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Es heisst in jenem Briefe vom 27. Mai 1822:

„Anfangs März war die Zeit, wo es der Herr für gut fand, uns ein Oertlein anzuweisen. Es kam von der Regierung an den General in Kischinef der Befehl, dem Herrn Probst Lindl zu eröffnen, dass er sich in Bessarabien ein Stück, so viel er brauche, auszusuchen. General in Kischinef, war auch zugleich Oberbefehlshaber und Stadthalter über ganz Bessarabien, oder die sogenannte Moldau, und über alle Ansiedler Bessarabiens zu gebieten hatte. Diesem Berufe Folge leistend, machte sich Probst Lindl sofort auf den Weg zum General nach Kischinef, und fand zu seiner Freude, dass derselbe sein Freund und Gönner und auch ein wahrer Christ sei, welches er auch täglich in seinen Anordnungen zu erkennen gab.

Als nun unser lieber Vater Lindl sich einen passenden Ort ausgesucht hatte, kam er mit Freunden zurück und traf sogleich Anstalt zu unserer Abreise, welche den 13. März erfolgte.

Den 1. April neuen Stils kamen wir an unserem Bestimmungsorte an, wo sodann die etwa 50 Wagen im Kreise ausgestellt wurden. In der Mitte dieses Kreises sammelten sich alle, Gross und Klein um unseren lieben Vater Lindl. Als dies geschehen war fielen sämtliche Anwesende auf die Knie nieder, wo dann Lindl im Namen aller so beweglich und mit Tränen in den Augen den Herren lobte und ihm dankte für die grosse Gnade und Barmherzigkeit, die er an uns getan hat. Es hatte sich wohl ein Stein darüber bewegen können. Ja, liebe Geschwister, da fühlten wir wohl recht, dass der Herr in unserer Mitte sei, denn der heilige Schauer, der alle durchdrang, war ein Zeuge, dass der Herr in unserer Mitte sei, Ach, dass er doch ferner mit und unter uns sein möchte. Als Vater Lindl das Gebet geendet hatte, hielt er eine so durchdringende Rede, dass alle in Tränen zerflossen. In dieser Rede erklärte er sich denn auch vor dem allsehenden Auge Gottes feierlich, dass er in seiner Gemeinde nur wahre Christen aufnehmen und behalten wolle.

Und wer in Zukunft nicht als Christ handle, den werde er nach mehrmaliger wiederholter Warnung, ohne Rücksicht aus der Gemeinde ausschliessen, und der Betreffende werde aus dem Lande gejagt werden. Nach diesem forderte er alle auf, ihm mit einem Handschlag zu versprechen, dass sie von nun an Gottes Eigentum, Jünger Jesu, und nur nach dessen Lehre leben und sterben wollen. Und dass jede Partei zwischen Katholiken und (Lutheraner) Evangelischen aufhören solle, nur Jesum Christum als alleinigen Eckstein der Gemeinde anerkennen, so wie auch jegliche Ceremonie aufhören sollen. Das heilige Abendmahl wird also in unserer Gemeinde in beiderlei Gestalt ausgeteilt, wie es auch von unserem lieben Herrn und Heiland eingesetzt wurde. Die Rührung und Feierlichkeit mit welcher das heilige Abendmahl von unserem lieben Lindl ausgeteilt wird, ist nicht zu beschreiben. Es ist da schon anwendbar, was in der Offenb. Joh. steht: „Seelig und heilig, wer zu dem Abendmahl des Lammes berufen ist.“

Ja wahrlich seelig, hier schon in Glaubenshandlungen als Trauungen, Taufen, Begräbnissen fühlbar, dass der Geist Jesu Christi aus Vater Lindl redete. Alle gottesdienstlichen Handlungen werden ganz ohne Ceremonie nach dem Wort Gottes verrichtet. Morgens und abends wird von Vater Lindl eine herzliche Rede über Losungsworte gehalten, die allemal mit einem gesalbten Gebete geschlossen wird.

Ach, liebe Geschwister, betet, betet, damit euch der Herr in dieser letzten betrübten Zeit im Glauben stärken und erhalten möge, damit ihr würdig werdet zu entfliehen diesem allen was da kommen soll, denn die Zeit ist nahe. O, darum betet, betet, muntert einander wieder auf wenn ihr schwach werdet.

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Unser Dorf, das wir anlegen, liegt beinahe eine halbe Stunde von unseren Hütten, in denen wir recht froh und vergnügt leben. Am Himmelfahrtstage wurde der Grundstein zu unserem Bet- und Pfarrhaus gelegt. Von unseren Hütten aus ging der ganze Zug in Prozession dem Orte zu, wo unser Dorf angelegt wird. Es wurde das herrliche Lied gesungen: „Fahre fort, Zion, fahre fort.“

Nach dem Gesang ging alles betend still dem Orte zu, woselbst schon ein kleiner Altar von Steinen errichtet war. Vater Lindl stellte sich hinter den Altar, und die Uebrigen schlossen einen Kreis um ihn her. Als alles ruhig und still war, legte Vater Lindl sein Angesicht auf die Erde und betete den Herrn in der Stille an, und so auch alle die dabei waren. Dann richtete sich Lindl auf die Knie und betete aus dem Herzen und mit Thränen:

„O wie glücklich sind wir gegen euch, da wir das Wort Gottes in einem so reichen Maße haben. Bleibet nur bei Jesu! Ach, dass wir uns alle bei dieser grossen Schar wiederfinden, obwohl wir hoffen, dass wir viele von euch im Prüfungsthale Wiedersehen werden: der Herr wird euch auch aus Sodom und Egypten führen, und euch wie uns eine Freistätte bereiten, da ihr in Ruhe und Sicherheit ihm dienen könnt.

Was unsere äusserliche Lage betrifft, so kann ich euch nicht anders schreiben, als dass wir dem Herrn sei Dank, alle frisch und gesund und vergnügt sind, und dass wir uns nie wieder nach Deutschland zurück wünschen, denn der Herr ist mit uns.“

Dieser Brief enthält die genaueste Auskunft über die ersten Tage der Ansiedlung Saratas.

Danach wurde gemeinschaftlich angefangen die Häuser zu bauen, was sehr schnell ging, so dass sie zum Herbst schon einziehen konnten. Der Baumeister war Schäfer, der Schwiegervater von Scherzinger. Alois Scherzinger war Uhrmacher und wurde geboren den 15. Juli 1787 in Gütenbach, Herzogthum Baden, jetzt Königreich. Sein Vater war ebenfall Uhrmacher. Er reiste schon im Alter von 16 Jahren nach Petersburg, wo schon seit längerer Zeit zwei Brüder von ihm ein Uhrwarengeschäft hätten. Dieselben starben jedoch frühzeitig daselbst, worauf er das ganze Geschäft eine Zeitlang allein führte. Er war sehr beliebt in höheren Kreisen, verkehrte mit Fürsten und Grafen, auch war er sehr musikalisch und stimmte bei mehreren Fürsten Klaviere. Ebenso gab er auch Conzerte in Petersburg, wo er solche Bewunderung erregte, dass der Kaiser Alexander I, dem eine Dame von der schönen Abendunterhaltung und von den jungen Deutschen erzählte, auf ihn aufmerksam wurde und ihn zu sehen wünschte. Da wurde er dann auch von Lindl vorgestellt und hatte die Ehre mit dem Kaiser an einer Tafel zu speisen.

In Petersburg vermählte er sich mit Fräulein Christina Schulz, Tochter des dortigen Nadelfabrikanten Schulz. Sie lebten in glücklicher Ehe jedoch nur kurze Zeit, denn nach anderhalb Jahren starb ihm seine Gattin. Untröstlich über den Verlust derselben, hielt er sich an Lindl mit dem Entschluss den für ihn so traurigen Ort Petersburg zu verlassen, reiste auch mit Lindl nach Odessa und verblieb daselbst bis zur Ansiedlung Saratas, wo er sich mit anschloss und mit ihnen sich ansiedelte. Während seines anderthalbjährigen Aufenthaltes in Odessa, verlobte er sich mit Fräulein Lemster, einer Generalstochter, welcher er wieder absagte und heiratete die Tochter des bereits erwähnten Baumeisters Schäfer.

Das war das erste Paar, welches in Sarata getraut wurde, und da das Bethaus noch nicht vollständig eingerichtet war, so wurde bei seiner Trauung eine Hobelbank als Altar benutzt. Scherzinger war für Sarata

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von grossem Werte, da er der russischen Sprache mächtig war. Er besorgte das ganze Bauholz für die ganze Kolonie bis Cherson her, was damals mit grossen Schwierigkeiten verbunden war. Kurz er überwachte alles was kein anderer ausführen konnte, da niemand russisch verstand und das alles tat er unentgeltlich. 15 Jahre hindurch versah er das Amt als Amtsbeisitzer, wobei er alles in allem sein musste, indem Veygel nicht russisch verstand. Während seiner ganzen Dienstzeit beherbergte und beköstigte er die ankommenden und durchreisenden Beamten, ohne je der Gemeinde eine Rechnung darüber zu machen. Er opferte seine ganze Zeit der Gemeinde Saratas ohne auf eigene Interessen Rücksicht zu nehmen. Als Veygel seinem Oberschulzamte entsagte, kamen einige Männer zu Scherzinger und baten ihn, das Amt zu übernehmen, ob er erlaube, dass man ihn wähle; er wollte auch diese Gefälligkeit erweisen. Nun wurde er einstimmig gewählt und zum Sonntage in die Kirche bestellt zur Beeidigung. Während dieser Zeit brachten es seine wenigen Feinde so weit, dass Gotlieb Knauer vorgeführt und beeidigt wurde, welches ihn dermassen kränkte, dass er nicht mehr in die Kirche ging.

Er sagte, dass er einen solchen Ort, wo solche Ungerechtigkeiten vorgehen, nicht wieder betreten werde, obgleich er zuvor ein fleissiger Kirchengänger war. Diese Zurücksetzung, sowie der Verlust seines Vermögens, welches er verlor und verschiedene andere Kränkungen brachten ihn soweit, dass er gar nicht mehr der Mann war. Nachdem man ihn nicht mehr so nötig hatte, wurde wenig mehr gedacht dessen, was er alles an Sarata gethan hatte, wo jeder Unterdrückte bei ihm Beistand fand, und so viele Arme bei der Ansiedlung unterstützt wurden. Bei längerem Aufenthalt von Militär wurden oft die Bewohner von den Beamten unterdrückt, da nahm er jeden in Schutz und verhalf ihm zu seinem Rechte. Jeder suchte seine Zuflucht bei Scherzinger, weil er eine angesehene Person war. Wenn er mit seiner grossen Medaille am Halse auftrat, wusste er überall das Recht zu behaupten. Dessen ungeachtet wurde er in seinem Alter mit Spott und Verachtung von seinen Feinden und der Jugend belohnt. Nachdem nun der Greis 76 Jahre und 7 Monate zurückgelegt hatte und den 12.Februar 1864 seine müden Augen schloss, da waren es wieder seine Feinde, welche Herrn Probst Behning so weit brachten, dass bei seinem Begräbnis nicht einmal die Glocken der Kirche, welche er beim Ankauf selbst so meisterhaft ausgesucht hatte, wie sie in keiner Kirche sind, ohne dass dieselben mit ihrem letzten Glanze ihn zu seiner Ruhestätte begleiten durften. Die Ursache war, weil der Wohltäter Saratas aus bekannter Ursache nicht mehr in die Kirche ging. Also erfüllt sich gründlich das Sprichwort: Undank ist der Welt Lohn.

In den ersten Jahren hatten unsere Ansiedler schwere Zeiten, da sie der russischen Sprache unkundig waren. Auf der Herreise war ihnen auch das fremde Geld unbekannt und beim Einkauf hielten sie das Geld hin ohne zu wissen, welchen Werth es hat, der Verkäufer allerdings nahm was er wollte. Nachdem sie sich endlich in die Verhältnisse eingelebt hatten, waren auch die Vermögendsten um ihr Gut gekommen und mussten sich armselig durchbringen, bis sie sich wieder erholten.

So ging es auch unserem Grossvater. Der billige Verkauf des Hauses mit dem Bauerngut, die Reise und Ansiedlung, und im Anfang auch Missernten, machten alle so ziemlich gleich. Wer nichts oder wenig von draussen mitnahm, konnte nicht viel verlieren und welche Geld hatten, das ging auch zu Ende bis sie eingerichtet waren. Nun ist nicht zu vergessen Herren Werner zu erwähnen, welcher für die Kolonie Sarata einer der wichtigsten Personen war. Er wurde geboren den 25. Dezember 1760 in der Stadt Gingen in Würtemberg und war Kaufmann, und zwar ein reicher daselbst.

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Veygel wurde geboren den 20. Februar 1780. Er war von Hause aus arm und Ladendiener bei Werner. Da er aber fleissig und treu war wurde er sehr beliebt und Werner übergab ihm sogar das Geschäft für einen sehr billigen Preis und setzte sich in die Ruhe. Nachher zogen sie beide Lindl zu lieb nach Russland, aber sie kamen erst das nächste Jahr 1823, als die Häuser schon gebaut waren, dasselbst an. Bei ihrer Ankunft wurden sie von der Gemeinde, Lindl an der Spitze, eine Strecke vor dem Dorfe mit großer Freude empfangen und in die zeitweiligen Wohnungen begleitet. Aber nur zwei Monate waren Werner beschieden in Sarata zu weilen, schon am 6. Dezember 1823 starb er und vermachte sein Vermögen, welches aus 25,574 Rbl. bestand der Gemeinde Sarata. Dazu kam noch ein Vermögen des Staatsraths Contenius von 4,500 Rbl. Da Veygel der Testamentsvollstrecker war und über das Geld zu verfügen volles Recht besass, so liess er von den Zinsen die Kirche bauen und nachher die Wernerschule, welche ebenfalls von den Zinsen unterhalten wird. Nach dem Tode Veygels übernahm das Geld die Krone und bezahlte 3%. Veygel starb den 9. Januar 1847. Da nun das Testament von Werner folgendermassen lautet:

„Das Kapital ist für die Ausbreitung des Reiches Gottes zu verwenden, so ist dasselbe nicht zum direkten Gebrauch der Gemeinde Sarata angewiesen, und wird deshalb auch nicht herausgegeben. Der damalige Minister hat es noch zum Besten der Gemeinde gelenkt, damit dass er die Errichtung der Wernerschule für Ausbreitung des Reiches Gottes angab, bei der Bestätigung des Testaments, denn sonst hätte auch dieselbe nicht von dem Gelde unterhalten werden können.

Herr von Heinlett, gleichfalls ein Anhänger Lindls, der auch mit nach Russland zog, war in München am königlichen Hofe, eine hochgestellte Persönlichkeit, doch was für ein Amt er daselbst bekleidete ist mir unbekannt. Er war sehr reich und besass in München ein sehr grosses Haus in welchem sich drei Consulate befanden, da er aber sich an Lindl und dessen Auswanderer anschloss und wurde, so wollte man ihm sein Vermögen einhalten. Wie nachher mit seinem Vermögen noch ausfiel ist mir nicht bewusst. Nur so viel ist mir bekannt. AIs er schon in 0dessa war, liess er sein Haus in München mit grossem Verlust verkaufen. Sein Vermögen nicht in Händen habend, konnte er sich seinem Stande gemäss nicht wohl in Sarata niederlassen, und nahm ein Stelle am Lizeum in Odessa als Lehrer an. Sein Sohn Fritz befand sich bei Lindl in Sarata und wurde später Pastor. Die älteste Tochter verheiratete sich an Pastor Bonkemper. Die zweite Tochter an Pastor Vogdt. Die dritte an Pastor Steinmann, welcher mit Lindl zusammen von Deutschland abreiste. Die Mutter Maria Strehel kannte Pastor Steinmann schon in Deutschland. Beim Abschiedsschmauss schenkte er ihr eine Traube, was in der Gegend, eine Seltenheit war, auch die erste die sie zu essen bekam. Heinletts Frau, Anna Maria, geb. Hegg, starb in Odessa den 1O. Oktober 1823 an der Schwindsucht. Sie wurde in einem Zinksarge nach Sarata gebracht und den 24. Oktober daselbst beerdigt. Ihr Alter war 45 Jahre. Ihr Grab wurde bis zum Jahre 1884 von der Mutter Maria Strehle im Stande gehalten. Zu Pfingsten desselben Jahres stellte ich ihr ein eisernes Kreuz mit einer Tafel zum Gedenken der alten Freundschaft. Die Mutter kannte Heinletts von München aus und verkehrte öfters bei ihnen im Hause.


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