Erzählungen der Maria Strehle, 1881 Sarata 5-8


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Es wurden also auf Verlangen des Herrn Probst Behning alles niedergeschrieben, was für denselben sehr wichtig war. Da konnte er nun die wichtige Persönlichkeit Lindl’s und bereits vergessenen Wohlthäters, in seiner Rede der Gemeinde vor Augen stellen, und wieder ins Gedächtnis bringen, dadurch dass er seinen Hergang schilderte. Abends bei der versammelten Gemeinde im Schulsaal bedankte Herr Behning sich freundlichst bei der Mutter für die gegebene Auskunft.

Jgnaz Lindl wurde geboren zu Beindelkirch in Altbaiern ungefähr im Jahre 1774. Nach dem Tode seiner Mutter wurde er bei seiner Tante, seiner Mutter Schwester, in Baiernzell ungefähr eine halbe Stunde von Beindelkirch erzogen, wo ihn die Tante in die Dorfschule nach Egenburg schickte, zu welchem das Filial Beindelkirch gehörte. Daselbst besuchte er die Schule fünf Winter.

Während der ganzen Zeit führte er das A.B.C.-Buch, denn was er im Winter lernte vergass er den Sommer über wieder. Wann und wie er die Hochschule betrat, war der Mutter nicht bekannt. Seine Eltern waren angesehene Gastwirtschaftsleute und hinterliessen neun Kinder.

Die Mutter Maria Strehle kannte drei Söhne und fünf Töchter. Eins muss klein gestorben sein. Der älteste Sohn war Gastwirt in Augsburg. Der zweite, der bekannte Ignaz, Pfarrer. Der dritte Jakob war auf der elterlichen Wirtschaft. Die erste Tochter war Wirtin in Rieth. Die zweite Wirtin in Malching. Die dritte Bäckerin in Pfaffehöfen. Die vierte, Urwa, Bäuerin in Beindelkirch. Die fünfte Elisabeth blieb ledig und wurde Köchin bei Pfarrer Lindl.

Als Lindl die Universität beendet hatte und sein Amt antreten konnte, wurde er in Beindelkirch,seinem Geburtsort, einem alten Pfarrer, der seinem Amte nicht mehr gut vorstehen konnte, als Kaplan beigegeben. Der alte Herr zog sich bald zurück nach Augsburg und Lindl wurde Pfarrer an seiner Stelle, auf welcher er während zehn Jahren fleissig arbeitete. Er war ein tüchtiger Redner, aber das rechte Licht fehlte ihm noch, er war noch von der römischen Blindheit umschattet.

Er spielte nebenbei noch Theater und liebte Belustigung, aber trotzdem war es von vornherein ein treuer Hirte seiner Gemeinde. Er traf gleich Anstalt die baufällige Kirche zu bauen und kaufte ein Amtmannshaus zur Errichtung eines Armenhauses. Auch baute er ein neues Schulhaus, ebenso sorgte er für Witwen und Waisen. So war zum Beispiel ein armer Taglöhner in demselben Orte, dessen Frau Zwillinge, zwei Söhne, gebar, welche beide am Leben blieben. Zum zweiten mal drei Töchter, welche ebenfalls am Leben blieben, die Mutter aber starb. Lindl hielt eine durchdringende Leichenrede und schloss mit den Worten, man möchte die drei Kinder aufnehmen, für Kost und Kleidung wolle er bezahlen.

Zu sich konnte er sie nicht nehmen, da es gegen die katholische Sitte ist, dass sich Kinder in einem Pfarrhause befinden. Den drei Kindern gab er die Namen: Frindes, Syos, Karades. Er sorgte für sie so lange er in Deutschland war. Als er nach Russland zog, waren es schon ziemlich grosse Mädchen. Vor seiner Abreise kleidete er sie noch ganz ein.

Ebenso waren noch fünf verwaiste Kinder zu Eismannsberg, welche er versorgte; vier Söhne und eine Tochter Elisabeth, welche fünf Jahre alt war da ihre Mutter starb. Dieselbe wurde später in Russland seine Frau. Einen Sohn Martin liess er studieren, welcher auf der Universität durch die Anhänger des früheren Professors Sailer zur Rechten Erkenntnis kam. Es ist derselbe Sailer, von welchem Gossners Beschreibung meldete. Durch ihn entstand die ganze evangelische Bewegung unter seinen Studenten, ebenso wie bei Huss nur in geringerem Masse. Der standhafteste unter ihnen war Booss, welcher auch eingesperrt und am

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meisten verfolgt wurde. Nach ihm war Gossner und dann Lindl, sie wie noch viele andere, die weniger bekannt sind, alle aber zu einer Zeit. Sailer wurde seines Amtes entsetzt und ihm der Vorschlag gemacht, entweder zu widerrufen, oder des Landes verwiesen zu werden. Es soll ihn einen sehr schweren Kampf gekostet haben, bis er sich endlich entschloss zu widerrufen, worauf er eine Stelle als Bischof antrat. Also fürchtete er eine viel geringere Strafe als Huss, welcher dem Feuertode trotzte.

Am neuen Jahre 1812 hielt Martin Völk, welchen Lindl studieren liess, seine Prienenz und wurde Kaplan bei Lindl. Da Völk ebenfalls in Dillingen studierte, und durch Sailers Anhänger zur Erkenntnis kam, so wurde Lindl durch seinen Kaplan und früheren Pflegling Völk erweckt. Lindl studierte in Frising und kannte damals Sailer noch nicht, weshalb er erst später zur Einsicht kam. Im Winter darauf wurde Lindl totkrank. Zum Frühjahr, als er wieder besser war, reiste er nach Würtemberg ins Bad. Daselbst lernte er mehrere christliche Männer kennen, aber auch solche, die ihm den separatistischen Geist einflössten, evangelische Lehre verbessern und dem lieben Gott vorgreifen wollten, ja sogar im Voraus die Zeit des tausendjährigen Reiches bestimmten. Er schenkte den Prophezeiungen des Jahn und Jakob Wirz, welche die Stifter des Separatismus waren zu viel Zutrauen. Dieselben bestimmten ganz genau das Jahr 1836, und dann als das nicht eintraf das Jahr 1847 wo sie ihre Anhänger in das tausendjährige Reich einführen würden. Jakob Wirz reiste sogar von der Schweiz bis nach Bessarabien, um den Separatismus zu stärken, wurde aber, sobald es der Obrigkeit zu Ohren kam, über die Grenze geschaft, (aber erst nach Lindl’s Zeiten). Lindl kam auch während seines Aufenthaltes in Würtemberg mit Männern zusammen, durch welche ihm immer mehr das Licht der evangelischen Lehre aufging. In seinem ersten Eifer wollte er gleich zu den Heiden gehen, seine Freunde aber ermahnten ihn, er soll seine Heiden zu Hause, die ihm anvertraut seien, bekehren und belehren.

Nach zehn Wochen kam er wieder zurück, 1813 trat er öffentlich auf und fing an das reine Evangelium zu predigen. Da wurde verschieden über ihn geurteilt. Einige, die nicht mehr verstanden, sagten, er sei beim Papst in Rom gewesen; kurz man sah, dass eine ganze Veränderung mit ihm vorgegangen war. Es dauerte nicht lange, so strömten die Leute von allen Seiten herbei, um Lindl’s Predigten zu hören, so dass die Kirche dieselben nicht mehr fassen konnte. Es gab eine Aufregung in der ganzen Umgegend. Da dieses der katholischen Geistlichkeit zu Ohren kam, wollten sie ihn abschaffen. Er wurde öfters nach Augsburg verlangt, und zur Verteidigung gezogen, denn sie wollten ihn durchaus nicht mehr dulden, weil er als katholischer Geistlicher das reine Evangelium gepredigt hatte. Als nun dem König ein Schreiben wegen Abschaffung Lindls zur Bestätigung vorgelegt wurde, unterschrieb er sie nicht, sondern seine Antwort lautete: „Ist es von Gott, so lasset es gehn, ist es von Menschen, so wird es von selbst aufhören.“ Infolge dessen durfte er noch bleiben.

Er hat während der Zeit verschiedene ruchlose Menschen auf den rechten Weg gebracht und viele Trinker entsagten ihrer Leidenschaft, so dass ein ganz anderes Leben in seinen Gemeinden anfing. Er predigte die reine evangelische Wahrheit, welches in der katholischen Gegend etwas ganz neues war, denn er besass eine ausgezeichnete Rednergabe.

Im Jahre 1817 musste er wieder nach Augsburg, wo sie ihn hielten, bis zum nächsten Jahre 1818. Zu Pfingsten kam er wieder nach Gontrimmingen. Da hielt er über das Evangelium vom reichen Fischzuge eine durchdringende Antrittspredigt. Daselbst wirkte er noch ein und ein halbes Jahr und erregte immer noch mehr Aufsehen. Seine Predigten waren dermassen erregend, dass die Leute, welche in der Kirche keinen Raum mehr hatten von aussen an die Fenster hinaufkrochen, um ihn zu hören. Sogar öfter kamen von der Umgegend die Leute in solchen Scharen, dass er im Freien

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predigen musste und dass man von der Ferne das Weinen und Schluchzen hörte.

Endlich wollten ihn seine Feinde doch abschaffen. Er wurde darüber gewarnt und reiste nach München zum russischen Gesandten, welcher von seinem Kaiser den Auftrag hatte, Leute nach Russland zu berufen. Und als derselbe die Lage Lindl’s vernahm, verlangte er sogleich von der baierischen Regierung Schutz für denselben, da er ihn für Russland angenommen habe. Lindl war durch Briefe vom russischen Minister, Fürst Galizin, darauf vorbereitet, welcher ein sehr christlicher Mann war und solche Leute suchte. Nun kehrte er auf einige Monate nach Gontrimmingen zurück um sich auf die Reise zu rüsten. Jetzt konnte er mit seinen Predigten noch freier auftreten. Nur war der Fehler, dass er sich dem entstehenden Separatismus zu viel hingab, sie glaubten nämlich, dass in Russland der Bergungsort für die neue Kirche, die sie bilden wollten, sein werde, um von da aus in das tausendjährige Reich einzugehen. Die Veranlassung, dass zu der Zeit der Aufruf aus Russland zur Auswanderung kam, bestärkte sie noch mehr in ihrer Meinung. Lindl munterte seine Zuhörer auf, nach Russland auszuwandern, wodurch auch wirklich eine ganze Gemeinde dem päpstlichen Joch entging. Man konnte denken, warum diese drei Männer Lindel, Goßner und Booss nicht gleich zur evangelischen Kirche übergingen? Aber genauer betrachtet, lässt es sich denken, welch schwerer Schritt es für einen Prediger sein muss, und zweitens suchten sie die verlorene und anvertraute Gemeinde und Freunde zu belehren, die noch in der Blindheit waren und wollten denen das reine Evangelium predigen, welchen es noch fehlte.

Zum dritten was hätte Lindl für einen Eindruck beim russischen Kaiser gemacht, wenn er auf einmal übergetreten wäre?

Lindl war ein feuriger Redner, aber hatte nicht den festen Charakter wie Goßner. Er hätte sich einen ganz anderen Ruhm und Namen erworben, wenn er den Mahnungen Goßners gefolgt hätte. Gleich im Anfange warnte ihn Goßner mit folgenden Worten: „Das ist etwas, darob wirst du Schläge bekommen Lindl, du bist noch ein Kind, kaum aus dem Ei gekrochen und willst schon hinauf in den Gipfel des Baumes, und dem lieben Gott ins Kabinet gucken; ich sage dir, dass wird Schläge setzen.“

Allerdings war Lindl nicht mit dem schwärmerischen Separatismus einverstanden, welcher erst nach seiner Entfernung aus Russland, durch briefliche Anstiftung der beiden Schwärmer Jahn und Jakob Wirz aus der Schweiz entstand.

Nun kam die Zeit der Abreise. Lindl bekam vom russischen Gesandten 500 Dukaten Reisegeld. Ende Oktober 1819 reiste er mit seiner Haushälterin Elisabeth Völk und mit dem jungen Herrn Steinmann und Veronika …… ab, welche für seine Schwester angegeben war. Seine Schwester selbst, die ihm in Deutschland die Wirtschaft, führte, wollte nicht mit nach Russland, denn sie konnte sich mit ihm nicht gut vertragen. Er war ihr zu freigebig, er gab alles den Armen, und sie war geizig. Sie langten nach dem russischen Kalender den 15. November in Petersburg an. Er wurde von dem russischen Minister , Fürst Galizin, aufs freundlichste empfangen, und dessen erstes Verlangen war: „Segnen sie mich.“ Sogar der Kaiser Alexander I. wurde durch seine ausgezeichnete Rednergabe dermaßen für ihn eingenommen, dass er sich vor ihm beugte und um seinen Segen bat. Er verkehrte persönlich mit Kaiser Alexander I. und sass oft mit ihm auf einem Sopha, wo sich der Kaiser freundlich mit ihm unterhielt.

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Lindl wurde in der Malteserkirche, welche einst von Kaiser Paul auf eigene Kosten für den Malteserorden, sowohl für Russen als auch Deutsche erbaut wurde, angestellt. Es soll eigentlich eine Kapelle sein, aber ein sehr wertvolles Gebäude, das bis fünfhundert Menschen aufnehmen kann, und steht im Schlosshofe in einem Park, welchen Kaiser Paul dem Malteserorden zuvor geschenkt hatte. Da nun die evangelischen Pastoren zu jener Zeit in Petersburg sehr weit zurück waren, so strömte alles zu Lindl in die Malteserkirche. Auch da verfolgten ihn die Jesuiten, weil er das reine Evangelium predigte, desshalb suchten sie ihn auch hier zu untergraben. Er aber sehnte sich nach seinem Bestimmungsort, nach Südrussland für seine Einwanderer. Er schlug Gossner vor, an seine Stelle zu setzen. Er benachrichtigte denselben brieflich davon, welcher auch sogleich damit einverstanden war, weil er draussen ebenfalls von den Jesuiten überall verfolgt wurde.

Gossner wurde an seine Stelle eingesetzt und Lindl kam nach Odessa als Oberhaupt für Katholiken und Lutheraner, sowie für seine Einwanderer, die erst nachkamen. Nach der Ankunft Gossners in Petersburg schickte sich Lindl zur Abreise an. Den letzten Tag vor seiner Abreise lud er Gossner zu sich des abends ein, ohne ihm den Grund vorher zu sagen. Er fand eine kleine Gesellschaft in feierlicher Stimmung versammelt. Aus einem Nebenzimmer trat Lindl herein, an der Hand seine Braut, die Schwester seines früheren Kaplans Völk, die ihn als Haushälterin nach Petersburg begleitet hatte. Lindl erklärte, dass er mit Zustimmung und nach dem Willen Gottes das Cölibat abschüttle und mit seiner Braut den Treubund der Ehe geschlossen habe. Er bat den Freund sie zu segnen die Gott zusammengefügt habe. Ueberrascht erwiderte Gossner, dass wenn Gott sie zusammengefügt, er nichts dagegen habe, und segnete sie. Den nächsten Tag reiste Lindl ab.

In Odessa hatte Lindl noch grössere Schwierigkeiten auszustehen, die die katholische Geistlichkeit ihm immer noch mehr zusetzte. Die Italiener trachteten ihm sogar nach dem Leben, und warfen ihm zweimal die Fensterscheiben ein. Oefter wurde er auf der Kanzel gestört, indem sie ihm zuriefen: „Du Lügner, du lügst.“

Als dieses nach Petersburg berichtet wurde, schickte der Kaiser einen Eilboten an die hiesige Behörde mit dem Befehl, Lindl zu beschützen. So verbrachte er 1 ½ Jahre in Odessa bis zur Ansiedlung. Kaufmann Werner aus Gingen leitete draussen während dieser Zeit die Auswanderung, an welche sich auch Veygel und Herr von Heinlatt anschlossen, welche alle Lindls Freunde waren. Den 28.Juli 1821 verliessen unsere Auswanderer Deutschland, ihre Heimat, und nach 6 Wochen kamen sie in Odessa an, wo sich jeder ein Unterkommen suchte, und den Winter über sich aufhielt. Im nächsten Frühjahr wurde aufgebrochen nach dem Tale Sarata in Bessarabien, welches Lindl angewiesen wurde.

Den 19. März 1922 kamen sie auf dieser leeren Steppe an. Den nächsten Tag, den 20. März, suchte man einen geeigneten Platz zur Niederlassung also wird auch die Ansiedlung vom 20. März 1822 gerechnet. Sie fanden eine Quelle und stellten die Wagen um dieselbe im Kreise und fingen an Hütten zu bauen. Auf derselben Stelle befindet sich jetzt ein Brunnen, wo damals die Quelle war. Es ist ein besonderes Gefühl an jener Qelle, oder jetzt Brunnen, zu stehen, wo unsere Voreltern sich niederliessen und wo einst der berühmte Lindl seine Andachten hielt. Es ist keine zweite Ansiedlung in Bessarabien mit solcher Feierlichkeit begonnen worden, als diese. Genaueres über dieselbe meldet ein Brief, der von einem der Ansiedler, Kaspar Gessler, an seine Verwandten nach Bechingen in Deutschland geschrieben wurde, und den ich hier wörtlich niederschreibe.


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