Eines Tages brachte eine weiße Kuh im Birkenwald ein Kalb. Es war Mai, die Luft war durchdrungen vom Geruch junger Birkenblätter. Das Kleine sprang sofort auf die Beine. Es war seit der Geburt sehr stark! Die Kuhmutter freute sich so sehr, dass sie so ein kraftvolles Söhnchen hatte.
„Mu-u-uh!“, hörte man immer wieder im Wald. Es war ein Zeichen ihres Entzückens vor ihm.
Sobald das Kalb sich zum Euter reckte, schoss ihn sofort Milch entgegen. Die Kuhmutter weidete auf den Wiesen neben einem kleinen Teich. Das Kalb sprang um sie herum. Die hohen Gräser und bunte Maiblumen duftete so betörend.
Der kühle Steppenwind wehte um sie und schaukelte den Birkenwald neben dem Teich. Es zwitscherten Vögel. Auf dem frischen, jungen Gras, lag der Tau.
Die Sonne ging auf, das Gras trocknete langsam und hoch am Himmel flatterten Lerchen. Die Kuh weidete neben dem dösenden Kalb und kaute das Gras wider. Da erwachte das kleine Kalb. Die Kuh war aber müde, legte sich hin und wollte sich noch etwas erholen. Der Kopf war ihr schwer geworden und sie war schon fast eingeschlafen. Das Kalb aber wollte spielen. Er sah so viel Wunderbares ringsum her.
Da tauchten Rehe auf der Waldlichtung auf, und ganz nah huschte ein Fuchs vorbei. Und die grauen Hasen sprangen fast vor seiner Nase. Die Grashüpfer zirpten im dichten Gras. Das Kalb hob den Kopf sehr hoch. „Wer singt da so schrill? Ach, es ist eine Lerche!“ Was für eine schöne, wunderbare Welt! Wie gut lebt es sich mit allen Lebewesen hier! Manchmal zuckte seine Haut, wenn Wachtelküken von einem Platz zum anderen flatterten. Dann hörte es aufmerksam dem Pfeifen der Zieselmäuse zu und zuckte mit seinen Ohren. Als ob es versuchte zu verstehen, ob diese kleinen Tiere in Gefahr seien.
Sie verständigen sich darüber mit verschiedenen Lauten. Wenn die Gefahr noch weit ist, dann ist es kein Pfeifen, sondern ein Trillern. Die grünen Grashüpfer, die vor seinen Augen herumflitzten, schienen ihn zum Spielen und Springen einzuladen. Der bunte Teppich aus Gräser und Blumen streckte sich fast bis zum Horizont aus.
Und so viele verschiedene Stimmen sind zu hören! Dort sang der Kuckuck und das Echo schien seine Rufe zu wiederholen. Hat es sich vielleicht wirklich verirrt? Das Klopfen des Spechtes erzählt auch etwas den Waldbewohnern. Direkt vor der Schnauze des Kalbes schaukelte eine knallrote Mohnblume. Die Bienen kreisten um sie herum und landeten in ihrer Mitte. Das weiße Kalb schüttelte den Kopf im Takt mit dem Bienensummen und eine Biene wurde aufmerksam auf es. „Ich kann dich stechen!“, brummte sie.
Das Kleine hatte keine Zeit sich zu erschrecken, weil es schon mit den Augen einen Schmetterling verfolgte, der kurz darauf auf seinem Ohr landete. „Komm, wir spielen verstecken!“ schlug er vor. Das weiße Kalb schüttelte mit dem Kopf, um ihn zu erblicken. „Ach, du kleiner Einfaltspinsel!“, sagte der Schmetterling und flog weg. Das Kalb interessierte ihn nicht mehr.
Jeder Tag brachte dem weißen Kälbchen so viele neue Eindrücke. Die Wiesen wurden üppiger und duftiger, immer kam etwas Neues, nie Gesehenes dazu.
Es entdeckte den Löwenzahn, dessen Blüten noch nicht zu kleinen Fallschirmchen geworden waren und mit ihrer sonnig gelben Farbe einfach das Auge erfreuten. Es kam der Juni. Der Wind brachte schon seit dem frühen Morgen den trockenen Atem der Steppe und die Hitze mit sich. Tagsüber lagen die weiße Kuh und das Kalb im duftenden Gras, um sich vor der unerträglichen Hitze zu retten. Manchmal erfrischte ein kurzer Regenschauer die Erde, dann begann die Sonne wieder zu brennen und es wurde noch heißer.
Im Juli begann die Heuernte. Das Gras war schon ziemlich hochgewachsen. Man mähte es an einem der letzten Julitage und stapelte das Heu in einen Schober. Er stand dann dort bis zum Herbst. Das Kalb war schon viel größer geworden und suchte sich selbst andere Waldlichtungen. Als es den Schober fand, den die Menschen wahrscheinlich vergessen hatten, blieb das Kalb in seiner Nähe. Es musste nicht mehr weit laufen, um saftiges, grünes Gras zu finden.
Die weiße Kuh suchte ihren Sohn und rief nach ihm, mitzukommen und nach anderen Wiesen zu suchen. Es wollte nicht weg von diesem bequemen Ort und unterwegs wieder Angst vor Kletten haben. Das weiße Kalb meinte, es könnte selbst entscheiden, was für ihn besser sei, dass es so viel Glück hatte mit diesem Schober und überhaupt war es viel klüger, als seine Mutter.
Es wälzte sich tagelang neben dem Schober herum und war satt und zufrieden. So lebte es bis zum nächsten Frühling.
Dann kam wieder der Sommer. Den Heuhaufen hatte der junge Bulle längst aufgefressen und einen neuen gab es nicht. Er hatte immer wieder vor, für sich einen neuen Weideplatz zu suchen, wie die Mutter ihn gelehrt hatte, aber er war unbeweglich und faul geworden. Es war doch viel einfacher gewesen, immer etwas Heu vom Schober abzuzweigen.
Bald peinigten ihn die Fliegen und Mücken wieder. Zuerst jagte er sie mit Kopf und Schwanz weg, aber er wurde bald müde und schwach. Er schlief ein und starb im Schlaf.
Daher kommt wahrscheinlich der Begriff „tödliche Faulheit“. Man muss sie von sich jagen. Sonst erdrückt sie dich wie ein Stein und auch alles, was dem Leben einen Sinn gibt. Und dann wird es sinnlos und verliert seinen Wert, sogar für dich selbst. Wo immer du auch leben und was auch immer du machen solltest, bleib aktiv und mach alles so, dass du das Interesse an dieser großen wunderbaren Welt nicht verlierst. So ist es.
Mit besten Wünschen,
Alexander Weiz

Autor: Alexander Weiz
Titelbild: Jutta Rzadkowski
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