Hunger in den deutschen Wolgakolonien

17.9.1921 Tiflis

Kaukasische Post, Nr. 24, 13. Jahrgang

Von zuverlässiger Seite wird uns hierzu geschrieben: „Die Hungersnot, die in diesem Jahre mehrere Gouvernements Rußlands betroffen hat, wütet am rasendsten im deutschen Gebiete an der Wolga. Im Herbst 1920 und im Frühjahr 1921 wurde ganz wenig ausgesät, wegen Mangel an Samen. Dazu gesellte sich in diesem Jahre noch die Dürre. Bis zum 15. Juni d. J. hat die Außerordentliche Kommission für Bekämpfung des Hungers festgestellt, daß 70 % der Aussaat verloren ist. Der andere Theil hätte bei günstiger Witterung noch 349 860 Pud geben können, was – auf eine 450 000 köpfige Bevölkerung verteilt 31 Pfund pro Seele im Jahr ausgemacht haben würde. Jedoch günstige Witterung ist nicht eingetreten, sodaß auch dieses Quantum nicht geerntet wurde. Bis zum 15.6. waren im deutschen Gebiete 30 000 (299 000) Hungernde, die Mehrzahl der Hungernden sind Bauern. Man lebt jetzt direkt vom Gemüse, wo solches vorhanden ist; die Mehrzahl nährt sich von Zieselmäusen, Pfiffern u.s.w. Hungernde Kinder laufen auf den Straßen umher und suchen verschiedene Abfälle auf, womit sie ihren Hunger stillen. In manchen Dörfern kommen täglich bis 20 Todesfälle durch Hunger vor, Zu diesem Uebel haben sich noch Cholera und Typhus eingestellt, die täglich reiche Ernte halten. Man verkauft alles, was sich verkaufen läßt, für Spottpreise, sogar ganze Gebäude mit Hof und allem möglichen werden für 15 Pud Korn verkauft, auch das alles, um nur irgendwie sein Leben zu fristen.



Голодомор „Tötung durch Hunger“

aus: Kaukasische Post, Nr. 24, 13. Jahrgang