Heinrich Lhotzky als junger Mann (ca. 1880)1

Pastor Dr. phil. Johannes Heinrich Lhotzky2 wurde am 21. April 1859 in Claußnitz bei Burgstädt (Sachsen) geboren und starb am 24. November 1930 in Ludwigshafen am Bodensee.

Sein Vater Eduard Heinrich Julius (1.7.1816 Waldenburg –27.11.1862 Claußnitz)3 war ebenfalls Pfarrer und Sohn eines Kupferschmiedes aus Böhmen, seine Mutter Hephzibah Winkles aus London, hatte mit ihm fünf Kinder.

Leipziger Zeitung : Amtsblatt des Königlichen Landgerichts und des Königlichen Amtsgerichts Leipzig sowie der Königlichen Amtshauptmannschaft Leipzig. 1856,7/9 p.4400

Seine Ausbildung genoss er 1858 in der Herrnhuter Erziehungsanstalt Niesky, wechselte 1860 an die Gymnasien in Bautzen und Dresden, eher er 1878 ein Studium der klassischen Philologie, dann der Theologie und Assyriologie an der Universität Leipzig aufnahm. In dieser Zeit verstarb sein Vater und seine Mutter heiratete erneut, ebenfalls einen Pfarrer (in Lausa), welcher acht Kinder hatte.

Im Jahre 1881 wurde er Lehrer auf einem Gut bei Dorpat, nach seiner Beschreibung ein einsames Gut von zwei Quadratmeilen Größe, die einzigen deutsch sprechenden Menschen waren die Hauseltern und ihre Kinder. Alle andern sprachen estnisch.4 Bereits 1882 nahm er sein Studium in Leipzig wieder auf, ehe er nach Berlin wechselte.

In den Jahren 1883 und 1884 folgte der Militärdienst im Leipziger Infanterieregiment Nr. 107, seine Promotion zum Dr. phil. bei Friedrich Delitzsch in Leipzig (Die Annalen Asurnazirpals, 884–860 vor Christus, nach der Ausgabe des Londoner Inschriftenwerkes umschrieben, übersetzt und erklärt) folgte 1885.

Zunächst als Lehrer und Prediger nach Bessarabien berufen (1886), wirkte er in Strembeni, Oneschti und Kischinew, ehe er 1890 Lehrer und Prediger auf der Krim wurde. Seinen Wechsel begründete er mit dem Eindruck, seine Freundschaft zu dem jüdisch-christlichen Missionar Joseph Rabinowitsch mißfiel der Gemeinde.

Joseph Rabinowitz/Rabinowitsch (Bild gemeinfrei)

Ich hätte gern länger dort gearbeitet unter unseren Aermsten und Verlassensten und wußte, daß nach mir sich niemand ihrer so annehmen würde, daß er unter ihnen wohnte und ihre Arbeit und Armut teilte. Allein eine peinliche Naturanlage verhinderte ein längeres Verweilen. Ich war zwar weit draußen in der Steppe, war aber doch der Angestellte meines Seniors. Die Natur hat mir aber leider versagt, Untergebener und Angestellter zu sein, und solche Leute können Vorgesetzte, namentlich wenn sie von ihrer Würde tief durchdrungen sind, schwer vertragen. Ich glaube, meine Freundschaft zu Rabinowitsch mißfiel auch auf die Dauer. Es gab allerhand heimliche christliche Nadelstiche in der bekannten herzlichen christlichen Liebe. So wurde mein Bleiben nach etlichen Jahren abgekürzt, und ich war froh, daß ich in der Krim ein ganz unabhängiges Amt überkam. Ich schied von meinen Kolonisten ungern, ging aber gern in ein neues, überaus freies und schönes Arbeitsfeld.

Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken
Heinrich Lhotzky, ‎ Selbstverlag 1925

Lhotzky heiratete am 3. Januar 1888 in Kischinew Berta Emilie Bauer (24.09.1866 St. Petersburg 5– 20.05.1950 Überlingen6), Tochter des russischen Staatsrats Albert Heinrich Bauer und seiner Ehefrau Natalie Catharina geborene Siebert.

Trauung Kirchenbuch Kischinew 1888

Seine bessarabischen Erlebnisse verarbeitete er in dem Roman Immanuel Müller, ein Roman aus der bessarabischen Steppe. Haus Lhotzky Verlag Ludwigshafen am Bodensee. 1912

Ich hatte langst die eigentliche Not des Kischinewer Kirchspiels durchschaut. Das umfaßte alle deutschen Kolonisten ganz Beßarabiens mit Ausnahme des Akkermaner Kreises. Dieses ungeheure Gebiet, zu dem im letzten Türkenkriege noch alles Land bis zum Pruth gekommen war, mußte auf Deutsche abgesucht und bereist werden. Also hatte ich den Vorschlag gemacht, selbst weit draußen mit zu siedeln und von einem größeren Pachtgute aus, das ich selbst betrieb, als Bauer und Pastor, die deutschen Siedler zu betreuen.

Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken
Heinrich Lhotzky, ‎ Selbstverlag 1925

Eintragungen im Kirchenbuch Kischinew 1887 zu Trauungen des Pastors Dr. H. Lhotzky in Kischinew und Strembeni

Ich hatte in der Krim ein Gebiet zu verwalten so groß wie das halbe Königreich Sachsen – möge die Heimat mir verzeihen, ich wollte natürlich sagen, wie der halbe Volksstaat Sachsen. Auf diesem Gebiete hatte ich mehr als 30 Predigtorte zu bedienen, was mit Wagen oder Dampfer geschah. Mein Konsistorium lebte 2000 Kilometer entfernt in Petersburg, und es war eine Freiheit, wie sie selten Menschen zuteil wird.

Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken
Heinrich Lhotzky, ‎ Selbstverlag 1925
Hochzeitstafel des Paares Kludt/Baumann im Garten des Pastor Lhotzky (x) 1899 in Prischib7

In der Krim herrschte ein prachtvolles Verhältnis zwischen den Gemeinden und ihren Pfarrern. Es gab natürlich zuweilen Zusammenstöße, wie sie in jeder Ehe vorkommen und überall zwischen Hirt und Herde, aber schließlich gewann doch immer das Ansehen des Heilswahrers den befriedigenden Ausgleich.
Ich führte mich damals ein mit den Worten des Apostels: »Gott hat uns nicht zu Herren über euer» Glauben gesetzt, sondern zu Genossen eurer Freude.«
Dieses Wort des Paulus schwebte mir seit Jahren vor als kennzeichnend für die Stellung eines geistlichen Hirten. So haben wir auch gelebt. Nur habe ich unausgesetzt versucht, ihre höchste Freude, den Weizen, auf eine etwas höhere Stufe zu heben. Auf die Höhe, von der der Apostel redet. Es gelang nicht immer, aber doch zuweilen. Wo es nicht gelungen ist, hat der Weltkrieg seine bitterböse Predigt gehalten, und der ist durchgedrungen.
Ein kleines Erlebnis darf ich wohl anführen, weil es unsere Krimmer Bauern kennzeichnet. Ich hatte kurz vor meinem Weggang einmal an einer Hochzeitstafel eine etwas freiere Bemerkung gemacht, als sie sonst im heiligen Rußland üblich war. Da stand der reichste Bauer auf und sagte: Wäre ich der Kaiser von Rußland, so würde ich bestimmen, daß Sie auf der Stelle Rußland zu verlassen hätten. Ich antwortete, das werde auch ohne das geschehen, und die Sache schien erledigt zu sein. Zehn Jahre nach diesem Worte stand der Bauer in meinem Hause am Bodensee. Er sei in Karlsbad gewesen zur Kur und habe die Gelegenheit benützen wollen, seinen alten Pfarrer wieder zu sehen. Er war also mein sehr willkommener Gast. Da sagte er: Eigentlich führt mich etwas anderes her. Sie erinnern sich vielleicht meiner Aeußerung bei unserem letzten Beisammensein. Ich mußte herkommen, Sie deshalb um Verzeihung zu bitten, daß wir ganz einig sind, ehe ich sterbe. Er wird wohl den schweren Krieg nicht überlebt haben. Gott segne ihn und alle
unsere armen Volksgenossen in der Ferne.
In Beßarabien war’s ja anders. Dort regierte der Sekteneigensinn mehr als der Weizen. Aber das schadet auch nichts. Unter allem Sektierertum schlummert und pulst ein ehrliches ernstes Wollen. Wenn das nicht immer die rechten Formen findet, muß man damit Geduld haben. Dazu ist gerade der Pfarrer in seiner priesterlichen Stellung da, die Güte des Vaters über Gerechte und Ungerechte und Sonnenschein und Regen über Böse und Gute gleichmäßig walten zu lassen. Er wird auch niemals gefragt werden nach seinen Erfolgen, sondern nur nach seiner Haltung, ob man des Vaters Geist an diesem geistlichen Vater gespürt habe.
Nein, wer ein Pfarramt ohne ganz zwingende Gründe aufgibt, den verstehe ich nicht. Ich mußte es tun ohne irgend welche äußere Nötigung. Die Leute haben sich zwar den Kopf darüber zerbrochen und mir allerlei heimliche Schande und Laster nachgesagt, besonders die lieben Amtsbrüder, es war auch damals eine Denunziation im Gange, aber sie war längst im Sande verlaufen, als ich meinen Entschluß ausführen mußte. Eines wußte ich freilich dumpf und lastend, es würde ein sehr schweres Unglück über Rußland kommen. Ich wäre dem aber nicht ausgewichen. Ich glaubte später, es sei der japanische Krieg.
Aber der berührte unsere Siedlungen ja gar nicht. Daß es dieses maßlose Entsetzen des Weltkrieges war, ist mir erst später deutlich geworden. Ja unsere Feinde haben mehr gelitten als wir und denen, die heute über ihren Lügensieg frohlocken, ist auch schon die Axt an die Wurzel gelegt. Deutschland hat ja den Krieg verloren, aber die anderen werden den Sieg verlieren, soweit es nicht schon geschehen ist

Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken
Heinrich Lhotzky, ‎ Selbstverlag 1925
Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst, Band 4 Nr. 3 März 1899

Dem Paar waren acht Kinder beschieden, Robert *1888, Bruno Johannes (1890–1917), Friedrich Christoph (1891–1916), Martha *1892, Josef *1894, Annamarie *1900, Eva Georgine *1902 und Heinrich *1904.8

Robert Lhotzky, geb. 21.12.1888 Oneschti9

Bruno Johannes Lhotzky, geb. 2. August 1890 in Oneschti. Gefallen am 30.11.1917 bei Frasnoy, Frankreich10

Friedrich Christoph Lhotzky, geb. 24. Oktober 1891 in Zürichtal, gefallen am 19. oder 20. Juli 1916 bei Aubers, Frankreich.11

Josef Lhotzky, geb. 8. Juli 1894 in Zürichtal12

Eva Georgine Lhotzky, geb. am 21. Juni 1902 in Berlin-Grunewald13

Ab 1902 wieder in Deutschland, nahm er eine Tätigkeit als Mitarbeiter Johannes Müllers (1846–1949) für die Blätter zur Pflege des persönlichen Lebens auf Schloss Mainburg an und arbeitete 1904 bis 1911 als freier Schriftsteller in Pasing. Zudem war er Herausgeber der Zeitschrift „Leben“. In dieser Zeit siedelte er nach Ludwigshafen am Bodensee über (1910), wo er bis zu seinem Lebensende 1930 blieb.

Er schrieb neben seinen Predigten eine Reihe von Aufsätzen, Zeitungsartikeln und eine größere Anzahl Bücher, wie Die Seele deines Kindes 1908 und Das Buch der Ehe, 1911, beides im Verlag Langewiesche veröffentlicht, später im Eigenverlag Haus Lhotzky.

Stockacher Tagblatt, Jg. 1922 (62)

Haus Lhotzky auf einer alten Ansichtskarte, heute ist dort eine evangelische Jugendbildungsstätte.

Seine Witwe Berta konnte das Haus nach seinem Tod allein nicht unterhalten, so wurde es verkauft. Auch der Verlag erfuhr Veränderungen.

Stockacher Tagblatt, Jg. 1933 (73)

Sie lebte noch einige Jahre in Konstanz, Taborweg 10, ehe sie in am 20. Mai 1950 in Überlingen starb und am 24. Mai beigesetzt wurde.


  1. Heinrich Lhotzky als junger Mann (ca. 1880), FranzTW – Eigenes Werk, 3.11.2016, CC BY-SA 4.0 ↩︎
  2. Ruhbach, Gerhard, „Lhotzky, Heinrich“ in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 440-441 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116980176.html#ndbcontent ↩︎
  3. https://pfarrerbuch.de/sachsen/person/1110885323 ↩︎
  4. Der Planet und ich, Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken, Lhotzky, Selbstverlag 1925 ↩︎
  5. Erik Amburger Datenbank ID 96055 ↩︎
  6. „Deutschland, ausgewählte evangelische Kirchenbücher 1500-1971,“ database, FamilySearch (https://www.familysearch.org/ark:/61903/1:1:QP6H-18F1 : 9 March 2023), Berta Emilie Lhotzky, 24 May 1950; images digitized and records extracted by Ancestry; citing Burial, Überlingen, Bezirksamt Überlingen, Kreis Konstanz, Großherzogtum Baden, Deutsches Reich, , German Lutheran Collection, various parishes, Germany. ↩︎
  7. Foto der Hochzeitstafel S. 111 in: Heimatkalender der Russlanddeutschen 1959 ↩︎
  8. „Der Degener“ Wer ist’s?, Leipzig 1911, Band 5, p. 855 ↩︎
  9. bayerisches Reserve-Fußartillerie-Regiment Nr. 1 (München-Neu-Ulm)
    15222 Kriegsrangliste Bd 1 ↩︎
  10. Bayerisches Infanterie-Regiment (Lindau/Bayern) I Ersatz-Bataillon,
    07179-Kriegsrangliste ↩︎
  11. Bayerisches Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 17 (Augsburg), 03094 Kriegsrangliste Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 17 Bd. 1 ↩︎
  12. bayerisches Reserve-Fußartillerie-Regiment Nr. 1 (München-Neu-Ulm)
    15222 Kriegsrangliste Bd 1 ↩︎
  13. Berlin Grunewald, Standesamt Geburten Erstregister 1901 Nr. 32/1902 ↩︎