Zur Erinnerung an unsere Vorfahren, die als Migranten aus Süddeutschland in die Welt zogen

Schlagwort: Sarata (Seite 1 von 2)

Zur Geschichte Süd Russlands VI

Original von 1912 bearbeitet und ergänzt: J. Rzadkowski

(eingesandt von Jakob Sommerfeld Karlsruhe im Kaukasus)1

6. Fortsetzung und Schluss

7. Der Berdjansker und Mariupoler Kolonistenbezirk

Ausschnitt aus der Karte der Postämter im Russischen Reich 18782

Unter d. gleichen Bedingungen mit Hoffnungsthal wurden von solchen württembergischen Chiliasten, die weder im Chersonschen Gouvernement geblieben sind, noch auch nach Grusien mitzuziehen sich entschlossen haben, im Jahre 1882 die Kolonieen Neuhoffnung, Rosenfeld und Neuhoffnungsthal gegründet.

Ausschnitt mit dem Kolonien im Gouvernement Cherson 18555

Später, im Anfang der dreißiger Jahre, kam noch Neustuttgart gleichzeitig mit Gnadenthal und Lichtenthal bei Sarata in Bessarabien hinzu. Die Gründer der letztgenannten drei Gemeinden waren ebenfalls württembergische Einwanderer mit chiliastisch-separierter Richtung. Während Gnadenthal und Lichtenthal sich an das Kirchspiel Sarata angeschlossen, wie auch Neustuttgart und ein Theil von Neuhoffnungsthal und Rosenfeld ein eigenes evangelisch-lutherisches Kirchspiel bildeten und sich damit unter dem Schutz des St. Petersburgischen Konsistoriums stellten, blieb Neuhoffnung und der übrige Theil der benachbarten Gemeinden Neuhoffnungsthal und Rosenfeld separiert. Ihr geistlicher Vorstand war Pfarrer Wüst, ein Mann des Volkes von seltener Energie und Beredsamkeit, erfüllt mit frischem Glaubensleben. Wüsts Aussaat artete jedoch unter dem kolonistischen Laienprediger Hottmann in ein Sektenwesen aus, welches große Verbreitung selbst in einigen Gemeinden des damaligen Grunauer Kirchspiels fand. Springer oder Hopfer3 wurde die neue Sekte genannt, welche die separierten Gemeinden im Berdjanskschen Kreise einer völligen kirchlichen Auflösung nahe brachten. Obwohl gegenwärtig eigentliche vom „heiligen Geist“ zu ausgelassener Freude gestimmte „Springer“ nicht mehr vorhanden sind, so leiden diese Gemeinden bis heute unter den Nachwirkungen des Springerthums. Nur das für das koloniale Verhältnisse ausgezeichnete Schulwesen dieser Gemeinden läßt hoffen, daß das, was noch krankt, bald einem gesunden, nüchternen Wesen wird Platz machen müssen

Ganz anders als diese zu religiöser Schwärmerei hin neigenden Separatisten des bei Berdjanskschen Kreises sind die preußischen Einwanderer des Mariupoler Kolonistenbezirks geartet. Gegen 500 Familien langten in den Jahren 1818 und 1819 aus Preußen, theilweise zu Fuß, in dem Molotschaner Mennoniten- und Kolonistenbezirken an, wo sie vorläufig einquartiert wurden. Die neuen Ankömmlinge konnten vermöge ihres Fleißes durch verschiedene Handarbeiten und Gewerbe sich dort theils ihren Unterhalt erwerben, theils noch etwas Geld ersparen. Mit einigen Ausnahmen hatten sie wenig oder gar kein Vermögen vom Auslande mitgebracht. Ueber ihre Ansiedlung berichtet das „Unterhaltungsblatt“ im Jahre 1853:

„Im Märzmonat 1820 erwählten sich viele Einwanderer auf Befehl des Vormundschaftskomptoirs der ausländischen Ansiedlungen zu Jekaterinoslaw drei Deputierte: Christian Klaaßen, Nikolaus Dodenhöft, beide später in der Kolonie Grunau, und Johann Majewsky, später in der Kolonie Eichwald angesiedelt, welche auch vom Komptoir bestätigt wurden und für die Sache der Ansiedlung sich bemühten, bis im Herbst 1822 den Ansiedlern das Land angewiesen und die äußeren Grenzen von Griechen und Russen, im Gegenwart des Herrn Gouverneurs und des Herrn Mitglieds vom Komptoir Babiewsky, abgepflügt wurden.

Unterhaltungsblatt für deutsche Ansiedler im südlichen Russland 1853 Nr. 13

„Die hilfsbedürftigen Ansiedler erhielten auf jede Familie 300 bis 450 Rbl. Banko Vorschuß zum Anbau der Häuser und zur ersten wirthschaftlichen Einrichtung, welche Gelder im zweiten Jahrzehnt der Ansiedlung rückstandslos abgetragen worden sind.“

Im Jahre 1823 haben diese preußischen Einwanderer 18 Kolonieen gegründet und zum Andenken an ihre heimathlichen Ortschaften in Westpreußen mit Genehmigung der russischen Behörden nachfolgend benannt: 1 Kirschwald, 2 Tiegenhof, 3 Rosengart, 4 Schönbaum, 5 Kronsdorf, 6 Grunau, 7 Rosenberg, 8 Wikkerau, 9 Reichenberg, 10 Kampenau, 11 Mirau, 12 Kaiserdorf, 13 Götland, 14 Neuhof, 15 Eichwald, 16 Tiewenort, 17 Schönwald 18 Thiergart. Eine zweite Einwanderung geschah in den Jahren 1823 und 1824; eine dritte im Jahre 1841. Aus Württemberg, Baden, Hessen und vom Niederrhein kamen über 100 Familien und begründeten die vier Kolonien: Elisabethdorf 1825, Ludwigsthal 1828, Darmstadt und Marienfeld 1842. Von diesen haben nur 19 Wirthe der Kolonie Ludwigsthal Geldvorschuß erhalten, die anderen hatten eigene Mittel. Im Jahre 1832 entstanden die fünf Kolonien: Bellowesch, Kaltschinowka, Rundewiese, Großwerder und Kleinwerder.

Darüber schreibt das „Unterhaltungsblatt“:

„In den Jahren 1768 bis 1782 hatten sich deutsche (wahrscheinlich preußische) Einwanderer im Romenschen Kreise des Governements Tschernigow niedergelassen und dort die fünf Kolonien: Bellowesch, Kaltschinowka, Rundewiese, Groß- und Kleinwerder angelegt. Die dort ihnen zu theil gewordenen Kronsländereien waren für die zahlreiche Nachkommenschaft nicht mehr hinreichend, weshalb die landlosen Familien sich bei der Regierung die Erlaubnis ausbaten, im südlichen Rußland Land zu Uebersiedlung aussuchen zu dürfen. Das Gesuch wurde ihnen gewährt, um geeignete Stellen ausfindig zu machen. Diese Bevollmächtigten wandten sich an das Jekaterinoslawische Vormundschaftskomptoir und erhielten von demselben die Anweisung, die neben Mariupol liegenden noch unbesetzten Ländereien in Augenschein zu nehmen. Sie befolgten dieses, und da sie hier einen fruchtbaren Boden in der Nähe einer Seestadt fanden, so kehrten sie mit dem festen Entschluß, sich hier niederzulassen, und mit Zeugnissen der örtlichen Obrigkeit versehen zu ihren Gemeinden zurück und erklärten, daß sie dieses Land an Ort und Stelle als das zweckmäßigste zur Ansiedlung befunden hätten, worauf die Gemeinden um die allerhöchste Genehmigung baten, welche ihnen Allergnädigst ertheilt wurde. Dann begaben sich im Herbst 1831 in allem 122 Familien nach dem Mariupoler Kolonistenbezirk, wo sie von den schon früher angesiedelten Familien als christliche Glaubensgenossen und künftige Nachbarn mit Liebe aufgenommen und beherbergt wurden, bis sie im Frühjahr 1832 ihren eigenen Herd begründeten und ihre Ansiedlungen nach denen im Gouvernement Tschernigow benannten.

„Unterstützung zur Ansiedlung haben diese Ansiedler nicht erhalten denn jede Familie hatte ihre gehörigen Ackergeräthe und Zugvieh, zum Bauen aber wenigstens zu 400 Banko bares Geld mitgebracht.“

Der Kolonist der Kolonie Grunau Christian Klaaßen, Mitglied des landwirthschaftlichen Vereins und seit 1848 Oberschulz im Mariupoler Kolonistenbezirk, hat die Pläne zur Anlage dieser Kolonien und der Häuser entworfen und ausgemessen, überhaupt diese Übersiedlung geleitet und dadurch unvergessliche Verdienste um diese Kolonien erworben.

„Seit dem Jahre 1849 ist durch Ansiedler aus der Stadt Jamburg Gouvernement St. Petersburg eine neue Kolonie, Neujamburg, diesem Bezirke hinzugefügt worden.“

Im Mariupoler Kolonistenbezirk befinden sich zwei evangelisch-lutherische Kirchspiele: 1 Gronau, zu welchem in den sechziger Jahren noch Taganrog, Nowotscherkask und Berdjansk gehörten, und 2 Ludwigsthal. Grunau, welches eine der größten Kirchen in den südrussischen Kolonieen besitzt und in üppiges Grün buchstäblich eingehüllt ist, wurde im Jahre 1823 als Kirchspiel bestätigt. Von ihm zweigte sich nächst Taganrog das Kirchspiel Ludwigsthal ab.

Schluß.

Wir haben uns bei der gegenwärtigen Schilderung fast ausschließlich im Rahmen der Entstehungsgeschichte der im Anfang des vorigen Jahrhunderts gegründeten Kolonien im Chersonschen, Taurischen und Jekaterinoslawschen Gouvernement bewegt. Der Raum gestattet uns nicht, hier auch nur einen oberflächlichen Überblick dessen zu geben, was im Laufe von kaum einem Jahrhundert aus diesen Kolonien geworden ist. Das müssen wir für eine andere Gelegenheit aufsparen. Doch darauf soll zum Schluß noch hingewiesen werden, daß innere Kraft der deutschen Kolonialbevölkerung Südrußlands in diesem Zeitraum sich augenfällig bewährt hat. Die Kolonisten haben es verstanden, sich den hiesigen Lebensbedingungen anzupassen und trotz bedeutender Schwierigkeiten sowohl in der Kultur vorzuschreiten, als auch dem rapiden Wachsen ihrer Volksziffer entsprechend sich zu dem von der Regierung ihnen angewiesenen Areal immer neue Ländereien zu erwerben.

Was die Schwierigkeiten anbelangt mit denen sie bei der Erfüllung ihrer Hauptaufgabe, in der landwirthschaftlichen Bearbeitung des süddrussischen Bodens, zu kämpfen hatten, so sei nur beispielsweise auf den westlichen und östlichsten Theil der ursprünglichen Kolonien hingewiesen, den Großliebenthaler und Mariupoler Bezirk.

In der für die Kultur der Kolonie so hochbedeutsamen „Odessaer Zeitung“ haben wir in Nr. 95 und 96 das Jahrgangs 1903 unter der Überschrift „Ungünstige Einflüsse auf die Entwicklung der Landwirthschaft im Großliebenthaler Kolonistenbezirk“ berichtet, daß die Freudenthaler Kirchenchronik nicht weniger als 29 Fehljahre in Folge von Mißwachs aufzählt. Das sind, da es sich um den Zeitraum von 1806 – 1902 handelt, über 30 Prozent oder fast der dritte Theil aller Ernten. Doch das sind noch lange nicht alle Mißernten, außerdem Mißwachs haben auch Heuschrecken, Käfer, Mäuse, Hessenfliegen und Hagel die Zahl der Mißernten bedeutend erhöht. „Es ist unglaublich,“ so lesen wir in einem kirchlichen Bericht vom Jahre 1884, „welche Heimsuchungen über das Kirchspiel Grunau seit seiner Gründung in fast ununterbrochener Reihenfolge ergangen sind.“ Außer den Steppenplagen: Heuschrecken, Getreidekäfer, Rinderpest usw., hatte der Bezirke sieben Mal furchtbare Viehseuchen, ein Mal von der Cholera zu leiden.

Hessenfliege, Getreideverwüster (Cecidomyia destructor)6

Wiederholt verwüsteten orkanartige Hagelstürme nicht nur die Felder, sondern auch die Gebäude, 21 Tage hielt der Schneesturm an, der im Jahre 1848 mit seinen Schneemassen das Dach das Pastoratsgebäudes und andere Häuser zum Einsturz brachte.

Nikolai Sverchkov, Troika in Winter7

Viel Energie, Muth und Ausdauer hat dazu gehört, alle diese elementaren Schwierigkeiten zu überwinden und in erbittertem Kampfe dem Boden denjenigen Ertrag abzuringen, auf welchem der gegenwärtige Wohlstand sich gründet. Leider sind die alten Kolonien im allgemeinen bereits seit einer Reihe von Jahren in ihrer Entwicklung stehen geblieben, wo nicht gar zurückgegangen, weil die rationelle Bearbeitung des Bodens mit den Anforderungen der Zeit nicht Schritt gehalten hat. Jene glänzenden Erträge, womit in früheren Jahren der jungfräuliche Boden mit einem Schlage, den Landmann für eine ganze Reihe von Mißernten entschädigte, gehören jetzt bereits in das Gebiet der Sage. Und doch will der Kolonist immer noch nicht mit dem alten Zopf der Raubwirthschaft aufräumen. Bessere Bearbeitung des Bodens, sorgfältige Düngung, gründliches Studium der Landwirthschaft, gemeinnützige Bestrebungen, Einmüthigkeit im Ordnen aller Gemeindeverhältnisse, bessere Ausbildung der Söhne und namentlich auch der Töchter – das sind die Aufgaben der Kolonieen für das zweite Jahrhundert ihres Bestehens. Daß so etwas nur auf dem Grunde der Gottesfurcht und milder christlicher Sitten möglich ist, muß die Ueberzeugung aller werden. Es giebt jetzt schon nicht wenige intelligente Landwirthe, die energisch eine bessere Bewirtschaftung ihres Landes mit Erfolg anstreben und den Säumigen ein Beispiel geben, welches wie wir hoffen, seine gute Wirkung nicht verfehlen wird.

J.S. 

1 Zeitungsartikel, erschienen in „Der Staats-Anzeiger, Bismarck, N.D.“ 26.12.1912, Abschrift wie im Original und kommentiert: J. Rzadkowski

2 Karte der Postämter im Russischen Reich, Iljin, Alexis Afinogenovich. Sankt Petersburg: A. Iljins kartografische Einrichtung, 1878. – mit 3 Einschüben: Asiatisches Russland mit der Region Turkestan, Umgebung von Moskau, Umgebung von Sankt Petersburg, KBR Kartensammlung

3Busch theilt in seinen ,,Materialien zur Geschichte und Statistik der evangelischen Gemeinden Rußlands“ über diese vier leztgenannten Kolonien Folgendes mit:

Die Bewohner derselben sind würtembergische Separatisten, die sich hier im Jahre 1822 niederließen und eben wie die Kolonisten in Grusien durch den damals in Würtemberg herrschenden Rationalismus aus ihrem Vaterlande getrieben wurden. Etliche von ihnen ließen sich in Bessarabien in den Kolonien Sarata, Gnadenthal und Lichtenthal nieder und stellten sich unter den Schutz des Consistoriums; jene vier Kolonien wollten aber eine Art Brüdergemeinde bilden und erbaten fich dazu das Privilegium, ihre kirchlichen Angelegenheiten selbst ordnen und verwalten zu dürfen. Mit dieser Selbstverwaltung wollte es aber nicht gehen und schon im Jahre 1843 waren diese Kolonien einer völligen kirchlichen Auflösung nahe, vor welcher sie nur durch die Berufung des Pastors Wüst als „geistlichen Vorstandes“ sich retten konnten. Wüst war ein Mann des Volkes von seltener Energie und Beredtsamkeit und frischem Glaubensleben. Er hatte sich bald die Liebe und Achtung aller Parteien erworben und dieselben wurden einig in der Anhänglichkeit an seine Person.

Wüst’s Eigenthümlichkeit sagte auch deßwegen jenen Leuten so zu, weil er sein geistliches Amt ganz in den Hintergrund stellte und nur als Bruder unter ihnen weilte und wirkte. Er that dies nicht aus Politik, sondern aus eigener Ueberzeugung; er hatte in dieser Beziehung sehr freie Ansichten und sprach dieselben auch unverhohlen gegen seine Gemeinde aus. Die Folge war, daß das Parteiwesen gegen Ende seines Lebens sich doch wieder erhob, und als kurz vor seinem Tode ein gewisser Hotmann, ein Kolonist aus der Krim, in seine Gemeinde kam und daselbst für die Hopfer- und Springersekte wirkte, vermochte er der Bewegung nicht mehr Herr zu werden und starb im Jahre 1859 an gebrochenem Herzen.

Er hatte in seiner Gemeinde, wie es scheint, anstatt der gehaltenen Choralmelodien oft Arienweisen singen lassen, und daran knüpfte Hotmann an. Die Leute klopften erst den Takt mit den Fingern zum Gesang, wurden aber mehr und mehr elektrisirt und fingen an in geistlicher Freude zu hopfen und zu springen. Besonders soll sich dieses Unwesen zeigen, wenn sie zusammenkommen, das heilige Abendmahl zu feiern, wo sie auch von dem Weine etwas mehr zu trinken scheinen, als ihnen gut ist, und dann vom heiligen Geist zu ausgelassener Freude gestimmt werden.

Matthäi, F.: Die deutschen Ansiedlungen in Rußland. Ihre Geschichte und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung für die Vergangenheit und Zukunft. Studien über das russische Kolonisationswesen und über die Herbeiziehung fremder Kulturkräfte nach Rußland. / Von Friedrich Matthäi, Offizier der Königl. Sächs. Armee, corresp. Mitglied der Keiserl. freien ökonomischen Gesellschaft, sowie der Gartenbaugesellschaft zu St. Petersburg. – Leipzig: Hermann Fries; Gera: C. B. Griesbach, 1866, p96f:

4 Unterhaltungsblatt für deutsche Ansiedler im südlichen Russland 1853 Nr. 1, auf Mikrofilm, CMBS

5 Die Kolonien in Bessarabien und in dem Gouvernement Cherson. Atlas der Evangelisch – Lutherischen Gemeinen in Russland. St. Petersburg. Buchdruckerei der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Buchdruckerei der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg, 1855

6 Hessenfliege, Getreideverwüster (Cecidomyia destructor), Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. 453-455 (zeno.org), gemeinfrei

7 Troika im Winter, Nikolai Sverchkov,(1817–1898), the-athenaeum.org, public domain

Kolonisten Sarata 1822

Verzeichnis der Ansiedler, geordnet nach ihrer Haus- und Wirtschaftsnummer

Nr.Name    HerkunftBeruf
    
1Schertzinger, AloisiusGütenbach, Furtwangen bei Freiburg i. Br., BadenUhrmacher
2Schäfer, HeinrichLangenbrücken, BadenHandelsmann
3Schaufelberger, JakobBächingen a. d. Brenz, Lg. Lauingen, BayernWeber
4Offenwanger, AloisGundremmingen, Lg. Dillingen, BayernSchreiner
5Nille, LeopoldWeißenstein, Oa. Geislingen, Württ.Krughalter
6Eckert, Johann LeonhardtSchozach, Oa. Heilbronn, Württ.Landmann
7Eckert, ChristophStetten i. R., Oa. Cannstatt, Württ.Dreher
8Mack, SalomonBrenz, Oa. Heidenheim, Württ.Sattler
9Seifried, JohannGundelfingen, Lg. Lauingen, BayernZimmermann
10Seßle, JohannBächingen a. d. Brenz, Lg. Lauingen, BayernWeber
11Höllwarth, Johann GeorgBreuningsweiler, Oa. Waiblingen, Württ.Landmann
12Keck, HeinrichHermaringen, Oa. Heidenheim, Württ.Weber
13Waldenmaier, JakobSontheim a. d. Brenz, Oa. Heidenheim, Württ.Zimmermann
14Ißler, MichaelGebersheim, Oa. Leonberg, Württ.Maurer
15Knauer, Erhard FriedrichGrunbach, Oa. Schorndorf, Württ.Weingärtner
16Baier, Jakob FriedrichBrettach, Oa. Neckarsulm, Württ.Weber
17Keller, Christine geb. PfaudlerBächingen a. d. Brenz, Oa. Lauingen, Bayern 
18Bartholomäi, Jakob FriedrichWeißach, Oa. Vaihingen, Württ. 
19Hobbacher, JosephBühl, Lg. Günzburg, BayernNagelschmied
20Baumgärtner, BalthasarGiengen, Oa. Heidenheim, Württ.Nagelschmied
21Seßle, Johann PeterBächingen a. d. Brenz, Lg. Lauingen, BayernSchmied
22Häußler, Johann GeorgKittental, Lg. Wertingen, BayernSchlosser
23Matt, AntonGundremmingen, Lg. Dillingen, BayernWeber
24Häußler, Johann MichaelKittental, Lg. Wertingen, Bayern 
25Bantel, JohannesHaunsheim, Lg. Lauingen, BayernSchneider
26Winkler, MatthäusHaunsheim, Lg. Lauingen, BayernWeber
27Kastler, JohannesBächingen a. d. Brenz, Lg. Lauingen, BayernWeber
28Schaufelberger, MargarethaBächingen a. d. Brenz, Lg. Lauingen, Bayern 
29Steudle, VitusHerbrechtingen, Oa. Heidenheim, Württ.Maurer
30Eggenberger, JosephHarthausen, Lg. Günzburg, BayernLandmann
31Blatter, BalthasarGundelfingen, Lg. Lauingen, BayernWeber
32Matt, GeorgGundremmingen, Lg. Dillingen, BayernWeber
33Gebhardt, XaverRieder, Lg. Dillingen, BayernLandmann
34Bändel, MelchiorHaunsheim, Lg. Lauingen, BayernSchneider
35Mauz, HeinrichGiengen, Oa. Heidenheim, Württ.Ziegler
36Brenner, JohannesLauingen (Lg.), BayernMetzger
37Ilg, ErasmusGundelfingen, Lg. Lauingen, BayernGärtner
38Müller, ThomasGundelfingen, Lg. Lauingen, BayernGerber
39Oßwald, KasparGundelfingen, Lg. Lauingen, Bayern 
40Geigle, FriedrichHermaringen, Oa. Heidenheim, Württ.Weber
10Bachmann, JohannMindelaltheim, Lg. Burgau, BayernLandmann
42Unterseher, AlbertLauingen (Lg.), BayernZimmermann
43Roßmann, JohannHerbrechtingen, Oa. Heidenheim, Württ.Weber
44Paulin, JohannGundelfingen, Lg. Lauingen, BayernBäcker
45Michel, GeorgNeustätten, Oa. Ulm, Württ.Landmann
46Schmucker, AntonOffingen, Lg. Günzburg, BayernLandmann
47Wiedemann, JosephGundelfingen, Lg. Lauingen, BayernWeber
48Keller, JohannesBächingen a. d. Brenz, Lg. Lauingen, BayernWeher
49Keller, PhilippBächingen a. d. Brenz, Lg. Lauingen,Weher
50Schönherr, GeorgGundelfingen, Lg. Lauingen, BayernMaurer
51Wölfle, JosephGundremmingen, Lg. Dillingen, BayernWeber
52Keller, MartinSontheim a. d. Brenz, Oa. Heidenheim, Württ.Schuster
53Bosch, GeorgAsselfingen, Oa. Ulm, Württ.Zimmermann
54Schmucker, GeorgOffingen, Lg. Günzburg, BayernSchmied
55Beck, Johann GeorgGundremmingen, Lg. Dillingen, BayernSattler
56Müller, LudwigBrettach, Oa. Neckarsulm, Württ.Landmann
57Kitzler, ChristophIlsfeld, Oa. Besigheim, Württ.Landmann
58Reinöhl, GottfriedIlsfeld, Oa. Besigheim, Württ.Weber
59Niederreiter, MichaelMünchen, BayernSattler
60Gäßler, ChristianSontheim a. d. Brenz, Oa. Heidenheim, Württ.Metzger
61Semmler, Johann MichaelSulzbach, Oa. Backnang, Württ. 
62Hoffmann, ChristophUnsburg, Magdeburg, PreußenSattler
63Albrecht, SimonEndersbach, Oa. Waiblingen, Württ.Schmied
64Maier, Johann FriedrichTübingen (Oa.), Württ. 
65Wagner, Johann MichaelBächingen a. d. Brenz, Lg. Lauingen,Wagner
66Deisinger, MartinGiengen, Oa. Heidenheim, Württ.Schuster
67Biedenbach, AndreasKissing, Lg. Friedberg, Bayern 
68Büchele, PaulBrenz, Oa. Heidenheim, Württ.Weber
69Meier, GeorgHaunsheim, Lg. Lauingen, BayernSchneider
70Strehle, JohannesSchnuttenbach, Lg. Burgau, BayernLandmann
71Hummel, GeorgBrenz, Oa. Heidenheim, Württ.Sattler
72Braun, ChristianAsselfingen, Oa. Ulm, Württ.Maurer
73Keller, Johann GeorgBächingen a. d. Brenz, Lg. Lauingen,Weber
74Rosenwirt, XaverKlosterholzen, Lg. Wertingen, BayernWeber
75Seßle, Jakob FriedrichBächingen a. d. Brenz, Lg. Lauingen,Weber
76Lust, ChristophIlsfeld, Oa. Besigheim, Württ.Landmann
77Veygel, GottliebIlsfeld, Oa. Besigheim, Württ.Handelsmann
78Schwarzmann, JosephGundremmingen, Lg. Dillingen, BayernSchäfler
79Veygel, DavidIlsfeld, Oa. Besigheim, Württ.Weber
80Mader, Johann GeorgBaumgarten, Lg. Dillingen, BayernWeber
81Schmidt, MatthäusGundelfingen, Lg. Lauingen, BayernLandmann
82Büchele, Johann GeorgHürben, Oa. Heidenheim, Württ.Hufschmied
83Knöpfle, KarlBaiershofen, Lg. Dillingen, BayernBäcker
84Baier, MichaelGundremmingen, Lg. Dillingen, BayernLandmann
85Bendele, JakobBächingen a. d. Brenz, Lg. Lauingen,Weber
86Bender, ThomasBulkes, Comitat Samburg, UngarnSchreiner
87Hansen, GottliebWismar, Mecklenburg-SchwerinSchneider
88Niemann, GabrielWismar, Mecklenburg-SchwerinSchneider
89Hauff, Wilhelm  
90Rüb, JakobSchwaigern, Württ.Schlosser
91Oberländer, JosephGundremmingen, Lg. Dillingen, BayernSchuster
92Ilg, JakobGrunbach, Oa. Schorndorf, Württ.Weingärtner
93Fischer, DavidGrunbach, Oa. Schorndorf, Württ.Weingartner
94Schaufele, JohannGebersheim, Oa. Leonberg, Württ.Schneider
95Lagger, JohannesAislingen, Lg. Dillingen, Bayern 
96Beck, AntonGundremmingen, Lg. Dillingen, BayernSchneider
97Rüb, Georg HeinrichStetten, Oa. Brackenheim, Württ.Weingärtner
98Winger, AbrahamGrunbach, Oa. Schorndorf, Württ.Weingärtner
99Knauer, MatthäusGrunbach, Oa. Schorndorf, Württ.Weingärtner
100Knauer, WilhelmGrunbach, Oa. Schorndorf, Württ.Weingärtner
101Schuh, FriedrichBrettach, Oa. Neckarsulm, Württ.Schuster

Häusernummern nach Fiess, Christian (Hrsg.): Heimatbuch Sarata. 1822 – 1940. Eigenverlag, Druck Steinkopf, Mühlacker., 1979, p.675ff

Alexander-Asyl Sarata

Haus der Barmherzigkeit

Becker-Hoffnungstal, Busch Klöstitz, Walter Alt-Elft, Behning-Sarata, Faltin-Kischinew, Bienemann-Arzis.1

Nach vielen Vorgesprächen fassten am 14. August 1864 die Pastoren Becker aus Hoffnungstal, Busch aus Klöstitz, Walter aus Alt-Elft, Behning aus Sarata, Faltin aus Kischinew, und Bienemann aus Arzis den Beschluss, ein „Haus der Barmherzigkeit“ in Sarata zu gründen. Hier sollten auf Diakoniebasis die hilflosen, behinderten, dahinsiechenden und verlassenen Mitglieder der deutschen Gemeinden Pflege und Seelsorge erfahren.

Durch den Kontakt zu Pfarrer Löhe in Neuendettelsau /Bayern wurden die beiden ersten Schwestern entsandt, zusätzlich gewährte man finanzielle Unterstützung. Zunächst mietete man eine private Unterkunft für die Schwestern und die ersten Pfleglinge, welche aus Alt-Elft am 1. November 1864 eintrafen.

Ihre Zahl stieg auf sieben an, so daß ein eigenes Haus notwendig wurde. Am Himmelfahrtstag, dem 5. Mai 1866 wurde der Grundstein gelegt.

Alexander-Asyl2

Die erste bessarabische Diakonissenschülerin war Rosine Tröster, sie leitete in späterer Zeit als Oberin das Haus, bis zu ihrem Tod im Jahre 1918. Ihr folgten in dieses Amt die Schwestern Magdalena Kowalsky von 1918-1927, Lina Farr 1927-1928, Elisabeth Süßmilch 1928-1931 und ihre Verwandte Cäcilie Tröster ab1932.

Die Einweihung des Neubaues war am 5. Mai 1867, der Name „Alexander-Asyl“ erinnert an die Errettung des Zaren Alexander II. aus Todesgefahr am 4. April 1866, als der Revolutionär Dimitri Karakosow vor dem Sommergarten einen Attentatsversuch auf den Kaiser unternahm, das durch den Bauern Kommissarow verhindert wurde

Durch erheblichen Zuspruch wurde 1868 eine Hospitalabteilung für Kranke errichtet, die Schwestern wurden in Krankenpflege ausgebildet. Ab 1874 wurden feste Gelder des Kreises auf je 10 Kranke gezahlt, es gab Arzneien und Wäsche, ein Arzt und ein Feldscher4 wurden angestellt.

Unter Pastor Katterfeld, welcher die Nachfolge von Probst Behning zwischen 1875 und 1880 antrat, gab es die erste Felddiakonie im russisch-türkischen Krieg 1877-1878 gemeinsam mit dem Roten Kreuz. Pastor Alfons Mayer wurde nun Rektor der Anstalt von 1880 bis 1918. Er ließ ein Hospitalgebäude bauen, welches 1883 eingeweiht wurde. Bis Ende 1935 wurden hier etwa 27.000 Patienten behandelt.

Da Männer und Frauen seit 1872 getrennt untergebracht wurden, entstand das „Haus Bethel“. Zunächst gemietet, ab 1886 in Arzis im eigenen Haus, da die Gemeinde Arzis einen Bauplatz zur Verfügung gestellt hatte.

Der Ankauf eines Grundstückes 1903 in Sarata ermöglichte den Bau des Siechenhauses für alte und leidende Frauen, hier entstand 1908 ein zweistöckiges Gebäude, das Haus „Elim“. Der Bau war durch das Vermächtnis des kinderlosen Kaufmanns Leopold Hasenjäger aus Kiew und der Unterstützung des Kaiserswerter Verbandes ermöglicht worden. Im Jahre 1906 kam ein Ambulatorium dazu.

Die Grundsteinlegung zu einem neuen Hospitalsgebäude erfolgte unter Rektor Pastor Winger am 12. Mai 1935. Zu diesem Zeitpunkt lebten einige Pfleglinge bereits mehrere Jahrzehnte hier.

Durch die Umsiedlung der Bessarabiendeutschen im Jahre 1940 fand die Arbeit des „Alexander-Asyls“ in Bessarabien ein jähes Ende, wurde jedoch in Großerlach-Neufürstenhütteim Dezember 1953 unter Pfarrer Albert Kern in Großerlach-Neufürstenhütte wieder aufgenommen. Seit 1979 unter dem Namen „Alexander-Stift

Ein weiterer Aspekt der Pflege wurden die Waisenkinder. Da immer wieder Kinder aus dem Waisenhaus Odessa zur Erholung nach Sarata geschickt wurden, jedoch keine eigenen Räumlichkeiten hatten, auch eigene Waisen aufgenommen werden sollten, benötigte man eine Unterkunft. Diese kam in Form eines Tausches. Fräulein Emilie Kurz stellte vermachte der Einrichtung ihr Eigentum, Haus und Hof gegen lebenslange Versorgung im Haus „Elim“. So wurde eine Unterkunft für die Waisenkinder geschaffen, 1935 waren es 20.

Schwesternheim Bad Burnas3

Mit der Entstehung von Bad Burnas erhielt das „Alexander-Asyl“ ein Grundstück für die erholungssuchenden Pfleglinge und Schwestern. Unter Oberin Lina Farr wurden Spenden gesammelt und 1929 wurde ein Ferienheim geschaffen. Die Gebrüder Roduner-Gassert schenkten einen Bauplatz in Budaki für ein weiteres Haus.

Auch über die Versorgung der Schwesternschaft im Alter musste nachgedacht werden. zunächst verließen gut ausgebildete Schwestern die Anstalt, da eine Heirat ihr Alter sichern sollte. Oberin Rosine Tröster versuchte diesen Mißstand zu beenden, indem die Schwestern monatlich einen kleinen Teil ihres Taschengeldes in einen Baufond einzahlten. 1926 war es soweit, sie konnten ihren Altersruhesitz „Abendfrieden“ beziehen.

Neben ihrer Arbeit in den Außenstellen in Odessa, Kiew, Worms und Saratow, in Winterhilfswerken, der Armenpflege, häuslicher Pflege, Kindererziehung und bei Gottesdiensten, schufen sie den ersten Frauenverein in Sarata im Jahre 1886. Ein Jahr später entstanden nach diesem Vorbild Frauenvereine in Klöstitz und Alt-Elft, bis 1935 waren es 30.

Magdalena Kowalsky (1853-1929)5

Schwester Magdalena Kowalsky

Fast 55 Jahre lang hat die verstorbene Oberschwester Magdalena Kowalsky Freude und Leid in der Anstalt zu Sarata miterlebt.
Nicht nur im „Alexander-Asyl“, sondern in ganz Sarata und weit darüber hinaus war sie bekannt. Sie hat ein ganzes Menschenleben selbstlos dem Diakonissenberuf gewidmet.

Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte wurde sie eine gern gesehene Freundin in vielen Häusern.In Erinnerung werden in Sarata die vielen, vielen Krankenbesuche, die sie machte, bleiben. Bei diesen Besuchen erteilte sie praktische Ratschläge bezüglich der Pflege des Kranken und übte Seelsorge. In den fünf Jahrzehnten, die Schwester Magdalena im Alexander-Asyl ins steter Tätigkeit verbrachte, hat sie verschiedene Erfahrungen gemacht. In früheren Jahren, als noch kein Arzt im Dorfe war, musste die Schwester im Notfalle, bis der Arzt geholt werden konnte, selbst Arzt sein. Sie konnte daher manchen praktischen Rat erteilen. Wenn Schwester Magdalena über das Anstaltsleben erzählte, war ihr Stoffvorrat unerschöpflich. Mit den verschiedensten Menschen führte sie ihr Beruf zusammen. Mannigfaltige Pfleglinge hat sie gepflegt. Allerhand Erlebnisse aus der alten Zeit waren in ihrer Erinnerung. Gerade die Erlebnisse aus älterer Zeit hafteten am schärfsten in ihrem Gedächtnis. Oft erzählte sie von der Arbeit der Sarataer Schwestern im Militärhospital zu Bendery während des russische-türkischen Krieges 1877-78. Ueber die Einzelheiten aus der Geschichte des Diakonissenhauses konnte man von ihr Aufschluß bekommen. Wohltuend war für sie die letzten Jahre der Ruhe im „Abendfrieden“ Es war ihr eine Ruhezeit vom 26. März 1927 bis zum Todestage, dem 14. Februar 1929, vergönnt. Noch kurz vor ihrem Tode hat sie uns interessante Episoden aus dem Anstaltsleben der früheren Zeit erzählt. Am Abend des 13. Februar saß Schwester Magdalena noch gemütlich im Kreise der älteren Schwestern im „Abendfrieden“. An demselben Abend bekam sie noch Gehirnschlag und ist schon am nächsten Tage den 14. Februar, sanft entschlafen.

Schwester Magdalena Kowalsky wurde am 24. November 1853 in Schlangendorf am Dnjepr, Kirchspiel Alt-Schwedendorf, Gouvernement Cherson, geboren. Sie entstammt einer kinderreichen Bauernfamilie. Im Kreise zahlreicher Geschwister verbrachte sie ihre Kindheits- und Jugendjahre. Alle ihre Verwandten sind in Rußland geblieben. Sie litt bis an ihr Lebensende an dem Elend, das über ihre Verwandten in Rußland infolge des Bolschewismus hereingebrochen war. In ihrem Heimatdorfe besuchte und beendete sie die Dorfschule und wurde im 15. Lebensjahre vom dortigen Kirchspielspastor A. Nordgreen konfirmiert. Mit 21 Jahren trat sie am 13. Juni 1874 als Diakonissenschülerin in das Diakonissenhaus „Alexander-Asyl“ ein. Der Wunsch, Diakonissin zu werden, veranlaßte sie, die Heimat zu verlassen. Bereits im August folgenden Jahres wurde sie Probeschwester. Es wurde ihr als erste größere Aufgabe die Aufsicht und der Unterricht von fünf Waisenmädchen im Mutterhaus übertragen. Dessen ungeachtet nahm sie doch noch am weiteren Unterricht im Diakonissenhause teil, der zu jener Zeit vom damaligen Rektor, Pastor
Katterfeld, und dessen Frau Gemahlin erteilt wurde. Diese Stunden waren bis ins hohe Alter in guter Erinnerung. Nachdem sie nicht ganz zwei Jahre als Probeschwester gearbeitet hatte, ist sie am 5. Mai 1877, am Tage des Jahresfestes der Anstalt, in der Kirche zu Sarata feierlich eingesegnet worden. Noch in demselben Jahre sollte sie den Ernst und bald daraus auch die Gefahr des Dienstes kennen lernen, galt es doch, Verwundete des russisch-türkischen Krieges zu pflegen. Zunächst wurde sie mit drei anderen Schwestern nach Kubej entsandt, um in dem dort eingerichteten Militärlazarett Verwundete zu pflegen.

Nach etwa drei Monaten kam sie in das Hospital zu Bendery, woselbst sie Typhuskranke pflegte. Dabei erkrankte aber sie selbst am Flecktyphus. Nachdem die Krankheit ziemlich überstanden war, kam ein heftiger Rückfall, wobei sie sich noch eine schwere Kniegelenkentzündung zuzog. Nun kam über sie eine längere Lebenszeit. Erst im September 1879 war sie so weit hergestellt, daß sie ihre Arbeit wieder aufnehmen konnte. Jedoch ihr Knie blieb stets. Trotz solch trauriger Erfahrungen zu jener Zeit, vielleicht gerade weil diese Zeit mit ihrer Not für Schwester Magdalena eine Prüfungs- und Bewährungszeit war, erinnerte sich die Verstorbene immer wieder bei Gelegenheit an diese Arbeit der Sarataer Schwestern im Hospital zu Bendery, zumal einige Photographien, welche die in Bendery pflegenden Schwestern mit den von ihnen verpflegten Verwundeten darstellen, im Diakonissenhaus aufbewahrt sind.

Madalena Kowalsky (1853-1929), Grabstein 2018 wieder entdeckt durch die internationale und kulturelle Gesellschaft „Zlagoda“ von Sarata.7

Nach dieser Zeit war Schwester Magdalena mit wenigen Unterbrechungen Jahr für Jahr bald im Mutterhause, bald aus einer Außenstation, bald in Privatpflege tätig. Im Jahre 1880 hat sie im Mutterhause vorübergehend die Diakonissenschülerinnen unterrichtet. Von 1882-1884 vertrat sie die damals abwesende Oberschwester. Zweimal reiste die Verstorbene nach Deutschland. Auf ihrer ersten Reise begleitete sie 1894 Pastor Alfons Meyer, den damaligen Rektor des Diakonissenhauses, der krankheitshalber die Reise unternehmen mußte. Im Jahre 1898 fuhr sie zum zweitenmal nach Deutschland und besuchte dort die Diakonissenhäuser: Bethel bei Bielefeld, Kaiserswerth, Neuendettelsau, Stuttgart und das Elisabeth-Kranken- und Diakonissenhaus zu Berlin. Dieser Aufenthalt in deutschen Diakonissenhäusern wurde zum Segen für ihr ganzes weiteres Berufsleben.

Sie hat bis ins Alter an den dort gewonnenen Eindrücken gezehrt und erinnerte sich stets mit Freudigkeit an jene glückliche Zeit. Nach ihrer Rückkehr aus Deutschland nahm sie mit neuem Eifer wieder ihre Arbeit aus. Diese bestand in folgendem: sie unterrichtete die Diakonissenschülerinnen und besorgte nebenbei die Nähstube und Garderobe. Durch eine Reihe von Jahren stand sie der Oberschwester helfend zur Seite.

Nach dem Tode der Oberschwester Rosine Tröster übernahm Schwester Magdalena im Jahre 1918 den Posten einer Oberschwester des Diakonissen-Mutterhauses. In ihrer Bescheidenheit quälte sie sich oft ab mit dem Gedanken, ob sie diesem Posten gewachsen sei und bedurfte immer wieder der Aufmunterung des Rektors. Schon als Schwester, noch mehr als Oberschwester ging sie ganz in der Sorge um das Diakonissenhaus auf. Über der Sorge um das Wohl der Anstalt und der Schwesternschaft vergaß sie sich selbst. Oft hatte man den Eindruck, daß sie sich zu sehr absorgte. In den letzten Jahren ihrer Tätigkeit sehnte sich Schwester Magdalena nach Ruhe. Im Jahre 1924 durften wir mit ihr zusammen ihr 50-jähriges Berufsjubiläum feiern. Am liebsten hätte sie an jenem Tage schon ihren verantwortungsvollen Posten niedergelegt, mußte aber, weil kein Ersatz vorhanden war, noch 2 Jahre auf ihrem Posten verharren. Am 26. März 1927 konnte sie endlich entlastet werden. An diesem Tage zog sie in den stillen „Abendfrieden“ ein. Sie war sehr glücklich, daß sie noch einige Zeit sorgenlos leben durfte. Fast 2 Ruhejahre waren ihr vergönnt. Auch in dieser Zeit besuchte sie aber rastlos die Alten im Elim, die Kranken im Dorfe, schrieb Briefe an die auf Außenstationen arbeitenden Schwestern. Insbesondere lagen ihr die ohne Verbindung mit dem Mutterhause in Rußland zurückgebliebenen Schwestern unseres Hauses am Herzen. Diese Ärmsten, die gerne hierhergekommen wären, wenn sie gekonnt hätten, versuchte sie durch Briefe aus ihrer alten Heimat zu trösten. Auch wurden die alten Freunde mit Briefchen bedacht. Sie konnte nicht ohne Tätigkeit sein. Der Herr über Leben und Tod hat sie nun zu sich genommen.

Aber ihr Leben möchte ich den 6. Vers des 16. Psalms setzen: „Das Los ist mir gefallen aufs Liebliche: mir ist ein schön Erbteil worden.“ Sie wird wohl noch lange in unserem Gedächtnis sowie im Gedächtnis manches Lesers als treue Arbeiterin im Weinberge des Herrn bleiben. Möge ihre Saat Frucht bringen. Wir gönnen ihr von Herzen das liebliche Los in der Ewigkeit.
Pastor G. Winger.6


Lina Farr (1890-1928), Grabstein 2018 wieder entdeckt durch die internationale und kulturelle Gesellschaft „Zlagoda“ von Sarata.7

1 Deutscher Volkskalender für Bessarabien 1937 S. 88; Deutsche Nationalbibliothek Leipzig ZA 2111 J. Fiechtner: Das Alexander-Asyl zu Sarata, Ein Gedenkblatt zu seinem 70-jährigen Bestehen (1866-1936), Sarata, S. 88-92
2 Deutscher Volkskalender für Bessarabien 1937 S. 88; Deutsche Nationalbibliothek Leipzig ZA 2111 J. Fiechtner: Das Alexander-Asyl zu Sarata, Ein Gedenkblatt zu seinem 70-jährigen Bestehen (1866-1936), Sarata, S. 88-92
3Deutscher Volkskalender für Bessarabien 1937 S. 93; Deutsche Nationalbibliothek Leipzig ZA 2111 J. Fiechtner: Das Alexander-Asyl zu Sarata, Ein Gedenkblatt zu seinem 70-jährigen Bestehen (1866-1936), Sarata, S. 88-92
4 In der russischen Armee gibt es den Feldscher als unterste Stufe des Militärarztes noch heute, sie waren als Wundärzte oder Militärchirurgen auch in Deutschland bekannt. In der Sowjetunion und im heutigen Russland war und ist der Feldscher auch im zivilen Bereich als medizinische Hilfskraft tätig (oberhalb einer Krankenschwester, unterhalb eines Assistenzarztes angesiedelt) – vorzugsweise in ländlichen Gebieten. Er hält selbständig Sprechstunden ab. Auch in Deutschland gab es bis 1950 medizinisches Personal, das in seiner Ausbildung unterhalb des approbierten Arztes angesiedelt war und im Alltag selbständig Behandlungen durchführte: Arzthelfer (nicht mit dem heutigen Beruf vergleichbar) und Dentisten. Ein Haupteinsatzgebiet ist die Medizinische Prophylaxe (Hygiene) und die Medizinische Grundversorgung. Schwerere Fälle überweisen sie an die nächst höhere Stufe der medizinischen Versorgung, vorzugsweise Krankenhäuser. Die Feldscher wurden und werden in Russland in dreijährigen Fachschulen ausgebildet, sie besitzen eine vorausgehende Schulbildung, die dem deutschen Abitur vergleichbar ist. Nach einer 2-3 jährige Praxisphase schließt sich für künftige approbierte Mediziner ein 5-6 jähriges Hochschulstudium an, ehe sie als Ärzte (Assistenzärzte) in Kliniken wechseln. Dort erfolgt wie in Deutschland die Weiterqualifikation zum Facharzt (Oberarzt, Chefarzt). Approbierte Ärzte arbeiten auch als niedergelassene Ärzte.
5Deutscher Volkskalender für Bessarabien 1930 S. 61; Deutsche Nationalbibliothek Leipzig ZA 2111
6 Abschrift Nachruf: Deutscher Volkskalender für Bessarabien 1930 S. 61-63; Deutsche Nationalbibliothek Leipzig ZA 2111 Pastor G. Winger Oberschwester Magdalena Kowalsky
7 Grabsteinfotos: Die internationale und kulturelle Gesellschaft „Zlagoda“ von Sarata (ЗЛАГОДА САРАТА) entdeckte die Grabsteine wieder und legte den deutschen Friedhof Sarata  neu an: Pressemeldung vom 28. September 2018 В Одесской области восстанавливают старинное лютеранское кладбище

Gründerfamilien Sarata 1821

Liste der Gründer von Sarata nach erster Hofvergabe, Kleinhäusler ohne eigenen Hof
Hof Nr.NachnameNameHerkunft
1ScherzingerAloisiusGütenbach/ Furtwangen (Baden)
1 Kleinhäusler
SchöchChristianLandsberg/ Lech (Bayern)
2SchäferHeinrichFurtwangen (Baden)
2 Kleinhäusler
HohenleitnerRosinaBürgen/ Landsberg (Bayern)
3SchaufelbergerJohann JakobBächingen/ Dillingen (Bayern)
4OffenwangerLeonhardGundremmingen/ Dillingen (Bayern)
5NilleLeopoldWeißenstein (Göppingen)
7EckertChristoph FriedrichStetten/ Waiblingen (Württemberg)
8MackSalomonBrenz/ Heidenheim (Württemberg)
9SeyfriedJohannesGundelfingen (Günzburg)
10SessleJohannesBächingen/ Dillingen (Bayern)
11KeckHeinrich AlbertHermaringen/ Heidenheim (Württemberg)
12WaldenmajerJakobSontheim a.d. Brenz (Heidenheim)
13HobbacherJosefph Antonius
Bühl (Günzburg)
14BaumgärtnerGeorg BalthasarOberkochen (Aalen)
15SessleJohann PeterBächingen/ Dillingen (Bayern)
16HäusslerJohann GeorgKittental/ Wertingen (Bayern)
17HäusslerJohann MichaelKittental/ Wertingen (Bayern)
18KastlerJohannesBächingen/ Lauingen (Bayern)
19SchaufelbergerMargarethaBächingen/ Lauingen (Bayern)
20StäudleVitusHerbrechtlingen (Heidenheim)
21BlatterJohann BalthasarGundelfingen (Günzburg)
22MattJohann GeorgGundremmingen (Dillingen) 
23BandelJohann MelchiorHaunsheim (Dillingen)
24MautzPhilipp HeinrichHerbrechtingen/ Heidenheim (Württemberg)
25BrennerJohannes BaptistaLauingen/ Dillingen (Bayern)
26IllgErasmusGundelfingen (Günzburg)
27MüllerThomasGundelfingen (Günzburg)
28OsswaldKasparGundelfingen (Günzburg)
29GeigleFriedrichHermaringen (Heidenheim)
30BachmannJohannesMindeltalheim/ Burgau (Bayern)
31UnterscherAlbertusLauingen/ Dillingen (Bayern)
32RossmannJohannesHerbrechtingen/ Heidenheim (Württemberg)
33PaulinJohannGundelfingen/ Günzburg (Bayern)
34MichelGeorgNeustätten/ Ulm (Württemberg)
35SchmuckerAntonOffingen Günzburg (Bayern)
36WiedmannJosephGundelfingen/ Günzburg (Bayern)
37KellerJohannesBächingen/ Lauingen (Bayern)
38KellerPhilippBächingen/ Lauingen (Bayern)
39SchönherrJohann GeorgGundelfingen/ Günzburg (Bayern)
40WölfleJosefGundelfingen/ Dillingen (Bayern)
41KellerJohann MartinSontheim/ Heidenheim (Württemberg)
42BoschGeorgAsselfingen (Ulm)
43SchmuckerJohann GeorgOffingen/ Günzburg (Bayern)
44BoeckJohann GeorgGundremmingen/ Günzburg (Bayern)
45GeßlerChristianSontheim a.d. Brenz (Heidenheim)
46WagnerJohann MichaelBächingen Lauingen
47DeisingerJohann MartinGiengen (Heidenheim)
48BiedenbachAndreasSontheim (Heilbronn)
49BücheleJohann PaulusBrenz (Heidenheim)
50MeyerJohann GeorgHaunsheim/ Lauingen (Bayern)
51StrehleJohannesSchnuttenbach/ Burgau (Bayern)
52HommelGeorgBrenz (Heidenheim)
53BraunChristianusAsselfingen (Ulm)
54KellerJohann GeorgBächingen/ Lauingen (Bayern)
55RosenwirtXaverBachhügelburg/ Lauingen (Bayern)
56SessleJakob FriedrichBächingen/ Lauingen (Bayern)
57SchwarzmannJosephusGundremmingen (Dillingen)
58SchmidtMatthäusGundelfingen/ Günzburg (Bayern)
60KnöpfleKarl Baiershofen/ Dillingen (Bayern) 
61BairMichaelGundremmingen/ Dillingen (Bayern)
62BendeleJakob FriedrichBächingen (Dillingen)
63BenderPhilippMariental/ Rockenheim (Pfalz)

Quelle:

Gau Bessarabien 1939

Politisch waren auch die Bessarabiendeutschen zu einem Gau zusammen geschlossen, um ihr Volkstum zu stärken und ihre Kinder und Jugendlichen im Sinne des Nationalsozialismus zu erziehen. Entsprechend entstanden neue Jugend- und Kulturvereine, die bestehenden wurden in das System einer straffen Jugenderziehung eingegliedert.

Banater Deutsche Zeitung ; Timişoara; 29. 11. 1936, Nr. 18, S. 3

Sitz der Volksgemeinschaft der Deutschen in Rumänien war Tarutino. Das Gebiet wurde in sieben Kreise unterteilt, an der Spitze jeweils ein Kreisobmann.

Abbildung aus: Das Deutschtum in Bessarabien, Dr. K. Stumpp S. 9
Dr. Otto Broneske, Gauleiter1

Die Gauleitung Bessarabiens (Stand 1.12.1939):

  • Gauleiter: Dr. Otto Broneske, Tarutino
  • Stellvertreter des Gauleiters: Prof. Johannes Wagner, Sarata
  • Gaugeschäftsführer: Rechtsanwalt Viktor Mauch, Tarutino

Die Gauwalter:

  • Gau-NAF-Leiter: Rechtsanwalt Viktor Mauch, Tarutino
  • Gauleiterin des Mutterdienstes: Dr. Alma Bierwag, Tarutino
  • Gaubauernführer: Dr. Artur Reimann, Arzis
  • Leiterin des Gaufrauenamts: Dr. Alma Bierwag, Tarutino
  • Gaujugendführer: Lehrer Christian Fieß, Tarutino
  • Leiter des Gauamts für Kirchen- und Schulfragen: Prof. Johannes Wagner, Sarata
  • Leiter des Gaukulturamts: Prof. Herbert Koch, Tarutino
  • Leiter des Gauamts für Leibesübungen: Dipl. Sportlehrer Fr. Busse, Tarutino
  • Leiter des Gauamts für Nachbarschaftswesen: Gauhann Otto Keck, Tarutino
  • Leiter des Gauamts für Presse und Propaganda: Dr. Ing. Hugo Erdmann, Tarutino
  • Leiter des Gauschatzamts: Herbert Küst, Tarutino
  • Leiter des Gauamts für Schiedsgerichtswesen: Rechtsanwalt Gerling, Tarutino-Akkerman
  • Leiter des Gauamts für Statistik und Sippenwesen: Prof. Artur Fiechtner, Tarutino
  • Leiter des Gauamts für die Vertretung bei den Behörden: Rechtsanwalt Viktor Mauch, Tarutino
  • Leiter des Gauamts für Volksgesundheit: Dr. med. Albert Necker, Tarutino
  • Leiter des Gauamts fürWirtschaft und berufsständige Fragen: Dr. Otto Broneske, Tarutino

Die Kreiswalter:

  • Mannsburg: Lehrer a. D. Friedrich Herberg, Basyrjamka
  • Sarata: Fabrikbesitzer Emanuel Heer, Sarata
  • Arzis: Versicherungsdirektor Christian Flaig, Arzis
  • Tarutino: Rechtsanwalt Otto Kehrer, Tarutino
  • Neu-Sarata: Artur Keck, Fürstenfeld II
  • Albota: Ing. Karl Wilske, Basyrjamka
  • Tighina: Lehrer a. D. Emanuel Strohschein, Lunga

Quelle: Sonderdruck des Rassepolitischen Amtes der NSDAP, Reichsleitung Berlin W 15, Sächsische Straße 69; Das Deutschtum in Bessarabien, Dr. K. Stumpp, S. 8f
1 Jahrbuch (Kalender) der Deutschen Bessarabiens 1940, im Auftrag der Gauleitung – herausgegeben vom Presseamt, Druckerei „Union“ Samuel Heier Tarutino; Druckerei und Verlagsanstalt Karl Liebram Tarutino; S. 50

Erzählungen der Maria Strehle, 1881 Sarata 13-17


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Lindl in Sarata

Während nun Lindl vom 20. März 1822 bis Dezember 1823 also ungefähr 1 ½ Jahre in Sarata treulich sein Amt verwaltete, strömten die Leute ebenso wie in Deutschland, von allen Kolonien herbei, um seine Predigten zu hören. Aber auch hier gab sich die katholische Geistlichkeit alle Mühe ihn zu verdrängen. Seine Briefe, die er nach Deutschland an seine Freunde schrieb, gingen von Hand zu Hand und fielen endlich in die Hände der Spione, welche dieselben an die höhere Geistlichkeit beförderten, und diese verleumdeten ihn aufs gefährlichste beim russischen Kaiser. Sogar der österreichische Minister Metternich, welcher einer der gefährlichsten Jesuiten war, schrieb an den russischen Kaiser, dass Lindl ein staatsgefährlicher Mensch sei, indem er das Volk aufwühle und Revolution stifte, auch sich im Geheimen verheiratet habe. Ausserdem hatten sie an der höheren Geistlichkeit in Petersburg, insbesondere der Jesuiten, ihre Helfer, welche alles Mögliche beim Kaiser anwandten, ihn abzuschaffen, so dass derselbe endlich nachgeben und ihn, trotzdem dass er sein Gönner war, aus dem Lande verweisen musste. Aber dennoch nahm er ihn in Schutz, denn es wurden ihm eine Abteilung Kosacken mitgegeben, die ihn zum Schein über die Grenze bringen, aber mehr beschützen mussten, da man ihm überall nachstellte. Die Jesuiten warteten auf ihn an der Grenze, er aber schlug einen anderen Weg ein und kam glücklich nach Berlin, wo sie ihm nichts mehr anhaben konnten, in einer evangelischen Gegend, Preussen nahm sich von jeher der von den katholischen (Fluch) verfolgten Flüchtlingen an. Demnach war Lindl im Ganzen 4 Jahre in Russland. Ein Jahr in Petersburg, 1 ½ Jahre in Odessa und 1 ½ Jahre in Sarata. Von Lindls Abreise aus Sarata, schreibt als Augenzeuge, Schullehrer Kludt folgendes:

An einem regnerischen Dezembersonntag 1823 ging ich zu Lindl. Auf dem Divan ruhend unterhielt er sich freundlich mit mir. Ich bemerkte aber dabei eine kleine Betrübnis an ihm, die ich jedoch körperlicher Müdigkeit zuschrieb, als sich plötzlich eine Postglocke hören liess. Ich sah durchs Fenster und sagte, es hielte ein Wagen vor dem Pfarrhause, worauf Lindl aufsprang und nach der Thüre eilte. Herr Guldenschanz, der Adjutant vom General und ein fremder Herr, den ich nicht kannte, trat ein und ich entfernte mich. In der Abendversammlung war ich nicht, hörte aber, Lindl sei betrübt gewesen und habe das Lied: „Ist alles dunkel um mich her“ singen lassen, aber niemand ahnte was bevorstand.

Morgens versammelte sich die Gemeinde zur Frühlehre im Betsaale, man wartete lange, Lindl kam nicht. Endlich erblickte ich durch die ein wenig offenstehende Nebenthüre, die aus dem Betsaale in die Pfarrzimmer führte, einen von Lindls Knechten, unter Händeringen heftig weinen, und die der Thür zunächst sitzenden Mädchen fingen auch an zu weinen. Ich erschrak, eilte durch den Saal zu jenem Knechte und fragte „Was gibts?“ Was ist geschehen?“ Kaum konnte er vor weinen die Worte hervorbringen: „Ach unser lieber Pfarrer muss fort!“ „Wie? Aus dem Lande?“ Antwort: „Ja.“

Nun hatte ich genug. Ich eilte in den Saal zurück auf meinen Platz aber die ganze Versammlung schwamm in Thränen. Endlich erschien Joseph Strehle, Candidat der Theologie, vor dem Altar und versuchte eine tröstende Ansprache, deren er freilich selbst bedurfte, an die Gemeinde zu halten, wurde aber wenig gehört. Der Saal wurde verlassen. Was im Pfarrhause war weinte: wo man Leute auf der Strasse sah, die weinten. Weinend ging man den Tag über im Pfarrhause ab und zu. Lindl selbst hatte ganz rothgeweinte Augen.

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Zwei oder drei Tage vergingen mit Rüstungen zur Reise, und der Uebergabe Rechnungen, Gelder und des Kirchen-Archivs. Als alles fertig und der Reisewagen vor dem Pfarrhause stand (10 Uhr morgens) verkündigte auf einmal das einzige kleine Glöcklein auf dem Betsaal in traurigen, feierlichen und doch schneidenden Klängen der Gemeinde die Abreise ihres lieben Pfarres und es erfolgte ein Auftritt, den ich nie vergessen werde.

Von allen Ecken und Enden kam Alt und Jung, Klein und Gross, nicht gegangen, sondern buchstäblich gelaufen. In einigen Minuten stand die ganze Gemeinde vor dem Pfarrhause. Alles weinte, manche überlaut. Man drängte sich ins Vorhaus und Zimmer in dem Lindl war. Er aber tröstete sie: „liebe Kinder, der Heiland bleibt bei euch, wenn ich auch fort muss; haltet euch an Ihn und fügt euch in seinen Willen, wir werden uns Wiedersehen.“ Jeder streckte die Arme nach ihm aus, und war bemüht seinen Dank auszusprechen, ihm den Abschiedskuss zu geben und das letzte Lebewohl zu sagen.

Ich als Fremder hielt mich von der Gemeinde etwas entfernt, konnte aber daher desto besser das Ganze übersehen. Endlich gelang es ihm, sich durch die Menge durchzuwinden; er sprang auf den Wagen, in dem seine Frau Elisabeth, sein Söhnchen Samuel und das Kindermädchen Viktoria sassen, entblösste das Haupt, erteilte im Wagen stehend der Gemeinde den Abschiedssegen mit gehobenen Händen und macht den Wagenschlag zu. Guldenschanz und der fremde Herr fuhren vor, Lindls Wagen setzte sich in Bewegung und die ganze Gemeinde begleitete ihren scheidenden Pfarrer unter Glockengeläute und lautem Weinen bis vor die Kolonie hinaus. Auf dem Berge vor der Kolonie setzten sich die Wagen in Trab, die Gemeinde blieb zurück. Einige Jünglinge liefen neben Lindls Wagen her, zuletzt ich allein. Lindl reichte mir die Hand und hiess mich zurückgehen.

In den ersten Tagen der Abreise Lindls von Sarata, kam ein Trostschreiben von Gossner aus Petersburg an die Gemeinde Sarata an, welches öffentlich vorgelesen wurde. Auch Gossners Freunde in Petersburg bemitleideten die Gemeinde Sarata herzlich und schickten ihr später ein silbernes Abendmahlsgerät als Zeichen ihrer brüderlichen Liebe und Freundschaft, dessen sie sich noch heute bedient.

Im nächsten Jahr 1824 trat Lindl in Berlin öffentlich zur evangelischen Kirche über. Aus einigen Abschriften seiner Briefe war zu sehen, dass er mit Sicherheit darauf rechnete, wieder nach Sarata zu kommen, da der russische Minister Fürst Galizin sich für ihn verwandte, aber es blieb ohne Erfolg. Wie lange er in Berlin verweilte ist mir unbekannt. Von dort reiste er nach der Schweiz zu Jakob Wig (Wirz), welchem es gelang ihn ganz auf separatistische Wege zu bringen. Von dort wendete er sich nach der Stadt Barmen bei Elberfeld in Preussen, wo er eine kleine Separatistengemeinde bis an sein Ende bediente.

Er starb wahrscheinlich am letzten Februar 1846 da blos der Begräbnistag aber nicht Sterbetag angegeben ist.

Zwei Monate vor seinem Ende, als er noch gesund war, besuchte ihn ein Freund, welchem er beteuerte, dass er noch das tausendjährige Reich erleben werde; aber er musste bald erfahren, dass er sich täuschte. Also hatte sich dieser hochbegabte und feurige Prediger durch diese Schwärmer verwirren lassen. Als ihm die Augen über die Blindheit der katholischen Lehre aufgingen, verfehlte er in seinem Eifer gleich von vornherein das Richtige. Da er von der katholischen Kirche überall verfolgt wurde, und wie ein Wild, das von den Hunden gejagt wird, nicht weiss wo es hinläuft und da er mit diesen Schwärmern zusammentraf, so glaubte er das Richtige gefunden zu haben.

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Ueber Lindls Beerdigung wurde von einem seiner Freunde in einem Blatte folgendes mitgeteilt:

Den 2. März 1846 war bei dem Begräbnis des lieben mir unvergesslichen Lindl, kein einziger Prediger zugegen und ausser den Gliedern seiner kleinen Gemeinde begleiteten ihn nur wenige Freunde zur letzten Ruhestätte. Der Zug bestand, mit den Trägern, aus 38 Personen. Der Sarg kam in das Grab auf seine Frau zu stehen unter einer Eiche in der Mitte des Unter-Barmer-Kirchhofs. Der Comtorist B. sprach ein solch gesalbtes Gebet, dass es einem Prediger Ehre gemacht hätte. Lindl war ein halbes Jahr jünger als Gossner, demnach wurde er geboren 1774, welchen Tag ist mir unbewusst. Er brachte also sein Alter auf 71 Jahre. Martin Boos war 11 Jahre älter als Gossner und wurde den 25. Dezember 1762 in Christnacht in Huttenried geboren. Seine Eltern waren wohlhabende Bauersleute, starben aber beide in einer Zeit von 14 Tagen, als er 4 Jahre alt war. Er hatte 15 Geschwister, wovon 4 vor den Eltern starben.

Martin kam zu seinem Onkel nach Augsburg, welcher ihn auf zureden seiner Lehrer und in Betreff guter Zeugnisse studieren liess, welches auch Martins inniger Wunsch war. Er kam auf die Universität nach Dillingen, wo ihm unter der Leitung des Professors Sailer das evangelische Licht aufging. Durch seine Predigten wurden ganze katholische Ortschaften erregt. Doch hatte er auch sein ganzes Leben hindurch nur Verfolgung und Gefängnis zu dulden. Er starb den 29. August 1825 im Alter von 62 Jahren 8 Monaten und 4 Tagen.

Johannes Gossner wurde den 12. Dezember 1773 geboren, im Dorfe Hausen bei Gensburg in Baiern. Er war ebenfalls ein Bauernsohn wohlhabender Eltern. Da aber sein Vater ertrank, wurde das Vermögen schlecht verwaltet, so dass er mittellos seine Studien ausführen musste. Er kam gleichfalls nach Dillingen woselbst er ein Jahr sich dem Studium der Philosophie widmete. Von dort ging er auf die Universität Ingolstadt (und studierte Theologie), denn man fing schon an aus Dillingen die Evangelischen Professoren zu vertreiben, worunter Sailer der vorzüglichste war. Letzter befand sich im Ganzen 10 Jahre als Professor in Dillingen. Gossner wurde noch bekannt mit ihm und kam durch ihn zur Erkenntnis. Er war nicht bei seinen Vorlesungen, weil er in Dillingen Philosophie studierte, aber dennoch verkehrte er mit ihm und kam durch ihn immer mehr auf den rechten Weg.

Sein Lebenslauf ist sehr interessant zu lesen, was dieser Mann bis ins Alter von 84 Jahren gearbeitet hat, wie nicht leicht ein zweiter aufzuweisen ist. Er übersetzte die Bibel ebenso wie Luther und gab ein Gesangbuch heraus. Gossners Schatzkästchen findet man in aller Welt Gegenden. Sogar die verstorbene russische Kaiserin führte es bei sich wenn sie sich auf Reisen befand. Zu seinen Anhängern in Petersburg gehörten Fürsten und Grafen, ja auch sogar der Kaiser. Dass der Kaiser Alexander I für diese Prediger so sehr eingenommen war, und überhaupt die Deutschen lieb gewann, kam daher, dass er durch den Krieg 1812 in Deutschland mit vielen christlichen warmem Männern bekannt wurde, ebenso auch Minister Fürst Galizin, welcher damals über die kirchlichen Angelegenheiten gesetzt war, und solche Männer wie Gossner und Lindl suchte. Durch die Errettung Russlands von den Franzosen war der Kaiser tief gebeugt und sah ein, dass nicht seine Macht, sondern die Hilfe Gottes durch den strengen Winter ihn gerettet habe. Er war sehr religiös und gottesfürchtig und hielt viel auf die evangelische Lehre. Daher kam es auch, dass die Verbreitung der Bibel in Russland gleich nach dem Friedensschluss gestattet wurde. Vor Gossners Zeiten war dieselbe noch sehr mangelhaft, er aber verbreitete von Petersburg aus, tausende von Bibeln.

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Er wurde von der (evangelischen) englischen Bibelgesellschaft unterstützt und wurde ihm von dieselben 2 Pressen unentgeltlich geschickt. Dadurch wurde die russische und katholische Geistlichkeit dermassen empört, dass sie den Kaiser so in die Enge trieben, dass er gezwungen war, um seine eigene Person zu schützen, endlich nachzugeben.

Auch hier spielte der österreichische Minister die Schlange, indem er den russischen Kaiser versicherte, dass diese Leute auf kirchlichem Wege unter dem Volk Empörung zu stiften suchen. Die höhere Geistlichkeit und Jesuiten von demselben (Metternich) unterstützt, ruhte nicht, bis auch Gossner aus dem Lande war und sein bester Gönner, Minister Fürst Galizin, abgesetzt, und die Bibelverbreitung wieder verboten wurde.

Vor Gossners Abreise aus Petersburg schickte ihm der Kaiser 1000 Rub. als Reisegeld und liess ihm sagen, dass er nur durch die Umstände genötigt sei und in seine Verweisung aus dem Lande gewilligt habe. Auch von anderer Seite strömten reichliche Unterstützungen zu.

Bei seiner Abreise war das Haus und die ganze Strasse hin mit Menschen besetzt, welche alle mit Thränen in den Augen sich herzudrängten um von ihm Abschied zu nehmen. Eine Reihe von Wagen begleitete ihn bis zur nächsten Station, wohin schon Hunderte voraus geeilt waren, Gossner noch einmal zu begrüssen. In Deutschland hatte er noch schwere Jahre durchzumachen, denn er wurde überall von der katholischen Geistlichkeit verfolgt, so dass er sich endlich entschloss zur evangelischen Kirche überzutreten. Er hatte aber noch immer schwere Zeiten, denn von einer Kirche war er ausgestossen und von der anderen nicht geachtet, bis es ihm endlich gelang, durch unermüdliche Arbeit, sich bei der evangelischen Kirche Namen zu erwerben. Als er endlich in Berlin eine bleibende Stelle gefunden hatte, gründete er ein Krankenhaus, welches unter dem Namens Elisabeth Krankenhaus noch fortbesteht.

Ebenso errichtete er ein Missionshaus und alles aus freiwilligen Beiträgen. Er sandte 140 Missionare aus, die bei ihm ausgebildet wurden, teilweise nach Indien und nach den entlegendsten Gegenden, welche vorher selten ein Missionar betreten hatte. Dieses alles leitete er bis zu seinem Ende. Er starb Dienstag den 20. März 1850 und wurde am Karfreitag beerdigt. Sein Alter war 84 Jahre, 8 Monate und 12 Tage.

Sein Begräbnis fand mit grossartiger Ceremonie statt. Jeder von den vielen Geistlichen hielt eine Rede. Generalsuperintendent Buchsel hielt eine Grabrede und die Menge Menschen, welche ihn begleiteten, konnte die Kirche lange nicht fassen.

Das wäre die Schilderung der Männer, welchen wir die Befreiung vom päpstlichen Joch zu verdanken haben.

Sämtliche Pastoren, welche in Sarata waren:

1.Ignaz Lindl 2. Josef Strehle, damals Kandidat

3. Lesedov 4. Breitenbach von 1840 bis 1848

5. Georg Behning von März 1852 bis 23. März 1875

6. Katterfeld 7. Meyer.

Der Grossvater Johannes Strehle wanderte mit seiner Familie bestehend aus Frau und vier erwachsenen Söhnen nach Russland ein. Sein Haus und Land musste er um billigen Preis verkaufen, denn da so viele auf einmal auswanderten, so wurden die Preise heruntergedrückt und alles kam in die Hände der Juden, welche boten, was sie wollten. Daher kam es auch, dass die meisten, bis sie an Ort und Stelle waren auch mit ihrem Gelde zu Ende waren.

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Im Jahre 1864 bei meiner Durchreise sagte mir der jetzige Besitzer, des väterlichen Hauses, dass er es jetzt für 30.000 Gulden verkaufe. Der Vater Johannes Strehle wurde geboren den 16. Oktober 1797 in Schnuttenbach bei Gensburg in Baiern an der Donau, Landgericht Burgau.

Er war 3 ½ Monate jünger als die Mutter. Sie verheirateten sich das Jahr nach der Ansiedlung, den 5. März 1823. Getraut wurden sie von Lindl. Der erste Sohn Johannes wurde geboren den 10. März 1826, getauft den 11. März. Er verheiratete sich den 13. Mai 1852 mit Katharina geborene Fiess.

Franziska, das zweite Kind wurde geboren Sonntag den 1. August 1827 getauft den 2. August. Sie verheiratete sich den 15. Oktober 1851 mit Lehrer Georg Schweyer.

Magdalena, das dritte Kind, wurde geboren Mittwoch den 23. Januar 1829 getauft den 24. Januar. Sie verheiratete sich den 17. Mai 1855 mit Friedrich Becker Seifensieder in Odessa.

Katharina, das vierte Kind, wurde geboren Dienstag den 2. Dezember 1830, getauft den selben Tag. Sie verheiratete sich mit Johannes Bossert, damals Schreiber in Klöstitz, den 30. Juni 1853 und starb den 25. Dezember also am 1. Weihnachtsfeiertage 1 Uhr Mittags.

Maria, das fünfte Kind, wurde geboren Mittwoch den 19. Januar 1833 getauft den 20. Januar. Sie verheiratete sich den 25. September 1855 mit Karl Frische in Kischinew, Sattler.

Christina, das sechste Kind, wurde geboren Montag den 24. September 1834 getauft den 25. September. Sie verheiratete sich mit Jakob Höllwarth in Gnadenthal den 31. Januar 1858. Sie starb den 23. Mai 1862 und hinterließ eine Tochter Katharina.

Marianna, das siebte Kind wurde geboren Dienstag, den 29. Juni 1837 getauft den 31. Juni.

Elisabeth, das 8. Kind, wurde geboren den 24. Januar 1839 getauft den 28. Januar und starb den 5. April 1839 also erreichte sie blos 2 Monate und 11 Tage.

Alois,das neunte Kind, wurde geboren Mittwoch den 26. Dezember, also am 2. Weihnachtsfeiertage 1840, getauft den 27. Dezember von Pastor Breitenbach, konfirmiert von Pastor Behning den 8. April 1856.

Im Jahre 1857 bekam der Vater Johannes Strehle einen Nervenschlag, worauf er nur noch mühsam gehen konnte, was sich jedes Jahr wiederholte. Im Jahre 1863 musste er sich ganz legen und starb den 12. November, dasselbe Jahr, im Alter von 60 Jahren und 27 Tagen.

Des Vaters zweiter Bruder Jakob Strehle wurde geboren den 2. Februar l802 und starb den 23. Mai 1880 im Alter von 78 Jahren 3 Monaten und 19 Tage.

Nach einem Aufenthalt von 6 Jahren in Russland, zogen die beiden jüngeren Brüder Josef und Anton wieder nach Deutschland aber nicht mehr nach Baiern, sondern nach Preussen, wo Josef als Pastor in Lockwitz angestellt wurde und sich später in Grochwitz bei Herzberg zur Ruhe setzte. Dort besuchte ich ihn im Jahre 1863 und 1864. Von der ersten Frau hatte er zwei Söhne, Samuel und Nathanael, welche aber damals schon lange tot waren. Sie starben beide mit 17 Jahren.

Von der dritten Frau hatte er eine Tochter namens Helene, die ungefähr im Jahre 1860 geboren wurde.

Bei meinem Besuch war sie ungefähr 3 Jahre. Sie starb im Jahre 1868 im Alter von 63 Jahren Anton der jüngste besass in Breslau ein Kaufmannsgeschäft, lebte in guten Verhältnissen. Er starb ein Jahr vor seinem Bruder Josef ungefähr im 60. Lebensjahre. Seine drei Söhne waren: der älteste Ferdinand, Pastor in Schlesien; der zweite Josef war Direktor in einer Zuckerfabrik in Polen; der dritte Anton, erlernte die Kaufmannschaft. Da er aber kränklich war, so verordneten ihm die Aerzte das Klima zu verändern, worauf er nach Amerika reiste, woselbst er wahrscheinlich an der Schwindsucht starb, denn man hörte nichts mehr von ihm.


fortsetzung

Erzählungen der Maria Strehle, 1881 Sarata 18-19


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Was nun mein Schicksal anbetrifft, so war dasselbe sehr abwechselnd. Schnell wie ein Traum sind mir über 40 Jahre verflogen, kaum dass mir noch die Erinnerung an die schöne Jungendzeit, welche nie mehr wiederkehrt, bleibt und welcher der Mensch mit reumütigem Herzen nachsieht, gleich einem Schattenbild das vor seinen Augen verschwunden ist. Wenn man sich in das menschliche Leben recht hineindenkt, so ist es mit den vier Jahreszeiten zu vergleichen. Die Kindheit ist der Frühling, wo der Mensch als Kind hoffnungsvoll mit lauter Luftschlössern umgeben in die Zukunft blickt.

Die schöne Jugend ist der herrliche Mai, wo man vom Glücke berauscht, eine ganze Strasse von Rosen vor sich sieht, welche sich aber später alle in Dornen verwandeln, und ohne zu bedenken, wie schnell diese Zeit entflieht, wird sie oft so leichtsinnig verschwendet, und die drückende Sommerhitze macht mit ihren Beschwerden heran, das ist das Mannesalter, wo Kummer und Sorgen die Spuren der Jungend verwischen; ebenso folgt der unfrendliche Herbst, wo die Kräfte schwinden und Gebrechen sich einstellen.

Endlich erscheint der harte Winter, wo die trüben Tage kommen, von denen es heisst, sie gefallen mir nicht und wo man seiner Umgebung übrig ist, so ist alles wie ein Traum.

Nachdem ich die Schuljahre bei Lehrer Naterer hinter mir hatte, kam ich in die Lehre nach Odessa zu Schlossermeister Rieb, anfangs September 1856. Meine Lehrzeit war 5 Jahre bis 12. November 1861. Nachdem arbeitete ich noch daselbst als Geselle bis 1. Mai 1862. Dann ging ich in die Fabrik Belliner Fendrich, wo ich bis zum 14. Oktober arbeitete. Elf Tage später, den 23. Oktober reiste ich zu Wasser nach Deutschland und kam den 26. November (nach deutschem Kalender) nach Wien. Nachdem ich mir daselbst verschiedene Sehenswürdigkeiten angesehen hatte, fuhr ich über Dresden nach Herzberg zu Onkel Josef Strehle wo ich mich zwei Wochen aufhielt. Von dort reiste ich nach Wittenberg, ein kleines Städtchen, aber berühmt als der Aufenthaltsort Luthers, dessen Wohnung ich besuchte, welche sich noch im selben Zustande befindet, wie er sie verlassen hatte. Dieselbe ist sehr einfach und klein und besteht bloss aus zwei nicht grossen Zimmern und einem Vorzimmer. Es ist kein Vergleich mit den Wohnungen unserer jetzigen Geistlichen. Am Fenster auf einer Stufe stehen zwei einfache Stühle von Fichtenholz, welche weder gepolstert noch gestrichen sind. Daselbst soll er gewöhnlich mit seiner Frau gesessen haben, wenn er von seiner Arbeit ausruht. An der Türe des Vorzimmers hatte einst Peter der Grosse bei seiner Durchreise, da er Luthers Wohnung besuchte, mit Kreide seinen Namen geschrieben, wo dann ein Glas darauf gemacht wurde, noch heute wie frisch geschrieben, der Name zu lesen ist. Nebenan befindet sich das Haus, wo einst Melanchton wohnte. Von dort liess ich mich in die Schlosskirche führen, wo Luther und Melanchton beerdigt liegen und wo Luther auch predigte. Sie liegen mitten in der Kirche, mit dem Fussboden zugleich, über jedem eine Türe, die zum aufmachen ist und unter denselben eine Marmortafel mit der Grabschrift. Zum Andenken kaufte ich mir die Photographie von der Kirche, sowie ein Siegel mit seinem eigenen Petschaft aufgedrückt.

Auch die 95 Sätze welche er gegen den Papst schrieb.

Vor der Stadt steht die sogenannte Luthereiche, welche zum 300 jährigen Jubileum auf derselben Stelle gepflanzt wurde, auf welcher Luther die päpstliche Bulle (Bälle) oder Gesetze verbrannte. Von dort fuhr ich über Göthen, Dessau, Magdeburg und Halberstadt nach Berlin. Dort angekommen den 7. Dezember 1863, arbeitete ich in der Maschinenfabrik Schwarzkopf vom 12. Dezember 1863 bis 25. Januar 1864. Vom 27. Januar

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bis zum 29. August arbeitete ich in der Fabrik Borsig, wo die Lokomotive für die Odessaer Bahn gebaut wurde. Von da aus besuchte ich die Verwandten in Breslau. Onkel Anton Strehle, dann seinen Sohn Ferdinand, Pastor in Lüben, sowie die Verwandten in München. Von dort reiste ich nach Wien und arbeitete in der Fabrik Cleyton und Schutlewort vom 26. September bis 16. Oktober 1864. Von dort fuhr ich mit der Bahn nach Pert (Pest) von wo aus ich mit dem Schiff nach Odessa fuhr, woselbst ich nach russischem Kalender den 16. Oktober 1664 ankam.

Denselben Monat trat ich bei der Odessaer Eisenbahn ein, welche damals gebaut wurde, und fuhr 11 Monate als Heizer bis den 28. September 1865. Dann wurde ich examiniert als Lokomotivführer und fuhr bis 1. Mai 1870. Von da wurde ich auf der Odessaer Station als Übermaschinist angestellt. Das nächste Jahr 1871 wurde ich nach Kischinef (im August) als die Strecke eröffnet wurde, versetzt, und den 16. Juni 1872 nahm ich meine Entlassung. Den 27. Dezember 1865 andren Tags nach meinem 25jährigen Geburtstag verheiratete ich mich mit Katharina Humel. Sie wurde geboren den 6. Mai 1843, getauft von Probst Fletnitzer, also war sie zwei Jahre und 4 ½ Monate jünger als ich. Gonfirmiert wurde sie in Odessa den 18. Mai 1858, ebenfalls von Fletnitzer. Sieben Monate nach unserer Verheiratung den 28. Juli 1866 starb sie an der Cholera. Das nächste Jahr, den 20. April 1867 verheiratete ich mich wieder mit Maria Kurzinger, getraut von Probst Fletnitzer. Geboren wurde sie den 16. Juli 1845 und confirmiert den 29. Mai 1861. Im Jahre 1867 hatte ich die Gelegenheit auf der Odessaer Eisenbahn den ersten Kaiserzug zu führen. Den 15. Febr. 1868 wurde mein erster Sohn geboren, getauft den 24. März von Probst Fletnitzer. Den 7. April 1870 wurde das zweite Kind Pauline geboren, getauft den 14. Juni von Pastor Kowalzig. Taufpathen waren zu beiden August Schulze und seine Frau Johannis Bossert und Sophie Richter, geb. Stein. Nachdem ich nun 1872 die Eisenbahn verliess, übernahm ich die Schlosserwerkstelle von meinem ehemaligen Lehrmeister Rüb, welche ich im Juli antrat.

Bis dahin wusste ich nicht was sorgen heisst, denn ich hatte mein reichliches Auskommen. Von da gab es nun eine Aenderung in meinem Leben, die schönen Zeiten waren vorüber. Da zu jener Zeit der Häuserschwindel anfing und infolge dessen einer nach dem anderen bankrott ging und auch ich, was ich ausstehen hatte, verlor, wodurch ich in Judenhände fiel, welche mich mit ihren Prozenten zu Grunde richteten. So hatte ich schwere Zeiten durchzumachen. Nach dem Tode meines Schwiegervaters Kurzinger am 1. August 1873 nahm ich die Schwiegermutter mit ihren beiden Töchtern, Luise 15 Jahre alt und Emma 8 Jahre alt, zu mir. Nachdem ich im früheren Hause Rüb 3 Jahre gewohnt hatte, zog ich in das Haus Sahl im Juni 1875 den 23. Oktober desselben Jahres 1875 starb meine zweite Frau Maria, geb. Kuringer an der Schwindsucht, wo dann die Schwiegermutter mir die Wirtschaft führte. Das nächste Jahr 1876 den 8. März starb mein Söhnchen Adolf an der Halbräune, sein Alter war 8 Jahre, 23 Tage, er war ein ausnahmsweise frommes, gehorsames und liebes Kind.

Die Verstorbenen aus der Familie Kuringer:

Johannes Kuringer wurde mit Sophie geb. Hagstolz den 23. Mai 1843 getraut. Das 1. Kind Marie, meine Frau, wurde den 16. Juli 18441 geboren und den 5. August getauft, den 29. Mai 1860 confirmiert und den 23. Oktober 1875 gestorben an der Schwindsucht.


Hier endet der Bericht, welcher während der amtlichen Wohnungsauflösung nach dem Tod eines Menschen ohne Angehörige gefunden wurde und mit seiner gesamten Habe in die öffentliche Versteigerung kam. Das Original wurde freundlicher Weise durch meine Vermittlung von S. Winkler aufgekauft und in ein familiengeschichtliches Archiv in den USA überführt, da der zuerst von mir angefragte Verein der Bessarabiendeutschen leider kein Interesse hatte.


1 KB Odessa 1845 Nr. 64 Geburt von Marie Sophie Kurringer am 16. Juli 1845!

Erzählungen der Maria Strehle, 1881 Sarata 9-12

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Es heisst in jenem Briefe vom 27. Mai 1822:

„Anfangs März war die Zeit, wo es der Herr für gut fand, uns ein Oertlein anzuweisen. Es kam von der Regierung an den General in Kischinef der Befehl, dem Herrn Probst Lindl zu eröffnen, dass er sich in Bessarabien ein Stück, so viel er brauche, auszusuchen. General in Kischinef, war auch zugleich Oberbefehlshaber und Stadthalter über ganz Bessarabien, oder die sogenannte Moldau, und über alle Ansiedler Bessarabiens zu gebieten hatte. Diesem Berufe Folge leistend, machte sich Probst Lindl sofort auf den Weg zum General nach Kischinef, und fand zu seiner Freude, dass derselbe sein Freund und Gönner und auch ein wahrer Christ sei, welches er auch täglich in seinen Anordnungen zu erkennen gab.

Als nun unser lieber Vater Lindl sich einen passenden Ort ausgesucht hatte, kam er mit Freunden zurück und traf sogleich Anstalt zu unserer Abreise, welche den 13. März erfolgte.

Den 1. April neuen Stils kamen wir an unserem Bestimmungsorte an, wo sodann die etwa 50 Wagen im Kreise ausgestellt wurden. In der Mitte dieses Kreises sammelten sich alle, Gross und Klein um unseren lieben Vater Lindl. Als dies geschehen war fielen sämtliche Anwesende auf die Knie nieder, wo dann Lindl im Namen aller so beweglich und mit Tränen in den Augen den Herren lobte und ihm dankte für die grosse Gnade und Barmherzigkeit, die er an uns getan hat. Es hatte sich wohl ein Stein darüber bewegen können. Ja, liebe Geschwister, da fühlten wir wohl recht, dass der Herr in unserer Mitte sei, denn der heilige Schauer, der alle durchdrang, war ein Zeuge, dass der Herr in unserer Mitte sei, Ach, dass er doch ferner mit und unter uns sein möchte. Als Vater Lindl das Gebet geendet hatte, hielt er eine so durchdringende Rede, dass alle in Tränen zerflossen. In dieser Rede erklärte er sich denn auch vor dem allsehenden Auge Gottes feierlich, dass er in seiner Gemeinde nur wahre Christen aufnehmen und behalten wolle.

Und wer in Zukunft nicht als Christ handle, den werde er nach mehrmaliger wiederholter Warnung, ohne Rücksicht aus der Gemeinde ausschliessen, und der Betreffende werde aus dem Lande gejagt werden. Nach diesem forderte er alle auf, ihm mit einem Handschlag zu versprechen, dass sie von nun an Gottes Eigentum, Jünger Jesu, und nur nach dessen Lehre leben und sterben wollen. Und dass jede Partei zwischen Katholiken und (Lutheraner) Evangelischen aufhören solle, nur Jesum Christum als alleinigen Eckstein der Gemeinde anerkennen, so wie auch jegliche Ceremonie aufhören sollen. Das heilige Abendmahl wird also in unserer Gemeinde in beiderlei Gestalt ausgeteilt, wie es auch von unserem lieben Herrn und Heiland eingesetzt wurde. Die Rührung und Feierlichkeit mit welcher das heilige Abendmahl von unserem lieben Lindl ausgeteilt wird, ist nicht zu beschreiben. Es ist da schon anwendbar, was in der Offenb. Joh. steht: „Seelig und heilig, wer zu dem Abendmahl des Lammes berufen ist.“

Ja wahrlich seelig, hier schon in Glaubenshandlungen als Trauungen, Taufen, Begräbnissen fühlbar, dass der Geist Jesu Christi aus Vater Lindl redete. Alle gottesdienstlichen Handlungen werden ganz ohne Ceremonie nach dem Wort Gottes verrichtet. Morgens und abends wird von Vater Lindl eine herzliche Rede über Losungsworte gehalten, die allemal mit einem gesalbten Gebete geschlossen wird.

Ach, liebe Geschwister, betet, betet, damit euch der Herr in dieser letzten betrübten Zeit im Glauben stärken und erhalten möge, damit ihr würdig werdet zu entfliehen diesem allen was da kommen soll, denn die Zeit ist nahe. O, darum betet, betet, muntert einander wieder auf wenn ihr schwach werdet.

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Unser Dorf, das wir anlegen, liegt beinahe eine halbe Stunde von unseren Hütten, in denen wir recht froh und vergnügt leben. Am Himmelfahrtstage wurde der Grundstein zu unserem Bet- und Pfarrhaus gelegt. Von unseren Hütten aus ging der ganze Zug in Prozession dem Orte zu, wo unser Dorf angelegt wird. Es wurde das herrliche Lied gesungen: „Fahre fort, Zion, fahre fort.“

Nach dem Gesang ging alles betend still dem Orte zu, woselbst schon ein kleiner Altar von Steinen errichtet war. Vater Lindl stellte sich hinter den Altar, und die Uebrigen schlossen einen Kreis um ihn her. Als alles ruhig und still war, legte Vater Lindl sein Angesicht auf die Erde und betete den Herrn in der Stille an, und so auch alle die dabei waren. Dann richtete sich Lindl auf die Knie und betete aus dem Herzen und mit Thränen:

„O wie glücklich sind wir gegen euch, da wir das Wort Gottes in einem so reichen Maße haben. Bleibet nur bei Jesu! Ach, dass wir uns alle bei dieser grossen Schar wiederfinden, obwohl wir hoffen, dass wir viele von euch im Prüfungsthale Wiedersehen werden: der Herr wird euch auch aus Sodom und Egypten führen, und euch wie uns eine Freistätte bereiten, da ihr in Ruhe und Sicherheit ihm dienen könnt.

Was unsere äusserliche Lage betrifft, so kann ich euch nicht anders schreiben, als dass wir dem Herrn sei Dank, alle frisch und gesund und vergnügt sind, und dass wir uns nie wieder nach Deutschland zurück wünschen, denn der Herr ist mit uns.“

Dieser Brief enthält die genaueste Auskunft über die ersten Tage der Ansiedlung Saratas.

Danach wurde gemeinschaftlich angefangen die Häuser zu bauen, was sehr schnell ging, so dass sie zum Herbst schon einziehen konnten. Der Baumeister war Schäfer, der Schwiegervater von Scherzinger. Alois Scherzinger war Uhrmacher und wurde geboren den 15. Juli 1787 in Gütenbach, Herzogthum Baden, jetzt Königreich. Sein Vater war ebenfall Uhrmacher. Er reiste schon im Alter von 16 Jahren nach Petersburg, wo schon seit längerer Zeit zwei Brüder von ihm ein Uhrwarengeschäft hätten. Dieselben starben jedoch frühzeitig daselbst, worauf er das ganze Geschäft eine Zeitlang allein führte. Er war sehr beliebt in höheren Kreisen, verkehrte mit Fürsten und Grafen, auch war er sehr musikalisch und stimmte bei mehreren Fürsten Klaviere. Ebenso gab er auch Conzerte in Petersburg, wo er solche Bewunderung erregte, dass der Kaiser Alexander I, dem eine Dame von der schönen Abendunterhaltung und von den jungen Deutschen erzählte, auf ihn aufmerksam wurde und ihn zu sehen wünschte. Da wurde er dann auch von Lindl vorgestellt und hatte die Ehre mit dem Kaiser an einer Tafel zu speisen.

In Petersburg vermählte er sich mit Fräulein Christina Schulz, Tochter des dortigen Nadelfabrikanten Schulz. Sie lebten in glücklicher Ehe jedoch nur kurze Zeit, denn nach anderhalb Jahren starb ihm seine Gattin. Untröstlich über den Verlust derselben, hielt er sich an Lindl mit dem Entschluss den für ihn so traurigen Ort Petersburg zu verlassen, reiste auch mit Lindl nach Odessa und verblieb daselbst bis zur Ansiedlung Saratas, wo er sich mit anschloss und mit ihnen sich ansiedelte. Während seines anderthalbjährigen Aufenthaltes in Odessa, verlobte er sich mit Fräulein Lemster, einer Generalstochter, welcher er wieder absagte und heiratete die Tochter des bereits erwähnten Baumeisters Schäfer.

Das war das erste Paar, welches in Sarata getraut wurde, und da das Bethaus noch nicht vollständig eingerichtet war, so wurde bei seiner Trauung eine Hobelbank als Altar benutzt. Scherzinger war für Sarata

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von grossem Werte, da er der russischen Sprache mächtig war. Er besorgte das ganze Bauholz für die ganze Kolonie bis Cherson her, was damals mit grossen Schwierigkeiten verbunden war. Kurz er überwachte alles was kein anderer ausführen konnte, da niemand russisch verstand und das alles tat er unentgeltlich. 15 Jahre hindurch versah er das Amt als Amtsbeisitzer, wobei er alles in allem sein musste, indem Veygel nicht russisch verstand. Während seiner ganzen Dienstzeit beherbergte und beköstigte er die ankommenden und durchreisenden Beamten, ohne je der Gemeinde eine Rechnung darüber zu machen. Er opferte seine ganze Zeit der Gemeinde Saratas ohne auf eigene Interessen Rücksicht zu nehmen. Als Veygel seinem Oberschulzamte entsagte, kamen einige Männer zu Scherzinger und baten ihn, das Amt zu übernehmen, ob er erlaube, dass man ihn wähle; er wollte auch diese Gefälligkeit erweisen. Nun wurde er einstimmig gewählt und zum Sonntage in die Kirche bestellt zur Beeidigung. Während dieser Zeit brachten es seine wenigen Feinde so weit, dass Gotlieb Knauer vorgeführt und beeidigt wurde, welches ihn dermassen kränkte, dass er nicht mehr in die Kirche ging.

Er sagte, dass er einen solchen Ort, wo solche Ungerechtigkeiten vorgehen, nicht wieder betreten werde, obgleich er zuvor ein fleissiger Kirchengänger war. Diese Zurücksetzung, sowie der Verlust seines Vermögens, welches er verlor und verschiedene andere Kränkungen brachten ihn soweit, dass er gar nicht mehr der Mann war. Nachdem man ihn nicht mehr so nötig hatte, wurde wenig mehr gedacht dessen, was er alles an Sarata gethan hatte, wo jeder Unterdrückte bei ihm Beistand fand, und so viele Arme bei der Ansiedlung unterstützt wurden. Bei längerem Aufenthalt von Militär wurden oft die Bewohner von den Beamten unterdrückt, da nahm er jeden in Schutz und verhalf ihm zu seinem Rechte. Jeder suchte seine Zuflucht bei Scherzinger, weil er eine angesehene Person war. Wenn er mit seiner grossen Medaille am Halse auftrat, wusste er überall das Recht zu behaupten. Dessen ungeachtet wurde er in seinem Alter mit Spott und Verachtung von seinen Feinden und der Jugend belohnt. Nachdem nun der Greis 76 Jahre und 7 Monate zurückgelegt hatte und den 12.Februar 1864 seine müden Augen schloss, da waren es wieder seine Feinde, welche Herrn Probst Behning so weit brachten, dass bei seinem Begräbnis nicht einmal die Glocken der Kirche, welche er beim Ankauf selbst so meisterhaft ausgesucht hatte, wie sie in keiner Kirche sind, ohne dass dieselben mit ihrem letzten Glanze ihn zu seiner Ruhestätte begleiten durften. Die Ursache war, weil der Wohltäter Saratas aus bekannter Ursache nicht mehr in die Kirche ging. Also erfüllt sich gründlich das Sprichwort: Undank ist der Welt Lohn.

In den ersten Jahren hatten unsere Ansiedler schwere Zeiten, da sie der russischen Sprache unkundig waren. Auf der Herreise war ihnen auch das fremde Geld unbekannt und beim Einkauf hielten sie das Geld hin ohne zu wissen, welchen Werth es hat, der Verkäufer allerdings nahm was er wollte. Nachdem sie sich endlich in die Verhältnisse eingelebt hatten, waren auch die Vermögendsten um ihr Gut gekommen und mussten sich armselig durchbringen, bis sie sich wieder erholten.

So ging es auch unserem Grossvater. Der billige Verkauf des Hauses mit dem Bauerngut, die Reise und Ansiedlung, und im Anfang auch Missernten, machten alle so ziemlich gleich. Wer nichts oder wenig von draussen mitnahm, konnte nicht viel verlieren und welche Geld hatten, das ging auch zu Ende bis sie eingerichtet waren. Nun ist nicht zu vergessen Herren Werner zu erwähnen, welcher für die Kolonie Sarata einer der wichtigsten Personen war. Er wurde geboren den 25. Dezember 1760 in der Stadt Gingen in Würtemberg und war Kaufmann, und zwar ein reicher daselbst.

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Veygel wurde geboren den 20. Februar 1780. Er war von Hause aus arm und Ladendiener bei Werner. Da er aber fleissig und treu war wurde er sehr beliebt und Werner übergab ihm sogar das Geschäft für einen sehr billigen Preis und setzte sich in die Ruhe. Nachher zogen sie beide Lindl zu lieb nach Russland, aber sie kamen erst das nächste Jahr 1823, als die Häuser schon gebaut waren, dasselbst an. Bei ihrer Ankunft wurden sie von der Gemeinde, Lindl an der Spitze, eine Strecke vor dem Dorfe mit großer Freude empfangen und in die zeitweiligen Wohnungen begleitet. Aber nur zwei Monate waren Werner beschieden in Sarata zu weilen, schon am 6. Dezember 1823 starb er und vermachte sein Vermögen, welches aus 25,574 Rbl. bestand der Gemeinde Sarata. Dazu kam noch ein Vermögen des Staatsraths Contenius von 4,500 Rbl. Da Veygel der Testamentsvollstrecker war und über das Geld zu verfügen volles Recht besass, so liess er von den Zinsen die Kirche bauen und nachher die Wernerschule, welche ebenfalls von den Zinsen unterhalten wird. Nach dem Tode Veygels übernahm das Geld die Krone und bezahlte 3%. Veygel starb den 9. Januar 1847. Da nun das Testament von Werner folgendermassen lautet:

„Das Kapital ist für die Ausbreitung des Reiches Gottes zu verwenden, so ist dasselbe nicht zum direkten Gebrauch der Gemeinde Sarata angewiesen, und wird deshalb auch nicht herausgegeben. Der damalige Minister hat es noch zum Besten der Gemeinde gelenkt, damit dass er die Errichtung der Wernerschule für Ausbreitung des Reiches Gottes angab, bei der Bestätigung des Testaments, denn sonst hätte auch dieselbe nicht von dem Gelde unterhalten werden können.

Herr von Heinlett, gleichfalls ein Anhänger Lindls, der auch mit nach Russland zog, war in München am königlichen Hofe, eine hochgestellte Persönlichkeit, doch was für ein Amt er daselbst bekleidete ist mir unbekannt. Er war sehr reich und besass in München ein sehr grosses Haus in welchem sich drei Consulate befanden, da er aber sich an Lindl und dessen Auswanderer anschloss und wurde, so wollte man ihm sein Vermögen einhalten. Wie nachher mit seinem Vermögen noch ausfiel ist mir nicht bewusst. Nur so viel ist mir bekannt. AIs er schon in 0dessa war, liess er sein Haus in München mit grossem Verlust verkaufen. Sein Vermögen nicht in Händen habend, konnte er sich seinem Stande gemäss nicht wohl in Sarata niederlassen, und nahm ein Stelle am Lizeum in Odessa als Lehrer an. Sein Sohn Fritz befand sich bei Lindl in Sarata und wurde später Pastor. Die älteste Tochter verheiratete sich an Pastor Bonkemper. Die zweite Tochter an Pastor Vogdt. Die dritte an Pastor Steinmann, welcher mit Lindl zusammen von Deutschland abreiste. Die Mutter Maria Strehel kannte Pastor Steinmann schon in Deutschland. Beim Abschiedsschmauss schenkte er ihr eine Traube, was in der Gegend, eine Seltenheit war, auch die erste die sie zu essen bekam. Heinletts Frau, Anna Maria, geb. Hegg, starb in Odessa den 1O. Oktober 1823 an der Schwindsucht. Sie wurde in einem Zinksarge nach Sarata gebracht und den 24. Oktober daselbst beerdigt. Ihr Alter war 45 Jahre. Ihr Grab wurde bis zum Jahre 1884 von der Mutter Maria Strehle im Stande gehalten. Zu Pfingsten desselben Jahres stellte ich ihr ein eisernes Kreuz mit einer Tafel zum Gedenken der alten Freundschaft. Die Mutter kannte Heinletts von München aus und verkehrte öfters bei ihnen im Hause.


fortsetzung

Erzählungen der Maria Strehle, 1881 Sarata

Hinweis: die Daten entspringen der Erinnerung und decken sich daher teilweise nicht mit den tatsächlichen Daten in den Kirchbucheinträge zu den Personen.

Ausschnitt der Karte1 von Bayern um 1698 mit Wohnplätzen der Strehle

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Abschrift!

Die von Alois S t r e h l e gesammelte Nachrichten und Begebenheiten von der Zeit der Voreltern und unserer Herkunft theilweise erzählt von der Mutter Maria Strehle geborenen Schäfer in ihrem 84ten Lebensjahr 1881.

Es ist mein Wunsch, dass diese Beschreibung von den Gliedern unserer Familie, welche dafür Interesse haben, weitergeführt werde, denn es ist für jeden wichtig zu wissen die Herkunft und Verhältnisse der Voreltern. Es kommen im menschlichen Leben Fälle vor, wo solche Nachrichten zu Nutzen kommen, und Vieles daraus zu erfahren ist.

Die Heimat unserer Voreltern väterlicher Seite war Schnuttenbach bei Gensburg, Landgericht Burgau in Bayern an der Donau.

Der Urgrossvater Strehle war über fünfzig Jahre verheiratet und starb sehr schnell wahrscheinlich am Schlag, auf dem  Wege von Burgau nach Schnuttenbach. Beide Ortschaften liegen nahe beisammen; auf der anderen Seite nahe dabei liegt Gontrimingen, wo die Urgrosseltern beerdigt liegen, weil Schnuttenbach ein kleines Dorf ist und auch zu jener Kirche gehört, ebenso keinen besonderen Friedhof besitzt. Bei meiner Durchreise daselbst im Jahre 1864 gab ich mir Mühe die Gräber der Urgrosseltern aufzusuchen und fand alles, wie es mir beschrieben wurde seit der Auswanderung unverändert.

Die Kirche steht auf einer starken Anhöhe und um dieselbe der Friedhof mit einer Mauer umgeben. An der Rückseite des Friedhofes ist eine Thür und rechts beim Eingange nahe bei der Thüre liegen sie begraben. Ich fand auf derselben Stelle Stücke Holz von Kreuzen, auf welchen die Namen nicht mehr zu lesen waren, folglich konnte ich nicht unterscheiden ob dieselben von ihren Gräbern waren. Das vorelterliche Haus mit Hof und Garten fand ich ganz in demselben Zustande, wie es verlassen wurde. Nur ein einziger Baum von welchem mir der Vater und später der Onkel in Deutschland erzählte und für den ich mich sehr interessierte, der war das Jahr vorher vom Sturm umgerissen. Mit diesem Baum war folgendes Ereignis:  Als der Vater und seine Brüder noch Kinder waren und ihre Eltern Sonntags in der Kirche waren, machten sie ein Spiel. Sie schlachteten ihrer Mutter die jungen Gänse und benutzten denselben Baum als Galgen indem sie die Gänse daran aufhängten.

Einer verkaufte das Fleisch und die anderen spielten die Käufer. Als nun das Fleisch verkauft war, da holten sie die Gänse der Nachbarin und setzten das Spiel fort ohne zu denken, dass sie ein Unrecht begingen. Als nun die Eltern aus der Kirche kamen lief Anton, der Jüngste, ihnen voll Freude entgegen und erzählte was für ein schönes Spiel sie haben.

Der Grossvater Johannes Strehle war der Erbe vom ganzen Bauerngut. Er wurde geboren den 4ten Juli 1762 und starb in Sarata im Jahre 1839 den 27ten Oktober 6 Uhr morgens.

Seine Söhne waren: Der Vater Johannes Strehle, der älteste,

der 2.             Jakob    Strehle, Schmied in Sarata,

“ 3.                 Josef    Strehle, Pastor in Deutschland

“ 4.                 Anton    Strehle, später Kaufmann in Breslau,

die einzige Tochter, welche als Kind starb, wurde während der Franzosenkriege im Walde geboren, weil die Franzosen damals als Feinde im Lande waren und mit den Leuten unbarmherzig verfuhren, so flüchteten

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sich sämtliche Bewohner in die Waldungen. Als die Grossmutter niederkam da schlich sich der Grossvater bei Nacht aus dem Walde in das Dorf. Da sein Hof mit der Rückseite gegen den Wald stand wo die äussere Wand von der Scheune eine Oeffnung hatte, für die Wagendeichsel, da kroch er durch dieselbe und es gelang ihm einiges Bettzeug zu holen, ohne dass ihn die Franzosen bemerkten. Das war ein gewagtes Stück, denn hätten sie ihn bemerkt, so hätte es können schlimm ausfallen.

Der Vater Johannes Strehle kam auf drei Jahre nach Gensburg in die Schule und erwarb sich gute Schulkenntnisse. Seine Eltern wollten ihn studieren lassen, denn sie waren vermöglich, und hatten die Mittel dazu, aber er wollte nicht. Er hatte zwar eine Vorliebe zur Arzneikunde, und durch die Bekanntschaft eines Mannes, der zwar kein studierter Doktor, doch von der Natur so begabt war, dass der die Aerzte damaliger Zeit alle übertraf, erwarb er sich ziemliche Kenntnisse, so dass er später in Sarata als Tierarzt fungieren musste. Er thates aber nur aus Gefälligkeit, nahm nie dafür bezahlt, sondern bloss seine Zeit und Gesundheit opferte.

Der zweite Sohn Jakob kam nach Augsburg in die Lehre zu einem Schmied. Er war gross und stark und von aussergewöhnlicher Körperkraft.

Als eines Tages seine Eltern nach Augsburg fuhren um ihn zu besuchen, begegnete ihnen ein Bettler auf dem Wege, welcher den Hut hinhielt und bettelte, nämlich auf freiem Felde. Die Pferde waren sehr mutig, man rief ihm zu auf die Seite zu gehen, aber er liess sich nicht abtreiben. Die Pferde wurden scheu, sprangen auf die Seite und konnten nicht mehr erhalten werden, der Wagen fiel um und sie wurden mitgeschleppt, wobei dem Grossvater der rechte Arm verkrüppelt wurde, was ihm auch blieb bis zu seinem seeligen Ende.

Die Grossmutter Magdalena Strehle geborene Moser wurde den 25 ten Juli 1763 zu Wasserburg bei Gensburg geboren, und starb in Sarata den 27ten September 1828 im Alter von 65 Jahren 2 Monate und 2 Tage. Sie war eine grosse starke Person, aber frühzeitig gebrächlich geworden, wahrscheinlich durch die schweren Erlebnisse während der Franzosenkriege. Sie war eine reiche Müllerstochter und da ihr Vater für das naheliegende Kloster das Mehl lieferte, so war sie als Kind im Kloster gut bekannt und kam öfters hin. Einst traf es sich, dass die österreichische Kaiserin das Kloster besuchte, da wurde sie als Nonne angekleidet und durfte der Kaiserin ein Bouquett überreichen. Sie wurde sehr freundlich empfangen und die Kaiserin freute sich über das kleine Klosterfräulein. Es war die Kaiserin Maria Theresia, welche, als die Grossmutter geboren wurde, den siebenjährigen Krieg endigte.

Die Schwester der Grossmutter war durch ihre Schönheit in der ganzen Gegend bekannt. Sie verheiratet sich an Klughammer als sie 22 Jahre alt war und blieb im elterlichen Hause als Müllerin zu Wasserburg. Sie starb jedoch bald, und weil sie nach damaliger Meinung sich viel zu jung verheiratete, so sollte dies die Ursache ihres frühen Todes sein. Ihre Grabschrift lautete:

Franziska Klughammer gewesene Müllerin zu Wasserburg ihres Alters 22 Jahre.

”0 Mensch steh still und thun hier lesen
Wer du bist, bin ich auch gewesen
Was ich jetzt bin musst du auch werden
Staub und Asch in der Erden.

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Die Mutter Maria Strehle, geborene Schäfer wurde im Marktflecken Märie (oder Mering) den 2. Juli 1797 in Altbaiern geboren. Als sie 5 Jahre alt war zogen sie nach Rind im Landgericht Frindberg bei Augsburg.

Als sie 10 Jahre alt war starb ihre Mutter Katharina, geb. Find. Nach einem Jahre verheiratete sich ihr Vater wieder mit 60 Jahren. Nach 10 Jahren, als er 70 Jahre alt war, ging er über ein Wasser über welches nur ein Brett gelegt war, glitt aus, fiel ins Wasser und ertrank.

Im nächsten Jahre 1818 verheiratete sich die Stiefmutter wieder, da aber bald darauf die Auswanderung stattfand und die Mutter Maria Strehle in Russland keine Briefe erhielt, so sind weiter keine Nachrichten von den Stiefeltern.

Die Grossmutter von der Mutter Maria Strehle war 20 Jahre Witwe, sie war sehr reich, aber durch Ueberschwemmungen, welche damals in jener Gegend oft vorkamen, verlor sie alles und wurde arm.

Die ältere Schwester von der Mutter Maria Strehle, Marianna Schäfer, kam nach München und verheiratete sich an Andreas Trautmansberger, seines Handwerks ein Fassbinder.

Ihre erste Tochter Maria wurde geboren 1818, der Ignaz wurde geboren 1822. Die 2. Tochter Helene wurde geboren 1829 ob noch mehr Kinder waren und klein gestorben sind ist mir unbekannt. Ignaz lernte das Handwerk seines Vaters als Fassbinder und nachdem er sein Glück in der Fremde versucht hatte verheiratete er sich in Dresden und erhielt eine Stelle in der Brauerei zum Felsenkeller als Oberbüther. Helene verheiratete sich in München mit Josef Walter und ihre Schwester Maria war bei ihr bis zu ihrem Ende. Marias Tochter Rosalie wurde geboren ungefähr 1840. Sie blieb ledig und diente in München. Der Vater Andreas Trautmansberger starb den 11. Februar 1852. Die Mutter Marianna Trautmansberger starb den 12. Februar 1857. Der erste Sohn von ihrer Tochter Helene Walter, mit Namen Josef wurde den 15. Februar 1857 geboren, also denselben Tag da ihre Mutter beerdigt wurde.

Die Tochter Anna, das zweite Kind, wurde ungefähr 1860 geboren. Das 3. Kind Ignaz war im Jahre 1864 als ich sie besuchte ungefähr ein Jahr alt, er muss klein gestorben sein. Eine Tochter Therese wurde geboren nachdem ich in Deutschland war, ungefähr 1869. Josef Walter starb 1875 den 27. Juni 8 Uhr abends am Blutsturz. Maria Trautmansberger starb den 7. Oktober 1877. Der Sohn Josef Walter lernte als Bildhauer und war ein geschickter Arbeiter und eine Stütze seiner Mutter und starb in der Blüte seiner Jahre mit 26 Jahren 1883. Die Tochter Anna verheiratete sich dasselbe Jahr im August mit Ludwig Eder, seines Handwerks Maschinenbaumeister. Das Jahr darauf 1884 den 16. Januar, nach russischem Kalender den 4., Freitag abend 5 Uhr verunglückte derselbe durch ein Rohr welches explodierte und derart ihn zerschmetterte, dass er gleich darauf starb. Er hinterliess ein Töchterchen von 6 Monaten.

Nun sind noch einige Begebenheiten aus dem dreissigjährigen Krieg, welche von den Voreltern erzählt wurden, zu erwähnen:

Die Urgrossmutter, des Grossvaters oder des Vaters der Mutter Maria Strehle war ein junges Mädchen zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges. Sie erlebte folgendes:

Die wenigen übriggebliebenen Leute konnten sich nur dann aus ihrem Versteck hervorwagen, wenn kein feindliches Militär in der Nähe war. Und da die ganze Gegend zerstört und von Vieh oder Pferden nichts mehr zu finden war, so musste die benannte Urgrossmutter von Grossvater, um einige Saat zu besorgen und nicht Hunger zu sterben, anstatt Pferd selbst die Egge ziehen um die gesäte Frucht einzueggen.

Diese Gegend in Altbaiern wurde dermassen zerstört, dass im Marktflecken Mering, welcher ziemlich gross ist und drei Kirchen hat und

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noch zwei Dörfer, bloss neunzehn Menschen am Leben blieben. Aus einem Dorfe blieb nur eine Frau am Leben, welche sich mit einer Kuh unter der Lechbrücke verbarg, für welche sie, wenn keine Feinde in der Nähe waren, immer Futter sammelte, und so bleib sie, während die ganze Gegend zerstört wurde, am Leben. Allerdings wurden nicht alle Menschen ermordet, sondern Krankheit und Hunger rafften viele dahin.

Diese Verwüstung geschah erst nach dem Tode des Königs von Schweden, Gustav Adolf, denn derselbe erlaubte nicht, dass jemand Unrecht geschah auch waren es grössten Teils Deutsche aus der schwedischen Armee, welche am meisten wüteten. Es war dieses in den letzten Jahren des Krieges, als Baiern so verwüstet wurde, denn die Schweden suchten sich zu rächen, weil der Kurfürst von Baiern den Waffenstillstand gebrochen hatte und die Schweden wieder angegriffen, auch weil der baierische General Tilli mit Magdeburg so grausam verfahren war.

Die einzelnen Menschen die noch übrig blieben in den Dörfern, hielten beständig Waffe (Wache) auf den Kirchthürmen.

Eines Tages wurde auch ein Zeichen gegeben, dass Feinde kommen, es waren bloss 2 feindliche Soldaten, dieselben gingen in ein Haus, wo Mann und Frau sich unter dem Dache versteckt hatten. Auf dem Tische liessen sie ein halbjähriges Kind sitzen, denn sie fürchteten, dasselbe würde Laut von sich geben und sie verraten. Der eine ging hinein und als das Kind ihn sah lächelte es ihn an. Es that ihm leid es zu ermorden, ging hinaus und sagte es seinem Kameraden. Derselbe aber gab ihm einen Verweiss über sein Mitleid, ging hinein und spiesste das Kind auf sein Bajonett, trug es hinaus und warf es hin, worauf beide davongingen.

Die Eltern mussten aus ihrem Versteck dieses Schreckensbild mit ansehen. Dieses alles erlebten die Voreltern der Mutter, da in jener Gegend die grösste Verwüstung herrschte.

Die letzte Schacht in Baiern war bei Landsburg. Die Schweden nahmen das Städtchen ein und abends wurde für die höheren Persönlichkeiten ein Festmahl gegeben. Als nun alle an der Tafel sassen, kam auf einem Schimmel reitend ein Cavallerist dahergesprengt vom Lechfeld aus, näherte sich dem Hause, nahm durch das Fenster den schwedischen Feldherrn aufs Korn, und schoss ihn an der Tafel tot. Zu derselben Zeit wurde auch Prag eingenommen was endlich den österreichischen Kaiser bewog Frieden zu schliessen.

Die Leute bei Landsburg waren der Meinung den Frieden durch den Tod des schwedischen Feldherrn erlangt zu haben, was aber nicht der Fall war, sondern die Einnahme von Prag.

In dem Dorfe Lechhausen blieb ein schwedischer Soldat zurück und machte sich ansässig, und der Bauernhof heisst bis auf den heutigen Tag: „Beim Schwedenbauern“

Nun um auf die Auswanderung zurückzukommen, beschreibe ich die Begebenheit des Herrn Lindl, denn er war die Veranlassung der Auswanderung und der Gründung der Kolonie Sarata.

Da nun von der früheren Zeit vor der Auswanderung, von ihm keine Beschreibung existiert, sondern bloss eine von der katholischen Kirche zu Odessa, aus den Büchern (Kirchenbüchern) entnommene Abschrift, welche mit Gossners Beschreibung in Druck kam über den kurzen Aufenthalt in Odessa, desshalb konnte niemand bei dem fünfzigjährigen Jubiläum der Gründung Saratas eine genaue Auskunft von Lindl’s Lebenslauf geben. Nur die Mutter Maria Strehle war die einzige, die noch seinen ganzen Hergang wusste, da sie Landsleute und auch weitläufig verwandt waren.


fortsetzung

1Ausschnitt: Atlas Van der Hagen-KW1049B10 092-CIRCULUS SUEVICUS in quo sunt DUCATUS WIRTENBERGENSIS, MARCHIONATUS BADENSIS, & BURGOVIENSIS, COMITATUS OTTING, RECHBERG, KONIGSEK HOHENZOLERN, & FURSTENBERG, 1698, Sammlungen der Königlichen Bibliothek, der Nationalbibliothek der Niederlande. public domain, Wikimedia

Erzählungen der Maria Strehle, 1881 Sarata 5-8


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Es wurden also auf Verlangen des Herrn Probst Behning alles niedergeschrieben, was für denselben sehr wichtig war. Da konnte er nun die wichtige Persönlichkeit Lindl’s und bereits vergessenen Wohlthäters, in seiner Rede der Gemeinde vor Augen stellen, und wieder ins Gedächtnis bringen, dadurch dass er seinen Hergang schilderte. Abends bei der versammelten Gemeinde im Schulsaal bedankte Herr Behning sich freundlichst bei der Mutter für die gegebene Auskunft.

Jgnaz Lindl wurde geboren zu Beindelkirch in Altbaiern ungefähr im Jahre 1774. Nach dem Tode seiner Mutter wurde er bei seiner Tante, seiner Mutter Schwester, in Baiernzell ungefähr eine halbe Stunde von Beindelkirch erzogen, wo ihn die Tante in die Dorfschule nach Egenburg schickte, zu welchem das Filial Beindelkirch gehörte. Daselbst besuchte er die Schule fünf Winter.

Während der ganzen Zeit führte er das A.B.C.-Buch, denn was er im Winter lernte vergass er den Sommer über wieder. Wann und wie er die Hochschule betrat, war der Mutter nicht bekannt. Seine Eltern waren angesehene Gastwirtschaftsleute und hinterliessen neun Kinder.

Die Mutter Maria Strehle kannte drei Söhne und fünf Töchter. Eins muss klein gestorben sein. Der älteste Sohn war Gastwirt in Augsburg. Der zweite, der bekannte Ignaz, Pfarrer. Der dritte Jakob war auf der elterlichen Wirtschaft. Die erste Tochter war Wirtin in Rieth. Die zweite Wirtin in Malching. Die dritte Bäckerin in Pfaffehöfen. Die vierte, Urwa, Bäuerin in Beindelkirch. Die fünfte Elisabeth blieb ledig und wurde Köchin bei Pfarrer Lindl.

Als Lindl die Universität beendet hatte und sein Amt antreten konnte, wurde er in Beindelkirch,seinem Geburtsort, einem alten Pfarrer, der seinem Amte nicht mehr gut vorstehen konnte, als Kaplan beigegeben. Der alte Herr zog sich bald zurück nach Augsburg und Lindl wurde Pfarrer an seiner Stelle, auf welcher er während zehn Jahren fleissig arbeitete. Er war ein tüchtiger Redner, aber das rechte Licht fehlte ihm noch, er war noch von der römischen Blindheit umschattet.

Er spielte nebenbei noch Theater und liebte Belustigung, aber trotzdem war es von vornherein ein treuer Hirte seiner Gemeinde. Er traf gleich Anstalt die baufällige Kirche zu bauen und kaufte ein Amtmannshaus zur Errichtung eines Armenhauses. Auch baute er ein neues Schulhaus, ebenso sorgte er für Witwen und Waisen. So war zum Beispiel ein armer Taglöhner in demselben Orte, dessen Frau Zwillinge, zwei Söhne, gebar, welche beide am Leben blieben. Zum zweiten mal drei Töchter, welche ebenfalls am Leben blieben, die Mutter aber starb. Lindl hielt eine durchdringende Leichenrede und schloss mit den Worten, man möchte die drei Kinder aufnehmen, für Kost und Kleidung wolle er bezahlen.

Zu sich konnte er sie nicht nehmen, da es gegen die katholische Sitte ist, dass sich Kinder in einem Pfarrhause befinden. Den drei Kindern gab er die Namen: Frindes, Syos, Karades. Er sorgte für sie so lange er in Deutschland war. Als er nach Russland zog, waren es schon ziemlich grosse Mädchen. Vor seiner Abreise kleidete er sie noch ganz ein.

Ebenso waren noch fünf verwaiste Kinder zu Eismannsberg, welche er versorgte; vier Söhne und eine Tochter Elisabeth, welche fünf Jahre alt war da ihre Mutter starb. Dieselbe wurde später in Russland seine Frau. Einen Sohn Martin liess er studieren, welcher auf der Universität durch die Anhänger des früheren Professors Sailer zur Rechten Erkenntnis kam. Es ist derselbe Sailer, von welchem Gossners Beschreibung meldete. Durch ihn entstand die ganze evangelische Bewegung unter seinen Studenten, ebenso wie bei Huss nur in geringerem Masse. Der standhafteste unter ihnen war Booss, welcher auch eingesperrt und am

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meisten verfolgt wurde. Nach ihm war Gossner und dann Lindl, sie wie noch viele andere, die weniger bekannt sind, alle aber zu einer Zeit. Sailer wurde seines Amtes entsetzt und ihm der Vorschlag gemacht, entweder zu widerrufen, oder des Landes verwiesen zu werden. Es soll ihn einen sehr schweren Kampf gekostet haben, bis er sich endlich entschloss zu widerrufen, worauf er eine Stelle als Bischof antrat. Also fürchtete er eine viel geringere Strafe als Huss, welcher dem Feuertode trotzte.

Am neuen Jahre 1812 hielt Martin Völk, welchen Lindl studieren liess, seine Prienenz und wurde Kaplan bei Lindl. Da Völk ebenfalls in Dillingen studierte, und durch Sailers Anhänger zur Erkenntnis kam, so wurde Lindl durch seinen Kaplan und früheren Pflegling Völk erweckt. Lindl studierte in Frising und kannte damals Sailer noch nicht, weshalb er erst später zur Einsicht kam. Im Winter darauf wurde Lindl totkrank. Zum Frühjahr, als er wieder besser war, reiste er nach Würtemberg ins Bad. Daselbst lernte er mehrere christliche Männer kennen, aber auch solche, die ihm den separatistischen Geist einflössten, evangelische Lehre verbessern und dem lieben Gott vorgreifen wollten, ja sogar im Voraus die Zeit des tausendjährigen Reiches bestimmten. Er schenkte den Prophezeiungen des Jahn und Jakob Wirz, welche die Stifter des Separatismus waren zu viel Zutrauen. Dieselben bestimmten ganz genau das Jahr 1836, und dann als das nicht eintraf das Jahr 1847 wo sie ihre Anhänger in das tausendjährige Reich einführen würden. Jakob Wirz reiste sogar von der Schweiz bis nach Bessarabien, um den Separatismus zu stärken, wurde aber, sobald es der Obrigkeit zu Ohren kam, über die Grenze geschaft, (aber erst nach Lindl’s Zeiten). Lindl kam auch während seines Aufenthaltes in Würtemberg mit Männern zusammen, durch welche ihm immer mehr das Licht der evangelischen Lehre aufging. In seinem ersten Eifer wollte er gleich zu den Heiden gehen, seine Freunde aber ermahnten ihn, er soll seine Heiden zu Hause, die ihm anvertraut seien, bekehren und belehren.

Nach zehn Wochen kam er wieder zurück, 1813 trat er öffentlich auf und fing an das reine Evangelium zu predigen. Da wurde verschieden über ihn geurteilt. Einige, die nicht mehr verstanden, sagten, er sei beim Papst in Rom gewesen; kurz man sah, dass eine ganze Veränderung mit ihm vorgegangen war. Es dauerte nicht lange, so strömten die Leute von allen Seiten herbei, um Lindl’s Predigten zu hören, so dass die Kirche dieselben nicht mehr fassen konnte. Es gab eine Aufregung in der ganzen Umgegend. Da dieses der katholischen Geistlichkeit zu Ohren kam, wollten sie ihn abschaffen. Er wurde öfters nach Augsburg verlangt, und zur Verteidigung gezogen, denn sie wollten ihn durchaus nicht mehr dulden, weil er als katholischer Geistlicher das reine Evangelium gepredigt hatte. Als nun dem König ein Schreiben wegen Abschaffung Lindls zur Bestätigung vorgelegt wurde, unterschrieb er sie nicht, sondern seine Antwort lautete: „Ist es von Gott, so lasset es gehn, ist es von Menschen, so wird es von selbst aufhören.“ Infolge dessen durfte er noch bleiben.

Er hat während der Zeit verschiedene ruchlose Menschen auf den rechten Weg gebracht und viele Trinker entsagten ihrer Leidenschaft, so dass ein ganz anderes Leben in seinen Gemeinden anfing. Er predigte die reine evangelische Wahrheit, welches in der katholischen Gegend etwas ganz neues war, denn er besass eine ausgezeichnete Rednergabe.

Im Jahre 1817 musste er wieder nach Augsburg, wo sie ihn hielten, bis zum nächsten Jahre 1818. Zu Pfingsten kam er wieder nach Gontrimmingen. Da hielt er über das Evangelium vom reichen Fischzuge eine durchdringende Antrittspredigt. Daselbst wirkte er noch ein und ein halbes Jahr und erregte immer noch mehr Aufsehen. Seine Predigten waren dermassen erregend, dass die Leute, welche in der Kirche keinen Raum mehr hatten von aussen an die Fenster hinaufkrochen, um ihn zu hören. Sogar öfter kamen von der Umgegend die Leute in solchen Scharen, dass er im Freien

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predigen musste und dass man von der Ferne das Weinen und Schluchzen hörte.

Endlich wollten ihn seine Feinde doch abschaffen. Er wurde darüber gewarnt und reiste nach München zum russischen Gesandten, welcher von seinem Kaiser den Auftrag hatte, Leute nach Russland zu berufen. Und als derselbe die Lage Lindl’s vernahm, verlangte er sogleich von der baierischen Regierung Schutz für denselben, da er ihn für Russland angenommen habe. Lindl war durch Briefe vom russischen Minister, Fürst Galizin, darauf vorbereitet, welcher ein sehr christlicher Mann war und solche Leute suchte. Nun kehrte er auf einige Monate nach Gontrimmingen zurück um sich auf die Reise zu rüsten. Jetzt konnte er mit seinen Predigten noch freier auftreten. Nur war der Fehler, dass er sich dem entstehenden Separatismus zu viel hingab, sie glaubten nämlich, dass in Russland der Bergungsort für die neue Kirche, die sie bilden wollten, sein werde, um von da aus in das tausendjährige Reich einzugehen. Die Veranlassung, dass zu der Zeit der Aufruf aus Russland zur Auswanderung kam, bestärkte sie noch mehr in ihrer Meinung. Lindl munterte seine Zuhörer auf, nach Russland auszuwandern, wodurch auch wirklich eine ganze Gemeinde dem päpstlichen Joch entging. Man konnte denken, warum diese drei Männer Lindel, Goßner und Booss nicht gleich zur evangelischen Kirche übergingen? Aber genauer betrachtet, lässt es sich denken, welch schwerer Schritt es für einen Prediger sein muss, und zweitens suchten sie die verlorene und anvertraute Gemeinde und Freunde zu belehren, die noch in der Blindheit waren und wollten denen das reine Evangelium predigen, welchen es noch fehlte.

Zum dritten was hätte Lindl für einen Eindruck beim russischen Kaiser gemacht, wenn er auf einmal übergetreten wäre?

Lindl war ein feuriger Redner, aber hatte nicht den festen Charakter wie Goßner. Er hätte sich einen ganz anderen Ruhm und Namen erworben, wenn er den Mahnungen Goßners gefolgt hätte. Gleich im Anfange warnte ihn Goßner mit folgenden Worten: „Das ist etwas, darob wirst du Schläge bekommen Lindl, du bist noch ein Kind, kaum aus dem Ei gekrochen und willst schon hinauf in den Gipfel des Baumes, und dem lieben Gott ins Kabinet gucken; ich sage dir, dass wird Schläge setzen.“

Allerdings war Lindl nicht mit dem schwärmerischen Separatismus einverstanden, welcher erst nach seiner Entfernung aus Russland, durch briefliche Anstiftung der beiden Schwärmer Jahn und Jakob Wirz aus der Schweiz entstand.

Nun kam die Zeit der Abreise. Lindl bekam vom russischen Gesandten 500 Dukaten Reisegeld. Ende Oktober 1819 reiste er mit seiner Haushälterin Elisabeth Völk und mit dem jungen Herrn Steinmann und Veronika …… ab, welche für seine Schwester angegeben war. Seine Schwester selbst, die ihm in Deutschland die Wirtschaft, führte, wollte nicht mit nach Russland, denn sie konnte sich mit ihm nicht gut vertragen. Er war ihr zu freigebig, er gab alles den Armen, und sie war geizig. Sie langten nach dem russischen Kalender den 15. November in Petersburg an. Er wurde von dem russischen Minister , Fürst Galizin, aufs freundlichste empfangen, und dessen erstes Verlangen war: „Segnen sie mich.“ Sogar der Kaiser Alexander I. wurde durch seine ausgezeichnete Rednergabe dermaßen für ihn eingenommen, dass er sich vor ihm beugte und um seinen Segen bat. Er verkehrte persönlich mit Kaiser Alexander I. und sass oft mit ihm auf einem Sopha, wo sich der Kaiser freundlich mit ihm unterhielt.

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Lindl wurde in der Malteserkirche, welche einst von Kaiser Paul auf eigene Kosten für den Malteserorden, sowohl für Russen als auch Deutsche erbaut wurde, angestellt. Es soll eigentlich eine Kapelle sein, aber ein sehr wertvolles Gebäude, das bis fünfhundert Menschen aufnehmen kann, und steht im Schlosshofe in einem Park, welchen Kaiser Paul dem Malteserorden zuvor geschenkt hatte. Da nun die evangelischen Pastoren zu jener Zeit in Petersburg sehr weit zurück waren, so strömte alles zu Lindl in die Malteserkirche. Auch da verfolgten ihn die Jesuiten, weil er das reine Evangelium predigte, desshalb suchten sie ihn auch hier zu untergraben. Er aber sehnte sich nach seinem Bestimmungsort, nach Südrussland für seine Einwanderer. Er schlug Gossner vor, an seine Stelle zu setzen. Er benachrichtigte denselben brieflich davon, welcher auch sogleich damit einverstanden war, weil er draussen ebenfalls von den Jesuiten überall verfolgt wurde.

Gossner wurde an seine Stelle eingesetzt und Lindl kam nach Odessa als Oberhaupt für Katholiken und Lutheraner, sowie für seine Einwanderer, die erst nachkamen. Nach der Ankunft Gossners in Petersburg schickte sich Lindl zur Abreise an. Den letzten Tag vor seiner Abreise lud er Gossner zu sich des abends ein, ohne ihm den Grund vorher zu sagen. Er fand eine kleine Gesellschaft in feierlicher Stimmung versammelt. Aus einem Nebenzimmer trat Lindl herein, an der Hand seine Braut, die Schwester seines früheren Kaplans Völk, die ihn als Haushälterin nach Petersburg begleitet hatte. Lindl erklärte, dass er mit Zustimmung und nach dem Willen Gottes das Cölibat abschüttle und mit seiner Braut den Treubund der Ehe geschlossen habe. Er bat den Freund sie zu segnen die Gott zusammengefügt habe. Ueberrascht erwiderte Gossner, dass wenn Gott sie zusammengefügt, er nichts dagegen habe, und segnete sie. Den nächsten Tag reiste Lindl ab.

In Odessa hatte Lindl noch grössere Schwierigkeiten auszustehen, die die katholische Geistlichkeit ihm immer noch mehr zusetzte. Die Italiener trachteten ihm sogar nach dem Leben, und warfen ihm zweimal die Fensterscheiben ein. Oefter wurde er auf der Kanzel gestört, indem sie ihm zuriefen: „Du Lügner, du lügst.“

Als dieses nach Petersburg berichtet wurde, schickte der Kaiser einen Eilboten an die hiesige Behörde mit dem Befehl, Lindl zu beschützen. So verbrachte er 1 ½ Jahre in Odessa bis zur Ansiedlung. Kaufmann Werner aus Gingen leitete draussen während dieser Zeit die Auswanderung, an welche sich auch Veygel und Herr von Heinlatt anschlossen, welche alle Lindls Freunde waren. Den 28.Juli 1821 verliessen unsere Auswanderer Deutschland, ihre Heimat, und nach 6 Wochen kamen sie in Odessa an, wo sich jeder ein Unterkommen suchte, und den Winter über sich aufhielt. Im nächsten Frühjahr wurde aufgebrochen nach dem Tale Sarata in Bessarabien, welches Lindl angewiesen wurde.

Den 19. März 1922 kamen sie auf dieser leeren Steppe an. Den nächsten Tag, den 20. März, suchte man einen geeigneten Platz zur Niederlassung also wird auch die Ansiedlung vom 20. März 1822 gerechnet. Sie fanden eine Quelle und stellten die Wagen um dieselbe im Kreise und fingen an Hütten zu bauen. Auf derselben Stelle befindet sich jetzt ein Brunnen, wo damals die Quelle war. Es ist ein besonderes Gefühl an jener Qelle, oder jetzt Brunnen, zu stehen, wo unsere Voreltern sich niederliessen und wo einst der berühmte Lindl seine Andachten hielt. Es ist keine zweite Ansiedlung in Bessarabien mit solcher Feierlichkeit begonnen worden, als diese. Genaueres über dieselbe meldet ein Brief, der von einem der Ansiedler, Kaspar Gessler, an seine Verwandten nach Bechingen in Deutschland geschrieben wurde, und den ich hier wörtlich niederschreibe.


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