Es geschah in der Zeit, als es auf der Erde noch keine Wüsten gab. In einem entfernten Zarenreich lebten der Zar Ionafan und die Zarin Sulejka. Der Zar war sehr stolz, mutig und furchtlos, aber auch gütig, gerecht und mitfühlend.
Eines Tages sagte seine Frau zu ihm: „Ich möchte keine Bäume, Gräser und Blumen in unserer Stadt, aber neben unserem Palast bei den steilen Klippen solltest du unseren Untertanen befehlen einen wunderbaren blühenden hängende Garten anzulegen.“
„Gut“, sagte der Zar, „wie meine Zarin es wünscht, so machen wir es auch.“
Sulejka meinte, wer eine grüne Oase sehen möchte, der soll sie hinter dem Stadtrand suchen. Und noch einen Wunsch hatte sie: „Mein lieber Gebieter, es wäre schön, wenn unser ganzer Palast und auch das Eingangstor mit azurblauen Farbe angestrichen würde und die Zimmer in Perlmutt Schattierungen. Die Decke soll man mit Mosaik aus Diamanten, Rubinen und Topasen auf dem azurblauen Hintergrund schmücken. Auf den Fußböden soll ein Panorama aus Tieren und Vögel angefertigt werden. Die Wege in den Alleen soll man mit weißen und schwarzen Edelsteinen auf blauem Hintergrund auslegen, damit nachts, wenn die Sonne nicht scheint, die Allee einem Himmelszelt mit vielen Sternen ähnlich wäre. Das Dach unseres Palastes soll mit weißem Gold bedeckt sein, damit der Sonnengott Utu sehen kann, wie wir die Sonne lieben.“
Damals verehrten die Menschen den Sonnengott Utu, die Göttin des Himmels Enlil und die Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit Inane.
Den Untertanen dieses Reiches ging es gut: Jeder hatte einen kleinen Palast in der Ei-Form, die auf halbrunden Eisenstangen standen. Die Eierpaläste waren alle bunt angestrichen und hatten verschiedene Formen. Einige ähnelten Straußeiern, andere – den Eiern eines Pfaus oder Fasan. Kein Haus war wie das andere. Im azurblauen Zarenreich wurde der Tag des Sonnengottes Utu vom ganzen Volk gefeiert. Nach einiger Zeit brachte die Zarin eine Tochter von wunderbarer Schönheit zu Welt. Sie bekam den Namen Sennaar. Zu Ehren seiner ersten Tochter richtete das Zarenpaar im Palast einen Tanzabend aus. Zu Beginn beteten sie alle zum Sonnengott Utu, dann an die Göttin des Himmels Enlil und die Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit Inane. Alle wichtigen Gäste und Adeligen wurden eingeladen, nur die Regenfee hatte man irgendwie vergessen. Alle Eingeladenen kamen natürlich mit Geschenken für die kleine Prinzessin Senar. Die Regenfee kam weinend ohne Einladung und sagte dem Zarenehepaar: „Ihr werdet statt meiner Tränen nur Sand bekommen. Da ich zum Fest selbst gekommen bin, habe ich auch ein Geschenk für die Prinzessin. Ich werde ihr und ihrem Prinzgemahl in der Zukunft eine grüne Oase mitten in der Wüste schenken. Wenn die Prinzessin volljährig wird, sollen sich die beiden auf Kamele setzen und einen ganzen Tag vorwärts reiten und nur am Abend, wenn sie ganz erschöpft sind, sollen sie ihr Nachtlager aufschlagen. An dieser Stelle wird eine Oase entstehen“.
Mit diesen Worten verließ die weinende Regenfee den Zarenpalast.
Als die Prinzessin volljährig wurde, heiratete sie den Prinzen Nin aus dem Nachbarland. Nach der Heirat machten sie sich sofort mit Kamelen auf den Weg, weil aus den Augen der Regenfee nur noch Sand und keine Tränen mehr liefen und ringsum eine große Wüste entstand.
Dort, wo sie übernachteten, entstand über Nacht eine Oase.
Den Prinzen und die Prinzessin hat man wie eine Fata Morgana mal hier, mal dort in der Wüste gesehen.

Autor: Alexander Weiz
Titelbild: Jutta Rzadkowski
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