Auswandererschicksal Fritz Kruse 1907

Rigasche Rundschau Nr. 99 vom 1. Mai 1907

Auswandererschicksale1 schildert ein Brief, der den Muhsu laiki aus Brasilien zugesandt ist. Der Schreiber Fritzis Kruhse, berichtet, daß er, durch „mancherlei Wirren und Unruhen“ gezwungen, seinen Posten im Innern Rußlands verlassen habe, um sich ein neues Vaterland und „menschlicheres Leben“ zu suchen. In Riga kann er sich „verschiedener Unstände“ wegen nicht tagelang aufhalten, sondern muß mit dem ersten fälligen Dampfer fort nach Gent. Von dort geht es über Antwerpen nach London und mir dem Endziel Sao Paulo nach Brasilien. In England aber beginnen bereits Enttäuschungen. Statt freies Quartier im Schiffskontor zu erhalten, wie die Agenten versprochen – die ganze Fahrt soll kostenlos sein – muß der Schreiber mit anderen Emigranten 10 Tage im schmutzigsten Judenviertel Londons in irgendwelchen Spelunken verbringen. Von Ordnung keine Spur: „Sogar die Männer wußten nicht, wo ihre Frauen sind, und die Kinder und Frauen ahnten nicht, wo sich ihre Männer befinden“. Endlich geht es in einem kleinen Dampfer nach dem französischen Hafen Cherbourg, wo beim Aissteigen alle „nach Heringen stanken, weil wir in der Stickluft der unteren Schiffsräume eingesperrt waren“. Auf dem großen Ozeandampfer kommen die Reisenden müde und hungrig an und erhalten – „verwelkte Kartoffeln und russische Heringe, jeder 3 Kartoffeln und einen halben Hering“. Statt der versprochenen eigenen Kabine für jede Familie gibt es nur Deckplätze, statt der sauberen Betten nur schmutzige Matratzen – dabei das ganze Elend der Seekrankheit, ein Arzt, der für niemand zu sprechen ist, ein Feldscher, der für großes Geld wertlose Medizinen verteilt. In Sao Paulo endlich muß das versprochene Land beim Kolonialdirektor bar bezahlt werden, und zwar ohne daß es der Käufer vorher gesehen hat, und am Schlusse stellt sich heraus, daß die Kolonie „Neu-Odessa aussieht wie eine unfruchtbare Wüste! – „Tag und Nacht hört man klagen und weinen ohne Ende: betrogen, betrogen, betrogen.“

Am 5. Juli 1923 wurde Fritz Kruse mit seiner Familie in Neu-Odessa, Brasilien eingebürgert.2

Einbürgerung Fritz Kruse


1 Rigasche Rundschau Nr. 99 vom 1. Mai 1907, p.7

2 Archiv des Staates São Paulo: Museu da Imigração do Estado de São Paulo

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