Zur Erinnerung an unsere Vorfahren, die als Migranten aus Süddeutschland in die Welt zogen

Schlagwort: Pastor

Der alte Kludt

aus der Geschichte der Kolonie Töplitz in Bessarabien.1

Geordnete Verhältnisse traten für die Töplitzer Schule erst mit der Anstellung August Kludts im Jahre 1836 als Lehrer ein. Da der „alte Kludt“ sehr lange im Dienste der Töplitzer Gemeinde stand und großen Einfluß auf das Schulleben ausübte, sei hier sein Lebenslauf etwas ausführlicher behandelt. Johann August Kludt war der Sohn des IX. Malojaroslawetzer Ansiedlers Wilhelm Kludt 2 und wurde am 1. Juli 1811 bei der Durchreise seiner Eltern durch Polen in Lusche bei der Stadt Dombie geboren. Da Kludts Eltern sich meistens auf der Wanderschaft befanden, waren die Kinderjahre des August sehr arm an Freuden. In Bessarabien angekommen, fand Kludts Vater bei dem Mausirer Fürsten eine Anstellung als Gärtner. Nachdem er mehreremal seine Anstellungen gewechselt hatte, ließ er sich endlich im II. Malojaroslawetz nieder. Der junge August erhielt seine Ausbildung meistens bei seinem Vater. Im Alter von 17 Jahren ging er nach Deutschland, um sich als Missionar ausbilden zu lassen, kehrte aber nach 8 Monaten wieder zurück, um seinen Vater, der unterdessen die Küsterstelle in Töplitz übernommen hatte, zu unterstützen. Von 1835-36 vervollständigte er seine Bildung unter der Leitung des Lehrers Utz aus Großliebental, wo er das Amt des Provisors bekleidete, und legte in der evangelisch-lutherischen Synode zu Odessa seine Lehrprüfung ab. Am 1. Mai 1836 wurde August Kludt von Probst Graubaum an der Töplitzer Schule angestellt. Am 4. Juni 1836 trat er in die Ehe mit der Gnadentaler Ansiedlerin Eva Katharina, geb. Hägele (gebürtig aus Hahnweiler, Württemberg), über den Einfluß der Studienzeit auf die Charakterbildung Kludts schreibt Johs. Kämmler Folgendes: „Sein kurzer Aufenthalt in Deutschland hatte jedoch für den Jüngling eine weittragende Bedeutung und wir sehen bei seiner Rückkehr, daß der junge Mensch seine Zeit nicht vergeudet hat, sondern wohl ausgenützt, denn er kam zurück, ausgerüstet mit vielen schönen Kenntnissen für die damalige Zeit. Natürlich kam ihm bei solch schnellem Reifen sein feuriger, von Wissensdurst getriebener, nach Wahrheit suchender Jünglingsgeist zu statten, überhaupt hatte die kurze Zeit, in welcher der Jüngling Gelegenheit hatte, in Deutschland sich um die dortigen Schulen und in anderen Kreisen umzusehen, einen großen Einfluß auf die Bildung des Charakters des jungen Kludt und manche Eindrücke haben sich in seinem Geiste befruchtend fortgesetzt, die später in seinem Amtsleben manch schöne Frucht zur Reife brachten, so ist er auch auf seiner Reise in die „Herrnhuter Brüdergemeinde“ gekommen und hat deren Leben, Liebe und Glauben durch einen kleinen Aufenthalt dort

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kennen gelernt. Dasselbe machte auf den lebhaften Geist des Jünglings solch tiefen Eindruck, daß er nach kurzer Zeit als einer der Ihrigen schied und nie, bis heute noch von den Hauptprinzipien dieser Gemeinschaft abgekommen ist, sondern im Gegenteil, auch in dieser Hinsicht in der Gemeinde fruchtbringend wirkte, besonders auch an Kranken- und Sterbebetten mit seinem trostreichen aus kindlichem Glauben fließenden Zuspruch, wie solches bei vielen ja heute noch in guter Erinnerung lebt,“ August Kludt war an der Töplitzer Schule 43 Jahre lang tätig. Ältere Leute können sich seiner noch lebhaft erinnern. Johs. Kämmler würdigt das Andenken des alten Schulmeisters in folgenden schönen Worten: „In unserem Gedächtnis taucht eine schöne, hehre, Liebe erweckende Mannesgestalt auf: Es ist der „alte Kludt“, wie wir ihn heute bezeichnen. Was und wieviel mit diesen beiden Worten ausgesprochen ist, können natürlich nur wir älteren Männer in der Gemeinde wissen. Das junge Geschlecht hat ja wohl auch manches gehört von ihm, vielleicht übertrieben und entstellt, indessen auch die Eindrücke und Vorstellungen von demselben verschiedenartig sich ausgebildet haben. Aber uns Älteren, die wir sozusagen unter seiner Hand aufgewachsen sind, schwebt sein edler Charakter, der für alles Schöne und Edle so empfänglich war, noch voll und deutlich vor der Seele“. Der alte Kludt hat es sich bei seiner großen Kinderschar oft recht sauer werden lassen. Bis 1864 mußte er allein unterrichten, was bei einer Schülerzahl von 100 und darüber eine nicht zu verachtende Leistung war. Es ging in der Schule oft bunt zu. Da der Schulmeister mit dem Abfragen nicht herumkam, stellte er sich bessere Schüler als Gehilfen an (Dieses Verfahren wurde übrigens auch von den Geistlichen empfohlen. Die Gehilfen des Lehrers wurden „Monitore“ genannt). Diese mußten die Schüler die Aufgaben hersagen lassen und die Nichtskönner dem Lehrer angeben. Da fielen dann die Schläge manchmal hageldicht. Doch nicht immer waren die aus der Mitte der Schüler ernannten Aufseher zuverlässig. Eine Handvoll geplatztes Welschkorn, ein Stückchen Süßholz oder sonst irgend ein Leckerbissen genügte, um dieselben zur Nachsicht zu bewegen, welchen Umstand natürlich manche Faulpelze fleissig ausnützten. Kam jedoch eine solche Vertuschung der Tatsachen ans Tageslicht, so hatte der Aufseher das Zusehen. Er wurde sofort von seinem Amt abgesetzt, und durfte mit des Schulmeisters Hand, die Übrigens von gewaltiger Größe gewesen sein soll, sehr nahe Bekanntschaft machen. Für faule Schüler hatte der alte Kludt eine ganze Auswahl von Strafen. Konnten sie ihre Lektion nicht, so mußten sie entweder knien oder bekamen Tatzen, je nachdem der Schulmeister in der Laune war. Ein von ihm geliebtes Verfahren war, den Schüler mit den Worten „Groß und faul gibt auch ein Gaul“ an den Ohren bis an das Katheder zu ziehen. Verspätete sich ein Schüler, so wurde er gewöhnlich mit den Worten „Komm i net heut, so komm i morga“, oder „Eine gut

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Ausred ist drei Batzen wert“ empfangen. Da bei der großen Schülerzahl immer viele ohne Beschäftigung waren, verübten die Kinder aus Langeweile verschiedene harmlose Streiche, deren Entdeckung von dem Schulmeister gewöhnlich ein böses Nachspiel mit sich brachte. Während den Pausen herrschte eiserne Strenge. Ballspielen und Schreien wurden nicht geduldet. Wehe dem Schüler der beim Schlittschuhlaufen auf dem Eise ertappt wurde. Der bekam gewöhnlich Hiebe im Überfluß, gepfeffert mit verschiedenen Moralsprüchen, wie z.B. „Gehorsam ist besser denn Opfer“ und dergl. Bei aller Strenge war der alte Schulmeister doch auch sehr gutmütiges kam oft vor, daß er den gezüchtigten Kindern hernach in seiner Wohnung Honigbrot gab. Da das Schuljahr damals etwa vom 1. Oktober bis 1. April dauerte, konnte sich der alte Kludt während der langen Sommerferien allemal von den Strapazen der Schule gründlich erholen. Das Gehalt des alten Schulmeisters war verhältnismäßig gut, hauptsächlich was die Naturalien anbelangt. Im Jahre 1838 bekam er z.B.230 Rubel Assignation, „Kisik“ (Mist zum Brennen) und 160 Kapizen Heu, im Jahre 1844 360 Rubel, 5 Faden Kisik, 20 Fuhren Heu und 12 1/2 Tschw. Weizen. Auch fehlte es nicht an verschiedenen Anerkennungen seitens der Gemeinde und der Schulobrigkeit. Im Jahre 1863 schenkte ihm die Gemeinde für seine getreue Arbeit in der Schule 23 Rubel. Pastor Hastig schreibt gelegentlich einer Inspektion der Schule im Jahre 1839 über Kludt: „Ist ein sehr brauchbarer und christlicher Schullehrer „Pastor Breitenbach im Jahre 1841: „Besitzt vorzügliche Fähigkeiten, ist fleißig und treu in der Führung seines Amtes und macht durch seinen gottseligen Lebenswandel demselben Ehre“. Am 3. Sepber 1847 bekam er eine Belobigungszeugnis von Generalsuperintendent Flittner unter N.524 und am 23. November vom Generalsuperintendenten Richter unter N. 135. Bei den Pastoren war der alte Schulmeister auch sehr beliebt.
Feindselige Gefühle hegten gegen ihn nur Pastor Knauer, weil er während des Streites um die „Goßner’sche Richtung“ auf der Seite der Gemeinde stand, und Pastor von Lösch (P. Lösch kam ein paar Jahre später ins Irrenhaus), weil er wenig Fähigkeiten und scheinbar auch Sympathien für die russische Sprache besaß. Als Kludt älter wurde, begann sich das harmonische Verhältnis, das zwischen ihm und der Gemeinde bestand, etwas zu trüben. Einige Gemeindeglieder waren mit seinen Leistungen, die wegen des hohen Alters nicht mehr gut sein konnten, nicht zufrieden; andere wieder konnten es ihm nicht verzeihen, daß er zu den Stundenbrüdern hielt. Die Unzufriedenheit nahm noch mehr zu, als Pastor von Lösch unter der Gemeinde heftig gegen den alten Schulmeister zu agitieren begann. Zur Lösung der aktuell gewordenen Schulmeisterfrage wurde im Jahre 1879 eine Gemeindeversammlung einberufen. Auf derselben machten
einige Männer den Vorschlag, dem alten Kludt aus Gemeindemitteln ein Häuschen zu bauen und ihm für seinen langjährigen und treuen Dienst bis zum Tode eine Pension („Das Ausgeding“) zu geben. Dieser Vorschlag rief unter Kludts Gegnern ein großes Geschrei hervor und sie ruhten nicht, bis sie die

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Gemeinde umgestimmt hatten. Es wurde der Beschluß gefaßt, den alten Kludt
zu entlassen und einen anderen Lehrer zu mieten. Wie sehr dieses Vorgehen
der Gemeinde den alten Mann kränkte, geht aus einem an die Gemeinde gerichteten Schreiben hervor, das folgenden Inhalt hatte: “Der werten Gemeinde zu Töplitz. Indem ich, liebe Gemeinde, bei Euch durch Gottes Gnade alt und grau geworden bin in Eurem Kirchendienste und in dieser langen Zeit mit Euch Freud und Leid geteilt habe und zu jeder Zeit bereit und willig war, in jeder Beziehung ohne Eigennutz Euch zu dienen, so viel nur in meinem Vermögen war, nun aber aus Altersschwäche nicht dienen kann, daher ich schon im vergangenen Jahr 1877 um Entlassung bitten wollte, aber dringendes Bitten und Anhalten veranlaßten mich, noch ein Jahr zu bleiben. Da sich aber unsere Verhältnisse seitdem, sowohl in Kirche wie Gemeinde verändert haben, und unser Herr Pastor (Lösch, der verrückt gewordene) mich neulich bei öffentlichem Gemeinde als einen Mann bezeichnete, der ihm nicht willfährig ist, gegen den russischen Unterricht ist und sogar behauptet, die Gemeinde selbst sei gegen das Russische und der Verstoß mit mir ihn veranlasse, sogar unsere Schule nicht zu besuchen, was mir unerträglich ist. Dazu kommt noch, daß einige Männer unserer Gemeinde bei der neulichen Gemeindeversammlung mich auf das schmählichste verunglimpft haben, das macht mir unmöglich, meine Stellung als Schullehrer so noch länger zu behalten. Ich bin daher entschlossen, das Schulhaus gleich zu räumen und mein Amt niederzulegen, denn wie kann ein Mann der Gemeinde noch Gottesdienst halten, der seine eigenen Kinder nicht liebt und vertreibt und mit Lug und Trug umgeht und den sein eigener Pastor als seinen Gegner ansieht. Ich bitte also um Eure gefällige Entlassung. Ich will kein Leibgedinge weder von Euch noch vom Herrn Pastor.
Ich danke recht herzlich für Euer bisheriges Vertrauen, Liebe und Teilnahme zu mir, was der liebe Gott Euch und Euren Kindern reichlich belohnen wolle.
Euer Euch treuer unvergeßlich liebender alter Schullehrer
August Kludt. „
Töplitz, den 3. Januar 1879.

So mußte der alte Schulmeister an seinem Lebensabend recht bitter den Undank der Gemeinde fühlen. Kämmler schreibt in seinem Tagebuch: „Unser alter Kludt ist schimpflich Fortkommen aus Töplitz, das bleibt feste Wahrheit

zur S c h a n d e f ü r T ö p l i t z.“

Nach einiger Zeit scheint bei der Töplitzer Gemeinde doch die Stimme des Gewissens aufgewacht zu sein und sie versuchte, das begangene Unrecht gut zu machen. Am 31.März 1879 beschloß sie, dem Lehrer August Kludt, weil er während seiner Dienstzeit in dem ihm zugeteilten Garten viel Obstbäume und Weinstöcke (im Jahre 1881 kaufte die Gemeinde zur Nutznießung für den Küster den Weinberg der verstorbenen Elisabeth Eckstein für 60 Rubel 30 3/7 Kop.) angepflanzt hatte, 190 Rubel zu schenken. Der alte Kludt zog im Jahre 1879 ins Chersonsche Burg (Neudorf?) zu seinem Sohn Benjamin Kludt, woselbst er ein halb Jahr

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blieb und hernach zu seinem Sohn Samuel Kludt nach Friedensfeld übersiedelte. Der alte Schulmeister war reichlich mit Kindern gesegnet. Er hatte
9 Söhne und 4 Töchter:
Johannes, geb.1837, Gebietsschreiber in Gnadenfeld,
Samuel, geb. 1840, Großbauer in Friedesfeld bei Sarata, Bess.,
August, geb. 1841, Baptistenprediger in Amerika,
Heinrich, geb.1846, Küster und Lehrer, Großliebental,
Benjamin, geb. 1850, Küster und Lehrer in Neudorf,
Wilhelm, geb. 1852,
Gotthilf, geb. 1860,
Karl, geb. 1861, Lehrer an der Zentralschule zu Freudental,
Woldemar, geb. 1863, Küster, Lehrer und Organist in Grunau, nachher
Buchhalter in Berdjansc,
Sophie, geb. 1843,
Maria, geb. 1853,
Johanna, geb. 1855,
Karoline, geb. 1858.
Er starb am 12. April 1897 im Alter von 85 Jahren, 10 Monaten und 12 Tagen
und wurde auf dem Kirchhof zu Friedensfeld begraben. Kludts Nachfolger
war David Dieno, der das Küsteramt von 1880-93 versah. 1896 starb er im
Hospital zu Gnadenfeld.

  1. Records of the National Socialist German Labor Party (NSDAP): National Archives Microcopy no. T-81 Roll 634 Frame 5434969-5436973
    Verfasser: Deutsches Ausland-Institut (Stuttgart) (Main Author) American Historical Association. Committee for the Study of War Documents (Added Author) Veröffentlichung: Washington, D.C.: American Historical Association. American Committee for the Study of War Documents ↩︎
  2. Anmerkung: hier irrt der Verfasser ↩︎

Pastor Martin Friedrich Schrenk

Martin Friedrich Schrenk1

Martin Friedrich Schrenk wurde als Sohn des Schneidermeisters Johannes Schrenk (1797–1848) und dessen Ehefrau Katharina geborene Breimaier (1807–1881) in Höfingen geboren.

Geburtseintrag im Kirchenbuch Höfingen 1833

Schrenk absolvierte die Baseler Missionsschule, ehe er in den Kaukasus entsandt wurde. Hier war er von 1862 bis 1877 in Elisabetthal (Assureti) und 1877–1880 in Katharinenfeld Pastor. Nach seiner Abberufung nahm er die Stelle des Pfarrers von Glückstal (1880–1892) und Großliebental (1904–1908) bei Odessa an.

Über seine Erfahrungen in Russland verfasste er verschiedene Bücher und Aufsätze.2

Verheiratet war er mit Auguste Sophie Denner aus Lauterburg. Sie war die Tochter des Pfarrers Johannes Denner (1806–1859) und dessen Ehefrau Sophie Friederika geborene Vögelin (*1813). Die Eheschließung fand am 4. Juni 1863 statt. Aus dieser Ehe sind Tochter Anna Marie Sophie (1864–1948) und Sohn Ernst (*1868) bekannt.

Geburt von Auguste Sophie Denner im Kirchenbuch Lauterburg 1806

Es sollten noch zwei Ehen folgen, Sophie Hofer aus Württemberg starb bereits am 3. November 1873, so ehelichte er Maria Gruner aus Esslingen am 28. November 1878. Auch diese Ehefrau sollte er überleben (†1892). Ihre gemeinsame Tochter Maria Lidia kam am 29. September 1881 in Glückstal zur Welt.

Seinen Lebensabend beendete Pastor Schrenk in Ditzingen am 22. November 1911 in Folge von Altersschwäche.

Sterbeeintrag im Kirchenbuch Ditzingen 1911

Auch Geschwister waren ausgewandert, so seine Schwester Katharina (1834–1904) verehelichte Seidenspinner, Maria Barbara (1839–1879), verheiratet mit Pastor Johann Jakob Stuber (1839–1906)3 und Carolina (1841–1882), verheiratet mit dem Käsereimeister Alexander Bieri.

Pastor Johann Jakob Stuber4

Von Anna Marie Sophie, der Tochter aus erster Ehe, ist uns ein bemerkenswertes Dokument erhalten geblieben. Sie war tätig als Pfarrfrau und Lehrerin, starb am 6. April 1948 unverehelicht in der Diakonissenanstalt Schwäbisch Hall an Altersschwäche.

In einem Rückblick berichtet sie vor allem über Erlebnisse innerhalb des ersten Weltkrieges in Russland.5

Es erlaubt uns auch, Einblick zu nehmen in den Lebensweg des Pfarrers Immanuel Winkler, der nicht nur in Russland tätig war, sondern auf dessen Initiative eine Ansiedlung der Russlanddeutschen in Tirpitz stattfand.

Meine Erlebnisse (im deutsch evangelischen Pfarrhaus) in Russland
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von Anna Schrenk, Korntal, Altersheim

Meine Erlebnisse erstrecken sich auf viele Jahre, denn unser lieber Vater war 45 Jahre als Pastor in Russland tätig, davon 19 Jahre in Transkaukasien, 22 Jahre im Odessaer Popstbezirk ind er Kolonie Glückstal und 4 Jahre noch als Hausgeistlicher in den Barmherzigskeitsanstalten es Herrn Probst Alber, da zur Führung des Amtes in dem grossen Kirchspiel die Kräfte nicht mehr ausgereicht hatten. Von dieser letzten Arbeitsstätte kehrte mein Vater als 75-jähriger müder und kranker Mann in die deutsche Heimat zurück, wo ich ihn noch 3 Jahre pflegen durfte, bis er im November 1911 eingehen durfte zur Ruhe des Volkes Gottes.

Nach seinem Tode ging ich im Frühjahr 1912 wieder nach Russland zurück, einem Ruf des jungen Pastors Winkler in der Kolonie Hoffnungstal im Odessaer Bezirk folgend. Da derselbe noch unverheiratet war und 2 jüngere Schwestern bei sich hatte, sollte ich im Pfarrhause Mutterstelle und in der Gemeinde die Pfarrfrau vertreten. Das hatte ich in meines Vaters Gemeinde schon Jahrelang getan, da unsere liebe Mutter schon im Jahre 1892 verstorben war.

Die ersten Jahre meines Aufenthaltes in Hoffnungstal vergingen in ruhiger, friedlicher Arbeit, wie ich das von früher her gewohnt war. Da kam 1914 der Weltkrieg und schuf eine ganz andere Lage. Mit ihm begann der Leidensweg der deutschen Kolonisten Russlands und somit auch des evang. Pfarrhauses. zunächst waren es hauptsächlich die Gemeinden und Pfarrhäuser im Westen

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und Süd-Westen des Reiches, die gefährdet waren, weil sie sehr bald in die Kriegszone zu liegen kamen. Wohl waren es nicht Bedrängnisse um des Glaubens willen, die man zu erdulden hatte, sondern um des Deutschtumswillen. Man sah plötzlich in den Deutschen, mit denen man vorher in Frieden und Eintracht gelebt hatte Feinde und Landesverräter. Zwar zogen die deutschen Söhne und auch viele Familienväter ihrem Fahneneid getreu ohne Murren in den Krieg, es ist mir auch kein Fall bekannt, dass einer Fahnenflüchtig oder zum Verräter geworden wäre. Aber sie zogen schweren Herzens hinaus, das kann ich bezeugen, ging es doch gegen deutsche Brüder, gegen das deutsche Mutterland, an dem die deutschen Kolonisten doch noch hingen, trotzdem sie es nicht kannten, – oder doch nur Einzelne von ihnen, – und trotzdem das deutsche Mutterland sich auch nie um seine nach Russland versprengten Söhne gekümmert hatte. So oft eine neue Einberufung stattfand, wurde ein Abschiedsgottesdienst mit Abendmahl abgehalten, und diese Gottesdienste waren immer sehr ergreifend. Mit der Zeit wurden sie aber verboten, wie ja später die deutsche Predigt überhaupt verboten wurde und die Pastoren sich damit halfen, dass sie passende Bibeltexte zusammenstellten und die dann verlasen. Dazwischen wurden dann immer wieder passende Verse gesungen. Auch diese Gottesdienste wurden gut besucht und brachten den besonderen Segen, dass man recht in die Bibel eingeführt wurde.

Doch in den beiden ersten Kriegsjahren bestand dieses Predigtverbot noch nicht, dagegen war es bei 3000,- Rubel (damals noch Rm. 6000,-) Strafe oder 3 Monate Gefängnis verboten auf der Strasse deutsch zu sprechen. Da wir geschlossene deutsche Siedlungen hatten, so konnte man durchkommen ohne diese Strafe, aber es kam öfter vor, dass der herumstreifende

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jemand ertappte beim Deutschsprechen, dann wurde ein Protokoll aufgenommen, von dem sich die Leute aber meist wieder loskaufen konnten durch Geld oder Lebensmittel. Ein Fall ist mir aber doch bekannt, wo einer der führenden Männer im Dorf, es unter seiner Würde hielt, sich loszukaufen und lieber ins Gefängnis ging.

Der junge Pastor W., bei dem ich war, wurde im Jahre 14/1915 als Feldgeistlicher einberufen, kam aber nach einem halben Jahr wieder zurück, weil er den Herren bei der Militärverwaltung seine deutsche Gesinnung nicht ganz verbergen konnte. Aber nicht ganz ein Jahr danach bekam er eines Nachts (das pflegte man immer nachts zu machen) den Ausweisungsbefehl wegen seiner „germanophilen Gesinnung“. Und nicht nur er, sondern auch alle unsere Hausgenossen: eine baltische Lehrerin, die bei uns in Pension gewesen, desgleichen die Gemeindeschwester und er Probejahrskandidat Merz, der im Hause gewesen war, sollten binnen 2 x 24 Stunden das Dorf verlassen und 100 Kilometer ostwärts ziehen, da ich in Deutschland erzogen und geschult worden war, blieb von dem Befehl ausgeschlossen. Es ist mir noch heute ein Wunder, wie Gott mich in der ganzen Kriegszeit beschützt hat in allen Gefahren, denen ich ausgesetzt war. „In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über mir Flügel gebreitet!“

Durch die Fürsprache eines hohen Beamten in Odessa, wurde aber für diesmal der Ausweisungsbefehl wieder zurückgenommen, jedoch einige Monate später nachdem Pastor W. kurz vorher geheiratet hatte, bekam er wieder den Ausweisungsbefehl und diesmal musste er fort und bald danach seine junge Frau auch. Sie hielten sich mit noch vielen andern, meist baltischen Pastoren

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im Osten der Stadt Saratow auf; Pastor W. durfte aber später nach Charkow übersiedeln.

Ich löste nun den Haushalt in Hoffnungstal auf und begab mich wieder nach Grossliebental, wo ich schon früher in den Anstalten gearbeitet hatte und wo Propst Alber mich erwartete.

Da fing nun die schwierigste Zeit für mich an. Es war im Sommer 1916 als ich dahin übersiedelte und Odessa mit Umgebung schon Grenzgebiet geworden. Immer lag Militär da, immer wurde man bewacht und beobachtet, auch das Predigtverbot kam in dieser Zeit. Propst Alber6, der selbst schon pensioniert war, aber immer noch amtierte, hatte ind er Zeit den jungen Pastor Koch als Amtsgehilfen bei sich, der dann auch sein Nachfolger wurde.

Am Weihnachtsabend 1916 kam ein ganzes Regiment Reservisten an die rumänische Front, durch Grossliebental. Die armen Menschen waren totmüde, viele liessen sich auf der aufgeweichten Strasse fallen, weil sie nicht mehr weiter konnten. In dieser Nacht war in allen Häusern Einquartierung, in manchen 50 bis 60 Mantt. Auch wie im Pfarrhaus hatten etliche Mann, Sibirier waren es. Oh wie leid taten mir diese Männer, die doch nur als Schlachtschafe dahingetrieben wurden.

Das war unser Weihnachten 1916. Im Februar darauf kam dann der Umsturz. Erst war man wie gelähmt als es hiess: „der Zar ist enttront, “ – der Mann der bisdahin beinahe göttlich verehrt wurde in Russland! Einige Monate, solange die Kerensky-Regierung am Ruder war, lebte man noch einigermassen ruhig, aber die Hoffnung, das der schreckliche Krieg ein Ende nehmen werde, erfüllte sich auch da nicht. Den äusseren Krieg zu Ende zu bringen und dafür den inneren anzufangen, das war erst der bolsche-

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wistischen Regierung beschieden. Bald wogten Strassenkämpfe in und um Odessa zwischen Ukrainern und Bolschewiken, bis schiesslich die Bolschewiken den Sieg davon trugen. Es begann die Zeit der bolschewistischen Agitation.

Doch vorher, noch zur Zeit der zaristischen Regierung und der Kerensky-Regierung hatten wir 2 tiefeinschneidende Erlebnisse. Das erste war der Kongress der Schwarzmeerdeutschen in Odessa, wo Vertreter von allen Kolonistenbezirken des Südens zusammen waren und ihnen das sogenannte „Liquidationsgesetz“ vorgelegt wurde, das der Zar selbst unterschrieben hatte. Da wurden die deutschen Kolonisten vor die Wahl gestellt, ob sie ihr Deutschtum ablegen und damit auch zur russischen Kirche übertreten wollen, oder aber müssten sie Russland verlassen, „arm“ wie sie gekommen seine, also ohne jede Entschädigung. Fast einstimmig erklärten sie „wir gehen lieber arm zum Land hinaus, als dass wie unser Deutschtum und unsern Glauben verleugnen.“

Das zweite Erlebnis fällt in die Zeit der Kerensky-Regierung, soviel ich mich erinnere. Da waren in Grossliebental serbische Offiziere stationier, die aus österreichischen Kriegsgefangenen meist Tschechen, ein neues Regiment für die russisch-rumänische Front formieren sollten. Was an diesen armen Kriegsgefangenen, die nun auch den russischen Fahneneid schwören sollten, für Grausamkeiten begangen wurden, darüber liesse sich viel sagen. Ich will mich aber damit nicht aufhalten, sondern nur eins erzählen, wovon auch das Pfarrahsu betroffen wurde. Eines abends wurde ein serbischer Offizier meichtlings ermordet. Das wurde nun den Deutschen zur Last gelegt und es kam tags darauf vom Generalgouverneur der Befehl, ganz Grossliebental müsse binnen 2 x 24 Stunden geräumt und alle Bewohner in die östlichen

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Provinzen, ich glaube an den Ural, verschickt werden. Da war nun die Not aufs höchste gestiegen. Die Gemeindevorsteher baten nun die beiden Pastoren inständig, sie möchten selbst beim Generalgouverneur Fürbitte tun, dass dieser Befehl rückgängig gemacht werde. Nachdem die Herren sich im Gebet gestärkt hatten, begaben sie sich auf die Reise nach Odessa. In voller Amtstracht, – de galt damals noch viel in Russland, – traten sie vor den hohen Herren und legten Fürbitte ein für die Gemeinde. Erst war er ziemlich ungnädig, wurde aber dann auf die Vorstellung des alten Propstes hin etwas freundlicher und versprach schliesslich den Befehl zurückzunehmen, dalls die Gemeinde binnen einer Woche den Täter ausfindig mache. Das gelang dann mit Gottes Hilfe, es war einer der tschechischen Soldaten, und so wurde das Unheil abgewandt. Aber solcher Vorkommnisse gab es mancherlei und immer hing das Schwert über der Gemeinde und auch über dem Pfarrhaus.

Das wurde auch nicht anders, als im Herbst 1917 das bolschewistische Regiment anfing sich auszubreiten. Erst wurden nur einzelne Ueberfälle unternommen, die andauernd die Kolonie in Angst versetzten, sodass jede Nacht 60 Mann Wache stehen mussten an den Dorfeingängen. Von diesen Ueberfällen war besonders auch das Pfarrhaus bedroht, sodass man keinen Abend wusste, ob man den Morgen noch erleben werde. Doch Gott wachte übe runs und liess uns nichts geschehen. Mit der Zeit setzten sich aber die Bolschewiken im Dorfe fest. Sie pflanzten an der Gemeindeverwaltung und am Krankenhaus die rote Fahne auf und wir waren somit in ihren Händen.

Eine ihrer ersten Taten sollte die Ermordung der Bourgoisie sein in Odessa und Umgebung, nachdem sie die zaristischen Offiziere schon alle umgebracht hatten, soweit dieselben ihnen

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nicht entkamen. Da gelang es der geängstigten Einwohnerschaft von Odessa an das deutsche Militär die Bitte um Hilfe durch ein Funktelegramm gelangen zu lassen und am Tag, vor der geplanten Bartholomäusnacht, erreichte eine Abteilung deutscher und österreichischer Soldaten die Stadt und auch unser Dorf. Das war ein Jubel und heisse Dankgebete stiegen zu Gott empor! Sofort verschwanden alle Roten und wir durften frei aufatmen, da Odessa vom deutschen Militär besetzt wurde. Das war im März 1918.

Nun kamen für uns noch einige schone, ruhige Monate, in denen wir im Pfarrhaus ab und zu Besuch von hohen deutschen Militärpersonen bekamen, was immer grosse Freude auslöste. So kam eines Tages, es war August, auch der Oberkommandierende der Besatzungsarmee, Graf Waldersee. Er speiste mit seinen beiden Adjutanten bei uns im Pfarrhaus zu Mittag. Ihm trug nun Propst Alber, die Bitte vor, ob er uns nicht die Einreisebewilligung nach Deutschland verschaffen könnte. Sehr freundlich ging der hohe Herr auf diese Bitte ein und versprach uns: Herrn Propst, seiner Frau und mir, innerhalb 2 Wochen die Erlaubnis zu verschaffen, von seinem Freund, dem König von Württemberg. Schon nach zwölf Tagen war die Erlaubnis in Odessa, wo uns von der Militärbehörde zugleich die Weisung gegeben wurde, innerhalb drei Tagen uns reisefertig zu machen, da wir mit einem deutschen Militärzug bis über die deutsche Grenze mitgenommen würden. So reisten wie dann in den letzten Septembertagen 1918 frohen und dankbaren Herzens aus Odessa ab, zusammen mit etwa 60 jungen Kolonistensöhnen, sie sich als Freiwillige für die Westfront gemeldet hatten.

Ich reiste allerdings damals in der Hoffnung ab, wenn die Kriegswirren vorüber sein würden, wieder an meine Ar-

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beitsstätte in Grossliebental zurückkehren zu können. Doch, es kam anders. Und heute danke ich Gott, dass er mich zur rechten Zeit aus diesem Lande herausgeführt hat, das für viele meiner Landsleute zu einer Hölle geworden ist. Mit wehem Herzen gedenke ich ihrer und bitte Gott, dass Er sie im Glauben stärken und erhalten möge!

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Anna Schrenk: Mein Erlebnis im deutsch evangelischen Pfarrhaus in Russland, Manuskript 8 S.

  1. BMA QS-30.001.0374.01 Title: Schrenk, Martin Friedrich. Creator: unknown studio Date: 1861 ↩︎
  2. Schrenk, Martin Friedrich:
    Jubiläums-Gedichte von Friedr. Schrenk, Pastor zu Glücksthal. – Als Manuskript für Freunde gedruckt – Odessa: L. Nitzsche, 1886, 17. S.
    Aus der Geschichte der Entstehung der evangelisch-lutherischen Kolonien in den Gouvernements Bessarabien und Cherson, speziell in kirchlicher Beziehung. Stuttgart, J.F. Steinkopf. III, 167 S.
    Geschichte der deutschen Kolonien. Zum Gedächtnis des fünfzigjährigen Bestehens desselben. Tiflis 1869, 197 S. ↩︎
  3. https://wolgadeutsche.net/lexikon/beilage/Pastor_Johann_Jakob_Stuber_Nekrolog.pdf ↩︎
  4. BMA QS-30.001.0434.01 Title: Stuber, Joh. Jakob. Creator: Magnat Frères, Basel, Switzerland Date: 1864 ↩︎
  5. Anna Schrenk: Mein Erlebnis im deutsch evangelischen Pfarrhaus in Russland, Records of the National Socialist German Labor Party (NSDAP): National Archives Microcopy no. T-81 Roll 634 Frame 5435004-5435011
    Verfasser: Deutsches Ausland-Institut (Stuttgart) (Main Author) American Historical Association. Committee for the Study of War Documents (Added Author)
    Veröffentlichung: Washington, D.C.: American Historical Association. American Committee for the Study of War Documents ↩︎
  6. Propst Johannes Alber, (20.10.1845 Nikolajew – 30.9.1932 Pfullingen) ↩︎

Johannes Kludt

Erste Mittheilungen von unserem Großvater Johannes Kludt. Aufgesetzt von meinem Bruder Wilhelm Kludt.1

Von unseren Urur- Großeltern ist nur so viel bekannt, daß sie ungefähr, zur Zeit des dreißig jährigen Krieges von dem Rheingegenden bei Köln nach Preußen auswanderten, und sich in der Gegend zwischen den Städten Schneidemühle, Bromberg und Gnesen in der Provenz oder Herzogthum Posen ansiedelten. Die nächsten Marktflecken waren Rogasen, Schönlank und Schocken. Sie waren evangelischer lutherischer Konfession, und redeten die blattdeutsche Mundart.

Unser Urgroßvater hieß: Johan Kludt und die Urgroßmutter, Katharine geb. Schönfeld.

Sie hatten sieben Söhne und zwei Töchter, unter welchen unser Großvater Johannes Kludt, geboren 1743, ihr jüngstes Kind, ein Zwillingssohn, war. Als 12jähriger Knabe, wurde er eine Vater und Mutterlose Waise, wurde, und mußte von dem an bei Bauersleuten sein Brod mit Dienen suchen. Zur Zeit des siebenjährigen Krieges mußte er als Fuhrknecht bei den Rußen, der fürchterlichen Schlacht, bei Zorndorf, beiwohnen, wo er von einem rußischen Barbier, ein Rasiermesser noch kaufte.

Im Jahre 1773 trat unser Großvater mit der Großmutter Katharine, geborene Dreher, geboren in dem Dorfe Ninke, 6 Meilen2 von Posen und eine Meile von Rogasen, in den Ehestand, und nährte sich von Schafzucht und Handarbeit. Einer von den Brüdern des Großvaters starb ledig, und ein zweiter wurde Katholik, übersetze seinen Familien Namen ins Polnische: Grundschinski, zum großen Ärger, seiner Verwandten.

Nach Beendigung des siebenjährigen Krieges wanderten viele Deutsche nach Polen ein und ließen sich besonders in den Weichselgegenden nieder; und auch unsere Großeltern entschlossen sich endlich dazu, und ließen sich in der Gegend der Städte Wrozlawek, Konin und Rostositz nieder. Ihre Kinder waren der Alterfolge nach folgende. Martin, Michaelx), Johannes (mein Vater), Maria und Christoph. Sie starben, die Großmutter 41, der

x) Katharine

Großvater: 60 Jahre alt. Martin und Michael haben in Polen bei der Stadt Peterkau, ihre gekauften Landgüter und Christoph Schneider und Schullehrer bei der Stadt Kowol.

Mein Vater Johannes Kludt wurde nach seiner eigenen Angabe, im Dorfe Turke bei der Stadt Konin in Polen geboren den 3./15 April 1783 geboren und in Muchlin getauft. Sieben oder achtjährig, verunglückte er bei einer Wasserschlause. Wer ihn errettet hat, weiß er nicht, nur das er beim wiedererhaltenen Bewußtsein schon geretet war, und seine Mutter sehr weinte.

Da es bei seinen Eltern wegen mancherlei Unglücksfälle sehr armselig herging, so hatte es auch mein Vater sehr schwer, zumal in polnischen Dörfern und Wäldern, besonders was den Unterricht der Kinder anbelangt. Er lernte bei seiner Mutter nur nothdürftig lesen, besuchte im Winter 1795 auf 1796 die Schule in dem deutschen Dorfe, Sporse, und wurde 1796 in Groß Neudorf confirmiert. Nach der Confirmation erwachte in ihm ein besonderer Drang zum Gebet und weiteren Schulkenntnissen; Durch imsige Selbstübung brachte er es im Deutschen und im polnischen lesen und schreiben, bei seinen armen Verhältnissen

ziemlich weit, und war dazu auch noch so glücklich, ein kleines Rechenbüchlein, Pescheks Rechenschüler, zu bekommen, um sich auch im Rechnen zu üben. Siebenzehn Jahr alt, trat er bei einem Schneidermeister in die Lehre. Im zwanzigsten wurde er Schullehrer und diente als solcher von 1802 bis 1804 in Ladna, von 1805 bis ins 1811 Jahr in Lusche, von 1811 bis 1815 in Groß-Neudorf, und von 1815 bis 1819 in Lipin.

Im Jahre 1803 den 23. Nov./5. Dec. trat er in Ladna mit meiner Mutter Anna Maria, geb. Will, in die Ehe. Sie ist in Polen geboren, in einem Dorfe bei Konin den 23sten April 1787, und confirmiert 1801. Ihre Eltern waren: Adam Will und Anna Maria geb. Milbrat, wohnten auf ihrem Landgut Dombjer Hauland bei der Stadt Dombje. Sie war eine gottesfürchtige, da bei sehr ökonomische, und für das leibliche Wohl ihrer Kinder bedachte Frau.

Ihre Kinder waren:

Karl Wilhelm Kludt, geboren in Lusche bei der Stadt Dombje d. 16./28. Mai 1807, Friedrich August Kludt, geboren in Lusche bei Dombje den 20. Mai/1. Juni 1811.

In Folge von einer von der russischen Regierung an die Deutschen in Polen erlassenen Aufforderung und Privilegien, zu einer Ansiedlung in Bessarabien, wanderten mein Vater und noch vier andere Familien Reinke, Hirsekorn, Makus, und Död aus dem deutschen Dorfe Lipin bei der Stadt Kolo im Jahre 1819 nach Bessarabien aus, und übernahm dort so gleich, in der ersten Kolonie Leipzig, den dortigen Schuldienst. Allein da uns das bessarabische Clima gewaltig zusetzte, und wir alle erkrankten, so entschloß sich mein Vater mit seiner Familie wieder nach Polen zurückzureisen. Auf dieser Rückreise, im Herbste 1820 traf uns bei unsern kranken Umständen, noch das Unglück, beim Dorfe Karbun, durch das Umwerfen des Wagens fast alle verwundet zu werden, besonders die Mutter, die sehr beschädigt war, und so genöthigt wurden, in Keschinoff zu bleiben. Unser Vater übernahm dann, in Folge diesem Unfalle, bei dem damals daselbst wohnenden Fürsten Kontagusin, eine Gärtnerstelle, die ganz nah bei dem, bei der Stadt liegenden Dorfe Durlest, ist; wo wir

sich alle von unseren kranken Umständen bald erholten.

Nach einem Jahre wurde der Garten verkauft, die Fürstliche Familie zog auf ihre Güter bei Magilleff, und mein Vater übernahm daher 1822 und 1823 die Gärtnerstelle des Obersten v. Stamo im Dorfe Horest. 1824 übernahm er die Gärtnerey in Galbin.

1825 die Schulstelle in Katzbach; 1827 bis 1834 verwaltete er die Schulstelle in Töplitz, und von 1834 bis 1839 wieder die Schule in Katzbach, und zog dann wieder zurück nach Töplitz, zu meinem Bruder August Kludt, welcher indessen die dortige Schulstelle angenommen hatte.

Wilhelm Kludt

Nachtrag zu dem vorstehenden Aufsatz meines l. Br. Wilhelm Kludt.

Diese, meine lieben Eltern, denen ich nächst Gott mein Leben und so unzähliges Gute zu verdanken habe, führten und hatten, besonders in ihren letzten Jahren ein etwas unstätes Leben, und hatten es daher, manchmal recht schwer. – Sie verließen 1939 Katzbach, – sich in den Ruhestand begebend, – und kamen und wohnten bei mir in Töplitz, zehn Jahre weniger zwei Monate, und zogen nachdem 1848 zu meinem Bruder Wilhelm in II. Malojaroslawetz. Hier aber erkrankte bald darauf meine Mutter Anna Maria Kludt geb. Will, an einer Art Lungensucht und starb den 19ten Oktober 1848, im Alter von 64 1/2 Jahren, und wurde den 22sten Octob. Nachmittags von Pastor Pingoud beerdigt. Sie hatte den Heiland schon seit längerer Zeit gesucht und kennen gelernt, und liebte ihn sehr, und so auch Jedermann; besonders aber war sie gegen ihre Kinder, eine gar zärtliche liebende und um sie besorgte Mutter. Der Herr vergelte ihr alles im ewigen Leben. In ihrer letzten Krankheit hatte sie manche schwere Anfechtungen von der Macht der Fensterniß in ihrem Innern durchzumachen und klagte mir ihre Trostlosigkeit; ich suchte sie zu beruhigen und zu trosten so gut ich wußte und konnte. Ich mußte ihr dann das14te Kapitel Johannes

vorlesen, was sei mit rechter Gespanntheit anhörte; und der Herr schenkte ihr in Gnaden wieder Trost und Frieden, und ging so, als eine gebeugte Sünderin im Glauben an den Herrn Jesum, still und sanft, in die ewige Heimath.

Von 1851 bis 1854 wohnte der Vater dann wieder,

als Witmann, alleine bei uns in Töplitz, und zog nach diesem wieder von uns, bis er 1857 wieder zu uns kam, aber auch nicht wieder auf eine lange Zeit, – sondern er kehrte noch einmal wieder zurück zu meinem Bruder Wilhelm in II. Malojaroslawetz. Jetzt erkrankte er nach einigen Wochen an einer sehr schmerzlichen Wassersucht, die von Zeit zu Zeit immer mehr zunahm und ihm so nach als sein letztes Läuterungsfeuer zu seinem Ende dienen mußte. Er war erweckt, liebte das Gute, und suchte oft mit Eifer und Ernst die Beförderung des Reiches Gottes nach seinen Ansichten, die manchmal gerade nicht die richtigsten waren; – und schadete sich selbsten damit, besonders durch seine lieblings Idee, von der Zukunft Christi, und den unsichtbaren und zukünftigen Dingen. Er sahe nun mit Schmerzen ein, daß er sich öfters geteuscht hatte. Er starb im kindlichen Glauben an Jesum, den 29sten März 1862, und wurde den 31 März von Pastor Pingoud beerdigt, im Alter von 79 Jahren. Beide Eltern ruhen nun dicht nebeneinander auf dem II. Malojarosl. Friedhofe, dem großen Tag der Auferstehung entgegenharrend.

Ach es wär zum weinen
Wenn kein Heiland wär,
Aber sein erscheinen,
Bracht den Himmel her.

Töplitz, den 31. Juli 1871 August Kludt

Die Johann Kludtschen Kinder

1 Carl Wilhelm Kludt

geboren den 16. Mai 1807 in Polen in Lusche, confirmiert 1823 den 22. März in Sarata. verheiratete sich den 18. Juli 1827, mit Susanna geb. König in Polen den 10. Decemb. 1811

Er übernahm 1826 die Schreiberstelle in Katzbach, 1827 und 1828 die Schreiberstelle in Krasna, 1829 und 1830 die Schulstelle in II. Ferechampenaise, 1831 und bis 1833 die in I. Malojaroslawetz, und von 1834 an übernahm er die Schulstelle in II. Malojaroslawetz, wo auch unsere ganze Kluds-Familie als Mitbürger eingetragen sind.

Wilhelm Kludt´s Kinder :

1) Christina, verehelichte Sannewald, geboren in I. Malojarosl. d. 28. Octob. 1831
2) Samuel geb. in II. Malojar. d. 5 Decemb. 1833
3) Louisa, den 25. Decemb. 1835

4) Eva Rosalia, verehel. Sannewald gebren. den 5. Januar 1838
5) Gotthilf Friedrich geb. d. 23. Sept. 1840; gest. in Amerika
6) Susanna geb. d. 3. April 1843 gest. 5/4 1843
7) Wilhelmine geb. d. 13 April 1844 gest. 4/11 1845
8) Gottlob Michael geb. d. 6. Juli 1846. gestorb.
9) Dorothea geb. d. 21. März 1849 gest. 27/6 1850
10) Jacob geb. d. 10. Juni 1851. gest. d. 15/6 1851
11) Gotthold geb. d. 12. Novemb. 1852
12) Emilie geb. d. 20. Nov. 1854 gest. 1856
13) Adolph geb. den

Carl Wilhelm Kludt
II. Malojaroslawetz
den 30. Mai 1856

II. Friedrich August Kludt.
geboren den 1. Juni 1811 in Lusche bei der Stadt Dombje in Polen, wurde mit meinem Bruder Wilhelm den 22sten März 1823 in Sarata von Pfarrer Lindl confirmiert, und habe von jener Zeit an, einen bleibenden und gesegneten Eindruck behalten.
Ich hatte die Wohlthat zu geniessen, von meiner Kindheit an bis in die Jünglingsjahre, im väterlichen Hause zu sein, nur daß ich, leider im eigentlichen keinen Schuluntericht hatte, als nur den Häuslichen, neben der Schule meines Vaters. welchen Mangel ich oft füllen mußte. – denn meine Eltern lebten meistens in nicht überflüßigen Umständen, und konnten daher nicht viel für mich verwenden, zudem für meinen Bruder Wilhelm seine Weiterbildung gesorgt werden muste, und man mich auch zu Hause nothwendig brauchte. Von 1831 bis 1832 übernahm ich die Schreiberstelle in I. Malojaroslawetz, und kam dann wieder zu Hause nach Katzbach. Von 1834 bis 1835 machte ich, besonders durch Betreibung meiner lieben Mutter, eine Besuchsreise zu unseren Verwandten in Polen

und nach Deutschland, in die Herrenhutter Brüdergemeinde Gnadenberg, Niske, Kleinwebke, Herrenhut und Bethelsdorf, – die für mich von großem Nutzen war. –

Von 1835 bis 1836 wurde ich durch Betreibung meines Bruders Wilhelm, – dem ich viel zu verdanken habe, in Befärderung was Bildung

anbelangt, – der Heer vergelte es ihm, – Schulgehülfe oder Proviser in Großliebenthal, was mir in Schulsachen sehr zu nutzen kam.
Vom 23sten April 1836 an mußte ich auf betreiben der Gemeinde Töplitz ihre Schulstelle übernehmen, die ich auch bis 1879, bei mancher Schwäche, Noth und Anfechtung, durch Gottes Gnade besorgte, aber auch dabei manchen Genuß des Guten und der Freude erfahren durfte.
In diesem Jahre 1836 den 5ten Juni verehelichte ich mich mit meiner lieben Gehilfen Eva Katharina geb. Hägele. Sie wurde den 15ten November 1819 in einem kleinen Dorfe Hahnweiler bei der Stadt Wennenden, geboren in Würtemberg. Ihre Eltern waren: Johann Conrad Hägele, und dessen Ehefr. Eva Katharine geb. Schäfer. Sie hatten sich in Deutschland, wohnend bei den ziemlich vermögenden Schwiegereltern in Hahnweiler, Ulrich Schäfer und dessen Ehefr. Eva Katharine geb. Fischer, mit der Schneiderey ernährt, und wanderten 1830 nach Rußland ein, wo sie sich in der Kolonie Gnadenthal niederließen. Meine Schwiegermutter Katharine Hägele hatte den Unfall gehabt, in ihren Jugendjahren, an einem Beine zu erlahmen, und mußte daher Krücken gebrauchen, bis an ihr Ende; was ihr freilich viele Beschwerden verursachte, aber ihre schöne Gestallt, besonders ihr christlicher Sinn und bescheidenes freundliche Benehmen machte sie allgemein beliebt. Im Jahre 1831 starb sie an der Cholera, im Alter von 33 Jahren.
Mein Schwiegervater Conrad Hägele wurde im November 1798 in Nelmerßpach in Würtemberg geboren. Seine Eltern waren Christian Hägele, und dessen Ehefr. Johanna. Er hatte folgende Geschwister: Einen Bruder Namens: Christian, und zwei Schwestern: Sara, und Anna Maria. Er war, wie sein Vater ein Schneider. Nach dem Tode seiner Frau, verehelichte er sich zum zweiten Mal, mit Katharine geb. Frick, von der er

folgende Kinder hatte: Friedrich, Christian, Johannes, Adam, Johanna Bizer, Louisa Käß, Christina Ridliger, Maria Wagner. Auch diese Frau starb ihm, und er verheirathete sich zum dritten Mal, mit Louise geb. Häcker, von der noch die Tochter Friederika vorhanden ist. Er selbsten starb etwa im Jahre 1856.

Meine Frau war das einzige Kind der ersten Frau meines Schwäers, Eva Katharine geb. Schäfer und wurde von derselben gar sorgfältig auferzogen, mit dem imsigen Anhalten des Schulbesuchs, dessen Untericht sie noch in Deutschland zu genißen hatte. Aber nach dem Tode dieser lieben Mutter, der gleich im anderen Jahre der Einwanderung erfolgte, fiel die ganze Last der Haushaltung auf sie, als einem 12jährigen Mädchen, und Noth aller Art, bittere Armuth, Krankheiten, später dazu auch noch dazu großer häuslicher Druck, von der Stiefmutter, wechselten miteinander, bis sie durch die Führung des Herrn, mit ihrer Verheiratung, davon befreit wurde. Die Veranlassung bei mir, ihr den Antrag zum Heirathen zu machen, war die Antwort des Herrn auf mein inniges Flehen zu Ihm: Joh. 14, 27, „den Frieden lasse ich auch, meinen Frieden geben ich euch. Nicht gebe ich euch wie die Welt giebt, Euer Herz erschrecke nicht, und fürchte sich nicht.“ –
Der Herr hatte jetzt geholfen und die Noth war gehoben, aber des ungeachtet hat Er uns dennoch so manchen Denkstein Seiner Errettung von Noth und Tod gesetzt, besonders bei einigen schweren Geburten, und einigen schweren und tödlichen Krankheiten. Lauter Beweise Seiner Gnade, daß Er uns nicht nur hier Gutes thun, sondern auch selig haben will. – und Gottlob! wir haben Ihn kennen und lieben gelernt, Seine Gnade an uns ist nicht vergeblich gewesen. – O möchte sie sich an allen, uns geschenkten lieben Kindern, so mächtig beweisen, an einem Jedem ins Besondere, daß wir alle, als ein Lohn Seiner Schmerzen einst rühmen könnten: „Siehe Herr, hier bin ich und die Du mir gegeben hast.“ –

Unsere Ehe ist reichlich gesegnet worden mit 16 Kindern, von denen 2 tod geboren sind, und hier folgen; alle sind in Töplitz geboren:

  1. Johannes den 14ten September 1837.
  2. Samuel Jacob den 3. Februar 1840.
  3. Friedrich August den 15ten December 1841.
  4. Sophia Katharina den 31ten October 1843
  1. Immanuel Heinrich den 13ten October 1846.
    Ein todgeborener Knabe den 2ten Januar 1849.
  2. Benjamen den 23. Februar 1850.
  3. Reinhold Wilhelm den 14. April 1852.
  4. Maria Salome den 12. October 1853.
  5. Johanne Friederika Amalia den 7ten Novemb. 1855.
    Ein todgeborener Knabe den 1856.
  6. Caroline Elisabeth den 17ten Januar 1858.
  7. Gotthilf den 27ten Februar 1860.
  8. Carl Immanuel den 19. August 1861.
  9. Woldemar den 11. August 1862.
  10. Gotthilf den 2. Januar 1868.

davon sind gestorben:

  1. Amalia den 15. Juni 1858. 3. Gotthilf den 19. Juni 1861.
  2. Caroline den 27. Decemb. 1859. 4. Gotthold den 7. Januar 1870.

Lebensende der lieben Mutter in Friedensfeld

Hier in Friedensfeld erkrankte unsere liebe theure Mutter, nach manchen vorhergehenden Unpäßlichkeiten und Krankheiten, zu Ostern 1890, aufs Neue, an sehr schmerzhaften Magen- und Urinbeschwerden, so daß sie oft 4-5 Tage lang keinen

Stuhlgang und Urinlassen hatte, und nur durch verschiedene Purigiermittel und Operationen wieder in den Gang kam. Zu diesen Leiden verbunden mit Gichtkrämpfen, erhielte sie noch zuletzt, einen sehr starlen brennenden braunrothen Friedel, der erst am fünften Tage etwas abtrocknete. Sie fühlte sich dann wie etwas besser und leichter, so daß sie nmanchen Tag einpaar Stunden auf war, nach unserer Wäsche nachsahe und andere Hausbedürfnisse anordnete, bei mir. So war sie noch am 4ten Juli etwas auf, küßte und drückte mich, mit dem Bedauren, daß ich so viele Arbeit und Mühe mit ihr haben müßte. Ich etgegnete ihr: Mir ist noch kein Gedanke gekommen, daß mir dein Kranksein zuviel oder lästig wäre, wenn es auch noch zwei Jahre dauerte, wenn Du nur nicht stirbst, – Sie antwortete: Aber siehe, ich bin schon schwach und elend, mir selbst und Anderen zur Last, für mich ist sterben das Beste. – Noch am Abend desselben Tages war sie auf, und hielten miteinander unsere Abendandacht. Ich las einen Aufschlag aus Hillers Liederkästlein und betete, und sie betete dann auch; indem sie sich als eine arme Sünderin, in das Erbarmen Jesu hineinwarf. – Wir gingen dann ganz gemüthlich beide zu Bette. Sie war ruhig und klagte nichts. Uum 2 Uhr Morgens, sagte sie zu mir, ich solle aufstehen, und meinen dicken Rock auf die Bettdecke noch legen, sie könne gar nicht warm werden, udn war dann wieder ganz stille, nach dem ich den Rock auf sie gelegt hatte. bis gegen 4 Uhr hörte ich auf einmal wie einwenig röchlen oder schnarchen. Ich rief ihr sogleich, aber sie gab keine Antwort mehr, sie war schon im Abscheiden. Ich eilte

sogleich den Samuel und seine Leute zu rufen, und wie sie kamen dauerte es nur noch einpaar Minuten, und sie hatte ihr Leben ausgehaugt. – Das war den 5ten Juli gegen 4 Uhr Morgens 1890.
Am 7ten Juli Abends wurde die Mutter von dem hiesigen Schullehrer Enßle beerdigt. Er eröffnete die Leichenfeier mit einem schönen mehrstimmigen Gesange, und las eine wichtige Leichenrede, über Luk. 12,41- 44 –
„Der Herr aber sprach: Wie ein großes Ding ist es um einen treuen und klugen Haushalter, welchen der Herr jetzt über sein Gesinde, daß er ihnen zu rechter Zeit ihre Gebühr gebe.

Selig ist der Knecht, welchen sein Heer findet also thun, wenn er kommt. Wahrlich, ich sage euch, er wird ihn über alle seine Güter setzen.“

Die ganze Leichenfeier wurde dann wieder mit einem mehrstimmigen Gesange geschloßen. –
Die Mutter hatte ihren irdischen Lauf vollendet im Alter von 70. Jahren 7 Monat und 20 Tagen: war

[hier endet die Aufzeichnung leider]

1Abschrift in der originalen Rechtschreibung, Akte DAI, R57 1405 Bundesarchiv

26 Meilen (9,66 Kilometer), 1 Meile (1.609,34 m)

Pastor Hastig 1810-1841

Am 21.Decbr. Sarata 1840 verstarb der auf der Reise zu Sarata in Bessarabien, der Pastor zu Arcis, Johann Gottfried Heinrich Hastig. Geboren in unserer Stadt am 7.Septbr. 1810, Sohn unbemittelter Aeltern, mußte er schon früh, als Knabe, durch Unterricht so viel zu erwerben suchen, daß er seinen eigenen Unterricht in den Schulen fortsetzen konnte. Auf der Domschule und dem Gymnasium vorbereitet, bezog er die Universität Dorpat, wo er, von 1831-38, Philologie, Mathematik, Philosophie, und besonders Theologie, studirte. Wegen Mittellosigkeit> sah er sich genöthigt, um Aufnahme unter die Kron-Stipendiaten des theologischen Seminars anzusuchen, wodurch er verpflichtet ward, eine Prediger-Stelle im Innern Rußlands anzunehmen. - Nach beendigten Studien und bestandenem Examen wurde der Verstorbene Candidat für eine Pfarr-Stelle im südlichen Rußland in Vorschlag gebracht, und nach dem bei dem St. Petersburger Consistorium bestandenen Prediger-Examen, daselbst am 17. Januar 1837 für die Kolonial-Gemeinde zu Arcis ordiniert. Da jedoch die ihm bestimmte Pfarre von dem benachbarten Prediger in Tarutino bedient ward, Großliebenthal durch den Abgang des bisherigen Predigers erledigt war, so übertrug der dortige Propst Granbaum das Vikariat dem Pastor Hastig. Die Glieder der Gemeinde gewannen ihn so lieb, daß sie um seine feste Anstellung ansuchten, dabei seinen Gehalt zu verdoppeln versprachen. Doch über dieser festen Anstellung vergingen Jahre, und da der Verewigte unerdessen kränklich geworden war, wünschte die Gemeinde einen gesunden Mann als Seelsorger zu haben. Ungeachtet nun das Consistorium auf Vollziehung dieser seiner Vokation nach Großliebenthal drang, wollte der Redliche doch lieber zu der ihm Anfangs bestimmten Gemeinde nach Arcis gehen. Auf den Wege dahin aber wurde er von heftigen Brustschmerzen befallen, und starb in dem Pastorate zu Sarata am 21. Decbr. 1840. (Aus den gedruckten Protokollen der St. Petersburger Synode vom Jahre 1841.)

Geboren wurde Pastor Hastig in Riga am 7. September 1810, Vater war der Maurergeselle Heinrich Hastig, Mutter Charlotte Gottliebe Hastig, geborene Leitschik.

Taufeintrag aus dem Kirchenbuch Riga, St. Gertrud, I und II Gemeinde (Rīgas sv. Ģertrūdes Vecās un Jaunās) 1801-1828 Lettische, Deutsche, Geborene, S. 373

Pastor Hastig starb laut Kirchenbuch ledig am 2. Januar 1841 um 11 Uhr vormittags an Auszehrung, die Beisetzung fand am 5. Januar vormittags um 10 Uhr auf dem Gottesacker von Sarata durch Pastor Breitenbach statt.

Auschnitt aus dem Kirchenbuch Sarata 1841; Россия, Смерти и Погребения, 1815-1917 LDS 004265434 img 342

Allgemeine Kirchenzeitung, Band 20, 11. Februar 1841 Nr. 24, S. 195

Groß-Liebenthal im Gouvernement Cherson. - (Pastor Hastig.) In Ermanglung einer Kirche wird der Gottesdienst im Schulhause gehalten, das aber viel zu klein ist. Die Fortschritte in den Religionskenntnissen sind ziemlich gut. Die Entheiligung des Sonntages wird durch den allgemeinen Handel von Odessa gefördert. Confirmirte: 22 M. 27 W.

Bericht der Beata Kludt 1942


Hochzeitstafel des Paares Kludt/Baumann im Garten des Pastor Lhotzky (x) 1899 in Prischib1

B e r i c h t 2

Das äußre sowie innere Bild der deutschen Kolonien in Süd-Rußland hat sich ab 1929/3o total verändert. Bis dahin waren alle im Besitz von 16 Dessj. Land, Haus, Hof und Garten. Die Kinder konnten endlich alle in guten Schulen in deutscher Sprache lernen, russisch wurde nur von der 5. Klasse als Sprache gelernt. Durch den NOP. waren endlich wieder Waren in die Dörfer gekommen, die Leute konnten sich ankleidern, nachdem man durch den Welt- und Bürgerkrieg ganz abgerissen und verkommen war. 1929 wurde aber die Kollektivisierung “freiwillig” durchgeführt, d.h. alle die sich widersetzten wurden arretiert, die wohlhabenden Bauern sogen. Kulaken verschickt nach Archangelsk, Wologda und Komi ACCP, wo viele noch bis zum heutigen Tage leben. Die übrigen unterschrieben dann schon den “freiwilligen” Eintritt in den Kolchos.

Die ersten Jahre bis 1934 ging die Wirtschaft sehr zurück, die Leute arbeiteten schlecht, die Felder wurden nicht gehackt, das Inventar nicht geschont. Unerbittlich mußte die angesetzten Norm abgeliefert werden, einerlei, ob für Menschen und Vieh noch etwas übrig blieb oder nicht. In jenen Jahren sind viele verhungert aber hauptsächlich unter den Russen. Die Deutschen bekamen ja die Hitler-Pakete noch zur rechten Zeit, die manchen vor dem Hungerstod geretten haben. In den Torginen war überall angeschlagen : Schreibt euren Verwandten, sie sollen euch Anweisungen schicken“. Wenn man es tat, so kam man in die Zeitung, kam vom Dienst, wurde verhaftet, verschickt. Viele mußten sich zum Besten der Kinderbewahranstalten entsagen, obgleich gar keine andere Möglichkeit bestand auch nur 1 Kilo Mehl oder Fett zu bekommen. 1934 war das Land schon besser bearbeitet, es kamen neue Maschinen, Traktoren, vor allem die Schulen lieferten schon Agronomen, Techniker, Traktoristen, Kombainer, Lehrer, Ärzte und Arztgehilfen.

Das Leben fing wieder an sich allmählich zu regeln, es wurde die Losung herausgegeben: Das Leben wird besser und fröhlicher.

Da fingen im Jahr 1937 schon von September die Massenverhaftungen an. Die meisten wurden 15. Dezember verhaftet, und zwar alle deutsche Intellegenz wurde aufgeräumt, in erster Linie alle Pastore (Pastor Willi Heine in Feodosia, Pastor Meier, Eigenfeld, Pastor Luft, Prischib, Pastor Altmann, Hochstadt, Pastor Bird, Charkow)3, von Ärzten Dr. Belz, Charkow (starb beim Verhör, Dr. Hottmann, Chortitza starb im Gefängnis, Dr. Eisenbraun, Dr. Wilms, Dr. Bauer, Halbstadt, Dr. Dick, Berdjansk, 2 Brüder Dr. Dircks, Orloff, waren schon 33 verschickt auf 1o Jahre4. Alle deutschen Lehrer mit Hochschulbildung, Fr. Heckel, Bd. Ruff, O. Baitinger, Dir. des dt . Pädtechnikuims, 4 Brüder Lutz aus Neumontal, 4 Brüder Oberländer aus Eigenfeld, Dir. Fischer in Feodosia und viele andere5. Auch viele Frauen: Helene Fürst in Nakejewka. Hatten die bis 37 Verhafteten noch Korrespondenzfreiheit, durften Pakete erhalten, die Anverwandten sehen, so war das diesen 37/38 Repressierten vollständig untersagt.

Die Beschuldigung war standart: von Deutschland bekauft Brücken zu sprengen, Elektrizitätswerke zu zerstören, gew. Leute zu vergiften. Die Verhöre wurden sehr geheim gehalten. Es gelang uns aber doch einiges zu erfahren, ich erfuhr manches durch Erni Aman, der jetzt am 2o. März 1941 aus dem Konzentrationslager in Sucho-Beswodnaja bei Gorki freikam. Nach dem Bündnis mit Deutschland hörten die Repressierungen auf, man konnte wieder aufatmen, aber die NKWD hatte gut aufgeräumt.

Unsere ganze deutsche Intellegenz war eben weg und wenige von ihnen werden wohl noch am Leben sein, denn Hunger, Kälte, schwere körperliche Arbeit, Schläge und besonders die moralischen Qualen waren unerträglich. Man ließ sie bis 7 Tage lang ohne Essen und Wasser stehen, von großen Hunden bewacht, Tag und Nacht auf demselben Platz, ließ sie systematisch nicht schlafen u. dergl. Erni Aman hatte nur noch 5 % Sehkraft, hört schwer, geschw. Füsse, infolge der Schläge auf den Kopf plötzliches Verlieren des Bewußtseins und doch kam er leichter davon als andere, er kam nach 3 Jahren frei. Es war eine furchtbare Zeit, man konnte keinen Verkehr haben, jeder lebte nur für sich selbst aus Angst, durch einen anderen auch hereingezogen zu werden.

Die deutschen Schulen wurden „freiwillig“ russisch. Da kam im September 1939 das Bündnis. Was hatten wir da für Hoffnungen für unsere Lieben! Leider waren sie umsonst. Die Verhaftungen hörten auf, man durfte nicht mehr „Faschist“ geschimpft werden, darauf stand Strafe, doch wagen wir noch nicht aufzuatmen. Wir trauten dem Frieden nicht nach den gemachten Erfahrungen. Die Frauen der Repressierten durften wieder angestellt werden, die Kinder lernen, man mußte aber immer Fragebogen ausfüllen, angeben, ob man Verwandte in Deutschland hat, wer in der Familie repressiert ist, ob man Briefe bekommt und von wem.

Schon im Mai 1941 war eine Veränderung zu spüren. In öffentlichen Vorträgen über die internationale Lage wurde betont, daß Deutschland und England jetzt durch den Krieg geschwächt seien, Rußland allein steht in niegesehener Kraft da und habe noch ein Gelöbnis an Lenins Grab zu erfüllen, den Bolschewismus auf der ganzen Welt einzuführen. Da wußten wir, was es geschlagen hatten und warteten stündlich auf eine Kriegserklärung. Ich war damals in Feodosia, als es am 22. VI. auf einmal hieß, der Krieg hat angefangen. Einige Deutsche wurden arretiert (die Frau von Fr. Wilms und ihre Schwester, die Frau des Ing. Schulz der aus Berlin geschrieben hatte und ihre Schwägerin, Fr. Föll und andere, die Briefe aus Deutschland bekommen hatten), die übrigen ließ man in Ruhe bis zum 17. August (Einnahme von Dnjepropetrowsk).

Da bekamen wir den Befehl, in 3 Stunden in Sarigol auf dem Bahnhof zu sein. Wir durften Kleider und Betten mitnehmen. In dunkler Nacht wurden wir da verladen zu 5o Mann durchschnittlich in den Waggon, der Zug hatte 7o Waggons. Da kam jetzt alles herein. Frauen und Kinder, ein paar Männer, Parteileute u.a., sogar Dr. Zeichner (Jude), da seine Frau eine Deutsche war. In diesen Zug kam Feodosja – Zürichtal – Stary Krim. Vor uns war schon Kertsch und Simf.-Kurmann durchgegangen, nach uns Frauen noch Scidlar Itschki, Djankoj-Eupatoria, im ganzen glaub ich 9 Züge aus der Krim. In Melitopol merkten wir, daß wir auf der Frotn [sic!] waren, wohin es ging, wußten wir nicht, man sprach von Kasakistan. Wunderbarer Weise bog der Zug nach Osten bei Feodorowka und hielt in Halbstadt, da durften wir zum ersten Mal heraus.

Ich riskierte es und blieb ohne Erlaubnis, ohne Sachen zurück und ging zu meiner Tochter nach Halbstadt, wo ich dieselbe Sache einen Monat später wieder durchmachen mußte. In Halbstadt gelang es aber der HBD nicht den Zug fortzubringen. 6 Tage lang lagen wir neben der Station, streng bewacht von der HKBD. Hier entdeckten uns die deutschen Flieger und am 5. Oktober wurden wir befreit. Die letzte Nacht war die schwerste, man sah sie die Brücke, die große Mühle in Pirischib gesprengt wurden, es hieß, in 15 min. wird die Station neben uns und die Fabrik auf der anderen Seite gesprengt. Unheimliche Stille ringsherum, überall war Stroh verteilt worden “damit wir es bequemer haben”, am Tor standen Feuerspritzen mit Petroleum gefüllt. Das große Haus nebenbei unterminiert.

Auf einmal fing es erst leise an zu singen, was uns über 2o Jahre verboten war, ließ sich nicht mehr halten. Es waren etwa 5000 Menschen, die den Gesang anschweIlen ließen: Näher mein Gott zu Dir, harre meine Seele, So nimm denn meine Hände. Sie singen schon Hitler-Lieder, so sagten die HKB.-disten. Am Morgen war die HKB. verschwunden und wir schafften uns schnell auseinander. Gesprengt wurde in Halbstadt nichts. Wie wir ins Dorf kamen, trafen wir die ersten deutschen Soldaten. Das wer eine Freude, dieses Gefühl, endich zu Haus. – Dank dem Führer, Dank den tapferen deutschen Soldaten, der sein Leben für uns einsetzt!

Die Dörfer Prischib, Hoffental, Nassau, Weinnau, Halbstadt, Mantan, Tiegenhagen, Schönau, die Hälfte des Gnadenfelder Gebietes sind geblieben. Leider sind aber die oberen Dörfer an der Molotschna von Reichenfeld ab, das ganze Hochstädter Kirchspiel, Heidelberger und Kostheimer fortgebracht. Die Krimer sind in den Nordkaukasus gekommen, sollen von dort schon fortgebracht sein. Die Männer aus der Molotschna von 16 – 7o Jahren sind zwischen dem 5. – 26 September verschleppt, sollen teils im Ural, teils in Caukasien sein, wo sie Bahnen und Fabriken bauen müssen. Die Männer aus der Krim wurden am 29. September aus dem Kaukasus nach Kiew und Poltawa geschickt Schaznen [sic!] graben, sind schon in Gefangenschaft bei den Deutschen. Wo aber die Frauen und Kinder geblieben sind, haben wir auch nicht erfahren.

So sind alle Familien auseinandergerissen und uns hält jetzt nur der feste Glaube an den Führer und seine deutsche Wehrmacht aufrecht, die uns vielleicht doch noch jemand unserer Lieben zurückholt.

gez.

Beata Kludt

Frau des gest. Reinhold KIudt in Prischib, Tochter des 1909 ermordeten Pastors Baumann in Prischib.

Lied eines deutschen Gefangenen!

Wir sind weit im fremden Lande
weit von Weib und Kind getrennt,
Ach, voll Jammer, Leid und Heimweh
schmerzvoll unser Herze brennt.

Ach, wir haben viel gelitten
Auf dem schweren, langen Weg.
Niemand hat für uns gestritten,
Keine Hilfe uns gewährt.

Als wir wurden transportieret
wie Verbrecher allzumal,
Keiner konnte protestieren
das vermehrte unsre Qual.

Im Gefängnis hinter Gittern,
saßen wir so manches mal,
Brot und Wasser war uns bitter
doch wir hatten keine Wahl.

Vierzig Werst zu Fuß ohn Essen
gingen wir von Astrachon
Brot und Wasser war vergessen,
mancher kam halbtot hier an.

180 Mann zusammen
waren wir auf dieser Reis.
Bis nach Krasnojarsk wir kamen
Todesmatt durch Schnee und Eis.

Hier sind wir jetzt einquartieret
Heimlich überall bewacht,
überall wird nachgespüret,
überall hat man Verdacht.

Ach wie sind wir verloren,
hier in diesem fremden Ort.
Traurig gehn wir durch die Straßen,
hören manches bittre Wort.

Schreiben wir an unsre Lieben,
die Zensur den Brief erbricht.
Ist ein Wort zuviel geschrieben,
geht er in die Heimat nicht.

Unsre Sprache ist verboten
Unser Leben in Gefahr,
Mancher wird von wilden Rotten
oft geschlagen blutig gar.

Jedermann kann mit uns machen
alles was ihm nur beliebt.
Kann uns spotten, kann uns schlagen
Niemand Schutz und Recht uns gibt.

Und so leben wir in Sorgen
Und in Ängsten alle Tag.
Müssen alles duldend tragen,
wer weiß, was noch kommen mag.

Durch das Elend, Sorg und Jammer
Und die Krankheit aller Art,
Wird so mancher deutsche Dulder
Auf dem Kirchhof hier verscharrt.

Mancher fern von seinen Lieben,
ruht hier in der Erde weit,
wenn er wär zu Haus geblieben,
lebt wer wohl noch lange Zeit.

Wer ist schuld an diesen Plagen?
Der mit Deutschland ist verwandt
Welche deutsche Namen tragen
Werden hier verfolgt, verbannt.

Drum wir alle hier mit Sehnen
warten auf die schöne Zeit,
wenn von allem Leid und Elend
endlich werden wir befreit.

Unsre Frauen, Kinder weinen,
Goßer Gott, erhöhr ihr Schrein!
Und laß bald den Tag erscheinen,
wo wir endlich ziehen heim!

O, welch große Freud und Wonne
wird bei der Begrüßung sein,
wenn einst sie, die Gottessonne
uns mit Freuden bringet heim!

Da wird unser Herze springen
Weib und Kind wird mit uns singen
Dem, der unser Leid gewandt!

Beata Kludt


1Foto der Hochzeitstafel S. 111 in: Heimatkalender der Russlanddeutschen 1959

Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken
Heinrich Lhotzky, ‎ Selbstverlag 1925:

Ein kleines Erlebnis darf ich wohl anführen, weil es unsere Krimmer Bauern kennzeichnet. Ich hatte kurz vor meinem Weggang einmal an einer Hochzeitstafel eine etwas freiere Bemerkung gemacht, als sie sonst im heiligen Rußland üblich war. Da stand der reichste Bauer auf und sagte: Wäre ich der Kaiser von Rußland, so würde ich bestimmen, daß Sie auf der Stelle Rußland zu verlassen hätten. Ich antwortete, das werde auch ohne das geschehen, und die Sache schien erledigt zu sein. Zehn Jahre nach diesem Worte stand der Bauer in meinem Hause am Bodensee. Er sei in Karlsbad gewesen zur Kur und habe die Gelegenheit benützen wollen, seinen alten Pfarrer wieder zu sehen. Er war also mein sehr willkommener Gast. Da sagte er: Eigentlich führt mich etwas anderes her. Sie erinnern sich vielleicht meiner Aeußerung bei unserem letzten Beisammensein. Ich mußte herkommen, Sie deshalb um Verzeihung zu bitten, daß wir ganz einig sind, ehe ich sterbe. Er wird wohl den schweren Krieg nicht überlebt haben. Gott segne ihn und alle unsere armen Volksgenossen in der Ferne.

2Abschrift aus: Deutsches Ausland-Institut, Stuttgart ; Teil I und Teil II (GS Buchnummer 943 B4na Nr. 16 und Nr. 21). Mikrofilm Nr. 007953035 Rolle 606 Frame 5396804, datiert 1.5.1942

 3Anmerkung: Pastor „Willi“ Wilhelm Heine, (13.11.1866-2.1.1938), verhaftet 1930 in Georgien, verbannt nach Sibirien 1930-1934. Lebte 1934-1937 in Feodosia, verhaftet am 4.07.1937, erschossen am 2.01.1938.
Pastor Albert Maier (16.4.1892 – nach 1937), Verhaftung 1936, Verbannung 1937 nach Birobidschan.
Pastor Eduard Luft (1890-1938), führende Persönlichkeit der separatistischen, sogenannten „Freien bzw. lebendigen Kirche“ in der Ukraine, war am 12. März 1926 aus disziplinarischen Gründen vom Moskauer Oberkirchenrat suspendiert, alle Amtshandlungen, die nach dem 12. März 1926 vollzogen wurden, verloren ihre Gültigkeit. Luft wurde zum ersten Mal 1934 verhaftet. Die zweite Verhaftung erfolgte am 9. Juni 1938 wegen angeblicher nationalistischer konterrevolutionärer Propaganda. Am 28 Oktober 1938 erschossen.
Pastor Gustav Birth, (2.3.1887-3.12.1937), lutherischer Pfarrer und Propst, verhaftet am 15. Januar 1934 in Charkow, zu 10 Jahren Haft verurteilt und in ein Arbeitslager in Karelien verbannt. Dort wurde er am 18. November 1937 verhaftet, am 20. November erschossen.

Quellen: Dr. Viktor Krieger Verzeichnis der deutschen Siedler-Kolonisten, die an der Universität Dorpat 1802-1918 studiert haben

Wilhelm Kahle, Geschichte der evangelisch-lutherischen Gemeinden in der Sovetunion 1917-1938; E.J.Brill, Leiden, Netherlands, 1974

4Prof. Dr. med. Adam Adamowitsch Belz (1871-12.5.1946), Chirurg, Professor an der Universität Charkow.
Verhaftet am 05.03.1938 in Charkow. Angeklagt nach § 54-1а des Strafgesetzes der Ukrainischen SSR. Verurteilt am 28.10.1938 von einem Militärtribunal des NKWD des Kiewer Wehrkreises zu 8 Jahren Besserungs-/Arbeitslager und 5 Jahren Entzug der politischen Rechte. Traf am 21.12.1939 aus dem Wladimirsker Gefängnis um KrasLag, Ingaschsker Lagerabteilung, ein. Ab dem 28.12.1939 in der Kansker Lagerabteilung, wo er am 12.05.1946 verstarb.
Dr. med. Hottmann, Theodor (Fedor Jwanowitsch) (2.12.1871-11.9.1938), Gynäkologe, seit 1902 Chefarzt des Chortiza-Krankenhauses. Verhaftung 1937. Offizielle Version: Selbstmord im Gefängnis in Saporoschje, nach Familieninformation Erschießung. Sein Leichnam wurde 1942 von Saporozhje nach Chortiza überführt.
Dr. med. Emil Wilhelmowitsch Eisenbraun (11.4.1897-28.9.1968), Chefarzt des Krankenhauses in Molotschansk, 1933 verhaftet, 1934 zu drei Jahren Ausweisung in die Komi ASSR verurteilt, nach drei Monaten entlassen..

Quellen: Karl Lindeman: Von den deutschen Kolonisten in Russland: Ergebnisse einer Studienreise 1919-1921.Ausland und Heimat Verlags-Aktiengesellschaft, 1924

„Memorial“-Gesellschaft, Krasnojarsk

Enzyklopädie der Russlanddeutschen

5Nikolai Lutz (3.3.1908-1937?), Mathematik- und Physiklehrer, Leiter eines Bau Technikums in Feodosia/Krim, Ehemann von Else Kludt, der jüngsten Tochter von Beata. 1937 wurde er mit 30 Lehrern und Studenten festgenommen und verurteilt.

Deutsche Kolonisten

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