Mein Dank gilt Frau A. Relin, durch welche dieser Bericht an mich mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung übergeben wurden. In Erinnerung an alle Einwohner von Blumendorf.
In tiefer Dankbarkeit dem Autoren H. R. gegenüber, veröffentlicht jedoch aus Datenschutzgründen nur mit Namenskürzeln.
Erinnerungen aus der alten Heimat 1946-1957
Blumendorf hieß zunächst Kwietniwo, erst später bekam es dann seinen heutigen Namen Kwieciszowice. Wir waren noch daheim, fühlten uns aber nicht mehr zu Hause. Es herrschte große Wehmut nach all den lieben Nachbarn und Spielfreunden. Die noch verbliebenen deutschen Familien waren nun fast völlig schutzlos und mußten sich mit den polnischen Bedingungen abfinden. In der Öffentlichkeit traute man sich nicht einmal mehr Deutsch zu sprechen.
In Blumendorf lebten noch die Familien B., E., K. und E. N., ein Kriegsversehrter, der bei Ru. wohnte.
Die Polen fällten zuerst unseren Symbol-Baum „die dicke Buche“ und verbrachten ihre Zeit hauptsächlich damit, nach Wertvollem zu suchen. Die Häuser wurden von den neuen polnischen Besitzern häufig gewechselt oder als Scheune, Stall und Brennholz-Spender benutzt. Polen, die das hinterlassene Gut bewahren wollten, wurden teilweise durch die eigenen Landsleute beraubt. Saufgelage waren an der Tagesordnung. Da es in den kleinen Dörfern noch keine Geschäfte gab, wurde der Wodka meistens in Eigenregie hergestellt. Es dauerte einige Jahre, bis sich die polnischen Strukturen, wie Verwaltung, Schulen, Geschäfte und Verkehrswesen, bildeten.
1949 wurde der Zloty aufgewertet (1000:1), gleichzeitig war alles teurer geworden. Alle Betriebe und Fabriken wurden verstaatlicht, Staatsgüter und Kolchosen gebildet. Die polnischen Bauern, die jetzt die Landwirtschaften bewohnten, erhielten je nur 1,5 ha Land zugeteilt und mußten davon entsprechende Abgaben leisten: Milch, Eier, Zuckerrüben und Gereide, für welche ihnen nur ein sehr geringer, staatlich festgelegter Preis gezahlt wurde. Nur wer mehr als das geforderte Soll ablieferte, bekam Gutscheine für dringend benötigte Güter. Auch das Abtransportieren von Langholz aus den Wäldern wurde den kleinen Bauern auferlegt. Die Zuckerrüben mußten sauber gewaschen abgeliefert werden. Die großen Staatsgüter und Kolchosen verfügten nicht über entsprechende Lagerräume und so wurde vieles im Freien gelagert, während bei den privaten Bauern die Scheunen verfielen. Auch wurde bei den privaten Landwirtschaften technisches Gerät und Mobilar abgezogen und meistens bei den staatlichen Betrieben unter freiem Himmel gelagert. Diese Dinge dienten dann als Ersatzteile, oder wurden verschrottet, bzw. zu Brennholz gemacht.
Die staatliche Planwirtschaft, die auch den meisten Polen nicht behagte, zeigte nun ihre ersten Misserfolge. Es fehlte technisches Gerät, um die riesigen Felder zur rechten Zeit zu bearbeiten. Die überall gebildeten großen Staatsgüter besaßen mehrere tausend Morgen Land. Um diese riesigen Ackerflächen zu bewirtschaften, betrug die Arbeitszeit in den Sommermonaten ca. 12 Stunden pro Tag. Zur Erntezeit mußten an den Wochenenden Helfer aus Verwaltungen oder auch vom Militär herangezogen werden. Und trotz aller Hilfe war die Ernte oft schon auf den Feldern verdorben.
Entlohnt wurden die Beschäftigten nur zum Teil mit Geld und Naturalien (Getreide, Milch), jedes Jahr erhielten sie ein anderes Stück Land zum Kartoffel-Anbau, um damit ihren Lebensunterhalt zu sichern. Häuser wurden einfach verstaatlicht und den Betrieben als Arbeiterwohnungen zugeteilt. Allmählich wurde die Mechanisierung auf dem Lande verbessert, der robuste „Lanz-Buldog“ wurde original in Polen nachgebaut und hieß jetzt „Ursus“. Weitere Traktoren und Dreschmaschinen kamen aus der Tschechei, Raupenschlepper, Mähdrescher und LKWs aus Rußland. Auch die Amerikaner stellten den Polen Militär-LKWs, Jeeps und Traktoren zur Verfügung.
In den betrieblichen Wohnungen wurden Gemeinschaftslautsprecheranlagen installiert, über welche lediglich Radio Warschau zu empfangen war. Wer später ein eigenes Radio besaß, konnte kaum westliche Sender empfangen, da diese doppelt gestört wurden, zum einen in der DDR und zum anderen in Schlesien – hier hatte man eigens dafür im Waldenbuger Bergland riesige Störsender durch ausländische Firmen errichten lassen.
Den vielen staatenlosen Deutschen, welche in Industrie und Fabriken oder für russische Kolchosen arbeiten mußten, wurde in Breslau die deutschsprachige Zeitung „Arbeiterstimme“ gedruckt. Auch genehmigte man die Gründung deutscher Kulturgruppen in Bad Warmbrunn, Lauban und Liegnitz. Diese veranstalteten meistens einmal im Jahr einen gemütlichen Abend mit Theater und Tanz, der jedoch oft von den Polen gestört wurde.
In den Gegenden, wo noch viele Deutsche wohnten, gab es polnische Schulen mit Deutschunterricht, z.B. in Greiffenberg. Für das religiöse Leben durfte in Niederschlesien Pastor Steckel aus Liegnitz evangelische Amtshandlungen vollziehen. Die Vorbereitungen dazu wurden von Laien erbracht und in ausgeraubten oder beschädigten evangelischen Gotteshäusern vollzogen. Die meisten jugendlichen Deutschen aus den Kreisen Löwenberg und Lauban wurden erst im Alter zwischen 17 und 19 Jahren in der früher katholischen Laubaner Marienkirche, die ebenfalls durch den Krieg sehr mitgenommen war, konfirmiert. Zum Gottesdienst trafen wir uns mehrfach in der evangelischen Kirche in Friedeberg, die Dank der Obhut einiger dort lebender Familien bis zur Ausreise noch in gutem Zustand war. Herr S. aus Neu-Kemnitz verkündete Gottes Wort, wozu er sehr befähigt war. In Lauban bestand sogar ein evangelischer Posaunenchor, welcher bei Amtshandlungen den Gottesdienst feierlich gestaltete. In vielen Orten dagegen wurden die evangelischen Kirchen, Bethäuser, Friedhöfe und Grüften geplündert und geschändet. Deutsche Inschriften wurden – wie überall – zerstört oder überstrichen.
Die Eisenbahnbrücken in Moys bei Görlitz (Neiße), Hirschberg (Bober) und Löwenberg (Bober) wurden wieder hergestellt. Und so entwickelten sich Hirschberg, Greiffenberg und Löwenberg zu Eisenbahnknotenpunkten. Reichsbahnzüge fuhren nun über Görlitz nach Breslau weiter. Auch der Gütertransport funktionierte jetzt besser, so wurden viele Häuser und Ruinen aus der Frontgegend Löwenberg, Bunzlau, Lauban abgetragen und die Ziegel zum Wiederaufbau polnischer Städte verladen. Ebenso wurde ständig Holz verladen. Bei Goldberg eröffnete man einen riesigen Kupfer-Tagebau. Am Isergebirge hatte man die Suche nach Urangestein, die 1946 auch am Steinberg in Blumendorf begann, aus Mangel an Ertrag eingestellt, jedoch die Schürflöcher belassen. Die Basaltwerke in Rabishau wurden auch weiter betrieben, dort waren auch deutsche Facharbeiter aus Kunzendorf beschäftigt.
Die Gebiete nahe der tschechischen und deutschen Grenze wurden Sperrzonen und durften nur von der dort ansässigen Bevölkerung oder mit polizeilicher Sondergenehmigung bereist werden. So war ein Ausflug ins Gebirge sehr umständlich und mit vielen Kontrollen verbunden. Die Papiere wurden vor dem Besteigen der Schneekoppe einbehalten, nach dem Abstieg wieder ausgehändigt, so wäre das Fehlen von Personen sofort aufgefallen.
In den Dörfern richtet man jetzt auch polnische Schulen ein, da die Schulen in den Städten zu klein wurden. Genossenschafts-Läden wurden eingerichtet und stark vergittert. Der Warenbestand umfasste nur die wichtigsten Lebensmittel. Damit war jede Familien gezwungen, sich durch Tierhaltung und Gartenbau den Lebensunterhalt zu sichern. Der Verdienst reichte nur für das Allernotwendigste. Lediglich vor politischen Feiertagen konnten Luxusgüter, wie Fahrräder, Uhren oder Radios erstanden werden, die aber meistens nur mit Beziehungen und Wodka erhältlich waren.
Mitte der 50er Jahre hatte sich das Leben mehr oder weniger normalisiert. Der größte Teil der Bevölkerung war jedoch nur zwangsweise mit der kommunistischen Staatsform einverstanden. Man lauschte auf Kurzwelle den natürlich stark gestörten Sendungen von BBC London oder Freies Europa. Es wurde unruhig im Lande. Zur Posener Messe, wo auch weltliche Firmen ausstellten, begann Aufruhr, die vom Staat sofort gewaltsam unterdrückt wurde. Der bis dahin inhaftierte polnische Nationalpolitiker Gomulka wurde zum Präsidenten ernannt und das Volk beruhigte sich wieder, in der Hoffnung, das System würde sich ändern, was natürlich nicht geschah.
Die vielen Deutschen im Lande, die sich bis dahin vergeblich um die Ausreise nach Deutschland bemüht hatten, durften sich plötzlich um ihre Ausreise im Rahmen der Familienzusammenführung des deutschen Roten Kreuzes bewerben. Die DDR-Botschaft hielt sogar Versammlungen in den größeren Städten ab und versuchte auf diesem Wege Deutsche für ihre Republik zu werben (diese Veranstaltungen endeten meistens in Pfeifkonzerten). Wer keine Verwandten in Westdeutschland hatte, konnte sogar in die DDR zwecks Arbeits- und Wohnungssuche reisen, um dann mit Hab und Gut (auch Tieren) überzusiedeln. Also, wer wollte, konnte Polen verlassen, zumal inzwischen auch polnische Facharbeiter nachgebildet waren.
Auch wenige Deutsche, die noch in ihrer einst eigenen Landwirtschaft wohnten, deren Haus und Ländereien aber den Staatsgütern angeschlossen waren, durften nun ihr eigenes Haus vom polnischen Staat „zurückkaufen“ und eine kleine Landwirtschaft – gleich wie die Polen – betreiben. Deutsche, die die polnische Staatsangehörigkeit angenommen hatten, durften schon früher genau wie polnische Bauern wirtschaften. Auch diesen deutschen Polen wurde jetzt die Ausreise genehmigt – mit Bestechung war in Polen selbst das möglich.
Die Ausreiseaktion ging natürlich sehr umständlich und verbunden mit hohen Kosten vonstatten. Wegen den Anträgen und Reisepässen mußten wir mehrfach nach Breslau reisen, es war fast immer eine 24-stündige Reise, denn es war erforderlich, daß man dort sehr früh anstand um Auskunft zu erhalten, die dann meistens lautete, die Anträge seien noch nicht eingegangen oder bereits an die Kreisbehörden weitergeleitet, was in der Regel nicht den Tatsachen entsprach. Als dann die Ausreise endlich genehmigt war, mußten die an den Staatsgütern Beschäftigten erst noch die Ernte mit einbringen. Mobilar, Kleidung und Haushaltsgegenstände wurden in Kisten verpackt, listenmäßig aufgeführt und von der polnischen Behörde als Eigentum bescheinigt. Die Verzollung und Verladung unserer Sachen fand in Bad Salzbrunn zwei Wochen vor der Abreise statt.
Wer seine Sachen mit Fuhrwerk oder LKW dorthin brachte, mußte diese nach der Zollkontolle auf den Laderampen stehenlassen, da meistens zu wenig Waggons vorhanden waren. Bevorzugt wurde, wer nicht kleinlich mit Trinkgeldern oder Wodka umging. Die Sonderzüge für die Ausreise wurden in Stettin gestartet. Jeden zweiten Tag ca. 450 Personen mit sehr viel Gepäck, so daß wenig Platz zum Sitzen blieb.
Taxifahrer und Händler versuchten uns dort das letzte polnische Geld abzuhandeln, welches später ohnehin gegen eine wertlose Quittung eingezogen wurde. Die Fahrt von Stettin bis zur Grenze der DDR (ca. 15 km) dauerte ganze vier Stunden, bedingt durch mehrere Kontrollen. Die Züge fuhren nachts durch die DDR, morgens erreichten sie Büchen bei Hamburg, wo wir mit Posaunen und kleinen Begrüßungsgaben empfangen und anschließend nach Friedland weitergeleitet wurden. Von dort aus erfolgte dann schließlich die Verteilung in die einzelnen Bundesländer – je nach Zuzugsgenehmigung .
So begann nun für die sogenannten „Spätaussiedler“ ein neuer Lebensabschnitt in Freiheit. Im einzelnen könnte man über diese Jahre unter polnischen Verhältnissen lebender Deutscher noch viele Seiten schreiben.
September 1996 H.R.
1Die dicke Buche, im Volksmund auch „Lorenz -Buche“ oder „Schulzen – Buche“ genannt, weil er auf dem Grundstück der Familie Lorenz stand. Lorenz war auch Schulze. Diese Buche, ein Zwieselbaum, war so dick, dass 7 ältere Männer benötigt wurden, um den Stamm umfassen zu können, daher war er auf der Liste der nationalen Naturdenkmäler Schlesiens. Am Baum hing ein Schild mit der Aufschrift:
Von Eichenlaub ein deutscher Kranz,
verkündet deutschen Ruhmes Glanz.
Wie Buchen stark, wie Blätter grün,
soll Deutschlands Glück und Heil erblüh’n.