oder – was der amerikanische Unabhängigkeitskrieg mit der Molotschna zu tun hat
Bemühen wir zunächst die Wikipedia: „Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg (American Revolutionary War oder American War of Independence) fand von 1775 bis 1783 zwischen den dreizehn Kolonien und der britischen Kolonialmacht statt. Er war der Höhepunkt der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung und führte nach der Unabhängigkeitserklärung 1776 und der Bildung der Konföderation 1777 zu deren siegreichem Abschluss und zur Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika.“
Um die Bestrebungen der Kolonien in Übersee zu unterdrücken, mietete die britische Krone reguläre Truppen, der größte Anteil von etwa 12.000 Mann kam aus der Landgrafschaft Hessen-Kassel, unter dem Regenten Friedrich II. von Hessen-Kassel, weshalb die Amerikaner bei den kämpfenden deutschen Truppen allgemein von den „Hessen“ sprach. Hessen-Kassel schloss einen Subsidienvertrag mit der britischen Krone und verpflichtete sich gegen Entgelt zur Entsendung von fünfzehn Regimentern, vier Grenadier-Bataillonen, zwei Jäger- (bestehend aus gutausgebildeten Gewehrschützen und Förstern) und drei Artillerie-Kompanien.1 Hessen-Kassel stellte somit das weitaus größte Kontingent an deutschen Soldaten für die britische Krone.
Zu diesen Truppenverbänden gehörte das Regiment von Bose, (bis 1778 von Generalmajor von Trümbach), 1724 bis 1786 stand das Regiment in Diensten des Grafen von Hanau, ab 1778 befehligt von Generalmajor C. E. J. von Bose.
Die angeworbenen Soldaten waren in der Regel freiwillig in den Kriegsdienst eingetreten, da der Verdienst lockte, viele „Ausländer“ wurden jedoch zwangsrekrutiert, was jeder Mann ausserhalb der Einwohnerschaft der Landgrafschaft Hessen-Kassel war. So auch Johann Gottfried Seume (1763-1810), der schilderte: „Ich wurde nach Ziegenhayn verhaftet, wo ich viele Unglücksgefährten aus Land allen Teilen der Welt fand. Dort warteten wir darauf, im Frühjahr nach Amerika geschickt zu werden, nachdem Faucitt uns hätte inspizieren sollen. Ich habe mich meinem Schicksal hingegeben und versuchte, das Beste daraus zu machen, so schlimm es auch sein mochte. Wir blieben lange in Ziegenhayn (Ziegenhayn war ein ungesunder) Ort, an dem die meisten Männer an Skorbut oder Juckreiz erkrankten.“2
Der Büchsenmacher Johannes Konrad Hansen hingegen war bereits 1774 in Diensten, wie wir dem Hochfürstlichen Hessen-Casselischen Staats- und Adreß-Calender3 entnehmen können.
Für ihn war es ein Teil seines Millitärdienstes, keine Zwangsrekrutrierung. Er kümmerte sich u.a. um die Instandhaltung des verwendeten Musketenmodells Potzdam M17409
Die Hoffnung, den Krieg zu überstehen und mit finanziellem Gewinn der Familie danach ein besseres Leben bieten zu können, hatten viele der Soldaten. Entsprechen blieb ein Soldatenlied erhalten.
© Georg Ortenburg, Das Militär der Landgrafschaft Hessen-Kassel zwischen 1783 und 1789, Potsdam 1999, Nr. 24
Juchheisa nach Amerika,
Dir Deutschland gute Nacht!
Ihr Hessen, präsentiert’s Gewehr,
Der Landgraf kommt zur Wacht.Ade, Herr Landgraf Friederich,
Du zahlst uns Schnaps und Bier!
Schießt Arme man und Bein‘ uns ab
So zahlt sie England Dir.Ihr lausigen Rebellen ihr,
Ein schön und wahrhaftig Soldatenlied, Anno 1775 am 19. Oktober zu Kassel auf der Parade von den abziehenden Militärs mit admirabler bonne humeur vor Ihrer Durchlaucht gesungen ward.
Gebt vor uns Hessen Acht!
Juchheisa nach Amerika,
Dir Deutschland gute Nacht!
Eine zeitgenössische Darstellung der Uniformen zeigt auch das Bajonett, weitere Fotos zur Uniform und Ausrüstung findet man hier
Abbildung und Beschreibung des Fürstlich Hessen-Casselischen Militair-Staates unter der Regierung Landgraf Friedrich des zweiten, bis zum Jahre 1786, S. 328
© HStAM, Kurfürstliche Bibliothek E 195/2
Am 13. Februar 1776 verließ das Regiment Bose Hofgeismar und überquerte von Bremerlehe aus den Atlantik nach Staten Island (23. März – 15. August).
Verschiffung der Soldaten nach Amerika (Kupferstich eines unbekannten Künstlers), nachträglich von mir colorisiert
Die Überfahrt war hart, fast vier Monaten an Bord eines englischen Truppentransporters. Seume berichtete über seinen Transport: „… in den englischen Transportschiffen wurden wir gedrückt, geschichtet und gepökelt wie die Heringe … Die Lager unter Deck waren übereinander geschichtet, so dass man nicht einmal aufrecht in ihnen zu sitzen vermochte. Je sechs Mann teilten sich eines. Es war so eng, dass sie sich auch nicht auf den Rücken drehen konnten. Alle mussten sich zugleich umwenden, wenn der seitliche Mann „umdrehen“ rief. Die Soldaten erhielten, wenn überhaupt, nur gesalzenes Fleisch.“2
Trotz aller Unbilligkeiten waren auch Familienangehörige der Soldaten mit dabei, so wurde über Ludwig Clausing, Gemeiner im Regiment von Loßberg, bekannt, das er, von seiner Ehefrau begleitet, laut einer Eintragung des Februars 1777, zusammen mit ihr in Gefangenschaft geriet.8
Wir müssen annehmen, auch unser Büchsenmacher Johann Konrad Hansen hatte seine Frau Elisabeth (um 1761-1814) dabei, denn errechnet im März 1783 wurde seine Tochter in New York geboren.
Elisabeth Lupp, geb. Hansen starb am 2. September 1841 in Neu Nassau, Molotschna, im Alter von 58 Jahren und 6 Monaten an der Ruhr, geboren in New York, Nordamerika
Mit der Ankunft in Amerika nahm das Regiment Bose an den Gefechten von Pell’s Point (Schlacht von Pelham, 18. Oktober 1776), Fort Clinton (6. Oktober 1777), Schlacht von Stono Ferry Rall (20. Juni 1779) sowie an der Belagerung von Charleston (29. März – 12. Mai 1780) teil.
Deutscher Holzschnitt der Belagerung von Charleston, South Carolina im Mai 1780. Die Darstellung von Charleston ist imaginär. Da Donnhaeuser eine Ansicht von Charleston fehlte, modifizierte er eine bereits vorhandene Ansicht einer unbekannten deutschen Stadt, um die Belagerung zu zeigen.5
Nachricht von der Belagerung und Einnahme der Stadt und Hafens Charlestown in America6
Danach folgten das Gefecht bei Ramsour’s Mill (20. Juni 1780), Springfield (23. Juni 1780), Guildford Court House (15. März 1781), Green Spring (6. Juli 1781) und die Schlacht von Eutaw Springs (8. September 1781) teil.
Es kämpfte unter dem Kommando des in Irland geborenen Majors von O’Reilly in Yorktown (28. September – 17. Oktober 1781) bis zur Kapitulation Cornwallis‘ am 19. Oktober 1781.
Die Kapitulation von Lord Cornwallis, 19. Oktober 1781 bei Yorktown7
Ab Januar 1783 lagerten die hessischen Truppen in New York, am 15. August 1783 schiffte sich das Regiment in New York ein und erreichte am 13. November desselben Jahres Hofgeismar.
Der Weg von Hofgeismar und zurück beträgt über 14650 km, da man hier nur Luftlinie sehen kann.
Rund 6.000 der „Hessen“ kehrten nicht zurück in die Heimat, sondern nahmen das Angebot an, als Siedler zu bleiben, davon gingen ca. 2.500 nach Kanada.
Einfache Soldaten konnten kaum lesen und schreiben. Wenn überhaupt Nachrichten die Heimat erreichten, so blieb sie, im Gegensatz zur offiziellen Offizierskorrespondenz, kaum erhalten oder erreichte nie die Archive. Um so interessanter ist das, was der Nachwelt erhalten blieb:
Die Erlebnisse eines hessischen Soldaten, Namens Valentin Asteroth, im nordamerikanischen Freiheitskriege, auf Grund des von demselben geführten Tagebuchs.
Asteroth, zu Treysa geboren, war 1776 in dem meist aus Schwälmern bestehenden hessischen Regimente v. Huym als Soldat eingestellt worden, als im Mai desselben Jahres der Befehl zum Ausmarsch erging. Nach Musterung auf dem Bowlingreen bei Kassel zog das Regiment durch das hannoversche und bremensische Gebiet nach Rizebüttel und langte nach einer mehr als 100tägigen, durch Stürme und ausbrechende Krankheiten gefährdeten Seefahrt am 7. October an der nordamerikanischen Küste an. Im November bewährte sich schon die hessische Tapferkeit in glänzender Weise, indem das hoch auf einer Klippe gelegene Fort Washington unter Führung des Generals Knipphausen durch einen in der Kriegsgeschichte ewig denkwürdigen Sturm genommen wurde. Dann wurde das Regiment Huym mit 8 englischen Regimentern nach der Küste von Rhode-Island übergesezt und blieb auf dieser Insel, welche die Amerikaner eiligst räumten, als Besagung, sich an den stattlichen Häusern und dem herrlichen Viehstand, sowie den eigenthümlichen Trachten der amerikanischen Bauern erfreuend, aber auch in manche Vorpostengefechte mit amerikanischen Truppen verwickelt. Im Juni 1779 schiffte sich das Regiment nach New-York ein und wurde von da aus wieder nach gefahrvoller Fahrt nach Süd-Carolina befördert, wo es am 31. Januar 1780 landete und nach einem Sturme auf das Fort Maltry die Stadt Charlestown besezte und in dieser längere Zeit als Garnison liegen mußte, welche Zeit Asteroth vorzugsweise zum Unterrichte der dortigen Kinder benußte. Erst im December 1782 wurde Charles town geräumt, worauf die Rückkehr nach New-York und im folgenden Jahre nach der Heimath erfolgte, in der die Hessen im November 1783 eintrafen. Asteroth hat dann als einfacher Bürger noch bis zum 16. October 1831 in seiner Vaterstadt Treysa gelebt.
Mitteilungen an die Mitglieder des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, Jg. 1876 1. Viertelsjahssheft, p.2f
Nach der Rückkehr bezieht das Regiment am 29. Mai 1784 die Kaserne in Marburg, Konrad, noch immer beim Militär, ist 1805 im Kurfürstlichen Regiment Landgraf Carl, welches 1806 beurlaubt wird.
Tochter Elisabeth heiratet am 15. April 1805 Friedrich Karl Lupp (1778-1833), Sohn des örtlichen privilegierten Stadt- und Kanzleibuchbinders Daniel Ludwig Lupp.
Im Jahre 1806, mit der Auflösung des Regimentes, wandert die Familie in die Molotschna aus.
Auswanderungsort, über 1900 km entfernt
Mit dabei die Kinder Rosina und Friedrich Gottlieb, Elisabeth mit Schwiegersohn Friedrich Karl und Sohn Karl. Die Famile erfährt danach nichts mehr in Deutschland über den Verbleib und veranlaßt eine Suchanzeige im Jahre 1818.
Suchanzeige von 1818 der Geschwister Hansen zum Verbleib ihres Bruders Konrad10
Im ferner russischen Reich erfährt man davon nichts. Vermutlich wurde er dann für tot erklärt und man verteilte, was ihm hätte zugestanden, denn Akten der Jahre 1830-1834 melden eine Beschwerde der Kinder:
„Forderungen der Geschwister Hansen zu Molotchna in Neu-Russland an den Buchhändler J. F. Lupp in Hersfeld auf Auszahlung einer dem Büchsenmacher [C.] Hansen von der kurhessischen Kriegsbehörde für den Verlust von Gerätschaften während der Feldzüge 1793-1794 bewilligten, von ihm vereinnahmten Entschädigung“
Aus dieser Forderung müssen wir den Zeitpunkt seines Todes auf vor 1830 datieren, seine Frau war schon 1814 verstorben. Der Buchhändler Lupp, Neffe seines Schwiegersohnes Karl Friedrich Lupp, war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits Mittelpunkt eines anderen Skandals, als Beschuldigter eines „Meuchelmordes“.
Wer nun fragt – wie ging es weiter …. diese Geschichte war der Beginn einer langen Reise, Konrad´s Nachkommen schlossen den Kreis und leben heute als Spätaussiedler wieder in Deutschland.
1 Max von Eelking: Die deutschen Hülfstruppen im nordamerikanischen Befreiungskriege, 1776 bis 1783 Bd.1 und 2, E.F. Kius´sche Buchdruckerei in Hannover 1863
2 Johann Gottfried Seume, Schreiben aus Amerika nach Deutschland in: Neue Literatur und Völkerkunde, zweiter Band Julis bis Dezember 1789, Hrsg. J.W von Archenholz, p 362-381
3 Hochfürstlicher Hessen-Casselischen Staats- und Adreß-Calender 1774 p20
4 Hessische Truppen im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (HETRINA) II, 4690, p83 „Hansen, Johann Konrad (* ca. 1753)“, in: Hessische Truppen in Amerika https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/hetrina/id/13503 (Stand: 20.1.2015), HStAM 10 c Nr. 485 [= Maß- und Rangierbücher / Regiment Bose, 1784]
5 Deutscher Holzschnitt der Belagerung von Charleston, South Carolina im Mai 1780. Die Darstellung von Charleston ist imaginär. Da Donnhaeuser eine Ansicht von Charleston fehlte, modifizierte er eine bereits vorhandene Ansicht einer unbekannten deutschen Stadt, um die Belagerung zu zeigen. 1780 (CC BY-NC-SA)
6 Nachricht von der Belagerung und Einnahme der Stadt und Hafens Charlestown in America 1780 (CC BY-NC-SA).
7 Die Kapitulation von Lord Cornwallis, 19. Oktober 1781 bei Yorktown: Godefroy, François; Paris : Chéz Mr. Godefroy, rue de Francs bourgeois Porte St. Michel; et chéz Mr. Ponce, Graveur de Mgr. le Comte. d’Artois, rue Hiacinte, A.P.D.R. – https://www.loc.gov/pictures/item/2004671452/
8 Hagen Seehase, Die hessischen Truppen im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, in: ZHG, Band 103 (1998), Hessisch-Lichtenau, S.135-172. p 151
9 Prussian Musket Model 1740 This image or media file contains material based on a work of a National Park Service employee, created as part of that person’s official duties. As a work of the U.S. federal government, such work is in the public domain in the United States. See the NPS website and NPS copyright policy for more information.
10 Allgemeiner Anzeiger der Deutschen, Der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art gewidmet. Zugelich Allgemeines Intelligenz-Blatt zum Behuf der Justiz, der Polizey und der bürgerlichen gewerbe. Fünzundfünzigster Band. Jahrgang 1818 Erster Band. Gotha. p671
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Jutta Rzadkowski, 18.07.2023
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