Zur Erinnerung an unsere Vorfahren, die als Migranten aus Süddeutschland in die Welt zogen

Schlagwort: Littich

Pfälzer Geschichten I

Schweizer in der Pfalz

Le Cours du Rhin depuis Strasbourg, jusqu’a Worms et le pays adjacens. 1742, Guillaume de L’Isle (1675-1726), Covens & Mortier Amsterdam

Im Raum Lemberg/Pirmasens treffen die verarmte Familie von Gottesheim und die des Drehers Philipp Heinrich Ludig (Lüttich) (1736–1785) aufeinander. Die Baronesse Wilhelmina Henriette ehelicht dessen Sohn Philipp Heinrich (1773 – 1830) etwa 1802/1803. Bekannt sind 13 Kinder, das letzte in Deutschland geborene Kind kam 1809 zur Welt, ehe die Revisionslisten 1811 das Paar in Taurien erfasst.

Philipp Heinrich Littig (17. Juli 1773 Vinningen1 – 13. November 1830 2Molotschna) war der Sohn des Philipp Heinrich Lüttich (1736–17853) und damit bereits die vierte Generation von Schweizer Einwanderern in die Pfalz. Die Namensschreibweise variierte erheblich.

Dessen Vater, Schäfer Johann Diebold Ludi (um 1699–17374), starb im Jahr nach seiner Geburt auf dem Feld beim Hafer schneiden. Seine Mutter war Maria Barbara Schindeldecker (1708–17535). Dessen Vater, Schäfer Johann Diebold Ludi (um 1699–17376), starb im Jahr nach seiner Geburt auf dem Feld beim Hafer schneiden. Dessen Witwe und Johann Diebolds Mutter, war Maria Barbara Schindeldecker (1708–1753), Ururenkelin des Hanß Seegmüller, welcher 1622 in Buchsweiler hingerichtet wurde, somit Urenkelin von dessen Sohn Arbogast.

Ehe des Ludi mit der Schindeldecker 1733 im KB Pirmasens Heiraten 1685-1787

Die zweite Generation der Einwanderer war Theobald „Diebold“ (um 1663–1743), vermutlich ein Sohn von Christian Ludi, Hofmann seit 1683 auf dem Buchholzhof bei Thaleischweiler.

Thaleischweiler-Fröschen Kartenausschnitt, Freundschafts- und Förderkreis Buchholz Europa e.V., 2015

Ein anderer Sohn des Christian, Johann Georg (um 1656–1730), ebenfalls seit 1683 Hofmann auf dem Buchenholzhof, wurde am 5. Mai 1692 anlässlich einer Grenzziehung erwähnt vom Pirmasenser Amtsschaffner Schmidt:

Soll dann ein hergeloffener Schweizer, der doch einem Buben gleich zu achten, mehr gelten, dann 80 und 90jährige Leute, die alle Gelegenheit wissen, auch an und um Eischweiler auferzogen worden und bei Gewissen behaupten wollen, daß dieser ein gültiger Bannstein seie, und kein Feldstein, der Augenschein ein solches klärlich geben wird.7

Ludi, der später Mahlmüller in Eischweiler wurde, hatte tatsächlich recht.

Theobald „Diebold“ Ludi (um 1663–1743) war die erste Generation der Schweizer Einwanderer in der Pfalz und lebte in Höheinöd und Thaleischweiler. Es ist davon auszugehen, dass Vinzenz „Christian“ Lüti (Lüthi) (1622–vor November 16838) und Anna Elisabetha Brocher (1613–17079) seine Eltern waren. Dieses Paar hatte mindestens 8 Kinder. Er stammte aus Geißenbühl bei Lauperswil und starb wohl in Mittelbrunn bei Landstuhl. Seine Ehefrau Anna Elisabetha Brocher stammte aus Langenthal, Oberaargau und starb in Hitscherhof in der Pfalz. Ihre Ehe wurde 1746 in Geißenbühl geschlossen.

Ausschnitt aus: Topographische Karte der Schweiz, vermessen und hrsg. auf Befehl der Eidgenössischen Behörden; aufgenommen unter der Aufsicht des Generals G.H. Dufour (1845 – 1965),Topographisches Bureau, Genève

Wenn man sich fragt, was dieses Paar und viele andere Schweizer bewegte, ihre Heimat zu verlassen, muss man geschichtlich weit zurückblicken: 10

Bereits im frühen 16. Jahrhundert wurden die Täufer verfolgt, man enteignete ihre Höfe, setzte ein Kopfgeld auf jeden gefangenen Täufer aus. Die Verbannung erreichte ihren Höhepunkt zwischen 1534 und 1540 und gipfelte in Hinrichtungen. Einer von ihnen war Hans Lüthi von Eggerswil im Jahre 1530.

Nicht nur die religiöse Verfolgung vieler Schweizer, auch meiner Vorfahren, war ein Grund. Die neuzeitliche Gletscherhochstandsperiode (1560–1850), mit einem Maximum um 1680, sorgte vor allem in den die Tallagen bei Schmelze verstärkt für Überschwemmungen, Lawinen und Muren.

Die Bevölkerung im Alpenraum erreichte eine Größe, die nicht mehr ernährt werden konnte, eine Erweiterung der Ackerflächen durch Rodungen war ebenfalls unmöglich. Dazu kam das Jüngstenerbrecht (Minorat) im Kanton Bern, Höfe wurden nicht geteilt, die älteren wurden Knechte auf dem Hof oder mussten diesen verlassen.

Durch die Obrigkeit erfolgte eine Vermietung von Berner Soldaten an ausländische Fürstenhöfe, die Bevölkerung litt unter hohen Steuern, wirtschaftliche Einbußen durch den 30-jährigen Krieg und Geldentwertung.

So folgte auf diese Umstände 1653 der Bauernaufstand, Rudolf Wettstein (1594–1666) ließ die Rädelsführer foltern, enthaupten und vierteilen, die Obrigkeit mäßigte sich danach jedoch in ihren Forderungen und senkte Steuern. Diese Entlastung half nicht lange, die harten Winter und der Nahrungsmangel machten der Bevölkerung extrem zu schaffen. So erfolgte ein Bittgesuch wegen der Hungersnot im Jahre 1663 zur Genehmigung des Gemspirschens im Tannheimer Tal: „Die im rauhen Gebirge lebenden Bittsteller leben nur von Gerste und Hafer, welche nicht immer ausreifen und durch Hochwetter bedroht sind.“ 11

Die Täufer, welche sehr zurückgezogen und versteckt in den Gebirgen lebten, mussten nach dem Bernisches Täufermandat vom 8.9.1670 das Land innerhalb von 14 Tagen verlassen. So auch unsere Auswanderer.

Lauperswil, Evangelisch-Reformierte Kirche, Gesamtaussenansicht, (Lauperswyl.) Pfarrhaus und Kirche.; Lauperswil, Jakob Samuel Weibel – helveticarchives.ch; Swiss National Library, Prints and Drawings Department, public domain

Kehren wir zu unserer Familie zurück, in Lauperswil lebten Peter Lüthi, geboren am 1. August 158812 in Lauperswil und Elisabeth Saam, verheiratet seit dem 6. März 161513 in Rüdeswil, deren Sohn Vinzenz „Christian“ wurde 1683 Hofmann auf dem Buchholzhof bei Thaleischweiler.

Vinzenz´ Sohn Johann Georg (um 1656–1730) wurde Müller der Thaleischweiler Mühle – nicht der erste Müller der Sippe, wie man lesen kann in einem Dokument vom 24. August 1622: Spruchbrief zwischen Mathyss Lütti, Müller im Längenbach, einerseits, und Vincentz Lütti seinem Bruder auf dem Gut Blasen, beide im Gericht Signau und in der Kilchhöre Lauperswil, anderseits in einem Streit betreffs Holzschlag, Wasser und Wegrechte auf dem Gut „Blasen“.14

Peters Eltern waren Caspar Lüthi (1560–1859) und Margreth Güman15, Caspars Eltern: „Zenss“ Vinzens Lüthi (um 1525- um 1575) und Anna Berger (um 1526–1574) – Bruder Peter ist bekennender Täufer16

Zenss´ Eltern sind die Stammeltern in Längenbach Lauperswil: Hans Lüthi (1498–1580) und Dorothea (1500–1574)17

Hier nun, im Längenbachtal finden wir den Ursprung unserer Familie, sie gehen von hier aus nach Längenbach und Rüderswil.

Hans Lüthi „der Jung“ (um 1498–1580) besaß den ungeteilten Großhof Längenbach, der Besitz umfasste die heutige Dorfschaft Längenbach mit der Mühlenbesitzung, die Höfe Längenbachboden, Hädermoos und die Blasenhöfe.

Vinzenz Lüthi (1525–1575) erbte den großen Teil des Besitzes ohne Blasengut und Mühlenbesitzung. Seine Nachkommen erwarben 1803 das Mühlengut und besitzen es noch heute.

Sohn Caspar (um 1531) erbte als Müller das Mühlengut mit der Mühle; Sohn Hans (um 1542) saß auf Hädermoos, seine Nachkommen erbten die Güter von Kasper und saßen bis 1803 auf dem Mühlengut.18

Kartenausschnitt Swisscom Directories AG (localsearch) nachbearbeitet Jutta Rzadkowski

Über den Namensursprung weiß man, Lüthi ist die Schweizer Kurzform von Lüthold und seit ca. 1450 als Nachname bekannt. Ursprünglich von Lütwald abgewandelt zum heutigen Leuthold. Lüt, althochdeutsch für Volk, Menschen. Die Silbe -wald, kommt vom althochdeutschen Verb waltan, was herrschen, mächtig sein bedeutete, also war der Lüthi einer, „der unter dem Volk herrscht“.19

Vorfahren des Philipp Heinrich Lüttich (1773-1830)


  1. Vinningen, Mischbuch 1760–1798 ↩︎
  2. Statistischen Bericht über die Prishib-Kolonien für September 1815. Abschrift Taurien e.V. ↩︎
  3. Pirmasens, Taufen 1733–1746; Burgalben, Trauungen 1743–1787 ↩︎
  4. Pirmasens Tote 1736–1750; Pirmasens Ehen 1685–1736 ↩︎
  5. Pirmasens Tote 1685–1732, Heiraten 1685–1787 ↩︎
  6. Pirmasens Tote 1685–1732 ↩︎
  7. Ludwig Mayer; Heimatlexikon Thaleischweiler-Fröschen, Zwei unvollendete Grenzsteine, zitiert aus: Kampfmann Lorenz: Schweizer Einwanderungen in das Amt Lemberg, Pirmasenser Zeitung, Rings um den Horeb, Nr. 7, April 1951 ↩︎
  8. Lauperswil Taufrodel, Eherodel 1586–1623 ↩︎
  9. Langenthal Taufrodel (1580–1626), Eherodel (1581–1626) ↩︎
  10. Sebastian Hölzl: Die Gemeindearchive des Bezirkes Reutte, Tiroler Geschichtsquellen, Innsbruck 1997. ↩︎
  11. Georg Jäger: Fernerluft und Kaaswasser – Hartes Leben auf den Tiroler Almen. Universitätsverlag Wagner, Innsbruck 2008 ↩︎
  12. Lauperswil Taufrodel, Eherodel 1586 – 1623 ↩︎
  13. Rüderswil Taufrodel (1580–1612), Eherodel (1580–1627) ↩︎
  14. https://www.query.sta.be.ch/detail.aspx?ID=59038 ↩︎
  15. Lauperswil Taufrodel (1528–1585), Eherodel (1555–1586) ↩︎
  16. Pfarrer Ernst Müller, Langnau, Geschichte der Bernischen Täufer nach Urkunden zusammengestellt, Frauenfeld, St. Huber Verlag 1895 ↩︎
  17. Genealogisch-Heraldische Gesellschaft der Regio Basel GHGRB: Sammlung Billeter, Julius (1869–1957) ↩︎
  18. Genealogisch-Heraldische Gesellschaft der Regio Basel GHGRB: Sammlung Billeter, Julius (1869–1957) ↩︎
  19. Das Portal der schweizerischen Familiennamenforschung, familiennamen.ch ↩︎


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Die Baronesse und der Schneider

„Mamma, Mamma, stell dir mol vor, die Ur-Ur-Omma war ene Baronin, das hot die Babbe eäben verzählt!“
„Ach, Kindche, was de Eoldere fer Geschischte verzehle. Warum sollte en Hoaggeboorne en Schneider heirate un mit m ihm noch Molodschna ziehe?“

So, oder ählich klang es wohl im Hause Littich (Littig) und man schüttelte ungläubig den Kopf. Der Pfarrer selbst hatte doch den Sterbeeintrag der Urgroßmutter ins Kirchenbuch Molotschna eingetragen, da stand nichts von adlig, Baronesse oder „von“… es war einfach nur Henriette Littich, geborene Gottesheim aus der Stadt Straßburg, die 1844 an Auszehrung starb.1

So hielt sich das „Gerücht“ der adligen Herkunft in der Familie, welches sich im Zuge meiner Nachforschungen als echt bestätigt.

Beginnen wir ganz am Anfang, seit etwa 1300 findet sich die Familie Gottesheim im Elsaß, man vermutete eine Einwanderung aus Tirol oder der Schweiz. Kaiser Maximilian bestätigt im Jahre 1513 den Brüdern Friedrich und Philipp von Gottesheim ihren Adelstitel.

„Innerhalb breiter g. Bordur, in B. ein mit 3 g Sternen hintereinander belegter r. Schrägrechtsbalken. Auf dem Helme ein b. Schwanenrumpf mit dreizackigem r., mit g. Stern je bestetzten Rückenkamm. Decken b. g.“2

Aus der Geschichte wird berichtet, dass die Edlen von Gottesheim zunächst in Hagenau lebten, Philipp II. von Gottesheim war Ende des 16. Jahrhunderts einer der wichtigsten Bürger Hagenaus.

Im Jahr 1560 wurde er zum Schöffen gewählt, 1580 Salzbeseher, dann Verordneter zu St. Georgen, Armbrustversorger, Winterherr, und Pfleger zu Marienthal, in der Elendherberge, bei den Wilhelmitern, den Reuern und den Barfüssern. Michel, Philipps Sohn, war Rendherr in den Jahren 1610 und 1611.

In Strasbourg lebte der Neffe von Philipp II., Matthias II., ihm gehörte das Lehen Geudertheim, er war Mitglied des Rates seit 1581, so war es einfach, um 1625 nach Strasbourg überzusiedeln aus Gründen der Religion, man war nun protestantischen Glaubens.

Mathias von Gottesheim Dreüzehener der Zunfft, gestiftet 161114

Wie lange die Edlen von Gottesheim bereits Lehnsträger waren, zeigen alte Urkunden:

1586, ist ertheilt worden : “ … güter und zinse in Geudertheim und zehenten in etlichen Dörfern, wie 1471, und an der andern Seiten an den weg zum bach gelegen ; it. das halb dorf Geudertheim, den blutbann allda mit zwing und bann, und aller rechten und herrlichkeiten, zinsen, nutzen, gülten und zugehörungen …“3

An. 1680, den 29. Mai, erhalten die Edlen von Gottesheim nochmals von Kaiser Leopold, und am 27. jän.1681, von dem Könige Frankreichs ihr Lehen : „Wir Leopold, röm.kaiser, … bekennen und tun kunt… dass uns des richs lieber getreuer Johan Friedrich von Gottesheim , für sich als der älteste und Lehenträger, und für seine Brüder Eliam und Philipp Friedrich von G., unterthänigst angerufen und gebeten, dass wir ihn auf absterben ires vaters Johann Friedrich, gewesener Lehnträger, die hier nachgeschrieben stück und gilt mit namen : … wie 1586 … so von uns jüngst hiebevor unter dato 12. mai 1671 irem vater verliehen worden… wiederumb zu Lehen verleihen , … angesehen demüthige bitte und nützliche dienste… haben ihn dieselbe stück… gnadiglich zu Lehen gereichet. Prag, 29. mai 1680“3

Den 22. jän. 1726, zu Geudertheim, attestiren die Edlen von G., Phil . Friedrich , Joh . Philipp, und Joh . Friedrich, dass sie, zuvor von k. k. Majestät, jetzt von kön. Maj. in Frankreich, zu lehen tragen: „Das haus mit seiner zugehör in der burg zu hagenau , an der einen seit neben denen von Weitersheim, und uf der andern an dem weg zum bach gelegen. Nota: Peter Barbier als einwohner und besitzer dieses häusleins gibt järlich an lehnung zins 10 gl.; item Felix Bechtold gibt järlich von dem garten plätzlein zu bemeltem haus gehörig …. 1 gl . 5 f.3

Wie aus diesen Urkunden ersichtlich, lebten die von Gottesheim nicht nur in und um Geudertheim, sie waren auch in hohen militärischen Rängen. Der urkundlich 1726 genannte Philipp Friedrich lebte in seinem Schloss in Geudertsheim, später Château du général baron de Schauenburg.4

Verehelicht seit dem 7. Oktober 1699 in Geudertsheim mit Marie Elisabeth Krusenmarch sind mir namentlich bekannt aus den Kirchenbüchern die Kinder Jeoan Philipp Görg (1703-1760), Friedrich Nicolay Emanuel (*1709), Catharina Louisa und Philipp Jacob (um 1714-vor 1779). Letzterer, verrehelicht mit Maria Magdalena Louise Kuder, wurde Vater von Friedrich Heinrich Freiherr von Gottesheim (1749-1808).

Jeoan Philipp Görg (1703-1760), verehelicht am 13. März 1637 in Strasbourg mit der Tochter des dortigen Juweliers Johann Georg Finx, Catharina Dorothea, wurde Vater von Philipp Georg (1738), Friederica Barbara (1739), Friedrich Carl Ludwig (1741), Ernst Friedrich Emmanuel (1742), Franciscus Ludwig (1744), Ludwig Samuel (1746) und Johann Gottlieb (1753). Am 17. Oktober 1760 ist er in der Schlacht bei Kloster Kamp im Siebenjährigen Krieg gefallen.5

Ludwig Samuel Baron von Gottesheim, hier im Gemälde mit weiblichen Familienmitgliedern zu sehen, wurde am 27. August 1746 in Geudertheim geboren.

Geburtseintrag des Barons von 17466

Wie sehr sich sein Leben wandeln würde, war ihm am 2. April 1782 sicher nicht bewußt, als er Catharina, Tochter des Georg Gruber aus Eckwersheim, heiratete. Eine Ehe, die schnell erfolgen musste, da Wilhelmina Henriette bereits am 2. Mai 1782 zur Welt kam, ihre Schwester Magdalena Catharina Louisa, wurde in den Wirren der Französischen Revolution am 13.11.1790 geboren und starb am 5. November 1851 in Wintzenheim.

Geburtseintrag von Wilhelmina Henrietta 17826.1

Der Vulkanausbruch vom 8. Juni 1783 auf Island verursachte erhebliche Veränderungen der klimatischen Bedingungen in Europa, infolge der Kleinen Eiszeit im Jahr 1788 erlitten die Bauern, also etwa vier Fünftel der Bevölkerung Frankreichs, eine massive Missernte, dann folgte ein äußerst harter Winter. Während überall Not herrschte, waren die Speicher vieler weltlichen und geistlichen Grundherren, denen sie Abgaben zu entrichten hatten, wohl gefüllt. Es kam zu Protesten und Forderungen nach Verkauf von Brot zu einem „gerechten Preis“, weil die Getreidepreise stark gestiegen waren. Auch in den Städten stiegen die Preises um das Dreifache des Üblichen. Im Frühjahr 1789 zogen organisierte Bettlerbanden von Hof zu Hof, um bei Tag und bei Nacht, oft unter heftigen Drohungen, Nahrungsmittel zu erzwingen. Zeitgleich brodelte es zwischen den Katholiken und Protestanten um die Rechte der Kirchen, der Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 war daher nur der Beginn dessen, was Frankreich ein für allemal verändern sollte. Die Angst vor einem aristokratischen Komplott bei den anberaumten Wahlen zu den Generalständen führte zur „Großen Furcht“ (Grande Peur), ab Mitte Juli bis Anfang August 1789 gab es massiven bäuerlichen Angriffe auf Schlösser und Klöster, die vom 17./18. Juli an geplündert und in Brand gesteckt wurden mit dem Ziel, die Archive mit den Urkunden über die Herrenrechte zu vernichten und den Verzicht der Grundherren auf ihre feudalen Rechte zu erzwingen.7

Unter dem Eindruck dieses Geschehens und nach Angriffen der „Schreckenszeit“ 1793 flüchtete der Baron von Gottesheim, „mit nicht mehr als meinen armen Kindern entblößt von allen Mitteln“ zusammen mit der Familie seiner Schwester, eine verehelichte de Mauroy nach Ludwigswinkel.11 Ebenso floh die Ehefrau seines Bruders Ernst Friedrich Emanuel, Marie Anna, geborene Schillinger, mit Sohn Ferdinand Friedrich Ludwig Emanuel, der noch am 20. August 1793 in Geudertsheim geboren wurde.

General Balthasar Alexis Henri Antoine von Schauenburg (1748-1831) traf kurz darauf in Geudertheim ein und übernahm Schloss und Besitztum des Barons.

Eingang in den Reißlerhof8

Ludwigswinkel ist ein kleiner Ort, entstanden 1783 rund um den Reißlerhof, als der Landgraf Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt einen Erholungsort für seine Soldaten gründete. Dieser Hof wurde von den Erben des Hanau-Lichtenbergischen Zollpächter Hans Georg Schlick aus Fischbach nach seinem Tod 1745 auf dem von ihm 1722 erworbenen Grund erbaut und diente als zunächst als Forsthaus.

Der örtliche Amtmann Namens Hopffenblatt wollte von dem Hof aus jedoch die Ludwigswinkler Siedlungsgeschäfte leiten und so wurde ein Teil des Hofhauses entsprechend umgebaut und ausgestattet. Als Hofmann berief man Peter Röckel von der Martinshöhe, leider starb dieser im August 1784, es folgten zwei weitere Pächter, Georg Süß aus Fröschweiler und der Wiedertäufer Daniel Steiner.9

Ebenso errichtete man in den Jahren 1785/86 an der Stelle der örtlichen Mahlmühle einen Blechhammer.

Wetterunbilden der kleinen Eiszeit trafen aber auch hier die Pächter, im Jahre 1790 vernichteten Hagelunwetter und mehrere Überschwemmungen alle Feldfrüchte, eine Viehseuche raffte einen großen Teil der Herde dahin, daher konnten die Pächter die bereits ermäßigten Abgaben nicht mehr entrichten und mussten den Hof verlassen.

Am 6. April 1790 verstarb Landgraf Ludwig, so wurden die Pachtverträge zwei Jahre später neu geordnet, das Gut für eine neunjährige Lehne ausgeschrieben.

Baron Ludwig Samuel von Gottesheim und sein Schwager, der Herr von Mauroy, bewarben sich um das Lehen9 , mussten jedoch schnell einsehen, dass das für zwei Familien zu klein war, daher übernahm der Baron das Anwesen 1793 allein und verlor so den Rest seines Vermögens.

Der Witwer ehelichte Maria Eva Nagel und zeugte mit ihr die mir bekannten Kinder Maria Anna Sophie (1798-1817), Jacob Christian Friedrich Ludwig (1802-1872) und Philipp Georg Heinrich Ludwig (1814).

Die Französischen Revolution erreichte bereits 1792 Ludwigswinkel, alle linksrheinischen Gebiete, auch das Amt Lemberg samt Ludwigswinkel fielen im Jahre 1794 bis 1804 an Frankreich und wurden nach 1804 Teil des Napoleonischen Kaiserreichs.

Der Baron führte das Hofgut „wie ein Taglöhner“ und war gezwungen, in der Hoffnung auf bessere Zeiten, nach und nach 3000 fl. Schulden anzuhäufen. In Folge der politischen Entwicklungen wandte er sich 1804 nach Baden, und bat in einem Brief vom 23. Oktober 1804 um Unterstützung, da er ohne jedes Vermögen, welches er 1793 verlor, erhebliche Schulden machen musste und nun von seinen Gläubigern angegriffen wurde.11

Tochter Wilhelmina Henriette Baronesse von Gottesheim heiratet vor 1803 den Schneidermeister Philipp Heinrich Lüttig (1773-1830), Sohn des Philipp Heinrich Ludig (1736-1785), einem Dreher, und der Marie Eva Andreß (um *1738) aus Vinningen. Ihre Herkunft spielte nun keine Rolle mehr, die Familie war arm und musste wie Jedermann um ihr Auskommen kämpfen, Standesdünkel waren fehl am Platz, das Schneiderhandwerk sorgte für eine Mahlzeit auf dem Tisch.

Geburtseintrag von Philipp Heinrich Lüttig 177312

Wo die Eheschließung statt fand, entzieht sich noch meiner Kenntnis, die Familie wanderte stark, Peter kam 1803 in Weilerbach zur Welt, Mariana 1805 in Strasbourg, Sophia Margaretha 1807 in Langmühle, Katharina Magdalena 1809 in Pirmasens. Ob es am Beruf des Vaters lag oder an den Verhältnissen der damaligen Zeit, wir wissen es nicht.

Fakt ist, 1811 wird die Familie in Alt Montal, Taurien in der Revisionsliste erfasst:

Nr. 46 Littig, Phillip 37, aus Lemberg/Pirmasens-Pf, seine Frau Hendrietta 26, seine Töchter Mariana 8, Magaretha 5 und Catharina 2. Wirtschaft: 6 Pferde, 10 Rinder, 1 Pflug, 1 Egge, 1 Wage und 1 Spinnrad.

Als die die französischen Revolutionsgarden 1815 den Wasgau einnahmen, verstaatlichten sie die Hofsiedlung. Die Familie von Gottesheim war wieder auf der Flucht, wo der Baron starb, ist mir nicht bekannt. Sein oben erwähnter Cousin Friedrich Heinrich (1749-1808) starb in Prag. Die Nachkommen unternahmen ab 1910 noch einmal den Versuch, den Titel eines Freiherren zu führen, was ihnen jedoch verwehrt wurde.13

Nachkommen der Auswanderer in die Molotschna leben heute in Deutschland, Russland und Canada.

„Do hot die Grommer awer rechd gehatt!“

Vorfahren von Wilhelmina Henriette Baronesse von Gottesheim (1782-1844), Spitzenahn Clauss Edler von Gottesberg (um 1300)

zu den schweizer Vorfahren:


1 Kirchenbuch Molotschna 1844

2 Gritzner, Maximilian [Bearb.]; Siebmacher, Johann [Begr.] J. Siebmacher’s großes und allgemeines Wappenbuch: in einer neuen, vollständig geordneten u. reich verm. Aufl. mit heraldischen und historisch-genealogischen Erläuterungen (Band 2,10): Der Adel des Elsass — Nürnberg, 1871, p 10., Tafel 12

3 Das Eigenthum in Hagenau im Elsass, von Franz Batt, Zweiter Theil: Die Burglehen und, beiläufig, das etichonische Besitzthum in der Umgegend. Colmar, Buchdruckerei und Lithographie von M. Hoffmann 1881, p. 579ff

4 Le château du général baron de Schauenburg à Geudertheim. M. Bertola 1799, Museum der Stadt Straßburg, Kupferstichkabinett, public domain

Im Vordergrund der Baron (mit dem Gesicht zum Betrachter stehend), die Frauen sind Mitglieder seiner Familie, der Zeichner Bertola (sitzend) auf dem Stuhl.

5 Geschichte der Fremd-Truppen im Dienste Frankreichs, von ihrer Entstehung bis auf unsere Tage, sowie aller jener Regimenter, welche in den eroberten Ländern unter der ersten Republik und dem Kaiserreiche ausgehoben wurden: (in zwei Bänden, mit Kupfern). Von Eugène Fieffé. Deutsch von F. Symon de Carneville, München Deschler 1857, Bd. 1, p.460

6 Archives d´ Alsace, Geudertheim, Registre de baptêmes 1736-1777 – 3 E 155/3

6.1 Registre de baptêmes 1777-1787 – 3 E 155/4

7 „Brennende Schlösser in den Weinbergen des Mâconnais im Juli 1789“ in: Rolf E. Reichardt, Das Blut der Freiheit. Französische Revolution und demokratische Kultur, Frankfurt am Main 1998, S. 30 ff.; zusammenfassend ebenda das Kapitel „Die Bauernrevolution im Überblick“, S. 54 ff.

8 Xaart – Eigenes Werk, Eingang des Reißlerhofs, CC BY-SA 4.0, 7. Januar 2019

9 Reislerhof als Wiege der Gemeinde Ludwigswinkel, veröffentlicht in: Die RHEINPFALZ vom 24. September 2005 © Lilo Hagen

10 Darstellung des Feldzuges der Verbündeten gegen Napoleon Bonaparte im Jahre 1815 : mit dem Plane der Schlachten bei Ligny und Belle Alliance, Henke, Adolph, Erlangen bei J. J.Palm und Ernst Enke, 1816

11 Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Generallandesarchiv Karlsruhe, 233 Badisches Staatsministerium Nr. 844, Dokument in Kopie mir vorliegend

12 Kirchenbuch Vinningen, Mischbuch 1760-1798

13 Gottesheim, von, Familie, Nichtberechtigung zu Führung des freiherrlichen Titels, AT-OeStA/AVA Adel HAA AR 302.8, Laufzeit 1910-1951

14 Illustrierte Elsässische Rundschau, gegr. durch Carl Spindler, Bd. XV, 1. Januar 1913, Strasbourg, p.105

Autor, Recherche, Ahnentafel :

Jutta Rzadkowski, 23.07.2023

ppt-Präsentation vom 4.5.2024 für den Taurien e.V. erstellt

Vom Schwert zum Skalpell – Vorfahren der Familie Käfer und von Gottesheim /Littig (Präsentation im Taurien e.V. 20.10.2024 als PDF)

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Deutsche Kolonisten

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