Kollektivierung 1930

Bonner Zeitung 22.6.1930

Wie die Bauern in Rußland kollektivisiert werden

Bekanntlich führen die Bolschewisten in Rußland die Zerschlagung der privaten Landwirtschaft und die Ueberführung der Bauern in die Kollektiven mit aller Gewalt durch. Für uns Deutsche ist es von besonderem Interesse, die Zwangskollektivisierung der deutschen Weinbaukolonie in Transkaukasien zu verfolgen. Wir sind in der Lage, den Bericht eines deutschen Weinbergbesitzers auszugsweise zu veröffentlichen.

Die Kollektivisierung der deutschen Kolonien Transkaukasiens wurde in der Zeit zwischen dem 6. und 15. Februar 1930 unter schwerem Druck und unter schweren Drohungen durchgeführt. Der Anfang wurde in den beiden größten Kolonien Helenendorf und Katharinenfeld gemacht.

Helenendorf. Um die Leute gefügig zu machen, wurden in Helenendorf am Vorabend des Beginns der Kolektivisierung sechs Männer verhaftet. Am nächsten Tage wurde die Gemeinde versammelt, und ein georgischer kommunistischer Funktionär drohte während der einberufenen Gemeindeversammlung, daß jeder, der gegen die Kollektivierung stimme, erschossen werde. Auf diese Weise wurde fünf Tage lang auf die deutschen Kolonisten eingewirkt, bis sie so weit zermürbt waren, daß sie sich durch Unterschrift verpflichteten, in die Kollektivwirtschaft einzutreten.

Trotz dieser unerhörten Drohungen telegraphierte der Kommunist Emil Bock an seinen Gesinnungsgenossen Thälmann in Berlin, daß die deutschen Kolonisten Helenendorfs mit Begeisterung die Kollektivwirtschaft aufgenommen hätten.

Am Tage der Kollektivisierung hatte die deutsche Winzergenossenschaft „Konkordia“ für die zwangsweise liquidierte Filiale in Leningrad eine Ueberweisung von 2 Millionen Rubeln erhalten. Diese Ueberweisung wurde von den kommunistischen Funktionären sofort beschlagnahmt.

Gleichzeitig mit der Kollektivisierung wurden sämtliche außerhalb des Gemeindelandes gelegenen Weinberge der Kolonisten Helenendorfs aus dem Kollektiv Thälmann (früher Helenendorf) abgeteilt und an Fremdstämmige übergeben (rund 1000 Morgen).

Katharinenfeld. Nachdem hier die kommunistischen Funktionäre sich zwei Tage lang vergeblich bemüht hatten, die Kolonisten zum Eintritt in die Kollektive zu bewegen, wurde die Gemeinde in vier Gruppen geteilt, von denen nun jede für sich bearbeitet wurde. Schließlich gelang es den kommunistischen Funktionären Fritz Reiser und Gottfried Kimmerle durch Drohungen, aus jeder Gruppe einige Personen zur Unterschrift zu bewegen. Am sechsten Tage waren auch die anderen so weit zermürbt, daß sie sich einverstanden erklärten, in die Kollektive einzutreten. Die einzigen, die nicht in die Kollektive eintraten, waren die in dieser Kolonie ansässigen Reichsdeutschen. Der Eintritt in die Kollektive erfolgte hier mit dem Vorbehalt, daß alle wieder austreten würden, wenn auch nur ein deutscher Ansiedler dieser Kolonie verhaftet würde.

Die Reichsdeutschen dieser Kolonie befinden sich bereits auf dem Wege nach Deutschland. Ihr Vermögen wurde auch hier der Kollektive einverleibt.

Nachdem die deutschen Kolonien kollektivisiert waren, wurde versucht, die Kollektivisierung auch in den tatarischen und georgischen Dörfern durchzuführen. Hier stießen aber die Funktionare auf schärfsten Widerstand. Die gutbewaffneten Tataren sammelten sich und lieferten den roten Truppen bei dem Dorfe Karasachkal eine Schlacht bei dem Uebergang über die Kura. Der Kommandeur der Miliz des Kasacher Kreises Hatschan ging mit einem Teil seiner Leute zu den Aufständischen über und versorgte die auf rund 8000 Mann angewachsene Truppe mit Maschinengewehren, Militärflinten und Munition. Die roten Truppen mußten aus Karajachkal mit bedeutenden Verlusten abziehen.

Auch die tatarischen Dörfer bei dem früher Siemenschen Kupferbergwerk Kedabek verteidigten sich mit den Waffen in der Hand gegen die Kollektivisierung. Hier erreichte den georgischchen Funktionär, der die Kollektivisierung der deutschen Kolonien mit Gewalt durchgedrückt hatte, sein Schicksal: von den wildgewordenen Tataren wurde er gevierteilt und das von ihm Uebriggebliebene seinen Gesinnungsgenossen in Gandscha zugestellt.

Nach dem Kreis Baschkeschet, Georgien, wurde ein besonderer Vertrauensmann Stalins entsandt, um die dortigen Tataren zum Eintritt in die Kollektivwirtschaft zu überreden. Doch gelang ihm dies nicht, er konnte sich nur durch rasche Flucht vor dem Schicksal seines Gesinnungsgenossen retten (Kedabek).

In den georgischen Dörfern versuchten die kommunistischen Funktionäre vergeblich, die Kollektivierung zu erzwingen Die Bauern leisteten überall schärfsten Widerstand, und eine Reihe der Funktionäre wurde von den georgischen Bauern ermordet. Daraufhin wurden Hunderte von georgischen Bauern verhaftet, viele flüchteten.

Die bekannte deutsche Winzergenossenschaft „Konkordia“, die noch im vorigen Jahre von allen kommunistischen Zeitungen als mustergültig für die ganze Sowjetunion bezeichnet wurde und die in Wirklichkeit die einzige Genossenschaft Sowjetrußlands war, die sich ohne Staatshilfe aus eigener Kraft lebensfähig erhielt, die sich im Verlauf der letzten zehn Jahre zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor heraufgearbeitet und im Geschäftsjahr 1927/28 einen Umsatz mit ihren eigenen Erzeugnissen von über 20 Millionen Rubeln erzielte, wurde von der Sowjetregierung aufgelöst.

Die Genossenschaft„Konkordia“ wurde im Jahre 1921 auf gesetzlicherlicher Grundlage gegründet und umfaßte die in Aserbeidschan befindlichen acht deutschen Kolonien Helenendorf (Thälmann), Georgsfeld (Leninfeld), Annenfeld (Maifeld), Eigenfeld, Traubenfeld, Alexejewka, Grünfeld und Jelisawetinka (Marxowka), deren sämtliche Ansiedler der Genossenschaft angeschlossen waren.

Die durch den Vertrieb der Erzeugnisse erzielten Gewinne wurden ausschließlich für allgemeinwirtschaftliche und kulturelle Zwecke verwendet. Ein entomologisches=geologisches Institut und ein Versuchsgarten für Weinbau von 40 Hektar wurden von der„Konkordia“ unterhalten. Ihre Mitglieder wurden mit den nötigen Schädlingsbekämpfungsmitteln und allen anderen Bedarfsartikeln versorgt. Genossenschaftskeller und Bewässerungsanlagen für die einzelnen Gruppen wurden gebaut. Außerdem unterhielt die „Konkordia“ eine deutsche Oberrealschule (später in eine Arbeitssschule 2. Stufe umgewandelt), acht zweiklassige Volksschulen, eine Taubstummenanstalt sowie vier Kirchspiele mit vier Pfarrern, Küstern, Organisten usw.

Schon bevor mit der Kollektivisierung der Kolonien begonnen wurde, mußte die Genossenschaft gezwungenermaßen ihre Niederlassungen in Leningrad, Moskau usw. liquidieren. Das Vermögen der Genossenschaft gehört ihren Mitgliedern, das heißt, den deutschen Kolonisten Aserbeidschans.

Das viele 10 Millionen zählende Vermögen der deutschen Winzergenossenschaft „Konkordia“ sowie die Privatweinberge und das Privatvermögen der deutschen Kolonisten von noch bedeutend höherem Werte, das im Verlauf von über 100 Jahren von vielen Generationen durch schwerste Arbeit erworben worden war, ist somit den deutschen Kolonisten durch die Kollektivisierung geraubt worden.


Foto und Textabschrift: Bonner Zeitung 22.6.1930, 40. Jahrgang Nr. 167

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