“Die erste Generation arbeitet sich tot, die zweite leidet Not, die dritte findet ihr Brot.“
Erfahrung mit der Kolonisation hatte man bereits seit dem 30 jährigen Krieg, welcher weite Landstriche der Kurmark Brandenburg entvölkerte. So siedelten seit Ende des Krieges 1648 Niederländer in den Ämtern Lenzen, Chorin, Gramzow, Spandau, Bötzow, Liebenwalde und Zehdenick. Am 24. November 1683 erhielten die Schultheißen und der Rat von Bern einen Brief vom Großen Kurfürst, ob die Berner bereit wären, zehn oder zwanzig Familien in die Mark Brandenburg ziehen zu lassen, die „der Wirtschaft und Viehzucht wohl erfahren seyn“. Sie sollten „wol aufgenommen, an bequeme Oerter gesetzet, mit Wohnungen und behörigem Besatz versehen, und gegen eine leidliche und erträgliche jährliche Pacht wol accomodiret werden“. Ein Jahr später entsendete sie den Arzt Albrecht Bauernkönig, der die Angelegenheit prüfte und wohlwollend zustimmte. Ab April 1685 kamen die Schweizer aus dem Kanton Bern, auf eigens vom Kurfürsten für sie zur Verfügung gestellten Schiffen. Sie reisten rund sieben Wochen und 1.400 km über über den Rhein an die Nordsee, von Hamburg über die Elbe und dann über die Havel bis zur Wublitzeinmündung um sich in Golm, Nattwerder und Neu Töplitz niederzulassen.1 Es folgten weitere Schweizer und Pfälzer in den Ämtern Lehnin, Lindow und Ruppin, wieder unter Privilegien und der Zahlung von Reisekosten sowie 300 Talern „Zehrgeld“.
Einige der Schweizer kehrten in die Heimat zurück, viele wanderten jedoch nach Ostpreußen weiter.
Auf der Grundlage eines Schutzvertrages, den Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, am 20.05.1671 in Potsdam unterzeichnete, erreichten 50 jüdische Familien aus Wien Potsdam, siedelten letztlich aber in Berlin, in den Jahren 1730 bis 1750 entwickelte sich jedoch eine größere jüdische Gemeinde, um die Manufakturen im Land zu stärken, da man möglichst eigene Produktionen verwenden wollte. Der Name „Isaak“ verbindet sich nicht nur 1749 mit der „holländischen Seiden Fabrique“, wir finden ihn auch über die gesamten Kolonisationswege wieder.
Mit dem Potsdamer Edikt vom 29.10.1685 wurden Privilegien und „Wohltaten“ den evangelisch reformierten Franzosen (Hugenotten) zugesagt, welche sich niederlassen wollen, um 1713 gab es 60 französische Kolonien in Brandenburg, auch Potsdam hatte sein „Französisches Quartier“.2
Ab 1724 Franken und Schwaben in der Uckermark, ab 1732 kamen holländische Handwerker nach Potsdam (Holländisches Viertel) , am 19.03.1738 erhielten sie ein „Privilegium von denen aus Holland nach Potsdam gezogenen und wohnenden Handwerckern“, das ihnen „ein gutes und bequemes Hauß frey und eigenthümlich“ für alle Zeiten, Befreiung von der Einquartierung, Gewissensfreiheit, stete Arbeitsaufträge etc., zusagte.
Zur Trockenlegung des pommerschen Oderbruchs kamen ab 1741 deutsche Rückwanderer aus Polen, Einwanderer aus Schwedisch-Pommern, Mecklenburg, Sachsen, verstärkt um 1747 aus Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt, Hessen-Nassau und besonders aus der Pfalz (Rheingebiete). Da die Zahl der Pfälzer überwog, wurden meist alle Kolonisten als „Pfälzer“ bezeichnet. Mit ihnen kamen u.a. die Namen Braun, Hase (Haase), Pfeiffer, Schaefer, Seifert und Stoll in das Amt Rügenwalde. Beyer, Gebhard, Nötzel, Spohn, Schneider, Eberle, Geist (Geiss), Neidhardt, Wagner, Köhler, Mund, Haber, Hahn, Engel, Lutz und Kirschbaum ins Amt Friedrichswalde. Deutsche Rückwanderer aus Polen waren u.a im Amt Neu-Stettin: Fink, Milbradt, Siebert. Namen, welche uns in Bessarabien wieder begegnen.
Um 1751 kamen Weber, Spinner und Wollstreicher in die Colonie Nowawes (Babelsberg, heute zu Potsdam) aus Böhmen, Mähren, Ungarn, Württemberg, Sachsen, Brandenburg und der Schweiz, ab 1764 kamen Zimmerleute, Maurer, Bäcker, Schneider, Schuster und Gärtner aus Sachsen, Mecklenburg, Thüringen, Schwaben, Schlesien, Böhmen und Holland. Der Name Mantey (Mantei, Manthay etc.) oder Wenzel – von den Bessarabiern bekannt, ist hier ebenfalls zu finden. Die Verbindung zur alten Heimat findet sich im Ortsnamen Teplitz, Heimat einiger der damaligen Kolonisten, wieder.
Im Vertrag des Königs mit den Siedlern von Wuschewier im Oderbruch heißt es:
“Wegen dieses von dem Annehmer selbst zu errichtenden Baues und der rohdung werden demselben Acht Frey Jahre dergestalt bewilligt, daß er bis den letzten Juni 1765 von dieser Nutzung nichts entrichten dürfe. Hiernächst soll er dem Amte Friedland jährlich 15 Handdienste thun, mit der sense oder nach Verlangen des Amts mit der harcke bey der heu oder getreyde Ernte, oder wozu er sonst noch der wahl des Amts bey den feldern garten und Ackerbau, bestellet wird, bey seiner eigenen Kost und Geträncke, mit seinen eigenen Geräthe fleißig und getreulich, zu dem Ende er sich mit der Sonnen Aufgang zu den ihr angewiesenen Orth verfüget und beym Untergang der Sonnen davon wieder abgehet, dabei ihm zu Mittag Eßen eine Stunde Zeit gegeben wird, außer dem aber bey der Sense zum Frühstück eine halbe Stunde und zum Abendbrod eine halbe Stunde.“
Eine der größten Kolonisationen in Brandenburg fand bei der Erschließung des Oderbruches statt, Friedrich der Große hatte die Grundlagen für die Erschließung gelegt, Friedrich der II. gründete eine „Kommission zur Herbeischaffung von Kolonisten“, man erließ 1754 den Befehl an Einheimische, Häuser für die Kolonisten zu bauen und bereits 2 Jahre später kamen Siedler aus Württemberg, Bayern, Pommern, Sachsen, Polen und Böhmen (Neu Lewin), der Mark, Österreich und Schweiz – sowohl aus der deutschsprachigen, wie aus der französischen, dort vor allem aus Neuchatel, das dortige Schloss wurde Namenspate von Beauregard bei Wriezen, auch Croustillier bei Alt Ranft erinnert an die französische Sprache.
Pfälzer siedelten u.a. in Neu Barnim und Neu Trebbin. Bis 1761 werden 33 neue Dörfer gegründet, die Siedler erhielten Vergünstigungen, mussten weniger als ein Zehntel der üblichen Dienste leisten und bekamen Steuererleichterungen (15 Jahre keine Steuern), Kind und Kindeskind waren frei von Werbung (Militär), die Religionsausübung war frei, Schulbesuch kostenlos. Nach Familiengröße und Vermögen wurden bis zu 90 Morgen Land zugeteilt, man wohnte in kleinen Häusern Die Häuser waren klein, in der Regel für jeweils zwei Familien und standen Wand an Wand, Friedrich II. bezeichnete seiner entstanden Häuser selbst als „Zankhäuser“.
In Altreetz und Umgebung3 finden sich nun Namen in den Kirchbüchern, welchen wir im Zuge der „Ostwanderung“ noch häufiger begegnen werden:
1756: „Den dritten Oktober ist Martin Quast Einwohner in Neu Reetz mit seiner verlobten Braut Erdmüthe Schliermann von Herrn Inspectore copuliert worden.“
1757: „Den 19 ten July ist Michael Mittelstädt mit seiner Jungfrau Braut Dorothea Bochin von Herrn Fabricius allhier copuliert worden.“
Am 21.7. wird Carl Friedrich Böhm als Sohn von David Böhm aus neu Reetz und seiner Frau Eva Catharina geboren.
Am 19.9. stirbt der Freimann Gottfried Pahl.
1758: Am 28.3. wird Charlotte Lowisa Zöllner als Tochter von Michael Zöllner aus Neu Reetz und seiner Frau Margaretha geboren, Patin war Elisabeth Engel.
1760: Adlig Reetz „Eben den 2 ten December ist der Meister Johann Philipp Kelm Bürgers und Schuhmachers Freyenwaldes mit seiner braut Dorothea Elisabeth Rehmger von H. Bindemann copuliert worden.“
1761: „Den 31 ten July ist Martin Henke Colonist in Neu Cüstrinchen mit seiner Frau Braut Anna Krügerin war Wittwe Preussin von Herrn Fabricio copuliert worden.“
Die Ansiedlung von Deutschen auf dem Gebiet des heutigen Polens hat lange geschichtliche Tradition, im 13 Jahrhundert riefen Boleslaw der Keusche und Heinrich der Bärtige Deutsche auf, sich anzusiedeln, da ihr Königreich nach dem Tatarenkrieg entvölkert war. Im 16. Jahrhundert ließen sich Mennoniten an der mittelpolnischen Weichsel nieder, sie kamen aus Friesland, den Niederlanden und Pommern.
Im Netzebruch findet man um 1772 die späteren „Pariser“ in den Kreisen Wirsitz an der Brahe, westlich von Bromberg, Rogasen, Ritschenwalde, Lekno, Kolmar Obernick, Scharnikau, Witkowo, Schönlanke, Filehne, Kreuz und Schneidemühl, Flatow, Krojanke, Deutsch Krone, Woldenburg, Arnswalde und anderen Orten. Einige der Siedler entschlossen sich nach ihrer Ankunft im Netzebruch, nach Ost- und Westpreussen weiter zu ziehen, kehrten jedoch bald zurück.
Bis 1786 erschlossen 300.000 Kolonisten in 50 Dörfern Oder-, Warthe- und Netzebruch. Die Norddeutschen wurden gern als Holländer bezeichnet, richtig ist jedoch die Bezeichnung Hauländer – da sie in den sumpfigen, waldreichen Gegenden die Bäume rodeten (hauten), die Süddeutschen wurden allgemein als Schwaben bezeichnet.Wie im Oderbruch wurden ihnen auch im neuen Siedlungsgebiet einige Privilegien zu Teil, so waren die Kolonisten im Gegensatz zur einheimischen Bevölkerung freie Bauern, keine Leibeigenen. Sie erhielten zumeist 1 Hufe Land (ca. 30 polnische Morgen, ca. 16,8 ha), auch mehr, über welches sie frei verfügen konnten, im Gegenzug mussten sie jedoch u. a. Rodungsarbeiten leisten, nach 12 Jahren ging dieses Land in vererbbares Eigentum über.
Die preußische Regierung zahlte jedem 15 polnische Groschen pro Meile und Person Reisegeld und ebensoviel Unterhalt pro Tag, bis sich eine Arbeitsgelegenheit fand – so kamen auch Handwerker und Kaufleute ins Land. Die Bauern erhielten Vieh und Gerätschaften, durften ihre Religion frei ausüben – viele waren Protestanten und Polen war katholisch. Dazu kam die Befreiung vom Militärdienst für mehrere Jahre und die Zusicherung der Selbstverwaltung.
Wir begegnen „Holländern“ (Oledry, Holendry) des Warthelandes in den Grundbüchern von 1830- 1845 im Archiv des Wreschener (Wrzesnia) Kreisgerichtes – Namen, welche uns aus Bessarabien wohl vertraut sind:
aus Braunsdorf (Barczyzna): Pomerynek (Pomerenke), Breitkreutz, Brandt, Russ, Neumann, Manthey, Krüger, Nörenberg (Nürenberg, Nürnberg), Steinke, aus Nekla Hauland (Nekielka): Nuske (Nusske), Martin, Semler, Kelm, Richter, Neumann, Pfeifer, Grams, Jeske, Seifert. Ihre Namen stehen für eine Herkunft aus Pommern wie Nörenberg = Nörrenberg (Stadt in Pommern), Kelm, Steinke, Jeske, Nuske oder auch Pomerenke.Bereits um 1774, nach der ersten Teilung Polens, zogen viele Familien, vor allem Handwerker, nach Lemberg (Lwow, Galizien).
- Heinz Kleger: Toleranz und ‚Tolerantes Brandenburg‘, LIT, 2006, p 51ff
- neben der französischen Kolonie zu Berlin gab es die Provinzialkolonien in Brandenburg-Preußen:
Angermünde und Schmargendorf, Parstein, Lüdersdorf, Battin, Berkholz, Bernau, Französisch-Buchholz und Pankow, Brandenburg, Burg, Cagar, Rheinsberg, Braunsberg, Hammelspring, Calbe, Charlottenburg, Cleve, Colberg, Cottbus, Danzig. Duisburg, Emmerich, Frankfurt a. Oder, Fürstenwalde, Amt Gramzow und Potzlow, Halberstadt, Halle a. Saale, Hamm, Königsberg in Preussen, Köpnick, Lippstadt, Litauen, Magdeburg, Die Mannheimer Kolonie in Magdeburg, Minden, Moabit, Müncheberg, Neuhaldensleben, Neustadt a. Dosse, Oranienburg, Pasewalk, Potsdam, Prenzlau, Schwedt und Vierraden, Soest, Spandau, Stargard, Stendal, Stettin, Straßburg i. U., Tornow und Hohen-Finow, Wesel, Groß- und Klein-Ziethen.- Geschichtsverein Altreetz und Umgebung e.V.: Altreetzer Chronologie