Es war einmal ein armer Bauer. Er und seine Frau hatten eine wunderschöne Tochter, die im Volk die Schöne, die gute Seele genannt wurde. Sie wuchs sehr schnell, war immer freundlich, umgänglich und sehr arbeitsam. Mit drei Jahren begann sie schon ihrer Mutter in der Küche zu helfen. Dabei sang sie dieselben Lieder, die ihr die Mutter oft früher vorgesungen hatte. Die Katze Murka hört sie, wärmt sich am Ofen und wird schläfrig. Die Mäuse merken es und haben keine Angst mehr um ihre Kleinen, für die es auch schon Zeit ist einzuschlafen.

Als das Mädchen größer wurde, begann sie dem Vater auch auf dem Feld zu helfen. Nur bearbeitete er zusammen mit seinem alten hungrigen Pferd nicht das eigene Land, sondern arbeitete von früh bis spät als Knecht bei anderen Bauern, die ihn schlecht bezahlten. Der Vater pflügte das Feld, das Mädchen pflückte Gras für das Pferd, wischte dem alten Mann den Schweiß von der Stirn. Dabei sang sie die ganze Zeit ihre Lieder:

„In meiner Lieben Steppe weit-weit weg von hier wächst eine weiße Birke und grünes Gras. Die Morgenröte grüßt sie, im Tau wäscht sie die Blätter. Ist fröhlich dann und munter die Birke jeden Tag.“

Die Vögel flogen  ganz nah beim schönen Mädchen vorbei, um ihre Lieder zu hören.

Eines Tages musste der Vater für den reichen Gutsbesitzer Natan von früh bis spät arbeiten.

Die Tochter begleitete ihn. Plötzlich  erblickten sie mitten auf dem Feld einen einsamen Baum und nebenan stand keine einfache Frau, sondern die Zauberin Mig. Sie bewegte sich mit fliegenden Schritten ihnen entgegen. Sie blieb kurz vor ihnen stehen und fragte nach einem Stückchen Brot, weil sie müde und hungrig war. Sie hatten nur ein kleines Stückchen Brot, aber teilten es mit ihr.

Die Zauberin bedankte sich und sagte: „Wenn es schlecht gehen wird oder ihr irgendwann Hunger habt, dann kommt zu dem Einsamen Baum, klopft drei Mal an seinen Stamm – Ich komme dann sofort und helfe euch. Sie streckte die Hand mit ihrem Zauberstab aus und verschwand im selben Augenblick.

Zwei Jahre später starben der arme Bauer und bald danach auch seine Frau. Das Mädchen blieb ganz allein auf der Welt und hatte nichts mehr zum Essen. Dann blieb ihr nichts anderes übrig, als zum reichen Gutsbesitzer Natan zu gehen. Sie bat um eine Arbeit und durfte in der Küche helfen: fegen, Geschirr spülen, von den Tischen abräumen. Der reiche Natan war geizig, gab seinen Diener wenig zu essen, aber arbeiten musste sie von früh bis spät. Einer musste die Arbeit von zwei oder drei am Tag verrichten. Der Gutsbesitzer sagte immer, er brauche keine überflüssigen Mäuler. Wenn er mit der Arbeit der Knechte unzufrieden war, peitschte er sie aus. Selbst lebte er in Saus und Braus, dem schönen Mädchen sagte er: „Du darfst nur die Knochen und Brotkrümeln vom Tisch essen“.

Er veranstaltete oft auf seinem Gut große Empfänge und prahlte mit seinem Reichtum vor den Gästen. Seine Hunde jedoch hatten es bei ihm besser als die Knechte, die auf Stroh schlafen mussten. Die Hunde wurden auf schönen, mit Spitzen geschmückten Kissen gebettet. Natan war immer damit unzufrieden, dass sein Gut nicht das reichste ist. Eines Tages besichtigte er wieder einmal seine Ländereien.  Zur selben Zeit machte sich das arme Mädchen, genannt  „Gute Seele“, auf den Weg zum einsamen Baum auf dem Feld, wo sie versuchen wollte, die gute Fee anzuklopfen und um Hilfe zu bitten. Der Gutsbesitzer kam zum Baum etwas später. Das Mädchen klopfte dreimal an den hohlen Baum. Im selben Augenblick kam die gute Zauberin Mig und fragte, was sie auf dem Herzen hat. Das Mädchen antwortete, dass es in diesem Zarenreich bei dem Gutsbesitzer Natan, die Menschen und auch sie es sehr schwer hatten.

Die Zauberin hob kurz ihren Zauberstock und die „Gute Seele“ kam im selben Augenblick in ein anderes Zarenreich – in die verlorene Welt  der Schönheit und Güte. Sie kehrte nie von dort zurück. Es lebte sich dort so gut. Es gab dort Pflanzen und Tiere, die auf der Erde längst ausgestorben waren. Alle Raubtiere, auch die Drachen und Dinos fraßen nur Gras und kein Fleisch. Alle lebten friedlich nebeneinander und hatten keine Angst, dort zu schlafen, wo es ihnen gefiel. Die Welt war so schön, alles blühte und alle lebten dort ewig im friedlichen Miteinander.  Es gab  auch viele gute Menschen, welche die Zauberin Mig zu sich aus der irdischen Welt genommen hatte. Sie waren auch unsterblich geworden und es gab da nie Streit oder Neid.

Als der reiche Gutsbesitzer Natan zum einsamen Baum mitten auf seinem Feld kam, wartete die Zauberin dort auf ihn und fragte, wohin ihn sein Weg führe. Er antwortete:

Ich schaue mir mein Besitz an, mein Reichtum.“

„Also bist du der reichste Mann im Zarenreich?“, fragte Mig.

„Nein, es gibt noch reichere als ich.“

„Möchtest du noch reicher werden?“

Natans Augen funkelten gierig und er antwortete gut gelaunt: „Natürlich!“

Die Zauberin machte eine kurze Bewegung mit ihrem Zauberstab und er sah einen optischen Spiegel, in dem sich eine Welt, wo alle sehr reich waren, spiegelte. Sie zeigte ihm den Eingang in das Spiegel-Labyrinth. Er schritt mit Vergnügen in diese neue Welt, nur fand er nicht mehr den Weg zurück. Die Zauberin Mig sagte:

„In der irdischen Welt hattest du alles und die anderen nichts. Für deine Gier und Hartherzigkeit wirst du in dieser Welt in Armut, Angst und mit ständigen Gefahren leben müssen, bis du irgendwann stirbst.“

Der Gutsbesitzer hatte die Belohnung bekommen, die er verdient hatte.

(In dieser Welt ist die Arbeit und Gutherzigkeit eine große Kraft, die Menschen zu etwas Gutem bewegt. Deshalb musst jeder – auch du – versuchen, etwas Gutes im Leben zu tun und dann kommt auch etwas Gutes wieder zu dir zurück. Der Wunsch, reich zu werden, bringt nur Neid und Hass hervor.)

Autor: Alexander Weiz

Titelbild: Jutta Rzadkowski

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