Zwangsmigrationen in Europa 1938-1948


Bereits Anfang 1936 umriss Reichsbauernführer Walther Darré vor regionalen Mitarbeitern (Fachberatern) des Reichsnährstandes recht konkret die deutschen Eroberungspläne:

„Der natürliche Siedlungsraum des deutschen Volkes ist das Gebiet östlich unserer Reichsgrenze bis zum Ural, im Süden begrenzt durch Kaukasus, Kaspisches Meer, Schwarzes Meer und die Wasserscheide, welche das Mittelmeerbecken von der Ostsee und der Nordsee trennt. In diesem Raum werden wir siedeln, nach dem Gesetz, daß das fähigere Volk immer das Recht hat, die Scholle eines unfähigeren Volkes zu erobern und zu besitzen.[…] Ein solches politisches Ziel muß auf den deutschen Bauernhöfen von Mund zu Mund weitergereicht werden, muß auf unseren Bauernschulen eine selbstverständliche Grundlage des Unterrichts sein. Dann wird auch eines Tages das Volk demjenigen Staatsmann folgen, der die sich ihm bietenden Möglichkeiten ergreift, um unserem Volke ohne Raum den Raum nach dem Osten zu öffnen.“

Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. München 2008, S. 238.

Dabei plante man die Ausrottung der Intelligenz in den eroberten Gebieten und die Versklavung der übriggebliebenen Bevölkerung. Dieses Ziel wurde religiös, sozialdarwinistisch und rassistisch begründet, so äußerte der Leiter der DAF, Robert Ley, vor dem Fachamt der DAF „Der Deutsche Handel“ am 17. Oktober 1939:

„Wir können unseren Auftrag nur daher nehmen, dass wir sagen, es ist von Gott gewollt, dass eine höhere Rasse über eine mindere herrschen soll, und wenn für beide nicht genügend Raum ist, dann muß die mindere Rasse verdrängt und, wenn notwendig, zum Vorteil der höheren Rasse ausgerottet werden. Dasselbe gilt von dem Starken und dem Schwachen. Die Natur rottet überall das Schwache und Ungesunde zugunsten des Starken und Gesunden aus. Der gesunde Hirsch stößt den kranken, und der gesunde Elefant zertrampelt den kranken. Wir aber haben jedoch für 2000 Jahre aus Mitleid Kranke erhalten, das Minderwertige gepäppelt und gepflegt und zu dessen Gunsten das Höhere sich nicht entfalten lassen. Aus diesen Gedanken, aus dieser Idee kommt unser Auftrag. Deshalb verlangen wir Boden.“

Helmut Krausnick, Harold Deutsch (Hrsg.): Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938-1940. Stuttgart 1970, S. 576

In ganz Ost- und Südosteuropa gab es deutschsprachige Bevölkerungsgruppen, deren Vorfahren teilweise seit dem Mittelalter dort gesiedelt hatten. Das Ziel der Nationalsozialisten war eine „Neuordnung Europas“, wie es im „Generalplan Ost“ (1941) formuliert wurde, um diese sogenannten „Volksdeutschen“ in einem ethnisch homogenen Deutschen Reich zusammen zu bringen, dessen  Siedlungsgebiet bis zu einer Linie von der Krim bis Leningrad gedacht war.

Um diese Pläne umzusetzen, wurden ab 1938 Territorien annektiert (Österreich, Sudetenland) und ab 1939 erobert.

Zweiter Weltkrieg in Europa, kleine Animation3

rot Alliierte und UdSSR seit 1941 grün UdSSR bis 1941  blau Achsenmächte und Vichy-Regime  grau neutral

Zugleich sollten die deutsche Minderheiten „heim ins Reich“ gebracht werden. Diese „Splitter des deutschen Volkstums“ wurden als „nicht haltbar“ (Hitler am 6. Oktober 1939) angesehen und sollten in geschlossen deutsch besiedelte Gebiete „zurückgeholt“ werden. Basis dieser geplanten Umsiedlungen („Bevölkerungstausch“) waren zunächst Verträge wie das Münchner Abkommen (1938) im Rahmen der Zerteilung der Tschechoslowakei, nach dem Einmarsch in Polen folgten Verträge mit Italien und weiteren ost- und südosteuropäischen Staaten sowie der Hitler-Stalin-Pakt. Dieser wurde um den Deutsch-Sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag4 ergänzt, welcher die Umsiedlung der Bessarabiendeutsche, Deutsch-Balten und Bukowinadeutschen ermöglichen sollte.

Insgesamt waren über 900.000 „Volksdeutsche“ von den Umsiedlungen betroffen, die in 1.375 Lager verteilt wurden14. Der propagandistische Aufwand war gewaltig, ein spezialisierter bürokratischer Apparat (RFSS)5 wurde geschaffen, der vom „Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums„, Heinrich Himmler, geleitet wurde. Anfangs waren die Betroffenen vor die Alternative gestellt, sich entweder für die deutsche Staatsangehörigkeit und damit für die Umsiedlung ins Deutsche Reich zu entscheiden oder aber in ihrer Heimat zu bleiben und damit ihr „Deutschtum“ aufzugeben, nach Kriegsbeginn nahm der Zwang zur Umsiedlung immer weiter zu.

in: Bericht über den Stand der Um- und Ansiedlung am 1.7.19426

Die geplante Ansiedlung erfolgte jedoch in den wenigsten Fällen auf dem Territorium des deutschen Reichs, die meisten kamen nach mehrmonatigen Lageraufenthalten in die dem Deutschen Reich angegliederten bzw. eroberten Gebiete, die Bessarabiendeutschen vorrangig in den polnischen „Warthegau“, wo sie die „Eindeutschung“ vorantreiben sollten. Angesiedelt wurde u.a. auf Bauernhöfe von zuvor vertriebenen Polen.

Viele der in Osteuropa angesiedelten waren mit der herannahenden Front zum Kriegsende bzw in den ersten Nachkriegsjahren ein weiteres Mal von erzwungener Migration betroffen und wurden zu Flüchtlingen, Repatriierten oder Vertriebenen.

In Gebieten, die während des Krieges zum Großdeutschen Reich gehörten und mit dem Ende des Krieges zu Territorien Polens, der Tschechoslowakei oder Jugoslawiens wurden, entstand zunächst ein verwaltungsloser Raum, in dem Willkür und Gewalt herrschten. Am 2. August 1945 wurde in Potsdam die ethnische und territoriale Neuordnung Europas beschlossen: Polen und Deutschland verloren durch die Beschlüsse der Alliierten ihre Ostgebiete. Die sich bereits in vollem Gang befindenden massenhaften Bevölkerungsverschiebungen sollten kontrolliert, organisiert und legalisiert werden. Neben dem Beschluss zum „Transfer“ der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Polen und Ungarn war die Festlegung der deutsch-polnischen Grenze von Bedeutung.

Karte: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland

Da die Umsiedlungspläne der alliierten Großmächte bekannt waren, kam es vor allem in Polen und in der Tschechoslowakei13 zu willkürlichen gewaltsamen Vertreibungen und Misshandlungen von Deutschen, die erst zwischen dem Sommer und Winter 1945 unterbunden werden konnten.

Entsprechend dem im Herbst 1945 erstellten Plan des Alliierten Kontrollrates wurden im Jahre 1946 und zum geringen Teil zwischen 1947 und 1949 unter der administrativen Kontrolle der alliierten Regierungen Zwangsumsiedlungen von rund 4,8 Millionen Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und aus Ungarn durchgeführt. Sie wurden in überwachten Transporten größtenteils in die amerikanische, britische oder in die sowjetische Besatzungszone gebracht, und dort zum Teil wie zu Zeiten der  „heim ins Reich“ Aktion in Lagern untergebracht.

Passauer Neue Presse vom 18.06.1946
Alltag in einem Gemeinschaftsraum im Flüchtlingslager „Schlotwiese“ in Stuttgart-Zuffenhausen; Bildquelle: Haus der Geschichte Baden- Württemberg, Sammlung Weishaupt

Über die Lager der bessarabiendeutschen Umsiedler vor 1945 ist allgemein nicht viel bekannt, es fallen durch Familienberichte einzelne Namen, die Recherche zur Historie ergibt jedoch ein perfides System der menschenverachtenden Vernichtung im Dritten Reich.

Es gab etwa 2507 „Umsiedlerlager“ die den Menschen über Monate, teilweise Jahre, Unterkunft bieten sollten. Hier wurde im Rahmen der „Schleusung“ sortiert, wer nach den Gesichtspunkten der damaligen Ideologie ansiedlungswürdig war und wer nicht. Genaueres dazu habe ich in unserer Familienhistorie zum Thema Umsiedlung berichtet.

An dieser Stelle möchte ich auf die Geschichte einiger dieser Lager verweisen, die sich u. a. in Bayern (z.B. Kloster Niederaltaich, Schloss Werneck, Dobrudschadeutsche in Burg Rothenfels, Leiders bei Aschaffenburg), der „Ostmark“ (u.a. Kloster Göttweig; Kloster St. Anna Ried im Innkreis, Österreich), für Dobrudschadeutsche in Rohrau und Gemünd  (Niederdonau), Gablitz (Wien), Feldbach (Steiermark), Obersiebenbrunn [Karamurater], Mährisch-Kromau [Mamuslier], Schloß Kranichberg oder Ybbs an der Donau 8 befanden.

Im „Sudetengau“ wurden ca 25.000 Umsiedler in Lagern untergebracht, deren größten lagen in Asch, der Schuhfabrik „Humanik“ in Saatz, Hartessenreuth und in Suchenthal.Schlackenwerth an der Eger nahm Dobrudschadeutsche auf. Da sich 88 Männer und 12 Frauen aus Malkotsch nicht einbürgern lassen, sondern in die Heimat zurück kehren wollten, wurden sie in das Konzentrationslager Flossenbürg gebracht, die Frauen schaffte man zeitgleich in das KZ Ravensbrück. Vom 2. Juli bis 17. Oktober 1942 wurden sie dort „behandelt“, am 18. Oktober erhielten sie eine „2. Chance“ und waren nun „bereitwillig“ zur Einbürgerung.

Württemberg hatte 11 Umsiedlerlager für rund 5.000 Menschen aus Bessarabien.9    In Sachsen waren Pariser in diesen Lagern:

Weitere Lager10 11 in Sachsen waren:

  • Lager 8 Possendorf, Dresden A.28
  • Lager 51 Bischofswerda
  • Lager 56 Reichels Neue-Welt, Chemnitz
  • Lager 77 Rosener Hof, Meißen
  • Lager 97 Auerbach, Vogtland
  • Lager 106 Jugendheim Glauchau
  • Lager 117 Werdau, Pleissental
  • Lager 121 Krimmitschau
  • Lager 152g Weißigstrand bei Rathen
  • Lager „Freier Blick“, Planitz, Zwickau
  • Lager Christau, Zittau
  • Lager 156 Leipzig, Park Meusdorf
  • Lager Leipzig C 1, Seeburgstr. 100
  • Hubertusburg bei Wermsdorf
  • Lager Hoeckerschule, Langenfeld, Plauen
  • Lager Katharinenhof, Großhennersdorf
  • Lager Bad Schandau
  • Lager Ostrau
  • Lager Postelwitz
  • Lager Rosenthal-Schweizermühle,
  • Lager Liebstadt
  • Lager Bad Gottleuba-Hartmannsbach
  • Lager Stolpen
  • Lager Sonnenstein, Pirna

Da die Behörden aus der Umsiedlung der Wolhynier und Galizier gelernt hatten, standen die Lager für die Bessarabier vor Abtransport bereits fest. So verschickte man den Ortsbezirk Mannsburg (Mannsburg, Sofiental, Basyrjamka, Maraslienfeld, Plotzk, Gnadental, Sarata, Friedenstal, Lichtental, Eigenfeld, Annowka und Seimeni) ins Sudetenland, den überwiegenden Teil des Bezirks  Beresina (Beresina, Borodino, Hoffnungsthal, Neu Klöstiz, Paris, Arzis, Teplitz, Katzbach, Krasna) nach West- und Ostsachsen, die Klöstitzer ins Eichsfeld/Thüringen. Albota, Eichendorf und Wischniowka kamen nach Niederbayern und Franken, Kulm, Leipzig, Tarutino, Alt Posttal, Neu Elft und Alexanderfeld hatten das Ziel Franken, Mainfranken und München/Oberbayern. Die Lager der Gaue Unter- und Oberdonau waren für Kischinew, Jekaterinowka, Neu Sarata, Fürstenfeld, Alt Oneshti, Neu Strymba, Mariewka, Mathildendorf und Kurudschika vorgesehen. 12

Bevor jedoch die Umsiedler in diese Lager aufgenommen werden konnten, wurden diese oftmals „beräumt“ von jenen, die man schlicht als „unwert“ betrachtete. Wie das vor sich ging, lesen Sie bitte in den Artikeln zu den Lagern.


1) Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. München 2008, S. 238.
2) Helmut Krausnick, Harold Deutsch (Hrsg.): Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938-1940. Stuttgart 1970, S. 576
3) San Jose – Eigenes Werk basierend auf: Karten der Univerity of Texas Libraries
4) „Die Neuordnung Osteuropas“ in: ZAOERV 9 (1939/40) Vollständiger Text des Vertrages und der Zusatzprotokolle
5) Anordnung des RFSS über den Aufbau der Volkstumsarbeit der NSDAP und eine Abgrenzung der Zuständigkeit der Hauptämter der SS
6) Bericht über den Stand der Um- und Ansiedlung am 1.7.1942, Bundesarchiv Bestand NS 19 (Persönlicher Stab des Reichsführers SS) Akte 2743
Erlaß des Führers und Reichskanzlers zur Festigung des deutschen Volkstums, 7. Oktober 1939, BArch R 43 II/604, Bl. 27-28
Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin [(„Potsdamer Abkommen“) vom 2. August 1945]
7) Geschichtsschreibung zu den böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert: Wissenschaftstraditionen – Institutionen – Diskurse. Vorträge der Bad Wiessener Tagung des Collegium Carolinum 21.-23.11.2003 und vom 12. -14.11.2004 , Herausgeber Collegium Carolinum Forschungsstelle für böhmische Länder, Band 28, Oldenbourg Wissenschaftsverlag (11. Oktober 2006), S. 191
8) Jahrbuch 1956 der Dobrudscha-Deutschen
9) Martin Grasmannsdorf: Die Umsiedlungslager der Volksdeutschen Mittelstelle im Gau Württemberg-Hohenzollern 1940–1945, dazu: Homepage des Autors mit Lagern der Slowenen
10) DAI Microfilm T-81; Roll #599; Serial 816; Group 1035
11) Geschichte Pirna
12) Ute Schmidt; Die Deutschen aus Bessarabien, Eine Minderheit aus Osteuropa, Bölau 2006, S. 181f
13) Zahlen der Vertriebenen nach Berichten der Sudetendeutschen Landsmannschaft vom 5.11.1955
14) Tagesbote Nr. 290 vom 6.12.1940, Mährischer Zeitungsverlag Brünn, S.3 „Heimkehr der 320.000 Volksdeutschen“