Lange-lange her lebten in dem Schweden ein König und Königin. Sie hatten eine Tochter von seltener Schönheit, die Linneja hieß. Die Prinzessin war schon als Kind einem Prinz Fernando aus dem Nachbars-Königreich versprochen. Er war auch sehr schlank und schön. Einmal kam er zu seinen Verlobten einen Besuch. Sie gingen in den Königsgarten spazieren. Ihr Lieblingsplatz dort war eine Bank neben einer Orchidee. Sie atmeten ihr Aroma ein und konnten sich nicht satt reden…
Eines Tages konnte der Prinz von einer Reise durch sein Königreich nicht rechtzeitig zurückkommen und die Prinzessin besuchen, wie sie es verabredet hatten. Die Prinzessin saß allen auf der Bank, atmete den Blumenduft ein und dachte an den Prinzen. Eine alte Frau mit einem Kaktus im Blumentop kam auf sie zu. Die Prinzessin wusste, dass es alte Hexen gibt, die man Kaktus hexen nannte.
„Was machst du in meinem Garten?“ fragte sie laut und etwas frech, wie es Königstöchter machen durften.
„Kauf mir diese Blume ab, Mädchen. Sie wird bald blühen und riecht so wunderbar nach Vanille. Du magst doch Blumen und dieser Kaktus ist einmalig schön. Und er riecht genau wie deine Orchidee.“
„Ich brauche deinen Kaktus nicht. Schau dir nur seine Stachel an!“ rief die Prinzessin und stieß den Blumentopf von sich.
„Du bist zu frech zu mir, Mädchen! Ich werde dich dafür bestrafen. Dies hier ist keine gewöhnliche Blume. Es ist die Königin der Nacht. So nennen ihn die Menschen. Ich, die Kaktushexe, nenne ihn Selen zerriss. Wie der weiße Mond sieht die Selen – ihre Blüte aus. Du hast sie von dir gewiesen. Ich verwandle dich in diese Blume, Lienneja!“
Die alte Hexe verschwand, nur der Kaktus blieb einsam auf mitten auf dem Weg stehen, den die Prinzessin so oft mit dem Prinzen entlang gegangen war. Die nebenan wachsende Orchidee ließ seine Blüten über den Kaktus Topf hängen, als ob nichts passiert wäre. Für sie war das wichtigste, dass ihre kleine Prinzessin mit ihnen war.
Langsam wurde es dunkel und die Kaktusblüte öffnete sich und strahlte im Mondlicht.
„Ach, sie ist jetzt nicht mehr die Prinzessin. Sie ist die Königin der Nacht!“, flüsterte die Orchideen begeistert. Und Linneja hörte und verstand sie. Sie war ja jetzt auch eine Blume, so wie sie.
Gleichzeitig wurde es im Garten sehr laut, von allen Seiten hörte man Stimmen, laute Rufen. Die Königswache suchte jede Ecke des üppig blühenden Gartens nach der verschwundenen Prinzessin ab.
Bald hörte Linneja ganz nah Schritte von ihren Dienern Gustav und Inga. Sie waren verheiratet, hatten aber keine Kinder und waren Pateneltern von Linneja.
Sie waren sehr traurig, dass sie die Prinzessin nicht gefunden hatten, nur der Blumentopf mit dem Kaktus stand auf dem Weg. Sie beugten sich über ihn und hatten plötzlich das Gefühl, dass ein leichtes, ihnen sehr vertrautes Aroma umgibt.
„So roch die Prinzessin!“ rief die Hofdame. „Oh ja, genauso wie ihre Vanille Orchideen“, pflichtete ihr Gustav bei.
Sie brachten den Blumentopf zum König.
„Eure Hoheit, wir haben die Prinzessin wahrscheinlich gefunden“, murmelte Gustav und überreichte den Kaktus. Inga und Gustav wussten nicht von der Hexe und sprachen aus dem Herzen. Der König rief zornig: „Was für Blödsinn habt ihr euch ausgedacht! Ihr habt meinen Befehl nicht befolgt! Ich will euch nicht sehen! Schert euch weg!“
Den zwei Höflingen blieb nichts anderes übrig, als das Schloss zu verlassen.
Es war eine schwierige Zeit für das schwedische Königreich. Viele Untertannen verließen es auf der Suche nach Arbeit. Gustav und Inga fuhren mit vielen anderen zusammen nach Amerika, wo es noch viel freies Land gab. Was hatten sie zu verlieren. Lienneja war weg. Sie packten ihre sieben Sachen und auch den schönen Kaktus nahmen sie mit, der ihnen besonders wertvoll zu sein schien. Überall, wohin sie das Schicksal verschlug, nahmen sie den Blumentopf mit, schützten ihn vor Wind und Kälte. Endlich erreichten sie die Neue Welt und gingen mit den anderen Siedlern vom Schiff.
Langsam normalisierte sich ihr Leben, sie bauten ein schönes Haus mit großen Fenstern und breiten Fensterbrettern, mit sehr vielen schönen Blumentöpfen. Auch der Kaktus stand zwischen ihnen. Es war schon drei Jahren vergangen, seit sie Schweden verlassen hatten.
Drei Jahren suchte auch Prinz Fernando seine Prinzessin. Als er vom Königspaar über die Vermutung der Hofdiener erfuhr, dass die Königstochter vielleicht jetzt ein Kaktus wäre, machte er sich sofort auf dem Weg nach Amerika. Lange fuhr er von Ort zu Ort und hörte eines Tages bekannte Namen.
„Ja, ja, nicht weit von hier gibt es ein Haus, wo Gustav und Inga wohnen. Sie haben keine Kinder, aber beschützen einen Kaktus wie ein Kind und sprechen sogar mit ihm“, erzählten ihm schwedische Siedler.
Der Weg zum Haus führte durch die Berge und war ziemlich lang. Nur am späten Abend kam der Prinz dort an. Es war schon fast ganz dunkel geworden und er sah sofort den Kaktus auf dem Fensterbrett mit einer langsam leuchtend aufgehenden Blüte. Das Fenster war offen und Ernando eilte zu der Blume. „Es riecht nach Vanille!“ flüsterte er. „Das ist sie!“, rief er lauter und eine heiße Träne aus seinem Auge kullerte auf die Blume.
„Ach!“, hörte er und sah wie die schneeweißen Blütenblätter sich schüttelten wie nach einem langen Schlaf. Er trocknete seine verweinten Augen und ihm kam vor, als ob er eine menschliche Stimme hört. Er drehte sich um und sah plötzlich die Prinzessin, die auf dem Fensterbrett saß. Mitten im Zimmer standen Gustav und Inga, drückten Taschentücher an ihre Augen und weinten leise. Sie hatten alles mitverfolgt, seitdem sie die Schritte des Prinzen geweckt hatten und wollten nicht stören.
Mit den ersten Sonnenstrahlen standen sie auf und machten sich auf den Rückweg nach Schweden. Natürlich mussten die Hofdame und der Hofdiener den Prinzen und Prinzessin begleiten. Als sie die schwedische Küste erreichten, rief die Prinzessin begeistert: „Meine Heimat! Endlich bin ich wieder zu Hause!“ Sie waren alle glücklich und zufrieden nach Hause zurückzukehren. Sofort wurden Verkünder der frohen Nachricht in alle Himmelrichtungen geschickt, um alle am selben Abend zu einem Fest einzuladen! Die Freude und das Leben waren ins Schloss zurückgekehrt, seit dem dort Linneja und Fernando auftauchten! Alle wollten helfen bei den Hochzeitsvorbereitungen. Die Hofdiener wollten alles so schön wie möglich machen und erst am späten Abend war alles fertig. Und als das Fest begann, blühte um Mitternacht vor allen Augen wieder die Kaktusblüte auf, die man Königin der Nacht nennt. Es passiert bis jetzt immer um diese Zeit.
Bald wurden der Prinz und die Prinzessin zu einem Königspaar. Sie hatten ein langes glückliches Leben und, wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie immer noch.
Und bei den Schweden gibt es seit dem eine interessante Tradition: Sie schenken der Braut zur Hochzeit einen Kaktus. Wahrscheinlich deshalb, weil die Königin der Nacht nur um Mitternacht aufblüht und nur einmal im Leben eine Braut eine echte Braut sein kann.
Wir leben in einer Welt, wo es viele Wunder gibt. Wir leben auf dieser Welt, um einander solche wunderbaren Momente zu schenken. Dafür muss man nur die Augen schließen und den leisen Tönen des Universums zuzuhören.
Das Märchen ist zu Ende, aber der Leser und der Hörer können sich das alles noch einmal ruhig durch den Kopf gehen lassen.

Autor: Alexander Weiz
Titelbild: Jutta Rzadkowski
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