Warnung vor der Auswanderung nach Brasilien.
Ist die Zahl der aus Rußland nach Brasilien Auswandernden auch keine große, so ziehen doch alljährlich neben Letten namentlich russisch
deutsche Kolonisten über das große Wasser nach Brasilien, wohin neuerdings sehr verlockend klingende Aufforderungen ergehen. Daß aber nicht alles Gold ist, was glänzt, daß vielmehr, und zwar besonders für Deutsche die Emigration dorthin auch ihre argen Schattenseiten hat, erweist eine längere Darlegung, die uns von Lizentiat Faure – Witzenhausen zugeht und der wir folgende Angaben entnehmen:
„Gegenüber den Schilderungen vom glänzenden Fortkommen deutscher Kolonisten in Brasilien muß festgestellt werden, daß die deutschen Ansiedler, selbst in den besonders dafür günstig gelegenen 3 Südprovinzen seit 70 bis 80 Jahren teilweise dort sitzend, weder national noch viel weniger wirtschaftlich irgendwie nennenswert vorwärts gekommen sind. In einer Zeit, wo überall in der Welt, zumal aber in Deutschland selbst, sich ein außerordentlicher wirtschaftlicher Ausschwung vollzogen hat, sind jene nach Brasilien ausgewanderten Ansiedler trotz harter Arbeit und ruhmhaft überwundener Entbehrungen, ja trotz vielfach hochzurühmender deutsch-nationaler Kernnhaftigkeit und Zähigkeit, wirtschaftlich in argem Rückstand geblieben. Es gehört schon zu ganz seltenen und besonders lobenswerten Leistungen, wenn eine Bauernfamilie in der dritten oder gar vierten Generation mit größter Arbeit und Tüchtigkeit es mühsam innerhalb der letzteren drei Menschenalter bis zu einem Vermögen von etwa 30,000 Mark gebracht hat. Die Schuld an mangelnden Erfolgen in Brasilien liegt im wesentlichen an den dort herrschenden Zuständen, in den sozialen und Verwaltungs – Verhältnissen des Landes und nicht zum wenigsten an der außerordentlichen Rechts – Unsicherheit, die namentlich bei dem maßgebenden Chauvinismus der Lusobrasilianer sich mit besonderer Mißachtung den Deutschen gegenüber zeigt. Der Brasilianer hat Angst vor dem Engländer und dessen weltbeherrschender Seemacht, er erstirbt in Hochachtung vor dem Franzosen als dem seiner. Ansicht nach eigentlichen Träger der Kultur, aber er mißachtet den Deutschen in nationaler Hinsicht und schützt ihn nur soweit, wie des Einzelnen persönliche Tüchtigkeit in Handel oder Technik und auch als Ackerbauer ihm notgedrungen Respekt einflößt. Um dieser unleugbaren Tüchtigkeit der Deutschen willen sucht man jetzt auch arme Deutsche für die Kulturentwickelung Brasiliens erneut heranzuziehen. Aber wie allein schon die Tatsachen des neuen brasilianischen Ein Wanderergesetzes vom 19. April 1907 bewiesen, hat man es dabei lediglich abgesehen auf leistungsfähige Menschen, nicht aber auf Vertreter des deutschen Elements an sich, denn das Gesetz mit seinen verlockenden Versprechuugen betont ausdrücklich, daß eine geschlossene nationale Ansiedlung von Deutschen nicht zugelassen werden darf. ES schreibt vielmehr das Gesetz vor, daß 1. innerhalb der für Ausländer bestellten Kolonien einheimische Brasilianer bis zu 10% mit angesiedelt werden können sollen und daß 2) unmittelbar neben einer Kolonie von höchstens 300 ausländischen Ansiedlern jedesmal sofort eine gleichgroße Ansiedlung von Brasilianern geschaffen werden muß. Man will also unbedingt die fremden Einwandrer und nicht zum wenigstens die Deutschen dann möglichst bald durch das zwischengesprengte und umschließende Brasilianertum national unterbuttern auf gut Deutsch zum brasilianischen Kulturdünger machen. Auch die Bestimmungen über die Einrichtung von Staatsschulen, natürlich mit brasilianischer Sprache und dergleichen mehr, weisen auf dasselbe Ziel hin.
Wenn endlich die Agitatoren für Brasilien behaupten, Brasilien verspräche bisher unbekannte Vorzüge, nämlich freie Ueberfahrt
und 100 Morgen Land nebst einem Haus und Ackergerätschaften, so entspricht das auch nicht den Tatsachen. Der Einwanderer muß diese Geschenke, wenn er einen festen Besitztitel darauf gewinnen will, innerhalb zweier Jahre bar bezahlen. Bezahlt er sie nicht, so werden ihm die Kosten als eine regelmäßig zu verzinsende und spätestens innerhalb acht Jahren zu amortisierende Schuld
belastet.
Auch bestehen Bestimmungen, wonach Auswanderer, die unter Umständen Brasilien durch Krankheit oder infolge von Unglück zur Last fallen sollten, wieder nach dem Heimatland abgeschoben werden können. Bezeichnenderweise gilt das Versprechen auf freies Land und freies Haus nur für diejenigen, welche sich innerhalb zweier Jahre mit einem Brasilianer oder mit einer Brasilianerin verheiraten. Abgesehen aber von diesen eigentümlichen Lockmitteln, womit Brasilien sein Blut auffrischen und seine Bevölkerung verbessern will, ist auch darauf hinzuweisen, daß 25 Hektar Land mit einem sogenannten brasilianischen Pause auch für eine arbeitsame Familie keine ausreichende Sicherheit zur Deckung des Lebensunterhalts sind.
Solange Brasilien nicht durch Taten seine Vorliebe für deutsche Ansiedler beweist, müssen wir nachdrücklichst vor jeder Auswanderung dahin warnen. Besonders muß betont werden, daß die schönen Versprechungen des Einwanderungsgesetzes mangels der nötigen Geld bewilligungen nur auf dem Papier stehen, mit Ausnahme der einen Provinz San Paulo. Diese Provinz hat zwar die nötigen Mittel bewilligt. Aber hier kann der deutsche Ackerbauer aus klimatischen und wirtschaftlichen Gründen nicht
leben und gedeihen. Wohl aber bedarf die Provinz möglichst zahlreichen und billigen Ersatz für die bisherigen schwarzen Sklaven
arbeiter auf den Kaffeepflanzungeп.“