
Lieber Leser!1 Wir befinden uns heute in Jamburg, einer auf der rechten Seite des Dnjeper gelegenen deutschen Kolonie, unweit der Stadt Jekaterinoslaw und ungefähr 17 Werst von dem berühmten Wasserfall, der infolge vieler Unglücksfällen, die dort vorkommen, der „unersättliche“ genannt wird (ненасытеикiй порогы). Jamburg liegt gleichsam auf einer ebenen Halbinsel, denn von einer Seite fließt die Sura, ein Nebenarm, in den Dnjeper, von der andern tritt das Land tief in den Dnjeper selbst hinein. Der hohe Berg, der von der Südwestseite seine kahle Stirne der Sonne entgegenhält, verbergt Jamburg so stark, daß der Wanderer des Dorfes erst dann ansichtig wird, wenn er in dessen nächster Nähe ist. Nur der Turm der Kirche sagt ihm, daß noch weiter unten um ihn herum Häuser sein müssen. Vier der schönsten Eilanden liegen vor uns unterhalb und oberhalb des Dorfes und dienen als erquickende Erholungsstätten, besonders im Mai und Juni. Die Einwohner des Dorfes sind meistens Auswanderer aus Tirol und Oberbayern. Im Jahre 1792 kamen sie aus der Kreisstadt Jamburg, Petersburger Gouv. nach dem Süden, wo sie sich zwei Jahre in dem Russendorfe Stary-Kaidak aufhalten mußten, bis das eigentliche Jamburg gegründet war mit 54 Hofstellen und je 32 Dessjatin auf die Stella. Die meisten von ihnen waren Fuhrleute, Handwerker und Abenteurer, denen es schließlich Wurst war, ob sie Land oder nur das Recht am Fluße zu wohnen bekämen. Eine holländische Familie mit 4 Töchtern hielt sich anfangs des vorigen Jahrhunderts unter den Jamburgern auf. Drei dieser Töchter, die nur noch unter den sonderbaren Namen Habka, Chimka und Troika bekannt sind, erhielten Männer aus Jamburg, Illenser, Neimeier und Donhauser. Daher kommt denn auch die übergroße Verwandtschaft unter unseren Leuten. Während einige Familien, wie Steger, Wegner, Lutz, Schwendner, Schnitzer fast ausgestorben, sind besonders Illenser, Neimeier und Donhauser zu wahren Jakobsfamilien emporgewachsen. Jamburg hatte wenig Verkehr mit Deutschen, aber um so mehr mit den sie von allen Seiten umgebenden Russen, deren Tugenden u. noch mehr Untugenden sie oft annahmen. Da Jamburg gegenwärtig zu einer wahren Wagenfabrik emporgewachsen ist – denn jährlich werden ca. 6.000 Wagen von hier abgeliefert – so läßt es sich leicht denken, daß beim Mokaritsch eines oder mehrere über den Durst getrunken werden. . Da unser Diözese damals noch nach Mohilew gezählt wurde, so kamen nach Jamburg ausschließlich polnische Priester, die meistens der deutschen Sprache nicht kundig waren. Der jamburgische Dialekt ist ohnehin der deutschen Sprache ganz unähnlich *2. Und so kam es, daß die Unwissenheit in der Religion sich stark fühlen ließ und naturgemäß Abwege zeitigte, die noch lange herschen werden, trotzdem schon manche eifrige Priesterhand ihre Kraft anwandte. Die erste hölzerne Kirche baute den Leuten die Kaiserin Katharina II. im Jahre 1794. Das Strohdach des Kirchleins wurde bald darauf durch lange, gerade Schindeln verdrängt. Aber auch dieses Dach bot nach kurzem mit seinen großen Öffnungen willkommene Wohnungen für Sperlinge. Im J. 1845 wurde das Kirchlein von P. Garz verbessert, und von Schilinsky manche Verschönerung im Innern vorgenommen. Die inneren Wände wurden mit kaum abgehobeltem Brettern benagelt und mit in rohe Farbe getauchten Riesenpinseln geebnet. Gegen das Jahr 1875. kam die Kirche beinahe zum Verfalle, was nun P. Sewald durch Pfosten zu verhindern suchte. Im J. 1885, erfuhr das Kirchlein dank dem Hoch. P. Hartmann eine Kapitalremonte und einen Anbau von ca. 3 Faden mit einem anständigen Turme. Da ohne vorher eingeholten Plan gebaut wurde, sagte der herbeigerufene Ingenieur, nachdem in seiner Tasche ein gut Stück Bakschisch verschwand: „Ich rate Ihnen, Hochwürden, sich einen Plan zu verschaffen, damit es Ihnen nicht ergehe, wie jenem russischen Popen, der nach Beendigung seiner ohne Plan gebauten Kirche die langen Haare los wurde.“ Diese Kirche, so remontiert und vergrößert, stand bis zum Jahre 1897 –15 September, wie wir’s weiter unten sehen werden. Jetzt aber wollen wir Einiges diesem merkwürdigen Tage voraussenden. – Den 11. Januar 1897 kam an Stelle unseres allgemein geachteten H. Dekans P. Valentin Hartmann ein junger neugeweihter Priester an. Die Seminarskleider boten zu wenig Schutz gegen den kalten Frostwind. Eine härtere Kälte blies dem vom jugendlichem Eifer beseelten Priester entgegen, als er das erste Mal in das hölzerne Kirchlein eintrat, das von innen einer niederen langen großen Stube glich. Die grobe Tischler- u. Färberarbeit war eine schwache Zierde der Wände und des eingeräucherten niederen Plafonds. Eine dunkle Vorahnung überkam sicher das Gemüt des Priesters, beim Anblicke dieser aller Zierde baren Kirche; denn später pflegte er oft zu sagen: „Schwere Zeiten habe ich hier höchstwahrscheinlich noch zu erleben.“ Diese kam auch mit der vollen Wucht über unserem schon liebgewonnenen P. Emmanuel Simon.
Die Kirchenkasse wies außer einigen Groschen nur eine Masse Schuldscheine auf. Der hochw. H. Bischof A. Zerr versprach im selben Jahre uns zu besuchen. Darum wurde beschlossen, zu diesem hohen Besuche die Kirche gründlich zu restaurieren; zumal doch Jamburg schon 43 Jahre darauf wartete. Als unser Ehrw. Pater davon dem Kirchenältesten meldete, sagte dieser ganz verlegen: „Herr Pfarrer, wir haben ja gar kein Kirchengeld.“ „Und,“ fügte Herr Pater bei ,,keinen Glauben.“ Kurzum die Arbeit wurde abgegeben, und nachdem der Altar, die Wände, die Decke gefärbt und die beiden Kreuze vergoldet waren, hatte die Kirchenkasse noch dreihundert Rubel gesammelten Geldes. Am 29. Juni traten wir freudig in das altneue Bethaus ein. Die Freude der Jamburger sollte jedoch von kurzer Dauer sein. Es kam jener zentnerschwere 15. September 1897, der die alte Kirche in ihrem Jubiläumskleide auf immer in den unbarmherzigen Flammen aufgehen sah. Da der „Klemens“ seiner Zeit sein Beileid diesbezüglich brachte, so wende ich auch meine Augen von jenem grausigen Orte, von Kohlenschutt u. verbranntem Holze weg, um den verlassenen Priester in einem ausgeräumten Zimmer des Pastorates vor einigen geretteten und meistens eingeräucherten Kirchensachen aufzusuchen: „Gott hats gegeben, Gott hat’s genommen“, kam es über die vor Schmerz gepreßten Lippen, „sein hl. Wille ist geschehen.“ Da tags darauf niemand von Jamburg sein Haus zur zeitweiligen Abhaltung des hl. Meßopfers abgeben wollte, so mußte die kleine Grabkapelle auf dem Kirchhofe bis tief in den Winter hinein herhalten. Darauf diente eine Stube des Pastorats als Stellvertreterin der Pfarrkirche bis zum Jahre 1898. Nach einem vorausgegangenen Lärm ohne Erfolg, bezüglich Erbaung eines Notbethauses, nahm unser Ehrw. Priester 300 RbI. und übergab es dem Ältesten, mit dem Bescheid, Holz zu holen und zu bauen. In 2 1/2 Wochen stand ein Notbethaus fertig da von 7 Faden Länge, 4=Breite. Die innere Einrichtung entsprach, so viel es die gegenwärtige Lage zuließ, seinem Zwecke ganz leidlich, da man außer den zwei Sakristeien, noch einen Chor für ca. 20 Mann unter dem Gewölbe anbrachte. Alles atmete munter auf. Wie geheimnisvoll ist doch Gott in seinen Ratschlüssen! Auch diesmal sollten die Jamburger in ihrem Troste gestört werden. Das erwähnte friedliche Heim des Gebetes mußte ebenfalls ein jäher Raub der unbändigsten Flammen werden. Am 4. August 1898 um 12 Uhr mittags loderte über dem leichten Holzdache desselben eine pyramidalförmige Flamme in die stille Höhe, um den bestürzten Leuten die totale Vernichtung des beliebt gewordenen Notbethauses anzuzeigen. Die nebenstehende Schule und noch drei Nachbarhäuser fanden gleichzeitig in den Flammen ihr jähes Grab. 19 Als man unserem von einer Pastorationsreise zurückkehrenden Hochw. Pater in Jekaterinoslaw die traurige Meldung davon brachte, bekam er eine so starke Konvulsion, daß er die hl. Meße nicht halten konnte, sondern, wie er nachher sagte, 3 Glas Wasser in einemfort austrank und sprach- und fast gefühllos den Berichterstatter anstarrte. Zu gleicher Zeit trat ein Priester ins Zimmer und tröstete unseren tief betrübten Pfarrer, so viel es in einer solchen Lage überhaupt möglich war. Kaum war der größte Schmerz etwas unterdrückt, als man die Meldung brachte, ein paralisierter Kranke, der große Furcht habe bald zu sterben, ungefähr 8 Stationen vor der Stadt, verlange die hl. Sterbsakramente. ,,Diese Meldung„, sagte mir der Priester oft– ,,dachte ich, kommt von Gott,“ und kurz besonnen fährt er, erst dem mehr Leidenden beizuspringen. Als am andern Tage im Hause des Kranken nach der hl. Messe die Litanei gesungen wurde, sang der Kranke, seine letzten Kräfte sammelnd, auch mit. Dieser Umstand war für das junge bedrängte Herz ein ausgesuchter Balsam. Von da an war er so ruhig gestimmt, daß er, nach Haus gekommen, den zweiten Kirchenkohlenhaufen ansah und seiner besorgten Mutter auf der Treppe von weitem zurief: „Mutter, ist die Schüssel zum Waschen nicht auch verbrannt?“ Er bat alle, sie mögen vom Brande keine Silbe mehr sprechen, sondern Gott inständig um die nötige Stärke und Geduld bitten, dieses Schicksal mit Ergebung tragen zu können. Was der erste Kirchenbrand verschonte, fiel dem zweiten noch zum Opfer.
Es wurde einem jeden von uns bange, wenn wir an den vor der Türe stehenden Winter und die schon durchlebte Unbequemlichkeit aller Art in den kleinen Räumen des Pastorates, der Grabkapelle und des alten Schulhauses dachten. Die Eltern des Pfarrers machten sich bald reisefertig und baten ihren Sohn unter heißesten Tränen, doch Jamburg schleunigst zu verlassen. Aber das Bitten der Eltern half nichts, er blieb, um mit uns den Kelch des Leidens ganz auszutrinken. Im selbigen Jahre wurde hier ein Fruchtmagazin gebaut, das, nachdem es am 1. November fertig war, alsbald für die Abhaltung des Gottesdienstes vorgeschlagen und von allen angenommen wurde. Bei der ersten hl. Messe erinnerte unser Pater uns an die ersten Christen, wie sie auch in so dunklen Räumen und sogar in unterirdischen Katakomben meistens ihrer Religionspflicht nachzukommen bestrebt waren, und wie wir auch einstens mit Gottes Hilfe gleich ihnen aus diesem feuchten, dunklen ungesunden Raume hervortreten werden in eine hellichte Kirche. Die oft zum Erbrechen schlechte Luft, das Auf- und Absteigen des Berges, auf dem das Magazin steht, preßte manch ergrautem Auge helle Tränen auf die Wangen. Von einigen Erkrankungen abgesehen, überlebten alle den Winter und das Frühjahr. Viele, ja sehr viele Pläne wurden geschmiedet. Die abgebrannten Häuser standen bald wieder in viel schönerem Ansehen auf; ein neues Schulgebäude trat an Stelle des alten. Das Fruchtmagazin wurde mit Frucht angefüllt und wir mußten in das neue Schulhaus ziehen. Auch hier gab es viel Unbehagliches durchzuleben. Nun ist es Zeit, das große Bild der trüben Wolken zu verlassen, um auch die Lichtseite desselben näher beschauen zu können. Die Sorge um den Bau einer neuen Kirche wurde um so größer, je drückender die Lage sich gestaltete. Der dem Pfarrer am 17. September 1898 versprochene Plan kam wegen verschiedener Gründe erst nach zwei Jahren unter dem grünen Tuche hervor. Am 5. Juli 1900 war alles vorbereitet und der Plan wanderte unter № 1114 nach St.-Petersburg ins Ministerium. Nachdem sich Seine Hochw. unser Pater dessen überzeugt hatte, säumte er nicht lange, sondern reiste schon nach 15 Tagen zuerst nach Saratow behufs Einholung der nötigen Erlaubnis und darauf nach Petersburg. In der Metropolstadt angekommen, fuhr er an die St. Katharinen-Kirche, wo sich noch einige Dominikaner aufhalten, von welchen er aufs freundlichste aufgenommen wurde. Dabei hatte er das Glück, während eines Seelenamtes für den damals so unglücklich umgekommenen König von Italien Humbert, Seine Majestät den Kaiser von ganz Rußland, Nikolaus II, zu sehen und dem Tronfolger und einigen anderen Großfürsten beim „Libera“ Kerzen zu überreichen. Im Kollegium fand unser Pater einen kathol. Beamten, der sich ihm mit ganzer Seele anschloß und alle noch zu tuenden Wege bereitwilligst mit ihm unternahm. In der großen Kanzlei des Departements für ausländische Konfessionen fragte er zuerst nach dem Plane unserer Kirche. Man fand ihn und gab dem Pater den Bescheid, daß der Turm zu hoch sei und daß er noch manche andere technische Fehler habe, man könne sich auch im Departement einen Plan bestellen und schloß:,,Morgen wird Sitzung sein und hernach können Sie erfahren, ob und wann der Plan zu bekommen sei.“ Da unser Pater ein großer Kinderfreund ist, so fand er auch in Petersburg diese kleine Schar. Diese sind es,“ sagte er später oft, die mir damals halfen, den Plan schneller zu erhalten.“ Am Nachmittage desselben Tages fuhr er nach Schuwalowo, 6 Werst von Petersburg ab, in das Kinderasyl des hl. Joseph, wo er sich vorher schon bekannt gemacht hatte. Den oben erwähnten Beamten bat er, in der Stadt zurück zu bleiben, um nötigenfalls ein Telegramm über den Ausgang der Sitzung zu geben. Als nun Seine Hochwürden den Kleinen seine Not klagte und sie bat den hl. Joseph zu bestürmen, um einen glücklichen Erfolg in seiner Angelegenheit, er werde dafür morgen eine hl. Messe für sie lesen, da riefen alle einstimmig, sie würden sehr beten, daß der hl. Joseph dem Pater bringe. was er so sehnlich wünscht. Das Gebet der Kleinen drang durch die Wolken. Um 2 Uhr Nachmittags erhielt er in der bangsten Erwartung ein Telegramm des Inhaltes: „Der Plan ist bestätigt, nach zwei Wochen bekommen wir ihn.“ Nach herzlichem Danke an die lieben Kinder und deren Oberinnen verabschiedete er sich unter Tränen der Freude und trat den Weg nach der weiten Heimat an. Mit fragenden Blicken erwarteten wir ihn alle, um das Resultat der Reise zu erfahren. Freudigen Mutes flößte er uns allen Trost ein. Zwar dauerte es länger als das Telegramm lautete, aber endlich bekamen wir ihn doch, den langersehnten Plan. Jetzt,“ hieß es, müssen wir auch Bauen, aber mit was und wie?“ Auf Verlangen des Pfarrers versammelte sich die Gemeinde, welcher er vor allem vorlegte, daß sie mit friedlich vereinten Kräften ans Werk gehen sollte, wobei er beteuerte, daß wir die Kirche bauen können, es hänge hauptsächlich vom starken Willen ab. Um mit gutem Beispiele voranzugehen, sagte er: „Alles, was ich bisher bei Euch erworben habe und noch weiter verdiene, opfere ich bereitwillig hier vor Allen zum Baue der Kirche. Es muß außerdem aus Eurer Mitte eine Kirchenbaukommission gewählt werden, ohne die zu bauen es eine Unmöglichkeit ist.“ Dieser Punkt, so klar er auch ist, ging erst durch, als der Pfarrer auf der 4-ten Versammlung fast mutlos den Plan, die Rechnungen, die Sammelbücher und die Bestätigungspapiere auf den Tisch legte und mit schwerem Herzen sagte: „Vielleicht bin ich nicht würdig. den Kirchenbau zu unternehmen, so will ich es lieber einem anderen überlassen, der so baut, wie ihr es wünscht; ich aber kann und darf nicht bauen ohne Kommission. Hier ist der Plan und die übrigen Papiere und ich gebe ein um baldige Versetzung. Wünsche Euch recht viel Glück zu diesem Unternehmen. ,,Was? Wie?“ riefen alle ,,Sie müssen unsere Kirche bauen, kein anderer, Sie müssen bleiben! Wo fehlts, wir tun, was Sie uns sagen.“ „Liebe Leute,“ erhob jetzt etwas mehr ermutigt der hochw. HE. Pater ,,ihr wollt ja keine Kirchenbaukommission und ohne die kann ich nicht bauen. Damit Ihr dabei nicht vergesset, daß ich nicht meine eigene Interessen verfolge, so wählet aus Euch gerade die heraus, die am ärgsten geschrieen haben.“ Die Wahl wurde vorgenommen und man wählte außer dem Pfarrer, der als Vorsitzer die meisten Stimmen erhielt, noch acht Mitglieder. Somit war des Guten fast zu viel getan. Nach Bestätigung der Kommission erhielt der Priester freiere Hand, was er denn sofort benützte. Auf seinen Vorschlag wurde ein Ausschlag von einem Rbl. auf die Seele veranstaltet, das Geld vom Fischfange, die sog. мiрскiл суммы (Friedenskapital) und noch andere Einnahmsquellen wurden zu diesem Zwecke, zum Baue der Kirche, bestimmt. Das waren damals nur Beschlüsse, Baargeld wies jedoch die Kasse fast gar nichts auf. Trotzdem mußte auf das Drängen des Paters angefangen werden, und wirklich am 10. Mai 1901 war schon die Einweihung des Fundamentes und Grundsteines. Diese Feierlichkeit zeigte so recht deutlich, daß auch auswärtige Pfarrkinder an dem Baue ihr reges Interesse haben, denn so viele Gäste hatte Jamburg noch nie auf einmal bei sich bewirtet.

Des großen Feiertages wegen konnte nur ein auswärtiger Priester, P. Lewtschak zur besagten Einweihung kommen. Unser Pater hielt nach der Einweihung die Predigt, in der er, über das erlebte Schicksal hinwegschauend, die Aufmerksamkeit aller auf den Gott wohlgefälligen Bau lenkte, welcher mit der Einweihung beginnt und mit derselben beschließen wird. „Nicht nur für Euch,“ fuhr er fort, sondern auch für Eure Kinder und Kindeskinder wird sie ein Ort allgemeinen Trostes sein. Liebe, Friede und Eintracht werden vollbringen, was Eifer in den Grund gelegt.“ Auch HE. P. Lewtschak hielt in polnischer Sprache eine kurze Rede, worin er, so viel wir aus den herzlich gesprochenen Worten vernehmen konnten, seiner Freude über den Eifer der Leute zum Kirchbaue Ausdruck gab. Die Nachkommen werden sich stets mit Dank an die Bauenden erinnern und ihrer im Gebete gedenken. Sie mögen doch ihrem fast aller Hilfe baren Pfarrer beständig tätig beispringen. Wer hätte damals schon gedacht, daß dieses so still angefangene Werk am 20. September desselben Jahres schon im Rohbau fertig sein wird, und daß am 1. November die neuerbaute Kirche schon zum Abhalten des Gottesdienstes hergestellt werden konnte. Wind, Schnee und Regen drangen oft durch die Risse der an den Fensteröffnungen angebrachten Bretter und Notfenster; aber die leichten Gemüter deckten alles Unbequeme zu. Jetzt,“ hieß es, „haben wir auch eine eigene Kirche.“ Trotz der schnellen Beendigung des Baues, gab es doch viele Schwierigkeiten zu überwinden. War die Wahl der Kommission eine schwierige, so sollte die Uebergabe der verschiedenen Arbeiten eine noch weit schwerere werden.
Hier kann ich nicht stillschweigend die große Aufopferung und noch größere Energie unseres allgemein geehrten und geliebten Baumeisters HE. M. Zerches übergehen. Mit Wort und Tat stand er stets in den schwierigsten Fragen und Lagen dem ohnedies mit seiner himmelweiten Pfarrei beschäftigten Erw. HE. Pater hilfreich zur Seite. Deswegen haben wir auch nur allein diesen beiden Wohltätern es zu verdanken, daß unsere Kirche so schön und wieder so billig zu stehen kam. Der genannte HE. Baumeister, der die Aufsicht der Arbeit ganz unentgeltlich übernahm, erfüllte dieses verantwortliche Amt, so daß sich sowohl die besten Fachmänner im höchsten Grade verwunderten, als auch alle hier gewesenen Zuschauer und wir alle nicht genug Worte des Lobes und Dankes finden. Einen solchen Mann sollten Türe und Tor offen stehen, wo es sich um einen Kirchbau handelt. In Georgsburg und Petrokowsk Sawody hat derselbe Baumeister nach unserer Kirche ebenfalls gebaut, und sind die Leute höchst zufrieden. Tage und Nächte hindurch wurden von HE. Pater und Baumeister die verschiedensten Teile des Baues erwogen, besprochen, berechnet, angenommen oder verworfen. Fehlte der Baumeister an der Arbeit einige Zeit, so sah man es an, daß sie desselben harre. Die feinsten Teilchen der Karnise mußten aufs korrekteste ausgeführt werden, um nicht vor den scharfen Augen des Baumeisters einer Veränderung zu unterliegen. Da der Bau auf ökonomische Art unternommen wurde, so kam er auch uns einesteils durch entsprechende Verteilung der Arbeit, andernteils durch Aufsuchen des guten und wohlfeilen Materials verhältnismäßig billig zu stehen. Wie schwer sind oft die Folgen eines auf verfehlte Art und Weise abgegebenen Kirchbaues zu tragen, besonders dann, wenn sowohl die Arbeit, als auch die ausschließliche Aufsicht über Material, Arbeit und Arbeiter einem Arbeitnehmer (подрядчякь) samt und sonders überlassen wird, der nach einer oberflächlichen Inansichtnahme eines Ingenieurs die Schlüssel abgiebt und seinen fetten Teil mit sich nach Hause nimmt. Ich kann von der Kirche nicht scheiden, bevor ich nicht noch einmal dieselbe angesehen habe. Da steht sie, gleichsam wunderbar aus der Erde hervorgewachsen, 18 Faden hoch ragt der starke Turm in die Höhe mit dem christlichen hehren Siegeszeichen, vergoldet in die Lüfte sich über den mit Karnisen und Verzierungen versehen Turm emporschwingend. Die hohen Fenster, die schönen und soliden Wände fesseln das Auge. Unter der Türe stehend strahlt der Hochaltar in seiner ganzen Freundlichkeit entgegen. Die geschmückte Kanzel mit einer eisernen Aschurleiter, die eiserne Kommunikantenbank, das aus Beton auf eisernen Schienen und Balken verfertigte und mit einem schönen Eisengitter eingeschlossene Chor, der teils mit Bergenheimer Steinfliesen, teils mit Schönwalder Zementblatten belegte Boden, das von dem Frescomeister K. Fircho bemalte Plafond und die Wände bieten dem eintretenden Beter eine besondere Erhebung des Gemütes und Bewunderung. Wenn es als am Geld gebrach, hörte man Seine Hochwürden unsern HE. Pater nur sagen: „Gott ist mit uns, es wird schon wieder gehen.“ vertrauensvolles Wort, das vollständig in Erfüllung ging. Ueber 22.000 bl. einschließlich die Sammlung, die persönliche Beihilfe des uns über alles lieb gewordenen Priesters und unser eigenes Kapital, abgetragen und nur ca. 5½Tausend sind wir an Privatpersonen schuldig. Gott war und ist mit uns. Um dieses uns tief ins Gedächtnis einzuprägen, ließ unser HE. Pater das Auge über dem Hochaltare anbringen, das sich auch sofort dem Eintretenden repräsentiert. Dieses allsehende Auge sah unseren großen Schmerz beim zweimaligen Kirchenbrande. Dieses fürsorgende Auge wandte sich nicht von uns ab, als wir in den verschiedensten Winkelt Jamburgs das öffentliche Gebet verrichteten, dieses rettende Auge sah die Verlassenheit eines jungen Priesters, der mit den stärksten Gegengeistern allzeit zu kämpfen hatte. Am 17. Oktober 1902 wurde die neuerbaute Kirche vom Dekan J. Schamné im Beisein von noch sieben Priestern und einer großen Menschenmenge aus allen Teilen des Südrußlands eingeweiht, wobei P. Kuhn die Festrede hielt. Er erinnerte in der unvergeßlichen Rede an das Glück der Jamburger, die in ihrer Mitte ein so prächtiges Gotteshaus in so kurzer Zeit nach dem Brande befäßen. Aus dem Altar, Beichtstuhl und Taufstein der Kirche fließen ihm die größten Gnaden des Lebens zu. Er gedachte auch der vielen und fast übermenschlichen Sorgen des HE. Paters und der Energie des Baumeisters und forderte uns zum Danke auf, was wir nie unterlassen werden, so lange warmes Blut in unsern Adern fließt. Schließlich wünschte er dem Hause noch den letzten Schmuck, welchen es auch am 21. September 1905 durch die geweiten Hände des hochwür. HE. Bischof I. Kepler erhielt, bei Gelegenheit der Firmungsweise, wovon im „Klemens“ seiner Zeit behandelt wurde. Nach der Feierlichkeit folgte ein Mittagmahl, bei welchem auch drei russische Geistlichen erschienen, von denen einer einen Toast auf unseren Herrn Pfarrer hielt, der allgemein enthusiastisch mit Hurrah beantwortet wurde. Er sagte, daß es die mißliche Lage der hiesigen Kolonie zur Genüge kannte und nie dachte, daß hier eine Kirche gebaut werden könnte. Und doch machten die schwachen Hände eines katholischen Priesters es möglich, daß in so kurzer Zeit ein Prachtgebäude dasteht. . . Die liebenswürdige Aufnahme des Pfarrers und aller kath. Priester und ihr offenes Benehmen den orthodoxen Priestern gegenüber bringe ihm den Wunsch auf seine Lippen: „Es möge doch endlich ein Schafstall und ein Hirte werden!“
Nach einigen herzlichen Toasten von Priestern, Landvögten, Baumeistern und anderen – endete das Mal.
Wir alle konnten anfänglich uns nicht recht zu Hause dünken, wenn wir uns in der neuen Kirche versammelten; denn alles kam uns vor als wäre es immer noch nicht das Unsrige.
Danken müssen wir dem lieben Gott und unserem guten Priester, dessen Energie uns geholfen hat, so prüfungsvolle Wege zu gehen und durch den endlich unsere Leiden in unsägliche Freude verwandelt wurde. Ich meinesteils, trotzdem mir die Macht der Feder gebricht, und ich das erste Mal in die Oeffentlichkeit trete, konnte es nicht länger mehr in meiner Brust verbergen, meinen innigsten Dank öffentlich vor den Lesern des geschätzten Kalenders Hausfreund“ auszusprechen. Ich denke dabei, daß die vielen Bekannten, die mich schon so oft zu dem nun getanen Schritt angespornt, meine Meinung ganz teilen werden.
Eduard Schmidt, Redakteur


