Zur Erinnerung an unsere Vorfahren, die als Migranten aus Süddeutschland in die Welt zogen

Schlagwort: Brasilien

Briefe aus Südamerika 1913-1915

Die Abschrift dieser Briefe1 habe ich um einige Worte in Klammern zum besseren Verständnis ergänzt, da sie in der Knickfalte verborgen sind. Die Rechtschreibung wurde übernommen. Die Auswandererfamilie inklusive Vorfahren und Nachkommen ist mir bekannt, aus Datenschutzgründen habe ich einen Link zur Datenbank bewußt weggelassen, da ein Teil der Familie sich durchaus betroffen fühlen könnte, weil sie den Schreiberling in ihrem Verhalten arg getroffen hatte – es war die eigene Verwandtschaft.

Die bewegenden Worte und Sorgen im ersten Weltkrieg und die Schwierigkeiten, Kontakt mit den zurück gebliebenen in der alten Heimat zu halten, sind es wert, gelesen zu werden.


Jasinti trauz den 3 Juli 1913
Gott zum Gruß an euch ihr unsere Lieben in der ferne von allen das wir noch alle am Leben sind. Ich muß diesmal meinen Brief kurz machen weil es schon Nacht ist und Morgen früh soll der Brief schon fort. Weil wir aber den ersehnten Regen hatten. Die vergangene Nacht mit Gewitter. Ich wollte noch warten so schreibe ichs jetzt, es war sehr troken aber jetzt kan doch unsere Frucht
aufgehen, wir sind gestern fertig geworden mit säen und die Nacht es gleich gut geregnet alle Leute sind noch nicht fertig, jetzt wollen wir ihm Hannes mal 2 Tage helfen mit 2 Pflüge der hat noch genug, noch 3 Wochen Arbeit der Martin Mutter u. Lisa fahren Morgen in die Stadt wir haben noch Etwas Frucht zum verkaufen. Und Muter u. Lisa fahren mit unserem Federwagen die nehmen
im Hannes sein Schwein mit zum verkaufen, Ich will nicht mit fahren. Ich bin erst kürzlich von der Reise gekommen Ich war in Coranel – Suarez war 10 Tage fort hab nach unserem Haus nachgeschaut, hab ja auch euren Brief erhalten
vom 18 April und auch das Bild auf mein Geburtstag danke vielmals dafür das du an mein 56 Geburtstag denkt hast.
Ach und Unser Stolz Christoph hat auch das Zeitliche gesegnet und so scht schnell ist er abberufen worden, möchte doch der Mahnungsruf, nicht bei uns vorüber gehen jede Stunde das wir doch auch sterben mmüssen behüte uns doch Herr vor einem schnellen Tode das es doch uns nicht so geht wie den Thörichten Jungfraun

N. 2.

jetzt nochmal so eine Traurige Nachricht vom Friedrich Kuch seinem Leonhart, was soll man aber da noch sagen könnte da die gemeinde keine Fürbitte einlegen für ihn, das dem Karl am Mutterwitz fehlt etwas das weiß ich ich hab ihn oft beobachtet wen du wieder schreiben thust dan vergeß es nicht wie es ihm ergangen ist weil ich
doch an dem bin Ich hab dir schon öfter geschrieben wie es den 3 Buben ergangen ist wo dem Treichel ermordet haben, Und unserem Bitterman Michael in Seimenthal wo den Mann erschlagen hat Du mußt es doch wissen, hast uns aber noch keine Auskunft gegeben Du mußt es immer vergessen, haben, auch hast du uns geschrieben das bei dem Geld der Herr Missler ein Brief beigelegt hat, das du es uns sollst zu wissen geben, Ich hab ihm gleich zurük geantwortet das ihr das
ehe Geld ohne Schwierigkeiten erhalten habt er freute sich sehr darüber das sich nicht wieder die Schwindliche Juden die Finger haben abputz können man kann sich verlassen auf den Missler, ich werd mich an keinen andern wenden wie an den Missler kann sein was es will, er laßt jetz auch das Buch von der Titanik von dem Schiffsuntergang kommen für mich könnt es ja schon langst haben aber ich bi zu früh gewesen, es biebt ja nich eins jetzt von dem großen Wirbelsturm Tonata wo so viele Tausend Menschen ums Leben kamen, wieider schreibst du ihm Martin seinem Brief das der Weingärtner glüklich zuhaus ankekomn ist Und ihr auch das geld erhalten habt aber weider gar nichst Ich hab ihm doch auch Porträter mitgegeben an alle man geschwister an jeden Eins, Und schreibst auch nicht das du das geschenk schon erhalten hast den Rok von der Mutter, Und ob du das Tuch schon erhalten hast von der Alten Krämern wo so viel Gram dir zubereitet hat, u ob du es so gemacht hast wie ich die geschrieben habe

Jasinto-trauz den 22

nach Russischer Rechnung den 9 Dezember 1914 Ach betet auch wir hier alle ins gesammt, das doch die Flucht nicht möge im Winter geschehen, traurig, traurig, was wird as noch werden, was haben wir nicht alle verdient bei unserem Gott, alle ohne ausnahme, das wir so gestraft werden nach verdienst möchten doch alle von Herzen Bitten und unsere Knie beugen vor unserem Gott der doch alles in seiner Hand hat, vom Kaiser u. König an, bis auf den gemeinsten Soldat das doch die Menschenschlächterei ein Ende möge kriegen. Es ist schwer in solchen Zeiten ein Brief zu schreiben. Darum möchte ich doch alle Grenzbeamte Bitten wo der Brief in die Zensur komt, nicht in den Babierkorb zu werfen ich schreibe ja nichts Unrechtes, mein Wunsch wäre doch das mein schreiben doch an Ort und stelle möge gelangen, das doch meine einzige Tochter, deren Mann auch im Krieg ist, wen nicht schon lang Todt. Daß sie doch von uns Nachricht bekomt, das wir an ihrem Schmerz antheil nehmen. Ein Lied im Gesangsbuch, 603 habs eben, aufgeschlagen, nicht besonders gesucht. Wenn wir in höchsten Nöthen sein; und wissen nicht, wo aus noch ein, und finden weder Hilf noch Rath2, ob wir gleich soogen Früh und Spat. u. s.w. Ach was soll ich dan schreiben, Ich weiß zu viel, und kans und darf nichts schreiben, Ich möchte doch Neutral bleiben, das Ich doch keinen verletzen thue, Es thut mir Leid genug, das Rußland und Teutschland Krig miteinander führen, Nachbarn und Blutsfreund, möge doch unser Gott bald ein End machen, Es wären doch schon genug Wittwen und Waisen, bis in die Hunderttausende sind wo der Vater in fremder Erde begraben liegt. Gott erbarm dich doch Entlich es wären genug nach Menschlicher Ansicht, aber nicht Unser Wille sondern dein Wille soll geschehen

Wil etwas anderes schreiben wie es uns geht in der Fremde die unsrigen sind noch alle gesund u. am Leben gerate Ich bin nicht gesund, ich kan in der Ernde nicht mehr arbeiten, mein Herz ist noch gesund, und kann auch noch gut Essen, aber mich hat jetzt schon 2 mal eine Art schlag getroffen, voriges Jahr ehe Ich zur Johanna gereist bin, habs nicht groß geachtet und dieses Jahr schon wieder im Oktober Monat, und es will nicht mehr besser werden eher noch schlechter, wen ich ins Spital könnt gehn thät ich vieleicht wieder gesund werden, auf der rechten Seite von Kopf bis an die Fußsohle bin ich halb Lahm, Ich will arbeiten aber ich kann nicht mit der Ernde steht es noch gut, in 5 Tage, geht es los. wens noch [ohne] schaden bleibt, da kan man schon in das Leid einstimmen die Ernd ist da Es winkt der Halm dem Schnitter schon entgegen, wen es so noch vor schaden behütet und bewahret bleibt. es ist jetzt die gefährliche Zeit hier mit dem Hagel vor 4 u 5 Tag hat es gar nicht weit viel Frucht verschlagen so schnell kan unser Gott einen Strich durch die Rechnung machen. Und die Leute sind theuer dieses Jahr durch den Krieg uns kommt unser Ernd wenigstens 700 Peso ohne die Kost, wir haben auch viel Arbeit, wens vor schaden sollte bleiben, Ich säe nicht mer h.. ich kan nicht mehr arbeiten Unser Haus in Koronel-Suarez geht uns mit sach[en] zu grunde sind lauter so liedriches Saratofer wo das Haus bewohnen, und dan gehn sie bei Nacht und Nebel davon, und Zahlen nichts. jetzt gehe nach, und such sie in der Welt. Ich sollte noch viel schreiben aber es geht nicht, bekomst dan du gar keine Nachricht vom August wo mag er wol sein wen er noch unter den lebenden ist, deine 3 Briefe haben wie nacheinander bekomen von 20 Juli 28 Juli 9 September. wo der August nach Odessa ist zum Schluß wünschen wir doch das er doch die seinen wieder sehen möchte Grüßt doch die Katharina von uns und eure Eltern wen sie noch leben wir verbleiben deine alte Eltern V. und Mutter auf ein anders wiedersehen

Jasinto trauz den 1 August 1915
Weil heute der 1 August ist nach Russischer Rechnung der 19 Juli müssen wir Eurer gedenken ist gerade ein Jahr her da der August unter die Waffen berufen worden ist, ob er noch lebt das weißt Gott besser als wir hier, 1 Jahr ist schon
vergangen Und noch kein Frieden. hab heute die Zeitung bekommen, Und ist nichts von Friedensverhandlungen zu finden möchte sich doch Gott entlich doch doch einmal Erbarmen
und dem Menschenmorden doch ein Ende machen O Herr erhör du doch unser aller Menschen ihr Gebet, daß es doch Frieden gäbe möchte, Erhörst dan du gar kein Gebet mehr, Ein guter Vater Erbarmt sich doch über seine Kinder so erbarm doch du dich auch entlich die deinen was soll Ich dir Lisa wieder schreiben, trag alles in geduld was unser Gott dir auferlegt hat. In größer Kreuz zu näher Himmel, wer ohne Kreuz ist ohne Gott mit gewalt können wir nichts erbitten, wir müssen aushalten, hilf Herr einen jeden sein Kreuz tragen möchte doch die Zollbehörde bitten den Brief durchzulassen, und nicht in den Babierkorb zu werfen, ich schreibe ja nichts unrechtes vom Krieg weiß ich ja noch zuviel, konnte ein ganzes Buch voll schreiben weiß jeden Fleck wo gekämpft wird will dir Jetzt auch zu wissen geben so viel ich weiß ist das der Fünfte Brief wo aufm weg ist Deinen Brief vom 8ten Abril haben wir erhalten Ich hab ihn der Johanna zugeschikt. will dir auch zu wissen geben das 50 Peso geld auf dem Weg nach Rußland an dich sind. Ich hab das Geld ihn

Quer—————-
Sei du so gut Lisa und geh nüber nach Brienne zum Maribasle und frag sie ob sie kein Brief von uns erhalten
hat und grüß sie von uns Ich hab ihr geschrieben den nämlichen Inhalt von deinem brief. sie weißt es besser wer
unter die Waffen gerufen ist Ich will jetzt gerate sagen Gustav Zimmermann S. Gottlieb u.s.f. grüß auch Zimmermanns
von uns die Ernde war gut. hab noch für 400 Peso Frucht zum verkaufen. Ist aber auch alles theuer hier. Der Weltkrieg

auf dem Kopf——-
lebt den euer Vater
auch noch Grüß ihn von uns

Georg zugeschikt oder den Cheek, das war so, die Johanna u Georg haben uns diesen Winter besucht sie warn aber ein Monat hier auf besuch ist ein manches geredet worden von dir und vom August wie mans machen soll das man dir doch in der großen Noth doch etwas helfen kan, Ich war selbst in Buenos Aires beim F. Missler hab mich unäntlich befragt wie mans machen soll um gelder nach Rußland zu schiken dan sagte er jetzt geht es nicht wird mir schreiben wens geht wird er es abschiken jetzt das der G[eorg] hier war im Mai Monat hat er uns einen plan angegeben wen er nach hause fahrt dan werd er selbst zum Russischen Kunsol gehen und sich dort befragen ganz genau er kan gut Russisch reden und auch schreiben dan werd ers uns zu wissen thun und ihm Juni hat er uns geschrieben er war beim Kunsol dan hab ich einen Cheek gekauft beim unserm Geschäftsman für 55 Peso und unserer Besek zugeschikt nach Entre-Rios und der hat den Cheek durch den Ku[nsol] abgeschikt, jetzt wer weiß ob du es wol erhalten wirst in deren Kriegsz[eiten] ob es nicht verloren ist, ware da ein so großer verlust für dich und auch [für] uns wie wäre doch dir geholfen wen du es solltest glüklich bekomen dan sch[reib] es in 2 Briefe komt einer nicht her dan komt vielleicht der andere, dan schiken [wir] nochmal etwas wie könnten gleich wieder aber wenns verloren dan ists..
Ich will noch Etwas schreiben was du mir beantworten wo ist der Gottliebsvetter ist er unter die Fahnen berufen worten Und schreib mal nach Glüksthal sie sollen dich betauern und sollen deiner Mutter ihr vermögen dir zukommen lassen die Groß[mu]ter wird ja jetzt Todt sein. Hilfts nichts dan schads nichts noch Etwas zum Schluß schreib mir [in] kurzen Worten wer in Brienne als unter die Waffen gerufen worden ist. schreib gerade so Augu[st] Rudel S. von Friedrich u.s. w. zum schluß grüßen wir dich mit samt deinen Kindern v[on] deinen Eltern und geschwistern nochmals bis aufs frohe wiedersehen, Ich dein Vater werd dich wol nicht mehr von Angesich sehen Ich bin arg ungesund arbeiten kan ich nicht mehr


1 R 57 Deutsches Auslands-Institut
6.1.6.3.1.2.7. Arzis
R 57/10845 A – G
Unterlagenart Sachakte
Alte Signatur R 57-NEU/1314
Benutzungsort Berlin-Lichterfelde

2 Christliches Kirchen und Haus-Gesangbuch: Für evangelischlutherische Gemeinen. Nebst einem Gebetbuch, einem Lectionarium und dem kleinen Katechismus Martin Luthers. Hrsg. von Karl Petrus Theodor Crome
Druck von A. Martini u. Grüttefien in Elberfeld, 1875

Warnung vor der Auswanderung nach Brasilien 1908

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Warnung vor der Auswanderung nach Brasilien.

Ist die Zahl der aus Rußland nach Brasilien Auswandernden auch keine große, so ziehen doch alljährlich neben Letten namentlich russisch
deutsche Kolonisten über das große Wasser nach Brasilien, wohin neuerdings sehr verlockend klingende Aufforderungen ergehen. Daß aber nicht alles Gold ist, was glänzt, daß vielmehr, und zwar besonders für Deutsche die Emigration dorthin auch ihre argen Schattenseiten hat, erweist eine längere Darlegung, die uns von Lizentiat Faure – Witzenhausen zugeht und der wir folgende Angaben entnehmen:
„Gegenüber den Schilderungen vom glänzenden Fortkommen deutscher Kolonisten in Brasilien muß festgestellt werden, daß die deutschen Ansiedler, selbst in den besonders dafür günstig gelegenen 3 Südprovinzen seit 70 bis 80 Jahren teilweise dort sitzend, weder national noch viel weniger wirtschaftlich irgendwie nennenswert vorwärts gekommen sind. In einer Zeit, wo überall in der Welt, zumal aber in Deutschland selbst, sich ein außerordentlicher wirtschaftlicher Ausschwung vollzogen hat, sind jene nach Brasilien ausgewanderten Ansiedler trotz harter Arbeit und ruhmhaft überwundener Entbehrungen, ja trotz vielfach hochzurühmender deutsch-nationaler Kernnhaftigkeit und Zähigkeit, wirtschaftlich in argem Rückstand geblieben. Es gehört schon zu ganz seltenen und besonders lobenswerten Leistungen, wenn eine Bauernfamilie in der dritten oder gar vierten Generation mit größter Arbeit und Tüchtigkeit es mühsam innerhalb der letzteren drei Menschenalter bis zu einem Vermögen von etwa 30,000 Mark gebracht hat. Die Schuld an mangelnden Erfolgen in Brasilien liegt im wesentlichen an den dort herrschenden Zuständen, in den sozialen und Verwaltungs – Verhältnissen des Landes und nicht zum wenigsten an der außerordentlichen Rechts – Unsicherheit, die namentlich bei dem maßgebenden Chauvinismus der Lusobrasilianer sich mit besonderer Mißachtung den Deutschen gegenüber zeigt. Der Brasilianer hat Angst vor dem Engländer und dessen weltbeherrschender Seemacht, er erstirbt in Hochachtung vor dem Franzosen als dem seiner. Ansicht nach eigentlichen Träger der Kultur, aber er mißachtet den Deutschen in nationaler Hinsicht und schützt ihn nur soweit, wie des Einzelnen persönliche Tüchtigkeit in Handel oder Technik und auch als Ackerbauer ihm notgedrungen Respekt einflößt. Um dieser unleugbaren Tüchtigkeit der Deutschen willen sucht man jetzt auch arme Deutsche für die Kulturentwickelung Brasiliens erneut heranzuziehen. Aber wie allein schon die Tatsachen des neuen brasilianischen Ein Wanderergesetzes vom 19. April 1907 bewiesen, hat man es dabei lediglich abgesehen auf leistungsfähige Menschen, nicht aber auf Vertreter des deutschen Elements an sich, denn das Gesetz mit seinen verlockenden Versprechuugen betont ausdrücklich, daß eine geschlossene nationale Ansiedlung von Deutschen nicht zugelassen werden darf. ES schreibt vielmehr das Gesetz vor, daß 1. innerhalb der für Ausländer bestellten Kolonien einheimische Brasilianer bis zu 10% mit angesiedelt werden können sollen und daß 2) unmittelbar neben einer Kolonie von höchstens 300 ausländischen Ansiedlern jedesmal sofort eine gleichgroße Ansiedlung von Brasilianern geschaffen werden muß. Man will also unbedingt die fremden Einwandrer und nicht zum wenigstens die Deutschen dann möglichst bald durch das zwischengesprengte und umschließende Brasilianertum national unterbuttern auf gut Deutsch zum brasilianischen Kulturdünger machen. Auch die Bestimmungen über die Einrichtung von Staatsschulen, natürlich mit brasilianischer Sprache und dergleichen mehr, weisen auf dasselbe Ziel hin.
Wenn endlich die Agitatoren für Brasilien behaupten, Brasilien verspräche bisher unbekannte Vorzüge, nämlich freie Ueberfahrt
und 100 Morgen Land nebst einem Haus und Ackergerätschaften, so entspricht das auch nicht den Tatsachen. Der Einwanderer muß diese Geschenke, wenn er einen festen Besitztitel darauf gewinnen will, innerhalb zweier Jahre bar bezahlen. Bezahlt er sie nicht, so werden ihm die Kosten als eine regelmäßig zu verzinsende und spätestens innerhalb acht Jahren zu amortisierende Schuld
belastet.
Auch bestehen Bestimmungen, wonach Auswanderer, die unter Umständen Brasilien durch Krankheit oder infolge von Unglück zur Last fallen sollten, wieder nach dem Heimatland abgeschoben werden können. Bezeichnenderweise gilt das Versprechen auf freies Land und freies Haus nur für diejenigen, welche sich innerhalb zweier Jahre mit einem Brasilianer oder mit einer Brasilianerin verheiraten. Abgesehen aber von diesen eigentümlichen Lockmitteln, womit Brasilien sein Blut auffrischen und seine Bevölkerung verbessern will, ist auch darauf hinzuweisen, daß 25 Hektar Land mit einem sogenannten brasilianischen Pause auch für eine arbeitsame Familie keine ausreichende Sicherheit zur Deckung des Lebensunterhalts sind.
Solange Brasilien nicht durch Taten seine Vorliebe für deutsche Ansiedler beweist, müssen wir nachdrücklichst vor jeder Auswanderung dahin warnen. Besonders muß betont werden, daß die schönen Versprechungen des Einwanderungsgesetzes mangels der nötigen Geld bewilligungen nur auf dem Papier stehen, mit Ausnahme der einen Provinz San Paulo. Diese Provinz hat zwar die nötigen Mittel bewilligt. Aber hier kann der deutsche Ackerbauer aus klimatischen und wirtschaftlichen Gründen nicht
leben und gedeihen. Wohl aber bedarf die Provinz möglichst zahlreichen und billigen Ersatz für die bisherigen schwarzen Sklaven
arbeiter auf den Kaffeepflanzungeп.“

Auswandererschicksal Mai 1826

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11-6-1826 Bremen, 11. Jun. Mit Leidwesen ersehen wir hier aus einem Schreiben aus Mainz in öffentlichen Blättern, da allen Warnungen und der bestimmten Erklärung deß brasilianischen Herrn Geschäftsträgers zum Trotz, daß wer seine Ueberfahrt nach Brasilien nicht selbst baar bezahlen kann, nicht darauf rechnen darf, durch ihn hinübergeschafft zu werden, dennoch verblendete Landsleute sich auf hier aufmachen, um nach Brasilien auszuwandern. Am 31. Mai kam zu Mainz eine kleine, aus 48 Köpfen bestehende Karavane solcher bethörter und, wie nach jenem Schreiben scheint, unbemittelter Leute auf ihrer Reise auf hier an, die wahrscheinlich durch Betrüger hintergangen, gegen die Warnungs-Anzeige des Herrn v. Schäfer von ihm eingeladen zu seyn glaubten. “ Einsender dieses, heißt es in jenem Artikel, sprach mit ihnen und erzählte ihnen das bedauernswürdige Schicksal der württembergischen Auswanderer in Bremen, wie sie, ohne das Mitleid der dortigen Bewohner, dem Hungertode preisgegeben waren, und ohne Geld keinen Schutz zu erwarten hatten. Die Unglücklichen hielten Alles dieses für Täuschung und waren nicht zurückzuhalten.“
Möchte doch jeder, der dazu Gelegenheit hat, solche unglückliche auswanderungslustige Leute zu enttäuschen und aus ihrem Irrthume zu reißen suchen“ Mögen sie insbesondere diejenigen, welche nach Brasilien auswandern wollen, zu bewegen suchen, sich vorher mit dem bekannt zu machen, was sie dort zu erwarten haben, und zu lesen, was die Zeitschrift Columbus (und nach ihr Flora 67 und der Nürnb. Corresp. Nr. 137) in einem Schreiben des bairischen Gelehrten, Herrn von Martius, der selbst in Brasilien war, darüber mitgetheilt hat. Nur das große Elend, worin sich einige zwanzig Familien der obenerwähnten württembergischen Auswanderer befanden, vermochte diesige Einwohner, an deren Mitleid Unglückliche in der Nähe nähere Ansprüche hatten, dazu , Geld zusammen zu schießen, damit diese Leute nur wieder in ihre Heimath zurückgeschafft werden konnten. Auf solches Mitleid dürfen leichtsinnige Leute aber für die Zukunft nicht wieder rechnen, um so mehr, da sie im voraus gewarnt sind und ihnen ihr Schicksal vorher gesagt wird.
(Bremer Ztg.)

Auswandererschicksale 1825

Neckar-Zeitung 1826

Neckar-Zeitung 29. Januar 1826

Darmstadt, 20. Dec. Die hiesige Zeitung giebt folgenden Bericht aus Vilbel vom 6. Januar: Nachstehende Einwohner des hiesigen Landrathsbezirks:
1) Konrad Rau von Oberau, mit Frau und 5 Kindern,
2) Peter Boning von da, mit Frau und 5 Kindern,
3) Mich. Herrmann von da, mit Frau und 7 Kindern,
4) Johannes Mehlmann von da, mit 2 Kindern,
5) Jakob Berg von Rodenbach, mit Frau und 8 Kindern, hatten sich durch trügerischen Vorspiegelungen des bekannten Major Schäfer zu dem Entschlusse verleiten lassen, nach Brasilien auszuwandern. Nachdem jeder Einzelne von ihnen von einem Agenten des Majors Schäfer die schriftliche Versicherung erhalten hatte, „daß sie mit ihren Angehörigen als Kolonisten und Bürger in dem Kaiserthum Brasilien auf- und angenommen, und aller von Sr. Majestät dem Kaiser von Brasilien den deutschen Einwanderern zugestandenen Vorrechte und Vortheile theilhaftig seyen,“ nachdem sie hierauf ihre sämtliche Habe versilbert und ihre Gläube bezahlt, auch im Frühjahr 1824 die Auswanderungs-Erlaubnis von der großherzogl. Regierung zu Gießen erhalten hatten, reisten sie (jedoch durch mancherlei Umstände aufgehalten, erst zu Anfang Oktober 1825) nach Hamburg ab. Im verflossenen Monat kamen zuerst die vier erstgenannten, und bald darauf Jakob Berg, mit ihren Familien, im allergrößten Elend wieder in ihrer Heimath an. Vor dem großherzogl. Landrathe erzählten sie ihr Schicksal übereinstimmend auf folgende Weise: „Da wir schon in unserer Heimath, nach Bezahlung unserer Gläubiger, mit wenig Vermögen versehen waren, so konnten wir nach einer so harten und beschwerlichen Reise in Hamburg wenig übrig haben, und wir verfügten uns daher sogleich nach unserer Ankunft zu dem Major Schäfer, um unsere Ueberfahrt zu beschleunigen. Die erste Frage, die derselbe an uns that, war: ob wir Geld und Vermögen hätten? Auf unser Vaterland nicht verlassen haben würden, bemerkte er sogleich, daß wir, demnach nicht eingeschifft werden könnten. Doch würden wir, auf unsere dringende Vorstellung, auf den nächsten Tag beschieden und unsere Papiere, um sie näher einzusehen, zurück behalten. Indessen erfuhren wir, daß von allen Auswanderungslustigen ohne Unterschied 120 fl. Ueberfahrtskosten per Kopf verlangt würden, daß nur wenige diese große Summe mitgebracht hätten und daß daher viele schon wieder den Rückweg angetreten hätten. Als wir am andern Tage wieder zu dem Majör Schäfer kamen, wurden wie nicht einmal vor ihn gelassen, sondern von seinem Schreiber bedeutet, daß wir ohne Hinterlegung der Ueberfahrtskosten, die zu 120 fl. per Kopf bestimmt wurden, nicht eingeschifft werden könnten. So wurden wir nicht nur ohne weiteres Gehör wbgewiesen, sondern auch die von dem Major Schäfer erhaltenen Schreiben unter dem Vorwande, da0 sie verlegt sexen, zurückbehalten. Da wir nun einmal so weit gekommen waren; so versuchten wir zwar alle Mittel, und Wege um unseren Auswanderungs-Zweck zu erreichen, – aber vergeblich. Da uns überdieß in Hamburg von dasigen Einwohnern die schrecklichsten Beschreibungen von dem; was wir auf der Ueberfahrt und in Brasilien selbst würden auszustehen haben, gemacht wurden; so traten wir mit Weibern und Kindern in der furchbarsten Regenzeit einen Rückweg an, der uns Zeitlebens ein Schreckensbild seyn wird.


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brasilien-22-01-1826

Darmstadt, 22. Januar. In dem vorgestrigen Blatte der O.P.V.Z. wurde das traurige Schicksal von fünf Familien erzählt, welche mit dem Entschlusse, nach Brasilien auswandern, bis Hamburg gereist, aber schon dort zur Rückreise genöthigt worden waren. Hören wir nun auch einen Augenzeugen über das Schicksal, welches diejenigen zu erwarten haben, die wirklich in das Land ihrer geträumten Glückseligkeit gekommen sind. Wie mancher unter diesen würde den schrecklichen Zustand jener armen Familien noch beneidenswerth finden, wenn er, in ungeheurer Entfernung von dem Lande seiner Heimath, an der Möglichkeit verzweifeln muß, daß es jemals anders mit ihm werde! Jener Augenzeuge ist P. H. Schuhmacher, vormals Kommandant an Bord eines Schiffes, welches Auswanderer nach Brasilien transportirte. Derselbe hat über seine Reise eine Schrift drucken lassen, welche den Titel führt: Beschreibung meiner Reise von Hamburg nach Brasilien im Juni 1824, nebst Nachrichten über Brasilien bis zum Sommer 1825 von P. H. Schuhmacher.“ Dem Verfasser war von dem brasilianischen Agenten in Hamburg, dem Major v. Schäffer, das Kommando über einen Transport sogenannter Kolonisten aufgetragen worden. Der größte Theil derselben war von dem Major v. Schäffer unter dem Vorwande angenommen worden, in den kaiserl. Fabriken in Brasilien angestellt zu werden, oder als Kolonisten das Land zu bauen, und es waren ihnen hierbei die vortheilhaftesten Bedingungen gemacht worden. Vor der Abfahrt kam der Agent noch an Bord des Schiffes, um alle jungen Leute zum Militärdienst abzuzeichnen, jedoch mit dem Bemerken, daß es ihnen bei der Ankunft in Rio-Janeiro frei stehe, der Regierung ihre Wünsche vorzutragen. Nach einer glücklichen Seereise langte das Schiff den 11. Okt. in Rio-Janeiro an, Die Mannschaft wurde nach der Ausschiffung sogleich vom Kaiser besichtigt, und die Kolonisten nach Porto-Allegre, einem nördlich gelegenen Hafen, eingeschifft, von wo sie über 100 Stunden ins Innere des Landes gebracht wurden, wo soe angekommen, täglich8 Schill. Hamd. zu ihrem Unterhalte bekamen, übrigens aber ohne Weiteres ihrem Schicksale überlassen wurden. Ich sprach, sagt der Verfasser, wegen dieser Behandlung mit dem Inspektor, zeigte ihm den gedruckten Kontrakt, von dem Major v. Schäffer unterschrieben, nach welchem es jedem frei stehen sollte, sich seine Beschäftigung zu wählen, und nach welchem sie Regierung den Kolonisten, außer dem erwähnten Unterhalt, auch Vieh, Ackergeräthschaften liefern wollte. Ich machte dasrauf aufmerksam, wie wenig es der Regierung von Nutzen seyn könne, wenn alle jungen Kolonisten zum Militärdienst gezwungen würden, da die alten Leute nicht im Stande wären, ohne gemeinschaftliche Mithülfe der jungen den Boden urbar zu machen, oder sich, wenn die Unterstützung der Regierung aufhöre, durch ihrer Hände Arbeit ihren Unterhalt zu erwerben. Der Inspektor antwortete mier hierauf, daß er dieß wohl einsehe, daß jedoch der Befehl des Kaisers in dieser Hinsicht bestimmt wäre. Um sich die Lage eines Kolonisten recht deutlich vorstellen zu können, muß man wissen, daß das Innere dieses großen Landes wüste und menschenleer, und den umherschwärmenden wilden Horden gänzlich überlassen ist; daß die Kolonisten aus gänzlichem Mangel an Vieh und Ackergeräthschaften den Boden nicht gehörig bearbeiten können, da sie aus Mangel an Wegen außer aller Verbindung mit anderen Bewohnern des Landes sind, und endlich bei der Entfernung von den Küsten oder einem bewohnten Orte außer der Möglichkeit sind, ihre Produkte leicht und vortheilhaft abzusetzen, oder sich auch nur die nöthigsten Bedürfnisse anzuschaffen.
Das höchst ungerechten Verfahren ist in Brasilien fortwährend gegen die Kolonisten ausgeübt worden; so sind aus der Schweizer Kolonie Neu-Fryburg alle jungen Leute weggeführt und unters Militär gesteckt worden, indem zur Entschuldigung dieser Maßregel geäußert wurde, man brauche Soldaten nöthiger, als Kolonisten. Die Justiz ist in einem bejammernswürdigen Zustande. Unmenschliche Gesetze aus früheren Jahrhunderten sind noch in Kraft, und da es den Richtern noch bis jetzt gänzlich überlassen sit, solche Kriminalsachen zu modificiren, oder in ihrer ganzen Strenge den Schuldigen zuzuerkennen, so ist ein großes Feld von Bestechungen und anderen nichtswürdigen Handlungen eröffnet. Der treuherzige und ruhige Ton, mit dem der Verfasser seine Erzählung giebt, drückt derselben den Stempel der Wahrheit zu deutlich auf, als daß man im Geringsten die angefühten Thatsachen in Zweifel ziehen dürfte, und sie werden duch die übereinstimmendin Urtheile anderer Augenzeugen bekräftigt. Möchten sie als Warnung von unbesonnenen Auswanderungen zurückhalten und bedenklen lassen, daß der fleißige Mensch in einem kultivirten Lande stets eher sein Fortkommen finden wird, als in einem solchen, welches er erst werden soll.

Auswandererschicksal Fritz Kruse 1907

Rigasche Rundschau Nr. 99 vom 1. Mai 1907

Auswandererschicksale1 schildert ein Brief, der den Muhsu laiki aus Brasilien zugesandt ist. Der Schreiber Fritzis Kruhse, berichtet, daß er, durch „mancherlei Wirren und Unruhen“ gezwungen, seinen Posten im Innern Rußlands verlassen habe, um sich ein neues Vaterland und „menschlicheres Leben“ zu suchen. In Riga kann er sich „verschiedener Unstände“ wegen nicht tagelang aufhalten, sondern muß mit dem ersten fälligen Dampfer fort nach Gent. Von dort geht es über Antwerpen nach London und mir dem Endziel Sao Paulo nach Brasilien. In England aber beginnen bereits Enttäuschungen. Statt freies Quartier im Schiffskontor zu erhalten, wie die Agenten versprochen – die ganze Fahrt soll kostenlos sein – muß der Schreiber mit anderen Emigranten 10 Tage im schmutzigsten Judenviertel Londons in irgendwelchen Spelunken verbringen. Von Ordnung keine Spur: „Sogar die Männer wußten nicht, wo ihre Frauen sind, und die Kinder und Frauen ahnten nicht, wo sich ihre Männer befinden“. Endlich geht es in einem kleinen Dampfer nach dem französischen Hafen Cherbourg, wo beim Aissteigen alle „nach Heringen stanken, weil wir in der Stickluft der unteren Schiffsräume eingesperrt waren“. Auf dem großen Ozeandampfer kommen die Reisenden müde und hungrig an und erhalten – „verwelkte Kartoffeln und russische Heringe, jeder 3 Kartoffeln und einen halben Hering“. Statt der versprochenen eigenen Kabine für jede Familie gibt es nur Deckplätze, statt der sauberen Betten nur schmutzige Matratzen – dabei das ganze Elend der Seekrankheit, ein Arzt, der für niemand zu sprechen ist, ein Feldscher, der für großes Geld wertlose Medizinen verteilt. In Sao Paulo endlich muß das versprochene Land beim Kolonialdirektor bar bezahlt werden, und zwar ohne daß es der Käufer vorher gesehen hat, und am Schlusse stellt sich heraus, daß die Kolonie „Neu-Odessa aussieht wie eine unfruchtbare Wüste! – „Tag und Nacht hört man klagen und weinen ohne Ende: betrogen, betrogen, betrogen.“

Am 5. Juli 1923 wurde Fritz Kruse mit seiner Familie in Neu-Odessa, Brasilien eingebürgert.2

Einbürgerung Fritz Kruse


1 Rigasche Rundschau Nr. 99 vom 1. Mai 1907, p.7

2 Archiv des Staates São Paulo: Museu da Imigração do Estado de São Paulo

Süd-Amerika

Karte Verbreitung des Deutschtums in Süd-Amerika 18961

Einzelne Deutsche fanden sich bereits seit der Entdeckung des Kontinents in Südamerika.

Bartholomäus Welser der Ältere
Bartholomäus Welser der Ältere4

Der Augsburger Bartholomäus V. Welser (1484-1561) betrieb ein Handelshaus, wie die Fugger. Als der spanische König Karl I. (später Kaiser Karl V. ) ab 1525 den Handel mit der „Neuen Welt“ auch für in Spanien lebende Ausländer öffnete, erwarb er sich 1528 das Recht zur Kolonialisierung des heutigen Venezuela und beteiligte sich an der Gewinnung von Rohrzucker und am Sklavenhandel.

Am 12. Dezember 1528 kam ein Vertrag zustande, der zur Anwerbung von 50 deutschen Bergarbeitern aus Sachsen führte. Diese  wanderten mit ihren Frauen aus und arbeiteten in den von den Welsern gegründeten Kupferminen in Santo Domingo. Im selben Jahr schlossen die Welser einen fünfundzwanzigjährigen Vertrag über die Ausbeutung der Ressourcen des heutigen Venezuela mit der spanischen Krone ab, da Karl V. hohe Schulden bei ihnen hatte. So gelangte ein Teil der geworbenen Bergarbeiter auch nach Venezuela. Zunächst ein Zehntel, später ein Fünftel der Gold-, Silber- oder Edelsteinfunde erhielt der spanische König.

Die Welser mussten auf Grund ihrer Verträge auf ihrem Lehen Venezuela auf eigene Kosten mindestens zwei Städte gründen, drei Festungen bauen und diese besiedeln. Zu diesem Zweck sollten 600 Siedler mitgeführt werden. Die Welser durften Gouverneure und Beamte einsetzen und waren von der Salzsteuer und sämtlichen Zöllen und Hafengebühren im spanischen Monopolhafen Sevilla befreit, konnten Indianer versklaven und etwa 4000 afrikanische Sklaven einführen. Im Jahre 1529 kam Ambrosius Ehinger, der erste Gouverneur von Klein-Venedig mit 281 Kolonisten nach Neu-Augsburg (Coro), der damaligen Provinzhauptstadt Venezuelas. Noch im gleichen Jahr wurde Neu-Nürnberg (Maracaibo) gegründet.

Die Ermordung der Konquistadoren Philipp von Hutten und Bartholomäus Welser im April 1546 bei einer Expedition ins Landesinnere auf der Suche nach dem sagenumwobenen El Dorado, führte zum Zusammenbruch der Welserherrschaft in Venezuela. Mit dem Rücktritt Karls V. im Jahr 1556 gingen ihre Handelsrechte verloren.2

Einen anderen Weg ging der 1505/1506 in Nürnberg als Sohn eines Deckenwebers (Hans Blümlein und Frau Agathe Weltzer) geborene Bartholomäus, der als Bartolomé Flores am 12. Februar 1541 zum Mitbegründer Santiagos wurde. Die Straße, in der er wohnte, hieß ihm zu Ehren „Calle de Flores“ (heute „Catedral“). Sein Weg führte ihn über Sevilla/Spanien nach Santo Domingo/ Mittelamerika, wo er Handel mit Pferden und europäischen Waren aller Art betrieb. Nach kurzem Aufenthalt im späteren Nicaragua ging er 1536 nach Peru und stellte sich unter Befehl von Pedro de Valdivia. Inzwischen war er als Bartolomé Flores oder „El alemán“ bekannt. Er unterstützte dessen Eroberung mit 12.000 Goldpesos, 30 „yanaconas“ (eingeborene Sklaven) und Pferden. Auf seiner Encomienda in Chile betrieb er ab 1544 Weinbau, Landwirtschaft und Viehzucht, ab 1548 besaß er die erste Getreidemühle des Landes, in späteren Jahren war er der Kirche sehr zugetan und als großzügiger Spender bekannt, was ihm einen sehr guten Ruf in seiner neuen Heimat einbrachte, in welcher er 1585 verstarb.3


Neben diesen einzelnen kleinen Emigrationen gab es große Auswanderungswellen, so 1816/1817, als Hungerjahre die Deutschen vor allem nach Brasilien ausreisen ließ. Ähnliches geschah nach der europäische Agrarkrise 1846/1847 und der gescheiterte Revolution 1848.

Bereits  1817 versuchte Juan Martín de Pueyrredón (1776-1850), als erster oberster Regierender der Provincias Unidas del Río de la Plata, die Einwanderung in Argentinien zu fördern. Diese Einwanderungswelle sollte  Industrielle, Handwerker, Bauer oder Händler ins Land locken. Dafür versprach er, das alle Fabrikanten, Bauern und Kapitalisten, die sich im Lande niederlassen wollen, Brachland erhalten würden, und das ihre Besitztümer, Möbel, Maschinen, Werkzeuge und sonstige Ausrüstung für ihre Niederlassung vom Zoll befreit werden sollen.5

Ab 1820 begann das nun unabhängige Brasilien ganz gezielt Deutsche anzuwerben, zu diesem  Zweck entsendete die Regierung den Major Georg Anton von Schäffer, um Söldner und Siedler für die Provinz Rio Grande de Sul zu werben. Man versprach 200 Hektar Land, Vieh, volle Unterstützung im ersten, teilweise im zweiten und Steuerbefreiung für 10 Jahre. Bis 1828 rekrutiere Schäffer 25 Schiffsladungen voller Auswanderungswilliger ab Hamburg und Bremen, sowie einige Schiffe ab Amsterdam. Ab 1830 wurden weniger Siedler, dafür Arbeiter angeworben. Die Auswanderer ab 1840 wurden mittels der Handelsfirma Delrue, Dünkirchen, für die Provinz Rio de Janeiro geworben. Man versprach freie Überfahrt, ohne zu erwähnen, das die Kosten bei Ankunft „abzuarbeiten“ wären.

Hauptstrasse von Blumenau
Hauptstraße von Blumenau9
Kladderadatsch: Humoristisch-satyrisches Wochenblatt11

Ab 1859 verhinderte in Preußen das  Heydtsche Reskript wegen „weißer Sklaverei“ die weitere Auswandererbeförderung nach Brasilien. Der Handelsminister August von der Heydt lehnte in Hinblick auf die gesetzliche Diskriminierung der Protestanten jede Werbung für Brasilien ab und untersagte diese, letztlich beeinflusste das Reskipt das Auswanderungsverhalten jedoch nicht, so das es 1896 aufgehoben wurde.6

Nach Chile gelangten von 1846 bis 1875 etwa 8.000 deutsche Einwanderer. Ihre Ankunft geht auf Bestrebungen des Präsidenten General Manuel Bulnes und dessen Nachfolger Manuel Montt zurück und ist dem Interesse und Engagement Bernhard Eunom Philippis und Vicente Pérez Rosales zu verdanken.7

Rigasche Rundschau Nr. 99 vom 1. Mai 1907

Ab 1877/1878 wanderten vermehrt Deutsche aus Russland nach Südamerika aus. Der Verlust ihrer Privilegien aus derAnsiedlungszeit machte vielen das Leben schwer.

Vor allem Wolgadeutsche emigrieren nach Argentinien und gründeten dort zahlreiche Kolonien, unter ihnen Pueblo Santa Trinidad, Pueblo San Jose und Pueblo Santa Maria bei Coronel Suarez (Provinz Buenos Aires).

Ursprünglich war das Ziel zumeist Brasilien, jedoch wurden manche von den Schiffsreedereien und den argentinischen Einwanderungsbehörden getäuscht und in Argentinien festgehalten, andere wanderten jedoch freiwillig in die für den Getreideanbau fruchtbareren Gebiete der Provinz Buenos Aires weiter. Anfangs war ausreichend Land vorhanden, später mussten sich viele Einwanderer als Arbeitskräfte bei anderen Deutschen verdingen, wodurch soziale Kontraste entstanden, die sich noch heute im Straßenbild der Kolonien bei Coronel Suárez widerspiegeln: in der „Vordergasse“ stehen teilweise prächtige Häuser, im „Mandschurei-Gäßchen“ strohgedeckte Lehmsteinhäuser.8

Der Zustrom Deutscher aus Russland riß bis zum Ende des ersten Weltkrieges nicht ab. Unter ihnen waren auch Familien, die einst nach Bessarabien oder in die Dobrudscha auswanderten. So sollen hier die Familie des Gustav Kundt (1901-1987) oder des Christian Hiller (*1887), die sich 1909 in Argentinien nieder ließen, als Beispiel stehen.

Aus der Chortitza-Gemeinde Bergthal im Schwarzmeergebiet stammten vorwiegend Mennoniten, viele waren um 1874 nach Canada ausgewandert, als ihnen die Privilegien in Russland aberkannt wurden. Mit der Schulreform zum Ende des ersten Weltkrieges, welches Englisch als alleinige Unterrichtssprache vorsah und der Schließung der mennonitischen Privatschulen, wanderten sie nach Paraguay aus, da seit 1921 die Regierung Einwanderern Religionsfreiheit, Befreiung vom Militärdienst sowie das Recht auf eigene Schulen und ein freies Erbrecht zusicherte. Zudem verließen rund 2.000 Mennoniten zwischen 1930 und 1932 wegen der religiöse Unterdrückung und der Landenteignungen  Südrussland und Sibirien und folgten nun ihren bereits ausgewanderten Brüdern und Schwestern nach Paraguay, die dort 1927 die Kolonie Menno in der Wildnis des Chaco gegründet hatten. Weitere 6.000 ließen sich in Mexiko bei Cuauhtémoc nieder und gründeten Orte wie Grünthal, Hoffnungsfeld, Friedensruh, Schönwiese oder Blumenau.

Es folgten die Flüchtlingswellen des zweiten Weltkrieges, unter den Emigranten waren rund 40 – 60.000 jüdische Bewohner des „Altreiches“ ab 1933.

Eine kleine Siedlergemeinschaft von 170 mennonitischen Spätaussiedler-Familien ist im Jahre 2005 von Deutschland in die als Deutsche Musterkolonie gegründete Kolonie Neufeld nach Paraguay ausgewandert. Sie kauften gutgläubig Land und Setzlingen der Macademia-Nuss, um mit dem Anbau auf Macademia-Plantagen eine neue Lebensgrundlage zu finden. Bei den Scheingeschäften seien mindestens 14 Millionen Euro bis heute verschwunden (Aktenzeichen 4 KLs6Js145/11 – 23/12). Bereits 1994 war die Schweizer Kolonie Rosaleda (Rosengarten) in Chaco im Nordwesten Paraguays ähnlich beworben worden und für die Ankommenden Existenzgründer zur herben Enttäuschung geworden.10

 



1Deutscher Kolonial-Atlas. 30 Karten mit 300 Nebenkarten, entworfen, bearbeitet und herausgegeben von Paul Langhans: Nr. 9. Verbreitung des Deutschtums in Süd-Amerika; Verlag Justus Perthes Gotha 1897
2Mark Häberlein (Herausgeber), Johannes Burkhardt (Herausgeber); Die Welser: Neue Forschungen zur Geschichte und Kultur des oberdeutschen Handelshauses (Colloquia Augustana, Band 16), De Gruyter 2002
3Bartholomäus Blümlein: «El alemán» auf Eroberungsfeldzug; Condor, Deutsch-Chilenische Wochenzeitung, 25. April 2014
4Freiherrlich von Welsersche Familienstiftung, Reproduktion im Fugger-und-Welser-Erlebnismuseum, 1. Januar 1550; wikimedia gemeinfrei, User: Neitram
5Oelsner, Verónica: Die Europäische Einwanderung in Argentinien 1810-1914. Politikkonzepte, staatliche Förderung und Auswirkungen auf die argentinische Arbeitswelt. In: Themenportal Europäische Geschichte (2007)
6Walter Kamphoefner: Südamerika als Alternative? Bestimmungsfaktoren der deutschen Überseewanderung im 19. Jahrhundert; Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, vol. 41, issue 1, p. 199-216; Akademie Verlag GmbH, Berlin 2000
7Tragödien und Leiden; Condor, Deutsch-Chilenische Wochenzeitung, 17. August 2015
8Dr. Peter Rosenberg (1998): ”Deutsche Minderheiten in Lateinamerika”. In: Particulae particularum. Festschrift zum 60. Geburtstag von Harald Weydt. Herausgegeben von Theo Harden und Elke Hentschel. Tübingen 1998: Stauffenburg: 261-291. (Republished in: Martius-Staden-Jahrbuch 49. São Paulo: Martius-Staden-Institut: 9-50.)
9Ludwig Hoppe: Aus dem Tagebuch eines brasilianischen Urwaldpfarrers; Verlag G. D. Baedecker, Essen, 1901
10Bodo Hering; Deutsche Musterkolonie Neufeld: 20.000 Russland-Deutsche verloren 45 Millionen Euro in Paraguay; 6. Februar 2016; Berlin Journal
11Kladderadatsch: Humoristisch-satyrisches Wochenblatt — 14.1861
wikipedia, wikimedia

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