Karl Schmidt – Kischinew

Da auf dieser Briefmarke 1 der Bürgermeister von Kischinew gewürdigt werden sollte und es mich neugierig machte, wer er war, stellt sich mir inzwischen die Frage, ob es nicht zu einer Verwechslung der Personen auf der Marke kam.


Zunächst jedoch – wer war Karl Schmidt?

Geboren wurde er als Carl Ferdinand Alexander Schmidt am 25. Juni 1846 in Belz (Bel’tsy). Sein Vater war Dr. med. Alexander Christoph von Schmidt (26.8.1805 Riga-7.11.1886 Kischinew) – Arzt I. Klasse, Operateur der Bessarabischen Medicinal-Verwaltung, Hofrat, Stabsarzt und Sohn des Maurermeisters Carl Friedrich Schmidt aus Riga2. Seine Mutter war Teresia Iosifowna Tysskaja, Tochter eines polnischen Arztes.

Das Familienbuch von Kischinew gibt zudem noch eine Bruder Woldemar (Wladimir Iosif) an, der um 1845 geboren wurde und 1870 ertrunken sein soll.

Schmidt´s Vater hatte 1825-1829 in Dorpat studiert und wurde auf Grund seiner späteren Leistungen am 21.9. 1883 in den Adelsstand erhoben.

Carl Ferdinand Alexander Schmidt, Untersuchungsrichter – Kollegiums – Sekretär, ehelichte am 31.12.1874 in Kischinew Maria Iwanowna Kristi, Tochter des Gutsbesitzers Johann Kristi und der Alexandra geb. Nielielow aus Telesheu.

Aus dieser Ehe gingen die Kinder Alexander (1874-1954), Vladimir (1878-1938), Maria (*1880) und Tatiana (1881-1945) hervor.


Nachdem der Kischinewer Bürgermeister und Schwager Schmidt´s, Cliementie Sumanschi, überraschend bei einer Brandkatastrophe ums Leben kam, wurde Karl Schmidt im selben Jahr zum Bürgermeister gewählt und blieb es bis 1903. Sein Einfluss auf die Entwicklung und Ausgestaltung der Stadt durch Förderung einer regen Bautätigkeit ist noch heute unübersehbar.

Zu seine größten Projekten gehörte die öffentliche Wasserversorgung und Kanalisation. Als erstes öffentliches Verkehrsmittel wurde eine Pferdebahn eingerichtet, die an einen privaten Unternehmer vergeben wurde. Die Straßen wurden gepflastert und für die Pflege der öffentlichen Parks  wurde Franz Kühn als Stadtgärtner eingestellt.

Альбома Городских Голов Российской Империи. 1903 г.3
Alexander Bernadazzi

Zusammen mit seinem Freund Alexander Bernadazzi und dem Stadtarchitekten Leopold Scheidewandt wurde eine Bauordnung erlassen, sie regelte die Hausgröße im Verhältnis zur Straßenbreite, den Abstand der Bauten, die Größe der Höfe, die Tiefe der Kellergeschosse, die zu verwendenen Baustoffe und mehr.

Schmidt war stetig unterwegs und überprüfte persönlich jedes neue Gebäude, das sich im Bau befand. Allein 1886 wurden 61 Neubauten geplant.

Natürlich wurde nicht alles, was angedacht wurde, auch umgesetzt.  Die Duma umfasste damals wohlhabende Leute, vor allem Geschäftsleute. Sie hatten ihre eigenen Interessen. Stimmberechtigt waren nur diejenigen, deren Haus mehr als 1000 Rubel kostete. Bürgermeister Schmidt hatte zu diesem Zeitpunkt kein Eigentum, daher stimmte er durch einen Bevollmächtigten ab und wies auf das Eigentum seines Vaters hin. Dessen Haus befand sich in der Mitropolit Varlaam, 84 (colţ str. M. Eminescu).

Zu den heute noch vorhandenen Gebäuden gehört der Wasserturm, einst als Zwillingsturm angelegt, wurde einer im zwanzigsten Jahrhundert gesprengt.

Quelle: oldchisinau.com

Bereits 1877 wurde das neue Rathaus errichtet, das neue Wappen von Chisinau 1878 genehmigt. Es entstanden zwischen 1877 und 1881 Häuser für Behinderte, eine Kirche (1880), die Handwerksschule, die Alexander-Realschule (1881), eine Kapelle zu Ehren der bulgarischen Miliz (1881-1882), ein
Kinderkrankenhaus (1884) und das
Denkmal für Puschkin (1885). Die Stadtduma genehmigte dafür 1000 Rubel. Es entstanden eine Schule und Straßenbeleuchtung (1886), das Museum für Geschichte der Region und die Pferdebahn, es erfolgte der Wechsel der Turmuhr auf dem Triumphbogen (1889). Die Obstbauschule – spätere Weinbauschule – erbaut (1890),  die Kirche des St. Panteleimon (1891) und die Uhr auf dem Narthex der Chuflin Kirche, am Eingang zum Rathaus und Mariä Himmelfahrt, sowie der erste Teil der Stadtwasserversorgung (1892). Eine Wasserversorgungsstation (1893) und die Psychiatrische Klinik (1893-1895). Man sorgte für Zeichenkurse der Studenten und gründete den Musikverein „Harmonia“, erbaute die Städtische Kunstschule (1894), sowie die Kapelle des Gymnasiums und die Kapelle der griechischen Gesellschaft (1895). Eine Handelsschule wurde durch Schmid 1899 gegründet.

Bis 1903 entstand so eine repräsentative Provinzmetropole mit zahlreichen prachtvollen Bauten, obwohl in der Stadtkasse ständiger Geldmangel herrschte. Als Vorsitzender der Stadtbank versuchte Schmidt sogar, die Schuldenlast abzubauen, indem er nach dem Vorbild von Warschau die Neuregelung der Immobiliensteuer und die Besteuerung von auf Straßenland abgestellten Baustoffen regelte.

Besondere Aufmerksamkeit widmete Schmidt dem Gesundheitswesen, der Armenhilfe und der Volksbildung. Das 1891 eröffnete Krankenhaus für Infektionskrankheiten führte Behandlung kostenlos durch und ließ Arzneimittel an Arme gratis ausgegeben. Auf eigene Kosten baute er u.a. ein Haus für die Armenspeisung. 

Auch an der kulturellen Entwicklung der Stadt nahm Karl Schmidt regen Anteil. Eine besondere Vorliebe hegte er für die Musik, sein Traum war die Eröffnung eines Operntheaters wie in Odessa.

1901 wurde Schmidt zum letzten Mal zum Stadtoberhaupt gewählt. Jedoch mehrten sich die Stimmen, das sein Alter bereits bedenklich war.


Pawel Alexandrowitsch Kruschewan (1860-1909)

1897 wurde in der Stadt die russische Tageszeitung Бессарабец (Bessarabetz – der Bessarabier) durch den Journalisten Kruschewan gegründet. Sie hetzte offen mit antisemitische Schlagzeilen und propagierte, welche „Blutsauger, Parasiten, Ausbeuter und Betrüger“ die christliche Einwohnerschaft unter sich hätte. Unmerklich änderte sich die Stimmung in der Stadt. Dazu sollte man wissen, der Anteil der Juden in Chișinău (ca. 110.000 Einwohner) betrug im Jahr 1903 etwa 46%.

Dann begann die „Ritualmord“ Hetze.

Der christliche Junge Mikhail Rybachenko wurde etwa 40 Kilometer nördlich von Kischinew in Dubăsari in einem Brunnen tot aufgefunden. Die Zeitung Бессарабец verbreitete das Gerücht, der Junge wäre zu einem rituellen Zweck getötet worden und anschließend hätte man seine Leiche in den Brunnen geworfen. Sie forderte „Tod allen Juden!“ und „Kreuzzug gegen die verhasste Rasse!“. Das tatsächlich ein Christ diesen Mord begangen hatte, nahm niemand mehr wahr. Auch die durch die Regierung veranlasste Berichtigung in der Бессарабец änderte an der inzwischen aufgeheizten Stimmung nichts mehr.

Kurz darauf verstarb ein christliches Mädchen, welches Dienstmädchen bei einem jüdischen Kaufmann war. Der Kaufmann hatte nachts ihr schmerzvolles Stöhnen gehört und ließ sie, den Ernst der Lage erkennend, umgehende in das am nächsten liegende Krankenhaus bringen. Sie verstarb jedoch in dem jüdischen Krankenhaus, hatte den Ärzten jedoch zuvor erklärt, das ihr Dienstherr unschuldig sei, sie Gift genommen hätte, da sie sich umbringen wollte.Trotzdem machte die Mär vom „Ritual vor Ostern“ die Runde.

Der Staatsrabbiner begab sich zum russisch-orthodoxe Bischof von Kischinew, jedoch war dieser inzwischen von Zweifeln behaftet. Auch der Vize-Gouverneur Ustrugow, Zensor, Projektor und Mitarbeiter des Бессарабец, angeklagt und vom Senat der üblen Hetze für schuldig bekfunden, machte weiter wie bisher: „Für Juden gibt es kein Gesetz, man kann mit ihn tun was man will.“

Zwei Wochen vor Ostern traf man sich im Hotel „Rossia“, der „Wohltätigkeitsverein“, bestehend aus der Intelligenz und Beamtenschaft hatte Gelder gesammelt. Diese wurden nun für den Kauf von Waffen und den Druck von Flugblättern verwendet: „Auf Grund eines Ukas des Zaren ist es den Christen während der drei heiligen Ostertage erlaubt, mit den Juden ein blutiges Gericht („Krowawaja rasprawa“) zu halten“ oder „Gottes Strafe gegen die Bilderfrevler !“, man fand als Unterzeichner „Moskau, im Hause des Klosters zum heil. Macarius, Grosse Lubianka – Strasse. Gedruckt durch das Beichtkomitee des Heiligen Synods zu Petersburg, am 4. Februar 1903. Der Zensor: Alexander Jeremonach.“

Der Kischinewer Polizeimeister äußerte, in einigen Tagen werde man gegen die Juden losgehen. Einige Tage vor Ostern kam der Polizeikommissar Dobrosselski in die Zigarettenhandlung des Juden Bendersky und nahm 5 Rubel aus der Kasse. Der Jude sah verwundert diesem seltsamen Akt zu, da sagte der Kommissar : „So wie so werden wir zu Ostern alle Juden abschlachten“

In der Schenke „Moskwa“ war das Zentral-Agitationslokal. Ein Diener dieser Schenke, der Tausende Zettel verteilte, hatte später erzählt, dass er in einem Brief mit dem Tode bedroht worden sei, wenn er die Zettel nicht verteile.

Bedenken der jüdischen Bewohner wurden zerstreut, man hätte Vorkehrungen getroffen, sie sollen ruhig bleiben, während der Feiertage zu Hause bleiben, die Läden schließen und keinen Streit anfangen.

Die Nacht von Samstag (18. April 1903) auf Sonntag war finster und regnerisch. An jeder Ecke der äußeren Stadtstraßen stand ein Polizist. Sie sollten Fremde nicht in größerer Anzahl in die Stadt lassen, sie ließen natürlich scharenweise Fremde, vor allem Bauern, in die Stadt.

Am Sonntag Morgen dachte sich niemand etwas, man ging ganz normal in die Synagoge. Mittags überfiel plötzlich, ohne jeden Anlass, eine Gruppe Jugendlicher die ersten Juden. Sie liefen danach davon und begannen, die Fensterscheiben von Häusern und Läden einzuschlagen. Weil die Polizei sie nur verscheuchte und niemanden verhaftete, nahm man die Polizei nicht ernst.

Es war etwa 3 Uhr nachmittags, als plötzlich auf dem Platze Nowyi – Bazar ein Haufen von Männern in rote Hemden (Festkleidung der Arbeiter) erschien. Die Leute brüllten wie Besessene: „Tod den Juden ! Schlaget die Juden !“

Von der Schenke „Moskwa“ aus teilte sich dieser Mob von einigen Hundert in 24 Abteilungen zu etwa 10 bis 15 Mann. Nun begannen in 24 Teilen der Stadt systematische Plünderungen der jüdischen Häuser und Läden. Steine wurden in solcher Menge und mit solcher Wucht in die Häuser geworfen, dass man alles zertrümmerte. Türen und Fenster wurden heraus gerissen, alle Einrichtungen zerstört. Damen der „besten Gesellschaft“ nahmen Kleidungsstücke, zogen sich an Ort und Stelle seidene Mäntel an oder wickelten sich in kostbare Stoffe. Selbst die Polizei plünderte das Schuhwarenmagazin in der Gostinaja -Straße und stahl alle Stiefel.

Die Wut der Plünderer steigerte sich bis zur Raserei. Christlichen „Judenfreunden“ zerstörte man ebenfalls einzelne Häuser. Ironischer Weise wurde der Redaktion des Бессарабец und der Verwaltungskanzlei des Gouvernements ebenfalls einige Scheiben eingeschlagen.

Um 5 Uhr nachmittags gab es den ersten Mord an einem Juden. Man stürzte sich auf eine Pferdebahn, in der sich ein Jude befand, und rief: „Werft uns den Juden heraus !“ Der Jude wurde aus der Bahn geworfen und man gab ihm von allen Seiten so furchtbare Schläge auf den Kopf, dass der Schädel zerbrach und das Gehirn aus floss. Da die Polizei tatenlos zusah, riefen sie „Erschlaget die Juden!“. Gab es Versuche der Juden, sich zu wehren, wurden sie von der Polizei gehindert oder verhaftet.

Bis 10 Uhr nachts machten die Plünderer und Schläger in der Innenstadt weiter, es folgten in dieser Zeit sieben weitere Morde. Gegen 11 Uhr nachts waren in den Außenbezirken der Stadt noch einzelne Plünderungen zu vernehmen.

Unter der Leitung der Notare Pissarschewsky, Semigradow, Sinodino, Bolinsky, Popow und des Untersuchungsrichters Dawidowitsch wurde danach bis 3 Uhr nachts die Metzelei, die an den Juden vorgenommen werden sollte, geplant. Alle jüdischen Häuser wurden mit weißer Kreide markiert.

Mit Äxten, eisernen Stangen und Keulen bewaffnet, begannen die Schläger am Montag, den 20. April, von 3 Uhr nachts bis 8 Uhr abends zu plündern, rauben, zerstören, jüdisches Eigentum zu stehlen, zu brandschatzen,  vernichten, die jüdische Bevölkerung zu jagen, zu erschlagen, zu schänden und martern.

Alle Schichten der Bevölkerung waren dabei, auch Frauen, die in Banden von 10-20 Personen, aber auch 80-100, über ihre Opfer herfielen.

Männer wurden niedergeschlagen, schwer verwundet oder getötet. Frauen wurden vor den Augen der Männer und Kinder der Reihe nach von den Mördern vergewaltigt. Kindern wurden Arme und Beine ausgerissen oder gebrochen, einzelne wurden aus unteren Stockwerken in die oberen geschleppt und hinab geworfen. Manchmal ergriff man ein Kind und schlug es mit dem Kopf an die Wand, dass das Gehirn austrat.

Vierzig Juden liefen zum Gouverneur, das er doch etwas unternehmen soll, doch dieser erklärte, er hätte noch keine Befehle aus St. Petersburg hätte. Zugleich untersagte er der Telegrafenstation, private Telegramme aufzunehmen, die womöglich nach St. Petersburg gelangen könnten. Danach ließ er die Schutzsuchenden von seinem Hof jagen, wo sie unter seinen Fenstern auf der Straße erschlagen wurden.

Damit es keine Christen traf, gab die Polizei den Schlägern Anweisungen, welche Häuser die jüdischen waren.

Männern und Frauen schlitzte man den Bauch auf, riss die Eingeweide heraus und stopfte Federn hinein. Man sprang und tanzte auf den Leichen, brüllte und berauschte sich an Getränken, Männer und Frauen der sogenannten „besten Gesellschaft“, Beamte und Polizisten sahen lachend zu oder machten mit. Schwangere Frauen wurden mit Stöcken auf den Bauch geschlagen, bis sie an Verblutung starben. Einer schwangeren Frau schnitt man den Bauch auf, nahm das ungeborene Kind heraus und zertrat es mit den Füßen. Frauen wurden, nachdem sie vergewaltigt wurden, die Brüste abgeschnitten, kleine Mädchen wurden vergewaltigt, bis sie unter der Bestialität der Verrohten starben. Ein kleines neunjähriges Mädchen wurde nach der Vergewaltigung in zwei Teile gerissen. In einem Hause wurde die Mutter der Reihe nach von allen Banditen in Anwesenheit ihrer zwei kleinen Töchter vergewaltigt, worauf die Kinder angesichts der Mutter vergewaltigt wurden. Dann wurden sie in ein Schlachthaus getrieben, dort durch Beilhiebe getötet und dann aufgehängt.

Die Liste der Grausamkeiten war unendlich länger und lässt sich hier nicht aufzählen.

Chaja Sarah Panaschi, David Chariton, Jechiel Selzer, Benzion Galanter, Meyer Weissmann, Hirsch Lys, N. Uschemirsky, Hirsch Bolgar, einige wenige Opfer sind noch immer namentlich bekannt.

Wer glaubte, sich durch das Aufstellen eines christlichen Heiligenbildes im Fenster retten zu können, wurde denunziert, angebunden, Hände, Arme und Füße mit großen Nägeln durchbohrt, danach ermordet.

Unter all dieser Gewalt gab es trotz allem einige Christen, die sich menschlich verhielten. Ein Priester, dessen Sohn unter dem Mob war, dann Herr Nasarow, ein Mitarbeiter der Zeitung „Nowosti“, der beinahe selbst erschlagen worden wäre, Ingenieur Kusch, der Obmann eines Feuerwehrvereins, der mittels Feuerspritze ein paar Straßen säuberte.
Der Arzt Doroschewsky,  der Polizeikommissar des dritten Rayons, der in dem ihm unterstellten Bezirk alle jüdischen Häuser vor den Banditen
geschützt hatte. Hauptmann Michajlow, welcher mit seiner Kompanie aus Bendery nach Kischinew eilte, von seinem Oberkommandanten dafür eine Rüge wegen Disziplinarverstoßes bekam, dann jedoch durch Intervention des Oberkommandierenden des Odessaer Militärbezirkes Mussin-Puschkin in St. Petersburg eine Auszeichnung erhielt.

Aber auch der Bürgermeister von Kischinew, Alexander Schmidt, der Gouverneur und Vize-Gouverneur vergeblich aufforderte, etwas zu unternehmen, sowie der Adelsmarschall des Gouvernements Krupensky, durch dessen Hilfe von Bendery aus Montag früh der jüdische Doktor Mutschnik nach Petersburg die Geschehnisse telegrafieren konnte und der sein Haus als Lazarett für die verwundeten Juden zur Verfügung stellte.

Die „Times“ druckte am 7. April 1903 einen Brief ab:

Ministerium des Innern. Ministerialkanzlei.
N 341, den 25. März 1903.
Absolut geheim.

Dem Gouverneur von Bessarabien. Es ist zu meiner Kenntnis gelangt, dass in dem Ihnen anvertrauten Gebiete Unruhen gegen die Juden vorbereitet werden, die ja hauptsächlich die einheimische Bevölkerung ausbeuten. Angesichts der allgemeinen Unruhe der städtischen Bevölkerung und angesichts dessen, dass es unerwünscht wäre, durch allzustrenge Massregeln gegen die Regierung gerichtete Gefühle in die noch nicht von der revolutionären Propaganda berührte Bevölkerung hineinzutragen, wird Ihre Exzellenz die sofortige Unterdrückung der vielleicht ausbrechenden Unruhen nicht durch Waffengewalt, sondern durch Ueberredungsmittel zu erreichen suchen.
Gezeichnet : Plehwe.

Vyacheslav Konstantinovich von Plehve (1846 – 1904)

Es wurde bewiesen, dass, so oft Plehwe im Ministerium war, Exzesse gegen die Juden, stattfanden, bei denen Plehwe die Hand im Spiel hatte. Kruschewan bekam von ihm für den Бессарабец 25.000 Rubel als Subvention. Durch Plehwe erhielt Kruschewan die sonst in Russland sehr schwer erhältliche Erlaubnis zur Gründung des Blattes „Znamja“ in Odessa. Als Kruschewan nochmals eine Subvention verlangte und Finanzminister Witte erklärte, diesen Posten nicht bewilligen zu können, verschaffte Plehwe ihm bei einer der Regierung unterstellten Bank einen hohen Kredit gegen dessen Solowechsel.

Endlich, Montag um 5 Uhr nachmittags, kam die Antwort des Ministers Plehwe, gegen 6 Uhr abends rückte dann Militär aus, die staatliche Gewalt wurde dem Militärkommandanten übergeben, die Lage in der Stadt beruhigte sich. Anrückende Plünderer des Umlandes wurden am Eindringen in die Stadt gehindert und nach Hause geschickt.

Die Bilanz dieser beiden  Ostertage:

An Ort und Stelle wurden 47 Menschen getötet, 437 verwundet, davon
92 schwer. Von diesen schwer verletzten erlagen viele ihren Verwundungen, unter den leichter verletzten erlitten viele lebenslängliche Verkrüppelungen. Es gab über 100 Waisen, 8.000 Familien, das waren rund 25.000 Menschen, wurden an den Bettelstab gebracht. Die Opfer des überwiegenden Teil der aller ärmsten Schichten der Bevölkerung beklagten zudem rund 10.000 Obdachlose. Der jüdische Mittelstand wurde weniger hart getroffen, fast unberührt blieben die reichen Juden.

Dazu kamen über 700 zerstörte Gebäude und etwa 600 geplünderte Geschäfte mit einem Schaden von umgerechnet 8.000.000 Mark (1903).

Im Ganzen verstarb unter Nichtjuden ein Zigeuner eines natürlichen Todes und ein junger Mann, der zum Ende der Exzesse während einer Rauferei erstochen wurde.

Es gab im Anschluss etwa 800 Verhaftungen, man ließ 150 am nächsten Tag aus „Mangel an Beweisen“ frei. Polizeimeister Chanschenkow verkündete: „Wer die bei den Juden geraubten Sachen und Waren während der nächsten zwei Tage zurückerstattet, wird nicht bestraft werden.“

Mit der Untersuchung wurde unter anderen der an den Ausschreitungen beteiligte Richter Davidowitsch betraut.

Am Tage nach den Exzessen erfolgte die erste „Großtat“ des Gouverneurs von Raaben. Er bewilligte gnädigst, dass dem eben organisierten Hilfskomitee der Damen vom Roten Kreuz 5000 Rubel zur Verfügung gestellt werden. Das Geld entnahm er der Koscherfleischtaxe, die von den Juden zur Deckung der laufenden jüdischen Bedürfnisse gezahlt wurde und ließ es auch für die Familien der verhafteten Exzedenten verwenden.

Der Militärkommandant von Kischinew, dem die jüdische Bevölkerung danken wollte, erklärte:

„Ich habe nur meine Pflicht getan. Ihr Juden aber sollt wissen, dass der Exzess, unter dem ihr jetzt gelitten habt, von Euch herrührt. Davon, dass Ihr die Bevölkerung jahrelang ausgebeutet habt, Schon jetzt nach dem Exzesse habt Ihr alle Preise der Waren in die Höhe getrieben.“

Diese Lüge fand bald ihren Weg in alle antisemitischen Blätter.

Der militärische Oberkommandierende des Odessaer Bezirkes, Graf Mussin – Puschkin schilderte die Geschehnisse in Kischinew als „die Taten von Wilden in den fernsten Teilen Afrikas“.

Gouverneur von Raaben wurde daraufhin seine Amtes enthoben und dem Ministerium des Inneren (Plehwe) zugeteilt.

Der bisherige Vice-Gouverneur Ustrugow, ein Antisemit und verstrickt in die Vorgänge, wurde makaberer Weise zum neuen Gouverneur ernannt.

Gnetschin und Marosjeik, zwei der Rädelsführer, wurden zu fünf bzw. sieben Jahren Zuchthaus verurteilt, 22 Angeklagte erhielten Strafen von ein bis zwei Jahren, zwölf Angeklagte wurden frei gesprochen. 50 Schadensersatzklagen wurden abgewiesen.4


Bustul lui Carol Schmidt din fața Filarmonicii Naționale „Serghei Lunchevici“

Nach dem Juden-Pogrom am 19. April 1903, trat Carl Schmidt von seinem Amt zurück, entsetzt, zu welchen Ausschreitungen die Bürger seiner Stadt fähig waren.

Als Schmidt am 9. April 1928 starb, folgte man seinem Wunsch, kein großes Ehrenmal zu errichten und stellte nur ein einfaches Holzkreuz auf sein Grab.

Der lutherische Friedhof wurde in den 1950er Jahren eingeebnet, dort steht heute  das Kino „Gaudeamus“, jedoch wurde ihm ein Denkmal errichtet.

Soweit zu Karl Schmitd, dem Bürgermeister von Kischinew.


Und nun zurück zur Eingangsfrage – wer ist auf der Briefmarke ? Der Architekt Carl Emil Michael Schmidt ?


Carl Schmidt (1866-1945) im Jahre 1897

Am 21. Dezember 1866 wurde in St. Petersburg der Architekt Carl Emil Michael Schmidt geboren. Sein Vater, der Schiffsingenieur Karl Friedrich Adolf Ferdinand Schmidt (4.1.1834 Anklam – 27.3.1919 Stralsund) und seine Mutter Olga geb. Wenig (27.1.1844 – 18.11.1911 St. Petersburg) heirateten in St. Petersburg am 5.6.1864.

Carl Schmidt studierte an der St. Petersburger Akademie der Künste. Seine Villen und Häuser im Backsteinstil schmücken die Straßen von St. Petersburg.

Einige Beispiele:

Sterbeurkunde Nr. 236/1945

1897/98. Villa von V. Tiss. Sjezzhinskaya ul, 3
1897/99. Alexandra Asyl für Frauen. Bolshoy Prospekt V. O., 49-51
1899/1900. Gebäude der Firma Faberge. Bolshaya Morskaya ul., 24
1900/01. Villa und das Büro von Paul Forostovski. 4 liniya V. O., 9
1900/04. Eigene Villa in Pawlowsk. 2-ya Krasnoflotskaya ul., 7
1901/02. Mehrfamilienhaus. Chersonskaya ul., 13
1907. Neubau einer Mädchenschule von Emilie Schaffe. 5-ya liniya O. V., 16

Verehelicht war Carl Schmidt mit Erika Sophie Leon. Johannsen (1.2.1875 Tver – 16.6.1953 Potsdam) seit dem 9.11.1897 in Tver. Im Herbst 1918 musste die Familie Schmidt Russland verlassen und nach Deutschland zurückkehren.

Hier starb er am 8. August 1945 in Groß Ottersleben bei Magdeburg.


Entscheiden Sie selbst – wer ist auf der Briefmarke? Karl Schmidt, der Bürgermeister oder Carl Schmidt, der Architekt?



1 Ministére de la technologie de l’information et des communications Republique de Moldova – http://www.moldovastamps.org/catalogue_stamps_issue.asp?issueID=2050&lang=En, public Domain

2 Album der Landsleute der Fraternitas Rigensis 1823-1887; Riga 1888; Ernst Plates Buchdruckerei, Lithographie und Schriftgiesserei bei der Petri-Kirche, im eigenen Hause. S. 17

3Альбом Городских Голов Российской Империи 1903 г.

4Nachrichten Herold, Sioux-Falls, Süd-Dakota, 31.12.1903

Fotos Kischinew aus: Berthold Feiwel: Die Judenmassacres in Kischinew von Told. Mit einem Weiheblatt von E. M. Lilien und Illustrationen. Juedischer Verlag Berlin SW. 47; 1903

E. Vogt, B. M. Kirikov. Architekt Karl Schmidt: Leben und Werk. St. Petersburg, 2011.

Voigt E., Heidebrecht H. Carl Schmidt. Ein Architekt in St. Petersburg. 1866—1945. Augsburg, 2007.

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