Auswandererschicksale 1825

Neckar-Zeitung 1826

Neckar-Zeitung 29. Januar 1826

Darmstadt, 20. Dec. Die hiesige Zeitung giebt folgenden Bericht aus Vilbel vom 6. Januar: Nachstehende Einwohner des hiesigen Landrathsbezirks:
1) Konrad Rau von Oberau, mit Frau und 5 Kindern,
2) Peter Boning von da, mit Frau und 5 Kindern,
3) Mich. Herrmann von da, mit Frau und 7 Kindern,
4) Johannes Mehlmann von da, mit 2 Kindern,
5) Jakob Berg von Rodenbach, mit Frau und 8 Kindern, hatten sich durch trügerischen Vorspiegelungen des bekannten Major Schäfer zu dem Entschlusse verleiten lassen, nach Brasilien auszuwandern. Nachdem jeder Einzelne von ihnen von einem Agenten des Majors Schäfer die schriftliche Versicherung erhalten hatte, „daß sie mit ihren Angehörigen als Kolonisten und Bürger in dem Kaiserthum Brasilien auf- und angenommen, und aller von Sr. Majestät dem Kaiser von Brasilien den deutschen Einwanderern zugestandenen Vorrechte und Vortheile theilhaftig seyen,“ nachdem sie hierauf ihre sämtliche Habe versilbert und ihre Gläube bezahlt, auch im Frühjahr 1824 die Auswanderungs-Erlaubnis von der großherzogl. Regierung zu Gießen erhalten hatten, reisten sie (jedoch durch mancherlei Umstände aufgehalten, erst zu Anfang Oktober 1825) nach Hamburg ab. Im verflossenen Monat kamen zuerst die vier erstgenannten, und bald darauf Jakob Berg, mit ihren Familien, im allergrößten Elend wieder in ihrer Heimath an. Vor dem großherzogl. Landrathe erzählten sie ihr Schicksal übereinstimmend auf folgende Weise: „Da wir schon in unserer Heimath, nach Bezahlung unserer Gläubiger, mit wenig Vermögen versehen waren, so konnten wir nach einer so harten und beschwerlichen Reise in Hamburg wenig übrig haben, und wir verfügten uns daher sogleich nach unserer Ankunft zu dem Major Schäfer, um unsere Ueberfahrt zu beschleunigen. Die erste Frage, die derselbe an uns that, war: ob wir Geld und Vermögen hätten? Auf unser Vaterland nicht verlassen haben würden, bemerkte er sogleich, daß wir, demnach nicht eingeschifft werden könnten. Doch würden wir, auf unsere dringende Vorstellung, auf den nächsten Tag beschieden und unsere Papiere, um sie näher einzusehen, zurück behalten. Indessen erfuhren wir, daß von allen Auswanderungslustigen ohne Unterschied 120 fl. Ueberfahrtskosten per Kopf verlangt würden, daß nur wenige diese große Summe mitgebracht hätten und daß daher viele schon wieder den Rückweg angetreten hätten. Als wir am andern Tage wieder zu dem Majör Schäfer kamen, wurden wie nicht einmal vor ihn gelassen, sondern von seinem Schreiber bedeutet, daß wir ohne Hinterlegung der Ueberfahrtskosten, die zu 120 fl. per Kopf bestimmt wurden, nicht eingeschifft werden könnten. So wurden wir nicht nur ohne weiteres Gehör wbgewiesen, sondern auch die von dem Major Schäfer erhaltenen Schreiben unter dem Vorwande, da0 sie verlegt sexen, zurückbehalten. Da wir nun einmal so weit gekommen waren; so versuchten wir zwar alle Mittel, und Wege um unseren Auswanderungs-Zweck zu erreichen, – aber vergeblich. Da uns überdieß in Hamburg von dasigen Einwohnern die schrecklichsten Beschreibungen von dem; was wir auf der Ueberfahrt und in Brasilien selbst würden auszustehen haben, gemacht wurden; so traten wir mit Weibern und Kindern in der furchbarsten Regenzeit einen Rückweg an, der uns Zeitlebens ein Schreckensbild seyn wird.


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brasilien-22-01-1826

Darmstadt, 22. Januar. In dem vorgestrigen Blatte der O.P.V.Z. wurde das traurige Schicksal von fünf Familien erzählt, welche mit dem Entschlusse, nach Brasilien auswandern, bis Hamburg gereist, aber schon dort zur Rückreise genöthigt worden waren. Hören wir nun auch einen Augenzeugen über das Schicksal, welches diejenigen zu erwarten haben, die wirklich in das Land ihrer geträumten Glückseligkeit gekommen sind. Wie mancher unter diesen würde den schrecklichen Zustand jener armen Familien noch beneidenswerth finden, wenn er, in ungeheurer Entfernung von dem Lande seiner Heimath, an der Möglichkeit verzweifeln muß, daß es jemals anders mit ihm werde! Jener Augenzeuge ist P. H. Schuhmacher, vormals Kommandant an Bord eines Schiffes, welches Auswanderer nach Brasilien transportirte. Derselbe hat über seine Reise eine Schrift drucken lassen, welche den Titel führt: Beschreibung meiner Reise von Hamburg nach Brasilien im Juni 1824, nebst Nachrichten über Brasilien bis zum Sommer 1825 von P. H. Schuhmacher.“ Dem Verfasser war von dem brasilianischen Agenten in Hamburg, dem Major v. Schäffer, das Kommando über einen Transport sogenannter Kolonisten aufgetragen worden. Der größte Theil derselben war von dem Major v. Schäffer unter dem Vorwande angenommen worden, in den kaiserl. Fabriken in Brasilien angestellt zu werden, oder als Kolonisten das Land zu bauen, und es waren ihnen hierbei die vortheilhaftesten Bedingungen gemacht worden. Vor der Abfahrt kam der Agent noch an Bord des Schiffes, um alle jungen Leute zum Militärdienst abzuzeichnen, jedoch mit dem Bemerken, daß es ihnen bei der Ankunft in Rio-Janeiro frei stehe, der Regierung ihre Wünsche vorzutragen. Nach einer glücklichen Seereise langte das Schiff den 11. Okt. in Rio-Janeiro an, Die Mannschaft wurde nach der Ausschiffung sogleich vom Kaiser besichtigt, und die Kolonisten nach Porto-Allegre, einem nördlich gelegenen Hafen, eingeschifft, von wo sie über 100 Stunden ins Innere des Landes gebracht wurden, wo soe angekommen, täglich8 Schill. Hamd. zu ihrem Unterhalte bekamen, übrigens aber ohne Weiteres ihrem Schicksale überlassen wurden. Ich sprach, sagt der Verfasser, wegen dieser Behandlung mit dem Inspektor, zeigte ihm den gedruckten Kontrakt, von dem Major v. Schäffer unterschrieben, nach welchem es jedem frei stehen sollte, sich seine Beschäftigung zu wählen, und nach welchem sie Regierung den Kolonisten, außer dem erwähnten Unterhalt, auch Vieh, Ackergeräthschaften liefern wollte. Ich machte dasrauf aufmerksam, wie wenig es der Regierung von Nutzen seyn könne, wenn alle jungen Kolonisten zum Militärdienst gezwungen würden, da die alten Leute nicht im Stande wären, ohne gemeinschaftliche Mithülfe der jungen den Boden urbar zu machen, oder sich, wenn die Unterstützung der Regierung aufhöre, durch ihrer Hände Arbeit ihren Unterhalt zu erwerben. Der Inspektor antwortete mier hierauf, daß er dieß wohl einsehe, daß jedoch der Befehl des Kaisers in dieser Hinsicht bestimmt wäre. Um sich die Lage eines Kolonisten recht deutlich vorstellen zu können, muß man wissen, daß das Innere dieses großen Landes wüste und menschenleer, und den umherschwärmenden wilden Horden gänzlich überlassen ist; daß die Kolonisten aus gänzlichem Mangel an Vieh und Ackergeräthschaften den Boden nicht gehörig bearbeiten können, da sie aus Mangel an Wegen außer aller Verbindung mit anderen Bewohnern des Landes sind, und endlich bei der Entfernung von den Küsten oder einem bewohnten Orte außer der Möglichkeit sind, ihre Produkte leicht und vortheilhaft abzusetzen, oder sich auch nur die nöthigsten Bedürfnisse anzuschaffen.
Das höchst ungerechten Verfahren ist in Brasilien fortwährend gegen die Kolonisten ausgeübt worden; so sind aus der Schweizer Kolonie Neu-Fryburg alle jungen Leute weggeführt und unters Militär gesteckt worden, indem zur Entschuldigung dieser Maßregel geäußert wurde, man brauche Soldaten nöthiger, als Kolonisten. Die Justiz ist in einem bejammernswürdigen Zustande. Unmenschliche Gesetze aus früheren Jahrhunderten sind noch in Kraft, und da es den Richtern noch bis jetzt gänzlich überlassen sit, solche Kriminalsachen zu modificiren, oder in ihrer ganzen Strenge den Schuldigen zuzuerkennen, so ist ein großes Feld von Bestechungen und anderen nichtswürdigen Handlungen eröffnet. Der treuherzige und ruhige Ton, mit dem der Verfasser seine Erzählung giebt, drückt derselben den Stempel der Wahrheit zu deutlich auf, als daß man im Geringsten die angefühten Thatsachen in Zweifel ziehen dürfte, und sie werden duch die übereinstimmendin Urtheile anderer Augenzeugen bekräftigt. Möchten sie als Warnung von unbesonnenen Auswanderungen zurückhalten und bedenklen lassen, daß der fleißige Mensch in einem kultivirten Lande stets eher sein Fortkommen finden wird, als in einem solchen, welches er erst werden soll.

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