Zur Erinnerung an unsere Vorfahren, die als Migranten aus Süddeutschland in die Welt zogen

Schlagwort: Geschichte

Geschichte

Alexander Weiz

Einführung

Liebe Leserinnen und Leser!

„ Die Geschichte schreibt nicht ein Land, die Geschichte schreibt die ganze Welt.“

Die Erkenntnisse der Weltgeschichte sind wichtige Ereignisse für alle Menschen. Wer etwas auf unserer Welt erläutern und verstehen will, muss seine eigene und fremde Geschichte kennen. Das Zeitalter der deutschen Geschichte bis zum heutigen Tag teilt sich in gute und schlechte Geschichten auf. Man muss sie nur lesen und studieren um sie zu verstehen. Das ist der Grundbegriff um in verschiedene Zeiten einzutauchen und sie richtig zu verstehen. Die Deutschen haben eine andere Geschichte als die Russen oder die anderen europäischen
Länder, so auch alle Auswanderer aus verschiedenen Ländern der Welt, die eigene Sprache, Religion, Sitten und Bräuchen die sie mitgebracht haben aus ihrem Vaterland. Die Auswanderungsgeschichte bei den Deutsche nach Russland fing vor langer Zeit an. Es ist ein Einblick in die Geschichte der Russlanddeutschen im laufe der Jahrhunderte. Diese Geschichte soll für alle Wissensdurstigen ein steter Begleiter sein.

Die Geschichte der deutschen Auswanderer nach Russland

Erster Teil

Einleitungsspruch: „ Jeder Mensch hat eine Heimat und soll das Fleckchen Erde, wo er geboren ist, in Liebe und Ehren halten.“ (Julius Wolf, deutscher Schriftsteller)

Die Geschichte der deutschen Auswanderer auf einen Blick zu bringen ist nicht so leicht wie man denkt.

Die Chronologie der deutschen Auswanderer

Der erste Kontakt der Deutschen mit den Russen war damals im „Kiewer-Rus“ – dem ersten russischen Staates im Jahr 962, bittet die Großfürstin Olga von Kiew – Rus den großen König von Deutschland Otto I um die Entsendung christlicher Missionare. So war der erste Kontakt zwischen den beiden Ländern hergestellt. Otto der Große entsandte den Mönch Adalbert aus dem Kloster St. Maximen bei Trier befehlsmäßig nach Kiew. Nach einem Jahr schon kehrte der Mönch unverrichtet zurück. Die Kiewer-Rus bevorzugten Byzanz, die griechische Orthodoxie.

Die Christianisierung begann im Jahr 988. Bevor der Fürst Wladimir sein Haupt über das Taufbecken beugte im Jahr 988, lies er sich die Hand von Anna , der Tochter des byziantischen Kaisers, versprechen. Nach ihrem Tod ehelichte er die Tochter des deutschen Grafen Kuno von Enningen. Nachkommen des deutschen Adels sollten in späteren Jahrhunderten immer eine wichtige Rolle am Hof des Zaren spielen.

Im Jahr 1198 wurde die russische Stadt Nowgorod Weliki zu den Zentren in den sich die deutschen und russischen Kaufleute trafen und handelten. Da die deutschen Siedler die Sprache ihrer slawischen Nachbarn nicht verstanden, konnten sie mit ihnen auch nicht sprechen. Daher nannten die Russen die deutschen Neusiedler „Nemye“ – die Stummen. Daraus entstand auch das Wort „nemzy“ – die Deutschen.

Nach der Einführung des Christentums im Kiewer-Rus, Im Jahr 988, kamen immer mehr Deutsche nach Kiew und Umgebung. Im 11. Jahrhundert begann eine große Auswanderung aus Deutschland nach Baltikum – dem heutigen Litauen, Lettland und Estland. Ganz anders (als selbst) war Kiew und seine Umgebung der selbständige Nowgorod der damaligen Zeit. Die ausländische Minderheit konnte sich ein eigenes Stadtviertel errichten. Die deutschen Kaufleute und Handwerker bewohnten den „Peterhof“ um die deutsche St. Petrikirche. Die Geschäfte entwickelten sich prächtig, Kaviar, Pelze, Hanf, Speck, Walrosszähne und Fische erzielten gute Preise in den deutschen Städten. Die russischen Fürsten und die reichen Kaufleute deckten sich dafür mit erlesenen Weinen, Tüchern, Eisenwaren, Gold – und Silberschmuck ein. Zwischen Deutschland und Russland gab es eine lange Auswanderungspause.

Der Zar Ivan III (1440 – 1505) empfahl ausländischen Baumeistern, wie Italiener und Deutschen, sich in Moskau niederzulassen und die Stadt, die durch einen Brand zerstört wurde, wieder aufzubauen und um Inspirationen zu liefern, sowie in den Städten Wladimir, Rostow und Jaroslawl. Ivan III war der erste der sich „Herrscher der ganzen Rus“ und Großfürst von Moskau nannte, dass in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zur Hauptstadt des einheitlichen russischen Staates geworden ist, mit dem Anspruch auf das „Vatererbe“ des ganzen Kiewer Reichs, bei Moskau die „Nemezkaja Sloboda“ ( deutsches Stadtviertel).

Als Ivan IV der schreckliche 1547 in Moskau zum Zaren gekürt wurde, erstreckte sich sein Reich im Norden über Nowgorod bis zum Eismeer. Im Osten dehnte sich sein Reich bis Sibirien aus. In seiner Regierungszeit kamen viele Kaufleute, Fachleute vor allem Handwerker aus Deutschland und ließen sich nieder.
Die ersten Gemeinden gab es bereits schon im 16. Jahrhundert. Mit dem Bau der St. Michaels Kirche war die Lutherische Kirche in Moskau angekommen. In der Zeit der Herrschaft des Peters I., des Großen, begann eine organisierte Einwanderung der deutschen nach Russland. Der russische Zar war ein großer Reformator, er eröffnete für Russland die Tore nach Europa. Er wollte das Land nach dem westlichen Muster umgestalten. Dafür benötigte er deutsche Wissenschaftler, Baumeister, Ingenieure, Künstler, Ärzte, Pädagogen und Militärs.
In einem Manifest rief er Ausländer auf, insbesondere die Deutschen, in sein Land zu kommen.

Zweiter Teil

Die große deutsche Auswanderung nach Russland

Sprichwort: „ Jedes Volk schreibt seine eigene Geschichte“.

Eine Deutsche wird Zarin in Russland

Woher kam die deutsche Zarin nach Russland und wo wurde sie geboren?

Die zukünftige Zarin Russlands wurde am 21. April 1729 im Stettin, Pommern geboren und nach ihren drei Tanten auf den Namen Sofia Augusta Frederika evangelisch – lutherisch getauft. Ihre Mutter war die Fürstin Johanna Elisabeth von Holstein – Gottrop, durch sie war Katharina ein Cousine Peters. Ihr Vater war Christian August, Fürst von Anhalt – Zerbst in Mitteldeutschland, Generalmajor in
Fredericks Heer. Die Regierungszeit von Elisabeth Zarin von Russland war von 1741 bis 1762. Die Tochter von Peter I dem Großen und Katharina I, die Mutter von Sophia ( Katharina II) wurde am 1. Januar 1744 von der Zarin Elisabeth in den russischen Hof eingeladen. Am 21. April 1744 war Katharina II endlich in der Lage in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Am 28. Juni 1744 unterzog sich Sophia (Katharina II) mit beeindruckender Frömmigkeit der Zeremonie des Übertritts zum orthodoxen Glauben, von da an hieß sie Katharina. Am nächsten Morgen wurde sie in der großen Kathedrale Uspenski Sobor feierlich mit dem
Großherzog Peter III verlobt. Nach vierzehn Monaten Kennlernzeit wurden sie am 21. August 1745 in St. Petersburg getraut, die Eheschließung war für die Zarin nur aus politischen Gründen geschlossen worden. Elisabeth hat ihren Neffen, den Herzog Peter von Holstein – Gottrop adoptiert und als Peter III zu ihrem Nachfolger ernannt, Katharina ist auch mit ihr verwandt. Alle die Katharina sahen waren sehr von ihrer taktvollen Bescheidenheit, sogar Peter begann sie zu lieben. Am 10. Oktober reiste Katharinas Mutter ab. Peter war siebzehn und Katharina sechzehn. Peter III wandte sich bald anderen Frauen zu. Am 5. Januar 1762 verstarb die Kaiserin Elisabeth und Peter bestieg ohne offene Opposition den Thron. Die Macht und der Alkohol stiegen dem Zar mächtig zu Kopf, er behandelte Katharina mit hemmungsloser Grobheit und scheute sich nicht davor, sie in der Öffentlichkeit eine Närrin zu nennen. Die Kaiserin befand sich in einer schrecklichen Lage und wurde mit ausgesprochener Verachtung behandelt. Plötzlich stellte Peter fest, dass er trotz seiner kühnen und bemerkenswerten Reformen unbeliebt war. Die Armee hasste ihn wie einen Verräter und der Hof lachte ihn aus wie einen Narren. Peter III. wollte Katharina I. vom Thron stoßen und sie durch Elisabetha Woronsowa ersetzen. In St. Petersburg und Umgebung hatte Katharina viele Anhänger. Sie war beliebt bei der Armee, am Hof und auch beim Volk. Als Zarin Katharina II (1762 – 1796) die Regierung übernahm war das untere Wolgagebiet weitgehend Menschenleer. In dieser Zeit tobte in Deutschland der 7 Jährige Krieg (1756 – 1763).

Auswanderungsgründe der Deutschen nach Russland

Welche Gründe trieben damals die Deutschen nach Russland?

Der erste Grund war die Politik. Der Hauptgrund für die ersten Auswanderungen, besonders aus Hessen, in das Wolgagebiet war der 7-Jährige Krieg ( 1756 – 1763), der eng verflochten war mit dem englisch – französischen Krieg, dabei wurde Hessen besonders stark in Mitleidenschaft gezogen. Es ist klar, dass diese politische Verhältnisse auch wirtschaftliche Notstände herauf beschworen. In
Hessen war vor allem in Vogelsberg und Odenwald die Not besonders groß.
Einer der Gründe war der Wildschaden, dazu kam noch die Unfruchtbarkeit des Bodens, die hohen Pachten, Zinsen und die Fronen. Die Ernteerträge reichten nicht aus um die fürstlichen Pacht – und Zinsgelder davon zu bezahlen. Man musste einen Teil seines Landes verkaufen. Der Mangel an Weiden brachte einen schlechten Zustand des Viehbestandes. Die Menschen lebten, in Hessen, im Gebiet Vogelsberg in bitterer Armut. So musste es in ihren Ohren wie eine Verheißung geklungen haben als die russische Zarin Katharina II. in einem am 22. Juli 1763 erlassenen Manifest jedem Ausländer, der sich auf unbewohnten Landstrich ihres Reiches ansiedeln wollte, eine kostenlose Reise zum Bestimmungsort, eigenes Land, Vieh und verlockende Vorrechte so wie 30 Jahre Steuerfreiheit und Befreiung vom Militärdienst versprach.

Das Manifest klang so: „ Ich Katharina II Zarin und Selbstherrscherin von Russland, habe heute ein Manifest unterschrieben. Da in Russland viele Gebiete unbewohnt sind und Gott mir diese Gebiete zu verwalten gab, befehle ich von heute an allen Ausländern, sich in diesen Gebieten frei nach Wahl niederzulassen, sie werden alle in Russland ohne Verzögerung aufgenommen.“

Dieser Aufruf wurde in allen europäischen Staaten verteilt, ein durchschlagender Erfolg war aber nur in Deutschland. Die Planmäßige Ansiedlung, besonders von Landwirten oder auch einigen Handwerkern, erstreckte sich über den Zeitraum von 1763 bis 1862. Kleinere Gruppen kamen später. Das Hauptsiedlungsziel war im Wolgagebiet. Fast ein Jahrhundert lang strömten die deutschen Menschen in das große russische Reich und ließen sich in mehr oder weniger geschlossenen Siedlungsgebieten an der Wolga, bei Petersburg, im Schwarzmeergebiet und dem Südkaukasus nieder.

Deutsche gab es schon lange, vor der großen Einwanderung, in Russland.
Ende des 17. Jahrhunderts gab es in der Nemezkaja Sloboda zwei protestantische, eine holländische und eine katholische Kirche alle mit eigenen Kirchengemeinden.
Es gab drei Märkte, Verkaufsstände für russische und ausländische Waren und sogar deutsche Kneipen und einen „deutschen Friedhof“.

Hoch willkommen waren damals in der Regierungszeit der Kaiserin Katharina II die Siedler aus Deutschland, sie brauchten keine Steuern an das Reich bezahlen.
Was die Sitten und Bräuche jedes Volkes anging, so durften sie nach den Traditionen ihrer Ahnen leben. Das Wolgagebiet mit der Katharinenstadt soll den Deutschen gehören.

Aus vielen Teilen Deutschlands, vor allem aus Hessen, strömten Freiwillige zusammen. Die Ausreise erfolgte in wochenlanger Schiffsreise auf dem Seeweg über die Nord- und Ostsee zur Kronenstadt und St. Petersburg, hier wurden die Auswanderer mit neuer Kleidung ausgestattet und leisteten den Treueschwur auf die russische Krone. Weiter ging dann die Reise an die untere Wolga, die Bedingungen wurden nicht vorhergesehen. Die deutschen Auswanderern traf ein schweres Schicksal in der damaligen Zeit.

Was gab die Kaiserin Katharina II den deutschen Auswanderern:
  • Freie Lebens – und Entfaltungsmöglichkeiten
  • Befreiung vom Militärdienst „auf ewige Zeit“
  • Angebot von Land, fast unbegrenzte Landankaufmöglichkeit, Steuerfreiheit
  • Freie Gemeindeverwaltung
  • Volle Freiheit auf religiösem Gebiet


Das war damals Grund genug der Heimat den Rücken zu kehren und sich in der Ferne eine neue und bessere Heimat zu suchen. Die Zarenregierung entsandte zu dieser Zeit ihre Anwerber, nach Deutschland und in einige andere europäische Länder, die den Leuten den Himmel auf Erden versprachen. Es gab auch Privatkommissare die sich mit dem Anwerben befassten. Das Manifest der Zarin
Katharina II von Russland wurde in allen europäischen Ländern verteilt, ein durchschlagender Erfolg war es in Deutschland. Die meisten Auswanderer kamen zwischen 1763 und 1769 ins Wolgagebiet aus Hessen und den Rheinlanden aber auch, wenn in geringerer Anzahl aus Württemberg, Elsass, Lothringen, Tirol, Bayern, Pfalz, Westfalen, Hannover, Holstein, Mecklenburg, Sachsen, Schlesien und Böhmen. Einige wenige schlossen sich aus Dänemark, Schweden, Frankreich und der Schweiz an.

Der Baron de Beauregard aus Neuenburg, Schweiz, verpflichtete sich 3000 Kolonisten aus der Schweiz zusammen zubringen, tatsächlich wurden auch dem russischen Agenten in Basel, in den Jahren 1766 bis 1772, über 1000 Schweizer zugeführt. Das Hauptziel war das Wolgagebiet. Ein Teil wurde aber abgeworben und gründete Kolonien bei Petersburg und die Belowescher Kolonien bei Tschernigow.

In Deutschland wurde in verschiedenen Städten Werbebüros und Sammelpunkte eingerichtet, wie in Roßlau, Lübeck, Büdingen, Nürnberg – Wöhrd, Ulm, Regensburg, Frankfurt am Main und so weiter. Von den Sammelpunkten aus zogen die Angeworbenen unter Führung der Werbeagenten nach Lübeck oder Danzig, von wo aus sie auf Schiffen nach Russland fuhren. Die Ausreise erfolgte in wochenlanger Schiffsreise auf dem Seeweg über die Nord- und Ostsee zur Kronenstadt und nach St. Petersburg. Wegen des Schiffsmangels aus Russland wurde die Mehrzahl an Lutheranern und eine geringe Anzahl von Katholiken zusammen eingeschifft.

Am Ufer der Kronenstadt stiegen alle Einwanderer aus. Hier wurden sie mit neuer Kleidung ausgestattet und leisteten den Treueeid auf die russische Krone. Im Hochsommer 1764 ließ man die Ausländer im Park von Oranienbaum antreten und die Zarin Katharina II verbeugte sich tief und segnete alle Einwanderer und sagte: „Hoch willkommen seid ihr alle in unserem Land und seid herzlich aufgenommen. Das Wolgagebiet mit Katharinenstadt soll euch gehören.“

Die Reise an die untere Wolga erfolgte dann in Etappen. Ein Gedicht von den
Kolonisten aus der damaligen Zeit:

Alle wurden Kolonisten,
Jäger, Künstler, Bauern, Fürsten,
Gründeten ein neues Reich,
Schweden, Deutsche und Franzosen
wurden Brüder – alle gleich.

„Heimat, oh Heimat! Heimat wie bist du schön.“ ( über die neue Heimat Wolga).

Der Mensch kann sich sein Schicksal nicht aussuchen, er wählt den Weg den er geht, der ihn dann zu seinem Schicksal führt. So waren damals auch alle deutschen Auswanderer gewesen die diesen Weg nahmen. In den Gründerjahren Wolgas Kolonien, mir den Missernten und den Nomadenüberfällen, forderte den deutschen Siedlern zahlreiche Opfer ab. Am Rand des russischen Landes gab es damals des öfteren von den nomadischen Völkern, hauptsächlich die Kirgisen, Überfälle. In der Umgebung des Dorfes an der Wolga gab es Tataren, Mordwiener und Russen, diese waren den Siedlern von Anfang an nicht freundlich gesinnt.
Mit viel Gottvertrauen, Fleiß und Sparsamkeit konnten die Kolonisten diese harte Anfangszeit überwinden. Ein Sprichwort aus der Wolga lautet: „Den ersten den Tod, den Zweiten die Not, dem Dritten das Brot.“ Die Wolgadeutschen gründeten an der unteren Wolga eine geschlossene Siedlung, mit deutschen Schulen und Kirchengemeinden. Eine Dorfgemeinschaft zeichnet sich durch soziale Beziehungen ( Nachbarschaftsbeziehungen) aus. So lautet ein altes deutsches Sprichwort: „ Ein naher Nachbar ist besser als ein ferner Bruder.“

Soziale Kontrolle, feste Strukturen, Normen, Sitten, Brauchtum, Feste und Vereinswesen bis hin zu ländlicher Architektur, Bekleidung, Nahrung usw. Die Dorfgemeinschaft bei den Russlanddeutschen zeichnete sich durch ihre einzigartige deutsche Mundart aus. Jede Dorfgemeinschaft bestand aus einer bestimmten Anzahl von deutschen Kolonisten an einem bestimmten Ort. Jedes Dorf bekam ein Stück Land und wurde als Siedlung angelegt. Als die deutschen nach Russland zogen brachten sie die Familientraditionen ihres Vaterlandes mit
und ihren Glauben auch. Mit eigenen Händen haben sie an der Wolga schöne deutsche Dörfer aufgebaut. Diese Menschen besaßen keine hohe Bildung, dennoch waren sie meistens gute Geschäftsleute und wussten wie man wirtschaftet.

Die planmäßige Ansiedlung an der Wolga, nach dem Manifest von Katharina II, kam in Schwung. In der Niederlassungsperiode ( 1763 – 1769) war die Kultur in den ersten deutschen Kolonien, im Wolgagebiet, stark durch die Religion geprägt. Sie traf das schwerste Schicksal aller Auswanderer aus Deutschland. Es waren über 30 Jahre vergangen, die Menschen haben sich in dem fremden Land eingelebt und das Leben ging weiter. Es entstanden blühende deutsche Kolonien, im russischen Reich, in denen die Bewohner es dank ihres Fleißes zu einem beachtlichen Wohlstand brachten. Eine große Siedlung der Wolgadeutschen ist damals entstanden. Die deutschen Kolonisten an der Wolga lebten bedeutend besser und wohlhabender als die Bevölkerung in den benachbarten Dörfern. Der Grund dafür war vor allem der Fleiß und das Können der deutschen Bauern, die ihr Land viel besser und mit einer höheren Agrikultur bearbeiteten.

In der Regierungszeit Pauls I 1796 – 1801, Sohn von Katharina, durch einen
kaiserlichen Gnadenbrief wurden den deutschen Mennoniten Auswanderern ihre Privilegien schriftlich bestätigt und es folgten viele deutsche nach Russland. Die dritte große Auswanderungswelle der Deutschen nach Russland war das Manifest vom 18. November 1813 von dem Kaiser Alexander I, Enkel von Katharina II. In diesem Manifest wurden die Versprechungen und die Zusagen wiederholt und den Verhältnissen angepasst,die schon die Kaiserin Katharina II beider Ansiedlung der Wolgadeutschen und Alexander I bei der Besiedlung des Schwarzmeergebietes bis zum Südkaukasus gemacht haben. Alexander I gab einen Erlass heraus in dem das Ansiedeln in Polen Privilegien gab.

Die russische Regierung nahm die Kolonisten aus dem Herzogtum Warschau unter ihren besonderen Schutz und gewährt ihnen alle Rechte und Bequemlichkeiten, dazu kamen noch viele aus Württemberg. Der Südkaukasus war zu jenen Zeiten von den Russen erobert worden und es herrschte in Russland der Kaiser Alexander I, der für die religiöse Bewegungen und Empfindungen
viel Verständnis hatte. Der Anfang der Ansiedlung für die schwäbischen Kolonisten im Südkaukasus war schwer, da viele Bedingungen nicht vorgesehen wurden. Fast ein Jahrhundert lang strömten deutsche Menschen in das russische Reich und ließen sich in mehr oder weniger in geschlossenen Siedlungsgebieten an der Wolga, bei Petersburg, im Schwarzmeer und Südkaukasus nieder. In den Jahren 1764 bis 1880 legten die deutschen Auswanderer im russischen Reich insgesamt zehn deutsche Siedlungen an. Jede Siedlung umfasste mehrere Kolonien. Eine Kolonie kann man sich wie ein Dorf vorstellen. Die Kolonien lagen in den Verwaltungsbezirken Saratow, Samara, Petersburg, Jekaterinoslaw,
Cherson, Odessa, Wolhynien und im Kaukasus. Nach Wolhynien kamen die ersten deutschen Kolonisten bereits 1830, nach 1861 kamen mehr dazu, vor allem 1862 – 1864, und noch bis 1890 kamen immer neue Siedler aus russisch Polen, Galizien dazu. Im Jahr 1914 lebten über 200.000 Deutsche dort.

Auch in der Regierungszeit von Nikolaus I ( 1825 – 1855 ) emigrierten noch
Deutsche aus Deutschland. Am 28. Dezember 1832 mit dem Dekret von Kaiser Nikolaus I über die Gründung der evangelisch lutherischen Kirche in Russland wurde eine Generalsynode mit dem Oberkirchenrat in St. Petersburg und eine zweite Generalsynode in Moskau gegründet. Ein Herausgabe Verlag der Gottesbücher befand sich in St. Petersburg.

Die erste Phase der asiatischen Ausdehnung Russlands beginnt nach dem Krieg von 1828 – 1829 gegen Persien ( heute Iran) der zweite nach dem Krimkrieg 1853 – 1856, die dritte nach dem Krieg 1877 – 1878 bei der Regierungszeit Alexanders II ( 1855 – 1881). Der Grund dafür war, dass Asien als geographisch geopolitischer Hintergrund, Asien als Speicher der Volkskraft, Asien als Heimat eines geistig – politischen Stils. Nach der Niederlage im Krimkrieg 1853 – 1856. In dem ersten Jahr der Regierungszeit Alexander II (1855 – 81) verstärkte sich der großrussische Nationalismus. Dazu kam die zunehmende Entfremdung zwischen dem deutschen Reich und Russland. Die stetig zunehmende Zahl der Kolonisten und ihr wirtschaftlicher Erfolg zog den Neid der Nachbarvölker auf sich. Die russische Gesellschaft betrachtete die Entwicklung der deutschen Siedler zu dieser Zeit mit großer Sorge.

1871 führte Alexander II verschiedene Reformen durch, mit denen der Sonderstatus der deutschen Siedler aufgehoben wurde, zudem wurden 1871 die
Schwarzmeer und Wolgakolonien der allgemeinen russischen Verwaltung unterstellt. Im selben Jahr beginnt die Russifizierung: Aufhebung der Privilegien nach dem es eine Bewegung, so wie weitere Ausbreitung des Deutschtums in Russland gegeben hat. Nach 1871 wurden die Kolonisten der allgemeinen russischen Verwaltung unterstellt. Im Jahr 1874 kam die Einführung der Wehrpflicht für die Russlanddeutschen. Die Versuchung war groß, die Kolonisten als Sündenböcke für ungelöste Probleme der russischen Agrarpolitik von 1861 darzustellen, um so die sozialen Spannungen auf dem Land auf den Kampf gegen den nationalen Feind zu lenken. Die Deutschen galten nun als der innere Feind. Es wurde verboten die deutsche Sprache zu sprechen oder auf deutsch zu unterrichten, Versammlungen von Russlanddeutschen wurden verboten, Unternehmen mit deutscher Beteiligung wurden aufgelöst, die deutsche Presse wurde verboten und alle deutschen Ortsnamen wurden in russische umbenannt.
Es begann eine Große Emigration nach Brasilien, Argentinien und Nordamerika. 1873 setzte bei den Mennoniten das „ Auswanderungsfieber“ ein. Während der großen Ausreisewelle von 1874 bis 1881 emigrierten nach Südamerika 2% der Wolgadeutschen.

Ein kurzer Blick in die Jahre: 1850 haben die meisten Russlanddeutschen ihre Staatskredite zurückgezahlt und waren schuldenfrei. Das frei gewordene Kapital und die Einnahmen aus der Verpachtung von Land wurden in die Fabrikation landwirtschaftlicher Produkte investiert. In den Regionen, wo Deutsche lebten, entstand mehr Industrie als in anderen Gegenden Russlands.

Was passierte mit den Russlanddeutschen in der Regierungszeit von Alexander III( 1881 – 1894).

1887 entstand das Manifest von Alexander III „Russland muss den Russen gehören.“ 1883 übte die nationalistische Presse einen starken Druck auf die Regierung aus, etwas gegen die „friedliche Eroberung des Südwestgebietes durch die Deutschen“ zu unternehmen. 1887 – 1888 emigrierten die Wolgadeutschen nach Südamerika und gründeten in Argentinien Kolonien. 1891 wurde die russische Sprache zum Pflichtfach in deutschen Schulen im Zarenreich.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Deutschen ein umfassendes Netz im russischen Reich gebildet, dass die Versorgung mit deutschsprachiger Literatur und deutschsprachiger Zeitungen erlaubte. Ende des 19. Jahrhunderts in der Regierungszeit Nikolaus II gerieten die deutschen Kolonisten zunehmend unter den öffentlichen Druck. 1901 – 1911 emigrierten rund 105.000 Russlanddeutsche nach Amerika und Kanada. Andere bildeten neue Kolonien in der kasachischen Steppe, im Omsker Gebiet und im Altai. Nach Missernten und sozialen Unruhen 1905 versuchte die russische Regierung die Lage durch Stolypin – Agrarreform in den Griff zu bekommen. Die Hungersnot trieb auch viele deutsche Familien zum Übersiedeln nach Sibirien, so gründeten deutsche Kolonisten aus Schöntal, Jagodnaja Poljana ( Beerenfeld ) 1906 im Omsker Gebiet das Dorf Schöntal später Nowoskatowka. Manche Bauern aus Jagodnaja Poljana und Neu – Straub ( Nowoskatowka ) brachen in den 1900 – er Jahren Richtung USA und Kanada auf. Dort habe ich Verwandte; zwei Brüder Asmus, Konrad und Jörg aus Jagodnaja Poljana aus dem Wolgagebiet Saratow die 1910 in die USA auswanderten, die Familie Schröder Elisabeth aus Neu – Straub (Nowoskatowka aus dem Wolgagebiet Saratow) wanderten 1906 nach Kanada aus, die Familie
Görlitz und Morasch aus Jagodnaja Poljana gingen ebenfalls 1921 nach Kanada.
Erst die Stolypinsche Landesreform 1906 brachte den großen Einschnitt ins bäuerliche Leben an der Wolga. 1911 gab es 140 Russlanddeutsche Betriebe die landwirtschaftliche Geräte und Maschinen produzierten. Das war ungefähr ein Viertel der gesamten russischen Produktion. Vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges gab es 1,7 Millionen Russlanddeutsche. Ihre Sonderstellung wurde von der zaristischen Regierung allmächtig abgeschafft. Sie sollten sich assimilieren, russisch wurde zur Verwaltungssprache, die Selbstverwaltung der
deutschen Kolonien wurde eingeschränkt. Von den früheren Privilegien blieb nur noch die freie Religionsausübung erhalten.

Nach dem Ausbruch des erstem Weltkrieges erklärte das Deutsche Reich am 1. August 1914 Russland den Krieg. Im ersten Weltkrieg wurde zahlreichen russischen Staatsbürgern deutscher Herkunft Restriktionen auferlegt obwohl ca. 300.000 von ihnen in der russischen Armee dienten. Während des ersten Weltkrieges ( 1914 – 1918 ) wuchsen die Zweifel der russischen Regierung
und Armeeführung an der Loyalität der deutschen Siedler, damit veränderte sich das Leben der Russlanddeutschen schlagartig. 1914 verlor die russische Armee eine wichtige Schlacht gegen Deutschland, daraufhin wurden die deutschstämmigen Soldaten von der West – Front abgezogen und an die Kaukasische – Front gegen die Türken verlegt.

Das „Liquidationsgesetz“ vom 2. Februar 1915 setzte diskriminierende Maßnahmen gegen die deutschen fort: Verbot der deutschen Sprache, das Versammlungsverbot und Enteignung des Grundbesitzes an der Westgrenze Russlands. Vom 26 – 29. Mai 1915 gab es Massenausschreitungen gegen Deutsche in Moskau mit mehreren Toten und Verwundeten. In den darauf folgenden Wochen gab es Unruhen und kleinere Übergriffe im ganzen Land.
Am 01. Januar 1916 gab es eine offizielle Bestätigung der Duma ( Parlaments ) Kommission „zum Kampf gegen die deutsche Übermacht“, die eine aktive Tätigkeit gegen das „innere Deutschland“ und gegen eigene deutschsprachige oder – stämmige Bürger auf historischem, literarischen, publizistischen und rechtlichen Gebiet koordinierte und leitete.

1915 wurden viele Deutsche in Grenzgebieten enteignet und nach Sibirien ausgesiedelt. Im Herbst 1916 beschloss die Zaristische Regierung des Nikolaus II, dass alle Wolgadeutschen im Frühjahr 1917 nach Sibirien ausgesiedelt werden sollten, dieser Beschluss wurde jedoch geheim gehalten. Die deutschen Landbesitzer sollten bis 1917 ihr Land dem Staat übergeben. Am 24. Februar 1917 wurde das Zarentum gestürzt, dass wurde allerdings nicht mehr umgesetzt.
Die folgende provisorische Regierung setzte die Gesetze wieder außer Kraft. Unter diesen Umständen bedeutete es, dass die Februarrevolution 1917 und die Garantien der Bürgerrechte der provisorischen Regierung für viele Deutsche vorerst mal die Rettung vor Gefahren war. Viele Russlanddeutsche begrüßten in Erwartung für ein besseres Leben die Revolution 1917 und schlossen sich den roten Briganten an. Ende Oktober ( 25. alter ukrainischer Kalender, 7. November neuer Gregorianischer Kalender ) kamen die Bolschewisten an die Macht, die
Deutschen wurden automatisch Bürger Sowjetrusslands. Nach der Bildung der Autonomen Sozialistischen Republik der Wolgadeutschen wurde Deutsch
wieder zur Amts – und Unterrichtssprache, das Leben veränderte sich, neue Hoffnung auf ein besseres Leben kam beim Volk auf. Am 19. Oktober 1918 setzte Lenin ( Amtszeit von 7.11.17 – 21.01.24 ) seine Unterschrift unter das Dekret über die Errichtung der „Arbeitskommune der Deutschen des Wolgagebiets“. Am 13. Dezember 1923 beschloss das Politbüro des ZK der KPR( B ) dem deutschen Gebiet an der Wolga den Status einer Republik zu geben, der neue Name war Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen ( ASSRdWD ).
Der 6. Januar 1924 war jedoch der Gründungstag. Mit der Gründung am 30.12.1922 der UdSSR wurden die Deutschen automatisch Bürger der Sowjetunion. Ihr rechtlicher Status unterschied sich nicht von anderen Nationalitäten. Anfang 1924 wurde die Republik der Wolgadeutschen mit der
Hauptstadt Engels ( bis 1931 Pokrowsk ) gegründet. Von 1924 bis 28. August 1941 existierte die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen mit der Hauptstadt Engels ( bis 1931 Pokrowsk ) dort waren die deutschen
Kulturinstitutionen beheimatet. Deutsche Theater, Zeitungen, Staatsverlage, und Hoch – und Fachschulen. Die ASSRdWD war führend in den Bereichen Agrartechnik, Herstellung von Dieselmotoren, Milchverarbeitung, Tabakproduktion, Fleisch- und Textilindustrie.

Hungersnot in den Wolgadeutschen Dörfern

Die Machtergreifung der Bolschewiken im Herbst 1917, der Bürgerkrieg ( 1918 – 1922 ), wirtschaftlicher Umbruch und Missernten führten 1918 – 23 zu einer der größten Hungerkatastrophen in der Geschichte des Landes. 1921 – 1924 sollen allein an der Wolga 170.000 deutsche Kolonisten verhungert sein, Zehntausende sind an Seuchen verstorben oder in andere Gebiete Russlands oder ins Ausland geflohen. Andererseits gab es 1918 – 1922 Zehntausend Opfer durch Gewalt an der Wolga. Im Zuge der „Entkulakisierung“ 1928 – 1931 wurden auch Tausende deutsche Mittelbauern enteignet und mit den Familien hinter den Ural verbannt.
In folge einer erneuten Missernte 1932 – 33 starben unzählige Deutsche an der Wolga und in der Ukraine den Hungertod. 1924 wurde aus den deutschen Kolonien in der Ukraine fünf Landkreise (Rayons ) gebildet bis 1931 kamen noch drei dazu.

Die Ukrainische Sozialistische Republik entstand am 9. Februar 1918 bis 23. August 1991, am 24. August 1991 hat die Ukraine ihre Unabhängigkeit erklärt.

Die Kommunisten kamen durch Gewalt an die Macht und konnten diese auch nur mit Gewalt halten. Zum Anlass einer neuen Welle des Massenterrors am 3. Dezember 1934: „Nach Kirow Tode sollte Stalin ermordet werden.“ In der Wolgadeutschen Republik, so wie im ganzen Land begann eine Jagt auf Klassen feindliche Elemente die sich angeblich den Sturz der Sowjetmacht zum Ziel gesetzt haben. Bei dieser neuen Welle des Massenterrors begann, 1934 bis 1938, die sogenannte Säuberung der Partei und Sowjetorgane in der Stadt und im Land.
Die sowjetische Strafjustiz verurteilt landesweit 1.345.000 Personen, von denen 681.692 Menschen erschossen werden. Der „ große Terror“ kostet etwa 55.000 Deutschen das Leben, 20.000 landeten im Straflager ( Gulag ).

Nach einem Regierungsbeschluss über die Zwangsaussiedlung von 15.000 polnischen und deutschen Haushalten aus der Ukraine werden 69.283 Personen aus den Grenzgebieten nach Kasachstan verbannt. 1939 lebten in der Sowjetunion etwa 860.000 Russlanddeutsche.

Dritter Teil

Eine bittere Zeit 1941 – 1945

Am 22. Juni 1941 griff NS – Deutschland die Sowjetunion an. 28.08.1941 war ein trauriger Tag für die Russlanddeutschen. Die Wolgadeutsche Republik wurde liquidiert und die deutschen Bewohner wurden nach Sibirien und Zentralasien verbannt, es begann die Zwangsaussiedlung und Deportation der Deutschen aus den Wolgaregionen, zum 01.01.1942 wurden insgesamt 794.069 Russlanddeutsche deportiert. Die Deportierten wurden in Zügen, mit 65 Wagons pro Zug, geladen. Es sollten bis zu 40 Personen in einem Wagon transportiert werden, in Wirklichkeit waren es aber 60 Personen. Die Deportation war diktiert von Stalins Wut über Hitler – Deutschland. Der Diktator rächte sich bitterlich an der völlig unschuldigen deutschen Volksgruppe im eigenen Staat, je mehr bekannt wurde von den deutschen Verbrechen an der russischen Zivilbevölkerung
desto mehr bereitwillige Helfer fand Stalin bei seinem Rachefeldzug.

Der zweite Weltkrieg hat allen Völkern Europas unsägliches Elend gebracht. Obwohl in dem Erlass des obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 nur die Rede von den Wolgadeutschen war, wurden aber kurz darauf alle Russlanddeutsche aus dem europäischen Teil der Sowjetunion nach Sibirien und Zentralasien verbannt. Das war keine gewöhnliche Verbannung wie man sie sich in der westlichen Demokratie vorstellen kann, denn die Russlanddeutschen kamen dort in Gefängnisse und Konzentrationslager wo sie Sklavenarbeit leisten mussten, auch Frauen und Kinder wurden nicht verschont. Hunderttausende
Deutsche in Arbeitslagern sind verhungert, erfroren oder sind von der NKWD (Geheimdienst ) erschossen worden.

Zwangsarbeitslager in der Sowjetunion ( zwischen Leiden und Hoffen )

Nach dem Erlass, des Obersten der Sowjetunion vom 28. August 1941, sollten zuerst Männer zwischen 15 und 50 Jahren in die sogenannte Trudarmee eingezogen werden. Trudarmee (Arbeitsarmee, Arbeitslager) ist ein besonderes System für Zwangsarbeit. 1941 – 1946 wurde es in der Sowjetunion vor allem für die Russlanddeutschen Jugendliche, Männer und Frauen aufgebaut. Am 7. Oktober 1942 wurde der Kreis der Trudarmee über eine zusätzliche Mobilisierung deutscher Männer zwischen 16 und 55 Jahren und Frauen zwischen 16 und 45 Jahren, sofern sie nicht schwanger oder Kinder unter 3 Jahren hatten, erweitert.

Das Zwangsarbeitslager wurde scharf bewacht und von dicken Stacheldrahtzäunen umzäunt. Beide Aushebungen von 1942 betraf 133.900 Deutsche. Im Lager herrschte eine völlige Willkür der Vorgesetzten aller Dienstgrade. Unter unwürdigen Bedingungen mussten sie in einem großen
Wohnraum in Beengtheit leben, es starben die Trudarmisten massenweise an Hunger, Kälte, Krankheit und Schwerstarbeit. Einige Männer und Frauen, die am Leben geblieben sind haben in der Trudarmee geheiratet und kehrten später zurück oder blieben in der Gegend. Jeder Trudarmist musste nach dem zweiten Weltkrieg die Entscheidung für sich und die Möglichkeiten des weiteren Lebensverlaufs treffen.

Jetzt folgt ein Gedicht von Alexander Weiz für die Russlanddeutsche Zwangsarbeiter:

Die Stalin – Zeit
Ein altes Bild hängt an der Wand.
Es ist von der Sonne ganz gelb gebrannt:
Das Bild aus meiner Jugend,
aus der schrecklichen Stalin – Zeit,
als deutsche Frauen und Männer
von Begleitsoldaten getrieben wurden
durch Wälder und Felder zur Zwangsarbeit.
Sie sollten schuften und dabei krepieren.
Ihre Kinder sollten sich selbst ernähren.
Es wollte nicht aufhören das Martern und Plagen.
Den Schmerz wegen verlassenen Kindern
konnten sie kaum ertragen.
Ein Stückchen Brot – ihr einziger Trost,
danach ein Holzschlag bei grimmigem Frost.
Von Soldaten gepeinigt und geschlagen
wurden viele von ihnen
in Waldgruben begraben.
Für Überlebende ist die schlimme Zeit
schon lange, lange vorbei.
Gott war mit ihnen schon immer
und ist auch jetzt dabei.

Ganz wenige Autoren in der Trudarmee hatten die Möglichkeiten unter schweren Bedingungen ihre literarische Arbeit fortzusetzen, aus Mangel an Papier schrieben damals wenige Autoren ihre Gedichte auf Birkenrinde auf.
Ein Gedicht aus der damaligen Zeit der Zwangsarbeit lege ich vor, Verfasser ist Unbekannt.

Kinder weinten, und den Eltern
Tat im Leib das Herz so weh.
Alle Männer, Frauen, Mädchen
Mussten in die Trudarmee.
Die Baracken, wo wir wohnten
War’n umzäunt von Stacheldraht.
Jeder Tag durch’s Tor uns führend,
Zählte uns ein Wachsoldat.
Wie viel Menschen sind verhungert
Und gestorben im Ural,
Und erfroren? Keiner weiß es,
Wie viel sind es an der Zahl.
Trotz großer Armut ohne Eltern
Groß geworden ist manches Kind
Dass es weiß nicht, wo beerdigt
Seine lieben Nächsten sind.
Schweres lastet auf der Seele,
Wenn man denkt an jene Zeit,
Viel verloren hat mein Völkchen
Wo bleibt die Gerechtigkeit?

Keine andere Ethnie in der Sowjetunion hat eine derart umfassende physische Ausbeutung erlebt. Möge es in Zukunft immer frohe Zeiten geben ohne Kriege und Missverständnisse zwischen den Völkern, Nationen und Staaten, damit die Jugend, nicht nur die Jugend, jegliche Generation jedes Landes, jeden Volkes in frohen Zeiten leben kann.

Auf ewige Zeiten verbannt

„ Wo der Schmerz sitzt, da sitzt die Seele“ Sprichwort aus Armenien.

Christen sind Menschen die sich an Jesus orientieren. Er sagt: „ Ich bin der Weg.“ Die Wege des Glaubens sind keine Sackgassen und enden nicht irgendwo im Dunkeln. Wer sich entschließt diese Wege zu gehen wird dort guten Freunden begegnen, so auch wir Russlanddeutsche, mit allen Völkern der ehemaligen UdSSR. Wie der Dalai Lama gesagt hat: „ Der innere Frieden kann von jedem erreicht werden.“

1945 bis Sommer 1956 waren alle Russlanddeutsche, groß und klein, unter Aufsicht der Sonderkommandantur. Dies bedeutet, dass sie nicht das Recht hatten ihren Wohnort ohne eine Genehmigung des Kommandanten zu verlassen. Sie durften die Grenzen ihres Kreises nicht überschreiten. Bei Verletzung dieses Erlassen gab es bis zu 20 Jahre Zuchthaus. Laut dem Erlass vom 26. November 1948 wurden die Russlanddeutsche auf ewig verbannt, sie waren nun für die
ganze Welt totgeschwiegen.

Tauwetter, Liberalisierung und Hoffnung

„ Wenn die Hoffnung nicht wäre, dann würde das Leben aufhören.“ arabisches Sprichwort.

Nach Stalins Tod ( 5. März 1953 ) beginnt die Rehabilitierung der Opfer politischer Justiz und schrittweise Verbesserungen der Lage für die deportierten Völker, dies brachte aber den Russlanddeutschen nicht die erhoffte Freiheit, sondern nur eine geringe Erleichterung. Im März 1953 bis Oktober 1964 kam Chruschtschow an die Führungsspitze der UdSSR. Als der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Konrad Adenauer zum Staatsbesuch im September 1955 in Moskau war sprach er direkt die Problematik der Deutschen in Russland an. Am 13. Dezember 1955 kam der Erlass über die Aufhebung der Einschränkungen in der
Rechtsstellung der deutschen Sondersiedler und ihre Befreiung von der Kommandaturaufsicht. Dieser Erlass brachte den Deutschen zwar gewisse Erleichterungen aber nicht den Freispruch von dem Generalverdacht. Die Russlanddeutschen durften nicht in ihre alten Heimatorte zurückkehren
und mussten auf ihr Vermögen verzichten. Durch den Beschluss des Bundestages 1955 über die Anerkennung der Einbürgerungen während der Kriegszeit begann die Familienzusammenführung, es durften nur einige wenige deutsche Familien aus der Sowjetunion ausreisen.

Die Landmannschaft e.V. ist die größte gemeinnützige Organisation der Russlanddeutschen in der Bundesrepublik Deutschland. Sie wurde 1950 als „ Arbeitsgemeinschaft der Ostumsiedler“ gegründet. Sie bekannt sich zur „Charta der Deutschen Heimatvertriebenen“ vom 05.08.1950. Sie steht unter der Patenschaft des Bundeslandes Baden – Württemberg seit 1979 der Landmannschaft der Deutschen aus Russland e.V.

Den Begriff „Russlanddeutschtum“ gab es 1927. Seit 1930 gab es in Südamerika die erste Zeitung „Der Russlanddeutsche“. Dieser Begriff „Russlanddeutsche“ wurde auch von der Landmannschaft der Deutschen aus Russland e.V.
( gegründet 1950 ) akzeptiert. In der Sowjetunion wir der Begriff „Sowjetdeutsche“ seit Anfang den 1930er Jahren benutzt. So wurde die erste Konferenz deutscher Schriftsteller in der Sowjetunion von der Zeitung „Literaturnaja Gazeta“ als sowjetisch deutsche bekannt ( „Liternaturnaja Gazeta“ 28.03.1934 ). Die Deutschen selbst identifizierten sich in der Spätsowjet immer mehr als „ Sowjetdeutsche“, weil sie sonst nicht in der Öffentlichkeit der Sowjetunion erscheinen durften.

Zurück ins Jahr 1956, nach dem Erlass der Aufhebung der Sonderkommandantur 1956 konnten alle Sowjetdeutschen in verschiedenen Orten der UdSSR wohnen und in verschiedenen Orten zu Besuch fahren und auch selbst aus verschiedenen Orten der UdSSR Besuch empfangen, es waren viele Verwandte und Bekannte aus verschiedenen Gegenden der UdSSR. Bei den Russlanddeutschen gilt das Gesetz der Gastfreundlichkeit egal wer kommt, es wird aufgetischt. 1959 lebten 1,6 Mio. bekennende Deutsche in der Sowjetunion, die meisten immer noch in ihren
Verbannungsorten. Der erste „Höhepunkt“ stellte sich 1959 mit 5.563 Aussiedler ein, diese führte letztendlich dazu, dass insgesamt ca. 13.000 Personen zwischen 1958 – 1960 ausreisen durften.

Deutsch als Muttersprache wurde erst 1958 in der RSFSR, in anderen Republiken der SU 1960, erlaubt. Die Deportation führte durch die Einschränkungen zu einem großen Verlust der Kenntnisse in der deutschen Sprache und auch das Bildungsniveau der Deutschen sank.

Am 29. August 1964 verabschiedete das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR den Beschluss „ über die Abänderung des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 über die Umsiedlung der Wolgadeutschen“, dieser Beschluss nahm den Russlanddeutschen den Makel des Verrats. Ihnen wurde aber nicht die Rückkehr in die alten Wohnorte, mit der Wiederherstellung der autonomen Wolgadeutschen Republik sowie der
deutschen Rayons mit gemischten Bevölkerung und anderen Bildung – und Kulturellen Einrichtungen genehmigt.

Stillstand oder die Goldene Zeit bei der Regierung Breschnews

( Freundschaft mit allen Völkern der UdSSR ) „Freundschaft ist Liebe mit Verstand.“ Sprichwort aus Deutschland.

Breschnew regierte in der UdSSR vom 04. Oktober 1964 bis 10. November 1982.
Die Möglichkeit in der UdSSR zu existieren war für die Sowjet-deutsche zu arbeiten und zu lernen, um ein Mensch und ein vollberechtigter Bürger der UdSSR zu werden. 1972 kam es auf Grund des Erlasses des Präsidiums des obersten Sowjets der UdSSR ( vom 03.11.1972 ) über die Aufhebung der Einschränkungen der Wahl des Wohnsitzes für Deutsche und andere deportierte Völker zur
ersten größeren Ausreisewelle. 1972 wurden die Deutschen durch das Dekret, zwar nicht vollständig rehabilitiert, aber sie konnten jetzt ihre Verwandten und Bekannten besuchen, viele zogen aus den kalten Regionen Sibiriens und des hohen Nordens in wärmere Gegenden. Am 01. August 1975 wird in Helsinki die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unterzeichnet, auch von der Sowjetunion von Leonid Breschnew. Die Sowjetdeutschen bekamen die Hoffnung nach Ost – und Westdeutschland auszureisen.

Besonders wichtig für alle Volksgruppen der UdSSR waren die Verankerungen der
Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Verbesserung der familiären Bindungen und Reisemöglichkeiten. Das ließ bescheiden Hoffnungen bezüglich der Familienzusammenführung für die Sowjetdeutschen aufkommen. 1976 – 1977 erreichte die Auswanderung mit 1.000 – 9.700 Aussiedlern pro Jahr erreichte die Auswanderung ihren Höhepunkt. Etwa 60.000 Sowjet-deutsche Aussiedler kamen im Rahmen einer Familienzusammenführung nach Deutschland, über die Hälfte von ihnen wählten den Weg über das Baltikum oder Moldawien.

Die große Nachfrage nach deutschen Gottesbüchern beweist, wie beliebt sie geworden sind in Russland und zwar nicht nur in den Wolgakolonien, sondern auch da wo deutsche Kolonisten in Russland lebten. Wolgadeutsche Liederbücher wurden erst 1979 von „Missionswerk Brücke zur Heimat“ in Kassel wieder nachgedruckt und auf verschiedene Art und Weise in die UdSSR gebracht.

Jetzt folgt ein Auszug aus diesem Buch: „ Zwischen Leiden und Hoffen“ von Adolf Bersch. Die Beziehung zwischen Deutschland und Russland waren schon immer ein Barometer für die Wolga – und Russlanddeutsche. In den 70 er Jahren führte die neue Westpolitik der Bundesregierung, mit Kanzler Willi Brandt an der Spitze, zu positiven Veränderungen der Beziehung zwischen der BRD und der UdSSR. Während der Verhandlungen mit Willi Brandt musste Leonid Breschnew in der Frage der Familienzusammenführung und der Lage der Sowjetdeutschen einige Zugeständnisse machen. Die sowjetische Seite versprach die Sowjetdeutschen
als gleichberechtigte Bürger zu behandeln und ihnen sogar eine deutsche Autonomie zu geben. Bei den Verhandlungen mit der Bundesregierung wurde vereinbart, dass die Sowjetdeutschen sich von nun an auch auf dem Territorium der ehemaligen ASSRdWD der Wolga Republik ansiedeln durften, allerdings bedeutete es nicht, dass jetzt schon an der Wolga die deutsche Autonomie wiederhergestellt war. Die sowjetische Regierung war grundsätzlich für eine deutsche Autonomie, aber wann und wo wollte sie später entscheiden.

Diese Entscheidung fiel am 28. Juni 1981, damals lebten in Kasachstan ca. 1 Mio. Sowjetdeutsche. Auf Anweisung Breschnews sollte der erste Sekretär der Kommunistischen Partei ( KP ) Kasachstans Kunaew einen Beschluss der Partei durchzusetzen, wonach auf dem Neuland in Nordkasachstan eine deutsche autonome Republik gegründet werden sollte. Jedes der drei Gebiete Zelingrad, Karaganda und Powlodar, wo viele Deutsche lebten, sollten einen Teil ihres
Territoriums für die deutsche Autonomie abgeben, wie es bisher immer so war sollte auch dieser Beschluss vor der Bevölkerung geheimgehalten werden.
Die Kasachen waren über das Vorhaben, der Gründung der deutschen autonomen Republik auf ihrem Territorium informiert, die Deutschen vorerst mal aber nicht. Da gingen auch schon die ersten kasachischen Demonstranten auf die Straßen.
Sie trugen Losungen und Transparente mit den Aufschriften:

  1. Die Deutschen waren und sind Verräter unserer Heimat.
  2. Alle Deutschen müssen nach Norden geschickt werden.
  3. Das Kasachische Territorium ist unteilbar.
  4. Nie eine deutsche Autonomie auf Kasachischem Territorium.
  5. Nieder mit den Deutschen! Vertreibt sie!

Es kam zu keiner Verkündung einer deutschen Autonomie in Nordkasachstan. Das Spektakel war gelungen und seine Organisatoren waren zufrieden.

Der Zerfall der UdSSR.

„Zerstören ist leicht, Aufbauen ist schwer.“ russisches Sprichwort.

Viele Menschen, in der damaligen UdSSR, die im stalinistischen Arbeitslager waren, haben des öfteren über das sowjetische System gesprochen. Sie waren schon damals davon überzeugt, dass es früher oder später zusammenbrechen wird, aber sie konnten nicht wissen, dass es von 1941 – 1991 bestehend, nach 50 Jahren Sowjetunion, zusammenbricht. Nach Breschnews langer Regierungszeit
kamen zwei kurze Regierungszeiten der Sowjetischen Obersten.

Vom 10.11.1982 bis 09.02.1984 regierte Jury Andropow, Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU und Vorsitzender des Präsidiums des obersten Sowjets, so lautete sein offizielle Titel. Am 4. Mai 1983 sagte Kanzler Kohl in seiner Regierungserklärung: „ Wir werden darauf drängen, dass wieder mehr Deutsche aus der Sowjetunion ausreisen können.“

1984 erlaubte die Sowjetunion 4.000 – 5.000 Sowjetdeutschen die Ausreise in die DDR. Tschernenko kam, nach dem Tod von Andropow, am 9. Februar 1984 an die Macht, er unterstützte den damaligen der Regierungschef Tischonow. Tschernenko hat praktisch keine Spuren in der sowjetischen Geschichte hinterlassen, wer sich noch an ihn erinnert denkt an einen älteren, weißhaarigen Mann, der hinter einem betonartigen Gesicht verbarg, dass er kaum noch was
begriff was um ihn herum passierte. Er starb am 10. März 1985.

Glasnost und Perestroika in der UdSSR

Am 11. März fand ein außerordentliches Plenum des Politbüros statt, wo Gromyko vorschlug Gorbatschow zum Generalsekretär zu wählen, zu dem Zeitpunkt war Gorbatschow noch ein unbeschriebenes Blatt. Er kam aus der Provinz und war im Politbüro für die Landwirtschaft zuständig. Die Lösung von Glasnost ( Transparenz ) wurde mit großer Zustimmung von Gorbatschows Landleuten aufgenommen, dass die Öffentlichkeit im Land rückhaltlos über alles
was geschah informiert wurde. Der deutsche Bundestag erörterte 1985 und 1986 mehrfach das Schicksal der Deutschen in der UdSSR und appellierte an Moskau die Diskriminierung von Deutschen zu beenden und die Ausreisewilligen zu ihren Verwandten im Westen ausreisen zu lassen. Am 15. September 1986 forderte auch der Europarat in Straßburg bessere Ausreisebedingungen für Deutsche in der Sowjetunion, auch im deutschen Fernsehen ( ZDF, ARD ) wurden die Deutschen in Russland zum Thema. Einen Wendepunkt in der neuen Geschichte der Sowjetdeutschen brachte das Ausreisedekret vom 28. September 1986, Gorbatschow erleichterte die Ausreisebedingungen. Seit dem das Ausreisedekret im Jahr 1987 in Kraft getreten ist haben viele Sowjetdeutsche die Sowjetunion verlassen. Der Antragsteller muss in der Regel zwei bis fünf Jahre warten bis er einen Bescheid erhält. Nach Deutschland durften die Sowjetdeutschen nach dem Bundesvertriebenengesetz einreisen.

Rechtlich werden sie als Aussiedler und Spätaussiedler von 1992 aufgenommen, die Mehrzahl von ihnen ist schon nach einem Jahr Bürger der Bundesrepublik. 1987 traten Ereignisse ein, die wir heute als Glasnost und Perestroika bezeichnen. Präsident Gorbatschow öffnete mit seiner Politik die Grenzen und schaffte Tabus ab. Diese Politik hat die Deutschen in Russland erst von der Ausreise träumen lassen, wir müssen aber auch der damaligen Deutschen Regierung danken, die
uns das Tor nach Deutschland ganz weit geöffnet hat. Helmut Kohl, der damalige Bundeskanzler, hat uns damit die Akzeptanz und Anerkennung gegeben die wir in der Sowjetunion nie bekommen haben. Die Teil Demokratisierung in der Sowjetunion gab uns neue Hoffnungen für die Wiederherstellung der Wolgadeutschen Republik.

Am 12. April 1988 versammelten sich in der Redaktion „ Neues Leben“, in Moskau, die Vertreter der Sowjetdeutschen aus allen Regionen der Sowjetunion wieder. Das war die Dritte große Delegation der Sowjetdeutschen. Zwischen 1956 – 1965 und 1988 waren mehrere kleine Delegationen in Moskau gewesen, die aber von niemandem empfangen oder sogar festgenommen und wieder an ihre Wohnorte zurückgeschickt worden waren. 1989 und später als sich die Sowjetdeutsche Wiedergeburt alle Mühe gab, endlich etwas an der Wolga zu erreichen, was jedoch an einem entschiedenen Nein aus den oberen, mittleren und unterer Etagen der sowjetischen Hierarchie scheiterte.

Als sich die Hoffnung auf die Wiederherstellung der Gerechtigkeit und die deutsche Autonomie als Trugbild erwiesen hat, kam es Anfang der 1990er Jahre zu einer Massenauswanderung der Deutschen in das Land ihrer Vorfahren. 1988 bis 1990 kamen mehr als 2 Millionen Deutsche aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Am 01. Juli 1990 hat das Bundesverwaltungsamt das Ablaufthema zum Aussiedleraufnahme verfahren nach der Neuordnung durch das in Kraft treten des Aussiedleraufnahmegesetzes beschlossen. Die Massenumsiedlung der Russlanddeutschen nach Deutschland verlief für sie durchaus nicht einfach. Die Mehrzahl der Deutschen hatte keine Vorstellung von dem neuen Land, ihren
Gesetzen, der Mentalität, Kultur und vielen anderen Bedingungen. Es entstanden auch unterschiedliche Meinungen zwischen Familienmitgliedern bezüglich der
Auswanderung, die junge Generation hatte keinen Bezug mehr zu ihren deutschen Vorfahren und so gingen die Meinungen auseinander. Es ist nicht umstritten, dass die Deutschen sich schon über 50 Jahre in den zwangsumgesiedelten Gebieten eingelebt und sich an viele Bereiche des Lebens angepasst haben, aber eins stand an erster Stelle und zwar vor allem sollte für die jungen Generation eine geregelte Zukunft und ein schöneres Leben gewährleistet werden. Deshalb begann die Massenausreise der Deutschen aus der ehemaligen Republik der UdSSR in den
1990er Jahren nach Deutschland. Gorbatschow versuchte derweil die Unionsrepubliken der UdSSR mit einem neuen Unionsvertrag zu locken, der ihnen eine weitere Eigenständigkeit billigte. Die Papiere lagen, am 20. August 1991
vor und sollten, in Nowo – Ogarjowo bei Moskau, unterzeichnet werden. Ein Putsch am 19. August 1991 verhinderte es und besiegelte das Ende der UdSSR.

Betrachtet man die Geschichte der Deutschen aus Russland von 1871 – 1991, so war es in dieser Zeit mal mehr oder weniger ersichtlich, dass sie seelischer und körperlicher Gewalt ausgesetzt worden waren.

Die Entstehung des neuen Russlands


„ Nur wer an die Zukunft glaubt, glaubt an die Gegenwart.“ Sprichwort aus Brasilien.

Boris Jelzin, russischer Präsident 1991 – 1999. Diese Welt mit ihren falschen Versprechen und Überzeugungen vergeht, doch wer sich an Gott hält bleibt und die Kraft dazu kommt aus dem Kopf und wahren Worten. Daran sollten wir uns
halten und darauf Vertrauen, dass Gott uns dadurch hält. In der früheren und auch in der heutigen Gesellschaft suchten die Menschen ihr Glück aber wenn die Russlanddeutsche sich umsehen, dann stellen sie fest, dass sie früher und auch heute Schwierigkeiten hatten. Überall und in jeder Gesellschaft müssen Menschen Leid und Elend erdulden – selbst dort wo Freiheit und materieller Wohlstand herrschen.

„Die Heimat ist also wohl das Teuerste ( wie das Dorf Schöntal – Nowoskatowka, Gebiet Omsk) was Menschen besitzen und teurer als die Zunge aussprechen kann.“ Friedrich von Schiller.

Neue Hoffnungen gaben den Russlanddeutschen die Reformen aber nicht ihre alte Heimat die Wolgarepublik zurück. Am 18. Oktober 1991 versammelten sich die Delegierten Russlanddeutsche im Lichtspielhaus „Okjabr“, der Vorsitzende des Organisationskomitees zur Einberufung des Kongresses der Akademiker Boris Rauschenbach, eröffnete die erste Sitzung. Er kamen auch mehrere Vertreter der russischen Regierung, auch von der Bundesrepublik Deutschland war der Hauptbevollmächtigte für Aussiedler Dr. Horst Waffenschmied anwesend.
Boris Jelzin, der seine Teilnahme an der Arbeit des Kongresses zugesagt hatte, erschien nicht. Das war nicht sein erster und auch nicht der letzte Betrug an den Russlanddeutschen.

Mit Besorgnis schauten die Russlanddeutsche auf diese Tatsache. Demnach wollte der russische Präsident den Russlanddeutschen keinen Autonomie geben andernfalls wäre er doch gekommen und hätte die erfreuliche Nachricht gebracht. Der Kongress, hatte die Hoffnungen der Russlanddeutschen auf eine baldige Wiederherstellung ihrer Autonomie an der Wolga nicht erfüllt. Bei den Russlanddeutschen kam eine neue Hoffnung als der russische Präsident Boris Jelzin und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl am 21. Dezember 1991 in Bonn, ein Dokument unterschrieben haben, welches die Gründung eines deutschen Nationalkreises an der unteren Wolga vorsah, dies sollte die erste Stufe für die Wiederherstellung der Wolgadeutschen Republik sein. Die deutsche Bundesregierung gab für diesen Zweck Mittel in Millionenhöhe, unglaublich wie
die Bundesregierung Deutschland mit den Mitteln ihrer Steuerzahler umging.
Jelzin bekam in Bonn was er wollte, aber er dachte nicht daran diese Mittel für die
Wiederherstellung einer deutschen Autonomie an der Wolga auszugeben. Anstelle der Wiederherstellung der deutschen Autonomie auf dem Territorium der ehemaligen ASSRdWD bot Jelzin den Russlanddeutschen das Versuchsgelände Raketodrom Raketenabschussplatz „Kapustin Jar“ für einen deutschen Nationalkreis an.

Dann geschah etwas unerwartetes, zwar nicht für die Russlanddeutschen, aber für die gesamte Weltöffentlichkeit. Auf seiner Begegnung mir der Bevölkerung im Dorf Ossiniki, Rayon ( Kreis ) Engels, am 8. Januar 1992, erklärte Boris Jelzin: „ Ihr könnt euch beruhigen. Ich denke gar nicht dran, hier an der Wolga die deutsche Autonomie wiederherzustellen, wenn es in Zukunft hier irgendwo einen Ort gibt in dem ca. 90 % Deutsche leben werden, stellen wir die Frage nach der Gründung einer deutschen Autonomie an diesem Ort.“ Die Anwesenden klatschten ihrem
Präsidenten lange Beifall, sie waren zufrieden. Für die Russlanddeutsche war es das Ende der Hoffnung auf den Sieg der Gerechtigkeit. Trotz aller Schwierigkeiten wurde der deutsche nationale Kreis Asovo ( Gebiet Omsk) am 17. Februar 1992 gegründet und diesen Erfolg verdanken wir dem Prof. B. G. Reiter, der auch zum Leiter dieses Kreises wurde.

Das Jahr 1994 war das Jahr der Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland und meiner Ausreise aus Russland nach Deutschland. Das war für die Aussiedler aus Russland und GUS – Staaten sehr ungewohnt, vieles unverständlich, weil in ihrem Herkunftsland alles ganz anders gewesen war. Unter schweren Umständen früher im Russischen Reich und später in der UdSSR konnten sich die Russlanddeutschen immer wieder beweisen. Überall wo sie durch die Willkür des Staates gelandet waren – sei es Sibirien, Kasachstan oder Mittelasien ließen sie durch ihre Arbeit blühende Oasen entstehen.

„Wo liegt auf Erden jene Wüste, die die Deutschen nicht in blühendes Land zu
verwandeln verstünden?

Nicht umsonst hieß es im früheren Russland: Der Deutsche ist wie ein Weidenbaum. Wo du ihn hinstreckst, schlägt er wurzeln.“ schrieb der berühmte russische Schriftsteller Alexander Solschenizin in seinem Werk „Archipel Gulag“.

Als sich die Hoffnung auf die Wiederherstellung der Gerechtigkeit und die deutsche Autonomie als Trugbild erwiesen, kam es Anfang der 1990er Jahre zu einer Massenauswanderung der Deutschen aus Russland in das Land ihrer Vorfahren. Die Russlanddeutschen hatten dennoch eine Hoffnung und zwar nach Deutschland zu kommen und für diese Hoffnung gaben sie alles auf, Haus und Hof, ihre Arbeit zum Teil auch ihren Beruf, da sie ihn zum Teil in Deutschland nicht
ausüben können, ihre Freunde und alles weitere was zum Leben gehört. Viele Menschen, die damals den Wunsch auszureisen, bekamen dennoch große Schwierigkeiten und wurden oft durch das brennende Feuer der Erniedrigung gezogen. Zu den Besonderheiten der Russlanddeutschen Kultur gehören: die eigene Geschichte, die Mundart Sprache, das Selbstbewusstsein, die Erinnerungskultur und die religiöse Ausübung. „Die Erinnerungen der Zeitzeugen sollen nicht verloren gehen.“ Russlanddeutsche sind ein Volk mit einer bewegten
Geschichte. Sie mussten zweimal in einer fremden Kultur ihr Leben finden.
In Russland, als sie als Deutsche kamen und in Deutschland als sie aus Russland zurückkamen. Die russlanddeutsche Subkultur formiert sich, in dem sie sich aus den deutschen, russischen und der eigenen russlanddeutschen Traditionen nährt. Die Russlanddeutschen sind eine neue eigene Ethnie, deren Prägung in Verbindung mit dem russischen Volk steht. Nichts aus unserer Russlanddeutschen Geschichte soll beschönigt oder verfälscht werden.

Wuppertal, den 28.05.2024

Alexander Weiz

Literaturverzeichnis

  1. Die Auswanderung aus Deutschland nach Russland, Karl Stump 1995,
    in den Jahren 1763 – 1862
  2. Die Bibel
  3. Illustrierte Weltgeschichte: Band 1 – 4 ( Sonderausgabe für den Lingen Verlag, Köln 1976 )
  4. Chronik der deutschen – Chronik Verlag, Dortmund 1983
  5. Neues großes Lexikon in Farbe
  6. Mein großes Jugend Lexikon
  7. Manfred Quiring: Russland Orientierung im Riesenreich
  8. Adolf Bersch: Zwischen Leiden und Hoffen
  9. Alwina Meiber: Fremde Heimat
  10. Emil Staiger: Schicksal der Waldheimbewohner aus Georgien
  11. Zeitschrift: Dunkle Jahre, herausgegeben von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V.
  12. Zeitschrift: Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V. als Projektträger
  13. Zeitschrift: Landesgruppe NRW der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e. V.
  14. Sprichwörter aus aller Welt – Augsburg 3. Auflage 2008

Autor: Alexander Weiz

Titelbild: Ausschnitt aus: Mutter Heimat (Wolgograd) CC BY-SA 3.0 File: Mamaev kurgan (ОКН).JPG Wikipedia; erstellt: 2008 hochgeladen: 18. September 2016 Quelle www.volganet.ru


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Zur Geschichte Süd Russlands II

Original von 1912 bearbeitet und ergänzt: J. Rzadkowski

(eingesandt von Jakob Sommerfeld Karlsruhe im Kaukasus1)

(2. Fortsetzung)

Entstehungsgeschichte der evangelischen Kolonien

Im Chersonschen, Taurischen u. Jekaterinoslawschen Gouvernement

Einleitung – Jubiläum! Das ist in unserer Zeit kein unbekanntes Wort. Es wird fast zu viel jubiliert. Hat doch sogar ein Mann das Jubiläum seiner Henne gefeiert, als diese ihr tausendstes Ei gelegt hatte. Wenn aber in Blick auf das zurückgelegte erste Jahrhundert ihres Bestehens in vielen unserer deutschen Kolonien in Südrussland von einem „Jubiläum“ gesprochen wird, so ist das ganz etwas anderes. Sie haben guten Grund dazu. Ihr Fortschritt ist in diesem Zeitraum in jeder Beziehung ein außerordentlicher gewesen. Die Zahl ihrer Dörfer und die Größe Ihres Landbesitzes ist in dem Maße gewachsen, wie die Zahl ihrer Köpfe. Das Rußland für sie eine wahre Heimath geworden ist, merkt man am Aufblühen ihrer Kultur, ihrer Schule, ihrer Kirche und ihres Gemeinwesens. Haben die Kolonisten dies zum Theil ihrer eigenen Kraft und Tüchtigkeit zu verdanken, so dürfen Sie füglich auch einmal feiern und, durch den Rückblick auf die Vergangenheit festlich gehoben, sich ihrer selbst im edlen Sinne des Wortes bewußt werden. Dann werden ihnen auch ihre Fehler und Mängel lebendig vor die Augen treten. Derer sind nicht wenige, und wenn trotzdem ein so schöner Fortschritt konstatirt werden muß, so ist das wahrlich nicht ihr Verdienst allein. Das Entgegenkommen, die Langmuth und Geduld der Obrigkeit, namentlich in der ersten Zeit der Ansiedlung, hat ebensoviel dazu beigetragen, als die eigene Tüchtigkeit; – das darf nicht verschwiegen werden. In allem aber hat wunderbar die göttliche Vorsehung gewaltet, welche die Geschicke der Menschen leitet. Wer das demüthig anerkennt, der hat die richtig Jubiläumsstimmung und wird sich gern ein Stündchen in die Entstehungsgeschichte der Kolonien vertiefen.

Um die öden, aber außerordentlich fruchtbaren Gegenden an der Wolga und im Süden Rußlands zu besiedeln, berief die Kaiserin Katharina die Zweite ausländische Kolonisten. Sie stellte ihnen zinsfreie Darlehen von Kapitalien auf zehn Jahre und die Befreiung von jeglichem Dienst und Abgaben im Laufe von 30 Jahren in Aussicht. Den Entschluß, in ihrem großen Kaiserreiche Ausländer aufzunehmen, verkündete sie durch ein Manifest am 4. Dezember 1762; am 22. Juli 1763 erließ sie ein neues Manifest, wodurch Ausländer nach Rußland berufen wurden, um unter deutlich bezeichneten Vorrechten und Rechtsverhältnissen sich in Rußland bleibend niederzulassen. Darauf wurden nach verschiedenen Ländern Europas Bevollmächtigte ausgeschickt, um Auswanderer anzuwerben und einzuführen. Muni, La-Roy2 und Baron von Bork waren solche Bevollmächtigte, welche Direktoren genannt wurden.

Durch dieses Vorgehen der großen russischen Kaiserin war den auswanderungslustigen Westeuropäern außer Ungarn und Nordamerika auch Rußland als Zufluchtsstätte geöffnet. Der Strom der westeuropäischen Auswanderung entsandte für eine lange Reihe von Jahren einen nicht unbedeutenden Arm in die Länder des Zarenreiches, da auch Kaiser Alexander der Erste, dem Beispiel Katharinas folgend, ausländische Ansiedler nach Rußland berief. Dieser Strom versiegte erst, als unter Nikolai dem Ersten keine Kolonisten mehr nach Rußland berufen wurden.

Der Siebenjährige Krieg, welcher die deutschen Staaten zerrüttet hatte, die Austreibung der Protestanten wodurch Frankreich erschüttert worden war, und Schrecken, welche die französischen Heere unter Napoleon dem Ersten über die deutschen Lande brachten, religiöse Bewegungen, Hungersnoth, Sucht nach Abenteuern, einfacher Wandertrieb und der allgemeine Drang nach Osten, um den biblischen Ländern Kaukasiens und Palästinas näher zu sein, waren die Faktoren, dank welchen der Aufruf der großmüthigen Beherrscher des europäischen Ostens nicht ohne Widerhall blieben.

Ungefähr ein halbes Jahrhundert währte die Einwanderung der Deutschen in Rußland, doch ging dieselbe nicht in ununterbrochener Gleichmäßigkeit, sondern stoßweise von statten. Zu verschiedenen Zeiten stellten sich, d. Ruf der russischen Regierung Folge leistend, Gruppen von Kolonisten ein, welche dann auch meistens gemeinsam in den ihnen zugewiesenen Gebieten angesiedelt wurden. Die einzelnen Kolonistenbezirke weisen daher in der Regel verschiedene Ansiedlungsperioden auf. So sind nacheinander folgende Bezirke entstanden:

  1. Die Bezirke der Wolgakolonisten, angesiedelt in den Jahren 1764 – 1770
  2. Der schwedische Kolonistenbezirk, zum ersten Mal angesiedelt von Kolonisten schwedischer Nation aus Estland im Jahre 1782.
  3. Altdanzig 1787.
  4. Der Chortitzer Mennonitenbezirk 1789
  5. Josefsthal und Rybalsk 1789.
  6. Jamburg 1792
  7. Der Liebenthaler Kolonistenbezirk 1803 – 1805.
  8. Der Molotschnaer Mennonitenbezirk 1804.
  9. Der Molotschnaer Kolonistenbezirk 1805 -1810.
  10. Neusatz und Zürichthal in der Krim 1805.
  11. Der Kutschurganer, Glücksthal und Beresaner Kolonistenbezirk 1808.
  12. Der Klöstitzer und Malojaroslawetzer Kolonistenbezirk 1814.
  13. Hoffnungsthal im Gouvernement Cherson 1817.
  14. Der Sarataer Kolonistenbezirk 1822.
  15. Chabag bei Ackermann
  16. Der Berdjansker und Marinpoler Kolonistenbezirk 1822.

Soweit ist der Raum gestattet, soll im Folgenden die Geschichte der Ansiedlung der protestantischen Kolonieen des Chersonschen, Taurischen und Jekaterinoslawschen Gouvernements mit Ausnahme der Mennonitenbezirke und der zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts entstandenen Kolonien Alt-danzig, Josefsthal und Rybalsk hier kurz behandelt werden. Auf Vollständigkeit darf die Darstellung einer so reichhaltigen Chronik, wie die verschiedenen Kolonistenbezirke in dem verhältnismäßig kurzen Zeitraum von kaum 100 Jahren sie bieten, keinen Anspruch machen. Es fehlt vielfach auch leider an zuverlässigen Quellen. Mögen diese Zeilen dazu dienen, daß einige fähige Köpfe angeregt werden, zu thun, um von der Geschichte der Kolonieen der Vergessenheit zu entreißen, was noch nicht rettungslos verloren ist.

1. Der schwedische Kolonistenbezirk.

Dieser Bezirk besteht aus den Kolonieen als Altschwedendorf, Mühlhausendorf, Schlangendorf und Klosterdorf bis zusammen etwa 2600 Einwohnern. Die Kolonie Altschwedendorf wurde im Jahre 1782 von den schwedischen Bauern des Kirchspiels Roicks auf der zu Estland gehörenden Insel Dagden angesiedelt. Da diese schwedischen Bauern in ihrer Heimath mit ihren Gutsherren in endlosen Streitigkeiten lebten, so verhängte Kaiserin Katharina die Zweite die harte Strafe über dieselben, sich im Gouvernement Cherson anzusiedeln. Trotz allen Wehklagens mussten 1200 Personen, darunter Greise und Kinder, die in damaliger Zeit außerordentlich beschwerliche Reise antreten. 300 Personen starben unterwegs. Ein Teil fiel der Pest zum Opfer, welche bald nach der Ansiedlung ausbrach. Einige ergriffen sogar die Flucht.

Reiseweg der Schweden (selbst erstellt mit google maps11)

Im Jahre 1794 bestand die Kolonie nur noch aus 227 Personen, und doch hatte sie 12.000 Dessjatinen Land zugewiesen bekommen. Ein Beweis, wie gering der Wert des Landes damals angeschlagen wurde, ist die Thatsache, daß die Kolonie Altschwedendorf im Jahr 1804 einen Theil ihres Landbesitzes an die neu entstehenden Kolonien Mühlhausendorf und Schlangendorf abtrat.

Skizze zur Lage der schwedischen Kolonien, Sep. 19423

Im Jahre 1863 – so berichtet G. C. Nöltingk in seiner Festschrift: „Bericht über die Wirksamkeit der Unterstützungskasse für evang.-luth. Gemeinden in Rußland“ – stellte sich die Nothwendigkeit heraus, an Stelle des alten verfallenen Kirchleins vom Jahre 1788, das so klein war, daß immer nur eine der drei Kolonien zur Zeit den Gottesdienst besuchen konnte, eine neue Kirche zu bauen. War es bloß konservativer Sinn, daß die Schweden die neue Kirche durchaus an dem Platz haben wollten, wo die Kaiserin Katharina die erste erbauen ließ, der am äußersten Ende der Ansiedlung lag; – die Deutschen, in Uebereinstimmung mit dem Konsistorium, in der Mitte der Dörfer neben dem Pastorat. Der Streit währte über ein Jahrzehnt, bis die Unterstützungskasse ihre Beisteuer zum Bau im Betrag von 1200 Rbl. zurückzuziehen drohte, falls derselbe nicht vor dem Ende des Jahres 1878 in Angriff genommen sein werde. Diese beklagenswerthe Uneinigkeit mag wohl die lange andauernde Pfarrvakanz und damit den Beschluß des Bezirks-Comites vom Jahr 1883 veranlaßt haben, ein Theologenstipendium von 300 Rbl. ausschließlich zu Gunsten Altschwedendorfs zu gründen. 

Schwedisch-lutherische Kirche, Zmiivka4

2. Der Liebenthaler Kolonisten Bezirk.

Zu Anfang unseres Jahrhunderts, als sämmtliche Staaten Westeuropas vor der Wahl standen, „sich entweder dem despotischen Soldatenkaiser Napoleon zu ergeben oder als Ueberwundene nach der Strenge les Kriegsgesetzes behandelt zu werden“, erging von Seiten des menschenfreundlichen Kaisers Alexander des Ersten von Russland durch seine Gesandten und Konsuln an Auswanderungslustige in Württemberg die willkommene Einladung, ihre Heimath zu verlassen und als Kolonisten nach Rußland zu kommen. In den Jahren 1803 und 1804 begann die Auswanderung zu verschiedenen Zeiten in einzelnen Kolonnen oder Transporten. Zwei Regierungskommissäre, Ziegler und Esch hatten die Sammlung der deutschen Bauern zum Zweck der Ansiedlung in Rußland zu bewerkstelligen. Der jeweilige Sammelplatz der Auswanderer war die Stadt Ulm in Württemberg. Hier schiffte man sich ein, um die Reise auf dem Wasserwege die Donau hinunter über das Schwarze Meer zu machen.

Gegen 1000 Familien trafen allmählich unter der Leitung der Regierungskommissäre in Odessa ein, in dessen Umgegend sie ihre neue Heimath finden sollten. Graf Pototsky hatte hier sein Land der Regierung verkauft, und nun wurde es den deutschen Ansiedlern zugemessen. Von der russischen Grenzstadt Raziwilow an, wo einige Kolonnen 2 Monate lang Winterquartier aufschlugen, bekamen sie bis zur Ansiedlung von der hohen Krone nebst Vorspann täglich auf den Kopf eines Erwachsenen 10 Kop. und eines Kindes unter 14 Jahren 5 Kop. Diese Gelder wurden ihnen am Ort ihrer Bestimmung noch 2 Jahre lang unter dem Namen Tag- oder Nahrungsgeld geschenkweise ausgezahlt. Außerdem bekam jeder Familienvater vorschussweise das Nothwendigste an Feld- und Hausgeräthschaften, Brot- und Saatfrucht, ein Paar Ochsen, einen hölzernen Wagen, fünf Rbl. Banko für eine Kuh, einen Pflug und auf 3-4 Wirthe eine Egge. Dieser Vorschuss belief sich auf jeden Wirth mit Einschluß des Fachhauses, welches die Krone ihnen baute, auf 355 Rbl. Banko. Es gab auch wohlhabende Leute unter den Ansiedlerpionieren das Liebenthaler Bezirks, welche weder Reise- noch Tagegelder namen; aber ihre Zahl läßt sich nicht mehr feststellen.

Die Ansiedlung geschah unter der Oberaufsichts des damaligen Generalgouverneurs von Neurußland, Herzog von Richelieu, durch den damaligen Verwalter der Odessaschen ausländischen Ansiedlungen, Fürsten von Meschtschersky. Zu den ersten Ansiedlern aus Württemberg gestellten sich noch solche, deren Eltern in den Jahren 1782 und 1783 aus Württemberg und Rheinbaiern nach Ungarn gezogen waren und selbst im Padscher Komitat und Banat geboren sind. In Ungarn den Betrieb der Landwirthschaft gründlich erlernt und zogen es vor, den russischen Boden zu bearbeiten, weil ihnen daselbst unter anderem Freiheit vom Militairdienst versprochen wurde. Später kamen noch Handwerker und andere Beisassen hinzu, welche zwar kein Land, aber Gartenstücke und Hausplätze erhielten und Kleinhäusler genannt wurden.

Fortsetzung folgt 

1 Zeitungsartikel, erschienen in „Der Staats-Anzeiger, Bismarck, N.D.“ 28.11.1912, Abschrift wie im Original und kommentiert: J. Rzadkowski

2 Le-Roy, in russischen Diensten stehender Unternehmer und Werber, seine Transporte zogen über Regensburg, Weimar, Lüneburg nach Lübeck, von dort per Schiff nach Russland

3 Kartenskizze aus der AkteAlt Schwedendorf des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete, Mikrofilm LDS 007938111

4 Шведська лютеранська церква, Зміївка Дзюбак Володимир – Eigenes Werk 30.9.2014 CC BY-SA 4.0

5 Die letzte Ulmer Schachtel, Max von Eyth (1836-1906), erstellt 27.4.1897, Stadtarchiv Ulm, siehe auch Deutsche Fotothek Bild mi13513c02

6 Der Kehlheimer, mit bis zu 42 m, die größte Zille auf der Donau. aus: Schaefer, Kurt; Architectura Navalis Danubiana. Erweiterung 1995. 5. Aufl., S. 299

7 Ing. Ernst Neweklowsky: Donauschiffe (mit 7 Abb.) in: Heimatgauer, Zeitschrift für oberösterreichische Geschichte, Landes- und Volkskunde. Hrsg. von Dr. Adalbert Depiny, Verlag R. Pirngruher, Linz 10. Jahrgang 1929 2. u. 3. Heft, p.160

8 Die Donau bey Kellheim in Bayern. Original-Stahlstich um 1840, Anonymus, Verlag Hildburghausen, Bibliographisches Institut um 1840, Ordinari – reguläre Schiffsfahrt

9 The Bloxberg (from Pesth). Der Gellértberg vom gegenüberliegenden Ufer; Stahlstich von C. Cousen nach W.H. Bartlett, um 1840

10 Johann Peter Fehr, Ulm von Osten, 1795, Aquarell, (Ulmer Museum)

11 Reiseweg J. Rzadkowski, Nutzungsbedingungen google maps

Zur Geschichte Süd Russlands I

Original von 1912 bearbeitet und ergänzt: J. Rzadkowski

(Eingesandt von Jakob Sommerfeld Karlsruhe im Kaukasus)1

  1. Fortsetzung

Von hier an beginnt die energische Auswanderung der russischen Bevölkerung in die Gebiete des heutigen Neurußlands, und zwar die jetzigen Gouvernements Cherson und Jekaterinoslaw, sowie auch die strengere Unterscheidung zwischen den unter einem Heiman stehenden „oberen“ Kosaken im Kiejwschen, Tschernigowschen und Poltanwaschen, d. h. den registrirten und ihrer Verwandtschaft und Anhang einerseits und den unter Kosaken, den Saporogern, in unseren Steppen andererseits. Anfangs bevorzugen die Saporoger, wie sich alle in den russischen Städten Angesiedelten nannten, auch wenn sie vielleicht nur den Sommer hier, den Winter aber in der alten Heimath verbrachten das Land zwischen Dnjepr und Bug, so weit es nicht in den Händen der Tataren war, also die heutigen Kreise Alexandria und Jelisawetgrad, des Chersoner und Werchnednjeprpetrowsk und Jekatherinoslawschen Gouvernements.  Im 17. Jahrhundert dehnten sie ihre Herrschaft auch über das Land am rechten Dnjeprufer aus. Hier reichte ihr Gebiet im Norden ungefähr bis zur Orel, im Osten bis zum Donez und im Süden bis zur Woltschja. In dem Gebiet, dass diesen Jägern und Kriegern von jeher das wichtigste gewesen war, d. Niederung zwischen dem heutigen Alexandrowsk und der Mündung des Rogatschik, dort befand sich an wechselnden Orten, immer auf der rechten Seite des Dnjepr (die Linke war tatarisch) der Sitz der Regierung dieser Aussiedler, die Sitsch2, wo nur ehelose Kosaken wohnen durften.

Karte der rechtsufrigen Gebiete nahc der Teilung 1667 durch den russisch-polnischen Vertrag von Andrussowo3

An der Spitze stand der Koschewoi Ataman4, der durch Wahl eingesetzt wurde und durch Stimmenmehrheit auch wieder abgesetzt werden konnte. Unter den Koschwoi standen die Atamans der Unterabtheilungen des ganzen Saporoger Heeres, der Kurenji, die den Charakter von Landsmannschaften trugen, da sich gewöhnlich die von einer Gegend Stammenden zu einer Kuren vereinigten. Solcher Kurenje gab es 38, deren Mitglieder ihren Wohnsitz hin und her im Lande, der Sitsch dagegen nur eine Vertretung hatten. – Die beste Einnahme hatten die Heeresregierungen von den fünf Ueberfahrten über den Dnjepr und der einen über den Bug, von bedeutendste bei der Mündung der Worskla ca. 12.000 Rubel jährlich Eintrug. Nächstdem brachte den meisten Gewinn die Abgabe von einem Rubel von jeder Familie der verheiratheten Kosaken, die über 12.000 Rubel im Jahr ausmachte. Eine nicht zu verachtende Einnahmequelle der Regierung war auch die Steuer von den zahlreichen Schenken. Abgaben der Kaufleute, die in der Sitsch oder an anderen bedeutenden Orten des Landes Handel trieben, oder der Tschumaken, die die Waaren aus der Krim und in die Krim beförderten, sowie verschiedene Strafgelder flossen zum kleinsten Theil in die Kasse des Heeres, sondern kamen mehr der örtlichen Behörde, die sie erhob oder auflegte, zu gut. Eine manchmal bedeutende, aber recht unsichere Einnahme der Heeresverwaltung waren die Geschenke von Moskau, Polen und von dem krimschen Chan.

Das Verhältnis der Saporoger, sowie auch der oberen Kosaken zum polnischen Reich war ein sehr wechselvolles. Bald werden sie vom König belobt und als Muster hingestellt, bald werden sie Feinde des Vaterlands genannt, die mit allen Mitteln bekämpft werden müssen – je nachdem sie gerade im Kampf gegen Türken oder Tataren oder den Zar von Moskau nöthig waren oder nicht oder je nachdem sie das gute Verhältniß zu diesen Staaten durch Räubereien, wofür die polnische Krone verantworten mußte, störten oder nicht. Die feindselige Stimmung gegen Polen wuchs jedoch beständig und endlich machten sich die Kosaken unter der Führung Bogdan Chmelnitzkis5 in der Entscheidungsschlacht an den Scheltya Wody, einem Nebenfluß des Ingulez, von diesem Reiche los und stellten sich unter die Oberherrschaft des Moskauischen Zaren.

„Der Tod des Stefan Potocki in der Schlacht von Zhovti Vody“ im Jahre 16486

In den darauffolgenden Kämpfen fielen die oberen Kosaken rechts vom Dnjepr wohl wieder an die polnische Krone zurück, aber die links vom Dnjepr wohnenden blieben endgültig bei Moskau, sowie auch die Saporoger. Diese letzteren freilich spielten auch jetzt das alte Spiel:  von wem sie Vortheil erhofften, dem dienten sie, heute dem Zaren, morgen dem Polen, und wenn´s Nutzen versprach, übermorgen dem türkischen Sultan. Wir verstehen dieses Hin und Her aber besser, wenn wir im Auge behalten, daß sie im Grunde eine vollkommen unabhängige Stellung inne hatten, und wenn wir sehen wie sich die Beherrscher von Polen, der Türkei, des heiligen römischen Reichs und sogar der Zar von Moskau dem sie doch eigentlich unterthan waren, sich immer wieder um ihre Bundesgenossenschaft bewarben, zumal wenn die Bewerbungen von manchmal recht bedeutenden Geschenken und in der Regel von den verlockendsten Versprechungen begleitet waren. Aber das muss gesagt sein. Sympathie führten die Kosaken nur zu dem stamm- und glaubensverwandten Moskau, dem ihre Nachkommen denn auch in Treue dienen bis auf den heutigen Tag.

Der Kampf zwischen Tataren und Türken einerseits und den Saporogern, dem Moskauschen und dem polnischen Reich andererseits drückte dem Leben in unseren Steppen im 17. und bis tief ins 18. Jahrhundert hinein den Stempel auf. Dem Tataren war’s nicht genug, zwischen Berda und Donau seine Schafe und Pferde zu weiden, er wollte von Zeit zu Zeit auch schnellen und reichen Gewinn erjagen, und den konnte er nur auf Raubzügen in die angrenzenden Gebiete finden, die ihm oft große Beute an Menschen und Vieh brachten. Kleine Raubüberfälle in russisches Gebiet kamen Jahr für Jahr vor, dann und wann auch große, die in ihren Folgen immer höchst verderblich waren. Wie störend und schadenbringend diese fortwährenden Beunruhigungen und der damit verbundene Menschenraub für die Kolonisation der Steppen-Grenzländer des Moskauischen Reiches war, sieht man aus dem beständigen und angestrengten Bestreben dieses Reiches, solche Ueberfälle thunlichst zu verhindern durch einen außerordentlich entwickelten Wachpostendienst, durch Anlage von Grenzwällen mit befestigten Orten, die eine kriegstüchtige Einwohnerschaft erhielten, und endlich: kriegerische Unternehmungen größeren Stils, um die Räuber in ihren Schlupfwinkeln zu bestrafen und ihnen Furcht vor der Macht des Zaren einzuflößen. –  

„Angriff der Tataren“ von Georges Marie Rochegrosse (1859-1938)7

Aber der Einbruch der tatarischen Banden geschah dadurch, daß jeder einzelne Reiter 2 – 3 Pferde mitnahm, die er nach Bedarf wechselte, mit so großer Schnelligkeit, daß gewöhnlich der Feind schon mit der Nachricht von seinem Anrücken ins Land kam. Die befestigten Wälle, so wirksam auch Gräben und Schanzen hergestellt waren, wie z. B an der heute noch imposanten, sogenannten Ukrainschen Linie zu sehen ist, im Süden des Poltawschen und Charkowschen Gouvernements vom Dnjepr zum Don zog, – die Tataren brachen durch, und ehe Hilfe dawer, waren sie meist schon wieder zurück und der Strafe entgangen. Auch die großen Strafzüge in die Krim, unter Golizyn im 17. und unter Minnich im 18. Jahrhundert, verliefen resultatlos, da die Tataren einer Schlacht auswichen und schließlich in den Einöden unsrer Steppen der Proviant für die zahlreiche Mannschaft und für die Pferde ausging, so daß nur der Rückzug die Heere vor großem Unglück bewahrte. – Der Moskauische Staat suchte übrigens dem massenhaften Verluste seiner Unterthanen bei den Raubzügen der Tataren dadurch zu begegnen, daß er von seinen Unterthanen eine besondere Abgabe erhob, eine sogenannte Gefangenensteuer, die zum Loskauf von Gefangenen verwendet wurde, und ferner dadurch, daß er zur Flucht aus der Gefangenschaft anspornte durch Verleihung besonderer Vergünstigungen an solche Gefangene, die sich durch Flucht in die Heimath gerettet hatten. Es ist aber doch begreiflich, daß unter diesen Umständen die Kolonisation der Steppe von Seiten des Moskauer Zarthums nur langsam von statten ging. Und auch die Besiedlung durch die Saporoger, obgleich sie immer weitere Gebiete umfaßte, war recht spärliche; Leute, die vornehmlich von Jagd und dem Ertrag irer Heerden leben, brauchen eben außerordentlich viel Raum.

Angriff der Kosaken in der Steppe8

Unsere Steppen begannen sich mehr zu bevölkern, erst als die Regierung zur Massenansiedlung schritt. Peter der Große griff als erster zu diesem Mittel und siedelte im Jahre 1723 ein Regiment Serben und Ungarn bei der Stadt Slawjansk an. In größeren Stil wurde die Besiedlung fortgesetzt von der Kaiserin Anna, die die „Ukrainsche Linie“ mit 20.000 Landwehrsoldaten besetzte, und von der Kaiserin Elisabeth, die Schaaren ausländischer Soldaten slawischer Abstammung als Ansiedler ins Land rief. In zwei großen Zügen, im Jahre 1751 und 1753, kamen sie herein und wurden im Nordosten des heutigen Chersonschen und im äußersten Osten dass sie Jekaterinoslawschen Gouvernements angesiedelt. Noch heute tragen viele Ortschaften im Osten des Bachmuter Kreises die Zahl der betreffenden Kompangie (pota), die sich damals da selbst niederließ, als allgemein gebräuchliche Namen, z. B.  wird das Dorf Beprhee am Donetz Lissitschansk allgemein „dritte Rotte“ genannt und so haben wir eine „fünfte“ Rotte u.a.m. – Zum Schutz der bei dieser Kolonisation aus dem Jelisawetgradschen nach Süden gedrängten Altgläubigen wurde unter diesen in beträchtlicher Anzahl russisches Militär angesiedelt.

Und was sagen die Saporoger zur Besitzergreifung dieser Gebiete, die sie z. Th. seit mehr als 150 Jahren in unbestrittenen Besitz gehabt hatten? Sie protestirten; aber das war auch alles. Seit Peter, der ihnen anfangs sehr gewogen gewesen war, sie für ihr Bündniß mit Mareppa und Karl von Schweden im Jahre 1709 aus dem Lande vertrieben hatte, war ihre Macht dahin. Und als sie auf die Erlaubniß der Kaiserin Anna im Jahre 1733 wieder zurückkehrten, konnten sie ihre frühere Stellung als nur dem Namen nach abhängiger, in Wirklichkeit aber selbstständiger Staat im Staate nicht mehr zurückgewinnen. Sie hatten auch ihre Bedeutung verloren. Die Tataren war nicht mehr so zu fürchten wie einst, und man brauchte die Kosaken nicht mehr als Bollwerk gegen sie. Die enormen Gebiete zwischen Bug und Donetz, über die hin sie ihre Chutore und Ansiedlungen ausgebreitet hatten und über die sie allein verfügen wollten, versprachen dem russischen Reich einen vortheilhaften und schon lange erwünschten Gebietszuwachs; und schon darum durfte Rußland sie in keinen anderen Händen sehen, weil sie auf dem Wege zum Schwarzen Meer lagen, wohin es seit Jahrhunderten strebte. Aber trotzdem die Saporoger nur noch einen Schatten ihrer früheren Macht besaßen, gaben sie, von ihrem Recht überzeugt, ihre Ansprüche doch nicht auf und versuchten endlich sogar noch einmal mit Gewalt den Serben und Jelisawetgrad das Land, das Elisabeth ihnen angewiesen hatte, zu entreißen. Diese und andere Gewaltthätigkeiten veranlaßten die Kaiserin Katharina, den Saporogern ein Ende zu machen. Im Mai des Jahres 1775 wurde die Sitsch besetzt und der letzte Ataman mit dem ganzen Bestand des Heeresregierung gefangen genommen.

Bild einer Sitsch10

Die verheiratheten Kosaken, die hin und her zerstreut wohnten, blieben im Lande und genossen weiterhin die Rechte militärischer Ansiedler. Ein Theil der unverheiratheten, die den Kern des Heeres bildeten, wanderte an die Donau aus; ein anderer an den Kuban und bildete dort den Grundstock der hervorragend kriegstüchtigen Schwarzmeerkosaken9. Kurz vorher war auch endlich das größte Hinderniß der gedeihlichen Kolonisirung der südrussischen Steppen aus dem Wege geräumt worden. Nach langem blutigen Krieg mit der Türkei, zu dessen Beginn die Tataren noch einmal bei einem schrecklichen Raubeinfall den Boden der russischen Grenzlande mit Blut überschwemmt hatten, so daß diese furchtbare Zeit noch lange im Gedächtniß des Volkes haften blieb, – nach langem Krieg trat der Sultan im J. 1774 die Küstenländer von Kertsch bis Kinburn an Rußland ab und entsagte allen Hoheitsrechten über die Krim. Diese wurde darauf unter russisches Protektorat genommen und neun Jahre später mit dem Reich endgültig vereinigt.

Carte du Gouvernement de Tauride, Comprenant la Krimee et les Pays Voisins. Dezauche, Jean Claude. Paris, 178811

Jetzt galt es aber die Steppen zu besiedeln, denn was an Bewohnern vorhanden war, verschwand auf dem unendlichen Ebene ganz und gar. Trotz aller Colonisationsarbeit im 18. Jahrhundert konnte Potjemkin die Einwohnerzahl der Jekaterinoslawer Statthalterschaft die die heutigen Gouvernements die Jekaterinoslawer und Cherson, ein bedeutendes Gebiet des Taurischen und Theile des Poldawschen, und Podolischen Gouvernements umfaßte, nur auf 150.000 Seelen beziffern; heute hat jeder einzelne der 8 Kreise des Jekaterinoslawschen Gouvernements, eine größere, einige darunter eine doppelte und dreifache Einwohnerzahl. Um rieser Menschenarmuth des sonst so reichen Landes abzuhelfen, vertheilte die Krone an Personen aus dem Offizier- und Beamtenstand je nach dem Rang kleinere oder größere Ländereien, der Bedingung Eigenthum wurden, daß die Empfänger sie besiedelten mit „verheirathetem und seßhaftem Volk aus zuverlässigen und nicht verbotenen Orten.“ Die Durchführung dieser weisen Maßregel hat am meisten zur Besiedlung unserer südrussischen Steppen beigetragen und besonders aus Kleinrussland sehr viele Auswanderer angezogen. – Von fremdländischen Völkerschaften haben damals an der Besiedlung hauptsächlich theilgenommen: Armenier, Griechen und Deutsche. Die Armenier kamen im Jahre 1779 aus der Krim und legten die Stadt Nachitschewan am Don sowie 5 Kolonieen in der Steppe an, die bis jetzt existiren. Die Griechen, die im selben Jahre, 17.000 Seelen stark, die Krim verließen, erhielten im heutigen Mariupolschen Kreis Wohnplätze angewiesen und gründeten dort die Stadt Mariupol und 24 Kolonien.

Die Übersiedlung griechischer Christen von der Krim an die Küste des Asowschen Meeres in den Jahren 1778-178012

Das wichtigste Kolonistenmaterial stellten jedoch die Deutschen. Ueber deren Einwanderung, Verbreitung und gegenwärtige Lage wird im folgenden Abschnitt ein trefflicher Kenner unseres Südens dem Leser Bericht erstatten.

Fortsetzung folgt 

1Zeitungsartikel, erschienen in „Der Staats-Anzeiger, Bismarck, N.D.“ 21.11.1912, Abschrift wie im Original und kommentiert: J. Rzadkowski

2 kleine Städtchen und Siedlungen aus Holz

3 Alex Tora – Own work by uploader (based on Енциклопедія українознавства (у 10 томах) / Головний редактор Володимир Кубійович. — Париж, Нью-Йорк: «Молоде Життя», 1954—1989.) Правобережжя 1.4.2009 CC BY-SA 3.0 rechtsufrige Ukraine

4 Oberhaupt (Ataman koschewoi)

5 Anmerkung Chmelnyzkyj-Aufstand 1648-1657, siehe Wikipedia: „Die Kosaken begannen einen unaufhaltsamen Vormarsch Richtung Westen, wobei während des Feldzugs Massaker großen Ausmaßes an Polen, Jesuiten, römisch-katholischen Geistlichen und Juden begangen wurden. Wie viele Juden den Pogromen zum Opfer fielen, ist aufgrund der Quellenlage nicht mit Sicherheit auszumachen: Der Völkermordforscher Gunnar Heinsohn schätzte, dass zwischen 34.000 und 42.500 Menschen ermordet wurden.Der in Israel lehrende Historiker Shaul Stampfer kam bei seinen Berechnungen auf 18.000 bis 20.000 Tote, was etwa der Hälfte der damals in der Ukraine (Rotruthenien dabei nicht mitgerechnet) lebenden Juden entsprach. „Die Grausamkeit der Kosaken setzte grauenerregende Vorbilder in die Welt.“ Viele Juden (möglicherweise mehr als 1000) konvertierten zur Orthodoxen Kirche, um ihr Leben zu retten. Mindestens 3000 Juden verkauften die Kosaken als Sklaven in das Osmanische Reich.“

6 Death of Stefan Potocki at the Battle of Zhovti Vody 1648, Juliusz Kossak  (1824–1899) gemeinfrei, Originalquelle: http://kpbc.umk.pl/dlibra/doccontent?id=40038&dirids=1

7 Angriff der Tataren von Georges Marie Rochegrosse (1859-1938) Bild ID: 837997 auf Meisterdrucke

8 An attack of Zaporozhian Cossacks in the steppe von Franz Roubaud  (1856–1928) gemeinfrei, Quelle http://www.bg-gallery.ru/image.php?img_id=588

9 Anmerkung: Die überlebende Kosaken nach dem Ukas “ Zaporozer Sic“ von 1775 formierten sich 1788 als Schwarzmeerkosaken Heer, wurden im Kampf gegen die Osmanen eingesetzt und als Bug Kosakenheer am Westufer des Schwazen Meeres angesiedelt, später am rechten Ufer des Kuban. Sie bewahrten ihre Traditionen auch im später geschaffenen Kuban Kosakenheer. siehe Andreas Kappler: Die Kosaken, C.H. Beck, München, 2013, p 38f

10 Aleksandr Rigelman – Д. И. Яворницкий, Запорожье в остатках старины и преданиях народа: У 2-х ч. — СПб., 1888. — Ч. 2. — С. 168, Рис. 32; https://www.libr.dp.ua/fullkr/index.php?pbp=699 Public Domain Bild in der WIkipedia

11 Carte du Gouvernement de Tauride, Comprenant la Krimee et les Pays Voisins. Dezauche, Jean Claude. Paris, 1788

12 Kira Kaurinkoski: Les Grecs dans l’Empire russe et en Ukraine, Mondes méditerranéens et balkaniques (MMB) | 11; 2018; p. 51-86, Fig. 3 – Le transfert des chrétiens grecs de Crimée sur les rives de la mer d’Azov en 1778-1780.

Zur Geschichte Süd Russlands

Original von 1912 bearbeitet und ergänzt: J. Rzadkowski

(eingesandt von Jakob Sommerfeld Karlsruhe im Kaukasus1)

Die Steppen zwischen Donau und Don sind schon in vieler Herren Hände gewesen. Ersten Nachrichten über sie hat der kleinasiatische Gelehrte Herodot gebracht, mehr als 2300 Jahren bereist hat. Damals waren die Skythen, ein kriegerisches Hirtenvolk, hier die Herren. Sie fürchteten keinen Feind. Wenn je einmal ein Feind sich in ihr Land wagte, so zogen sie sich lange Zeit vor ihm zurück, und wenn die Angreifer in den endlosen Steppen bald weder ein noch aus wussten und schließlich durch Anstrengung und Entbehrung geschwächt waren, so fielen die Skythen über sie her und machten ihnen den Garaus. Da die meisten Skythen von Fleisch und der Milch ihrer Herden lebten, sie ihre Wohn- und Weideplätze oft und wohnten in Zelten, die schnell errichtet und schnell wieder zusammengelegt werden konnten.

Aehnlich wie die Skythen lebten auch die Tataren, die unsern Süden in geschichtlicher Zeit am längsten von allen Völkern im Besitz gehabt haben. Wir wissen, daß Charsaren, Petschenegen, Polowzer und andere Völker zwischen Donau und Don gewohnt haben, aber keines von diesen Völkern hat eine solche Rolle in der Geschichte Südrusslands gespielt wie die Tataren.

Kiewer Rus im 11. Jahrhundert2

– Wie gewiß vielen Lesern bekannt ist, haben vor langer Zeit ungeheuer große tatarische Horden von Morgen her Russland überfluthet. Die zahlreichen russischen Fürstenthümer wurden mit Feuer und Schwert verwüstet und tributpflichtig gemacht. Der ganze Osten und Südosten des europäischen Russlands aber wurde von den Tataren im Besitz genommen, die dort ein Reich gründeten, die „Goldene Horde“ genannt. Wegen Uneinigkeit trennten sich jedoch im Lauf der Zeit bedeutende Theile von diesem Reiche los.

Das Reich der Goldenen Horde im Jahr 13893

So zogen, wahrscheinlich um die Mitte des 15. Jahrhunderts, viele Tataren unter Dewlet-Gerai in die südrussischen Steppen und gründeten dort ein selbstständiges Reich, dessen Beherrscher in der Krim residirte. Doch auch dieses zerfiel. Ein Theil der Tataren bildete das Reich der krimschen Chane, der andere aber, mit dem Chan Nogai an der Spitze, errichtete in der Steppe zwischen Kuban und Donau ein Reich von anfangs unabhängigen, später zum Theil dem krimschen Chan untergebenen Nomadengruppen, deren bekannteste und uns hier am meisten interessirende ihre Gebiete ungefähr folgendermaßen gegeneinander abgegrenzt hatten.

Westteil der Goldenen Horde im späten 14. Jahrhundert4

Die erste nomadisirte (wenn wir die jetzigen geographischen Benennungen gebrauchen) im Melitopoler, Berdjaner und im Norden des Dnjeprowschen Kreises des taurischen Gouvernements. Der Sitz ihrer Regierung war am Rogatschik, der unterhalb der Plawni in den Dnjepr fällt. Die zweite nomadisirte im Süden des Dnjeprowschen und im Norden des Perekoper Kreises und heute zur Hauptstadt Perekop. Die dritte nomadisirte in den Kreisen Cherson, Ananjew, Tiraspol und Odessa und hatte das den Polen abgenommene Otschakow zur Residenz. Die vierte nomadisirte zwischen dem Unterlauf des Dnjestr und der Donau. Ihre Hauptstadt war Akkerman, die „weiße Stadt“, wie die polnischen und russischen Chronisten sie gewöhnlich nannten. Diese 4. Horde, die den Namen der Butschazker oder Belgoroder Horde führten, hatte so viel Zugehörige, daß sie 30.000 berittene Krieger stellen konnte, und war wegen ihrer Tapferkeit und ihrer vorzüglichen Reiter weit und breit berühmt und gefürchtet.

Wir können also die Grenze des Landes der nogaischen Tataren ungefähr folgendermaßen bestimmen. Im Westen; die heutige russische Grenze von der Kiliamündung ca 150 Werst nach Norden zu; im Norden: Linie über Balta nach Schwedendorf, Nikolpol und Alexandrowsk; im Nordosten und Osten: eine Linie von Alexandrowsk nach Berdjansk; im Süden: das Asowsche Meer, die Krim u. das Schwarze Meer bis zur Kiliamündung. Das Gebiet, das der heutige Mariupoler Kreis und der Taganroger Bezirk einnehmen, war damals herrenlos, und erst auf der linken Seite des Don waren wieder Nomaden in buntem Gemisch anzutreffen, zusammenfassend die Groß-Nogaier genannt wurden im Unterschied von den eben beschriebenen Klein-Nogaiern.

Karte von Russland (Moscovia) von Sigismund von Herberstein, 1549. Die Nogaier Tartaren (Nagayski Tartare) sind an der Wolga eingezeichnet5

Das unter Dewlet-Gerai friedliche Verhältnis zwischen Tataren und Slaven wurde ein feindseliges, als am Ende des 15. Jahrhunderts die Krim in türkische Hände kam. Diese führten den Mohamedanismus ein und verbreiteten Hass gegen alles, was Christ war. Seit dann fingen die Tataren auch an, in größerem Umfang auf Menschenraub auszugehen, denn die Türken bezahlten die Sklaven mit schwerem Geld. Bald wurde Kafa, das heutige Feodosia, ein im ganzen Orient bekannter Markt für Menschenwaare, wo oft bis zu 30.000 Sklaven zum Verkauf standen.

Die Krim im 15. Jahrhundert grün: Fürstentum Theodoro rot: Genueser Kolonien blau: Khanat der Krim6

Aber ungeachtet aller Feinde und aller Gefahren drängten Russen, Polen und Litthauer von Norden und Westen in die Steppe hinein. – Im Moskauschen Zarenreich wurde die Kolonisation der Grenzländer von der Regierung organisirt und die besiedelten Gebiete durch befestigte Plätze geschützt. So schob das russische Reich durch schrittweise, friedliche Eroberung seine Grenzen gegen Ende des 16. Jahrhunderts bis Woronesch und Kursk und im 17. bis Charkow vor, unter fortdauernder Vervollständigung des Netzes von befestigten Plätzen in den schon besiedelten Gebieten. Die in der Mehrzahl aus Centralrußland stammenden Kolonisten erhielten Land und Geld und waren dafür verpflichtet, zur Vertheidigung des Landes gegen die Tataren ihr Möglichstes zu thun. Daß die doppelte Aufgabe, seinem Erwerb nachzugehen und gegen Ueberfälle allzeit gerüstet zu sein, große Schwierigkeiten bereitete, sehen wir daraus daß die Kolonisten ihre Erntearbeiten manchmal nur so bewerkstelligen konnten, das ein Theil die Feldarbeit verrichtete und der andere unter Waffen stand und die Wache hielt. – Die im 17. Jahrhundert mehr und mehr anwachsende Einwanderung der Kleinrussen (vornehmlich in das Gouvernement Charkow) war einer besonderen Unterstützung durch die Regierung nicht bedürftig.

Grüne Gebiete standen unter Herrschaft der Türken, orange unter jener der Tataren, gelbe unter ihrer Oberhoheit7

In Polen und Litthauen ging die Kolonisation wesentlich anders vor sich. So lange die Länderstrecken am mittleren Dnjepr ein Theil des Litthtauischen Reiches waren, ging es den die Hauptbevölkerung ausmachenden orthodoxen russischen Bauern leidlich gut. Wenn sie auch, wie z.B  im Kiejewschen nach Verwandlung des russischen Fürstenthums in eine litthauische Wojewodschaft im Jahre 1471, ihr Recht auf Landbesitz verloren, so wurden sie doch nicht als Leibeigene betrachtet und konnten nach litthauischem Gesetz jederzeit einen Ort, der Ihnen nicht gefiel, verlassen und sich an einem anderen ansiedeln. Von diesem Recht machten in der That schon damals viele Bauern Gebrauch, verließen das waldreiche Innere und siedelten sich in den Grenzdistrikten an, wo sich Wald und Steppe vereinigen, zogen wohl auch darüber hinaus, in die Steppe hinein. Der Staat gewährte ihnen dort nirgends Schutz, wie Moskau seine Kolonisten durch feste Plätze und auch Soldaten, wenn´s Not that, sondern jeder musste sich selbst seine Haut wehren. Das erzog in jenen Grenzbewohnern ein furchtloses und kampffreudiges Geschlecht. Und Gelegenheit, die Waffen zu gebrauchen, gab´s genug: daheim, wenn es galt, einen Ueberfall abzuwehren, und in der Fremde, die den Bewohner der südlichen, polnisch-litthauischen Grenzländer noch viel mehr lockte als den Kolonisten der südlichen Grenzländer des Moskauischen Reiches. Das Land unterhalb der Stromschnellen des Dnjepr mit seinem fabelhaften Reichthum an Fischen und Wild und seiner vortrefflichen Weide zu allen Jahreszeiten lockte den Jäger und Fischer, und damals war fast jeder Bauer auch dies oder jenes, wie die Bauern an vielen Orten des mittleren und oberen Dnjepr noch heute. Dann war im Dnjepr eine bequeme, vor Angriffen tatarischer Reiter gut geschützte Verkehrsstraße vorhanden, und mancher blieb schließlich ganz im Süden wohnen, wo er seinen Lebensunterhalt reichlich fand, wenn auch ohne Schutz des Staates, der übrigens auch mitten in der litthauischen Heimat recht dürftig war, in jeder Beziehung als freier Mann lebte. Diese Jäger und Fischer kamen mit den Tataren in häufige Berührung sowohl bei der Ausübung ihres Gewerbes als bei feindlichem Anlass; sie lernten den Charakter und die Kampfesweise der Tataren dabei genau kennen und nahmen vieles davon an. Von ihnen haben sie auch den Namen „Kosak“ entlehnt, den die Nomaden in den Kirgisensteppen noch heute führen und der soviel bedeutet wie „herumziehender leichter Reiter“. Nur fügten sie zu der mongolischen Schlauheit und Vorsicht die echt russische Verwegenheit, was sie zu einem für Krieg und Sieg geradezu wie geschaffenen Volkselement machte. Mit dem ehrenvollen Namen „Kosak“, schon im 15. Jahrhundert vorkommt, nannten sich bald alle freiheitslustigen Bewohner der Grenzdistrikte und sogar des Innenlandes. Die Staroste Lanzkoronski und der weitblickende Daschkowitsch gaben ihnen im Beginn des 16. eine gewisse Organisation und von nun an hörten sie nicht auf, von ihren Thaten zu Land und zu Wasser aller Welt reden und staunen zu machen.

Wie gesagt: das Land, daß die Kolonisten an der Grenze besetzten, wurde damals für nahezu wertlos gehalten und kein Edelmann fragte danach, da nur dasjenige Land für werthvoll galt, daß viel Wald hatte. Ueberdies gab’s in den Ländereien an und über der Grenze allerlei Gefahren, die so einen Edelmann sein Leben nicht recht genießen ließen, darum sahen die Herren des Landes einer Besitzergreifung jenes Grenzgebietes durch ihre Bauernbevölkerung gleichmüthig zu, ja waren wohl noch zufrieden damit, da diese Leute an der Grenze etwas wie ein Bollwerk gegen die räuberischen Einfälle der Tataren darstellten.

Diese für die Bauernbevölkerung verhältnismäßig günstigen Verhältnisse in änderten sich aber vollständig, nachdem in der Lublinischen Union vom Jahre 1569 Litthauen und Polen, ihr seit bald 200 Jahren wohl immer zusammen einen König, aber doch sonst verschiedene Verfassung gehabt hatten, zu einem Reiche verschmolzen wurden und polnisches Recht auch in den altrussischen Gebieten am Dnjepr an Stelle des litthauischen das herrschende wurde.

Adelsrepublik der Lubliner Union 1569. Farblich abgehoben: Litauen (nicht königlich, sondern großfürstlich) und die beiden der Union nur als Lehen unterstehenden Herzogtümer Preußen und Kurland8

Das polnische Recht kannte nur drei Stände:  Adel, Bürgerthum und Leibeigene; für freie Leute, die nicht von Adel waren und nicht in den Städten einem oft durch recht peinliche Bestimmungen eingeengten Gewerbe oder Handel nachgingen, sondern sich ihren Lebensunterhalt verschaffen wollten, wie es gerade gefiel, durch Landbau oder Jagd oder Fischfang oder Kriegsdienst usw., für solche war im polnischen Staat und Recht überhaupt kein Platz. Die polnischen Edelleute setzen auch ihren ganzen Einfluss daran, die freien Russen zu Leibeigenen zu machen. Denn nur dann konnten sie das Land, das sie etwa vom König zu erblicher Nutznießung, zum Lehen, erhalten hatten, sammt den Leuten darauf an den Juden verpachten, und nur dann konnten sie Steuern auflegen und hoffen, daß sie auch bezahlt würden, wenn die bäuerlichen Bewohner Leibeigene waren und an dem Ort leben mussten, wo es der Pan befahl. Hatten sich früher die Edelleute auch nicht im geringsten um jene Ländereien in den Grenzgebieten gekümmert, die weniger Wald aufwiesen und vornehmlich zum Ackerbau geeignet waren und wo sich im Laufe der Jahre die russischen Aussiedler, um dem Druck der litthauischen Regierung zu entgehen, allen Gefahren und Unbilden der Zeitläufe zum Trotz mehr oder weniger dicht angesiedelt hatten, – jetzt, da die Bevölkerung stark zugenommen hatte, die Waldwirthschaft sehr zurückgegangen war und auch jene früher unbeachtet gebliebenen Landstrecken einen Werth bekamen, jetzt bewarben sich die polnischen Edelleute, die außerdem nach Herstellung der Union sich ganz und gar als Herren allen Landes fühlten, und die Wette um die noch nicht vergebenen Ländereien in den Grenzgebieten, d. i. den heutigen Podolischen, Kijewschen, Tschernigowschen, und Poltawschen Gouvernements. Das Land in jenen Gebieten wurde auch größtentheils unter den polnischen Adel aufgetheilt und dann gemeinhin von den neuen Besitzern an Juden verpachtet. Was für einen kolossalen Besitz so ein Magnat oft sein eigen nannte, können wir uns vorstellen, wenn wir hören, daß dem Fürsten Jeremias Wischnewezki, von dem gesagt wurde, daß er „cala Polske na barkach sowich dzwigal“ (ganz Polen auf seinen Schiffen beförderte) ein Streifen Land gehörte, der sich vom Dnjeor beginnend durch das ganze heutige Gouv. Poltawa bis ins Tschernigowsche hinein hinzog, mit der Stadt Poltawa und außerdem mit 55 Städten, ein Gebiet, das über 39.000 Einwohner hatte und an jährlichen Einkommen ohne die Pacht von den Wassermühlen und Schenken die Summe von ungefähr 180.000 Rubel brachte, was nach heutigen Geldverhältnissen eine Million bedeutet. Gewöhnlich verpachteten die polnischen Adligen, was zu verpachten war, an Juden, was zu vielen Unzulänglichkeiten und einer grellen Mißwirthschaft führt. Der russische Bauer kam infolge dessen in vollständige Abhängigkeit der Juden, aus welcher sich viele dadurch zu befreien suchten, indem sie erklärten, sie seien Kosaken. Unter litthauischer Herrschaft bildeten diese eine Art Kriegerkaste, und man legte ihnen wegen der damals unleugbaren Verdienste um die Landesvertheidigung keine Lasten auf, auch wenn sie mitten im Lande lebten, auch die Polen respektirten anfangs die Kosaken und ließen ihnen ihre Freiheit. Als aber unter dem schweren Druck der neuen Regierung das ganze russische Volk in den polnischen Provinzen Kosak sein wollte, da wurde im Jahre 1583 die Zahl der Kosaken durch König Bathory auf 6000 festgesetzt. Diese 6000 wurden in ein Register eingetragen, und wer nicht in´s Register hinein kam, war nicht Kosak und sollte leibeigen sein.

Fortsetzung folgt 

Briefmarke zum 500. Jahrestag der ukrainischen Kosaken (1991)9

1 Zeitungsartikel, erschienen in „Der Staats-Anzeiger, Bismarck, N.D.“ 14.11.1912, Abschrift wie im Original und kommentiert: J. Rzadkowski

2 Kiewer Rus im 11. Jahrhundert, Original version (russian): Koryakov Yuri German translation and minor corrections: KaterBegemot • CC BY-SA 2.5

3 Das Reich der Goldenen Horde im Jahr 1389, MapMaster 5.12.2006 CC BY-SA 3.0

4 Westteil der Goldenen Horde im späten 14. Jahrhundert, Gustav Droysen 1. Januar 1886 Gemeinfrei

5 Karte von Russland (Moscovia) von Sigismund von Herberstein, 1549. Die Nogaier Tartaren (Nagayski Tartare) sind an der Wolga eingezeichnet, Sigismund von Herberstein – http://www.baarnhielm.net/~gorbaa/Kartor/Rysslandskartor/Rysslandskartor.htm ; there are other scans elsewhere, e.g. http://www.themaphouse.com/specialistcat/russiacat/rus1111.html Gemeinfrei

6 Die Krim im 15. Jahrhundert grün: Fürstentum Theodoro rot: Genueser Kolonien blau: Khanat der Krim, Alessandro – Eigenes Werk Gemeinfrei

7 Inhalt: Gebietsverluste des Islam in der Ukraine und auf der Krim Darstellung: islamischer Herrschaft verlorengegangenes Gebiet 1812 bzw. 1792 (grün) islamischer Herrschaft verlorengegangenes Gebiet 1783 bzw. 1774 (orange) und islamischer Oberhoheit verlorengegangenes Gebiet 1739 bzw. 1699 (gelb) stark vereinfacht kann man Grün auch mit osmanisch-türkischer Herrschaft, orange mit krimtatarischer Herrschaft und gelb mit kurzzeitiger türkisch-tatarischer Oberhoheit über die Kosaken gleichsetzen (Ausnahme: das Gebiet von Cherson war bis 1774 türkisch, nicht tatarisch) Brent 18.6.2006 CC BY-SA 3.0

8 Adelsrepublik der Lubliner Union 1569. Farblich abgehoben: Litauen (nicht königlich, sondern großfürstlich) und die beiden der Union nur als Lehen unterstehenden Herzogtümer Preußen und Kurland CC BY-SA 3.0

9 500. Jahrestag der ukrainischen Kosaken (1991), Scanned and processed by A. Sdobnikov. Personal collection, Почтовая марка Украины. 500 лет украинского казачества, 1992; 9.10.2008 Общественное достояние

Deutsche Kolonisten

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