Zur Erinnerung an unsere Vorfahren, die als Migranten aus Süddeutschland in die Welt zogen

Schlagwort: Alsace

Die Baronesse und der Schneider

„Mamma, Mamma, stell dir mol vor, die Ur-Ur-Omma war ene Baronin, das hot die Babbe eäben verzählt!“
„Ach, Kindche, was de Eoldere fer Geschischte verzehle. Warum sollte en Hoaggeboorne en Schneider heirate un mit m ihm noch Molodschna ziehe?“

So, oder ählich klang es wohl im Hause Littich (Littig) und man schüttelte ungläubig den Kopf. Der Pfarrer selbst hatte doch den Sterbeeintrag der Urgroßmutter ins Kirchenbuch Molotschna eingetragen, da stand nichts von adlig, Baronesse oder „von“… es war einfach nur Henriette Littich, geborene Gottesheim aus der Stadt Straßburg, die 1844 an Auszehrung starb.1

So hielt sich das „Gerücht“ der adligen Herkunft in der Familie, welches sich im Zuge meiner Nachforschungen als echt bestätigt.

Beginnen wir ganz am Anfang, seit etwa 1300 findet sich die Familie Gottesheim im Elsaß, man vermutete eine Einwanderung aus Tirol oder der Schweiz. Kaiser Maximilian bestätigt im Jahre 1513 den Brüdern Friedrich und Philipp von Gottesheim ihren Adelstitel.

„Innerhalb breiter g. Bordur, in B. ein mit 3 g Sternen hintereinander belegter r. Schrägrechtsbalken. Auf dem Helme ein b. Schwanenrumpf mit dreizackigem r., mit g. Stern je bestetzten Rückenkamm. Decken b. g.“2

Aus der Geschichte wird berichtet, dass die Edlen von Gottesheim zunächst in Hagenau lebten, Philipp II. von Gottesheim war Ende des 16. Jahrhunderts einer der wichtigsten Bürger Hagenaus.

Im Jahr 1560 wurde er zum Schöffen gewählt, 1580 Salzbeseher, dann Verordneter zu St. Georgen, Armbrustversorger, Winterherr, und Pfleger zu Marienthal, in der Elendherberge, bei den Wilhelmitern, den Reuern und den Barfüssern. Michel, Philipps Sohn, war Rendherr in den Jahren 1610 und 1611.

In Strasbourg lebte der Neffe von Philipp II., Matthias II., ihm gehörte das Lehen Geudertheim, er war Mitglied des Rates seit 1581, so war es einfach, um 1625 nach Strasbourg überzusiedeln aus Gründen der Religion, man war nun protestantischen Glaubens.

Mathias von Gottesheim Dreüzehener der Zunfft, gestiftet 161114

Wie lange die Edlen von Gottesheim bereits Lehnsträger waren, zeigen alte Urkunden:

1586, ist ertheilt worden : “ … güter und zinse in Geudertheim und zehenten in etlichen Dörfern, wie 1471, und an der andern Seiten an den weg zum bach gelegen ; it. das halb dorf Geudertheim, den blutbann allda mit zwing und bann, und aller rechten und herrlichkeiten, zinsen, nutzen, gülten und zugehörungen …“3

An. 1680, den 29. Mai, erhalten die Edlen von Gottesheim nochmals von Kaiser Leopold, und am 27. jän.1681, von dem Könige Frankreichs ihr Lehen : „Wir Leopold, röm.kaiser, … bekennen und tun kunt… dass uns des richs lieber getreuer Johan Friedrich von Gottesheim , für sich als der älteste und Lehenträger, und für seine Brüder Eliam und Philipp Friedrich von G., unterthänigst angerufen und gebeten, dass wir ihn auf absterben ires vaters Johann Friedrich, gewesener Lehnträger, die hier nachgeschrieben stück und gilt mit namen : … wie 1586 … so von uns jüngst hiebevor unter dato 12. mai 1671 irem vater verliehen worden… wiederumb zu Lehen verleihen , … angesehen demüthige bitte und nützliche dienste… haben ihn dieselbe stück… gnadiglich zu Lehen gereichet. Prag, 29. mai 1680“3

Den 22. jän. 1726, zu Geudertheim, attestiren die Edlen von G., Phil . Friedrich , Joh . Philipp, und Joh . Friedrich, dass sie, zuvor von k. k. Majestät, jetzt von kön. Maj. in Frankreich, zu lehen tragen: „Das haus mit seiner zugehör in der burg zu hagenau , an der einen seit neben denen von Weitersheim, und uf der andern an dem weg zum bach gelegen. Nota: Peter Barbier als einwohner und besitzer dieses häusleins gibt järlich an lehnung zins 10 gl.; item Felix Bechtold gibt järlich von dem garten plätzlein zu bemeltem haus gehörig …. 1 gl . 5 f.3

Wie aus diesen Urkunden ersichtlich, lebten die von Gottesheim nicht nur in und um Geudertheim, sie waren auch in hohen militärischen Rängen. Der urkundlich 1726 genannte Philipp Friedrich lebte in seinem Schloss in Geudertsheim, später Château du général baron de Schauenburg.4

Verehelicht seit dem 7. Oktober 1699 in Geudertsheim mit Marie Elisabeth Krusenmarch sind mir namentlich bekannt aus den Kirchenbüchern die Kinder Jeoan Philipp Görg (1703-1760), Friedrich Nicolay Emanuel (*1709), Catharina Louisa und Philipp Jacob (um 1714-vor 1779). Letzterer, verrehelicht mit Maria Magdalena Louise Kuder, wurde Vater von Friedrich Heinrich Freiherr von Gottesheim (1749-1808).

Jeoan Philipp Görg (1703-1760), verehelicht am 13. März 1637 in Strasbourg mit der Tochter des dortigen Juweliers Johann Georg Finx, Catharina Dorothea, wurde Vater von Philipp Georg (1738), Friederica Barbara (1739), Friedrich Carl Ludwig (1741), Ernst Friedrich Emmanuel (1742), Franciscus Ludwig (1744), Ludwig Samuel (1746) und Johann Gottlieb (1753). Am 17. Oktober 1760 ist er in der Schlacht bei Kloster Kamp im Siebenjährigen Krieg gefallen.5

Ludwig Samuel Baron von Gottesheim, hier im Gemälde mit weiblichen Familienmitgliedern zu sehen, wurde am 27. August 1746 in Geudertheim geboren.

Geburtseintrag des Barons von 17466

Wie sehr sich sein Leben wandeln würde, war ihm am 2. April 1782 sicher nicht bewußt, als er Catharina, Tochter des Georg Gruber aus Eckwersheim, heiratete. Eine Ehe, die schnell erfolgen musste, da Wilhelmina Henriette bereits am 2. Mai 1782 zur Welt kam, ihre Schwester Magdalena Catharina Louisa, wurde in den Wirren der Französischen Revolution am 13.11.1790 geboren und starb am 5. November 1851 in Wintzenheim.

Geburtseintrag von Wilhelmina Henrietta 17826.1

Der Vulkanausbruch vom 8. Juni 1783 auf Island verursachte erhebliche Veränderungen der klimatischen Bedingungen in Europa, infolge der Kleinen Eiszeit im Jahr 1788 erlitten die Bauern, also etwa vier Fünftel der Bevölkerung Frankreichs, eine massive Missernte, dann folgte ein äußerst harter Winter. Während überall Not herrschte, waren die Speicher vieler weltlichen und geistlichen Grundherren, denen sie Abgaben zu entrichten hatten, wohl gefüllt. Es kam zu Protesten und Forderungen nach Verkauf von Brot zu einem „gerechten Preis“, weil die Getreidepreise stark gestiegen waren. Auch in den Städten stiegen die Preises um das Dreifache des Üblichen. Im Frühjahr 1789 zogen organisierte Bettlerbanden von Hof zu Hof, um bei Tag und bei Nacht, oft unter heftigen Drohungen, Nahrungsmittel zu erzwingen. Zeitgleich brodelte es zwischen den Katholiken und Protestanten um die Rechte der Kirchen, der Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 war daher nur der Beginn dessen, was Frankreich ein für allemal verändern sollte. Die Angst vor einem aristokratischen Komplott bei den anberaumten Wahlen zu den Generalständen führte zur „Großen Furcht“ (Grande Peur), ab Mitte Juli bis Anfang August 1789 gab es massiven bäuerlichen Angriffe auf Schlösser und Klöster, die vom 17./18. Juli an geplündert und in Brand gesteckt wurden mit dem Ziel, die Archive mit den Urkunden über die Herrenrechte zu vernichten und den Verzicht der Grundherren auf ihre feudalen Rechte zu erzwingen.7

Unter dem Eindruck dieses Geschehens und nach Angriffen der „Schreckenszeit“ 1793 flüchtete der Baron von Gottesheim, „mit nicht mehr als meinen armen Kindern entblößt von allen Mitteln“ zusammen mit der Familie seiner Schwester, eine verehelichte de Mauroy nach Ludwigswinkel.11 Ebenso floh die Ehefrau seines Bruders Ernst Friedrich Emanuel, Marie Anna, geborene Schillinger, mit Sohn Ferdinand Friedrich Ludwig Emanuel, der noch am 20. August 1793 in Geudertsheim geboren wurde.

General Balthasar Alexis Henri Antoine von Schauenburg (1748-1831) traf kurz darauf in Geudertheim ein und übernahm Schloss und Besitztum des Barons.

Eingang in den Reißlerhof8

Ludwigswinkel ist ein kleiner Ort, entstanden 1783 rund um den Reißlerhof, als der Landgraf Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt einen Erholungsort für seine Soldaten gründete. Dieser Hof wurde von den Erben des Hanau-Lichtenbergischen Zollpächter Hans Georg Schlick aus Fischbach nach seinem Tod 1745 auf dem von ihm 1722 erworbenen Grund erbaut und diente als zunächst als Forsthaus.

Der örtliche Amtmann Namens Hopffenblatt wollte von dem Hof aus jedoch die Ludwigswinkler Siedlungsgeschäfte leiten und so wurde ein Teil des Hofhauses entsprechend umgebaut und ausgestattet. Als Hofmann berief man Peter Röckel von der Martinshöhe, leider starb dieser im August 1784, es folgten zwei weitere Pächter, Georg Süß aus Fröschweiler und der Wiedertäufer Daniel Steiner.9

Ebenso errichtete man in den Jahren 1785/86 an der Stelle der örtlichen Mahlmühle einen Blechhammer.

Wetterunbilden der kleinen Eiszeit trafen aber auch hier die Pächter, im Jahre 1790 vernichteten Hagelunwetter und mehrere Überschwemmungen alle Feldfrüchte, eine Viehseuche raffte einen großen Teil der Herde dahin, daher konnten die Pächter die bereits ermäßigten Abgaben nicht mehr entrichten und mussten den Hof verlassen.

Am 6. April 1790 verstarb Landgraf Ludwig, so wurden die Pachtverträge zwei Jahre später neu geordnet, das Gut für eine neunjährige Lehne ausgeschrieben.

Baron Ludwig Samuel von Gottesheim und sein Schwager, der Herr von Mauroy, bewarben sich um das Lehen9 , mussten jedoch schnell einsehen, dass das für zwei Familien zu klein war, daher übernahm der Baron das Anwesen 1793 allein und verlor so den Rest seines Vermögens.

Der Witwer ehelichte Maria Eva Nagel und zeugte mit ihr die mir bekannten Kinder Maria Anna Sophie (1798-1817), Jacob Christian Friedrich Ludwig (1802-1872) und Philipp Georg Heinrich Ludwig (1814).

Die Französischen Revolution erreichte bereits 1792 Ludwigswinkel, alle linksrheinischen Gebiete, auch das Amt Lemberg samt Ludwigswinkel fielen im Jahre 1794 bis 1804 an Frankreich und wurden nach 1804 Teil des Napoleonischen Kaiserreichs.

Der Baron führte das Hofgut „wie ein Taglöhner“ und war gezwungen, in der Hoffnung auf bessere Zeiten, nach und nach 3000 fl. Schulden anzuhäufen. In Folge der politischen Entwicklungen wandte er sich 1804 nach Baden, und bat in einem Brief vom 23. Oktober 1804 um Unterstützung, da er ohne jedes Vermögen, welches er 1793 verlor, erhebliche Schulden machen musste und nun von seinen Gläubigern angegriffen wurde.11

Tochter Wilhelmina Henriette Baronesse von Gottesheim heiratet vor 1803 den Schneidermeister Philipp Heinrich Lüttig (1773-1830), Sohn des Philipp Heinrich Ludig (1736-1785), einem Dreher, und der Marie Eva Andreß (um *1738) aus Vinningen. Ihre Herkunft spielte nun keine Rolle mehr, die Familie war arm und musste wie Jedermann um ihr Auskommen kämpfen, Standesdünkel waren fehl am Platz, das Schneiderhandwerk sorgte für eine Mahlzeit auf dem Tisch.

Geburtseintrag von Philipp Heinrich Lüttig 177312

Wo die Eheschließung statt fand, entzieht sich noch meiner Kenntnis, die Familie wanderte stark, Peter kam 1803 in Weilerbach zur Welt, Mariana 1805 in Strasbourg, Sophia Margaretha 1807 in Langmühle, Katharina Magdalena 1809 in Pirmasens. Ob es am Beruf des Vaters lag oder an den Verhältnissen der damaligen Zeit, wir wissen es nicht.

Fakt ist, 1811 wird die Familie in Alt Montal, Taurien in der Revisionsliste erfasst:

Nr. 46 Littig, Phillip 37, aus Lemberg/Pirmasens-Pf, seine Frau Hendrietta 26, seine Töchter Mariana 8, Magaretha 5 und Catharina 2. Wirtschaft: 6 Pferde, 10 Rinder, 1 Pflug, 1 Egge, 1 Wage und 1 Spinnrad.

Als die die französischen Revolutionsgarden 1815 den Wasgau einnahmen, verstaatlichten sie die Hofsiedlung. Die Familie von Gottesheim war wieder auf der Flucht, wo der Baron starb, ist mir nicht bekannt. Sein oben erwähnter Cousin Friedrich Heinrich (1749-1808) starb in Prag. Die Nachkommen unternahmen ab 1910 noch einmal den Versuch, den Titel eines Freiherren zu führen, was ihnen jedoch verwehrt wurde.13

Nachkommen der Auswanderer in die Molotschna leben heute in Deutschland, Russland und Canada.

„Do hot die Grommer awer rechd gehatt!“

Vorfahren von Wilhelmina Henriette Baronesse von Gottesheim (1782-1844), Spitzenahn Clauss Edler von Gottesberg (um 1300)

1 Kirchenbuch Molotschna 1844

2 Gritzner, Maximilian [Bearb.]; Siebmacher, Johann [Begr.] J. Siebmacher’s großes und allgemeines Wappenbuch: in einer neuen, vollständig geordneten u. reich verm. Aufl. mit heraldischen und historisch-genealogischen Erläuterungen (Band 2,10): Der Adel des Elsass — Nürnberg, 1871, p 10., Tafel 12

3 Das Eigenthum in Hagenau im Elsass, von Franz Batt, Zweiter Theil: Die Burglehen und, beiläufig, das etichonische Besitzthum in der Umgegend. Colmar, Buchdruckerei und Lithographie von M. Hoffmann 1881, p. 579ff

4 Le château du général baron de Schauenburg à Geudertheim. M. Bertola 1799, Museum der Stadt Straßburg, Kupferstichkabinett, public domain

Im Vordergrund der Baron (mit dem Gesicht zum Betrachter stehend), die Frauen sind Mitglieder seiner Familie, der Zeichner Bertola (sitzend) auf dem Stuhl.

5 Geschichte der Fremd-Truppen im Dienste Frankreichs, von ihrer Entstehung bis auf unsere Tage, sowie aller jener Regimenter, welche in den eroberten Ländern unter der ersten Republik und dem Kaiserreiche ausgehoben wurden: (in zwei Bänden, mit Kupfern). Von Eugène Fieffé. Deutsch von F. Symon de Carneville, München Deschler 1857, Bd. 1, p.460

6 Archives d´ Alsace, Geudertheim, Registre de baptêmes 1736-1777 – 3 E 155/3

6.1 Registre de baptêmes 1777-1787 – 3 E 155/4

7 „Brennende Schlösser in den Weinbergen des Mâconnais im Juli 1789“ in: Rolf E. Reichardt, Das Blut der Freiheit. Französische Revolution und demokratische Kultur, Frankfurt am Main 1998, S. 30 ff.; zusammenfassend ebenda das Kapitel „Die Bauernrevolution im Überblick“, S. 54 ff.

8 Xaart – Eigenes Werk, Eingang des Reißlerhofs, CC BY-SA 4.0, 7. Januar 2019

9 Reislerhof als Wiege der Gemeinde Ludwigswinkel, veröffentlicht in: Die RHEINPFALZ vom 24. September 2005 © Lilo Hagen

10 Darstellung des Feldzuges der Verbündeten gegen Napoleon Bonaparte im Jahre 1815 : mit dem Plane der Schlachten bei Ligny und Belle Alliance, Henke, Adolph, Erlangen bei J. J.Palm und Ernst Enke, 1816

11 Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, 233 Badisches Staatsministerium Nr. 844, Dokument in Kopie mir vorliegend

12 Kirchenbuch Vinningen, Mischbuch 1760-1798

13 Gottesheim, von, Familie, Nichtberechtigung zu Führung des freiherrlichen Titels, AT-OeStA/AVA Adel HAA AR 302.8, Laufzeit 1910-1951

14 Illustrierte Elsässische Rundschau, gegr. durch Carl Spindler, Bd. XV, 1. Januar 1913, Strasbourg, p.105

Autor, Recherche, Ahnentafel :

Jutta Rzadkowski, 23.07.2023

ppt-Präsentation vom 4.5.2024 für den Taurien e.V. erstellt

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Freÿtag – von Ostpreußen nach Brandenburg

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I. Die ersten Freÿtag, die zum derzeitigen Zeitpunkt urkundlich gesichert sind, waren meine Vorfahren Heinrich Christian, vermutlich etwa 1810 geboren und seine Ehefrau Julianna „Julie“ geborene Kaiser. Julie starb wenige Monate nach der Geburt ihres fünften Kindes an der Schwindsucht in Plonchau (Plachawy) bei Gilgenburg (Dabrówno), Kreis Osterode (Ostróda).

Julie´s Sterbeeintrag

Ob Christian der Sohn des Zimmergesellen Gott. Freÿtag und seiner Frau Charlotte aus Klinthenen bei Gerdauen war, ist im Moment eine Spekulation, deren Sohn wurde am 3. Dezember 1810 geboren.  Unser Vorfahr war Tischler, so kann man annehmen, das wir hier den richtigen gefunden haben, jedoch fehlen bislang weitere Beweise.

Christian Freytag 1810

Auch Julie´s Vorfahren sind noch nicht geklärt. In Plonchau starb 1848 der Altsitzer Christian Kaiser im Alter von 84 Jahre, vielleicht ihr Vater.

Zwei Söhne und drei Töchter wurden geboren, Johann Carl, Charlotte, Ernestine und Christian in Kernsdorf, Elisabeth in Plonchau.

Kernsdorf (Wysoka Wies) ist Teil der Landschaft von den Kernsdorfer Höhen im Westen bis zu den Seesker Höhen (Szeskie Wzgorza), bekannt als Masuren. Hier lebten seit der Reformation vor allem protestantische Bauer, Fischer und Waldarbeiter

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II Christian Freÿtag, geboren am 26. Januar 1843 heiratete Auguste Emilie Neufang aus Döhlau am 27. September 1871 in Guttstadt (Dobre Misato). Ihre Eltern waren Friedrich Wilhelm Louis Neufang aus Königsberg und Anne Rosine Lettau, die in Paresken lebten.

Von Christian wissen wir, das er ein Arbeitsmann war und aus dem als Invalide zurück kehrte. Er wurde dann bis zu seinem Ruhestand Kasernenwärter. Das waren zumeist Unteroffiziere, aber auch altgediente Soldaten, welche zwar invalide waren, aber zur Bewachung der Kasernen und der weiblichen Insassen (Soldatenfrauen, welche z.B. die Wäsche wuschen) eingesetzt werden konnten. Der Kriegsminister bestätigte die Stellung als Aufseher.

Beide hatten vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter, sie kamen in Sternberg (Stryjkowo) zur Welt.

alte Postkarte von Guttstadt3

Guttstadt liegt im Ermland, die Bevölkerung war im 17. Jhd. bodenständig deutsch, aber überwiegend katholisch.

Die Nachfahren der Ansiedler aus Niederschlesien bewahrten ihre Mundart, sodass in Guttstadt bis 1945 eine niederschlesische Sprachinsel existierte.

Der Name leitete sich von prußisch „gudde“ Gebüsch ab.

Christian und Auguste kamen mit ihrer Familie nach Potsdam. In der Gardes du Corps Kaserne betrieb Auguste die Kantine, er war Kasernenwärter und unterstützte seine Frau. Eben in jener Kaserne, in der auch mein Urgroßvater Wilhelm Seifert Sattler war.

Sohn Gustav wurde Schutzpolizist in Berlin und mit dem Aufbau der Kriminalpolizei wurde er dort Kriminalbeamter. Über einen weiteren Sohn wissen wir sehr wenig, er war zweimal verheiratet, eine Ehefrau hieß Hedwig. Tochter Anna (1882-1953) heiratete 1905 in Potsdam den Schutzmann Franz Carl Ferdinand Plack (1876-1948). Bereits 1914 führten beide eine Milch – und Backwarenhandlung in Berlin, Schönhauser Allee 52, Parterre. Dieses Geschäft ging 1933 an Margarethe Leu über, warum, ist nicht geklärt. Nach den Bombenangriffen auf Berlin versank der Stadtteil in Schutt und Asche, Oma erzählte dazu:

„Da, wo die U-Bahn nach oben kommt und zur S-Bahn wird, dort hatten sie ein Lebensmittelgeschäft und waren wohlhabend. Tante Anna kam oft nach Potsdam und ins Kaufhaus Hirsch, wo Tante Trudchen auch gearbeitet hat, bevor sie zur WMF ging. Ihre Chefin sagte oft: Das ist aber eine fesche Frau, so elegant und chic.
Nach dem Krieg bin ich mit Opa einige Male in der Schönhauser Allee gewesen und wir haben geschaut, wo sie gewohnt haben usw., aber dort war eine Bombe runter gegangen und nur noch Trümmer.“

Meine Anfrage beim DRK ergab nichts, sie waren in keiner dort bekannten Liste erfasst. Erst Jahre später konnte ich ihren Verbleib recherchieren.

Sohn Heinrich Johann, ebenfalls bei der Polizei – zu Pferde – war Gendarm im Elsass, ehe er nach Potsdam kam.

Auguste starb am 4. August 1931 in Potsdam, sie wohnten damals in der Zimmerstraße 13. Ihr Mann Christian zog nach Berlin zu seinem Sohn Gustav und starb dort am 1. Februar 1932 in der Wichertstraße 33.

III Heinrich Johann Freitag wurde am 9. November 1878 in Sternberg geboren. Er lernte nach Oma´s Erzählungen ihre Mutter Marie Geckle in einer Gaststube in Karlsruhe kennen, in der sie zu diesem Zeitpunkt als Hauswirtschafterin, Zimmermädchen und Kindermädchen arbeitete. Sie hatte schon in jungen Jahren als Zimmermädchen gearbeitet, in Pensionen in Bernbach und im Hotel „Kull“ in Herrenalb, welches ihre Verwandte betrieben und später verkauften. Man kennt es heute als „Hotel Kull von Schmidsfelden“, zunächst war es aber noch die Villa Kull, an die man etwa 1912 einen großen Speisesaal angebaut hatte und den Dachstuhl erweiterte. Zur Annehmlichkeit des „Hotel Kull“ gehörte ab 1913 eine Zentralheizung, da man so den Gästen ganzjährig Komfort bieten konnte.

Zur Zeit des Kennenlernens soll er beim Militär in Karlsruhe stationiert gewesen sein. Das ist im Moment eine ungeprüfte Familiengeschichte. Zu diesem Zeitpunkt war Karlsruhe Standort des XIV. Armee Korps, 6. Kavalleriedivision, Brigade: 28. Kavallerie Brigade, 1. Badisches Leib-Dragoner Regiment Nr. 20; Kavallerie – Dragoner und Ersatz- Eskadron.

So sagen uns die Uniformteile, drei Winkeltressen auf dem Ärmel  stehen für einen Feldwebel, er trägt eine Offiziersseitenwaffe ( Säbel ) mit Portepee und Offiziersknöpfe, sowie Offizierskokarde an der Kopfbedeckung, Sergeantenknopf mit aufgeprägtem Landeswappen am Kragenrand.

Wer hier Korrekturen anbringen möchte, sollte mir schreiben, da jede Wissenserweiterung ein Gewinn wäre.

Regimentsmusik des Badener Leib-Grenadier Regiments um 1900 unter Leitung des Königlichen Musikdirektors A. Böttge5

Das Leibdragonerdenkmal in Karlsruhe, hinten die Christuskirche6
Das Badische Regiment hatte damals ebenfalls eine Pickelhaube. Hier eine Offizierspickelhaube des  Leib-Dragoner Regiment Nr. 20 um 1900

DU STIRBST – BESITZ STIRBT

DIE SIPPEN STERBEN.

EINZIG LEBT – WIR WISSEN ES –

DER TOTEN TATENRUHM.

Edda, 76. Strophe der Hávamá

Marie wurde am 23. April 1881 in Bernbach geboren, beide hatten am 10. Juli 1909 in Bischweiler geheiratet. Hier war Ihr Mann, gemeinsam mit Oskar Heinemeyer, der ihre Schwester Frieda heiratete, bei der Gendarmerie. Leider war das Leben im Elsass nur von kurzer Dauer. Oma erzählte immer ganz stolz, dass sie dort noch Laufen lernte. Sie kam als zweites Kind der beiden zur Welt, ihre Schwester „Trudchen“ war sechs Jahre älter, sie wurde am 29. April 1910 in Potsdam geboren, ebenso wie Oma und wurde 90 Jahre alt.

Wie Frau und Kinder den ersten Weltkrieg erlebten, erzähle ich in der Geschichte vom Steckrübenwinter.

Mit dem Waffenstillstand am 11. November 1918 diktierten die Franzosen den Deutschen die Bedingungen, unter anderem hatten sie sämtliche besetzten Gebiete sowie das Reichsland Elsass-Lothringen binnen 15 Tagen zu räumen. Am 15. November 1918 wurden die deutschen Gendarmen ihres Dienstes enthoben und entwaffnet, unter Verlust ihrer Ansprüche aus dem Dienst und mit jeweils nur 15 Pfund Gepäck mussten sie das Land verlassen.

Schutzmann in Berlin4

In Deutschland angekommen, wurde Heinrich Johann Polizeiwachtmeister in Potsdam, sein Bruder Gustav war bereits 1911 in Berlin bei der Polizei, sodass anzunehmen ist, er half ihm und dem Schwager nach der Flucht aus dem Elsass, schnell wieder eine Stelle zu finden.

Das gemeinsame Leben nach dem Kriegsende währte nur sehr kurz, da Heinrich Johann bereits am 8. Januar 1919 an den Folgen der damals grassierenden Grippewelle starb.

Marie, die nun für zwei Kinder zu sorgen hatte, kam mit der geringen Pension kaum zurecht, weil diese durch die Flucht aus dem Elsass um viele Ansprüche verringert war. Sie hatte oft nächtelang „Jumper“ gestrickt, gehäkelt und verkauft, um ein wenig die Haushaltskasse aufzubessern, doch irgendwann merkte sie, es war besser, ihrer Schwester Frieda und Schwager Oskar, die beide keine Kinder hatten, das „Irmchen“ mitzugeben, da sie es bei den beiden viel besser haben würde. Oskar war Gendarm in Philippstal und Sputendorf, unweit von Potsdam. Sie konnte so ihre Tochter regelmäßig sehen, selbst arbeiten und sie gut versorgt wissen.

“ Ur-Oma erzählte oft von ihrer Heimat, dass die Winter kalt und so schneereich waren, dass sie mit Ski oder Schneeschuhen aus der Dachluke mussten, so hoch lag der Schnee. Sie war durch ihre Heirat nach Potsdam gekommen und immer viel krank mit den Bronchien, weil sie die feuchte Luft in der wasserreichen Potsdamer Umgebung nicht vertrug und so oft sie konnte, in ihren geliebten Schwarzwald fuhr.“

Erinnering meiner Mutter, ihrer Enkelin

Marie wohnte in der Sigismundstrasse 10c in Potsdam und hatte ihre Tochter „Irmi“ bald wieder um sich, als diese zur höheren Handelsschule ging. Nach dem diese heiratete, wohnten die ganze Familie zusammen und sie hatte ihre beiden Enkelkinder um sich, mit der Enkelin teilte sie sich das Zimmer und erzählte ihr abends zum Einschlafen viele Geschichten:

„In dieser Kaserne hatten seine (von Opa Freitag) Eltern eine kleine Kantine und wir hatten noch bis 1961 eine Kaffee-Tasse von dort. Sie war irre dickwandig. In der schlechten Zeit, nach dem Krieg, 1945-49, hat Oma darin immer „Hefepaste“, ein selbst hergestellter, sehr gut schmeckender Brotaufstrich, zum Abkühlen auf’s Küchenfenster gestellt. Es gab ja nichts und brauchte, wie heute auch fast, immer viel Fantasie, um etwas Essbares auf den Tisch zu bringen. Das waren dann, durch einen guten Tipp, auch mal abgehackte (mit Huf und Fell), Rinderbeine von den Russen. Aber Ur-Oma wurde auch damit fertig. Sie war eine wunderbare Köchin, mit vielen schmackhaften Rezepten aus ihrer schwäbischen-elsässischen Heimat. Von ihr habe ich gelernt, wie man z. B. Spätzle vom Brett schabt.“

Erinnering meiner Mutter, ihrer Enkelin

Im Alter von 76 Jahren starb Marie am 24. August 1957 im Kreise ihrer Familie in Potsdam.

Als Brandenburger kam meine Oma IV Irmgard Anna Frieda Freitag am 28. März 1916 in Potsdam zur Welt und starb ebenda mit 100 Jahren weniger 16 Tage.

Ihre Geschichte demnächst.


Familienarchiv
Wikipedia
1google 2009
2Wikimedia typisch masurisches Bauernhaus, 1930 – © Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive), Bild B 145 Bild-P017318
3 Wikipedia, Postkarte Guttstadt, David Lisbona from Haifa, Israel, CC by 2.0
4Berliner Illustrirte Zeitung, Ullstein & Co Berlin, 1914 aus meinem Privatbesitz
5Postkarte (ca. 9 x 14 cm) mit schwarz/weiß-Photographie der Regimentsmusik des 1. Badischen Leib-Grenadier-Regiments Nr. 109 mit Musikdirektor Boettge. Die Gruppenaufnahme zeigt die Musiker in Uniform mit ihren Instrumenten, darunter dem Schellenbaum in der Bildmitte. die Postkarte ist laut Anbieter 1902 gelaufen); aufgenommen zwischen 1. Mai und 1. Oktober (da weiße Hosen), Lizenz: da über 100 Jahre alt und Urheber nicht ermittelbar, frei von Urheberrecht, Fundstück von ebay und Karlsruhe-wiki
6Wikipedia: Das Leibdragonerdenkmal, hinten die Christuskirche, Ikar.us, 2008, CC by 2.5

Deutsche Kolonisten

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