Zur Erinnerung an unsere Vorfahren, die als Migranten aus Süddeutschland in die Welt zogen

Schlagwort: Flüchtlinge (Seite 1 von 2)

Asch (Aš)

Hotel „Schützenhaus“ Asch Ansichtskarte von 1938, Kunstverlag Georg Philipp, Nr. 26

Asch ist eine Stadt in Nordwestböhmen im heutigen Tschechien, im 11. Jahrhundert kamen Kolonisten aus Bayern, so erhielt sich bis ins 20. Jahrhundert, ebenso wie im südlich angrenzenden Egerland, der nordbayerische Dialekt. Auch im nördlich angrenzenden Vogtland wurde diese Mundart in etlichen Ortschaften nahe der tschechischen Grenze gesprochen.

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 gehörte Asch zur Tschechoslowakei, eine Angliederung an Bayern wurde abgelehnt. Nach dem Münchner Abkommen gehörte die Stadt von 1938 bis 1945 zum Landkreis Asch im Reichsgau Sudetenland, weshalb zahlreiche Umsiedler hier in Umsiedlerlagern untergebracht wurden.

Am 14.10.1940 wurden die Bewohner Kisils zum Donauhafen Kilia gebracht und fuhren mit dem Donaudampfer „Schönbrunn“ am Abend des 15.10.1940 Donau aufwärts durch das „Eiserne Tor“ bis Semlin bei Belgrad, wo sie am 18.10.1940 vormittags von einer Musikkapelle empfangen wurden.

Nach kurzer Rast in einem Zeltlager ging es am 20.10.1940 abends, mit Bussen zum Bahnhof Belgrad und per Zug über Graz, Wien, Prag und Eger nach Asch.

Alle, die mit dem Treck fuhren, Väter gemeinsam mit ihren ledigen Söhnen oder auch kinderlose jüngere Ehepaare, lenkten ihre Gespanne am 17.10.1940 von Kisil bis Galatz. Bei Ankunft wurde das Gepäck auf die Schiffe verladen und die Pferde für das Militär gemustert. Von Galatz ging an Bord der Schiffe bis Prahowo in Jugoslawien und von dort mit der Bahn bis Asch, wo sie am 10. November 1940 eintrafen.

In Asch wurden die Kisiler mit den eintreffenden Umsiedlern aus Manscha (Annowka) und Raskajetz auf drei Lager verteilt.

Das Hauptlager war das Schützenhaus, hier waren unter anderem Renate Manske (1922–1945, sie starb zusammen mit ihren Eltern auf der Flucht beim Überqueren der Weichsel), Ida (*1924) und Anna Maria (*1921) Heller, Elfriede Winter (*1924), Gertrud Härter(*1924), Harald Mantz (*1937) und Klara Klaudt (*1921) untergebracht.

Neue Turnhalle des Turnvereins Jahn in Aš (Asch) aus dem Jahr 19331.

In der Jahnhalle waren die Familien Artur Flöther (*1908), Eduard Haas (*1914), Gotthilf Kehrer (1900–1945), Rudolf Kehrer (*1899), Rudolf Böpple (1909–1984), Oskar Schoon (1899–1946) und Oskar Witt (*1902, Cousin des Großvaters von Katharina Witt) untergebracht. Mütter mit Säuglingen bekamen einen eigenen Schlafsaal.

Weitere bekannte Namen der Umsiedler in der Jahnhalle waren Adolf, Gerber, Merz, Rauch, Schneck und Wirth. Außerdem gab es noch das Jägerhaus.

Für die Speisezubereitung in der Lagergroßküche waren die bessarabische Frauen zuständig, schulpflichtige Kinder hatten das Glück, in die Bürgerschule gehen zu können, das war nicht immer möglich, vor allem im Warthegau war es mit dem Schulunterricht nicht so gut bestellt. Die Kinder ab 10 Jahren kamen zum Jungvolk, ab 14 Jahren zur Hitlerjugend bzw. zum Bund deutscher Mädel (BDM).

Den Schulunterricht erteilten die bessarabischen Lehrer Robert Deiß und Oskar Mantz (*1910) aus Kisil, Robert Brenner aus Manscha und Heinrich Sonderegger aus Raskajetz.

Zudem wurden die Umsiedler zur Arbeit in Fabriken und Betrieben herangezogen, Asch war ein Zentrum der Textilindustrie, das war nicht in allen Lagern so und führte dort durch Herumsitzen und Langeweile zu Frust. Junge Männer wurden direkt eingezogen zum Wehrdienst.

Am 17.10.1941 ging es per Zug über Eger, Karlsbad, Dresden, Görlitz und Breslau in den Warthegau, in Freihaus (Stunska Wola) wartete auf die Umsiedler noch einmal ein Durchgangslager vor der Ansiedlung im Warthegau.

Asch wurde am 20. April 1945 durch US-amerikanische Truppen besetzt. Im November 1945 kam Asch nach der Übergabe an sowjetische Besatzungstruppen unter sowjetische Militärverwaltung und wurde danach tschechisch.

Quelle:
1 Overview of the development of various streams of German physical education in the Czech lands – Scientific Figure on ResearchGate. Available from: https://www.researchgate.net/figure/Abbildung-6-Neue-Turnhalle-des-Turnvereins-Jahn-in-As-Asch-aus-dem-Jahr-1933-Figure_fig4_354658790 [accessed 6 Jul, 2023] Creative Commons Attribution 4.0 International

2 Kisil, ein Schwabendorf in Bessarabien, Schriften des Heimatmuseums der Deutschen aus Bessarabien Nr. 36, herausgegeben von Ingo Rüdiger Isert, Stuttgart 1999

Umsiedlerlager Löbau

Für die Umsiedler wurde in Löbau die Kaserne genutzt. Ob noch andere Gebäude belegt wurden, ist nicht bekannt.

Etwa 1915: Jäger-Kaserne Löbau, erbaut 1912-14. In der DDR Offiziershochschule der Landstreitkräfte „Ernst Thälmann“. Kasernen-Außenansicht von SSW (GMP: 51.105785,14.681745)1

Das Umsiedlerlager Löbau in Sachsen wurde von Borodinoer Umsiedlern zwischen dem 30. Oktober 1940 und dem 3. Dezember 1940 belegt. Diese Daten kann man dem noch vorhandenen Lagerpass der Familie Scheurer2 entnehmen.

Lager Löbau

Bessarabiendeutsche im Lager Löbau, Foto: Privatarchiv M. Scheuer, welcher das Bild freundlicherweise zur Verfügung stellte.


1) Wikimedia: Etwa 1915: Jäger Kaserne Löbau, erbaut 1912-14. In der DDR Offiziershochschule der Landstreitkräfte „Ernst Thälmann“. Kasernen-Außenansicht von SSW (GMP: 51.105785,14.681745). Fotograf unbekannt – 19770427050AR.JPG/Repro Blobelt CC BY-SA 4.0

2) Lagerpass Privatarchiv M. Scheurer

Schloss Waxenberg

Mein herzlicher Dank für die Dokumententexte, Zeitungsartikel und das Lagerlied geht an Herrn Friedrich Wimmer, Waxenberg. Ohne ihn hätte ich diesen Artikel in dieser Form nicht realisieren können.


Das Schloss Waxenberg liegt im Ortszentrum von Waxenberg in der Gemeinde Oberneukirchen im oberösterreichischen Mühlviertel.

Bereits im17. Jahrhundert unterhalb der Burgruine Waxenberg errichtet, diente es zwischen 1756 und 1848 als Sitz der Herrschaft Waxenberg und ist heute in Privatbesitz der Familie Starhemberg.

Neues Schloss Waxenberg 1)

Das heutige „Neue Schloß“, erbaut 1908 bis 1914, diente seit 1938 der Volksfürsorge, nachdem es durch die Nationalsozialisten enteignet wurde.

Mietvertrag 1938 3)

Im September 1940 richtete man nach Beschlagnahme der Gebäude ein Umsiedlerlager ein.

Beschlagnahme 1940 3)

Beschäftigte im Umsiedlerlager und Mietangebot Saal als Schulzimmer 1940 3)

Der „Heimatbrief für die Soldaten aus dem Kreis Freistadt, O. D.“3 

berichtete im Brief Nr. 6 September/Oktober 19403 :

Als Neuigkeit muss ich euch noch sagen, dass wir dieser Tage 370 Bessarabien Deutsche erwarten. Wir wollen sie alle in den Waxenberger Schlösser unterbringen, da gibt es natürlich noch viel vorzubereiten, damit wir diesen braven Menschen wenigstens vorübergehend eine Heimat ersetzen können. Schon durch ihr Kommen zeigen sie uns ja, welche Liebe sie zu unserem Volk und zu unserem Führer haben. Sie, die ihre Heimat und ihren schwer erkämpften Boden verlassen, um Seite an Seite mit uns am Kampf und am Neuaufbau unseres Vaterlandes mitzuarbeiten, zeigen uns so recht, wie wir heute an der Geburt eines Reiches stehen, dessen Größe und innere Geschlossenheit das erste Mal in der Geschichte alles in seinen Bannkreis zieht, was bluts- und willensmäßig zu unserem Volke gehört. So entsteht Stein auf Stein das herrliche soziale deutsche Volksreich von dem zu allen Zeiten die Besten unseres Volkes geträumt haben und das Jahr jetzt durch Euren höchsten Einsatz für immer begründen helft.

Zeitgleich erhielten die Marienfelder ihren Umsiedlerpass, Mitte September 1940 wurden alle Frauen und Kinder, ebenso die arbeitsunfähigen und älteren Männer auf LKW verladen und nach Galatz ins Sammellager gebracht. Nach etwa einer Woche Lageraufenthalt setzten sie ihre Reise mit dem Schiff Donau aufwärts in das Sammellager Semlin in Jugoslawien fort. Wieder erwartete sie rund eine Woche Lageraufenthalt, ehe die Weiterreise mit der Bahn angetreten wurde. Nach der Ankunft in Wien wurden alle verteilt auf die Umsiedlungslager Eschelberg, Waxenberg und Schloß Riedegg bei Gailneukirchen (Linz/Oberdonau).

Näheres über die Vorbereitungen zur Aufnahme der Marienfelder in Waxenberg erfahren wir aus dem 7. Brief November 19403 :

Oberneukirchen empfing die Bessarabien Deutschen.

Wie wir im letzten Heimatbrief angekündigt haben, sind nun die Bessarabien-Umsiedler mit Kind und Kegel hier eingetroffen. Die Ortsgruppe Oberneukirchen hat das Möglichste getan, um ihnen schon von Anfang an zu zeigen, wie sehr wir bemüht sind, ihre Lage nach Möglichkeit zu erleichtern. Tage vorher schon wurde Jung und Alt mobilisiert, welche Tag und Nacht arbeiten mussten, um das Lager Waxenberg in einen Zustand zu setzen, der den gestellten Anforderungen gerecht wird. Es galt bei 400 Strohsäcke zu stopfen, Zimmer und Betten in Ordnung zu bringen und verschiedene andere kleine Arbeiten zu verrichten, die zur wohnlichen Ausgestaltung notwendig sind. Besonders in den letzten Tagen wurde oft bis 11 und 12 Uhr nachts mit Liebe und Fleiß gearbeitet, und als schließlich der Tag kam, wo das Eintreffen der Umsiedler gemeldet wurde, da konnten ihnen alle Beteiligten mit dem Bewusstsein entgegen blicken, ihre Pflicht als Volksgenossen den tapferen Heimwanderern gegenüber restlos nachgekommen zu sein.

Schnell wurde noch alles Notwendige zur Verpflegung heran geholt, Kartoffel und Kraut eingelagert, Brennmaterial besorgt und dann die Vorbereitung zum Empfang getroffen.

Um 4 Uhr nachmittags kam dann unser umsichtiger Kreisleiter, um noch alles zu überprüfen und die Umsiedler persönlich in ihrer vorübergehenden Heimat zu begrüßen. Inzwischen hatten die Gliederungen der Partei und der Reichskriegerbund Aufstellung genommen, auch die Ortsmusik von Oberneukirchen fehlte nicht, um den Empfang durch schneidige Märsche zu verschönern. Als dann um halb 8 Uhr abends die lange Autokolonne einfuhr und nach und nach die Familien, insgesamt 310 Personen, in das Schloss geleitet wurden, da ist wohl jedem von uns die Größe des Vaterlandes klar geworden, die diese Familien für Deutschland und für unseren geliebten Führer darbringen. Alte Leute, rüstige Männer, brave Mütter und viele, viele Kinder gingen an uns vorüber. Eine gute Organisation der Lagerführung sorgte dafür. Dass schon eine Stunde später alles in den zu geteilten Räumen untergebracht war. Die rührige Frauenschaft von Oberneukirchen und Warenberg verteilte sich sodann in den Räumen und hatte für jedes Kind und für jede Mutter ein besonderes Päckchen guter Sachen. Dankbare Blicke und Worte der bescheidenen Menschen belohnten reichlich die aufgewendeten Mühen.

So wurde auch diese Arbeit in gemeinschaftlichem Zusammenwirken geschaffen. Für Arbeit und Beschäftigung der Rückgeführten muss natürlich auch Sorge getragen werden. Um Arbeit sind wir ja in Oberneukirchen nicht verlegen. Es wurde deshalb sofort ein neuer Güterweg nach der Ortschaft Reindlsödt projektiert und sind die Vorbereitungen bereits so weit gediehen, dass wir hoffen, alle arbeitsfähigen Männer in Kürze beschäftigen zu können. Ein schöner Herbst wäre natürlich wie bei allen anderen Arbeiten auch hier dringend notwendig.

Die zurückgebliebenen Marienfelder Männer mussten ihr Vieh versorgen und das Getreide auf den Bahnhöfen Comrad oder Skinosse abliefern. Die meisten hatten seit der Abfahrt der Familien ihre Schweine geschlachtet, das Fleisch gebraten und mit Schmalz übergossen in verschlossenen Gefäßen verpackt.

Diese Art der Haltbarkeitsmachung kannte ich noch von den Schlachtetagen meiner Schwiegereltern – „Gselchtes“.

Das Schweinefleisch  wurde nach dem Schlachten zunächst gepöckelt. Während die Spitz- und Eisbeine in einer Salzlake im Steintopf zogen, wurden die besseren Stücken mit einer Mischung aus Salz und Gewürzen eingerieben und in einem Steintopf gestapelt, dann kühl im Keller gelagert. Der austretende Saft wurde so zur Lake, nach einiger Zeit wurde umgestapelt. So zog die Salz-Gewürzmischung etwa 3 Wochen durch das Fleisch. Anschließend wurde alles abgespült, das Fleisch etwas gewässert, dann zum Trocknen aufgehängt. Das dauerte etwa einen Tag. Danach kam es in die Räucherkammer und wurde heiß geräuchert, meist nur 2-3 Stunden. Kalt geräuchertes, wie Schinken oder Salami dauerte deutlich länger und wurde zumeist mehrfach geräuchert und blieb hängen in der Räucherkammer.

Im nächsten Schritt wurden die gepöckelten und geräucherten Fleischstücken gekocht und angebraten. Das abfließende Fett wurde als Schmalz aufgefangen.

Wieder kamen Steintöpfe zum Einsatz. Alle waren peinlich sauber geschrubbt und wurden mit Schmalz ausgegossen, es befand sich also im Topf ein 1-2 cm dicke Schicht an den Wänden und dem Boden. Das Fleisch wurde Schicht um Schicht in den Topf gelegt und mit flüssigem Schmalz bedeckt. Es durfte nirgends Luft eingeschlossen werden, da hier das Fleisch zu schimmeln beginnt. Obenauf ein dicker Abschluss aus Schmalz, dann wurde der Topf mit Deckel zugebunden und kam in den Keller. So konnte das Fleisch durchaus bis zu einem halben Jahr stehen.

Wenn Gehacktes verarbeitet wurde, haben sie es ebenfalls für ein paar Tage roh in Schmalz eingegossen und in den Keller gestellt, so konnte es nach und nach verarbeitet werden. In der Regel wurde es eingeweckt.

Uns mag das heute abenteuerlich erscheinen, aber man hatte früher wenig Möglichkeiten, seine Nahrung zu konservieren und für den Transport war diese Methode sehr geeignet, zudem waren die Winter in Bessarabien ungleich kälter als in Deutschland, so war der Keller der beste Kühl- gar Gefrierschrank.

Anfang bis Mitte Oktober 1940 hatten auch die zurückgebliebenen Männer in Marienfeld ihre Pferdegespanne beladen und machten sich mit zwei Stopps in Jekaterinovka und Albota auf den Weg nach Galatz.

Dort nahm man ihnen allerdings die Pferdegespanne, einschließlich aller aufgeladener Güter, ab. Ihre ganze Mühe war umsonst.

Nach einer Woche Lageraufenthalt nahmen sie den Reiseweg ihrer Familien und kamen von Wien aus in das Auffanglager Kremsmünster in Österreich. Erst von dort wurden sie auf die Lager verteilt, in denen ihre Familien untergebracht waren.

Unter den im Schloss Waxenberg befindlichen Marienfeldern waren auch die Familie Samuel Grieb, denen ein Kind hier geboren und getauft wurde und die Familie Jacob Beierle, die später nach Amerika auswanderte..

Der 8. Brief Weihnachten 19403 berichtete erneut aus Waxenberg an die Front:

Es ist nicht immer leicht, von der engsten Heimat Neuigkeiten zu berichten, doch einiges gibt es auch diesmal wieder zu erzählen. Wie Euch bekannt ist, sind im Schloss Warenberg zirka 450 Volksdeutsche aus Bessarabien vorläufig über den Winter einquartiert. Es gelang der Gemeinde bereits, einem Teil der Männer entsprechende Arbeitsstellen zuzuweisen, so dass sie nun zum Unterhalt ihrer Familien schon selbst zum Teil beitragen können. Es sind meist recht kinderreiche Familien, durchwegs willige und fleißige Arbeitskräfte, die überall zupacken. Und Arbeit gibt es trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit bei uns immer noch genug. So wird zum Beispiel derzeit die Wasserzuleitung zu unserem Marktbrunnen repariert. Eine Steinquetsche steht ferner zum Gaudium unserer Schuljugend hinter dem Schulhaus in Betrieb. Auch unsere Schuljugend zeigt wieder ihren bewährten Sinn für Arbeitseinsatz in jeder Form. So werden derzeit für die Kinder der Bessarabien Deutschen zirka 150 Stück Spielwaren als Weihnachtsgeschenk in gar vielen Bastelstunden hergestellt. Da geht’s oft recht lustig zu. Autos, Puppenküchen, Bettchen, Wiegen, Hampelmänner, Schlachtschiffe, Flieger, und vor allem Puppen entstehen in Serienerzeugung.

Aus dem Umsiedlerlager Waxenberg

Umsiedlerlager Waxenberg 1940

Aus dem Umsiedlerlager Waxenberg

9. Brief – Jänner Februar 19413 

Für die Bessaraber, die auf ihrer Zwischenstation in Wagenberg das Weihnachtsfest im Lager feiern mussten, wurde alles getan, was in unseren Kräften stand. Die Schulkinder von Oberneukirchen haben in mühseliger Arbeit einen vollen Monat gebastelt, so dass mit Hilfe der NSV ein reicher Gabentisch gedeckt werden konnte.

10. Brief – März 19413 

Liebe Soldaten- Für diesmal gibt es in unserem Ort fast keine Neuigkeiten. Trotzdem sich die Sonne nach Kräften bemüht, uns zu helfen, umgeben uns noch unwahrscheinlich große Schneemassen nur mit dem Unterschied, dass das blendende Weiß der Gegend einem unfreundlichen, schmutzigen Grau gewichen ist. Wir sind dabei, die Straße Oberneukirchen-Waxenberg-Traberg frei zu legen, und wenn auch noch Schneepflüge mit Raupen helfen, hoffen wir doch, den Frühling auch in unserem Land mit Gewalt auf die Beine zu bringen.

Eine besondere Belebung erfährt Oberneukirchen durch den ständigen Besuch aus dem Umsiedlerlager in Waxenberg, dessen 450 Einwohner sowohl der Gemeinde, als auch dem Standesamt ständig zu tun geben.

11. Brief – April 19413 

Liebe Soldaten! Die Heimat grüßt Euch. Endlich ist der harte Winter, der heuer besonders grimmig sich zeigte, gewichen, und sonnige Tage lassen uns den Frühling ahnen. Noch verunzieren allerdings schmutzige, oft meterhohe Schneehaufen den lieben Markt, doch Straßen und Wege sind schneefrei. Ab 9. März verkehrt endlich das Helfenberger Auto wieder nach langer Winterpause.

Fleischhauer Dunzendorfer hat zum Leidwesen der „Sonntag=Bürgertag=Besucher“ das Gastgewerbe aufgeben. Das Gasthaus Kafka hat einen neuen Pächter aus Enns bekommen.

12. Brief – Mai Juni 19413 

An Ortsneuigkeiten gibt es diesmal nicht viel zu berichten.

Am 1. Mai setzte die Jugend den üblichen Maibaum an der Stelle, wo früher das »Park-Bründel« stand; dieses und der Park sind verschwunden Letzterer harrt einer neuen, schöneren Wiederanlage.

Im Bessarabienlager in Waxenberg erweckte das „Eierlesen“ viel Heiterkeit

Für die Marienfelder sollte sich die Zeit des Lagerlebens in Waxenberg nach etwa eineinhalb Jahren dem Ende zuneigen. Nachdem sie ihre Einbürgerungsunterlagen erhielte und nun offiziell „Deutsche“ waren, wurde ihre Ansiedlung auf Bauernhöfe in Polen vorbereitet.

Marienfelder Senioren 1941, links mit der Knickerbockerhose Lagerleiter Führlinger, ganz rechts Andreas Schaal (1879-1966), 5. von rechts Andreas Kraft (1873-1967)2)

Herr H. Grieb, im Lager Waxenberg geboren, hat 2006 den Ort und Herrn Wimmer besucht und einiges aus Familienerzählungen berichtet, Herr Wimmer schreibt am Heimatbuch Waxenberg und betreut zudem das Online-Archiv Waxenberg. Wer zu Waxenberg noch weitere Informationen und Familienerinnerungen teilen kann, den bitte ich, sich an Herrn Wimmer zu wenden.

Im Jahre 1942 zogen neue Bewohner in das Lager ein.

14. Brief – September Oktober 19413 

Eine Schar Holländer-Kinder, welche zu einem sechswöchigen Aufenthalt teils bei Eckerstorfer in Oberneukirchen, teils bei Rader in Waxenberg lagermäßig untergebracht waren, wurden dieser Tage vom Ortsgruppenleiter in ihre Heimat zurückgebracht.

19. Brief – Juli August 19423 

Die Erdäpfel, Kraut und Rüben sind auch recht schön. Obst zeigt sich auch so halbwegs eins. Und die Froschau hat Menschenzustrom wie ein kleiner Wallfahrtsort, da es ja heuer mehr Kirsche dort gibt als in vergangenen Jahren. Nur bei manchem Haus werden die ,,Kerschenbrocker vermisst. Sie stehen als Soldaten im Osten.

Denkt Euch; die ersten Ukrainer Landarbeiter sind eingetroffen. Es sind lauter Ehepaare, die wir haben. Wie sie bei der Arbeit sind, kann ich Euch noch nicht sagen, da sie erst ein paar Tage hier sind.

Leihvertrag Kindergarten und Schulgebäude 1943 3)

25. Brief – Juli August 19433 

…das Land zu gehen und die Haferfelder anzusehen. Trotz des Leutemangels ist die Heuernte eigentlich sehr rasch eingebracht worden. Es hat alles, ob klein-, groß, Jung und Alt, fleißig mitgeholfen. Die Frauen aus den Westgebieten haben zum Teil sehr stramm mitgeholfen und werden uns auch bei weiteren Ernten sicherlich gern mithelfen.

In unsere Ortsgruppe sind schon über 130 Volksgenossen aus Westdeutschland gekommen Obwohl sie sehr viel mitgemacht haben, haben sie eine stolze Haltung an den Tag gelegt Mancher kann sich da ein Beispiel nehmen.

26. Brief September/ Oktober 19433 

Am 31. Juli fand im Umsiedlerlager in Warenberg eine Namensgebung statt. Außer der Sippe nahmen auch Vertreter der volksdeutschen Mittelstelle und Ehrengäste der Partei und Gemeinde teil. Der Obersturmbannführer.

Die Arbeit beim Güterwegbau in Oberneukirchen (Mitterfeld) geht unentwegt vorwärts

29. Brief – März April 19443 

Liebe Soldaten! Die herzlichsten Grüße sendet Euch die Heimat. Der Winter hat zwar kalendermäßig sein Ende genommen, aber in Wirklichkeit denkt er noch an dein Gehen. Diese Schneemassen hat Oberneukirchen mehrere Jahrzehnte nicht gesehen. Seit drei Wochen verkehrt bei uns kein Auto (Die Post wird wieder wie zu Zeiten des alten Vrenner von ZwettI geholt).

Seit einigen Tagen können doch die Fuhrwerke wieder fahren. Zwettl ist seit Wochen der Umschlagplatz von Waren, Lebensmittel und Kohlen. Der Postkraftwagen wird kaum vor Mitte April verkehren können. Nun könnt Ihr Euch ein Bild von diesem Winterende machen. hoffen wir, dass ein gutes Jahr für die Feldfrüchte folgen wird, an Feuchtigkeit für die Wiesen und Felder fehlt es nicht, nur die liebe Sonne muss ums viele warme Tage bescheren, dann ist auch in diesem Jahr für Ernährung wieder gesorgt Die Arbeiten werden durch den Einsatz aller verfügbaren Arbeitskräfte geschafft werden.

32. Brief – September Oktober 19443 

Die Gauwehrmannschaften hielten am Sonntag den 17. September auf der Schießstätte in Waxenberg ein Schießen ab.

Aber in diesem Jahre denkt nicht nur ihr Söhne unserer Heimat unser liebes Oberneukichen. Mit euch gehen die Gedanken vieler Kameraden aus den Städten der Ostmark und der des Altreichs, die ihre Frauen und Kinder zu uns in Sicherheit brachten. Mit Euch gehen jetzt auch die Herzen der Siebenbürger SS-Kameraden, deren Familien in Gedanken sich bei einem Muehlviertler Fichtenbäumchen kreuzen. Ihnen allen aber, die Haus und Hof verloren haben, wollen wir zeigen, dass sie nie heimatlos sein können, solange es ein Deutschland gibt.  Unsere Herzen aber sind immer bei Euch. Ihr kämpft für uns, wir arbeiten für Euch, damit wir uns am Ende den Sieg des Vaterlandes verdienen.

33. Brief – November Dezember 19443 

Der Volkssturm unserer Ortsgruppe zählt 256 Mann, welche in den Wintermonaten ihre militärische Ausbildung erhalten. Am Montag den 13. November kam hier der erste Treck Siebenbürger Deutschen mit Pferd und Wagen an und wurden vorläufig in die Auffanglagern bei Eckerstorfer und in zwei Klassen der Volksschule gegeben. Diese Woche werden sie in die Quartiere eingeführt. Es sind durchwegs Bauern, große stattliche Menschen heute, Sonntag-, konnten sich die Frauen in ihrer malerischen Tracht sehen lassen. Die meisten Männer müssen in nächster Zeit zur SS einrücken.

Belegungstandsmeldung des Lagers 1944-1945 3)


1 Wikimedia, Luckyprof Luckyprof (talk) 08:04, 30 April 2013 (UTC) – Schloss Waxenberg, selbst fotografiert, CC BY-SA 3.0

2 Foto (p. 111) aus: Marienfeld, Kreis Bender – Bessarabien 1910-1940
Zusammengestellt von Artur Schaible, Kreisamtsrat a. D.
Herausgeber: Christian Fiess, Vorsitzender des Heimatmuseums der Deutschen aus Bessarabien e. V., 1990

3 von mir nachbearbeitete Dokumententexte und Zeitungsartikel mit freundlicher Überlassung durch Herrn Friedrich Wimmer, Waxenberg. Autor von „Waxenberg hat Geschichte – hat Kultur“, Waxenberg 2008, 104 S. (Gem. Oberneukirchen)

Blumendorf – Kriegsende und Vertreibung

Mein Dank gilt Frau A. Relin, durch welche dieser Bericht an mich mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung übergeben wurden. In Erinnerung an alle Einwohner von Blumendorf, vor allem derer, die zum Kriegsende durch Willkür ihr Leben lassen mussten.


In tiefer Dankbarkeit dem Autoren W. Frischling gegenüber, veröffentlicht jedoch aus Datenschutzgründen nur mit Namenskürzeln.


Kriegsende und Vertreibung – eine Blumendorfer Chronik

Seit Februar 1945 verlief die Frontlinie durch unseren Heimatkreis Löwenberg. Der Niederkreis war von den Russen besetzt. Die Stadt Löwenberg fiel am 16. 2. Die Trecks der bei uns einquartierten Flüchtlinge zogen zum größten Teil weiter nach Westen. Auch viele der Evakuierten verließen unseren Ort. Die eingesessene Bevölkerung blieb geschlossen zurück. Im Wald wurden Holzhäuser und Unterstände gebaut, auch von den Kunzendorfern und Antoniwäldern. Als Verstecke vor der Roten Armee waren sie von zweifelhaftem Wert, da auch Ostarbeiter beim Bau mithalfen und somit die Verstecke kannten. Nach den erfolgreichen Abwehrkämpfen bei Lauban – das mehrmals den Besitzer wechselte – vom 26. Februar bis 5. März, stabilisierte sich die Frontlinie. Die den Rotarmisten durch Armeebefehl freigegebene Willkür im Rauben, Brennen, Morden, Plündern und Schänden, sowie übermäßiger Alkoholgenuß, lähmten die Schlagkraft der Roten Armee. Erst Mitte April trat sie wieder zu Großangriffen an und erzwang den Übergang über die Lausitzer Neiße.

Karte Kampf von Bautzen, Phase vom 21.-22. April 1945.1

Ihr nördlicher Angriffskeil war nicht zu stoppen und erreichte am 24.4. südlich von Torgau die Elbe. Der südliche Keil wurde jedoch in erfolgreichen Gegenstößen vom 19. bis 26. 4. schwer angeschlagen und Bautzen, Weißenburg und Niesky zurückerobert. Dadurch wurde den schlesischen Flüchtlingen bis kurz vor der Kapitulation der Treckweg nach Westen offen gehalten.

Am 8. Mai, dem Waffenstillstandstag, kamen die Russen bis Rabishau und Querbach. Uns Blumendorfer traf die Kriegsfurie nicht mehr mit voller Wucht.

8.5. Viele Blumendorfer – vor allem junge Mädchen – fliehen den Weinberg hoch nach Antoniwald bzw. Richtung Wald zu den gebauten Blockhäusern. Auf dem Weinberg erreicht sie die Nachricht, daß der Krieg aus sei. Sie kehren um. Am Nachmittag fährt ein Russe mit seinem Motorrad bis Steinhäuser und wendet dort.

9.5. Erstmals russische Soldaten im Ort. Sie übernachten bei B. Sie ordnen auch den Abzug der Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen an.

10.5. Unser Bürgermeister Paul Neumann (1884-1945) fährt die Ostarbeiter nach Bunzlau und wird seitdem vermißt.

11.5. O. T. und F. S. fahren die polnischen Arbeiter nach Bunzlau. Beide sind am nächsten Tag wieder zurück.

12.5. Die in Kunzendorf beschäftigten Polen werden nach Bunzlau gefahren. R. D.´s Pole bringt das Gespann heil zurück. Förster R. – mit O. W.´s Pferden – wird das Gespann abgenommen. Er selbst kann sich durch Flucht retten. Die französischen Gefangenen werden in Schreiberhau gesammelt. Albert, der kriegsgefangene Belgier bei I. G. in Gotthardsberg, will L. G. im Transport mitnehmen, was ihm von den Russen nicht gestattet wird. So machen sich die beiden Brautleute zu Fuß auf den Weg nach Belgien.

10. – 20.5. Durchziehende Russen, Vergewaltigungen und Plünderungen durch marodierende Gruppen. Geraubt werden vor allem Uhren, Schmuck, Stiefel, Pferde, Schweine, Eßwaren und Kleider. Die in geschlossenen Einheiten abziehenden Russen sind wieder diszipliniert, nehmen nur Eßwaren und leisten sich keine Übergriffe. Mongolische Kampftruppen werden fast wie Gefangene zurückgeführt. Sie übernachten bei D. in Kunzendorf auf einer Viehweide. Als Verpflegung holen sie eine Kuh von O. K. Die im Dorf verbliebenen Flüchtlinge – z.B. aus Weißenfels, Krs. Neumarkt – packen wieder ihre Habe auf Fuhrwerke und fahren heimwärts. Andere, die schon weiter nach Westen geflüchtet waren, kommen auf dem Heimweg durch unseren Ort. Die aus dem Sudetenland kommen, sind von den Tschechen ausgeplündert worden. Besonders in Gotthardsberg haben wir bis in den Juni hinein Übernachtungen von Landsern, die der Gefangenschaft entgehen wollen und am Waldrand entlang nach Westen ziehen.

Am 14. 5. z.B. übernachten bei uns (Frischling) 16 Mann, darunter eine Gruppe aus Recklinghausen. Diese lehnen Quartier im Haus ab und schlafen in der Scheune, die ein Schlupfloch nach hinten raus hat. Sie stellen die ganze Nacht über Wachen aus. Drei andere: „Wir sind schon zweimal getürmt; ein drittes Mal kriegen sie uns nicht!“

18.5. Freitag vor Pfingsten werden in Kunzendorf grfl. etwa 20 Männer unter 50 Jahren und etwa ebenso viele Landser angeblich zum Arbeitseinsatz mitgenommen. Nach langen Verhören wird O. W. – unser Ortsgruppenleiter – aussortiert. Er kommt mit Lehrer H. und dem Direktor der Spinnerei aus Friedeberg, sowie P. und D. aus Giehren in das Zuchthaus Bautzen, Mitte Juli in das Lager Tost bei Gleiwitz O/S. Etwa 8000 Deutsche kommen in den fünf Monaten bis Dezember 1945 in dem Lager durch Erschießen, Mißhandlung, Hungerruhr, Hungertyphus und andere Krankheiten ums Leben. Außer kleinen Parteifunktionären hatten die Russen Kapitalisten wie Gutsbesitzer und Fabrikanten, Polizisten, Kriminalbeamte, aber auch willkürlich Förster , Ärzte u.a. verhaftet und im Lager dezimiert. Die restlichen etwa 800 werden im Dezember entlassen: darunter auch O. W.. Aus Ludwigsdorf / Rsgb, sterben im Lager Oskar Felsmann und der Bäcker Laschtowitz. Förster Harbig stirbt auf dem Heimweg in Breslau.

Pfingsten: Razzia auf arbeitsfähige Männer in Blumendorf. F. R. , unser Stellmacher, versteckt sich den ganzen Tag unter dem Holz in der Werkstatt. Die mitgenommenen Männer kommen nach Tagen wieder. Plünderungen und Mißhandlungen der Bevölkerung durch polnische Banden.

21.5. Ablieferung von Motorrädern, Fahrrädern, Radios und Waffen (Jagdgewehre von Förster D. und R. E.) bei R. E.. Er und O. J. fahren das Beutegut mit Ackerwagen nach Birngrütz oder Rabishau.

26.5. K. E. – ein ausgebombter Sachse, der bei K. wohnt, wird Bürgermeister. Die für uns zuständige Kommandantur ist in Ludwigsdorf /Rsgb. Dorthin sind auch Ablieferungen zu leisten. Zum Schutz gegen die Überfälle und Plünderungen durch die Polen wird eine deutsche Polizei eingerichtet. Mit weißen Armbinden und Trompeten gehen sie abends auf Streife. In einer Mainacht treffen die Gotthardsberger auf zehn voll bewaffnete Soldaten der Wlassow – Armee, die Lebensmittel wollen. In der nächsten Nacht einigt man sich darauf, die Russen – darunter ein Volksdeutscher – als Arbeitskräfte bei den Landwirten im Dorf zu verteilen. So kommt einer zu I. M. und einer zum T. – Bauer. Kommen Rotarmisten, verstecken sie sich.

Juni 45: Auf den Straßen weiterhin durchziehende Kolonnen von Polen und Russen. Weißrussen, die in ihrer Heimat plötzlich zum Arbeitseinsatz verpflichtet wurden, bauen die Oberleitung und ein Gleis der Bahnstrecke Berlin – Breslau ab. Es sind Männer von 40 bis 50 Jahren, z.T. mit bunten gestickten Mützen bekleidet. Sie werden schlecht verpflegt. In Rabishau gehen sie oft in die Häuser und bitten um Essen. Sie bedanken sich mit russischen Liedern. Flüchtlinge und jetzt auch aus der Gefangenschaft entlassene Soldaten sind auf dem Weg nach Hause.

Am 15. 6. kommt auch mein Vater, G. F. der in 14 Tagen von Bayern zu Fuß nach Hause gelaufen war. Bürgermeister E., der am 2.6. von P. R. die Gemeindekasse und den Standesamtsposten übernimmt, gibt Quartierscheine aus. Wir bekommen oft Quartiergäste, die auch mit verpflegt werden.

1.7. Polen übernimmt die Verwaltung der deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie.

10.7. Es liegt etwas in der Luft! Viele Landser und die zehn Wlassow- Russen ziehen ab. Diese bekommen – wohl von E. – Pässe als Ostarbeiter. So haben sie eine Überlebenschance. Auch einige Dorfbewohner verschwinden am nächsten Morgen in den Wäldern.

11.7. Erste wilde Austreibung der Blumendorfer durch Militärpolen. Die Polen nennen diese Aktion den „Hitler-Marsch“. Unter wildem Geschieße werden die Leute aus ihren Häusern geholt und wie Vieh fortgetrieben. Einige Familien dürfen bleiben zum Kühe melken und Vieh versorgen. Es sind bisher kaum Polen im Ort. Der Marsch geht über Neusorge nach Rabishau. Dort gelingt einigen Familien die Flucht, z.B. K. E., R., M. und F. Die anderen übernachten beim S. – Bauer in Rabishau in der Scheune. Am nächsten Tag geht der Marsch weiter über Giehren, Krobsdorf und Bad Schwarzbach zum tschechischen Schlagbaum. (Das Sudetenland haben die Tschechen nach Kriegsende wieder vereinnahmt.) Die Tschechen lassen jedoch keinen mehr durch. So wird in in einer Fabrik in Bad Schwarzbach übernachtet und am 13. 7. geht es „ohne Begleitschutz“ zurück nach Blumendorf. Die „Waldgänger“ und die „Ausreißer“ waren schon einen Tag früher wieder im Dorf, nachdem die Polen abgezogen waren. Diese hatten an dem einen Tag fleißig gearbeitet: Die leerstehenden Häuser waren durchwühlt; in manchen Gärten fanden sich Grabespuren. Oft waren sie fündig geworden; sie hatten wohl einen Blick dafür.

30. 7. Unser ehemaliger Lehrer Paul Jaster – schwer an Bronchialasthma leidend – wählt in Rabishau den Freitod. Er hatte 1920 seine westpreußische Heimat verlassen müssen, weil er nicht für Polen optieren wollte. Nun sah er auch für die Deutschen in Schlesien keine Zukunft mehr und beschwor seine Familie, in den westlichen Teil Deutschlands zu fliehen. Bürgermeister K. E. und der Lehrer A. S. werde von den Polen eingesperrt. Herr S. wird in Steinhäuser sehr verprügelt. Der Kaufmann E. S. – der polnisch spricht – wird als polnischer Bürgermeister eingesetzt. Büro ist in der Schule.

3. 8. Ablieferung von Getreide (je 4 Ztr.) nach Kunzendorf. Haussuchungen sind an der Tagesordnung. Einweisungen polnischer „Verwalter“. Die ersten Polen im Ort sind „Ernst“ (so wurde der ehem. Kutscher von L. genannt), B.´s Pole und der berüchtigte Pr. bei R. E.. Pr. nimmt die Einweisungen vor. Von E.´s verlangt er alle Schlüssel und schließt alles ab. Brauchen sie Lebensmittel oder ein Kleidungsstück, müssen sie ihn darum bitten. Die polnische Verwaltung wird jetzt fühlbar. Alle Deutschen müssen weiße Armbinden tragen. Die Männer werden in die Schule bestellt und verhört. Parteigenossen – auch Mitglieder der NSV (Volkswohlfahrt) werden aussortiert. Es wird ihnen eröffnet, daß sie bei irgendwelchen Vorkommnissen als Geisel haften.

7. 8. Scheinhinrichtungen der Gotthardsberger Jungen am Waldrand unterhalb des Schmiedelsberges. Die Jungen werden einzeln in den Wald geführt. „Pistoliette jest?“ (Hast Du Pistole?) Dann pfeifen einem einige Pistolenkugeln um die Ohren. Schlimmer erwischt es W. G. bei einer anderen Aktion. Er wird brutal verprügelt und an einem Strick hochgezogen. Er flieht in der folgenden Nacht. Etwa um diese Zeit werden die Kunzendorfer Jungen vier Wochen im Lager Lauban inhaftiert und mißhandelt. Die Blumendorfer Jungen müssen sich gegenseitig verprügeln. Dann werden sie an der Böschung aufgestellt und die Polen feuern über ihre Köpfe hinweg.

Oktober 45: Ständig kommen neue Polen ins Dorf. Kartoffeln müssen abgeliefert werden und auch Vieh. Die Ställe sind bei uns noch voll und die Abgabe von ein oder zwei Kühen geht nicht an die Substanz. Manche hatten noch Kühe aus dem Kampfgebiet aufgenommen, die im März 1945 hier ankamen.

5. 11. A. N., (unser Schlosser und Mechaniker), A. B. (Müller) und E. S. (Kaufmann u. z.Z. Bürgermeister), verlassen mit ihren Familien heimlich unser Dorf. Ihr Ziel ist Obercunnersdorf / Lausitz, wo N.´s Vater eine Landwirtschaft betreibt. S. zieht weiter nach Berlin. Bei ihm (ehem. Lebensmittelgeschäft) werden große Vorräte an Lebensmitteln gefunden.

6. 11. „Ernst“ macht sich zum Bürgermeister und zieht in das Haus von Kaufmann S.

21.11. Großer Viehabtrieb: Vieh wird aus den Ställen geholt und zum Schulhof getrieben. I. N., H. T., G. K., E. G. und H., sowie zwei Landser, werden als Treiber mitgenommen. Am Abend des zweiten Tages setzen sie sich in Liebenthal oder Langwasser ab und laufen nach Hause.

5. 12. Eine Kommission zählt sämtliches Inventar.

9. 12. Hermann Zölfel verunglückt tödlich. Er mußte für die Polen Stroh nach Krobsdorf fahren. Am Abend findet er auf seinem Wagen ein Gefäß „wie eine Ölkanne“. Er nimmt es mit in die Stube und betätigt dabei den Zünder der Handgranate. Er will noch das ihm unheimlich werdende Ding nach draußen bringen, da explodiert es und reißt ihm den Bauch auf.

20.12. Das Büro des Bürgermeisters und der Miliz wird bei S. eingerichtet.

26. 1. 46 Ausgabe der polnischen Kennkarte. Die ehemals selbständigen Landwirte werden darin als „robotnik rolny“ (Landarbeiter) geführt. Der Fingerabdruck ergibt nur einen blauen Fleck. Das Stempelkissen war wohl reichlich mit Tinte gefüllt worden.

April 46 Der Landwirt und Waldarbeiter Albert Hase, Blumendorf Nr. 33, wird bei einem nächtlichen Raubüberfall von Polen ermordet. T. K. findet ihren allein wohnenden Großvater am nächsten Morgen. Schon zweimal war er in den Wochen vorher heimgesucht worden. Einmal hatten die Räuber ihn im Bett gefesselt und geknebelt.

30. 4. In Rabishau wird P. J.´s Schwiegervater, der Kantor Max Engwicht, von der polnischen Miliz zu Tode geprügelt. Auch H. und I. J. werden schwer mißhandelt. Nach diesem Mord greifen die Russen ein. Es kommt zur Verhandlung in Löwenberg, wo die Täter verurteilt werden. J.´s erhalten Warnungen, daß sich die Polen dafür an ihnen rächen wollen. So fliehen sie mit Frl. F. und Frau B. nach Kohlfurt, wo die Engländer alle Vertriebenentransporte entlausen und in den Westen weiter leiten. Eie Restfamilie J. kommt mit ihren Gefährtinnen in den Südharz.

22. 5. Eine Kommission prüft die Getreidevorräte. Dabei werden auch – wohl in Absprache mit dem jeweiligen polnischen Verwalter – Haussuchungen größeren Stils vorgenommen. Bei uns müssen sechs deutsche Männer unter Aufsicht Heu, Stroh und Holz systematisch umpacken. Pr. – für solche Sachen berüchtigt – verprügelt meinen Vater G. F. und schlägt ihm einen Zahn aus. Ich darf mir in T. – Bauers Busch ein Grab schaufeln. Zum Antreiben gibt es Kolbenstoße und das übliche Geschieße.

Pfingsten 46: Während in der Gastwirtschaft „Urban“ die Tanzmusik spielt, dringen zwei Polen bei R. ein und plündern. Weder die Trauringe an der Hand, noch die 15- und 17-jährigen Töchter, werden verschont. Mit dem Messer bedroht, müssen sie sich fügen. P. R. meldet das Verbrechen bei der Kommandantur, aber außer endlosen Verhören der Opfer kommt nichts dabei raus, obwohl die Täter bekannt sind: Polen aus Gotthardsberg. Die Bewohner von Häusern ohne polnischen Verwalter sind Freiwild für rabiate Polen, siehe Hase, R., H. Allerdings ist das Zusammenleben mit den Polen in manchen Häusern ein Martyrium ohne Ende, siehe R. E. und B. G. Wenn sie besoffen sind, wird es ganz schlimm: J. zerschlägt einmal einen eichenen Spazierstock auf B. G.´s Rücken. Oft behalten die Deutschen nur eine Stube und die persönliche Habe wechselt zum größten Teil den Besitzer. Manche Polen suchen mehr nach versteckten Sachen, andere betätigen sich als Wegelagerer. Rühmliche Ausnahmen sind die meisten „Galizierpolen“, die sich den Deutschen gegenüber menschlich verhalten. In manchen Dörfern – wie Johnsdorf, wo viele Galizier hingekommen sind – ist das Zusammenleben von Deutschen und Polen viel besser. In Blumendorf geben die radikalen Elemente den Ton an.

11. 7. Ein uniformierter Pole auf einem Motorrad bringt die Nachricht der Ausweisung. Unser „Chef“ reduziert unser Fluchtgepäck beträchtlich.

12.7. Vertreibung der Deutschen aus Blumendorf, Kunzendorf und Antoniwald. Als wir am Morgen in Gotthardsberg aufwachen, werden schon die Antoniwälder durchgetrieben, die man schon um 3 Uhr aus den Betten geholt hat. In Blumendorf werden Leute z.T. aus den Häusern herausgeprügelt und die letzte Habe wird noch weggenommen. (N.´s Beschwerde in Plagwitz hat Erfolg: Ihr Pole muß für jeden ein Federbett herausgeben). Der Abschied von der Heimat wird uns von den Polen leicht gemacht! Die Hunde bereiten Probleme: Sie wollen mit. An der Blumendorfer Schule sammeln sich die Ausgewiesenen. Zurück bleiben nur die Familien des Stellmachers F. R., des Schmiedes F. B., sowie von O. E., J. L., P. F., R. K. und E. N. Die Familie B. bekommt wegen der durch Schlaganfall gelähmten Mutter L. eine Woche Aufschub. In Gotthardsberg bleiben neben G. T., (Maurer), O. W., (Zimmermann), A. F. (Straßenwärter), auch ältere Leute wie F. S., H. W., G. K. und O. mit Familien zurück, sowie F. D.

Während die Polen von Meißners Garagendach den Auszug filmen, setzt sich der Zug der Vertriebenen in Bewegung. Auf Schubkarren, Handwagen, Kinderwagen, Reisekörben auf Rädern u.ä. fahren sie mit dem Rest ihrer Habe – die kleinen Kinder oben drauf – ins Ungewisse.
Manche tragen nur ihren Rucksack. Nur wenige Fuhrwerke sind dabei für alte Leute und Gepäck, so N.´s und L.’s , welches F. R. lenkt. O. J.´s Pole holt – als er die Misere sieht – J.´s Ochsengespann und fährt damit einiges Gepäck bis Plagwitz, obwohl die Ochsen eigentlich nicht mehr können. Der Marsch geht über Birngrütz, Rabishau, Hayne, Langwasser, Hennersdorf, Liebenthal, Schmottseifen und Löwenberg, ca. 35 km. Auch die Menschen sind am Ende, als sie gegen Abend das Lager (Schloß Plagwitz, ehem. Irrenanstalt) erreichen.

13.7. Ausfüllen der Wagenlisten (ca. 35 Personen für einen Güterwagen) Fast alle Blumendorfer werden durch die Kontrolle geschleust (noch einmal gefilzt) und verladen. Nach einer Woche erreichen sie Troisdorf / Siegkreis im Rheinland.

15.7. Mit dem nächsten Transport verlassen die restlichen fünf Familien, zusammen mit den Nachbardörfern, die schlesische Heimat. Über Kohlfurt, Ülzen und Siegen geht es ins Sauerland. Die Antoniwälder kommen nach Lüdenscheid, die Kunzendorfer in die Nähe von Meschede bzw. nach Schmallenberg und Finnentrop.

27. 11. Eine Serie von Morden versetzt die wenigen verbliebenen Deutschen in Angst und Schrecken. Schon im Hochsommer war ein Arztehepaar (Bombenflüchtlinge aus Berlin) an der Reichsstraße 6 zwischen Berthelsdorf und Reibnitz erschossen worden. Wochen später ein Lustmord an der stellv. Organistin von Reibnitz und ihrer Mutter.
Nun, am 1. Advent, begehen in Berthelsdorf „zwei in Uniform und zwei in Zivil“ (Polen) einen Raubüberfall auf das Haus des Deutsch – Amerikaners Hopf. Dabei werden seine Schwägerin und zwei Besucher (ein Facharbeiter aus Fliegels Fabrik und die Rote-Kreuz-Schwester Maria Brüggmann) ermordet. Herr Hopf stirbt nach fünf Tagen an seinen Wunden. Die Verbrecher werden später gefaßt und die Haupttäter zum Tode verurteilt.

27.11.46 Der Mord an Schwester Maria hat Folgen für die Rote-Kreuz-Schwestern M. S. (Alt-Kemnitz) und C. O. (Berthelsdorf, fr. Kunzendorf grfl.). Sie, die schon auf der Ausweisungsliste stehen, müssen bis 1950 bleiben. Schw. M. übernimmt die ev. Seelsorge in den umliegenden Pfarreien. Schw. C. spielt die Orgel.

8.12.46 Ausweisung der Gotthardsberger Familien T., W., S., W., G. und O. K.. Sie müssen bei tiefem Schnee und starker Kälte die 20 km nach Hirschberg laufen. Nur die alten Leute werden auf Fuhrwerke gesetzt. Am Hirschberger Bahnhof wird bei der Kontrolle der W. – Fleischer aus Ludwigsdorf/ Rsgb. noch kräftig ausgeplündert. Die Polen gießen ihm aus Schikane Sirup in die Federbetten. Ida Tietze stirbt, noch auf „polnischen“ Gebiet, auf dem Transport. Sie wird von Polen mit Fußtritten aus dem Güterwagen gekippt und bleibt dort liegen. Der Transport geht nach Riesa/Elbe, wo W.´s bleiben. Die anderen werden nach eigenen Wünschen über ganz Sachsen verteilt, (nach Sayda, Döbeln, Freyburg , Chemnitz und Calbe .

2.7.47 Eine neue Ausweisungswelle erfaßt die Familien E., B., F., K.und F.. A. F. arbeitete bis zum 1.7. als Straßenwärter, der Sohn H. betrieb für B. G.´s Polen die Landwirtschaft, die Tochter A. führte B. K.´s Polen den Haushalt. Die Ausgewiesenen werden in Greiffenberg in Güterwagen verladen. Vom Lager Görlitz-Moys geht es über Lauban, Kohlfurt, Sagan nach Bitterfeld in die damalige Ostzone. Die Familien F. und K.kommen nach Halle/Saale, E. und F. nach Bernburg/Saale und B. nach Aken/Elbe. Die Familie des Stellmachers F. R. muß in Blumendorf zurückbleiben, da M. R. hochschwanger ist. Ende September werden sie von Greiffenberg wieder zurückgeschickt, weil Frau R. nach der Geburt ihrer Tochter B. schwer erkrankt ist.

Nov. 47 Deutsche aus Greiffenberg, Friedeberg, Bad Flinsberg, Blumendorf, Giehren und Birngrütz werden nach Löwenberg umgesiedelt, weil sie „zu nahe an der tschechischen Grenze wohnten“. Elend untergebracht, müssen sie für den Hungerlohn von 17 Zloty bei der Stadt arbeiten. (1 l. Milch kostet 40 Zl.) Sie wechseln auf ein Staatsgut in Nieder-Görisseifen, wo F. R. wieder als Stellmacher arbeitet. Die Ernährung ist wenigstens gesichert! Dort sterben die Eltern Heinrich und Anna R.

20.2.49 Frau N., Blumendorf, die Mutter des kriegsbeschädigSchuhmachers E. N. aus Brieg, O/S, wird in Kunzendorf von Schw. M. beerdigt. Der 78-jährige J. L. aus Bldf. trägt das Kreuz voran. (J. L. und der beinamputierte E. N. erhalten in den 50er Jahren noch die Ausreise.)

22.2.50 Die Rote-Kreuz-Schwestern M. S. und C. O. dürfen Schlesien verlassen. Nun endet auch die kirchliche Betreuung der letzten ev. Deutschen in unserer näheren Heimat.“Vergessen Sie die fünf Jahre in Polen!“, sagte der polnische Lagerleiter von Breslau-Hundsfeld zum Abschied.

1950 – 1955 Offiziell gibt es jetzt keine Deutschen mehr in Schlesien. Als die Deutschen den polnischen Personalausweis ablehnen – der sie automatisch zu Polen gemacht hätte – werden die eingereichten Dokumente nicht zurückgegeben. Sie erhalten von der Gemeinde nur einen Meldezettel. Bei Staatsangehörigkeit ist „nicht feststellbar“ eingetragen. Die jungen Männer werden gemustert und sollen zum polnischen Militär gezwungen werden. H. R.und sein Freund entgehen dem polnischen Wehrdienst nur durch fremde Hilfe und Bestechung. Viele Wehrpflichtige wenden sich an die Botschaft der DDR in Warschau, um evtl. ihren Wehrdienst bei der NVA ableisten zu dürfen. Sie werden abgewiesen: „Die Aussiedlung ist beendet. Sie müssen sich polnischen Gesetzen fügen.“

1955 Unruhen in Ungarn und Posen. Gomulka sieht in den tausenden von staatenlosen Deutschen eine Gefahr. Ausreise kann jetzt als Familienzusammenführung beantragt werden. R.´s erhalten nach vielen Mühen und unter hohen Kosten die Ausreise in die BRD. Über Stettin, Hamburg und Friedland kommen sie als Spätaussiedler nach Rheinland-Pfalz. Wohnungs- und Arbeitsnachweis sind erforderlich, um in die Nähe der anderen Blumendorfer zu kommen. In Rauschendorf/ Siegkreis endet die Odyssee der letzten Blumendorfer Familie.


zur Datenbank Blumendorfer Bewohner




Quellen:

v. Ahlfen, Hans: Der Kampf um Schlesien: Ein authentischer Dokumentarbericht; Motorbuch, Stuttgart 1998

Scholz, Martha: Fünf Jahre im polnisch verwalteten Schlesien. Uelzen 1951

Bergmann, Reinh.: Aufzeichnungen

Wiesner, Oswald: Erinnerungen

Auskünfte der Fam. Neumann, Jaster, Enge R., Rädisch, Rehnert, Bühn, Wiesner O., Fischer, Günther, u. Knobloch W.

1wikipedia: Lonio17 / Orionist – Own work based on: File:Budziszyn 1945 a.png, in turn based on: Praca zbiorowa Boje Polskie 1939-1945 Przewodnik Encyklopedyczny, Bellona, Warszawa 2009; Map of the Battle of Bautzen, phase of 21-22 April 1945.; Created: 10 February 2012, CC BY-SA 4.0 

Deportation der Hirschenhöfer 1916 nach Perm

Währen des ersten Weltkrieges wurden die Hirschenhofer Kolonisten in das Gouvernement Perm, und einige wenige nach Moskau, deportiert.  Die Anordnung zur „Evakuierung“ wurde im März 19161 erteilt. Pastor Adolf Oswald Plamsch (1866 – 1939) bereiste die Kolonien, in denen die Flüchtlinge nun lebten, dazu ein Bericht2:

Aus dem Gouvernement Perm.

Im Folgenden gebe ich einen Bericht nach den Worten des Pastors Plamsch , der in seiner Eigenschaft als Flüchtlingspastor das Gouvernement Perm mehrfach bereist hat. Er selbst ist ja auch ein Flüchtling. Unter dem Donner der deutschen Kanonen verließ er Grodno mit seiner Familie. Einen Teil seiner Habe konnte er noch mitnehmen, aber Vieles von dem, was er gerettet, ist ihm auf dem Wege abhanden gekommen und gehört zu den Dingen, die ihn nie erreichten.

Wie schwierig war es von den Gouvernementsbehörden zu erfahren, wo sich in den weiten wegelosen Gebieten die Flüchtlinge befinden. Der Permsche Gouverneur übermittelte dem Pastor eine Liste von 13 Orten mit über 4000 Flüchtlingen in den Städten und Kreisen Solikamsk, Schadrinsk, Jekaterinburg, Werchotursk, Kamyschlow, Krasnousimsk, Kungur, Ossa, Ochansk, Tschardyn. Zuerst wandte sich der Pastor von Perm aus nach dem Kreis und der Stadt Kungur, wo Flüchtlinge aus dem Wolhynischen, Polnischen und solche aus Livland leben. Die Flüchtlinge aus Livland sind die Aussiedler aus der deutschen Kolonie Hirschenhof. Mit den Hirschenhöfern hat es so seine eigene Bewandtnis: Sie wurden aus ihren Heimstätten teilweise unter Anwendung roher Gewalt weggeschleppt, und zwar weil sie dem an sie ergangenen Ausweisungsbefehl nicht sofort Folge leisteten. Eine hochgestellte Militärperson wollte sich nämlich für sie verwenden und hatte ihnen geraten, den endgültigen Bescheid aus Petrograd abzuwarten. Auf die örtlichen Behörden aber hatte das einen üblen Eindruck gemacht und wurde als trotziger Widerstand gegen die Militärobrigkeit ausgelegt. Nun wurden sie zwangsweise über Hals und Kopf von Haus und Hof verjagt und in das weite Permsche Gouvernement verbannt und diese Verfügung traf nicht blos die Hirschenhöfer, die in Hirschenhof selbst wohnten, sondern auch alle die, die dort nur angeschrieben waren, von dort ihren Paß bezogen, sonst aber keine Verbindungen mit ihrem Heimatorte besaßen — sie alle mußten gleicherweise in die wilde Fremde, Leute, die jahrelang in Riga lebten, dort in guten Stellungen standen und nun als „Verbannte“ hinaus mußten; denn als solche empfing sie die Kungursche Behörde, nicht als kriegsgeschädigte Flüchtlinge, sondern als zwangsweise administrativ verbannte und unter Polizeiaufsicht stehende Verbrecher, nicht als быженцы, sondern als выселенцы. Demgemäß war auch ihre Behandlung: eine Regierungsunterstützung wurde ihnen rundweg verweigert und erst später einem Teil der Nachzügler bewilligt.
Mit schwerem Herzen fuhr der Pastor die zwei Stunden Eisenbahn von Perm nach der Kreisstadt Kungur. Es ist ein wohlhabendes Städtchen von über 12.000 Einwohnern, am Zusammenfluß der beiden Ural-Flüsse Iren und Silwa gelegen, mit nicht unbedeutender Industrie, Talgsiedereien, Gerbereien, Schuhfabrikation, Eisengießereien, dazu kommt ein schwungvoller Handel mit Getreide, Eisenwaren und Schuhwerk. Die Bewohner bilden Russen und Permjaken. Die meisten Häuser sind aus Stein erbaut und überhaupt macht die Stadt einen wohlhabenden Eindruck. Die Straßen freilich sind ungepflastert und verwandeln sich unter den Herbstregen in eine dünn-

breiige asphaltfarbene Masse, die fußtief den Straßenzug bedeckt. — Sonnabend Mitternacht war es, als der
Pastor unter großer Verspätung endlich in Kungur anlangte. Trotzdem war es wie ein Lauffeuer durch die Stadt gegangen: der Pastor ist angekommen! und schon am frühen Morgen umstanden die Flüchtlinge, Hirschenhöfer, Polnische und Wolhynier, das Gasthaus. Nachdem den vielen Fragen der Erschienenen einigermaßen Genüge getan war, ging es zu den Flüchtlingsbaracken außerhalb der Stadt, wo der Gottesdienst stattfinden sollte.

Es mußte der weite Weg zu Fuß zurückgelegt werden, da um die Zeit ein Fahren förmlich nicht möglich war. Unter unaufhörlichem Ausgleiten und Herabrutschen auf der bergauf, bergab führenden Straße gelangte man endlich bei strömenden Regen zu den Baracken, die die Semstwo für die „anständigen“ Flüchtlinge, die polnischen und wolhynischen, erbaut hatte.

In Ermangelung eines geeigneteren Raumes mußte der erste evangelische Gottesdienst unter dem überhängenden Dache eines Stalles abgehalten werden. Das Brüllen des Viehs nebenan hat die Andacht nicht weiter gestört. Alles, was Flüchtling war, war natürlich erschienen und nahm die Trostverkündigung des Evangeliums mit großer Dankbarkeit hin. Nach dem Gottesdienst erfolgte eine Besprechung über der Flüchtlinge Wohl und Wehe; dabei erwies es sich, daß dis Wolhynier verhältnismäßig besser dran waren als die Hirschenhöfer, denn sie galten als ehrliche Flüchtlinge und erhielten als solche ziemlich regelmäßig ihre Kronsunterstützung und Herberge in den Semstwobaracken, was immerhin besser ist als Wohnungslosigkeit, Holzmangel und teures Brot in fremder Umgebung, dazu die Polizeibehelligungen als politisch Unzuverlässige. Gelegentlich des Gottesdienstes konnte der Pastor den Hirschenhöfern aber eine angenehme Botschaft ausrichten: er konnte ihnen mitteilen, daß die Regierung es nunmehr für möglich befunden, sie auch als „Flüchtlinge“ anzuerkennen und daß sie als unbescholtene Untertanen das Recht wiedererhalten im ganzen Reiche zu leben; nur nach Hause dürften sie nicht. Ihre Rückreise ins Reich müsse aber auf eigene Rechnung unter Verzicht auf jede weitere Regierungsunterstützung geschehen. Daraufhin sind gleich viele der Hirschenhöfer aus Kungur weggereist, manche trotz der Warnung direkt nach der alten Heimat; diese erlebten die schwere Enttäuschung, alsbald wieder nach Kungur zurückgeschickt zu werden, und zwar auf dem Etappenwege durch alle die schmutzigen Gefängnisse von Livland bis Perm ! Trotz mancher namhafter Zuwendung aus dem baltischen Heimatlande haben die Hirschenhöfer einen sehr schweren Winter überstehen müssen; auch dort hörte in vielen Betrieben die Arbeit infolge von Materialmangel fast ganz auf. Unzulänglichkeit von Nahrung, Kälte, feuchte Wohnräume, Mangel an ärztlicher Hilfe, ansteckende Krankheiten haben unter den Flüchtlingen unerbittlich aufgeräumt. Das Nämliche gilt und wohl in noch erhöhtem Maße von den wolhynischen Flüchtlingen, da diese noch weniger eigene Mittel besaßen.
Diesem Bericht des Pastors Plamsch über die Lage der Flüchtlinge im Kungurschen seien noch einige allgemeine Betrachtungen hinzugefügt: Immer wieder erhebt man gegen die Flüchtlinge den herben Vorwurf der Unwilligkeit zur Arbeit und in der Tat trifft das bei nicht Wenigen zu. Besonders zu Anfang fanden sich so manche, die

die Forderung aufstellten, die Regierung, die sie wider Recht und Billigkeit aus Haus und Hof gewiesen, müsse und solle sie nun auch ganz versorgen. So gerecht dieser Satz auch ist, so führt es doch zu nichts, sich auf sein gutes Recht zu steifen, wo allen Leuten deutscher Herkunft jedes Recht abgesprochen ward.

Andererseits aber fanden sich viele Flüchtlinge, die nur zu gerne passende Arbeiten verrichtet hätten, wären nur solche zu haben gewesen. Wie oft aber wurde Landarbeitern Fabrikarbeit und Fabrikleuten Feldarbeit angeboten. Dazu kam die große Not an passenden Kleidungsstücken, besonders der Schuhmangel, der viele von der Arbeit zurückhielt. Ferner war es den Müttern, Soldatenfrauen und Witwen, völlig unmöglich sich von Hause zu entfernen. Wer sollte ihnen den Hausstand versehen und die kleineren Kinder beaufsichtigen und verpflegen? Schließlich war die Zahl der wirklich Arbeitsfähigen unter den Flüchtigen nur gering. Daß die Flüchtlinge aber nach Möglichkeit sich selbst durchgeschafft haben, das bezeugen die doch nur ganz winzigen Unterstützungssummen, die den einzelnen zugewandt wurden, denn wenn eine Frau mit 3 Kindern monatlich 5 Rbl. erhielt, so ist das doch eine ganze Kleinigkeit gegenüber den großen Ausgaben, die die teure Zeit auch den Aermsten auferlegte. Ein trauriges Kapitel bilden diese Gaben der Liebe. Geben ist seliger denn nehmen, aber das Verteilen des Gegebenen ist ein gar unselig Geschäft. Jedesmal löst es die widerlichsten Szenen aus und bewirkt gespanntere gegenseitige Beziehungen. In Kungur wurde es schließlich so arg, daß die drei Bevollmächtigten des Pastors sich weigerten, weiterhin die Gaben zu verteilen, und alle weiteren Bemühungen des Pastors, eine geregelte Fürsorge unter den dortigen Flüchtlingen in die Wege zu leiten, scheiterten am Mißtrauen und der Mißgunst einzelner Schreier, die die gewählten Vorsteher mit gröbsten Reden überschütteten — eine Herde ohne Hirten. Rechtes, echtes Flüchtlingselend!


aus: Wspomnienie o pastorze z Michałowa i Grodna from Michałowo on youtube.

Pastor Adolf Oswald Plamsch (* 14. Dezember 1866 in Wenden (Cēsis), Lettland , gestorben 8. Februar 19393 in Grodno, Weißrussland bestattet in Michalowo)

  • 18.8.1886 Beginn des  Studiums der Theologie in Dorpat4
  • 13. November 1888 Ordination
  • 1892 Pfarrer in Marienburg, Livland. Er wurde wegen der verbotenen Aufnahme griechisch-orthodoxer Christen in die evangelische Kirche seines Amtes enthoben (dreijähriges Disziplinarverfahren).3
  • 1905-1939 Pfarrer in Grodno, mit dreijähriger Unterbrechung im Ersten Weltkrieg, als er in der Verbannung als Flüchtlingspfarrer in den Gouvernements Kasan, Wiatka und Perm tätig war
  • 5. Februar 1894 in Dorpat Eheschließung mit  „Tilla“ Mathilde Sophie  Christiani (* 2. Februar 1866 in Quellenhof), Tochter von Arnold Robert Ferdinand Rudolph Christiani und Emilie Margarethe geb. Rosenberg . Kinder Gustav Adolph * 1897, Ruth *1897 und Friedrich *1903.
  • Plamsch war ein bekannter Rosenzüchter und Philatelist, Spezialgebiet litauische Briefmarken
Verlobte, Aufgebote und Getraute 1794, luth Johanniskirche, Tartu [EAA.1253.1.605; 1878-1926]
Wspomnienie o pastorze z Michałowa i Grodna from Michałowo on youtube.



1Die deutsche Kolonie Hirschenhof in Lettland von Pastor F. Hollmann in Hirschenhof in: Zeitschrift für Deutschkunde 1923, Jahrgang 37, Verlag B.G. Teubner, Leipzig-Berlin p.117ff
2Pastor W. Ferhmann, Petrograd: „Bei den Flüchtlingen“ in: Kalender für die deutschen Kolonisten in Rußland auf das Jahr 1918, Petrograd, 1917, S. 56-58
3Eduard Kneifel: Die Pastoren der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen; Selbstverlag des Verfassers, 9359 Eging, Niederbayern; Freimund-Druckerei in Neuendettelsau bei Ansbach, Bayern; S. 149
4„13126 Plamsch (Plämšs), Adolph Oswald. 14.12.66. S2 Lvm kub Cêsis, Bêrzaine MaaG, teol 86……92. Surn 39. /402-2-18986,18987/ 11/12/20″, Richard Kleis, Valdek Putsep: TARTU ÜLIKOOLI ÜLIÕPILASKONNA TEATMIK ALBUM ACADEMICUM UNIVERSITAT1S TARTUENSIS III 1889-1918; Tartu 1988 S. 753

Schloss Werneck

Schloss Werneck1

Das barocke Schloss Werneck, zwischen Würzburg und Schweinfurth gelegen, wurde ab 1853 nach Plänen des Königlichen Regierungs- und Kreismedizinalrats Dr. Schmidt und des Königlichen Bauinspektors Mack zu einer Heil- und Pflegeanstalt für psychisch Kranke umgebaut. Am 1. Oktober 1855 konnte die Heil- und Pflegeanstalt Werneck unter ihrem ersten Direktor, Dr. Bernhard von Gudden ihre Arbeit aufnehmen. Werneck ist damit Sitz einer der ältesten psychiatrischen Kliniken Deutschlands.

Als von Januar 1940 bis August 1941 die deutschlandweite Aktion „T 4“ der Nationalsozialisten durchgeführt wurde, war auch Werneck betroffen.

Die Volksdeutsche Mittelstelle benötigte für die Unterbringung der „Volksdeutschen“ dringend Platz, so plante man, aus den vorhandenen 850 Pflegebetten eine Belegung für 1.750 Bessarabiendeutschen zu schaffen.3

Betraut mit der Aktion wurde der Gauleiter Otto Hellmuth, welcher am 23. September 1940 die Örtlichkeiten besichtigte, beschlagnahmte und die sofortige Räumung verfügte.

Otto Hellmuth (1896-1968)2

Zwischen dem 3. und 6. Oktober 1940 wurden insgesamt 777 Patienten aus Werneck mittels der „Gemeinnützigen Krankentransport GmbH Berlin“, einer Tarnorganisation, in die Heil- und Pflegeanstalt Lohr am Main bzw. über Zwischenstationen wie die Pflegeanstalt Reichenbach und Anstalt Karthaus-Prüll/Regensburg in die Tötungsanstalten Schloss Sonnenstein bei Pirna und Schloss Hartheim bei Linz verbracht, wo sie vergast wurden.4

Beim Abtransport sicherte Otto Hellmuth zu, dass die Patienten nach Abschluss der Umsiedlungsaktion der Volksdeutschen wieder nach Werneck zurückverlegt würden, eine eiskalte Lüge, rund zwei Monate nach ihrem Abtransport waren alle Patienten, die die Region Mainfranken verlassen hatten, tot.

Am 24. Oktober 1940 wurde die Heil- und Pflegeanstalt Werneck mit bessarabischen Volksdeutschen belegt, die von hier aus im Reich angesiedelt werden sollten.

Im Januar 1941 war das Schoss mit etwa 2.000 Personen belegt. Da der landeskirchliche Pfarrer nicht tätig werden durfte, beauftragte der Landeskirchenrat am 8. Januar 1941 unter Kostenübernahme den aus Tarutino stammenden Pfarrer Albert Kern (1899–1985) mit der Seelsorge der Umsiedler. Leider war er nur kurz vor Ort, da er bald darauf in den Warthegau versetzt wurde.5

Otto Hellmuth wurde für den Mord an den fast 800 Patienten während der Aktion „T4“ nie angeklagt.


Auf dem Schlossfriedhof beerdigt wurden6:

  • David Wittchen 19.9.1869 – 17.10.1940
  • Magdalena Flaig geb. Finkbeiner 30.10.1859 – 27.1.1941
  • Maria Nuffert geb. Kroll 27.7.1889 – 29.1.1941
  • Anna Kison geb. Römpfer 1.9.1861 – 4.2.1941
  • Helga Kison 26.1.1941 – 5.2.1941
  • Emanuel Ganske 9.8.1887 – 5.2.1941
  • Christine Flaig 27.6.1854 – 10.3.1941
  • Johannes Müller 30.3.1886 – 14.1.1941
  • Pauline Grabotin 19.2.1940 – 28.10.1941
  • Georg Heim 4.2.1927 – 22.11.1941
  • Portinkula Türk geb. Ruschenski 2.8.1916 – 21.11.1941

  1. Rainer Lippert CC BY-SA 3.0. Wikimedia
  2. E. Kienast (Hg.): Der Großdeutsche Reichstag 1938, IV. Wahlperiode, R. v. Decker´s Verlag, G. Schenck, Berlin 1938
  3. Maria Fiebrand: Auslese für die Siedlergesellschaft: Die Einbeziehung Volksdeutscher in die NS-Erbgesundheitspolitik im Kontext der Umsiedlungen 1939-1945 (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung); Vandenhoeck & Ruprecht; Oktober 2014
  4. Schmelter, Thomas: Nationalsozialistische Psychiatrie in Bayern. Die Räumung der Heil- und Pflegeanstalten. (DWV-Schriften zur Geschichte des Nationalsozialismus 1).Verlag Baden-Baden: Deutscher Wissenschaftsverlag 1999
  5. Baier, Helmut : Kirche in Not: die bayerische Landeskirche im Zweiten Weltkrieg, Degener [in Komm.], 1979, S. 124
  6. Gemeinde Werneck, Liste vom 14.12.1950

Pirna Sonnenstein

Blick auf Schloß Sonnenstein vom Elbufer aus 1.1.1950 Fotothek df roe-neg 0002304 001 CC BY-SA 3.0 de

Die Heil- und Pflegeanstalt Sonnenstein in Pirna wurde im Herbst 1939 „aufgelöst“.  Aufgelöst, ein lapidares Wort für die Euthanasie der bisherigen Bewohner mittels Aktion „T 4“. Näheres dazu findet sich im Internet unter Verbrechen in den Jahren 1940 und 1941 auf dem Sonnenstein in Pirna.

Im Januar 1940 kamen 10.000 Wolhyniendeutsche nach Sachsen, zwei Sonderzüge fuhren nach Pirna, um diese auf dem Sonnenstein unterzubringen, zwei Tage später war von rund 1000 deutschen „Rückwanderern“ aus Galizien die Rede, die in Pirna angekommen wären, wobei für den nächsten Tag ein neuer Transport angekündigt war. Am 11.1.1940  waren 1683 Personen im Lager registriert, davon 679 Kinder, diese blieben bis Anfang April 1940.1

Anfang Oktober 1940 kamen rund 800 Bessarabiendeutschen auf den Sonnenstein, ein weiteres Lager in Bad Schandau wurde mit 778 Personen belegt. Insgesamt gab es im Kreis Pirna 10 Lager mit etwa 5.000 Bessarabiendeutschen (Ostrau, Postelwitz, Rosenthal-Schweizermühle, Liebstadt, Bad Gottleuba-Hartmannsbach, Stolpen).1


1Geschichte Pirna

Großhennersdorf

Katharinenhof

Auf dem in Großhennersdorf 1721 gegründeten diakonischen „Katharinenhof“ zur Versorgung von Waisenkindern und armer, alter Leute lebten 1940 etwa 300 behinderten Kinder.  Unter dem Vorwand der „Beräumung“  zur Unterbringung von Flüchtlingen wurden sie Opfer der Euthanasie, wie ich es bereits in meinem Bericht zum Lager Hubertusburg erklärte. Man verbrachte über 200 Kinder nach Pirna-Sonnenstein und Großschweidnitz, um sie dort umzubringen. In den leeren Gebäuden des „Katharinenhofs“ wurden im Anschluss etwa 400 Elsass-Lothringer, die wegen ihrer Wehrdienstverweigerung zwangsumgesiedelt worden waren, sowie Bessarabiendeutsche untergebracht.

Die Verlegung der Borodiner Umsiedler aus Löbau erfolgte am 3. Dezember 1940 in das Lager Nr. 40 Großhennersdorf, wo die Umsiedler am 4. Dezember augenommen wurden, ehe sie am 24. September 1941 nach Litzmannstadt verlegt wurden, wie man dem noch vorhandenen Lagerpass der Familie Scheurer3 entnehmen kann.

Bessarabiendeutsche in Grosshennersdorf
Bessarabiendeutsche in Grosshennersdorf, Foto: Privatarchiv M. Scheuer, welcher das Bild freundlicher Weise zur Verfügung stellte.

Im November 1941 kamen Zwangsumsiedler aus Slowenien nach Großhennersdorf, im Oktober 1944 Flüchtlinge aus den Ostgebieten. Der Ort wurde Durchgangsstation für Tausende, die zeitweilig beherbergt und versorgt werden mussten.

1996 wurde auf dem Gelände des Katharinenhofes eine Gedenksäule errichtet, mit der an 223 Frauen, Kinder und Männer erinnert wird, die der Tötungsaktion T4 des NS-Regimes zum Opfer fielen.



1) Der Katharinenhof im sächsischen Großhennersdorf während der Zeit des Nationalsozialismus
2) Sammlung Alt-Herrnhut Fischers Bücherstube Postkarte mit Stempel des Lagerpostamtes im Gau Sachsen Nr. 40: Umsiedlungslager Bessarabien

3) Lagerpass Privatarchiv M. Scheurer

Hubertusburg

Schloss Hubertusburg

 Zwischen Januar 1940 und August 1941 deutschlandweite Aktion „T 4“ der Nationalsozialisten – auch Hubertusburg war betroffen.

Bundesarchiv, Bild 101III-Alber-096-34 / Alber, Kurt / CC-BY-SA 3.0

Benannt ist die Aktion nach der Tiergartenstraße 4 in Berlin, dem Sitz der Zentraldienststelle T4, einer Organisation, mit der Durchführung des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms beauftragt war.

SS-Gruppenführer Arthur Nebe (Beamter des Reichskriminalamtes und Amtschef) im Gespräch mit Dr. Albert Widmann (Chef der chemischen Abteilung des Kriminaltechnischen Instituts im Reichskriminalamt):

„Widmann, kann das Kriminaltechnische Institut große Mengen Gift herstellen?“
„Wofür? Um Menschen zu töten?“
„Nein.“
„Wozu dann?“
„Um Tiere in Menschengestalt zu töten; das heißt die Geisteskranken, die man nicht mehr als Menschen bezeichnen kann und für die es keine Heilung gibt.“ 3

Dr. phil.h.c. Karl Wilhelm Fricke: Akten-Einsicht Rekonstruktion einer politischen Verfolgung. Mit einem Vorwort von Joachim Gauck; Analysen und Dokumente – Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten, Band 2; 4. aktualisierte Auflage, Berlin 1997; Ch. Links Verlag; S. 134

In insgesamt 6 T4-Anstalten (Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Sonnenstein, Bernburg, Hadamar) werden innerhalb von 20 Monaten (Januar 1940-Sep 1941) werden 70.243 1 Menschen getötet, vorwiegend psychisch Kranke und geistig Behinderte.

Die gezielten Tötungen gehen auch nach dem am 24.8.1941 verfügten „Euthanasie-Stopp“ weiter und enden erst 1945 – man läßt verhungern, vergiften, spritzt Überdosen von Medikamenten oder versorgt Kranke nicht.

Bereits im Frühjahr 1940 wird die Heil- und Pflegeanstalt Hubertusburg aufgelöst, um einer Unteroffiziersschule der Luftwaffe und einem Lager von „volksdeutschen“ Umsiedlern Platz zu machen.

In der zweiten Aprilhälfte 1940 wurden fast alle (ca. 1.400) der überwiegend weiblichen Patienten aus Hubertusburg verlegt. Die Zugangs- und Abgangslisten 1939 – 1945 der Heil- und Pflegeanstalt Waldheim vermerken für den 18.4.1940 die Aufnahme von 434 männlichen Kranken aus Hubertusburg. Zurück in Hubertusburg bleiben nur einige „Funktionspatienten“ als „Arbeitskommando“ für den zweckentfremdeten Betrieb der aufgelösten Landesanstalt. Im Rahmen der staatlich organisierten Massenmorde (Euthanasie) wurden insgesamt 570 Patienten aus der Hubertusburg nach Waldheim verlegt. 3

Foto aus dem Zentralarchiv Diakonie Neuendettelsau

Als Transportmittel wurden graue Busse mit übermalten Fenstern oder vorgezogenen Gardinen eingesetzt.


Pfarrer Scheipers2 als Augenzeuge der Abtransporte aus der Hubertusburg:

„Es war bedrückend, den Abtransport der Busse mit den Todeskandidaten zu beobachten, ohne die Mordaktionen verhindern zu können.“

Auszug aus der Predigt von Prälat Hermann Scheipers am 3. und 4. November 2007 in der Pfarrkirche St. Hubertus zu Hubertusburg

123 Patienten aus Hubertusburg werden gleich in Waldheim ermordet, 208 in unbekannte Tötungsanstalten gebracht und 219 in Pirna-Sonnenstein vergast. 20 Patienten aus Hubertusburg überleben die erste Vernichtungsaktion, ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. 3

Die „Heil- und Pflegeanstalt“ Waldheim ist bereits 1940/41 nicht nur Zwischenstation auf dem Weg in die Vergasungsanstalten Brandenburg/Havel und Sonnenstein/Pirna, sondern ist selbst eine Tötungsanstalt.

Dr. med. Gerhard Wischer, von 1938 bis 1945 Leiter der Waldheimer Psychiatrie, bezeichnet die Behandlung der Patienten, die vielen das Leben kostet, als „Dämmerschlafkuren“. Außerdem räumt Wischer 1950 bei Vernehmungen ein, „absichtlich und mit voller Überlegung durch Einspritzung übermäßiger Dosen von Medikamenten den Tod von 20 – 30 Kranken“ herbeigeführt zu haben. Wischer wurde 1950 in der DDR zum Tode verurteilt und hingerichtet. 3

Das West-Berliner Kammergericht erklärte 1954 die Waldheimer Urteile für „absolut und unheilbar nichtig.“ Die Verurteilten seien „so zu behandeln, als ob kein gerichtliches Verfahren gegen sie durchgeführt worden ist, das heißt, sie gelten als nicht verurteilt“. Deshalb muss auch Wischer als nicht verurteilt gelten, wenn er auch wegen seiner Untaten exekutiert wurde. 4

Vermutlich wusste niemand der am 29.10.1940 ankommenden Umsiedler, was vor ihrer Ankunft geschah. Von den 3084 Ankömmlingen waren 2476 aus Teplitz, 304 aus Neu-Klöstitz und 304 Buchenländer. Der stellvertretende Lagerleiter Walter Thiele notierte: „Und der erste Eindruck, den wir gewonnen hatten? Das Menschenmaterial, wenn man so sagen kann, macht einen besseren Eindruck als das der vergangenen Aktion…“ (damit waren wolhyniendeutsche Umsiedler gemeint). Nach der „Schleusung“ waren 1882 Teplitzer als O-Fälle und 634 als A-Fälle zur Ansiedlung vorgesehen. Ein Teil der A-Fälle wurde nach Rochlitz bei Leipzig verlegt, die O-Fälle kamen zwischen Frühjahr und Herbst 1941 zur Ansiedlung in den Osten, die letzten Umsiedler verließen am 12.3.1942 das Lager. 5


Fotos:

Schloss Hubertusburg public domain, Wikimedia, Andre Kaiser 10.8.2007

Historisches Foto der „Grauen Busse“ aus dem Zentralarchiv Diakonie Neuendettelsau, „Verlegung von Behinderten im Rahmen der Euthanasie-„Aktion T 4“ aus der Pflegeanstalt „Schloß“ Bruckberg der Diakonissenanstalt Neuendettelsau in staatliche Heil- und Pflegeanstalten“; Frühling 1941, Fotograf unbekannt, public domain,Wikimedia

Bundesarchiv, Bild 101III-Alber-096-34 / Alber, Kurt / CC-BY-SA 3.0, Wikimedia

1) Ernst Klee (Hrsg.): Dokumente zur „Euthanasie“. Fischer Taschenbuch Verlag Nr. 4327, Frankfurt am Main 1985, S. 232.

2) Auszug aus der Predigt von Prälat Hermann Scheipers am 3. und 4. November 2007 in der Pfarrkirche St. Hubertus zu Hubertusburg

3) Dr. phil.h.c. Karl Wilhelm Fricke: Akten-Einsicht Rekonstruktion einer politischen Verfolgung. Mit einem Vorwort von Joachim Gauck; Analysen und Dokumente – Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten, Band 2; 4. aktualisierte Auflage, Berlin 1997; Ch. Links Verlag; S. 134

4) Jachertz, Norbert: Die Waldheim-Story Dtsch Arztebl 2009; 106(39): A-1882 / B-1614 / C-1582

5) Heimatkalender der Bessarabiendeutschen 1956, S. 89

 

Heim ins Reich

Zwangsmigrationen in Europa 1938-1948


Bereits Anfang 1936 umriss Reichsbauernführer Walther Darré vor regionalen Mitarbeitern (Fachberatern) des Reichsnährstandes recht konkret die deutschen Eroberungspläne:

„Der natürliche Siedlungsraum des deutschen Volkes ist das Gebiet östlich unserer Reichsgrenze bis zum Ural, im Süden begrenzt durch Kaukasus, Kaspisches Meer, Schwarzes Meer und die Wasserscheide, welche das Mittelmeerbecken von der Ostsee und der Nordsee trennt. In diesem Raum werden wir siedeln, nach dem Gesetz, daß das fähigere Volk immer das Recht hat, die Scholle eines unfähigeren Volkes zu erobern und zu besitzen.[…] Ein solches politisches Ziel muß auf den deutschen Bauernhöfen von Mund zu Mund weitergereicht werden, muß auf unseren Bauernschulen eine selbstverständliche Grundlage des Unterrichts sein. Dann wird auch eines Tages das Volk demjenigen Staatsmann folgen, der die sich ihm bietenden Möglichkeiten ergreift, um unserem Volke ohne Raum den Raum nach dem Osten zu öffnen.“

Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. München 2008, S. 238.

Dabei plante man die Ausrottung der Intelligenz in den eroberten Gebieten und die Versklavung der übriggebliebenen Bevölkerung. Dieses Ziel wurde religiös, sozialdarwinistisch und rassistisch begründet, so äußerte der Leiter der DAF, Robert Ley, vor dem Fachamt der DAF „Der Deutsche Handel“ am 17. Oktober 1939:

„Wir können unseren Auftrag nur daher nehmen, dass wir sagen, es ist von Gott gewollt, dass eine höhere Rasse über eine mindere herrschen soll, und wenn für beide nicht genügend Raum ist, dann muß die mindere Rasse verdrängt und, wenn notwendig, zum Vorteil der höheren Rasse ausgerottet werden. Dasselbe gilt von dem Starken und dem Schwachen. Die Natur rottet überall das Schwache und Ungesunde zugunsten des Starken und Gesunden aus. Der gesunde Hirsch stößt den kranken, und der gesunde Elefant zertrampelt den kranken. Wir aber haben jedoch für 2000 Jahre aus Mitleid Kranke erhalten, das Minderwertige gepäppelt und gepflegt und zu dessen Gunsten das Höhere sich nicht entfalten lassen. Aus diesen Gedanken, aus dieser Idee kommt unser Auftrag. Deshalb verlangen wir Boden.“

Helmut Krausnick, Harold Deutsch (Hrsg.): Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938-1940. Stuttgart 1970, S. 576

In ganz Ost- und Südosteuropa gab es deutschsprachige Bevölkerungsgruppen, deren Vorfahren teilweise seit dem Mittelalter dort gesiedelt hatten. Das Ziel der Nationalsozialisten war eine „Neuordnung Europas“, wie es im „Generalplan Ost“ (1941) formuliert wurde, um diese sogenannten „Volksdeutschen“ in einem ethnisch homogenen Deutschen Reich zusammen zu bringen, dessen  Siedlungsgebiet bis zu einer Linie von der Krim bis Leningrad gedacht war.

Um diese Pläne umzusetzen, wurden ab 1938 Territorien annektiert (Österreich, Sudetenland) und ab 1939 erobert.

Zweiter Weltkrieg in Europa, kleine Animation3

rot Alliierte und UdSSR seit 1941 grün UdSSR bis 1941  blau Achsenmächte und Vichy-Regime  grau neutral

Zugleich sollten die deutsche Minderheiten „heim ins Reich“ gebracht werden. Diese „Splitter des deutschen Volkstums“ wurden als „nicht haltbar“ (Hitler am 6. Oktober 1939) angesehen und sollten in geschlossen deutsch besiedelte Gebiete „zurückgeholt“ werden. Basis dieser geplanten Umsiedlungen („Bevölkerungstausch“) waren zunächst Verträge wie das Münchner Abkommen (1938) im Rahmen der Zerteilung der Tschechoslowakei, nach dem Einmarsch in Polen folgten Verträge mit Italien und weiteren ost- und südosteuropäischen Staaten sowie der Hitler-Stalin-Pakt. Dieser wurde um den Deutsch-Sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag4 ergänzt, welcher die Umsiedlung der Bessarabiendeutsche, Deutsch-Balten und Bukowinadeutschen ermöglichen sollte.

Insgesamt waren über 900.000 „Volksdeutsche“ von den Umsiedlungen betroffen, die in 1.375 Lager verteilt wurden14. Der propagandistische Aufwand war gewaltig, ein spezialisierter bürokratischer Apparat (RFSS)5 wurde geschaffen, der vom „Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums„, Heinrich Himmler, geleitet wurde. Anfangs waren die Betroffenen vor die Alternative gestellt, sich entweder für die deutsche Staatsangehörigkeit und damit für die Umsiedlung ins Deutsche Reich zu entscheiden oder aber in ihrer Heimat zu bleiben und damit ihr „Deutschtum“ aufzugeben, nach Kriegsbeginn nahm der Zwang zur Umsiedlung immer weiter zu.

in: Bericht über den Stand der Um- und Ansiedlung am 1.7.19426

Die geplante Ansiedlung erfolgte jedoch in den wenigsten Fällen auf dem Territorium des deutschen Reichs, die meisten kamen nach mehrmonatigen Lageraufenthalten in die dem Deutschen Reich angegliederten bzw. eroberten Gebiete, die Bessarabiendeutschen vorrangig in den polnischen „Warthegau“, wo sie die „Eindeutschung“ vorantreiben sollten. Angesiedelt wurde u.a. auf Bauernhöfe von zuvor vertriebenen Polen.

Viele der in Osteuropa angesiedelten waren mit der herannahenden Front zum Kriegsende bzw in den ersten Nachkriegsjahren ein weiteres Mal von erzwungener Migration betroffen und wurden zu Flüchtlingen, Repatriierten oder Vertriebenen.

In Gebieten, die während des Krieges zum Großdeutschen Reich gehörten und mit dem Ende des Krieges zu Territorien Polens, der Tschechoslowakei oder Jugoslawiens wurden, entstand zunächst ein verwaltungsloser Raum, in dem Willkür und Gewalt herrschten. Am 2. August 1945 wurde in Potsdam die ethnische und territoriale Neuordnung Europas beschlossen: Polen und Deutschland verloren durch die Beschlüsse der Alliierten ihre Ostgebiete. Die sich bereits in vollem Gang befindenden massenhaften Bevölkerungsverschiebungen sollten kontrolliert, organisiert und legalisiert werden. Neben dem Beschluss zum „Transfer“ der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, Polen und Ungarn war die Festlegung der deutsch-polnischen Grenze von Bedeutung.

Karte: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland

Da die Umsiedlungspläne der alliierten Großmächte bekannt waren, kam es vor allem in Polen und in der Tschechoslowakei13 zu willkürlichen gewaltsamen Vertreibungen und Misshandlungen von Deutschen, die erst zwischen dem Sommer und Winter 1945 unterbunden werden konnten.

Entsprechend dem im Herbst 1945 erstellten Plan des Alliierten Kontrollrates wurden im Jahre 1946 und zum geringen Teil zwischen 1947 und 1949 unter der administrativen Kontrolle der alliierten Regierungen Zwangsumsiedlungen von rund 4,8 Millionen Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und aus Ungarn durchgeführt. Sie wurden in überwachten Transporten größtenteils in die amerikanische, britische oder in die sowjetische Besatzungszone gebracht, und dort zum Teil wie zu Zeiten der  „heim ins Reich“ Aktion in Lagern untergebracht.

Passauer Neue Presse vom 18.06.1946
Alltag in einem Gemeinschaftsraum im Flüchtlingslager „Schlotwiese“ in Stuttgart-Zuffenhausen; Bildquelle: Haus der Geschichte Baden- Württemberg, Sammlung Weishaupt

Über die Lager der bessarabiendeutschen Umsiedler vor 1945 ist allgemein nicht viel bekannt, es fallen durch Familienberichte einzelne Namen, die Recherche zur Historie ergibt jedoch ein perfides System der menschenverachtenden Vernichtung im Dritten Reich.

Es gab etwa 2507 „Umsiedlerlager“ die den Menschen über Monate, teilweise Jahre, Unterkunft bieten sollten. Hier wurde im Rahmen der „Schleusung“ sortiert, wer nach den Gesichtspunkten der damaligen Ideologie ansiedlungswürdig war und wer nicht. Genaueres dazu habe ich in unserer Familienhistorie zum Thema Umsiedlung berichtet.

An dieser Stelle möchte ich auf die Geschichte einiger dieser Lager verweisen, die sich u. a. in Bayern (z.B. Kloster Niederaltaich, Schloss Werneck, Dobrudschadeutsche in Burg Rothenfels, Leiders bei Aschaffenburg), der „Ostmark“ (u.a. Kloster Göttweig; Kloster St. Anna Ried im Innkreis, Österreich), für Dobrudschadeutsche in Rohrau und Gemünd  (Niederdonau), Gablitz (Wien), Feldbach (Steiermark), Obersiebenbrunn [Karamurater], Mährisch-Kromau [Mamuslier], Schloß Kranichberg oder Ybbs an der Donau 8 befanden.

Im „Sudetengau“ wurden ca 25.000 Umsiedler in Lagern untergebracht, deren größten lagen in Asch, der Schuhfabrik „Humanik“ in Saatz, Hartessenreuth und in Suchenthal.Schlackenwerth an der Eger nahm Dobrudschadeutsche auf. Da sich 88 Männer und 12 Frauen aus Malkotsch nicht einbürgern lassen, sondern in die Heimat zurück kehren wollten, wurden sie in das Konzentrationslager Flossenbürg gebracht, die Frauen schaffte man zeitgleich in das KZ Ravensbrück. Vom 2. Juli bis 17. Oktober 1942 wurden sie dort „behandelt“, am 18. Oktober erhielten sie eine „2. Chance“ und waren nun „bereitwillig“ zur Einbürgerung.

Württemberg hatte 11 Umsiedlerlager für rund 5.000 Menschen aus Bessarabien.9    In Sachsen waren Pariser in diesen Lagern:

Weitere Lager10 11 in Sachsen waren:

  • Lager 8 Possendorf, Dresden A.28
  • Lager 51 Bischofswerda
  • Lager 56 Reichels Neue-Welt, Chemnitz
  • Lager 77 Rosener Hof, Meißen
  • Lager 97 Auerbach, Vogtland
  • Lager 106 Jugendheim Glauchau
  • Lager 117 Werdau, Pleissental
  • Lager 121 Krimmitschau
  • Lager 152g Weißigstrand bei Rathen
  • Lager „Freier Blick“, Planitz, Zwickau
  • Lager Christau, Zittau
  • Lager 156 Leipzig, Park Meusdorf
  • Lager Leipzig C 1, Seeburgstr. 100
  • Hubertusburg bei Wermsdorf
  • Lager Hoeckerschule, Langenfeld, Plauen
  • Lager Katharinenhof, Großhennersdorf
  • Lager Bad Schandau
  • Lager Ostrau
  • Lager Postelwitz
  • Lager Rosenthal-Schweizermühle,
  • Lager Liebstadt
  • Lager Bad Gottleuba-Hartmannsbach
  • Lager Stolpen
  • Lager Sonnenstein, Pirna

Da die Behörden aus der Umsiedlung der Wolhynier und Galizier gelernt hatten, standen die Lager für die Bessarabier vor Abtransport bereits fest. So verschickte man den Ortsbezirk Mannsburg (Mannsburg, Sofiental, Basyrjamka, Maraslienfeld, Plotzk, Gnadental, Sarata, Friedenstal, Lichtental, Eigenfeld, Annowka und Seimeni) ins Sudetenland, den überwiegenden Teil des Bezirks  Beresina (Beresina, Borodino, Hoffnungsthal, Neu Klöstiz, Paris, Arzis, Teplitz, Katzbach, Krasna) nach West- und Ostsachsen, die Klöstitzer ins Eichsfeld/Thüringen. Albota, Eichendorf und Wischniowka kamen nach Niederbayern und Franken, Kulm, Leipzig, Tarutino, Alt Posttal, Neu Elft und Alexanderfeld hatten das Ziel Franken, Mainfranken und München/Oberbayern. Die Lager der Gaue Unter- und Oberdonau waren für Kischinew, Jekaterinowka, Neu Sarata, Fürstenfeld, Alt Oneshti, Neu Strymba, Mariewka, Mathildendorf und Kurudschika vorgesehen. 12

Bevor jedoch die Umsiedler in diese Lager aufgenommen werden konnten, wurden diese oftmals „beräumt“ von jenen, die man schlicht als „unwert“ betrachtete. Wie das vor sich ging, lesen Sie bitte in den Artikeln zu den Lagern.


1) Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. München 2008, S. 238.
2) Helmut Krausnick, Harold Deutsch (Hrsg.): Tagebücher eines Abwehroffiziers 1938-1940. Stuttgart 1970, S. 576
3) San Jose – Eigenes Werk basierend auf: Karten der Univerity of Texas Libraries
4) „Die Neuordnung Osteuropas“ in: ZAOERV 9 (1939/40) Vollständiger Text des Vertrages und der Zusatzprotokolle
5) Anordnung des RFSS über den Aufbau der Volkstumsarbeit der NSDAP und eine Abgrenzung der Zuständigkeit der Hauptämter der SS
6) Bericht über den Stand der Um- und Ansiedlung am 1.7.1942, Bundesarchiv Bestand NS 19 (Persönlicher Stab des Reichsführers SS) Akte 2743
Erlaß des Führers und Reichskanzlers zur Festigung des deutschen Volkstums, 7. Oktober 1939, BArch R 43 II/604, Bl. 27-28
Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin [(„Potsdamer Abkommen“) vom 2. August 1945]
7) Geschichtsschreibung zu den böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert: Wissenschaftstraditionen – Institutionen – Diskurse. Vorträge der Bad Wiessener Tagung des Collegium Carolinum 21.-23.11.2003 und vom 12. -14.11.2004 , Herausgeber Collegium Carolinum Forschungsstelle für böhmische Länder, Band 28, Oldenbourg Wissenschaftsverlag (11. Oktober 2006), S. 191
8) Jahrbuch 1956 der Dobrudscha-Deutschen
9) Martin Grasmannsdorf: Die Umsiedlungslager der Volksdeutschen Mittelstelle im Gau Württemberg-Hohenzollern 1940–1945, dazu: Homepage des Autors mit Lagern der Slowenen
10) DAI Microfilm T-81; Roll #599; Serial 816; Group 1035
11) Geschichte Pirna
12) Ute Schmidt; Die Deutschen aus Bessarabien, Eine Minderheit aus Osteuropa, Bölau 2006, S. 181f
13) Zahlen der Vertriebenen nach Berichten der Sudetendeutschen Landsmannschaft vom 5.11.1955
14) Tagesbote Nr. 290 vom 6.12.1940, Mährischer Zeitungsverlag Brünn, S.3 „Heimkehr der 320.000 Volksdeutschen“

« Ältere Beiträge
Deutsche Kolonisten

Diese Seite verwendet Cookies und Google Analytics, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung