Palästina

„Bis hierher hat der Herr uns gebracht“ – Gedanken beim Schälen einer Jaffa-Orange


Wie ich bereits berichtete, waren unsere Auswanderer aus Württemberg nicht nur der Armut oder den Kriegswirren entflohen, viele von ihnen gehörten seit Jahrhunderten den verschiedensten Glaubensströmungen an und haderten mit der vorherrschenden Kirchendoktrin. In den Kirchenbüchern finden sich neben Strafen wegen Wiedertaufens auch Vermerke wie Sektierer oder Paktierer und vermutlich waren das harmlose Erscheinungen, da die wegen Hexerei und Zauberei angezeigten, gefolterten und bestraften Anna Schenkel ( 1565) und Christina Leipp ( 1738) oder der wegen seiner kritischer Haltung gegenüber dem Herzog Ulrich enthauptete und gevierteilte Konrad Vaut ( 1516) eine ganz andere Seite des Umgangs mit Gegnern der herrschenden Ordnung in der württembergischen Vergangenheit erlebten.

Unsere Vorfahren ertrugen den zunehmende Druck durch die Schaffung eines Beamtenstaates, der alles regelte und kontrollierte, die Militärdienstpflichten unter Napoléon und Hungersnot durch Missernten. Doch die seit 1809 vom König angeordnete Gottesdienstreform hatten vor allem unter den Pietisten das „Faß zum Überlaufen“ gebracht. Da den „Landeskindern“ zwischen 1806 und 1816 das Recht auf Auswanderung verwehrt war, sorgte die Aufhebung für Massenauswanderungen nach Amerika und Südrussland, hier vor allem in den Kaukasus.

Um dieser Abwanderung entgegen steuern zu können, nutzte der Leonberger Bürgermeister und königliche Notar Gottlieb Wilhelm Hoffmann (1771-1846) seine Verbindungen zum Königshof, um sich in der Nähe von Stuttgart ein landwirtschaftliches Areal zuweisen zu lassen, auf dem sich eine Gemeinde mit einer eigenen Gottesdienstordnung gründen durfte.

1819 zog Hoffmann, zum ersten Gemeindevorsteher berufen, zusammen mit weiteren 68 pietistischen Familien auf das neue Land und gründete mit ihnen die privilegierte Brüdergemeinde Korntal, die ihre Eigenständigkeit bis zum heutigen Tag erhalten hat.

Brüdergemeinschaft deswegen, weil Pietist nicht gleich Pietist war, sondern die einzelnen Familien ursprünglich der Hahn’schen, Pregizer’schen und anderen Gemeinschaften angehörten und fortan als eine Gemeinschaft von gleichgesinnten Brüdern leben wollten. Den Vertrag über den Erwerb des Ritterguts schlossen sie gemeinsam mittels einer zu diesem Zweck gebildeten Güterkaufgesellschaft.


Hoffmanns Sohn Gottlob Christoph (1815-1885), der in Tübingen Theologie studiert hatte, arbeitete mehrere Jahre als Lehrer für Philologie und Geschichte auf dem „Salon“ in Ludwigsburg, wo die Gebrüder Paulus eine Erziehungsanstalt gegründet hatten. Als Lehrer verfolgte er die Amtsantrittsvorlesung des Professors Friedrich Theodor Vischer 1844 an der Universität in Tübingen, der den „vorherrschenden alten Glauben an einen persönlichen Gott als leeren Wahn und Götzendienst“ abtat. Das empfanden Hoffmann und seine Freunde als einen Angriff auf ihre religiöse Überzeugung.

Sie verfassten „21 Sätze wider die neuen Gottesleugnerund verteilten diese als Flugschrift in pietistischen Kreisen. Dort wurde diese und weitere Flugschriften so positiv aufgenommen, dass sich Hoffmann und die Brüder Philipp und Immanuel Paulus entschlossen, im Mai 1845 eine Wochenzeitschrift herauszugeben. Die „Süddeutsche Warte“ besteht bis in die heutige Zeit als „Warte des Tempels“.

Hoffmann, der 1848 auch als Abgeordneter in der deutschen Nationalversammlung saß, musste erkennen, wie naiv er in den Jahren zuvor annahm, die Kirche wäre als Institution in der Lage, die sich immer weiter verschärfenden sozialen Missstände zu beheben. Nun musste er erkennen, wie sehr die Kirche in den Beamtenstaat eingebunden und wie handlungsunfähig sie daher war. So kam es 1849 zur Gründung eines „Evangelischen Vereins“ unter dem Vorsitz von Philipp Paulus und einer „Evangelische Schule“, um junge Menschen zur Missions- und Predigtarbeit auszubilden.

Der aus Eglosheim bei Ludwigsburg stammende Kaufmann Georg David Hardegg hatte Hoffmanns 1849 erschienenes Werk „Stimmen der Weissagung über Babel und das Volk Gottes“ gelesen und forderte Hoffmann auf, seine Überlegungen in die Tat umzusetzen. Hardegg, der als Teilnehmer an der Franckh-Koseritz’schen Verschwörung zwischen 1833 und 1840 im Gefängnis saß, hatte sich dort dem christlichen Mystizismus zugewandt und sah in Hoffmann einen Glaubensgenossen.

Hoffmann, seit dem 1. Juli 1852 alleiniger Herausgeber der „Süddeutschen Warthe“, konnte einen Mitstreiter gebrauchen, hatten ihm inzwischen doch seine Schwager und auch viele seiner Leser den Rücken gekehrt. Beide betrieben nun die Sammlung der „wahrhaft Gläubigen“ und propagierten ihre Gedanken in der Zeitschrift. Ihr Ziel war es, sich nach Palästina zu begeben und von dort aus auf urchristlicher Basis eine Erneuerung der Gesellschaft zu bewirken.

Um vor allem finanzielle Unterstützung für seine Auswanderungspläne zu gewinnen, nahm Hoffmann mit Christian Friedrich Spittler, dem Vorsitzenden der Pilgermission St. Chrischona bei Basel, Kontakt auf. Im Jahre 1853 ließ er sich sogar als Inspektor der Basler Pilgermission anstellen. Seine Hoffnung, die Missionsanstalt für seine Pläne gewinnen zu können, zerschlug sich jedoch, da die religiösen Zielsetzungen zu unterschiedlich waren.

Bereits im Juli 1854 wurde ein „Freiwilliger Ausschuss für Sammlung des Volkes Gottes“ von Christoph Hoffmann, Christoph Paulus, Georg David Hardegg und Louis Höhn gegründet. Am 24. August des Jahres gründen rund 200 Anhänger im Saal des Gasthauses zum Waldhorn in Ludwigsburg die „Gesellschaft für die Sammlung des Volkes Gottes in Jeru­salem“. Am 31. Oktober 1854 wurde eine Ansiedlung in Palästina nach dem Vorbild der ersten apostolischen Gemeinde angekündigt, die Bittschrift der Gesellschaft an den Deutschen Bundestag in Frankfurt war von 439 Mitgliedern unterschrieben worden, welche um staatliche Unterstützung bei Verhandlung mit dem türkischen Sultan baten. Inhalt der Petition war:

  1. Die Ansiedlung des Volkes Gottes im Heiligen Land zu gestatten,
  2. ihm völlige Freiheit in seinen bürgerlichen und religiösen Angelegenheiten sowie Sicherheit der Person und des Eigentums zu gewähren,
  3. Grund und Boden zur Errichtung einer Siedlung zu angemessenen Bedingungen zu überlassen.

Im folgenden Jahr veröffentlichte Hoffmann seine Darstellung zur „Geschichte des Volkes Gottes als Antwort auf die soziale Frage: Mit welchen Mitteln kann ein gesundes Volksleben begründet und durch welche Kräfte kann ein krankes oder gestorbenes Volk wiedergeboren werden?“

Nach den vorangegangenen Zerwürfnissen in Glaubensfragen beendete er seine Anstellung bei der Basler Pilgermission und kehrte ohne die erhofften finanziellen Mittel 1856 nach Württemberg zurück, um mit Unterstützung seiner Anhänger eine Knaben- und Mädchenschule im Kirschenhardthof bei Marbach zu gründen. Die Grundsteinlegung für den Versammlungssaal der Gemeinde der „Jerusalemsfreunde“ war am 2. Juli 1856 ebenfalls auf dem Kirschenhardthof.

Zur Konkretisierung der Pläne für eine Ansiedlung in Palästina wurde 1858 eine Kommission der Jerusalemsfreunde ins Heilige Land entsendet. Sie trafen Mitte März in Jaffa ein, kurz zuvor, im Januar, war der Homberger Friedrich Wilhelm Großsteinbeck in seinem Haus von Beduinen überfallen und ermordet worden. Man mutmaßte, dass der Pascha von Jerusalem verhindern wollte, dass Europäer und amerikanische Baptisten-Familien Grundbesitz erwerben und sich für immer in Palästina niederlassen könnten. Der Türke sei in der Anwendung von Gewaltmitteln nicht heikel…

Etwas ernüchtert von diesen Ereignissen berichteten Christoph Hoffmann, Georg David Hardegg und der Winzer Joseph Bubeck am 8. Septem­ber im Kursaal in Cannstatt über die geringen Möglichkeiten einer Niederlassung. Die feindselige Gesinnung der Bevölkerung und die ablehnende Haltung der osmanischen Regierung bewogen Hoffmann, die Siedlungspläne vorläufig aufzuschieben und eine Evangelistenschule für Missionszwecke zu gründen. Man plante, zunächst nur eine Vorhut nach Palästina zu entsenden.

Im Frühjahr 1859 wurden auf dem Kirschenhardthof die ersten Kinder der Gemeinde von Hoffmann konfirmiert. Da ihm dies ausdrücklich untersagt war, wurde er aus der württembergischen Landeskirche ausgeschlossen.

Auf der ersten Synode der Jerusalemsfreunde in Kirschenhardthof am 8. Februar 1860 beschloss man die Fortführung des Reformkurses und erhob bei König Wilhelm I. gegen den Kirchenausschluss Einspruch. Die Entsendung der ersten ausgebildeten Evangelisten erfolgte vier Wochen später am 6. März.

mit Pin Siedlungen der Templer bis 1908, grau palästinensische Siedlungen um 1878

Chris­tian Friedrich Eppinger, Carl Christian Heuschele, Hieronymus Sonderecker und Philipp Johann Hochstetter trafen kurz vor Ostern in Jerusalem ein. Trotz Empfehlung gestaltete sich die Arbeitssuche derartig mühsam, dass sie nach Monaten erst durch die Vermittlung des württembergischen Missionars der englischen Church Missionary Society, Johannes Zeller (1830–1902) und seines Mitarbeiters Jakob Huber, eine Anstellung in Nazareth als Lehrer und Handwerker fanden. Ihre Bemühungen, sich in Sinchar in der Jesreel-Ebene anzusiedeln, scheiterte nach kurzer Zeit. Finanziell am Ende kehrten bis auf Philipp Hochstetter alle nach Hause zurück. Hochstetter starb später in Palästina an Malaria.

Weil sich seit dem Ausschluss Hoffmanns aus der Landeskirche nichts bewegte, auch keine Antwort auf den Protest kam, traten alle Mitglieder der Gemeinde aus der Landeskirche aus und beschlossen am 19./20. Juni 1861 die Gründung einer eigenständigen religiösen Organisation. Der „Deutsche Tempel“ mit Hoffmann als Bischof und Hardegg als Vorsitzendem bildete einen zwölfköpfigen Rat der Ältesten. Hardegg stand als Gemeindeleiter dem „Ausschuss für den Bau des Tempels in Jerusalem“ vor.

Nur zwei Jahre später schlossen sich in Buffalo, USA Jerusalemsfreunde aus verschiedenen nordameri­kanischen Bundesstaaten zu einer Gemeinschaft der Templer in Amerika zusammen. Die Leitung übernahm ein dreiköpfiger Ausschuss, eines der Mitglieder war Peter Andreas Struve, späterer Öl- und Seifenfabrikant in Haifa.

Der Krieg zwischen Preußen und Österreich 1866 beschleunigte den Entschluss zum Aufbruch. Die Sorge, zum Militärdienst eingezogen zu werden war größer, als die, was die Kolonisten in Palästina zu erwarten hätten.

Unter beschwerlichen Umständen, vor allem durch die mangelnde Vorbereitung auf die Ansiedlung, das ungewohnte Klima und Krankheiten wurden erste Häuser in Chnefiß und Samunieh, am Westabhang der Hügel von Nazareth, gebaut. Den Preis zahlten 15 Templer mit ihrem Leben. Hardegg sah sich in der Pflicht, etwas zu unternehmen, und reiste nach Paris zu Henri Dunant, dem Begründer des Roten Kreuzes, um den Ausschuss des Internationalen Vereins für Palästina um Vermittlungshilfe beim Erwerb von Siedlungsland zu bitten.

Um das Siedlungsland erwerben zu können, wurde am 5./6. Februar 1868 eine Kolonisationskasse gegründet. Endlich stand dem großen Vorhaben nichts mehr im Wege, unter der Anteilnahme von über 1.000 Anhängern wurde am 29. Juli 1868 Abschied von Hoffmann und Hardegg gefeiert, die wenige Tage später mit ihren Familien nach Haifa zogen.

Für die „Tempelfreunde“ in Russland war es dagegen zunächst keine Perspektive, ebenfalls nach Palästina auszuwandern. Die bereits Jahre zuvor Ausgewanderten sahen den gesuchten „Bergungsort“ im Kaukasus und gründeten 1867 Tempelhof, 1868 die Kolonie Orbelianowka. Unter den Kolonisten waren viele Lichtentaler (u.a. Steudle, Messerle, Fickel, Strecker) und Sarater Familien (z.B. Singer), aber auch ehemalige Kolonisten der Molotschna (u.a. Lange, Tietz), um nur einige aufzuzählen. Weitere Gemeindegründungen fanden nahe der Mennoniten-Kolonien Wohldemfürst und Alexanderfeld am Kuban im Nordkaukasus statt.

Gemeindehaus Haifa

In Palästina begann der Aufstieg der Gemeinden mit Grundsteinlegung für das ersten Gebäude der Templer, dem Gemeindehaus der Kolonie Haifa am 23. September 1869.

Auch in Jaffa ließen sich Siedler nieder, unter ihnen Hoffmann mit seiner Familie. Aus den ersten Siedlungsversuchen hatte man gelernt und ein Krankenhaus, eine Apotheke, ein Hotel und eine Dampfmühle errichtet. Um räuberische Übergriffe abzuwehren, wurde zudem eine Mauer um die Kolonie gebaut. Um Jaffa entstanden die Orangenplantagen, deren Markenzeichen weltbekannt wurde. Ein Orangengarten lieferte im Jahr zwischen 80 und 100.000 Früchte, da die Templer den Anbau und die Produktion sehr fortschrittlich gestalteten.

Die Jaffa-Orangen wurde in den 1880er Jahren zum ersten Mal nach Florida von General Henry Shelton Sanford eingeführt.

Wer in Deutschland die süßen Früchte essen wollte, gab ab 1925 seine Bestellung in den Filialen der Bank der Tempelgesellschaft ab. Jede Frucht wurde einzeln in Seidenpapier gewickelt und in Kisten verpackt, bald war sie der Inbegriff von Weihnachten. – Hier möchte ich einen kleinen Abstecher in meine eigene Vergangenheit machen – eines Tages stand eine Verwandte aus dem „Westen“ vor unserem Gemüseladen und sah in der Auslage braunfleckige Früchte. Auf ihre Frage, was das für unappetitliche Dinger seien, antwortete ich ihr: „Kubaorangen“. „Kann man die überhaupt essen?“ „Ja, entsaften, oder überbrühen, um die dünne Schale abzuziehen.“

Die Wahrscheinlichkeit, am Ende der Schlange ein Kilogramm Südfrüchte zu bekommen, war allerdings durchaus im Rahmen der Möglichkeiten – der Preis für das Kilo „echte“ Orangen oder Bananen lag bei 5 Mark. Da die Auswahl auch sonst eher bescheiden war, lösten wir das Problem mit einem Einkauf im „Russenmagazin“ der nächsten Kaserne, hier gab es immer eine breite Auswahl an Südfrüchten, reifen Mangos und Melonen, so süß, wie ich sie seit dem nie wieder bekommen habe. Aber dies nur als kleine Anmerkung am Rande.

Zurück zur Geschichte:

Zwischen Hoffmann und Hardegg klafften inzwischen Klüfte in religiösen Grundfragen auf, trotzdem waren sie sich in organisatorischen Siedlungsfragen einig. Hoffmann veröffentlichte 1870 seine Schrift „Über die Grundlagen eines dauerhaften Friedens“ und legte seine Vorstellungen einer neuen Konfession dar.

Die Besiedlung von Sarona begann, Grundsteinlegung der ersten Häuser war am 18. Oktober 1871. Hier wurden in späteren Jahren Eukalyptushaine zur Malariabekämpfung gepflanzt. Um Sarona wurde Wein angebaut, es enstanden Keltereien, Brennereien und eine Sektfabrik. Bekannte Weine waren Sunny Trace, Jaffa Gold, Sarona Rot, Perle von Jericho und Hoffnung der Kreuzfahrer. Bei Jerusalem entstand 1873 in der Rephaim-Ebene einer weiteren Siedlung.

Im Oktober reist Christoph Paulus von Kirschenhardthof nach Palästina ab, der Kirschenhardthof war verkauft, der Sitz der Tempelgesellschaft nach Stuttgart verlegt worden, wo er bis heute besteht.

Der endgültige Bruch zwischen Hoffmann und Hardegg wurde am 31. März 1874 vollzogen. Hardegg trat wegen der Meinungsverschiedenheiten in grund­sätzlichen Fragen aus der Tempelgesellschaft aus. Etwa ein Drittel der Siedler aus Haifa folgten ihm. Da ihnen die württembergische Landeskirche die Wiederaufnahme verwehrte, schlossen sie sich der preußischen unierten Landeskirche an. Mit dem Tod Hardeggs am 11. Juni 1879 kehrten die meisten von ihnen zur Tempelgesellschaft zurück.

Die Gemeindeleitung in Haifa übernahm fortan Jakob Schumacher. Hoffmann machte Jaffa als alleiniger Vorsteher der Tempelgesellschaft zum religiösen Zentrum und gab 1875 ein neues Werk heraus: Occident und Orient11″, eine kulturgeschichtliche Betrachtung, mit einer Zusammenfassung des Tempelglaubens und einer Beschrei­bung des Siedlungswerks.

Die Entwicklung der Siedlungen schritt deutlich voran, im Herbst 1876 wurde der Tempelstift eröffnet, eine höheren Bildungsanstalt für junge Männer. Hoffmann  verfaßte 1877 mehrere „Sendschreiben“ und ändert den Namen der „Süddeutsche Warte“ in „Warte des Tempels“. Im Frühjahr 1878 verlegt er seinen Wohnsitz sowie die Zentrale und Höhere Schule (Lyzeum Tempelstift) nach Jerusalem.

Gemeinsam mit seinem Sohn Dr. Samuel Hoffmann und Konsul Jakob Schu­macher unternahm er 1881 eine Reise zu den nordamerikanischen Tempelgemeinden in Buffalo und Schenectady im Staat New York. Im selben Jahr wurde die Theologische Akademie des Tempelstifts in Jerusalem eröffnet und das Gemeindehauses (Saal) geweiht. Christoph Paulus übernahm 1884 den Vorstand des Tempels. Das arbeitsreiche Leben des Christoph Hoffmann erfüllte sich am 8. Dezember 1885 in Jerusalem.

Heinrich Gottlieb Aberle und Gottlob Christoph Hoffmann gründeten die Zentralkasse des Tempels, welche am 10. Juli 1887 beim kaiserlichen Konsulat in Jerusalem wird als wirtschaftliches Institut eingetragen wurde.

1889 erschien in Jerusalm das erste eigene Gesangbuch der Tempelgemeinde, im darauf folgenden Jahr schied Christoph Paulus aus der Leitung der Tempelgesellschaft aus und Gottlob Christoph Hoffmann wurde neuer Vorsteher. Die erste Verfassung der Tempelgesellschaft wurde verabschiedet.

Im Jahre 1892 wurde Walhalla als einer Zweigniederlassung der Tempelgemeinde Jaffa gegründet. Ein Jahr später erfolgte die Abspaltung der „Freien Tempelgemeinde“ in Haifa infolge von Meinungsverschiedenheiten über Ziele, Aufgaben sowie Finanzierung der Tempelgesellschaft. Christoph Paulus verstarb am 1. September 1893 in Jaffa.

Im Kaukasus wurden die Tempelsiedlungen Tempelhof und Orbeljanowka 1897 aufgegeben, die Bewohner zogen  in die Neugründungen Olgino und Romanowka in der Padina-Steppe. Auch in Palästina  erfolgte eine Neugründung: Neuhardthof, als Zweigniederlassung der Tempelgemeinde Haifa, die Mitglieder der „Freien Tempelgemeinde“ schlossen sich wieder der Tempelgesellschaft an.

Vom 11. Oktober bis 26. November 1898 macht sich Kaiser Wilhelm II. auf eine Pilgerfahrt nach Palästina, hier wollte er die deutsche Erlöserkirche in Jerusalem einweihten. Organisiert wurden weiten Teilen durch das noch heute bekannte Reisebüro Thomas Cook and Son, es wurden weder Kosten noch Mühen gescheut, in Haifa wurde extra eine Landungsmole, der Kaiserdamm, für die kaiserliche Jacht gebaut. Die Unterbringung der Reisegesellschaft erfolgte am 17. und 28. Oktober in Jaffa im Hôtel du Parc des Freiherrn Freiherrn Plato Baron von Ustinow.

Mit 80 Kutschen und Kavallerie im Gefolge fuhr das Kaiserpaar in einer drei Kilometer langen Karawane auf Straßen durchs Heilige Land, die nur für diesen Zweck gebaut wurden. Der Graben vor dem Jaffa-Tor in Jerusalem wurde aufgefüllt und der Weg geebnet, so dass Wilhelm und seine Frau Auguste Victoria hoch zu Ross am 29. Oktober in die Heilige Stadt reiten konnten. Mit dabei waren mehr als 90 Personen Gefolge, dazu hallten 21 Kanonenschläge durch die Luft. Der Monarch gewährte den Siedlern eine Audienz, während dieser überreichten sie ihm ein Prachtalbum mit Gemälden der Tempelkolonien.

Im Sommer des darauf folgenden Jahres reiste der Tempelvorstehers Hoffmann mit Dr. Gottlieb Samuel Schumacher und Karl Hugo Wieland nach Deutschland zu einer Audienz bei König Wilhelm II. von Württemberg, um ihm ihrer Anliegen vorzutragen:

  • Wiederzuerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit an solche Siedler, die früher darauf verzichtet hatten;
  • finanzielle Hilfe für eine gemeinsame höhere deutsche Schule in Jerusalem;
  • Gewährung des Rechtsstatus einer juristischen Person für die Zentralkasse.

Daraufhin wurde auf Initiative des Freiherrn Joseph von Ellrichshausen am 14. Mai 1900 die „Gesellschaft zur Förderung der deutschen Ansied­lungen in Palästina“ in Stuttgart gegründet. Dank großzügiger Unterstützung durch König Wilhelm II. kam ein Einlagekapital von 128.500 Mark zustande.

In der Nähe von Jaffa wurde am 13.April 1903 die neue landwirtschaftliche Tempelkolonie Hamidije-Wilhelma eingeweiht.

Die Gründung des Nachfolge-Instituts Verein der Tempelgesellschaft als Ersatz für die Zentralkasse des Tempels Aberle-Hoffmann erfolgte im April 1904.

Die beiden von Evangelischer Kirche und Tempel geführten Schulen in Jerusalem wurden am 1. Mai 1905 zusammengelegt.

Am 15. September 1906 erfolgte die feierliche Besitzübernahme eines Geländes in Galiläa zur Grün­dung der Tempelkolonie Betlehem. Sie  war vor allem auf Viehzucht spezialisiert. Ab 1906 hatte der Verein der Tempelgesellschaft Rechtsfähigkeit.

Drei Jahre später erfolgte die Gründung der Landwirtschaftsschule in Wilhelma.

Templars Cemetery, Jerusalem 1

Nach dem Tod von Gottlob Christoph Hoffmann am 10. Januar 1911 wurde sein bisheriger Stellvertreter Chris­tian Rohrer Tempelvorsteher.

Die „Warte der Tempels“ erscheint ab 1912 unter dem Namen „Jerusalemer Warte“.

In Jaffa vereinigen sich am 19. April 1914 die Schulen der evangelischen Gemeinde und der Tempelgesellschaft, am 5. Oktober folgen die Schulen in Haifa.

Als Folge des ersten Weltkrieges besetzten britische Truppen 1917 die deutschen Siedlungen in Palästina. Die „Jerusalemer Warte“ muss ihr Erscheinen einstellen. Die britischen Truppen internieren 1918 die rund 850 Einwohner der Südkolonien in Palästina in Helouan bei Kairo, Ägypten, ehe sie über 300 von ihnen 1919 nach Deutschland ausweisen ließen.

Internierungslager in Ägypten 3

Eine Wiederaufbaukommission der in Ägypten internierten Templer, bestehend aus 29 Mitgliedern, reiste am 25. Juli 1920 nach Palästina ab, am 8. September durften die verbliebenen 388 Internierten Ägypten verlassen und in ihre Kolonien zurückkehren. Als auch die Siedler aus Deutschland am 13. Januar 1921 in Jaffa eintreffen und die „Warte“ wieder erscheint, normalisiert sich das Leben der Templer in Palästina.

Ein Jahr später löste die Zentralkasse der Tempelgesellschaft (Temple Society Central Fund) Limited mit Eintragung im Register of Companies in Jerusalem den Verein des Tempels ab.

Eine eigene Bank der Tempelgesellschaft (Bank of the Temple Society) Ltd. mit Sitz in Jaffa gründete sich am 13. Dezember 1924, Filialen gab es in Haifa und Jerusalem. Durch die starken Wareneinfuhren aus Deutschland entwickelte sie sich bald zu einem der führenden Kreditinstitute Palästinas. Die Zentralkasse der Tempelgesellschaft (The Temple Society Central Fund) besaß 1.020 der 2.000 ausgegeben Gründeraktien, auf die 60 % der Stimmrechte entfielen. Die restlichen 980 Aktien befanden sich im Besitz von insgesamt 395 Aktionären.

In Jerusalem wurde zur Vorbereitung auf das Abitur an deutschen Gymnasien im Jahre 1928 eine Aufbauklasse (Unter- und Obersekunda) an der Höheren Schule eingerichtet.

Mit der Vereinigung der beiden Tempelgemeinden Jaffa-Walhalla und Sarona am 2. Juni 1929 wurden auch die vorhandenen Schulen zusammengelegt. Ein Jahr später, am 28. Juni 1930 erfolgte die Grundsteinlegung des neuen Schulhauses in Sarona durch Tempelvorsteher Rohrer mit Festansprache von Generalkonsul Erich Nord.

Die in Deutschland an den Universitäten studierende Templerjugend kam nun mit den neuen „Idealen“ in Kontakt und brachte diese verstärkt in die Tempelgemeinden Palästinas mit. Die sich gründende NSDAP-Landesgruppe Palästina durchdrang schnell alle Bereiche des Gemeinschaftslebens, auch das Bildungssystems verschloß sich nicht und versagte Juden die Unterrichtung in den deutschen Schulen, der Wirtschaftsverkehr mit Juden wurde verboten, antisemitische Literatur auf arabisch in ganz Palästina verteilt.

Die Lehrer und Beamten im Dienst des Tempels  erhielten 1932 ihre eigene Pensionskasse, außerdem wurde eine „Notgemeinschaft der Tempelgesellschaft“ zum Schutz der Mit­glieder vor äußerster Not gegründet.

Die Mehrheit der Templer bejubelte 1933 die Machtergreifung Hitlers. Als glühende Patrioten errichteten sie in fast allen Siedlungen Ortsgruppen der NSDAP, Hitlerfahnen und braune Uniformen gehörten zum Alltag. Theodor Samuel Hoffmann (1893-1977) wurde NSDAP-Ortsgruppenleiter von Sarona. Jeder dritte Templer trat in die Partei ein.5 Das waren überdurchschnittlich viele im Vergleich zu anderen Auslandsdeutschen in der Welt. Die NSDAP-Ortsgruppe in Jerusalem, durch einen Templer geführt, wurde Teil eines nationalsozialistischen Netzwerks im gesamten Nahen Osten. Der israelischen Wissenschaftler Yossi Ben Artzi stellt jedoch fest, nur etwa 17 % der Templer waren tatsächlich Nazi-Sympathisanten.2

Nicht nur Adolf Eichmann, der mitverantwortlich für die Ermordung von sechs Millionen Juden war, sondern die gesamte Führungsriege der Hitlerdiktatur besuchte Haifa und Jerusalem.6 Während ursprünglich die Mehrheit der pietistischen Tempelgesellschaft die „Errichtung des Reichs Gottes auf Erden“ vorantreiben wollte, hatte sie nun ein neues Bekenntnis: „Blut, Boden, Rasse sind als gottgeschenkte Wirklichkeiten zu sehen“. Die „Warte des Tempels“ verkündete als Zentralorgan der Tempelgesellschaft, dass man sich seit Generationen „in der Rassenfrage ganz im nationalsozialistischen Sinne verhalten“ habe.7

In der Mozartstraße 58 in Stuttgart wurde am 20. August 1935 das „Palästinaheim“ der Tempelgesellschaft (Tempelklub) eingeweiht.

Nach dem Tod Rohrers 1935 übernahm Philipp Wurst dessen Geschäfte als neuer Tempelvorsteher. Es erfolgt ein Besuch des Tempelvorstehers, gemeinsam mit Wilhelm Aberle, beim Leiter der NSDAP-Auslandsorganisation in Berlin, Ernst Wilhelm Bohle, um seine Sorge um eine Einmischung der Partei in die Angelegenheiten der Tempelgesellschaft vorzutragen. Trotzdem wurde der arabische Aufstand 1936-1939 aktiv von den Templern unterstützt.

Es erfolgt erneut eine Schulzusammenlegung, das Lyzeums Tempelstift wurde 1937 mit der deutsch-evangelischen Schule in Jerusalem zur Deutschen Schule Jerusalem vereinigt, Schulleiter wurde Philipp Wurst.

Mit Beginn des zweiten Weltkriegs 1939 erfolgte die Internierung der Deutschen durch die britische Mandatsmacht, wehrfähige Männer wurden in getrennten Lagern bei Akko untergebracht. Die Bank der Tempelgesellschaft musste schließen. Da viele Templer ihre deutsche Staatsbürgerschaft in Palästina beibehalten hatten, wurden die Männer in die Wehrmacht eingezogen.

Nachdem Philipp Wurst am 7. Februar 1941 in Wilhelma starb, wählte man Nikolai Schmidt zum Nachfolger.

Es erfolgte die Deportation von 66510 Internierten mit dem Truppenschiff „Queen Elizabeth“ in das Lager Tatura (Camp 3) in Victoria, Australien. In mehreren Austauschtransporten zwischen 1941 und 1944 wurden 550 Juden mit ihren Familien aus den Konzentrationslagern freigelassen, ebenso holländische Juden aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen, 50 aus dem Lager Vittel im Departement Vosges, im Gegenzug reisten 1.000 Templer aus Palästina nach Deutschland ab.8

In Australien feierten die Templer und Palästinadeutschen mit anderen internierten deutschen Staatsbürgern am 20. April 1945 noch einmal den „Führergeburtstag“.

Im Jahre 1946 legte die Zentralleitung der Tempelgesellschaft in Palästina Protest beim Büro des Roten Kreuzes in Genf gegen die beabsichtigte Repatriierung der restlichen Templer nach Deutschland ein.

Das Interniertenlager Tatura wurde 1947 aufgelöst, die dortigen Templer nahmen das Angebot der australischen Regierung an und blieben im Land.

Am 17. April 1948, einen Monat vor der israelischen Unabhängigkeitserklärung, besetzten bewaffnete jüdische Trupps die Siedlung Waldheim12. Die dort verbliebenen Internierten wurden durch die britischen Behörden an Bord des Dampfers „Empire Comfort“ gebracht und in das Zeltcamp „Golden Sands“ für deutsche Displaced Persons bei Famagusta auf Zypern gebracht. Von dort wanderten viele nach Australien zu ihren Famililenangehörigen aus, einige kehrten ab 1949 nach Deutschland zurück.

Die letzten noch in Palästina verbliebenen Templer wurden 1950 von den israelischen Behörden zum Verlassen des Landes aufgefordert. Am 13. April 1950 verließ der Tempelvorsteher Nikolai Schmidt Jerusalem mit Ziel Bentleigh, Australien. Er starb am 9. Juni 1967 in Melbourne, Australien im Alter von 69 Jahren. Mit seinem Weggang endeten die 80 Jahre Geschichte der Templer in Palästina.

Die Regierungen Australiens und der Bundesrepublik Deutschland arbeiteten zehn Jahre zusammen, bis der Staat Israel 1952 bereit war, Entschädigungen für deutsche Flüchtlinge und ihre vier Dörfer zu zahlen. Ebenfalls für deutsche Templer Ortsteile in Acre, Haifa, Jaffa und Jerusalem. Ein führender Agrarökonom aus der Universität Stanford (USA) schätzte den Wert der Templer Besitztümer, einschließlich aller Immobilien, Wohnungen, Wirtschaftsgebäude, Obstgärten, Wäldern und Weinbergen bis hin zu Hühner- und Schweineställen.

Zehn Jahre später (1962), zahlte der israelische Staat 54 Millionen Deutsche Mark an die Bundesrepublik Deutschland für die „German Secular Property in Israel„, gehörend den vertriebenen und enteigneten Templern, von denen ein Teil nach Australien übertragen wurde.9


  • Wie es zum Tempel kam: Stufen einer Entwicklung; Seminarreihe der Tempelgemeinde Stuttgart; Februar-April 2003; Herausgegeben von der Tempelgesellschaft in Deutschland
  • Kurze Geschichte der württembergischen Familie Paulus/Hoffmann, Rudolf Friedrich Paulus, 2000
  • wikipedia
  • Gottlieb Schumacher: Across the Jordan; Being an Exploration and Survey of Part of Hauran and Jaulan. London; Alexander P. Watt 1889
  • Gottlieb Schumacher: Karten
  1. Find A Grave Memorial# 54322352, Aufnahme julia&keld April 2010
  2. Alnews: Als Israel deutsche Siedler entschädigte (Link existiert nicht mehr), Spiegel vom 13.5.2009: Nazis in Palästina
  3. Tempelgesellschaft
  4. wikipedia
  5. Das deutsche Dorf in Tel Aviv, Gisela Dachs DIE ZEIT, 19.12.2007 Nr. 52
  6. Eichmann, Adolf. „Meine Götzen — September 6, 1961.“ Israel State Archives, Jerusalem.
  7. Ralf Balke: Hakenkreuze im Heiligen Land; Ein wenig bekanntes Kapitel: Der einstige «Erfolg» der NSDAP-Landesgruppe in Palästina Brodsky und das Exil; Jüdische Zeitung», Juni 2006
  8. Ich wollte es so normal wie andere auch: Walter Guttmann erzählt sein Leben, Hrsg. Michael Bochow,Andreas Pretzel, Hamburg 2011, p50
  9. Australian Treaty Series 1966 No 3
  10. Klaus Hillenbrand: Der Ausgetauschte: Die außergewöhnliche Rettung des Israel Sumer Korman, Verlag Fischer 2010
  11. Christoph Hoffmann: Occident und Orient : eine kulturgeschichtliche Betrachtung vom Standpunkt der Tempelgemeindne in Palästina; public domain, google digitized
  12. Waldheim,  in unmittelbarer Nähe von Betlehem gelegen, wurde von der deutschen evangelischen Gemeinde Haifa gegründet, die sich von der Tempelgesellschaft abgespaltet hatte

Die Geschichte der Familie Kleinknecht, die in den Libanon ausgewandert war, kann ich nur empfehlen. Mein Dank an Herrn Paul Kleinknecht, der mir gestattete, diese mit meiner Seite zu verknüpfen.

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