Zur Erinnerung an unsere Vorfahren, die als Migranten aus Süddeutschland in die Welt zogen

Schlagwort: Kaukasus

Aus Brandenburg in den Kaukasus


Manchmal ist die Welt kleiner, als man glaubt. Während ich alte Aufnahmen sichtete und bei findagrave veröffentliche, stellte ich fest, Lieberose … Trierenberg … da war doch eine Verbindung zu von Kutzschenbach. Zu diesem Sprung aus meinen heimatlichen Gefilden in den fernen Kaukasus möchte ich an dieser Stelle berichten.

Grabstein von Heinrich Christian Bernhard Trierenberg (1747-1849) und dessen Ehefrau Therese Cunigunde geb. Neruda (1787-1851) in Lieberose

Die Familie Trierenberg saß schon 1500 zu Kallies in Pommern und begann ihre Stammlinie mit Mathäus Trierenberg, vornehmer bürgerlicher Einwohner, ganzer Brau-Erbe und Hospital-Vorsteher zu Kallies (ca. 1560-1620).
Wappen: Geteilter Schild. Vorn in Silber unten ein roter Dreiberg (Trierenberg), aus dem eine grüne Palme emporwächst, hinten in Blau ein silbernes Senkblei. Auf dem gekrönten Helm mit blau-silberner Decke ein auf weißem springenden Roß reitender Ungar in blauer Uniform, in der Rechten den Säbel schwingend.1

Carl Gotthold Christian Trierenberg (1748-1808) kam als Kurfürstlich sächsischer Postmeister nach Lieberose. Er erwarb an der durchgegenden Poststrasse in der Vorstadt Lieberoses ein Grundstück. Der „Luisenhof“ war ursprünglich ein Hof mit einem Gasthaus, wurde 1802 zur Poststation ausgebaut, nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Gebäude als Krankenhaus genutzt (Landambulatorium). Sohn Heinrich Christian Bernhard (1747-1849) übernahm das väterliche Amt.

Die Familie der Kutzschenbach stammte aus Thüringen und schrieb sich wohl ursprünglich Kutzebach. Zur Namensgebung gab es einige Theorien.

Das Wappen findet sich erstmals auf einem Siegel vom 6. Oktober 1676, im Schilde ein gedeckter Wagen, auf einem alten Wappenschild soll aber ein Rabe vorhanden gewesen sein.1

Dem bewulsteten Helm mit beiderseits herabhängenden Decken dient als Zier ein sitzender natürlicher Rabe. Wappenfarben: blau-gold (P). Das Reichsadelswappen nach der Originalurkunde vom Jahre 1739 ist folgendermaßen blasoniert:
„Geteilt, oben in von Gold und Blau gespaltenem Felde zwei Balken verwechselter Farbe im Sparrenschnitt, unten in Rot ein auf Rasen schreitender silberner Wolfmit ausschlagender Zunge. Auf dem gekrönten Helm mit rechts blau-goldener, links rot-silberner Decke der Wolf wachsend. (Die Wölfe als Wappentiere sind wahrscheinlich dem Freiherrlich von Ende’schen Wappen nachgebildet, da sich der Wappenempfänger mit einer Trägerin dieses Namens in erster Ehe vermählte.) Die Reichsadelsurkunden vom 6. September 1740, 13. April 1743, 19. November 1745 und 6. August 1746 zeigen dasselbe Wappen. Um das alte Wappenbild zu erhalten, führt die Familie auch einen zweiten bewulsteten Helm mit blau-goldener Decke, auf dem ein natürlicher Rabe erscheint, während als erster rechter Helm der gekrönte, mit rot-silberner Decke und nach links gekehrtem wachsenden Wolf erscheint.
Der im Verlauf des 18. Jahrhunderts in der Familie Kutzschenbach gebräuchlich gewordene Wappenspruch lautet: „Justus et tenax – gerecht und fest“.1

Wie nun gehören diese Familien zusammen?

Der Königliche Finanzkommissarius und Postmeister der Stadt Lieberose, Heinrich Christian Bernhard Trierenberg (1747-1849) und dessen Ehefrau Therese Cunigunde geb. Neruda (1787-1851) sind die Eltern der Friederike Rosamunde Trierenberg (1811-1850). Diese ehelichte Ferdinand Anton Moritz von Kutschenbach (1799-1857) am 6. November 1839 in Lieberose.

Eheschließung 1834 in Lieberose

Aus dieser Verbindung ging Sohn Arthur Alexander (1835-1909) hervor.

Geburtseintrag 1835 Groß Breesen

Um die Familienverhältnisse besser verständlich zu machen, ein kleiner Überblick:


Arthur Alexander von Kutzschenbach war eigentlich Jurist, nach dem frühen Tod des Vaters wandte er sich jedoch der Forstwirtschaft zu und in der Schweiz der Milchwirtschaft und Käserei, ehe er 1862 auswanderte.

Die Landwirtschaft war ihm allerdings seit seiner Kindheit vertraut, sein Vater hatte zunächst in Groß Breesen ein Gut besessen, eher er nach Pommern ging.

Im Kaukasus wurde A. von Kutzschenbach der Gründer des Gutes Mahmutly 40 Werst von Katharinenfeld.  Seine Ehefrau, die Schweizerin Anna Barbara Scheidegger (1840-1932) lernte er über ihren Vater kennen, den er als Fachmann für seine Käserei angeworben hatte. Ihr gemeinsamer Sohn, Kurt von Kutzschenbach, wurde 1906 Herausgeber der „Kaukasischen Post“3, der ersten deutschen Zeitung Georgiens.

Mahmutly war eine vorbildliche Viehwirtschaft auf 76 km² Pachtland mit Stallungen, die nach damals modernster Landwirtschaftskenntnis erbaut wurden. Diese beherbergten um 1908 rund 300 Stück Milchvieh, 120 Stück Jungvieh, dazu Zuchtstiere und Ochsen. Innerhalb von 30 Jahren entstand eine neue, mehrheitlich graubraune, stämmige Rinderrasse durch Kreuzung einer importierten Schweizer Herde, tatarischem Vieh, sowie Duchoboren-Rindern, einer russischen Rasse.3 Dazu wurden Zuchtbücher geführt, um die Abstammung der einzelnen Tiere und ihre Eigenschaften nachvollziehen zu können.  Man beachtete wie in der heutigen Landwirtschaft die Milchleistung und ihre Inhaltsstoffe, den richtigen Futteranbau, Einsatz von Kraftfutter und führte Futterberechnungen durch. So entstand eine leistungsfähige Milchproduktion mit vermehrter Widerstandskraft gegen die häufigen Seuchen und das Klima im Kaukasus. Ebenso besaßen man eine ausgedehnte Bienenzucht. Diese wurde nach einigen Rückschlägen von dem extra angeworbenen Schweizer Christian Siegenthaler2, von Beruf eigentlich Käser, aufgebaut. Später baute Siegenthaler eine eigene Käserei auf.

Baron Kutzschenbach zu Besuch in Käserei Karabulach.
Foto: Burgdorfer Jahrbuch 2

Bewirtschaftet wurden von ihm neben seinem Gut Mahmutly das Gut Bogaßkessan, sowie ein Forst (800 Deßj.), bestehend aus Eichen, Weiß- und Rotbuchen, der von in Deutschland ausgebildeten Förstern betreut wurde.

Auf dem Gut Bogaßkessan fand vorrangig Pferde- und Schafzucht statt, sowie Obstanbau. Auf dem Gut Ssouch-Bulach erbauten seine Söhne 1905 eine eigene Käserei.

Neben der Meierei gab es Käsereigebäude, Eiskeller, Pferde- und Schweineställe, separate Krankenställe, eine Hausapotheke mit Ambulanzraum, eine Stellmacherei, eine Schmiede, eine Mühle, eine Brotbäckerei, Gebäude der Gutswache wegen der ständigen Räuberüberfälle, Arbeiterwohnungen, ein Gebäude mit Turm für schulische und kirchliche Zwecke.

Auf den Gütern arbeitetete rund 180-200 Armenier täglich, viele der Tataren waren über Generationen auf dem Gut tätig und heirateten dort auch. Sie lebten kostenfrei in den Wohnungen, erhielten Lohn und Deputat, auch ihre Frauen, die zumeist als Melkerinnen arbeiteten. Alle Arbeitskräfte auf dem Gut wurden ausgebildet, welches etwa 1879 käuflich erworben wurde, kurz vor Ende der Pachtzeit.

Die Produktion an Käse lieferte man bis nach Warschau, Moskau, Kasan und Sibirien, die Butter blieb im Kaukasus. Die Qualität war so gut, auf der Pariser Weltausstellung wurden die Kutzschenbach´schen Käse prämiert, auf einer Ausstellung 1882 in Moskau glaubte man gar einen Betrug, nahm an, es wären Schweizer Käse. So kam eine Kommission nach Mahmutly, um sich selbst von der Echtheit zu überzeugen und vergab anschließend eine Sondermedaille.

In Tiflis gab es mehrere offizielle Verkaufsstellen, in den anderen Städten des Kaukasus Vertreter für den Verkauf der Produkte.

Für seine Verdienste in vorbildlicher wirtschaflicher, sozialer und kultureller Arbeit auf seinem Großgrundbesitz und dessen Bedeutung für die doch sehr unsichere Region nahe der türkischen Grenze wurde Arthur Alexander von Kutzschenbach vom russischen Zaren 1896 in den Adelsstand erhoben und erhielt den Titel „Baron“.

Anzeige der Dampfziegelei in der Kaukasischen Post Nr. 1

Obwohl Landwirt, gab es noch weitere Unternehmungen. So betrieb er rund 80 km von Tiflis  und 15 km von Mahmutly entfernt etwa 24 Jahre lang eine von der russischen Regierung finanziell unterstütze Glashütte. Auch diese bekam ein Umfeld, wie es auf seinen Gütern üblich war, Verwaltungsgebäude, Wohnungen für die Glasmacher und eine deutsche
Schule. In dieser Hütte arbeiteten überwiegend Glasfacharbeiter aus Schlesien.

Neben der Glashütte gab es zwei Ziegeleien, eine für Mauersteine, eine für Dachziegel, die Arbeiter waren Einheimische, aber auch Perser und Griechen. Im Juli 1906 streikten diese sogar einmal.

Im Jahre 1909, in der Nacht vom 8. zum 9. Juli verstarb Baron Arthur Alexander von Kutzschenbach im Alter von 74 Jahren. Karl und Alexander von Kutzschenbach erbten die Güter. Karl starb bereits 1911 in Lugano und wurde nach seiner Einäscherung in Dresden nach Mahmutly überführt. Seine Witwe Anna führte das Gut weiter, bis es in den Wirren der Revolution 1918 von den Boschewiki zerstört wurde. Sie wurde enteignet, ihr Sohn Frank zum Verwalter der Überreste bestellt. Letzlich verließen sie den Kaukasus und kehrten nach Deutschland zurück.

Alexander und seine Frau wurden inhaftiert, wie viele andere Deutsche im Kaukasus, nach der Entlassung starb er mit nur 53 Jahren auf Gut Bogaßkessan 1922, seine Frau folgte ihm ein Jahr später in Tiflis.

1913 war eine Feier zum 50. Jahr des Bestehens der Güter, sieben Jahre später waren von dem einstigen Vorzeigegut nur noch Trümmer übrig.

50 Jahr Feier 1913

Neben seinem Vater war Baron Kurt Ferdinand von Kutzschenbach (1871-1915) vermutlich der bekannteste von Kutzschenbach in Georgien.

Nach seiner Ausbildung wurde er zunächst Akzisebeamter der russischen Spiritus-Monopolverwaltung und später in der russischen Landesgendamerie Distrikts-Hauptmann in Karakly/Erewan.

1899 heiratete er die in Spremberg geborene Marthe Elsbeth Frieda Schwetasch (1879-1902). Die Familie Schwetasch war mit der Familie Trierenberg, seine Vorfahren, verwandt.

Eheschließung in der Spremberger Kreuzkirche 1899

Aus dieser Ehe entstammten zwei Söhne, Herbert Curt Erdmann, wohnhaft in evangelischen Johannesstift und Schüler in Berlin-Spandau, starb bereits am 14. Dezember 1912 im städtischen Krankenhaus Spandau, er wurde nur 11 Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt war sein Vater Kaufmann in Tiflis, die Mutter war bereits am 25. Dezember 1902 in Tiflis verstorben.

Eine erneute Ehe erfolgte 1907 mit Eva Doehn, sie kam aus Preußisch Stagard.

In Tiflis lernte er den Schlesier Artur Leist, (1852-1927) kennen, dieser hielt sich seit 1884 im Kaukasus auf und lebte seit 1892 ebenfalls in Tiflis. Leist beherrschte die georgische und armenische Sprache und arbeitete als Übersetzer ins Deutsche, schrieb auch allerlei Artikel über kaukasische Themen für Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland. So kam Leist die Idee, eine deutschsprachige Zeitung heraus zu geben. Mitstreiter fanden sich schnell, cand. jur. Alexander Fufajew (1866-1936, wurde im Gefängnis erschossen); Erich Bernstein (1865-1932), Berliner Zahnarzt und Lehrer in Tiflis; Alexis Walling (1861-1936), Lehrer in Tiflis; Franz Schulz (1864-1934) Lehrer in Tiflis; Brauereibesitzer Otto Mader aus Tiflis; Kaufmann Hugo Heerde; Kaufmann Theodor Warmbrunn – bereits bei den von Kutzschenbach tätig, übernahm Kasse und Buchhaltung; der Schweizer Albert Kirchhofer Lehrer in Helenendorf und Tiflis; Fräulein Helene Walter, Lehrerin und Korrektorin der Zeitung, sowie Kurt von Kutzschenbach, der Herausgeber und zeitweise verantwortlicher Redakteur wurde.

Am 18. Juni 1906 war es soweit, die erste Ausgabe der „Kaukasischen Post“ erschien. Die Zeitung erschien damals wöchentlich, jeweils am Sonntag und beinhaltete politische Leitartikel, Nachrichten, Annoncen, Leserbriefe, eine Rundschau aus dem In- und Ausland sowie Nachrichten aus den deutschen Kolonien im Kaukasus. 

Da das Interesse unter der deutschsprachigen Bevölkerung groß war, erschien die Zeitung ab 1909 deutlich erweitert als §Kaukasische Post – Einzige Deutsche Zeitung des Kaukasus – Insertionsorgan für Cis- und Transkaukasien“. In der Zeit des ersten Welkrieges wurde „Kaukasische Post“ eingestellt und erschien erst wieder 1918, ehe sie 1922, kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee in Georgien, ihr Erscheinen endgültig einstellen musste.

Während der Erste Weltkrieg tobte, wurden Baron Kurt von Kutzschenbach und seine zweite Frau Eva auf ihrem Landgut Tabaruki, etwa 25 km von Tiflis entfernt, ermordet. Nur sein Sohn Walter (1900-1974) aus erster Ehe überlebte diesen Überfall durch Zufall, da er als Schüler im Internat in Tiflis war und kehrte später nach Deutschland zurück.

Quellen:

  1. Stammbuch des thüringischen Geschlechts von Kutzschenbach. Im Auftrage der Familie zusammengestellt
    von Walther von Kutzschenbach und Rolf von Kutzschenbach. 1915. Gedruckt bei C. A. Starke, Hoflieferant Sr. Maj. des Kaisers und Königs, Görlitz.
  2. BURGDORFER JAHRBUCH 1986, LIII. Jahrgang
    Herausgegeben von der Casino-Gesellschaft Burgdorf, der Ortsgruppe Burgdorf der Hernischen Vereinigung für Heimatschutz, dem Rittersaalverein Burgdorf, der Gemeinnützigen Gesellschaft Burgdorf und dem Oekonomischen und gemeinnützigen Verein des Amtes Burgdorf. Kommissionsverlag: Langlois & Cie.
  3. Kaukasische Post diverse Ausgaben
  4. KARL AUGUST FISCHER Die„Kaukasische Post, Verlag von S. Hirzel in Leipzig, 1944
  5. Handbuch der preußischen Adels, herausgegeben unter Förderung des königlichen Herold Amtes, Erster Band, Berlin 1892, Ernst Siegfried Mittler und Sohn, könihliche Hofbuchhandlung
  6. Kirchenbücher Lieberose, Groß Breesen, Spremberg, Tiflis, Preußisch Stargard, Standesamt Spandau, Krematorienbuch Dresden
  7. Rigasche Rundschau
  8. Fotos der Grablage, Zeitungsartikel, Kirchenbücher, Zusammenstellung der Vorfahren von mir selbst erstellt und recherchiert
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Zeitzeugenberichte online

Um Ihnen, werter Leser, die Gelegenheit zu geben, sich mittels weniger beispielhafter Zeitzeugenberichte selbst ein Verständnis der Geschehnisse zu verschaffen, hier einige Verweise, diese Links stehen weder in meiner Verantwortung, noch geben sie meine Ansichten wieder:



Da für viele unbegreiflich ist, weshalb sich die Umsiedler zur Waffen-SS haben einziehen lassen, sind diese Berichte vielleicht ein Ansatz zum Verständnis:


Die Gefahr im Alltag der Umsiedler zeigt sich auch in Dokumenten :


Weiterführend wäre das Buch Die „Rückführung“ der Volksdeutschen am Beispiel der Bessarabiendeutschen von Heinz Fieß, dazu eine Rezension der „Revista BUNĂ – Zeitschrift für Befreiung & Emanzipation – nicht nur in Rumänien“ mit zahlreichen Quellbelegen.



1Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Zeitzeugenprojekt
2LeMO – Lebendiges Museum Online
3Systhema in der United Soft Media Verlag GmbH, online
4Projekt Zeitzeugenportal
5Das Zeitzeugenportal
6Homepage des Ortsheimatpflegers der Gemeinde Lunestedt
7Internet Edition des Buches „Quellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungspolitik in Slowenien 1941 bis 1945“, Autor: Tone Ferenc, Maribor 1980
8Grundsätze für das Verhalten der Deutschen in Polen, in: Herder-Institut (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur ostmitteleuropäischen Geschichte. Themenmodul „Deutsche Besatzungspolitik in Polen 1939-1945“, bearb. von Markus Roth
9Homepage LudwigsbürgerInnen erzählen

Deutsche Kolonie Tiflis


Wie bereits unter Katharinenfeld geschildert, brachen 10 Gruppen religiöser Schwärmer zwischen Mai und August 1818 zu ihrem Sehnsuchtsort im weit entfernten Kaukasus auf.

31 Familien mit 181 Personen erreichten am 21. September 1817 Tiflis. Ihr Weg hatte sie aus dem fernen Württemberg über die Donau und das Schwarze Meer bis zur Hafenstadt Odessa geführt. Von dort ging es über Land durch Cherson, Taganrog, Rostov, Georgievsk und Mosdok nach Tiflis.

Generalleutnant Alexei Jermolow, der Leiter der Russi­schen imperialen Hauptverwaltung von Transkaukasien, war für die deutschen Siedlungen im gesamten Süd-Kaukasus war zuständig, ihm unterstellt der Stadthalter von Tiflis. Dieser koordinierte die Gründung und Verwaltung von Siedlungen in seinem Gouvernement und verwaltete 65.000 Gold­rubel zu diesem Zweck. Entsprechend kaiserlicher Anordnung wies er jedem arbeits­fähigen männlichen deutschen Neusiedler 35 Dessjatinen fruchtbares Land zu.  Jeder Familie wurden 2.800 Rubel als Startkapital zugeteilt. Ganz im Gegensatz zu den 25 Rubel für armenische Übersiedler aus Persien bzw. 10 Rubel für Griechen aus der Türkei.1

Neckar Zeitung 20.2.1827

Durch ihre Ansiedlung im November 1818 gründeten sie die Orte Neu-Tiflis (eine Koloniegründung von 60 Handwerkerfamilien) und Alexanderdorf (Liebknechtsdorf, Didube) gründeten. Die Kolonie Alexanderdorf umfasste 23 Familien und lag am linken Ufer des Flusses Mtkwari, nördlich der Tifliser Innenstadt, im Bezirk Didube. Neu-Tiflis entstand im damaligen städtischen Vorort Kukia, die zumeist schwäbischen Familien, die sich nun ansiedelten, erbauten ihre eingeschossigen Giebelhäuser parallel zum Fluss Mtkwari rechts und links eines breiten Weges. Jede Familie hatte ihr eigenes Haus, ausgestattet mit einem gewölbeartigen Keller und Gartenland.

Im Jahre 1829 weihte man eine eigene deutsche Kir­che ein. Die erste Apotheke der Stadt wurde im selben Jahr durch den deutschen Apotheker Hör Schonberg eröffnet und blieb über Jahrzehnte die einzige Einrichtung dieser Art in Tiflis. Ein weiterer deutscher Apotheker Eugen Semmel, wurde Namenspatron eines zentral gelegenen Viertels von Tiflis.

Der dauerhafte Zustrom deutscher Handwerker sorgte dafür, dass sich Tiflis zu einem Zentrum für Handel und Handwerk im Kaukasus entwickelte. Es fanden sich praktisch alle Gewerke, vom Mützen- und Hutmachern, über Sattler, Nagel- und Waffenschmiede, Uhr- und Nadelmacher oder Schlosser bis zu Bäckern, Tischlern, Schustern und Maurern. Man produzierte in freien Werkstätten Seife, Kerzen, Möbel, Lederwaren und Bekleidung. Der Erfolg der Deutschen war derartig, dass die einheimischen Handwerker bereits 1835 die Tifliser Verwaltung  aufforderten, Extra-Steuern auf die Aufträge der Stadtbevölkerung zu erheben, oder aber ihnen die Annahme derartiger Aufträge zu untersagen.

Einer dieser Handwerker, der Drechsler Gotthartd wurde wie folgt beschrieben: ein Mann, „dessen wohlgenährte Statur eher an einen Schlauch als an eine Wespe erinnerte, dessen Anzug nachlässig getragen wurde, dessen feistes, phlegmatisch-gutmütiges Gesicht den Süddeutschen nicht erkennen ließ“…. Ein ehrsamer Drechsler, der ein Monopol in Tiflis in seinem Beruf betrieb. Er fertigte mittelmäßige, teure Ware aus Holz, Horn und Elfenbein an, die ihm und seiner Familien, zu der ein halbes Dutzend blonde, kräftige, gesunde Kinder gehörten, ein leidliches Auskommen bescherte.5

Pariser Moden-Journal 9.12.1843 S. 399

Als 1843 viele der angesiedelten Pietisten begannen, ganz, wie die inzwischen vierundsechzig jährige Frau Spohn es angeraten hatte, ihren Besitz zu veräußern, um mit ihr als Braut Christi das tausendjährige Reich in Jerusalem zu erwarten, drohte eine Massenauswanderung ins Heilige Land. Die Verwaltung sah sich dazu gezwungen, zu handeln, immerhin hatte die Regierung erhebliche Summen in die Ansiedlung  investiert und konnte daher dem drohenden Verlust  an Handwerkern, aber auch Bauern, nicht tatenlos zusehen. Die örtliche Polizei verhaftete Frau Spohn und einige geistliche Persönlichkeiten aus Katharinenfeld kurz nach deren Aufbruch ins Heilige Land und schickte sie mit einer Eskorte zurück nach Tiflis. Damit endete die Auswanderung und alle kehrten heim, hatten allerdings nun Hab und Gut verloren.3

Im Jahre 1850 wurde neben der evangelischen Kirche in der Tifliser Kolonie eine Schule eröffnet. Der Unterricht erfolgte auf Deutsch, die Schule war aber für alle Kinder offen.

Die breite Straße aus der Gründerzeit zwischen den Häusern wurde nach dem russischen Fürsten Michail Romanov benannt. Romanov wurde zum Vizekönig im Kaukasus ernannt und zog im Zuge dessen mit seiner Familie 1862 nach Tifilis.

Um die Trennung der Stadt aufzuheben und so den Eingemeindungsprozess von Neu-Tiflis und Alexanderdorf als Stadtteile Tifilis´zu beschleunigen, baute man Brücken über den Fluss. Hier waren ebenfalls Deutsche am Werk, wie die Ingenieure Lehmkuhl und Dietzmann bzw. Sasemann, der mit der „Eisernen Brücke“  1870 im Stadtviertel Awlabari beauftragt war.

Die nun rasante Entwicklung brachte der im Volksmund „Michailstraße“ genannten Straße einen Bauboom, es entstanden Hotels, Geschäftshäuser und großzügige private Villen. Ganz in der Nähe baute man öffentliche Vergnügungsgärten wie das Fantasie und das Gofileft, Varietés und Klubs, wie der Gorgidjanovs Klub und der Touristen Klub, Sommer- und Wintertheater wie das Modern, das Lira, das Odeon, das Saturn und das Moulin Rouge. Als beliebteste und belebtesten Flaniermeile der Stadt wurde sie im Jahre 1899 in Michail Prospekt umbenannt. Noch heute finden sich hier die alten Häuser der deutschen Kaufleute, die Straße heißt nun David Agmashenebeli Prospekt.

Bereits 1827 richtete ein Erdbeben in der Stadt große Zerstörungen an, auch die alte Festung Nariqala war betroffen. Teile der zerstörten Zitadelle wurden abgetragen, der Bauschutt und herbeigeschafftes Erdreich bildeten ab 1845 auf dem Terrain des 400 Jahre alten königlichen Festungsgartens (Seidabadi Garten)  die Basis des dort entstehenden Botanischen Gartens. Er liegt am Abhang des Sololaki-Bergrückens in der von einem Flusslauf mit Wasserfall durchzogenen Legwtachewi-Schlucht (Feigenbaumschlucht) auf 420 bis 680 Meter über dem Meeresspiegel. Schon 1809 wurden dort steinbefestigte Terrassen und Fußwege angelegt und Heilpflanzen angebaut.2

Wenige Jahre nach seiner Gründung wurde der Botanischen Gartens für seine wunderbaren Orchideen bekannt.

Unter Leitung des deutschen Botanikers und Landschaftsarchitekten Heinrich Scharrer (1828-1906) wurde der Garten zwischen 1861 und 1889 wesentlich erweitert. Der Magdeburger Scharrer studierte in Göttingen Botanik und Landschaftsarchitektur. Nach dem Studium züchtete er Pflanzen im Wildpark Potsdam, Brandenburg, wechselte dann zu einer Stelle als Verwalter der Hofgärtnerei des Fürsten zu Stolberg-Wernigerode. In dieser Zeit arbeitete Scharrer auch für den Professor Karl Koch in Berlin, für den er Zeichnungen von Pflanzen anfertigte. Dieser stand im Kontakt mit dem Stadthalter von Tiflis, welcher einen Landschaftsarchitekten suchte. Daher entsendete Koch Scharrer, der sich im September 1859 auf die Reise nach Georgien machte. Dort wurde er mit mehreren Projekten betraut, die so erfolgreich umgesetzt wurden, das er 1861 zum Direktor des Botanischen Gartens ernannt wurde.

In den 1870er Jahren errichtete man die ersten Gewächshäuser, darunter eines für tropische und subtropische Pflanzen, und baute 1886 das Botanische Museum. Auch der erste Samenkatalog des Gartens geht auf ihn zurück. Mit seinem Ruhestand 1889 übernahm Adolf Christian Roloff (1870-1952) die Nachfolge und intensivierte ab 1902 die botanische Forschung. Dazu wurden wissenschaftlichen Abteilungen und Laboratorien, regionale geographische Abteilungen und Probestationen in Transkaukasien gegründet und verstärkt internationale Kontakte geknüpft.

Nach der Oktoberrevolution verfiel der Garten, ab 1943 der der Akademie der Wissenschaften unterstellt, entwickelte er sich wieder zu internationalem Ansehen und ist heute ist Mitglied der World Botanical Gardens International Association (WBGIA).

Da sich Tifilis seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr zu einer modernen Hauptstadt entwickelte, kamen immer mehr Gelehrte und Geschäftsleute aus den preußischen Ostseeprovinzen, Österreich, der Schweiz und natürlich Deutschland selbst, in die Stadt. Unter ihnen Architekten wie Albert Salzmann (1833–1897), Leopold Bielfeld (1838 – 1922) oder Otto Jacob Simonson (*1829), aber auch Maler, Ärzte und Schriftsteller wie Bertha von Suttner, Friedrich von Bodenstedt (1819-1892), der über mehrere Jahre am städtischen Gymnasium Franzö­sisch unterrichtete oder der Publizist  Artur Leist (1852-1927). Als der Unternehmer Karl von Kutschenbach im Jahre 1906 die deutsche Zeitung Kaukasische Post in Tiflis gründete, wurde Artur Leist Hauptredakteur, ab 1908 Inhaber und Redakteur der Zeitung.

Angezogen von den reichen Bodenschätzen des Kaukasus erwarben 1864 die Brüder Siemens ( Werner, Walter, Karl und Otto) das Kupferbergwerk Kedabeg.4

Werner von Siemens (1816-1892), Gründer der deutschen Firma Siemens & Halske, war mit der Installation von Telegrafenleitungen beauftragt, zwischen 1858 und 1863 Moskau-Tiflis-Poti-Vladikavkaz, 1868 Tiflis-Baku und 1870 von Ixmdon über den Kaukasus nach Indien. Zudem besaß die Firma das Monopol beim Bau und Betrieb von Stromversorgungsanlagen im gesamten Russischen Reich. In seiner Firma war Bruder Carl Heinrich von Siemens tätig (1829-1906). Dieser errichtete 1861 auf seinem Gut Chmelewo am Ilmensee die Glashütte Gorodok.

Bruder Walter Siemens (1833-1868) eröffnete ein Handelskontor in Tiflis und war zudem als preußischer Konsul tätig. Nach dessen Tod in Tiflis führte sein jüngerer Bruder Otto Siemens (1836-1871) die Geschäfte fort, auch er liegt in Tifilis begraben.

Es gab noch viele weitere erfolgreiche Deutsche, die über die Grenzen Georgiens hinaus bekannt wurden. Zu ihnen gehörten der Weinbauer Friedrich Wetzel, der auch das nach ihm benannte Hotel in Tiflis führte. Der Geologe Hermann von Abich (1806-1886), ein Experte für Vulkanologie, der von Alexander von Humboldt zur Erforschung von Erdbeben in den Kaukasus gesandt wurde, oder Gustav Radde (1831-1903), Naturwissenschaftler, Ethnograf und einer der Begründer des kaukasischen ethnografischen Museums. Das 1870 eröffnete Museumgebäude stammte vom Architekten Albert Salzmann und befand sich am Golowinski Prospekt gegenüber dem Palast des Statthalters.

Der Musikpädagoge und Pianist Franz Kessner (1851-1930) gründete im Jahre 1881 das erste professionelle Quartett der Stadt. In seiner Klasse unterrichtete  Erna Krause, später eine berühmte Sängerin. Ihr Schüler war der Pianist Rudolf Kehrer (1923-2013), dessen Großvater (1850-1905) im 19. Jahrhundert die erste Klavierbaufirma Georgiens Hermann Kehrer gründete.

Peter und Paul Kirche Tiflis
Pastor Richard Mayer

Im Jahre 1894 begann der Bau der Sankt Peter und Paul Kathedrale in der Siedlung Neutiflis, die Weihe fand 1897 statt. Richard Mayer (1869-1933) wurde zum Pfarrer ernannt. Architekt der neugotischen Kathedrale war Leopold Bielfeld. Die Peter-und-Paul-Kirche in Tbilisi wurde 1946 von deutschen Kriegsgefangenen abgerissen.

Im Zuge der Kollektivierung begann man 1930 mit Verhaftungen und Verboten von Versammlungen und Gottesdiensten. Im Jahre 1931 wurde Pastor Meyer verhaftet, ebenso zahlreiche andere evangelisch-lutherische Geistliche und Mitglieder der Gemeinderäte. Pastor Meyer wurde 1933 in Moskau im Gefängnis ermordet.

Mehr zu dieser Zeit und den Verhaftungswellen habe ich bereits unter Katharinenfeld berichtet.

Am 28. August 1941 wurde die Umsiedlung aller Russlanddeutschen durch Stalin befohlen, alle Kaukasiendeutschen, die nicht mit Georgiern verheiratet waren, wurden zwischen Oktober und November 1941 nach Sibirien und Kasachstan deportiert.



Video auf youtube: „Bilder der Vielfalt“ der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Georgien; Quelle:
Institut für Toleranz und Vielfalt  ტოლერანტობის და მრავალფეროვნების ინსტიტუტი

 


Quellen, Fotos:
wikimedia: Tiflis im Jahr 1734 (aus Verschiedene Prospecte der Vornemsten Stadten in Persien samt vorderst einer unsern dem Caspischen Meer, dem Russischen Reich zugehörig gelegenem Stadt, zu mehrenem Liecht und rleuterung der neu – verfertigten Persianischen Land – Charten, von Johann Baptist Homann). public domain

wikimedia: L’avenue Mikheil (aujourd’hui avenue David Aghmachénélébi), en 1900, dans la colonie allemande Neu Tfilis, quartier de Tbilissi. Domaine public

wikimedia: Tiflis: Botanical garden (cultivated part). Fotograf George Kennan (1845-1924). This image is available from the New York Public Library’s Digital Library under the strucID 289388, public domain

Heidelberger historische Bestände digital: Kaukasische Post: die deutsche Monatszeitung aus dem Südkaukasus — 9.1914 (5. Januar -16. August) 5/S.3, Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen

Pastor Mayer auf blueshield

Wikimedia: Peter und Paul Kirche Tiflis: Церковь Святых Петра и Павла (Тбилиси) gemeinfrei


wikipedia

Nino Tschegoschwili: Deutsche Siedler im Tiflis des 19. Jahrhunderts, S. 65-79

1Nino Tschogoschwili: Deutsche Siedler im Tiflis des 19. Jahrhunderts in: Iran & the Caucasus Vol. 8, No. 1 (2004), pp. 65-7, Brill Leiden – Boston

2Zizischwili, Irakli: Tbilissi – Architekturdenkmäler und Kunstmuseen. Aurora, Leningrad 1985, S. 81–85.

3Autor / Hrsg.: Harnisch, Wilhelm ; Heinzelmann, Friedrich ; Harnisch, Wilhelm ; Heinzelmann, Friedrich: Die Weltkunde in einer planmäßig geordneten Rundschau der wichtigsten neueren Land- und Seereisen : für das Jünglingsalter und die Gebildeteren aller Stände;  Leipzig, 1851;  Verlag Fleischer

4Die Siemens-Brüder erwerben das Kupferbergwerk Kedabeg und Siemens-Lebenserinnerungen

5Das Ausland: Ein Tagblatt für Kunde des geistlichen und sittlichen Lebens der Völker, Band 23, 10. Januar 1850 Nr. 9; Cottasche Buchhandlung Stuttgart und Tübingen,1850, S. 115ff

Australien

vom „Terra australis incognita“ – dem „südlichen unbekannten Land“ zur Heimat deutscher Kolonisten


Australien 18541


Leichhardt-Stein Sabrodt

Ein Besuch im Jahre 2012 in Trebatsch rückte Ludwig Leichhardt (1813–1848) in mein Blickfeld. Hier erinnert ein kleines Heimatmuseum an den berühmten Sohn des königlichen Torfmeisters Christian Hieronymus Matthias Leichhardt (1778–1840) aus Sabrodt.

Aus einem kleinen Dorf in Brandenburg brach dieser auf, um einen bis dahin kaum erforschten Kontinent zu entdecken.

Während Claudius Ptolemäus (100–175) nur annahm, es möge einen Terra australis incognita geben, viele Seefahrer von vermutlichen Landsichtungen berichteten, zeichnete der Franzosen Guillaume Le Testu (um 1508–1572) bereits 1555 eine genaue Karte der Küstenlinie, lange vor der tatsächlichen Entdeckung des 5. Kontinents. Dieser wurde zwar von verschiedenen Entdeckern ab 1606 erreicht, jedoch gilt als eigentlicher Entdecker erst James Cook mit seiner Reise 1769/70,  er nahm im Juni 1770 die Ostküste „Neuhollands“ für das Königreich Großbritannien formell als „Kolonie New South Wales“ in Besitz.

Terre australe 15552

Nachdem Johann Reinhold Forster (1729–1798), der Cook auf dessen zweiter Reise 1772 begleitete, um 1780 in England aufforderte, Australien als eigenständigen Erdteil anzuerkennen, wurde die britische Krone auf die Möglichkeit aufmerksam, Sträflinge entsenden zu können. Am 26. Januar 1788 trafen die ersten elf Schiffe der „First Fleet“ mit 788 Verurteilten unter der Führung von Arthur Phillip, frisch ernannter Gouverneur und Oberbefehlshaber von Neusüdwales, im Port Jackson ein. Sie gründeten „Sydney“ zu Ehren des damaligen britischen Innenministers Lord Sydney. Bis 1868 folgten ihnen unfreiwillig etwa 160.000 Verbannte.

Es folgten eine Reihe von Expeditionen, Vermessungen und Koloniegründungen, bis im August 1844 Ludwig Leichhardt eintraf, welcher den gänzlich unbekannten Nordosten des Landes erforschen wollte. Er folgte dem Carpentariagolf, verfolgte dann das ganze Küstenland desselben, durchzog die Mitte der Halbinsel Arnhem-Land und kam am 17. Dezember 1845 in Victoria, am Port-Essington, an der Nordküste an. Seine Reisen führten ihn auf 4800 km über diese Nord-Ost-Route. Als die zweite Reise 1846 von den Darling-Downs aus nach Westaustralien zu gelangen, fehl schlug, bereitete er seine dritte Reise vor. Auf dieser dritten Reise zum Barcoo ist er um den 5. April 1848 verschollen.

Sein Ruhm besteht in der Entdeckung von Australiens größtem Kohlelager, exakten Aufzeichnungen zu Flora und Fauna, zum Klima und über das Leben der die Aborigines.


Bereits vor Leichhardts Reisen waren Brandenburger in ihre neue Heimat Australien gezogen. In der Erinnerung der Menschen in der Region blieben die Auswanderer, welche im Juni 1838 durch den Müllroser Kanal und an Kersdorf vorbei auf 4 Spreekähnen fuhren. 200 kamen aus dem Dorf Klemzig (Klępsk),  weitere 600 waren Bewohner der Nachbardörfer. Unter der Führung ihres Pastors August Ludwig Kavel (1798–1860) bestiegen sie am 8. Juni 1838 ihre Lastkähne bei Tschicherzig an der Oder mit Ziel Australien. In Potsdam hielten sie in der Nähe des Stadtschlosses und sangen Lutherlieder, so wurde berichtet.

Ihr endgültiger Auswanderungsgrund bestand in der „Kabinettsordre“ vom 2.9.1837, welcher die separierte Gemeindebildung untersagte, die Auswanderung nach Russland jedoch erlaubte, Versprechungen des Zaren lagen bereits vor.  Ursprünglich wurde bereits Ende 1835, als sich die Änderungen der Kirchenordnung bereits anbahnten, ein Beschluss zur Auswanderung in den Kaukasus gefasst, der aufgrund der ausgebrochenen polnischen Revolution aufgegeben wurde.

Nachdem sie Hamburg am 6. Juli 1838 erreicht hatten, segelten sie auf der „Bengalee, Zebra“ und „Prinz Georg“ nach Australien, wo die „Bengalee“ am 18. November mit den ersten 21 Deutschen ankam. Die restlichen erreichten am 20. November 1838 Port Adelaide. Unweit von Adelaide gründeten sie eine Siedlung, der sie den Namen ihres Heimatdorfes gaben: Klemzig.

Dirk Hahn, Kapitän der „Zebra“, hatte sich derartig um die Reisenden bemüht, das die Ankömmlinge ihm zu Ehren südöstlich von Adelaide Hahndorf gründeten. 1841/42 entstanden die Gemeinden Bethanien, Lobethal, Langmeil unter Führung des aus Liebenwerda stammenden Pastors Gotthard Fritzsche.

Zwischen 1862 und 1872 wanderte vor allem Kleinbauern und Landarbeiter aus Brandenburg, der Uckermark, Pommern, Schlesien, Bayern, Württemberg, Baden und Hessen nach Queensland aus. In manchen Gebieten lag der Anteil der Deutschen an der Gesamtbevölkerung über 10 Prozent. Zum Ende des 19. Jahrhunderts lebten rund die 50.000 Deutsche in Australien.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurden viele Deutsche in Australien interniert bzw. nach Ende des Kriegs deportiert, die meisten kehrten jedoch nach Deutschland zurück, sobald ihnen dies möglich wurde, eine offizielle Einwanderung war jedoch erst ab 1925 wieder zugelassen.

Eine größere Zahl Einwanderer begründete sich in der Internierung von über 25003 Deutsche und Österreicher zu Beginn des zweiten Weltkrieges, die zunächst in England interniert waren und mit der Dunera nach Australien verschifft wurden. Dazu kamen die bei Akko internierten Mitglieder der Tempelgesellschaft aus Palästina, die Deportation von 6654 Internierten erfolgte mit dem Truppenschiff „Queen Elizabeth“ in das Lager Tatura (Camp 3) in Victoria, Australien. Im Jahre 1948 flüchteten zurück gebliebene Deutsche nach Angriffen aus Palästina, sie kamen zunächst nach Zypern in das Lager bei Famagusta, Monate später reisten einige nach Australien aus, da ihre inzwischen heimisch gewordenen Angehörigen die Reisekosten übernahmen.

Unter den Internierten befand sich auch der Katharinenfelder Hermann Thumm (1912–2009), später einer der erfolgreichsten Winzer Australiens, der ein Buch über seinen außergewöhnlichen Lebensweg verfasste.5

In den Nachkriegsjahren waren die Deutschen gern gesehene Einwanderer, eine große Gruppe bestand aus Umsiedlern, auch aus Bessarabien, die durch die Aktion „Heim ins Reich“ entwurzelt eine neue Perspektive in ihrem Leben suchten.

Die australische Gesellschaft zählte 1945 weniger als 15.000 in Deutschland Geborene, bereits 1954 waren es über 65.000, und 1961 war etwas über ein Prozent der Gesamtbevölkerung (~ 110.000) aus Deutschland. Der überwiegende Teil wurde bei ihrer Emigration von der australischen Regierung finanziell unterstützt.


1F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896; 2. Band: Astrachan – Bilk; Tafeln; Seite 0171a „Australien.“
2Cosmographie Universelle selon le Navigateurs tant Ancien que Modernes bei der Bibliothèque nationale de France
3Australian Embassy Germany; Deutschen in Australien
4 Klaus Hillenbrand: Der Ausgetauschte: Die außergewöhnliche Rettung des Israel Sumer Korman, Verlag Fischer 2010
5Thumm, Hermann J.: Vom Kaukasus ins Barossa-Valley: Mein Lebensweg – Chateau Yaldara: Mein Beitrag zur australischen Weinkultur Herausgeber: Deutsche Weinbuchhandlung, 1999

Hummel

Die Reutlinger Familie Hummel 14) 26) gehörte wie die Vohrer zu den Ersteinwanderern von Helenendorf.

Familie Hummel 1863 26)

Zu den 5 ½ Wirtschaften, die durch passende Eheschließungen in den Besitz der Familie kamen, kauften die Brüder Georg, Andreas, Johannes und Gottlob Hummel im Jahre 1878 noch einmal 10 Desjatinen Land und pflanzen dort Reben.

Nach anfänglichen Mißerfolgen und dem Tod des Andreas Hummel wurde das Unternehmen neu gegründet. Diesmal hatte Gottlob die Söhne seines Bruders JohannesHeinrich und Gottlieb und Andreas Sohn Eduard mit dabei. Eduard übernahm die Kellerverwaltung, Gottlieb die Finanzverwaltung.

Wie die „Gebrüder Vohrer“ gündeten auch die „Gebrüder Hummel“ eine Aktiengesellschaft für Produktion und Landwirtschaft (1882), die außer Wein, Kognak, Wodka und Spiritus auch Sekt produzierte.

Anzeige aus der Kaukasischen Zeitung 1906 14)

Der Sitz befand sich in Helenendorf, Filialen in Elisabethpol, Baku, Tiflis, Sankt Petersburg, Moskau, Kiew, Odessa, Tomsk und Warschau. Zu Vermarktung der Erträge bauten sie 1883 einen Weinkeller und begannen mit dem Weinhandel der gekelterten Weine bis nach Baku und Tiflis.

Da sie über eine eigene Küferei verfügten, konnten sie nicht nur Fässer aus eigener Produktion nutzen, sondern auch verkaufen. Aus den Erlösen erworben sie weitere Ländereien. Im Jahre 1895 kauften die Brüder Hummel weiteres Weinland, auch bei Sadili, Schamkir und Elisabethpol. Ihr Handelsumsatz lag bei etwa 30.000 Rubel Ankauf und 40 bis 50.000 Rubel Verkauf im Jahr.

Mit dem Bau einer eigenen Kognakfabrik in Helenendorf 1895 begann ihr wirtschaftlicher Aufschwung. Diese Fabrik wurde von Gottlob und Johannes Hummel gegründet, die Söhne des Bruders HeinrichTheodor und Hermann traten ein, Theodor übernahm die Leitung der Fabrik, Hermann die Leitung der Verkaufsstellen in Batum und Baku, welche 1897 und 1899 eröffnet wurden. Das auf Anregung des Gouverneur Nakaschidze 1898 eröffnete Gasthaus in Hadschikent – hier waren nur Gottlob und Johannes Eigentümer, erwies sich als unrentabel und brannte während armenisch-tatarischer Unruhen nieder.21)

Die „Gebrüder Hummel“ eröffneten entlang der Bahnlinie Baku -Tiflis weitere Aufkaufstationen zum Ankauf von Trauben, hausgemachtem Wein oder Traubensaft als Rohstoff und erschlossen sich den Handel mit aserbaidschanischen und armenischen Siedlungen der Kreise Göyçay, Schamacha und Kürdamir, deren Rebsorte Schirwan-Schachi für ihre hervorragenden Eigenschaften bekannt war. Auf den neu angekauften Flächen kamen außländische Sorten zum Einsatz, da die einheimischen den Käufern zu herb und zu dunkel waren. Die Qualität ihrer Weine und Kognaks war nun so gut, dass sie auf internationalen Ausstellungen 1899 und 1900 prämiert wurden.

Der russische Weinhandel verlangte zur Jahrhundertwende einen sechs- bis zwölfmonatigen Kredit. Um Bankkredite in angemessener Höhe zu erhalten, und damit eine stabile Finanzlage, wurden auf Initiative von Gottlob Hummel im Jahr 1900 die Wirtschafts-, Landwirtschafts, Industrie- und Handelsbetriebe der Firma zum „Handelshaus der Gebrüder Hummel“ mit einem Jahresumsatz bis zu 150.000 Rubel vereinigt. Gottlob erhielt ein Viertel, Heinrich, Gottlieb, Theodor, Hermann, Eduard und Ernst Hummel jeweils ein Achtel Anteil, damit auf jede der Brüderlinien ein Viertel der Firma entfiel.19)

Die Hummel investierten nicht nur in weitere Landkäufe und ertragreiche resistente amerikanische Rebsorten, auch in die Schädlingsbekämpfung, was eine deutliche Ertragssteigerung nach sich zog. Entsprechend wurden weitere Weinkeller und Lager angeschafft (1902 und 1904), es kamen neben den Holzfässern auch Betonfässer zum Einsatz, die Kelter-und Kühlsysteme wurden modernisiert und die Handelstätigkeit deutlich über die Grenzen Aserbaidschans ausgedehnt, weitere Zweigstellen eröffnet. Ein Nebenprodukt waren Kelterrückstände, die nun als Färb- bzw. Rohstoff für Druckerschwärze verkauft wurden. Die Weinausfuhr ins gesamte Russische Reich machte 1916 rund 34 % der Gesamtausfuhr an Waren des Gouvernements Elisabethpol aus.

Die politische Entwicklung in der Kaukasusregion sorgte dafür, daß die Vohrer und Hummel bereits 1917 den Firmenbesitz, ausgenommen den ursprünglichen Grundbesitz der Familienwirtschaften, in das Eigentum der Aktiengesellschaften „Закавказское виноделие“ (Zakavkazskoye vinodeliye) und „Юное виноделие“ (Yunoye vinodeliye) mit einem Grundkapital von 4 bzw. 3 Millionen Rubel überführten, vermutlich handelte es sich um die Übertragung bzw. den Verkauf des Besitzes in russische bzw. armenische Hände, mit dem Ziel, einer entschädigungslosen Enteignung zu entgehen 17). Die Ereignisse der folgenden Jahre konnten auch sie nicht erahnen.

Berühmter Nachfahre des Einwanderers Johann Heinrich Hummel (1780-1835) war der Lehrer und Heimatforscher Jacob Johannes Hummel 29) (1893-1946).

Jacob Johannes Hummel 1932 27)

Nach Beendigung der Schule in Helenendorf, studierte Jacob Hummel von 1910 bis 1914 an der naturkundlich-historischen Fakultät des Aleksandrov – Lehrerinstituts in Tiflis. Zusätzlich nahm er ein Fernstudium an der Naturkundlich-Historischen Fakultät in St. Petersburg auf, welches er 1918 beendete. Als Lehrer erst in Wladikawkas tätig, kam er 1921 nach Helenendorf. Zwischen 1923 und 1924 studierte er im Auftrag des Volkskommissariats für Bildung Aserbaidschans das Bildungswesen in Preußen, Sachsen, Bayern, Hamburg und Bremen. Dort hörte er Vorlesungen in Pädagogik und Psychologie.

Durch seine Kontakte wurde der Status der Helenendorfer Schule aufgewertet und Absolventen konnten ohne Aufnahmeprüfung an deutschen Hochschulen aufgenommen werden.

Nach seiner Rückkehr widmete er sich neben Geschichte und Ethnographie auch der Flora und Fauna des heimatlichen Kreises. Ein Ergebnis seiner Forschung im Gebiete Gäncä war die Eröffnung des Heimatkundlichen Museums im Jahre 1927. Es galt als so vorbildlich, das es zum ersten Zentrum archäologischer Forschungen Aserbaidschans außerhalb von Baku wurde.

Neben der Forschung zur Heimatgeschichte, veröffentlichte Hummel eine Reihe von Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften, u.a. in der „Kaukasische Post“, sowie kleine Monographien wie „Der Deutsche in Transkaukasien“ (1927) und das „Das Heimatbüchlein der Deutschen in Transkaukasien“ (1928).

Im Zuge der „Entkulakisierung“ wurde Hummel 193328) wegen angeblicher Spionage für Deutschland von der Staatspolizei (OGPU) verhaftet und während der sechs Monate „Untersuchungshaft“ im Gefängnis von Baku gefoltert. Obwohl „mangels Beweisen“ entlassen, war er ein gebrochener Mann, der sich völlig zurückzog und sich nur noch der Wissenschaft widmete.

Im folgenden Zeitraum von etwa zehn Jahren öffnete Hummel rund 150 Kurgane, darunter zwei Königsgräber, und beschrieb diese. Fast 80 Abhandlungen und die Monographie „Studien zur Archäologie“ (1940), ein Lehrwerk an aserbaidschanischen Hochschulen, wurden veröffentlicht. Im Jahre 1936 wurde er in Aserbaidschan zum „korrespondierenden Mitglied“ des Instituts für Kaukasologie der Akademie der Wissenschaften der UdSSR berufen.

Die staatliche sowjetische Presse, darunter die auflagenstärkste Zeitung „Bakinskij rabočij“ und die „Izvestija“ der aserbaidschanischen Filiale der Akademie der Wissenschaften, sowie die „Izvestija“ Georgiens und der Akademie der Wissenschaften der UdSSR publizierten bis 1948 zahlreiche seiner Forschungsergebnisse.

Trotz dieser Forschungsleistung wurde Jacob Hummel gemeinsam mit tausenden anderen Deutschen im Oktober 1941 deportiert.

Im Gebiet Akmolinsk arbeitete er in einem kleinen Steppendorf als Lehrer und an seinen Forschungen, ehe er dort nach langer Krankheit am 16. April 1946 in Novyj-Koluton verstarb.

Günter Hummel 30)

Sein Neffe Günter Hummel, geboren 1927 in Helenendorf, wurde ein berühmter Künstler. Seinem Studium der Bildenden Künste in Baku von 1939-1941 folgte die Deportation und die Zwangsarbeit in den Kohlegruben bei Karaganda. Trotz unmenschlicher Arbeit zeichnete er auch im Lager und musizierte im Lagerorchester. Nach seiner Entlassung aus der Trudarmee begann sein Aufstieg zu einem der erfolgreichsten Künstler Kasachstans. Er wurde Kulturbeauftragter für Malerei und Musik in Karaganda, wurde in den sowjetischen Künstlerverband aufgenommen und erhielt 1981 die Auszeichnung “ Verdienter Künstler Kasachstans „.

Zahlreiche Bildhauerarbeiten, Gemälde und Zeichnungen finden sich in den Museen, aber auch auf öffentlichen Plätzen.

1991 kam Günter Hummel mit seiner Familie als Spätaussiedler nach Deutschland und setzt auch hier sein Schaffen fort. Seit 1994 ist er Mitglied im Arbeitskreis Russlanddeutscher Künstler.

Die Geschichte der Deutschen Kolonisten von der Auswanderung nach Russland bis zur Spätaussiedlung nach Deutschland verarbeitete er unter anderem in Schicksal in Bildern.


1) 1 Deßjatie = heute 1,092 ha, aber es gab auch Einteilungen in den Größen von 1,457 ha, 1,639 ha, 3,642 ha und 4,552 ha
2) 2 Tuni = 1 Litra = 3,25 kg
3) Dr. Friedrich August Kolenati:Reiseerinnerungen, Dresden 1858, S.60-64
4) Mathias Beer; Dittmar Dahlmann: Migration nach Ost- und Südosteuropa vom 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts : Ursachen, Formen, Verlauf, Ergebnis, Stuttgart : Thorbecke, 1999. Schriftenreihe des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, 4.
5) Marthin Friedrich Schrenk: Geschichte der deutschen Kolonien in Transkaukasien: zum Gedächtnis des fünfzigjährigen Bestehens derselben, Verlag Pfälzer Kunst, 1997
6) Fotos: State Historical Archive of Azerbaijan, Azerbaijan State Cinema Photo Archive, taken before 1900
7) Eva Maria Auch: Deutschsprachige Quellen zum Schicksal der Deutschen in Aserbaidschan (in den 20er und 30er Jahren), Khazar University Press, Vol. 1; No 3 [ZGIA Tbilissi, f.2, op.l, d.658; ZGIA Baku, f.508, op.l, d.370, 297, 77,63; Kavkaz, Tiflis 1850, Nr.40, S.159ff; P. Dzjubenko, Nemeckie kolonisty na Kavkaze. In: Kavkaz 1882, Nr. 313, S.3f; AKAK, t.VI, S.332f.; Hummel, Th.: 100 Jahre Erbhofrecht der deutschen Kolonisten in Rußland, Berlin 1936]
8) Gesellschaftsreise nach Südrußland und dem Kaukasus v. 12.August bis zum 9.0ktober 1913 veranstaltet von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, Berlin 1913, S.62-66; ZGIA Baku, f.58, op.l, d.33, Bl.19-35, sowie Auszug aus den Lebenserinnerungen von Theodor Hummel, in: Heimatbuch der Deutschen aus Rußland, Stuttgart 1956, S.49
9) Ibragimov, N.A.: Nemeskie stranicy istorii Azerbajdana, Baku 1995
10) noch 1916 die einzige Brauerei im Gouvernement mit einer Produktion von 42.000 Litern; der Wert wurde 1898 mit 13.000 Rubel bei 7 Arbeitskräften angegeben (Kavkazkij kalendar‘ na 1900, Tiflis 1900, S.50)
11) Professor Rauf Gussejnow, Taira Alijewa: Weinrebe von Elisawetpol (masimov.net)
12) Н. А. Ибрагимов: Немецкие страницы истории Azerbajdžana, Баку: Издать. Azerbajdžan, 1995
13) Gebrüder Vohrer; Deutsche Winzer im multikulturellen Umfeld Aserbaidschans. Erinnerungsbericht des Julius Vohrer (1887-1979); Kommentiert und herausgegeben von Eva-Maria Auch
14) Kaukasische Post, Tiflis, diverse 1906 Hrsg. Kurt von Kutzschenbach, Artur Leist
15) 1 Vedro = 12,3 l
16) Hrsg. Alexander Mosler, Tiflis: Kaukasischer Kalender 1912 (Zur Gründung der deutschen Kolonien in Transkaukasien S. 79-89)
17) Eva Maria Auch: Deutschsprachige Quellen zum Schicksal der Deutschen in Aserbaidschan (in den 20er und 30er Jahren), Khazar University Press, Vol. 1; No 3 [ZGIA StPetersburg, f.595, op.3, d.266,1.53-54]
18) Lorenz Kuhn starb nach seiner Verhaftung 1938 in der Verbannung um 1942, Dr. med. Hurr wurde verhaftet und am 29.10.1937 erschossen, beide waren mit Vohrer – Frauen verheiratet
19) Vypiska iz dogovora ob obrazovanii polnogo tovariščestva pod firmoju torgovyj dom „Brat’ja Gummel’“ ot 16go dekabrja 1900 (Auszug aus dem Vertrag über die Gründung des Handelshauses „Gebrüder Hummel“ vom 16. Dezember 1900). In: Konkordija (2001), S. 225 227. Als Gründer agierten: Gottlob Georg Hummel, die Brüder Heinrich und Gottlieb Johannes Hummel, die Brüder Theodor und Hermann Heinrich Hummel sowie Eduard Andreas Hummel.
20) Eva Maria Auch: An der Wiege der Aserbaidschanischen Archäologie. Jakob Hummel: Lehrer – Archäologe – Museumsgründer in Helenendorf/Göy Göl
21) Matthias Theodor Vogt (Hrsg.), Jürgen Neyer (Hrsg.), Dieter Bingen (Hrsg.), Jan Sokol (Hrsg.): Der Fremde als Bereicherung ; Verlag: Lang, Peter Frankfurt; 2010
22) Beschluss Nr. GKO-744ss vom 8. Oktober 1941 des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR „Über die Umsiedlung der Deutschen aus der Georgischen, Aserbaidschanischen und Armenischen SSR“
23) V. Herdt: Die Neuordnung des Sondersiedlungsregimes und das Dekret vom 26. November 1948. In: Von der Autonomiegründung zur Verbannung und Entrechtung. Die Jahre 1918 und 1941 bis 1948 in der Geschichte der Deutschen aus Russland. Hrsg.: Alfred Eisfeld. Stuttgart 2008, S. 204-211.
24) Eva Maria Auch: Deutschsprachige Quellen zum Schicksal der Deutschen in Aserbaidschan (in den 20er und 30er Jahren), Khazar University Press, Vol. 1; No 3 [DA 1921.S.145]
25) Meldung des Generalkonsulats in Tiflis vom 11.12.1935, der Vorsitzende der „Union“ Katharinenfeld hatte sich nach dem Prozess im Gefängnis das Leben genommen
26) Hans-Hermann Graf von Schweinitz: Helenendorf, eine deutsche Kolonie im Kaukasus, Vossische Buchhandlung Berlin, 1910
27) Nationales Historisches Museum Aserbaidschan (NMGA), Baku
28) Главное- Političeskoe УПРАВЛЕНИЕ / Политическая Штаб-квартира 1934 – 1946 НКВД / Народный комиссариат внутренних дел СССР
29) Prof. Dr. Eva-Maria Auch: Jakob Hummel: Lehrer – Archäologe– Museumsgründer in Helenendorf/Göy Göl
30) Foto:Г. Гуммель – скульптор. 2002г., Германия. Газета „Heimat – Родина“
31) Kollektivierung der deutschen Kolonien Transkaukasiens. Rigasche Rundschau 3. April 1930 Nr. 77 p.6
32) Wirtschaftlicher Todeskampf der deutschen Kolonien in Sowjetrussland. Libausche Zeitung 21. April 1931 Nr. 87
w) Wikipedia, Wikimedia

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Helenendorf Xanlar Chanlar Göygöl

Aserbaidschan, Kaukasus

eine kurze Familiengeschichte – gewidmet den Nachkommen, die mir ergänzende Daten zur Verfügung stellten


Nachdem die ersten Siedler in Georgien ihre Lager aufschlagen konnten und die einzige Ansiedlung in Aserbaidschan, Alt-Katharinenfeld, wieder aufgegeben werden musste, stand die Tifliser Kolonialverwaltung vor dem Problem einer Masseneinwanderung. Um die Ströme von Menschen zu lenken, wurden sie in immer weiter entfernte Gebiete geschickt.
Die „Reutlingerachte, neunte und zehnte Kolonne unter den Führern Gottlieb Johann Koch, Jacob Krauss und Johann(es) Jakob Wucherer zogen weiter in Richtung Elisabethpol (Gandscha). Ihre Proteste, dass es nicht genug gutes Land gäbe und sie sich mitten unter die Tartaren begeben müssten, wurden von der Kolonialverwaltung nicht erhört. So kamen die Siedler im Dezember 1818 völlig verarmt in Elisabethpol an und nahmen auf Gouverneur Hovens Befehl hin Winterquartier. Die weite Reise hatten 31 von ihnen nicht überlebt. Die einheimischen Armenier waren sehr entgegenkommend und gewährten den Siedlern zum Teil kostenlose Verpflegung und anderweitige Unterstützung in dem auch für kaukasische Verhältnisse ungewöhnlich harten Winter. Am Osterdienstag, 13. April 1819, fast zwei Jahre nach ihrer Auswanderung aus der alten Heimat, gründeten 127 Familien mit 501 Personen in der verlassenen Tatarensiedlung Chanochlar ihre Kolonie auf 2600 Deßjatien1) Land.4)

Helenendorf erhielt seinen Namen zu Ehren der Lieblingsschwester des Zaren Alexander I, Helena Pawlowna Romanowna. In den Jahren 1916-1938 umbenannt in Elenino, von 1938 bis 2008 in Chanlar, heißt die Stadt seit 2008 Göygöl.12) 16)

Mit dieser Gründung entstand die zweite deutsche Kolonie in einem überwiegend muslimischen Land und entwickelte sich zur größten deutschen Siedlung in Aserbaidschan. Neben dem nahen Annenfeld (Shamkir entstanden weitere deutsche Gemeinden: Georgsfeld (Tschinarly) (1888), Alexejewka (Gasan-Su) (1902), Grünfeld (Wurgan), Eichenfeld (Irimaschly) (1906), Traubenfeld (Taus) (1912), Jelisawetinka (1914), Marxowka und Kirowka. Ihre Gründer stammten aus den Ursprungsgemeinden um Helenendorf und Annenfeld.

Die Anfangsjahre waren ebenso schwer wie in allen anderen Gemeinden, das ungewohnte Klima und Malaria sorgten dafür, dass es in den ersten 20 Jahren mehr Sterbefälle als Geburten gab. Mit dem Einfall der Perser, denen sich die Tataren anschlossen, erfolgten am 9. und 10. Mai 1826 Überfälle auf die Kolonien Annenfeld und Helenendorf. Die Menschen flüchteten nach Elisabethpol um Schutz zu finden, die Angriffe auf den Ort begannen an 24. Juli 1826, sodass sich die Kolonisten im Bethaus versammelten, um noch einmal das Heilige Abendmahl miteinander zu teilen. Zwei Tartaren erschienen im Bethaus und beruhigten die Versammelten, sodass diese sich in Sicherheit wiegten und nach Hause gingen. Daraufhin überfielen sie das Dorf. Johannes Wucherer, Halbbruder des Kolonnenführers Johann(es) Jakob Wucherer, wurde vermutlich bei einem dieser Überfälle vom 27./28. Juli 1826 in Elisabettal getötet, nachdem er in den Garten gegangen war, um zu beten und nie mehr zurückkehrte.5)

Mit dem Sieg über die Perser am 5. September 1826 kehrten die Kolonisten in ihr zerstörtes Dorf zurück. Die Verwaltung schätzte später den Schaden in Helenendorf auf etwa 80. 000 Rubel Silber.5 Nach ihrer Rückkehr brach die Pest aus, über 30 Personen starben, beim Choleraseuchenzug 1830 noch einmal 31 Einwohner binnen eines Monats.

Die Ruhe blieb trügerisch in den Folgejahren, es kam immer wieder zu Überfällen, Nomaden stahlen Pferde und Rinder von den Weiden und griffen die arbeitenden Frauen an, entführt einige von ihnen. So gewöhnten sich die Bewohner das Reiten an, um schnell die Flucht ergreifen zu können.

Um 1844 besaßen die 609 Einwohner (290 männliche, 319 weibliche) 118 Wirtschaften mit 250 Häusern, ein Bethaus, eine Schule, 2279 Deßjatien gutes Weinland, welches teilweise mit Getreide bebaut war, 2280 Deßjatien Wiesen, Weideland mit 204 Pferden und 962 Rindern, 150.000 Maulbeerbäume zur Seidenraupenzucht und eine ertragreiche Honigproduktion. Die Weinproduktion belief sich auf rund 29.400 Tuni2). Das milde Klima erlaubte den Obstanbau, vor allem Äpfel und Birnen, aber auch Mandelbäume gab es zahlreich.3) Am10. März 1857 fand die Kirchweihe statt.

Kirche 1908w)

Mit dem sich weiter etablierenden Weinanbau begann ab etwa 1860 der verstärkte wirtschaftliche Aufschwung der Gemeinde. Der Ort hatte 1871 bereits 3873 Desjatien Land, es lebten hier 210 Familien mit 1018 Personen. Erfaßt wurden 64 Handwerker, davon 40 Wagner.7)

Als zu Beginn der 1880er Jahre die Eisenbahnlinie Rostow – Baku – Tiflis erbaut wurde, konnte auch Moskau in kürzester Zeit erreicht werden. Nun war die Nähe Helenendorfs zu Elisabethpol ein besonderer Vorteil, da der dortige Bahnhof nur 12 Werst (etwa 13 km) entfernt war. Die Eisenbahn erschloß den Weinhändlern, die abgestimmt auf den Geschmack der Käufer nun süßeren Wein und Schaumweine produzierten ließen, den russischen Markt.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde 58% des Weins im Gouvernement Elisabethpol von den Gebrüdern Vohrer und den Gebrüdern Hummel aus Helenendorf hergestellt. Die dazu nötigen Eichenfässer gehörten zu den besten in der Region, Wagnereien produzierten Fuhrwerke, die landesweit begehrt waren.

Mit der Jahrhundertwende gab es 247 Besitzungen, verteilt auf 118 Stammwirtschaften und 18 der ursprünglichen Viertelwirtschaften, von denen die Mehrzahl, nämlich 162, über halbe Stammwirtschaften verfügten, 93 Kolonistenfamilien besaßen jedoch nur noch Hofland von 220 Quadratfaden (etwa 10 ha), das die Gemeinde jeder neuen Familie unentgeltlich zur Verfügung stellte. 8) Die Gesamtzahl der Familien belief sich auf 290 mit 1820 Personen.14)

Als die ersten Genossenschaften gegründet wurden, entstand 1904 in Helenendorf die „Hilfe“ zur Herstellung von Wein und Cognac und „Einverständnis“ zur Wodkaproduktion.

Wappen der Konkordia33)

Die deutsche Bevölkerung war 1908 auf 2419 Personen angewachsen. Um dem Monopol der „Gebrüder Vohrer“ und „Gebrüder Hummel“ entgegentreten zu können, wurde die landwirtschaftliche Genossenschaft „Konkordia“ mit 45 Mitgliedern im selben Jahr gegründet.

Der Ort besaß elektrischen Strom (1912) und eine Wasserleitung, ab 1916 ein funktionierendes Telefonnetz. Es gab einen „Deutschen Verein“ mit Bibliothek, Kegelbahn und Orchester. Der Frauenverein kümmerte sich um die Bedürftigen, organisierte Konzerte und Theatervorführungen. Die Bevölkerung war sehr musikalisch, es gab über 100 Klaviere im Ort.

Vor dem Ersten Weltkrieg betrug der Wert des Privatbesitzes in Helenendorf 9.546 Mio Rubel (davon 5.650 Mio Rubel Weingärten, 1.140 Mio. Rubel Fabriken und Werkstätten) 9)

Mit der aserbaidschanischen Unabhängigkeit vom russischen Reich am 28. Mai 1918 wurde der „Transkaukasische Deutsche Rat“ gegründet, der sich auch um die georgischen Siedlungen bei Tiflis (Tbilissi) kümmerte. Mitglieder waren u.a. Dr.med. Wilhelm Hurr und Gottlieb Hummel. Lorenz Kuhn war Vertreter der deutschen Minderheit im aserbaidschanischen Nationalrat, der am 19. November 1918 mit 120 Parlamentssitzen gebildet worden war. 18)

Das Leben der Kolonisten änderte sich nun grundlegend, alle Betriebe und größeren Weinfirmen Aserbaidschans wurde nationalisiert. Auf dem Besitz der Vohrer und Hummel wurden die Weinsowchosen „Privaksalniy“, „Kharabayery“, „Sadilli“, „Karayery“, „Kara-Arch“, „Kara-Tschanach“ und „Atabashly“ gegründet.

Mit dem Einmarsch der Roten Armee am 27. April 1920 endete die Unabhängigkeit Aserbaidschans. Die deutschen Selbstverwaltungen wurden aufgelöst, die Unternehmen verstaatlicht, die Kolonisten entschädigungslos enteignet, ihre deutsche Real- und eine Oberrealschule geschlossen. Vermögende Helenendorfer gründeten Produktionskollektive, um ihren Besitz zu retten und ihren Einfluß weiter geltend zu machen. Auf der Grundlage eines Dekrets des Revolutionskomitees vom 20. Mai 1920 wurde die Umbildung der Leitung von Genossenschaften und die Schaffung eines „Hauptkomitees für genossenschaftliche Angelegenheiten“ veranlaßt. Helenendorf hatte zu dieser Zeit bereits 430 Wohnhäuser.

Am 16. Juni 1920 kam es in Elisabethpol zur ersten Gründungsversammlung des „Verbandes gewerbetreibender Winzer und Küfer“ in dem sich sämtliche Weinbauern, einschließlich der Familienbetriebe Vohrer und Hummel mit ihrem verbliebenen Besitz, zusammengeschlossen.

Bürogebäude der „Concordia“ in Helenendorf6)

Am 30. September 1920 fand die erste Delegiertenversammlung des „Produzentenverbandes der werktätigen Winzer“ (Prosotrudvin) statt, auf der alle Weindörfer vertreten waren. Auf der Tagesordnung stand eine Abstimmung über die Erfüllung der Forderungen unter den Bedingungen des Kriegskommunismus und die Forderung nach Wiederzulassung des freien Weinhandels. Am 5. Oktober 1920 wurde das Statuts bestätigt und der Familienbesitz der Familien Hummel und Vohrer, sowie der ehemalige Genossenschaftsbesitz der „Konkordia“ in den Bestand aufgenommen. Die neue Handelsmarke „Prosotrudvin“ war entstanden.

Das am 8. Dezember 1920 in Baku erlassene „Dekret zur Enteignung bürgerlichen Besitzes“, sorgte dafür, dass die Rotarmisten innerhalb von 3 Wochen jegliche bewegliche Habe der Dörfer plünderten. 24)

Mangels Bekanntheitsgrad, wurde am 8. August 1922 die Handelsmarke „Prosotrudvin“ zurück benannt in die alte Traditionsmarke „Konkordia„.

Die „Konkordia“ arbeitete aktiv weiter, in ihren chemischen Forschungslaboratorien wurden unter anderem Schädlingsbekämpfungsmittel für den Weinbau und die Landwirtschaft hergestellt. Auch Forschungen zur effizienteren Bearbeitung und Entwicklung neuer Technologien für Boden und Rebstock wurden in Auftrag gegeben. In Helenendorf entstand ein insektenkundliches (entomologisches) Arbeitszimmer. 1923-1924 bauten sie eine Wodkafabrik in Helenendorf und Taubenfeld und Rektifikationswerke in Annenfeld und Georgiewsk.

Trotz zahlreicher staatlicher Beschränkungen, konnten sie bis 1929 in der Sowjetunion über 180 Verkaufsstellen einrichten, unter anderem in Baku, Tiflis, Moskau, Kiew, Leningrad, Rostow, Samar, Saratow, Perin und Swerdlowsk , die einen Gesamtgewinn von jährlich 200 Millionen Rubel erwirtschafteten. Die Mitgliederzahl der Kooperative stieg kontinuierlich an. Aus den Gewinnen der Weinerzeugung finanzierte das Kollektiv die Einrichtung von Schulen und Kultureinrichtungen.

Die Zeitung „Zarja Vostoka“ (Tiflis) startete deshalb 1925 eine Kampagne unter dem Titel „Hinter den Mauern der Konkordia„. Sie schrieb u.a., unter dem Deckmantel einer Genossenschaft würde das Kulakeneigentum geschützt und es erfolge eine Erziehung der Jugend im deutschen Geiste. Kurz darauf wurde der Vorstand verhaftet.20)

Im August 1926 fand in Baku der Prozess statt, der mit der Deportation der Angeklagten endete. Unter ihnen befand sich auch Heinrich Vohrer und der Weingärtner Friedrich Krauss, Nachfahre des Kolonnenführers Jakob Krauss, der den Weg in die Deportation nach Kasachstan nicht überlebte.

Meldungen gelangten schließlich nach Moskau. Der politischen Führung gefiel der Erfolg der Deutschen überhaupt nicht und sie ordnete per Dekret vom 18. September 1929 eine Umstrukturierung der Kollektive an. Wie in Katharinenfeld, wurden auch in Helenendorf die Landbesitzer durch politischen Druck in der Zeit vom 6. – 15. Februar 193031) in die Kolchosen gezwungen, um die Eigenständigkeit der Kooperativen zu beenden. Wieder wurde die Leitung der „Konkordia“ ausgetauscht, sie verloren ihre Arbeit und ihre Bürgerrechte, durften als „Kulaken“ kein Wahlrecht ausüben. Zwischen 1930 und 1933 setzte eine systematische, politisch gewollte Verdrängung der Deutschen ein.Wie die Libausche Zeitung32) berichtete, wurde Helenendorf zur Kreisstadt ernannt und musste rund 4.000 Personen, Beamte mit ihren Familien, aufnehmen. Um den Wohnraum für diese vielen Menschen zu bekommen, wurden unbezahlbar hohe Steuern eingeführt. Wer nicht zahlen konnte oder wollte, dem wurden zwangsweise Familien einquartiert, man enteignete die Eigentümer mittels „Zwangsversteigerungen„, übergab die Häuser und rodete deren Weinberge, um weitere Gebäude zu errichten.20)

Es gab willkürliche Verhaftungen und Prozesse im Rahmen der Entkulakisierung, bis am 9. Juli 1935 offiziell durch sowjetische Gerichte die vermeintliche Schädlichkeit der deutschen Kollektive festgestellt wurde. Die „Konkordia“ und die „Union“ in Katharinenfeld wurden vollkommen zerschlagen und als Filialen unter armenischer bzw. russisch-georgischer Leitung in den transkaukasichen Weintrust übernommen 25). Nun folgte, nach der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Wolga– und Kubangebiet und der Aufnahme von Umsiedlern aus den Grenzgebieten Armeniens, die Verbannung zahlreicher deutscher Familien, 76 im März-April 1935, bis zum Ende des Jahres weitere 600 Personen aus Annenfeld und Helenendorf. Zahlreiche Helenendorfer wurden aufgrund absurder Vorwürfe 1937/1938 erschossen, unter ihnen Dr.med. Wilhelm Hurr und Gottlob Hummel.20)

Ab 1938 durfte in den Schulen nicht mehr in deutscher Sprache unterrichtet werden. Die Häuser und Einrichtungen der auf Befehl Stalins verhafteten und deportierten Deutschen – 22.74120) lebten in Aserbaidschan wurden von den Behörden vorrangig an Armenier übergeben und die Ortsnamen umbenannt. Vom 23. – 25. Oktober 1941 22) mussten die letzten verbliebenen Deutschen ihre Häuser mit maximal 100 kg Gepäck verlassen.

Da es Transportprobleme gab, wurde das Dorf nach Straßen geteilt und die Abfahrtstermine der zwei Dorfteile festgesetzt. Eine Woche später als geplant, wurden am 23. Oktober 1941 die Bewohner der Talstraße, Stadtstraße, Kirchenstraße vom Unterdorf bis zur Kirche in das Gebiet Pawlodar abtransportiert. Zwei Tage später mussten die verbliebenen Bewohner der Kirchenstraße von der Kirche bis zum Oberdorf, der Helenenstraße, Gartenstraße und Oktoberstraße ihre Häuser in Richtung Gebiet Akmolinsk verlassen.

Mit Lastkraftwagen ging es zum Bahnhof Kirowabad, dort wurde das Gepäck in Güterwaggons verladen, mit bewachten Pesonenwagen wurden alle in die Hauptstadt Baku gebracht, von dort mit dem Schiff über das Kaspische Meer nach Krasnowodsk und weiter bis nach Kasachstan und Sibirien transportiert. In Helendorf durften nur 5 Familien bleiben, in denen deutsche Frauen in nichtdeutsche Familien eingeheiratet hatten. Kinder und Jugendliche mit deutschem Vater und nichtdeutscher Mutter durften bis zum 16. Lebensjahr bei der Mutter bleiben und wurden danach deportiert. Mit dem Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 26. November 1948 wurde ihnen das Recht auf Rückkehr in ihre früheren Siedlungsorte aberkannt. 23)

Nach dem Ende der Sowjetunion 1990 kamen viele der ehemals deportierten Helenendorfer als Spätaussiedler nach Deutschland zurück. Die anti-armenischen Pogrome ließen auch die Armenier fliehen, heute leben in dem einst deutschen Ort Aserbaidschaner, die aus der von Armenien besetzten Region Nagorny-Karabach vertrieben wurden.

1) 1 Deßjatie = heute 1,092 ha, aber es gab auch Einteilungen in den Größen von 1,457 ha, 1,639 ha, 3,642 ha und 4,552 ha
2) 2 Tuni = 1 Litra = 3,25 kg
3) Dr. Friedrich August Kolenati: Reiseerinnerungen, Dresden 1858, S.60-64
4) Mathias Beer; Dittmar Dahlmann: Migration nach Ost- und Südosteuropa vom 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts : Ursachen, Formen, Verlauf, Ergebnis, Stuttgart : Thorbecke, 1999. Schriftenreihe des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, 4.
5) Marthin Friedrich Schrenk: Geschichte der deutschen Kolonien in Transkaukasien: zum Gedächtnis des fünfzigjährigen Bestehens derselben, Verlag Pfälzer Kunst, 1997
6) Fotos: State Historical Archive of Azerbaijan, Azerbaijan State Cinema Photo Archive, taken before 1900
7) Eva Maria Auch: Deutschsprachige Quellen zum Schicksal der Deutschen in Aserbaidschan (in den 20er und 30er Jahren), Khazar University Press, Vol. 1; No 3 [ZGIA Tbilissi, f.2, op.l, d.658; ZGIA Baku, f.508, op.l, d.370, 297, 77,63; Kavkaz, Tiflis 1850, Nr.40, S.159ff; P. Dzjubenko, Nemeckie kolonisty na Kavkaze. In: Kavkaz 1882, Nr. 313, S.3f; AKAK, t.VI, S.332f.; Hummel, Th.: 100 Jahre Erbhofrecht der deutschen Kolonisten in Rußland, Berlin 1936]
8) Gesellschaftsreise nach Südrußland und dem Kaukasus v. 12.August bis zum 9.0ktober 1913 veranstaltet von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, Berlin 1913, S.62-66; ZGIA Baku, f.58, op.l, d.33, Bl.19-35, sowie Auszug aus den Lebenserinnerungen von Theodor Hummel, in: Heimatbuch der Deutschen aus Rußland, Stuttgart 1956, S.49
9) Ibragimov, N.A.: Nemeskie stranicy istorii Azerbajdana, Baku 1995
10) noch 1916 die einzige Brauerei im Gouvernement mit einer Produktion von 42.000 Litern; der Wert wurde 1898 mit 13.000 Rubel bei 7 Arbeitskräften angegeben (Kavkazkij kalendar‘ na 1900, Tiflis 1900, S.50)
11) Professor Rauf Gussejnow, Taira Alijewa: Weinrebe von Elisawetpol (masimov.net)
12) Н. А. Ибрагимов: Немецкие страницы истории Azerbajdžana, Баку: Издать. Azerbajdžana, 1995
13) Gebrüder Vohrer; Deutsche Winzer im multikulturellen Umfeld Aserbaidschans. Erinnerungsbericht des Julius Vohrer (1887-1979); Kommentiert und herausgegeben von Eva-Maria Auch
14) Kaukasische Post, Tiflis, diverse 1906 Hrsg. Kurt von Kutzschenbach, Artur Leist
15) 1 Vedro = 12,3 l
16) Hrsg. Alexander Mosler, Tiflis: Kaukasischer Kalender 1912 (Zur Gründung der deutschen Kolonien in Transkaukasien S. 79-89)
17) Eva Maria Auch: Deutschsprachige Quellen zum Schicksal der Deutschen in Aserbaidschan (in den 20er und 30er Jahren), Khazar University Press, Vol. 1; No 3 [ZGIA StPetersburg, f.595, op.3, d.266,1.53-54]
18) Lorenz Kuhn starb nach seiner Verhaftung 1938 in der Verbannung um 1942, Dr. med. Hurr wurde verhaftet und am 29.10.1937 erschossen, beide waren mit Vohrer – Frauen verheiratet
19) Vypiska iz dogovora ob obrazovanii polnogo tovariščestva pod firmoju torgovyj dom „Brat’ja Gummel’“ ot 16go dekabrja 1900 (Auszug aus dem Vertrag über die Gründung des Handelshauses „Gebrüder Hummel“ vom 16. Dezember 1900). In: Konkordija (2001), S. 225 227. Als Gründer agierten: Gottlob Georg Hummel, die Brüder Heinrich und Gottlieb Johannes Hummel, die Brüder Theodor und Hermann Heinrich Hummel sowie Eduard Andreas Hummel.
20) Eva Maria Auch: An der Wiege der Aserbaidschanischen Archäologie. Jakob Hummel: Lehrer – Archäologe – Museumsgründer in Helenendorf/Göy Göl
21) Matthias Theodor Vogt (Hrsg.), Jürgen Neyer (Hrsg.), Dieter Bingen (Hrsg.), Jan Sokol (Hrsg.): Der Fremde als Bereicherung ; Verlag: Lang, Peter Frankfurt; 2010
22) Beschluss Nr. GKO-744ss vom 8. Oktober 1941 des Staatlichen Verteidigungskomitees der UdSSR „Über die Umsiedlung der Deutschen aus der Georgischen, Aserbaidschanischen und Armenischen SSR“
23) V. Herdt: Die Neuordnung des Sondersiedlungsregimes und das Dekret vom 26. November 1948. In: Von der Autonomiegründung zur Verbannung und Entrechtung. Die Jahre 1918 und 1941 bis 1948 in der Geschichte der Deutschen aus Russland. Hrsg.: Alfred Eisfeld. Stuttgart 2008, S. 204-211.
24) Eva Maria Auch: Deutschsprachige Quellen zum Schicksal der Deutschen in Aserbaidschan (in den 20er und 30er Jahren), Khazar University Press, Vol. 1; No 3 [DA 1921.S.145]
25) Meldung des Generalkonsulats in Tiflis vom 11.12.1935, der Vorsitzende der „Union“ Katharinenfeld hatte sich nach dem Prozess im Gefängnis das Leben genommen
26) Hans-Hermann Graf von Schweinitz: Helenendorf, eine deutsche Kolonie im Kaukasus, Vossische Buchhandlung Berlin, 1910
27) Nationales Historisches Museum Aserbaidschan (NMGA), Baku
28) Главное- Političeskoe УПРАВЛЕНИЕ / Политическая Штаб-квартира 1934 – 1946 НКВД / Народный комиссариат внутренних дел СССР
29) Prof. Dr. Eva-Maria Auch: Jakob Hummel: Lehrer – Archäologe– Museumsgründer in Helenendorf/Göy Göl
30) Foto: Г. Гуммель – скульптор. 2002г., Германия. Газета „Heimat – Родина“
31) Kollektivierung der deutschen Kolonien Transkaukasiens. Rigasche Rundschau 3. April 1930 Nr. 77 p.6
32) Wirtschaftlicher Todeskampf der deutschen Kolonien in Sowjetrussland. Libausche Zeitung 21. April 1931 Nr. 87
33) Wappen aus: Der Deutsche in Transkaukasien für die Jugend zusammengestellt von Oberlehrer Jacob Hummel in Helenendorf (Aserbeidschan), Zweite Auflage, Verlag von Julius Beltz in Langensalza Berlin-Leipzig, 1929
w) Wikipedia, Wikimedia

Deutsche Kolonisten

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