Die Reutlinger Familie Hummel 14) 26) gehörte wie die Vohrer zu den Ersteinwanderern von Helenendorf.

Familie Hummel 1863 26)

Zu den 5 ½ Wirtschaften, die durch passende Eheschließungen in den Besitz der Familie kamen, kauften die Brüder Georg, Andreas, Johannes und Gottlob Hummel im Jahre 1878 noch einmal 10 Desjatinen Land und pflanzen dort Reben.

Nach anfänglichen Mißerfolgen und dem Tod des Andreas Hummel wurde das Unternehmen neu gegründet. Diesmal hatte Gottlob die Söhne seines Bruders JohannesHeinrich und Gottlieb und Andreas Sohn Eduard mit dabei. Eduard übernahm die Kellerverwaltung, Gottlieb die Finanzverwaltung.

Wie die „Gebrüder Vohrer“ gündeten auch die „Gebrüder Hummel“ eine Aktiengesellschaft für Produktion und Landwirtschaft (1882), die außer Wein, Kognak, Wodka und Spiritus auch Sekt produzierte.

Anzeige aus der Kaukasischen Zeitung 1906 14)

Der Sitz befand sich in Helenendorf, Filialen in Elisabethpol, Baku, Tiflis, Sankt Petersburg, Moskau, Kiew, Odessa, Tomsk und Warschau. Zu Vermarktung der Erträge bauten sie 1883 einen Weinkeller und begannen mit dem Weinhandel der gekelterten Weine bis nach Baku und Tiflis.

Da sie über eine eigene Küferei verfügten, konnten sie nicht nur Fässer aus eigener Produktion nutzen, sondern auch verkaufen. Aus den Erlösen erworben sie weitere Ländereien. Im Jahre 1895 kauften die Brüder Hummel weiteres Weinland, auch bei Sadili, Schamkir und Elisabethpol. Ihr Handelsumsatz lag bei etwa 30.000 Rubel Ankauf und 40 bis 50.000 Rubel Verkauf im Jahr.

Mit dem Bau einer eigenen Kognakfabrik in Helenendorf 1895 begann ihr wirtschaftlicher Aufschwung. Diese Fabrik wurde von Gottlob und Johannes Hummel gegründet, die Söhne des Bruders HeinrichTheodor und Hermann traten ein, Theodor übernahm die Leitung der Fabrik, Hermann die Leitung der Verkaufsstellen in Batum und Baku, welche 1897 und 1899 eröffnet wurden. Das auf Anregung des Gouverneur Nakaschidze 1898 eröffnete Gasthaus in Hadschikent – hier waren nur Gottlob und Johannes Eigentümer, erwies sich als unrentabel und brannte während armenisch-tatarischer Unruhen nieder.21)

Die „Gebrüder Hummel“ eröffneten entlang der Bahnlinie Baku -Tiflis weitere Aufkaufstationen zum Ankauf von Trauben, hausgemachtem Wein oder Traubensaft als Rohstoff und erschlossen sich den Handel mit aserbaidschanischen und armenischen Siedlungen der Kreise Göyçay, Schamacha und Kürdamir, deren Rebsorte Schirwan-Schachi für ihre hervorragenden Eigenschaften bekannt war. Auf den neu angekauften Flächen kamen außländische Sorten zum Einsatz, da die einheimischen den Käufern zu herb und zu dunkel waren. Die Qualität ihrer Weine und Kognaks war nun so gut, dass sie auf internationalen Ausstellungen 1899 und 1900 prämiert wurden.

Der russische Weinhandel verlangte zur Jahrhundertwende einen sechs- bis zwölfmonatigen Kredit. Um Bankkredite in angemessener Höhe zu erhalten, und damit eine stabile Finanzlage, wurden auf Initiative von Gottlob Hummel im Jahr 1900 die Wirtschafts-, Landwirtschafts, Industrie- und Handelsbetriebe der Firma zum „Handelshaus der Gebrüder Hummel“ mit einem Jahresumsatz bis zu 150.000 Rubel vereinigt. Gottlob erhielt ein Viertel, Heinrich, Gottlieb, Theodor, Hermann, Eduard und Ernst Hummel jeweils ein Achtel Anteil, damit auf jede der Brüderlinien ein Viertel der Firma entfiel.19)

Die Hummel investierten nicht nur in weitere Landkäufe und ertragreiche resistente amerikanische Rebsorten, auch in die Schädlingsbekämpfung, was eine deutliche Ertragssteigerung nach sich zog. Entsprechend wurden weitere Weinkeller und Lager angeschafft (1902 und 1904), es kamen neben den Holzfässern auch Betonfässer zum Einsatz, die Kelter-und Kühlsysteme wurden modernisiert und die Handelstätigkeit deutlich über die Grenzen Aserbaidschans ausgedehnt, weitere Zweigstellen eröffnet. Ein Nebenprodukt waren Kelterrückstände, die nun als Färb- bzw. Rohstoff für Druckerschwärze verkauft wurden. Die Weinausfuhr ins gesamte Russische Reich machte 1916 rund 34 % der Gesamtausfuhr an Waren des Gouvernements Elisabethpol aus.

Die politische Entwicklung in der Kaukasusregion sorgte dafür, daß die Vohrer und Hummel bereits 1917 den Firmenbesitz, ausgenommen den ursprünglichen Grundbesitz der Familienwirtschaften, in das Eigentum der Aktiengesellschaften „Закавказское виноделие“ (Zakavkazskoye vinodeliye) und „Юное виноделие“ (Yunoye vinodeliye) mit einem Grundkapital von 4 bzw. 3 Millionen Rubel überführten, vermutlich handelte es sich um die Übertragung bzw. den Verkauf des Besitzes in russische bzw. armenische Hände, mit dem Ziel, einer entschädigungslosen Enteignung zu entgehen 17). Die Ereignisse der folgenden Jahre konnten auch sie nicht erahnen.

Berühmter Nachfahre des Einwanderers Johann Heinrich Hummel (1780-1835) war der Lehrer und Heimatforscher Jacob Johannes Hummel 29) (1893-1946).

Jacob Johannes Hummel 1932 27)

Nach Beendigung der Schule in Helenendorf, studierte Jacob Hummel von 1910 bis 1914 an der naturkundlich-historischen Fakultät des Aleksandrov – Lehrerinstituts in Tiflis. Zusätzlich nahm er ein Fernstudium an der Naturkundlich-Historischen Fakultät in St. Petersburg auf, welches er 1918 beendete. Als Lehrer erst in Wladikawkas tätig, kam er 1921 nach Helenendorf. Zwischen 1923 und 1924 studierte er im Auftrag des Volkskommissariats für Bildung Aserbaidschans das Bildungswesen in Preußen, Sachsen, Bayern, Hamburg und Bremen. Dort hörte er Vorlesungen in Pädagogik und Psychologie.

Durch seine Kontakte wurde der Status der Helenendorfer Schule aufgewertet und Absolventen konnten ohne Aufnahmeprüfung an deutschen Hochschulen aufgenommen werden.

Nach seiner Rückkehr widmete er sich neben Geschichte und Ethnographie auch der Flora und Fauna des heimatlichen Kreises. Ein Ergebnis seiner Forschung im Gebiete Gäncä war die Eröffnung des Heimatkundlichen Museums im Jahre 1927. Es galt als so vorbildlich, das es zum ersten Zentrum archäologischer Forschungen Aserbaidschans außerhalb von Baku wurde.

Neben der Forschung zur Heimatgeschichte, veröffentlichte Hummel eine Reihe von Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften, u.a. in der „Kaukasische Post“, sowie kleine Monographien wie „Der Deutsche in Transkaukasien“ (1927) und das „Das Heimatbüchlein der Deutschen in Transkaukasien“ (1928).

Im Zuge der „Entkulakisierung“ wurde Hummel 193328) wegen angeblicher Spionage für Deutschland von der Staatspolizei (OGPU) verhaftet und während der sechs Monate „Untersuchungshaft“ im Gefängnis von Baku gefoltert. Obwohl „mangels Beweisen“ entlassen, war er ein gebrochener Mann, der sich völlig zurückzog und sich nur noch der Wissenschaft widmete.

Im folgenden Zeitraum von etwa zehn Jahren öffnete Hummel rund 150 Kurgane, darunter zwei Königsgräber, und beschrieb diese. Fast 80 Abhandlungen und die Monographie „Studien zur Archäologie“ (1940), ein Lehrwerk an aserbaidschanischen Hochschulen, wurden veröffentlicht. Im Jahre 1936 wurde er in Aserbaidschan zum „korrespondierenden Mitglied“ des Instituts für Kaukasologie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR berufen.

Die staatliche sowjetische Presse, darunter die auflagenstärkste Zeitung „Bakinskij rabočij“ und die „Izvestija“ der aserbaidschanischen Filiale der Akademie der Wissenschaften, sowie die „Izvestija“ Georgiens und der Akademie der Wissenschaften der UdSSR publizierten bis 1948 zahlreiche seiner Forschungsergebnisse.

Trotz dieser Forschungsleistung wurde Jacob Hummel gemeinsam mit tausenden anderen Deutschen im Oktober 1941 deportiert.

Im Gebiet Akmolinsk arbeitete er in einem kleinen Steppendorf als Lehrer und an seinen Forschungen, ehe er dort nach langer Krankheit am 16. April 1946 in Novyj-Koluton verstarb.

Günter Hummel 30)

Sein Neffe Günter Hummel, geboren 1927 in Helenendorf, wurde ein berühmter Künstler. Seinem Studium der Bildenden Künste in Baku von 1939-1941 folgte die Deportation und die Zwangsarbeit in den Kohlegruben bei Karaganda. Trotz unmenschlicher Arbeit zeichnete er auch im Lager und musizierte im Lagerorchester. Nach seiner Entlassung aus der Trudarmee begann sein Aufstieg zu einem der erfolgreichsten Künstler Kasachstans. Er wurde Kulturbeauftragter für Malerei und Musik in Karaganda, wurde in den sowjetischen Künstlerverband aufgenommen und erhielt 1981 die Auszeichnung “ Verdienter Künstler Kasachstans „.

Zahlreiche Bildhauerarbeiten, Gemälde und Zeichnungen finden sich in den Museen, aber auch auf öffentlichen Plätzen.

1991 kam Günter Hummel mit seiner Familie als Spätaussiedler nach Deutschland und setzt auch hier sein Schaffen fort. Seit 1994 ist er Mitglied im Arbeitskreis Russlanddeutscher Künstler.

Die Geschichte der Deutschen Kolonisten von der Auswanderung nach Russland bis zur Spätaussiedlung nach Deutschland verarbeitete er unter anderem in Schicksal in Bildern.


1) 1 Deßjatie = heute 1,092 ha, aber es gab auch Einteilungen in den Größen von 1,457 ha, 1,639 ha, 3,642 ha und 4,552 ha
2) 2 Tuni = 1 Litra = 3,25 kg
3) Dr. Friedrich August Kolenati:Reiseerinnerungen, Dresden 1858, S.60-64
4) Mathias Beer; Dittmar Dahlmann: Migration nach Ost- und Südosteuropa vom 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts : Ursachen, Formen, Verlauf, Ergebnis, Stuttgart : Thorbecke, 1999. Schriftenreihe des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, 4.
5) Marthin Friedrich Schrenk: Geschichte der deutschen Kolonien in Transkaukasien: zum Gedächtnis des fünfzigjährigen Bestehens derselben, Verlag Pfälzer Kunst, 1997
6) Fotos: State Historical Archive of Azerbaijan, Azerbaijan State Cinema Photo Archive, taken before 1900
7) Eva Maria Auch: Deutschsprachige Quellen zum Schicksal der Deutschen in Aserbaidschan (in den 20er und 30er Jahren), Khazar University Press, Vol. 1; No 3 [ZGIA Tbilissi, f.2, op.l, d.658; ZGIA Baku, f.508, op.l, d.370, 297, 77,63; Kavkaz, Tiflis 1850, Nr.40, S.159ff; P. Dzjubenko, Nemeckie kolonisty na Kavkaze. In: Kavkaz 1882, Nr. 313, S.3f; AKAK, t.VI, S.332f.; Hummel, Th.: 100 Jahre Erbhofrecht der deutschen Kolonisten in Rußland, Berlin 1936]
8) Gesellschaftsreise nach Südrußland und dem Kaukasus v. 12.August bis zum 9.0ktober 1913 veranstaltet von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, Berlin 1913, S.62-66; ZGIA Baku, f.58, op.l, d.33, Bl.19-35, sowie Auszug aus den Lebenserinnerungen von Theodor Hummel, in: Heimatbuch der Deutschen aus Rußland, Stuttgart 1956, S.49
9) Ibragimov, N.A.: Nemeskie stranicy istorii Azerbajdana, Baku 1995
10) noch 1916 die einzige Brauerei im Gouvernement mit einer Produktion von 42.000 Litern; der Wert wurde 1898 mit 13.000 Rubel bei 7 Arbeitskräften angegeben (Kavkazkij kalendar‘ na 1900, Tiflis 1900, S.50)
11) Professor Rauf Gussejnow, Taira Alijewa: Weinrebe von Elisawetpol (masimov.net)
12) Н. А. Ибрагимов: Немецкие страницы истории Azerbajdžana, Баку: Издать. Azerbajdžan, 1995
13) Gebrüder Vohrer; Deutsche Winzer im multikulturellen Umfeld Aserbaidschans. Erinnerungsbericht des Julius Vohrer (1887-1979); Kommentiert und herausgegeben von Eva-Maria Auch
14) Kaukasische Post, Tiflis, diverse 1906 Hrsg. Kurt von Kutzschenbach, Artur Leist
15) 1 Vedro = 12,3 l
16) Hrsg. Alexander Mosler, Tiflis: Kaukasischer Kalender 1912 (Zur Gründung der deutschen Kolonien in Transkaukasien S. 79-89)
17) Eva Maria Auch: Deutschsprachige Quellen zum Schicksal der Deutschen in Aserbaidschan (in den 20er und 30er Jahren), Khazar University Press, Vol. 1; No 3 [ZGIA StPetersburg, f.595, op.3, d.266,1.53-54]
18) Lorenz Kuhn starb nach seiner Verhaftung 1938 in der Verbannung um 1942, Dr. med. Hurr wurde verhaftet und am 29.10.1937 erschossen, beide waren mit Vohrer – Frauen verheiratet
19) Vypiska iz dogovora ob obrazovanii polnogo tovariščestva pod firmoju torgovyj dom „Brat’ja Gummel’“ ot 16go dekabrja 1900 (Auszug aus dem Vertrag über die Gründung des Handelshauses „Gebrüder Hummel“ vom 16. Dezember 1900). In: Konkordija (2001), S. 225 227. Als Gründer agierten: Gottlob Georg Hummel, die Brüder Heinrich und Gottlieb Johannes Hummel, die Brüder Theodor und Hermann Heinrich Hummel sowie Eduard Andreas Hummel.
20) Eva Maria Auch: An der Wiege der Aserbaidschanischen Archäologie. Jakob Hummel: Lehrer – Archäologe – Museumsgründer in Helenendorf/Göy Göl
21) Matthias Theodor Vogt (Hrsg.), Jürgen Neyer (Hrsg.), Dieter Bingen (Hrsg.), Jan Sokol (Hrsg.): Der Fremde als Bereicherung ; Verlag: Lang, Peter Frankfurt; 2010
22) Beschluss Nr. GKO-744ss vom 8. Oktober 1941 des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR „Über die Umsiedlung der Deutschen aus der Georgischen, Aserbaidschanischen und Armenischen SSR“
23) V. Herdt: Die Neuordnung des Sondersiedlungsregimes und das Dekret vom 26. November 1948. In: Von der Autonomiegründung zur Verbannung und Entrechtung. Die Jahre 1918 und 1941 bis 1948 in der Geschichte der Deutschen aus Russland. Hrsg.: Alfred Eisfeld. Stuttgart 2008, S. 204-211.
24) Eva Maria Auch: Deutschsprachige Quellen zum Schicksal der Deutschen in Aserbaidschan (in den 20er und 30er Jahren), Khazar University Press, Vol. 1; No 3 [DA 1921.S.145]
25) Meldung des Generalkonsulats in Tiflis vom 11.12.1935, der Vorsitzende der „Union“ Katharinenfeld hatte sich nach dem Prozess im Gefängnis das Leben genommen
26) Hans-Hermann Graf von Schweinitz: Helenendorf, eine deutsche Kolonie im Kaukasus, Vossische Buchhandlung Berlin, 1910
27) Nationales Historisches Museum Aserbaidschan (NMGA), Baku
28) Главное- Političeskoe УПРАВЛЕНИЕ / Политическая Штаб-квартира 1934 – 1946 НКВД / Народный комиссариат внутренних дел СССР
29) Prof. Dr. Eva-Maria Auch: Jakob Hummel: Lehrer – Archäologe– Museumsgründer in Helenendorf/Göy Göl
30) Foto:Г. Гуммель – скульптор. 2002г., Германия. Газета „Heimat – Родина“
31) Kollektivierung der deutschen Kolonien Transkaukasiens. Rigasche Rundschau 3. April 1930 Nr. 77 p.6
32) Wirtschaftlicher Todeskampf der deutschen Kolonien in Sowjetrussland. Libausche Zeitung 21. April 1931 Nr. 87
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