mitarbeiter und ab 1836 auch Schwiegersohn, wurde der 1808 in Sohland/Spree geborene Schafzüchter und Wollsachverständige Johann Gottlieb Pfalz.

falz-fein_1836
Eintrag der Eheschließung im Kirchenbuch Molotschna S. 320 vom 18. Januar 1836

Das später auf 25.000 Hektar verkleinerte Familiengut Askania-Nova wurde in der Familie  an Friedrich Falz-Fein (1863-1920)4 weiter vererbt, sein Stiefvater Gustav von Falz-Fein, Bruder seines bereits 1883 verstorbenen Vaters Eduard, vermachte ihm zusätzlich das Gut Elisabethfeld und Friedrich selbst kaufte noch das Gut Naliboki hinzu, so  dass sein Landbesitz schließlich 65.000 Hektar umfasste.

Friedrich interessierte sich bereits in seiner Jugend für die einheimische Flora und Fauna, daher errichtete man im Jahre 1874 erste Gehege und 1887 einen Botanischen Garten, ab 1898 als dendrologischer Park geführt. Zudem bestanden in Askania-Nova die rund 10.000 Hektar umfassende Musterwirtschaft Dorenburg.

1896 erwarb  Friedrich von Falz-Fein eine Herde wilder Elenantilopen, um sie zu domestizieren. Diese Herde existiert heute noch und wird von berittenen Hirten betreut.

Dieser Przewalski-Wildpferdehengst wurde Friedrich von Falz-Fein vom russischen Zaren geschenkt.5

Friedrich von Falz-Fein ließ mehrere Fangexpeditionen von wilden Przewalski-Pferden im Bereich der Wüste Gobi durchführen. 1899 kamen die ersten fünf Fohlen nach Askania-Nova. 1901 wurden 52 weitere gefangen, von denen allerdings nur 28 die Fang- und Reisestrapazen überlebten. Sie wurden an den deutschen Tierhändler Carl Hagenbeck in Hamburg verkauft. Einige der sechzehn ersten in der Mongolei wieder ausgewilderten Tachis im Jahr 1992 stammen aus Askania-Nova.

Auf der Pariser Weltausstellung 1899 erhielt Falz-Fein für seine Verdienste um den Erhalt der Steppe und die Veredlung der Tiere eine Goldmedaille.

Am 23. April 1914 wurde das Gut Askania-Nova vom russischen Zaren besucht. Damals verfügte das Gut über fast eine Million Schafe und 100.000 Hütehunde.

„Таврида. Заповедник Аскания-Нова. 1914 год. Визит Николая II в заповедник в апреле 1914 г.“; youtube video von Путешествие во времени veröffentlicht hier: ogy.de/r2pi

Die Schutzzone für die Erhaltung der Steppennatur, die zoologischen Gehege und der Park beeindruckten den Zar dergestalt, das er Falz-Fein in den Adelsstand erhob (Baron) und seiner Mutter schrieb: “ Dort leben verschiedene Hirsche, Ziegen, Antilopen, Gnus, Känguruhs und die Sträuße ein ganzes Jahr unter freiem Himmel an der freien Luft und auch zusammen. Der merkwürdige Eindruck, wie ein Bild aus der Bibel, als ob die Tiere aus der Arche Noah hinausgegangen sind.“.

Am 14. Mai 1914 wurden Sophie Falz-Fein und ihre Söhne in den erblichen Adelsstand erhoben in Anerkennung der hundertjährigen Kulturarbeit des Geschlechts in Rußland.

Kaukasische Post 24/1914

 Plan von Askania Nova 1920

Während der Oktoberrevolution wurde das Gut zwischen April 1918 und März 1919 stark verwüstet, die Familie Falz-Fein floh am 1. April 1919 von Sewastopol aus mit dem bulgarischen Schiff „König Ferdinand“ nach Deutschland, nur Friedrichs Mutter Sophie geb. Knauff (1835-1919) verblieb auf eigenen Wunsch auf Grund ihres Alters zurück und wurde von den Rotarmisten ermordet.

Auf Befehl Lenins mit Dekret vom 1. April 1919 der Volkskommissare der Ukrainischen SSR wurden das Gut und der Tierpark Askania-Nova enteignet, kollektiviert und  zum staatlichen Tierzuchtinstitut erklärt.6

Die Falz-Feins emigrierten nach Luxemburg, Friedrich von Falz-Fein war auf Anraten seines Arztes im Juli 1920 zur Erholung nach einem Schwächeanfall aus Berlin nach Bad Kissingen gekommen und starb während des Kuraufenthalts aus Kummer über sein „verlorenes Paradies“. Sein Herz versagte während einer Droschkenfahrt zum Sanatorium von Dapper. Zur Beisetzung wurde sein Leichnam nach Berlin auf dem „Alten Zwölf-Apostel-Kirchhof“ überführt.

1921 wurde die Gegend um Askania-Nova zum Naturschutzgebiet.

1940 wurde der Freilandpark auf dem Territorium des ehemaligen Landguts wieder eingerichtet.

1943 reiste der Berliner Zoodirektor Prof. Dr. Lutz Heck (1892-1983) den Wehrmachttruppen in die Südukraine hinterher, um Askania-Nova zu inspizieren und es als Reichsnaturschutzgebiet zu sichern. Vor Ort wurde er von Alfred Rosenberg, der ein eigens gebildetes Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete leitete, und führenden Mitgliedern der SS mit der Oberleitung des Reservats betraut, das von nun an der Obersten Naturschutzbehörde unterstellt war. 70 Prozent des Tierbestandes Askania-Novas, darunter die seltenen Przewalski – Pferde, wurden durch ihren mit „naturschützerischen Erwägungen“ begründeten Abtransport nach Deutschland und ihre Verteilung auf dortige Zoos vernichtet.8

1956 wurde Askania-Nova unter die Verwaltung der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften gestellt, die ein Forschungsinstitut für Steppentiere unterhält.

1984 zum Biosphärenreservat erklärt und in das Internationale System der Naturschutzgebiete der UNESCO eingetragen

Der Ort Askania Nova (Tschapli) hatte mit rund 3.000 Einwohnern seit 1938 den Status einer Siedlung städtischen Typs.


Artikel in der Weltwacht der Deutschen, Hellerau bei Dresden, 20.11.1941 p.5


  1. Archiv für Wissenschaftliche Kunde von Russland, Band 3, G. Reimer, Berlin 1843, p.40ff
  2. Johannes Heyne: Grosses Handbuch der Schafzucht auf neuzeitlicher Grundlage, Reichenbach 1916, p.17
  3. Bericht über die Leistungen in der medicinischen Geographie von geh. Med. Rath Prof. Dr. Heusinger in: Jahresbericht über die Fortschritte der Biologie im Jahre 1848; Hrsg. Dr. Canstadt und Dr. Eisenmann; Verlag Ferdinand Enke, Erlangen 1849; p.173f
  4. Фридрих Фейн (1794-1864), Йоханн Пфальц (1808-1872), Фридрих Эдуардович Фальц-Фейн (1863-1920) : Данилевич Н. В. Барон Фальц-Фейн. Жизнь русского аристократа.- М.; Изобраз. искусство, 2000.- 232 с., 88 с. ил.
  5. Woldemar von Falz-Fein; Askania Nova: Das Tierparadies. Ein Buch des Gedenkens und der Gedanken; Neudamm: J. Neumann, 1930
  6. Декретом Совнаркома УССР от 1 апреля 1919 г. «Об объявлении бывшего имения «Аскания-Нова» и «Елисаветфельд» народным заповедным парком» акклиматизационный парк и участок целинной степи при имении Аскания-Нова был объявлен народным заповедным парком, что явилось началом организации здесь общебиологических и сельскохозяйственных научно-исследовательских учреждений. Декрет и неотложные меры по охране имения Аскании-Нова были приняты по указанию В. И. Ленина, проявившего большую заботу об охране природы, ее ресурсов и достопримечательных мест в нашей стране [1293, с. 11]
  7. Grabsteinfoto: User:Lienhard Schulz , Kiezviertel Rote Insel, Berlin-Schöneberg. Friedhof „Zwöf Apostel“, Grabstein für „Friedrich von Falz-Fein“ (1863-1920), Gründer des heute noch bestehenden Naturreservats Askania-Nowa in der Ukraine; August 2005,fotografiert in Berlin-Schöneberg; Lizenz: GFDL/CC-BY-SA-2.5,2.0,1.0
  8. Kai Artinger: Der Bär von Berlin, Jahrbuch 1994, S.125-S.139; Verein für die Geschichte Berlins e.V.
  9. Friedrich von Falz-Fein: Das letzte Auftreten des Wildpferdes in Südrußland in: Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin, R. Friedler und Sohn Berlin 1919
  10. alte Ansichten der Landwirtschaft um 1930

Buchtipp: Lisa Heiss: Plötzlich jagt ein Sturm daher, Die Schicksale eines Geschlechts; Robert Bardtenschlager Verlag, Reutlingen 1961