Prötzel – meine Ur-Ur-Großeltern heirateten 1890 in der kleinen Kirche von Prötzel, so habe ich eine familiäre Verbindung in das Dorf.

1945, als das Ende des Krieges fast greifbar war, lag Prötzel auf der Strecke des Truppendurchzugs nach Berlin. Am 18. April 1945 mussten die Einwohner den Ort verlassen und wurde kurz darauf von der Front überrollt. Nach ihrer Rückkehr in den zerstörten Ort zählte man im Juni noch ganze 12 Kühe, 38 Schweine und 5 Pferde.1 Im Schloss wurden Umsiedler einquartiert, die hier kaum ein Auskommen hatten. 128 Personen lebten nun in den 22 Zimmern, 39 Familien teilten sich eine menschenunwürdige Unterkunft, da es durch das zerstörte Dach tropfte, die Nässe und der Schimmel krank und Tuberkulose sich breit machte.

Aus der Stadt Wriezen konnte kaum Hilfe kommen, die Stadt war zerstört, das Oderhochwasser hatte in der Umgebung das, was noch stand, mit sich genommen.

Man muss sich die Zahlen vor Augen halten, auf 26.000 Umsiedler wurden vom 1.9.1945 bis zum 1.11.1947 verteilt:

10 Herrenanzüge, 50 Damenmäntel, 50 Kostüme, 70 Paar Strümpfe, 800 Kochtöpfe, 100 Bratpfannen, 300 Löffel, 40 Bunkeröfen !

Erstaunlicher Weise fanden diese unvorstellbaren Bedingungen, unter denen diese Menschen, auch Umsiedler aus Bessarabien, nach dem Krieg litten und trotz allem das Land aus Schutt und Asche wieder aufbauten, tatsächlich Eingang in die Zeitung (Neue Zeit, 6.11.1947):

Die Verhältnisse in Prötzel besserten sich bis 1949 nicht wirklich, man befürchtete innerhalb der Partei eine Herd politischer Unruhen:

„In einem plötzlich auftretenden Gefahrenmoment kann diese Bevölkerungsschicht zu einem besonderen politischen Unsicherheitsfaktor werden.“ Kurt Büttner, als Umsiedlungsfunktionär der Deutsche Verwaltung des Innern (DVdI) eingesetzt, witterte in Prötzel einen Siedlungsschwerpunkt solcher „Umgesiedelten“, weshalb dort eine eingehende Untersuchung durchgeführt wurde, die jedoch die Haltlosigkeit seiner Behauptung erbrachte.  Die Einwohnerschaft Prötzels bestand 1949 tatsächlich zu zwei Dritteln aus Vertriebenen, das dörfliche „Unruhepotential“ entstand jedoch durch die Alteingesessenen, unter denen die Auffassung vorherrschte, „daß das Leben bei dem alten Gutsherren besser war und ihnen daher eine Rückkehr in diese Verhältnisse nach wie vor erstrebenswert erscheine“.2

Wie es dort 1945 aussah, kann man sich vorstellen, wenn man einige der zerfallenen Gebäude um das Schloß 2009 sah und sich einfach in die damalige Zeit zurück versetzte.

In der Zwischenzeit hat sich vermutlich einiges verändert, das Schloss hatte einen Investor gefunden, welcher Sanierungen durchführte. Daher nehme ich nicht an, das Umfeld sieht heute noch so aus, weil ich seit 2014 nicht mehr dort war.


1Die Zeit, 7.5.1970 Nr. 107, p3

2 Michael Schwartz (Autor): Vertriebene und „Umsiedlerpolitik“: Integrationskonflikte in den deutschen Nachkriegs-Gesellschaften und die Assimilationsstrategien in der SBZ/DDR 1945-1961, Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Band 61) De Gruyter Oldenbourg 2004, p. 698