Als Johann Jacob Käfer (1755–1810) sein kleines Dorf Einöd, heute als Höheinöd bekannt, in den Wirren der Napoleonischen Zeit verließ und mit seiner Familie nach Südrussland auswanderte, war die Hoffnung auf eine große Zukunft seiner Familie mit im Gepäck. Wie sehr sich diese erfüllen würde, hatte er vermutlich nicht geahnt.
Bei Stumpp stößt man auf diesen Eintrag:
38) Jakob Käfer von Münchweiler/Pirmasens-Pfalz, mit Frau und Kind, seinem Vater und Mutter, nebst seinen zwei Brüdern und zwei Schwestern, nach Alt-Montal/Taurien. Frankfurt a. M., 9./21. 4. 1810. gez. v. Bethmann. Sichtvermerke: Würzburg, 26. 4. 1810. — Bayreuth, 5. 1810. — Plauen, 5. 5. 1810. — Hof, 12. 5. 1810 — Breslau, 17. 5. 1810.— Bunzlau, 15. 5; 1810. — Radom, 25.05.18101
So läßt sich seine Reiseroute bis nach Polen gut verfolgen, die Einwanderer nahmen verschiedenen Reisewege, es trafen eine ganze Reihe neuer Kolonisten innerhalb weniger Wochen des Jahres 1810 in Taurien ein.
Tatsächlich traf die ganze Familie ein, Vater Johann Jacob und Mutter Anna Barbara, geborene Kiefer (1760–1810), welche in Altmontal versterben, die Söhne Johann Jacob (1781–1853), Johann Valentin (1784–1862) und Johann Adam (1795–1868), von Tochter Anna Elisabeth (*1787) verliert sich die Spur, Anna Catharina (*1790) verstirbt jung verheiratet zwischen 1816 und 1822 in Kostheim. Zwei weitere Kinder der Familie verstarben jung noch in der alten Heimat.
Geburtseintrag von Johann Jacob Käfer 1755 in Thaleischweiler3
Johann Jacob der Jüngere gründet in Altmontal eine Familie, wir erfahren aus erhalten gebliebenen Listen, dass er den Arzt mit seinem Sohn am 27.06.18114 aufsuchte. Es handelte sich offenbar um Jakob, der laut Zensus etwa 1808 geboren sein muss. Die Angabe der Familienerinnerungen, er wäre bei Einwanderung bereits acht Jahre alt gewesen, kann nur unscharf sein, leider fand sich bisher keine Aufzeichnung der Familie rund um Pirmasens.
6) Käfer, Jacob 30, aus Münchweiler/Pirmasens-Pfalz, seine Frau Magdalene 30, sein Sohn Jacob 3, seine Brüder Valentin 25 und Adam 16. Wirtschaft: 3 Pferde, 4 Rinder, 1 Pflug, 1 Wagen, 1 Spinnrad.5
Johann Jacob war ein guter Wirt, war anerkannt und wurde von der Kolonistengemeinde bereits 1816 zum Oberschulz gewählt6.
In den Jugenderinnerungen des Enkels Nikolai7 war er der „Oberschulze Käfer“, dessen Name auch nach seinem Tod noch etwas galt.
Über seine Frau Magdalena erfährt man kaum etwas aus alten Aufzeichnungen, so haben wir nur Kenntnis von den Kindern, dem obigen Jacob, der in den 1890ern verstarb, einer kleinen Katharina (1813–1813) und Johann Käfer, dessen Familie wir nun begleiten werden.
Johann kam, wenn man der Altersangabe der erhaltenen Listen glauben darf, etwa um August 1814 zur Welt, wird als halbjährig Anfang 1815 erwähnt. Die Familie war nach Neumontal übergesiedelt und baute sich eine Wirtschaft auf. Hier heiratete er sehr jung Christine Steininger (1816–1858) und nach ihrem Tod, im selben Jahr, Christine Goll (um 1820–1900).
Johann Käfer war sehr angesehen in der Gemeinde, ebenfalls Oberschulz, baute eine Windmühle, später eine Seifenfabrik, und begann Weizen, Wolle und andere Waren zu kaufen, um damit in Berdjansk und Simferopol zu handeln. Während einer Geschäftsreise im Jahre 1856 wurde er von zwei Landstreichern überfallen, schwer geschlagen, ausgeraubt und sterbend in der Steppe zurückgelassen. Trotz der schweren Verletzungen schleppte er sich zu Hirten, die ihn in das Dorf Avuman brachten. Dort verbrachte er mehrere Wochen zwischen Leben und Tod, seine Gesundheit wurde jedoch stark beeinträchtigt8, was vermutlich zu seinem frühen Tod 1866 führte.
Die Ehe mit Christine Goll, einer Witwe, war nicht nur sehr harmonisch, Christine war städtisch, elegant, gebildet, sprach feinstes Hochdeutsch und war sehr darauf bedacht, ihren Kindern Bildung angedeihen zu lassen. Aus ihrer ersten Ehe mit Joseph Sudek brachte sie fünf Kinder mit, sodass ihre älteste Tochter Katharina später den ältesten Sohn Jakob aus der ersten Ehe von Jacob Käfer heiratete.
Christine Goll, Fotoausschnitt aus : КК Васильев · 2007 · К. ПРОФЕССОР Н.И.КЕФЕР (1864–1944). И ЕГО ВОСПОМИНАНИЯ, p.82
Ihr erster Mann, Joseph Sudek, war ein Schafzüchter und arbeitete auf den Schaffarmen der Familie Falz-Fein und anderer Schafzüchter. Eines Tages kam er von der Arbeit in der Steppe nicht mehr nach Hause, seine Leiche wurde viel später gefunden und man identifizierte ihn anhand seiner Kleidung, vermutlich starb er einen gewaltsamen Tod.
Nikolaus Käfer, Fotoausschnitt aus : КК Васильев · 2007 · К. ПРОФЕССОР Н.И.КЕФЕР (1864–1944). И ЕГО ВОСПОМИНАНИЯ, p.82
Nikolaus Käfer (24.1.1864, Neumontal – 28.12.1944, Odessa), Sohn aus der zweiten Ehe von Christine, vermutete die Herkunft seiner mütterlichen Großeltern in Schorndorf, Württemberg, was jedoch nicht belegbar ist. Anhand seiner Berichte, die Familie wäre nach Hoffnungstal, Bessarabien gezogen und seine Mutter wäre in Odessa aufgewachsen, findet man tatsächlich eine Familie, die hier infrage kommt.
Johann Andreas Goll (1769–1841) und Frau Maria Salome Steimle (*1768) wurden offiziell 1817 eingetragen in Neulautern als nach Amerika ausgewandert. Ihre Reisepläne änderten sich allerdings und sie finden sich in Carlstal bei Odessa wieder. Ihre Kinder lebten in Hoffnungstal, Neuhoffnungstal und Odessa.
Daher ist anzunehmen, Christine war ein Kind des Tuchscherers Christian Andreas Goll (1797–1835) und seiner Ehefrau Agnes Barbara Gscheidle (1802–1858).
Dessen Sohn Johann (1826–1889) war mit einer Tochter des Johann Grosse, Hofmeister auf der herzoglich Anhalt-Köthenschen Besitzung in Askania Nova, verheiratet. Laut Erinnerungen von Nikolaus Goll heiratete sein Kindermädchen „Mascha“ Maria Brink den Bruder seiner Tante, Leberecht Grosse (1842–1915), dieser war tatsächlich Sohn des Johann Grosse und ebenfalls ein Schafmeister und Anhalt-Köthenscher Untertan.
Soweit schließt sich hier ein Kreis und erklärt, warum seine Mutter so städtisch war, Leberecht wurde sogar als „bourgeois“ bezeichnet. Nikolaus erinnerte sich:
Meine Mutter wuchs unter anderen Bedingungen auf und lebte nicht in Kolonien. Sie verkehrte ausschließlich mit den Vermietern und ihren Verwaltern, kleidete sich anders, mehr oder weniger städtisch, hatte andere Gewohnheiten und weitergehende Bedürfnisse. Mit ihrer Ankunft im Haus meines Vaters hat sich viel verändert, angefangen beim Erscheinungsbild …
… Das Wohnzimmer war mit Polstermöbeln, Holzteilen in rotbrauner Farbe (Mahagoni? Nussbaum?), Polsterung in grünem Stoff ausgestattet
… Ich weiß, dass es nur im Haus meiner Eltern einen Samowar gab, eine Tischuhr auf dem Esstisch, silberne Löffel usw. Sie trug zum Beispiel Krinoline, die in dieser Gegend völlig unbekannt waren, Seidenkleider mit Spitze, Hüte, goldene Broschen, goldene Uhren und eine Kette mit einem Medaillon. Vielleicht war es einfach und provinziell, zumindest weit hinter der Mode zurückgeblieben, aber in ihrem Umfeld muss es sehr auffällig gewesen sein. …
Die Literatur war sehr vielfältig, da Bücher zu dieser Zeit schwer zu bekommen waren. Sie las nur auf Deutsch. Obwohl sie in einem religiösen Geist erzogen wurde, sah ich sie relativ selten religiöse Bücher lesen. Sie las sehr gerne Romane, Reisebeschreibungen und historische Literatur. Das Haus meiner Eltern war das einzige, in dem es Zeitungen und Zeitschriften gab. Viele Jahre lang war es der „St. Petersburger Herold“, der immer sehnsüchtig erwartet wurde, und später, etwa ab Mitte der 1870er Jahre, wurde dieser Platz von der „Odessaer Zeitung“ eingenommen, die begann, sich für die Zustände in den südrussischen Kolonien zu interessieren. Daneben gab es auch abonnierte (?) „Gartenlaube“ und teilweise „Das Buch für alle“.9
Nachdem ihr Mann so plötzlich verstorben war, heiratete Christine den Witwer Johann Riecker (1837–1899). Eine Vernunftehe, die schwierige Zeiten überstehen musste. Er war Kutschenmacher, wie fast alle in seiner Familie, die Männer waren groß, blond, gutaussehend, gebildet. Nikolaus vermutete wegen des Dialekts eine norddeutsche Herkunft.
Allerdings stand Johann Riecker immer im Schatten seines Vorgängers, was er lange Zeit mit Trunksucht, großer Härte gegenüber seinen Kindern aus erster Ehe und Übergriffen auf seine Frau zu kompensieren versuchte. Als dann eine Feuersbrunst durch Brandstiftung mitten in der Weizenernte durch Neumontal raste, alle Häuser in Schutt und Asche legte, zwei Wochen darauf eine zweite Feuersbrunst das einzig unversehrte Gehöft ergriff – Käfer – inklusive der Ställe in denen Pferde standen, wurden die Spannungen so stark, Christine holte sich Beratung zu einer Scheidung. Zudem strengte sie in der Kreisstadt Melitopol mithilfe eines Anwalts einen Prozess an, welcher zwei Jahre dauerte, um dem Vormund ihrer Kinder Entscheidungsrechte zu entziehen, die er über das Vermögen und die Erziehung der Käferschen Kinder hatte.
Die damalige Zeit brachte leider gesetzliche Regelungen mit sich, die einer Witwe einen männlichen Vormund beiordneten, alleine durften Frauen damals keine Entscheidungen treffen, ebensowenig, wie minderjährige Kinder.
Das Gericht gab ihr letztlich Recht, über Erziehung und Bildung frei zu entscheiden, so konnte sie den Plan umsetzen, Nikolaus ab August 1875 auf das Gymnasium in Berdjansk zu schicken. Weil seine Lernerfolge nicht so waren, wie erhofft, wurde er im Folgejahr von der Familie des Gymnasiallehrers für französische Sprache, Ernst Franzewitsch Jakovčić, aufgenommen, gemeinsam mit drei anderen Jungen, was deutliche Verbesserung brachte.
Als sich 1882 die Augenkrankheit (Trachom) einstellte, Nikolaus monatelang nicht lesen konnte, wurde er im Winter 1882 nach Charkow zu dem berühmten Augenarzt Professor Hirschmann, geschickt, bei dem er etwa 6–8 Wochen in Behandlung war. Diese Zeit war so prägend, das er den Wunsch entwickelte, ebenfalls Arzt zu werden. Kurz vor den Abschlussprüfungen des Gymnasiums erkrankte er auch noch Typhus und bestand die Prüfungen mit großer Mühe.
Blick auf das Hauptgebäude der Medizinischen Fakultät zu Beginn des 20. Jahrhunderts10
Im August 1883 schrieb sich Nikolaus an der Kaiserlichen Noworossijsker Universität in Odessa in der Naturabteilung der Physikalisch-Mathematischen Fakultät ein.
Hier lernte er Karl Härter kennen, der sein Studium wegen einer chronischen Augenkrankheit in Dorpat nicht beenden konnte und zu diesem Zeitpunkt als Angestellter in einer Landmaschinenfabrik arbeitete und sich auf seine Prüfung als Gymnasiallehrer vorbereitete. Dieser weckte das Interesse, nach Dorpat zu gehen, wo sich Nikolaus am 17. August 1885 in der Kaiserlichen Fakultät für Medizin einschrieb.
Sein zweiter wichtiger Freund wurde Heinrich Höger (1854–1934) aus Schabo, dessen Bildung ihn sehr beeindruckte.
Käfer, Nikolai; SAGA, EAA.402.2.11453; 17.08.1885
Nikolaus interessierte sich in Dorpat besonders für die Vorlesungen des Professor Thoma zur Pathologische Anatomie und promovierte nach bestandenem Examen 1890 im Jahre 1891 zum Doktor der Medizin.
Käfer, Nikolai; SAGA, EAA.402.2.11454; 1886
Da am Ende desselben Jahres der Bau des Evangelischen Krankenhauses von Odessa beendet und in diesem Zusammenhang medizinisches Personal rekrutiert wurde, begab sich Nikolaus nach Odessa und wurde als als Assistent unter der Leitung des Oberarztes, des Chirurgen Eugen Fricker (1846–1906)11, angestellt.
Naturärztliche Sprechstunden, Band 6, Herm. Rudolf, Nürnberg 1897, p141
Zugleich arbeitet Nikolaus rund 20 Jahre in der Privatklinik des jüdischen Orthopäden Joseph Arnold Waltuch (1861–1914) als orthopädischer Chirurg. So entwickelte er sich vom praktischenArzt, Wissenschaftler und allgemeinem Chirurgen, zum Spezialisten in der Orthopädie und Traumatologie.
Im Jahre 1896 wechselte er an das Krankenhaus der Kasperowsker Gemeinde der Barmherzigen Schwestern des Russischen Roten Kreuzes, welches er ab 1898 als Oberarzt leitetete. Im selben Jahr wurde er zum Chefarzt des Rotkreuzkrankenhauses für Fabrikarbeiter der Stadtverwaltung von Odessa gewählt, das sich zu dieser Zeit noch im Bau befand. Er beaufsichtigte den Bau der Gebäude des Krankenhauses, welches am 30. Dezember 1899 eingeweiht wurde, und organisierte 20 Jahre die ambulante medizinische Versorgung in den Fabriken und Werken von Odessa.
Mit Beginn der 1920er Jahre wandte er sich der wissenschaftlichen und pädagogischen Arbeit zu und wurde im Juli 1920 zum Professor für Chirurgie an das Klinischen Institut Odessa berufen. Gleichzeitig begann er am Medizinischen Institut der Stadt zu arbeiten, wo er 1921 die Abteilung für Orthopädische Chirurgie einrichtete und eine eine orthopädische Klinik mit 25 Betten aufbaute, die dann unter seiner Leitung auf über 120 Betten erweitert wurde. Darüber hinaus war er ab 1932 Leiter der Abteilung für Orthopädie und Traumatologie des Fortbildungsinstitutes für Mediziner, welche 1927 anstelle des Klinischen Instituts gegründet wurde.
Während des Zweiten Weltkrieges, der die Stadt 1941 erreichte, wurde die Klinik in ein Militärkrankenhaus umgewandelt, und musste am 3. Oktober 1941 evakuiert werden. Viele der verwundeten Soldaten und Offiziere konnten in der Kürze nicht aus dem Krankenhaus gebracht werden, daher sorgte Professor Käfer für Zivilkleidung und ließ falsche Unterlagen ausstellen, um die sowjetischen Militärangehörigen zu retten.
Am 13. Oktober des Jahres wurde er per Befehl zum Chefarzt des 2. Stadtkrankenhauses ernannt (in diesem Krankenhaus befand sich die orthopädische Klinik) und wirkte als Leiter der Abteilung für Orthopädische Chirurgie bis zum April 1944, obwohl er im März 1942 einen schweren Schlaganfall erlitt, der mit einer rechtsseitigen Hemiparese endete.
Professor Nikolai Iwanowitsch Käfer. Vignette der Abschlussfeier der Ärzte der Universität Odessa. 1937–1943. Produziert vom Berliner Fotostudio 194314 Das Fotostudio „Berlin“ wurde während der rumänischen Besatzung in der ul. Rishelievskaya 48 eröffnet. Studiobesitzer und Fotograf – A. Merfort.
Wie wenig ihm doch diese Bemühungen nach der Befreiung Odessas am 10. April 1944 anerkannt wurden. Man ließ den betagten Professor und seine Ehefrau Helene verhafteten und überstellte beide in das örtliche Gefängnis. Unter den extremen Haftbedingungen waren seine Tage gezählt, so wurde er zum Sterben entlassen, sein Leben fand am 28. Dezember 1944 sein Ende. Er wurde auf dem 2. christlichen Friedhofs von Odessa, Abteilung 22, beigesetzt.
Als besonderen Akt der Grausamkeit musste seine Frau im Gefängnis bleiben und wurde erst nach seinem Tod am 3. Februar 1945 unter Auflagen freigelassen. Sie verstarb am 28. Oktober 1961 in Odessa.
Stumpp K.; Die Auswanderung aus Deutschland nach Rußland in den Jahren 1763 bis 1862. – Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland. 8. Auflage, 2004, p.982 ↩︎
„Krankenlisten“, zusammengestellt vom Taurien e. V. aus den Akten 266, 267 und 297 (Fonds 134, Opis (Inventar) 1, Staatsarchiv des Gebietes Dnjepropetrowsk ↩︎
Stumpp K.; Die Auswanderung aus Deutschland nach Rußland in den Jahren 1763 bis 1862. – Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland. 8. Auflage, 2004, p. 881 ↩︎
Minerva: Jahrbuch der gelehrten Welt, 28. Jahrgang BD II M-Z mit Nachtrag, Dr. R. Kukula, Dr. K. Tübner, redakt. Leitung Dr. Fritz Epstein, Hrsg. Dr. Gerhard Lüdtke. Berlin, Leipzig 1926, Walter De Gryter & Co ↩︎
Министерство культуры и туризма Украины Одесская государственная научная библиотека имени М.Горького Ученые Одессы Серия основана в 1957 году Выпуск 39 НИКОЛАЙ ИВАНОВИЧ КЕФЕР Биобиблиографический указатель Составители: К.К.Васильев, О.Г.Кушнир Одесса 2008
Verfallener Friedhof, am einsamen Ort, Nun geht der Pflug bald über dich fort. Noch hüllen mit traulichem Dämmerschein Die alten Linden dich friedlich ein. Verwitterte Steine nur ragen auf, Wo die Hügel versanken im Zeitenlauf. Und alles umwuchert Gras und Strauch, Und drüber weht des Vergessens Hauch. Ein einziges Grab ist an diesem Ort, Drauf blühen die Veilchen und Rosen noch fort. Wenn Lenzluft weht um dieses Grab, Wankt her ein Mütterlein am Stab. Sie trauert noch dem Einen nach, Der einst das junge Herz ihr brach.
Paul Barsch (1860 – 1931), schlesischer Mundartdichter
Kostiantyn Antonets beschäftigt sich schon länger mit der Entdeckung der Geschichte der ehemaligen deutschen Dörfer und stellte mir daher freundlicherweise seine Fotos zur Verfügung. Der Fund dieser alten Grabsteine erzählt uns die Geschichte des Missionars Wilhelm Heine (1833–1897), seines Sohnes Pastor Wilhelm Heine (1866–1938) und aller mit ihnen verbundenen Familien. Der Friedhof befindet sich auf dem ehemaligen Familienbesitz Federowka (Wesselyj Haj, Novomykolayivka, Zaporiz’ka, UKR).
Missionar Wilhelm Heine
Foto aus: Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909
Mitunter sind die Lebenswege eines Menschen ungewöhnlich, so auch im Falle des Carl Wilhelm Heine. Geboren am 12. Februar 1833 als Sohn des Schuhmachers Wilhelm Hein(e) (†1849) und seiner Frau Maria Schmidt (um 1805–1865) stammte er aus recht einfachen Verhältnissen. Seine väterlichen Vorfahren sollen aus Sachsen ausgewandert sein, vermutlich aus der Meißen, wie uns die Angabe im Sterbeeintrag des Schneiders Ludwig Hein(e) verrät, der als Pate wohl Bruder des Vaters war. Der Sterbeeintrag der Mutter Maria vermutete Bayern als ihre Herkunftsregion.
Geburt und Taufe im Kirchenbuch Molotschna 1833
Unter dem Einfluss des Pfarrers Eduard Wüst (1818–1859), der als Prediger der pietistischen Brüdergemeinde in Berdjansk wirkte, fühlte auch Wilhelm Heine eine religiöse Erweckung.
Pfarrer Eduard Wüst10
Wüst und seine Anhänger, darunter auch viele Mennoniten, verfolgten das Ziel, die Disziplin in den Kirchengemeinden und ihre eigene Frömmigkeit zu stärken, Wüst bekämpfte zudem sehr aktiv den weit verbreiteten Alkoholismus und Hexenglauben unter seinen Gemeindemitgliedern. Als Prediger der Ideen der pietistischen Erweckungsbewegung nahm er Kontakt zum Begründer der Bewegung der Jerusalemsfreunde, Christoph Hoffmann, auf.
Die strenge Bibelauslegung der Pietisten hatte allerdings zur Folge, dass aus der pietistischen Brüdergemeinde heraus durch unterschiedliche Auffassungen nicht nur die neue Separatistengemeinde, sondern auch die Hüpfer- und Springersekte („die Munteren“) entstand. 1857 musste Wüst sich auf Betreiben des Evangelisch‑Lutherischen Generalkonsistoriums verpflichten, nicht mehr außerhalb seiner Gemeinde zu predigen und keine geistlichen Handlungen an Lutheranern zu vollziehen.
Zu den Gleichgesinnten, bei denen die Gemeindeversammlungen unter Wüst stattfanden, gehörten die Familien Schaad, Heinrich, Blank, Brühler, Dillmann, Schwarz und viele andere, mit denen sich Heine auch in späteren Jahren noch stark verbunden fühlte.
Der Missionsgedanke war ein fester Bestandteil der pietistischen Gesellschaft, Pfarrer Wüst bemerkte die Gelehrsamkeit und tiefe Religiosität Heines alsbald und überzeugte ihn, in die Ausbildung der Inneren Mission zu gehen. Von dieser Idee erfüllt, führte ihn sein Weg zunächst, gemeinsam mit Jakob Knauer (Neuhoffnungstal), Hermann Sudermann (Berdjansk), Heinrich Bartel (Gnadenfeld) und Johann Klassen (Liebenau) nach Reval zur Bauer’schen Rettungsanstalt. In diese wurden arme Kinder und Jugendliche aufgenommen, um sie vor der Verwahrlosung zu bewahren.
Die Reise erfolgte mit einem Dreispänner 1854 über Liebenau (20. September), Orechow, Charkow (28. September), Kursk, Fatesch (4. Oktober), Moskau (12. Oktober). Von dort nach einwöchigem Aufenthalt mit dem Zug am 19. Oktober nach Sankt Petersburg, diese Fahrt dauerte 48 Stunden. Am 6. November, sieben Wochen nach ihrer Abreise, trafen sie in Reval ein, um ein Jahr zu bleiben.
Unter dem Eindruck der Predigten und Berichte des Missionars Carl Hugo Hahn (1818–1895), welcher über viele Jahre in Afrika tätig war, entwickelte sich bei Heine und Knauer das Bedürfnis, ebenfalls in die Äußere Mission der Rheinische Missionsgesellschaft (RMG) zu wechseln. Dazu war eine drei- bis vierjährige Ausbildung in Barmen notwendig.
Am 2. Januar 1856 war es so weit, mit neuen Pässen und einem Pferdeschlitten sollte die Reise von Reval über Pernau, Riga, Königsberg, durch die Niederung bei Marienburg, Berlin und Hamburg nach Barmen gehen. Mit einem Zwischenaufenthalt von 3 Tagen in Berlin, trafen sie am 15. Februar ein. Jakob Knauer wurde für seine Missionarstätigkeit in Afrika ausgebildet, Wilhelm Heine für Sumatra.
Während Heine an Pocken erkrankte Anfang 1858, war es für Jakob Knauer so weit, er reiste nach Afrika ab. Heines Abschied kam am 29. Oktober 1860. Seine Ordination galt nur für das Missionieren, er unterlag der absoluten Gehorsamsverpflichtung gegenüber der Rheinischen Missionsgesellschaft, musste in allen wichtigen Missionsfragen eine Erlaubnis einholen und durfte fünf Jahre nicht heiraten.
Am 12. November 1860 machte er sich auf den Weg zur Einschiffung in Holland. Die Seereise sollte 3 Monate dauern und um das Kap der Guten Hoffnung nach Sumatra führen. Nach schlimmen Stürmen, die das Schiff fast sinken ließen, erreichten sie Batavia auf der Insel Java, reisten weiter nach Padang/Sumatra. Nach neun Wochen Aufenthalt ging es am 7. August 1861 nach Siboga, wo er am 17. August ankam. Am 20. August reiste er weiter, Djagodjago, Batangtoru (23. August), Paggerutan, dann Sipirok. Es ging zu Fuß und auf dem Pferderücken durch Kampferbaumwälder, Flüsse ohne Brücken, über Berghänge, durch Kaffeeplantagen. Am 20. Oktober erreichte Heine den Ort seiner Mission, Sigompulan. Hier musste alles erst geschaffen werden, am 1. Januar 1862 war Einzug und Einweihung der neuen Missionsstation.
Bild aus: Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909
Die Missionarstätigkeit, die nun vor Wilhelm Heine lag, ist heute unter dem Begriff Batak-Mission bekannt und war im christlichen Sinne sehr erfolgreich.
Grund für diese Mission war der antikolonialen Aufstand in Borneo 1859, bei dem neun Missionsangehörige ums Leben kamen, die niederländischen Kolonialregierung daher die Missionsarbeit in dem Gebiet untersagte. So wandte man sich dem Inneren von Sumatra zu, hier lebte das indigene Volk der Batak, welches aus mehreren Volksgruppen bestand, welche auch eigene Stammessprachen besaßen. Die Batak waren keineswegs unzivilisiert im heutigen Sinne, sondern besaßen eine hochkomplexe Zivilgesellschaft, die sich von den Küstenbewohnern abschottete.
Karte aus „Mission, Kolonialismus und Missionierte; Über die deutsche Batakmission in Sumatra“ 2
Schon Marco Polo brachte 1292 Gerüchten über menschenfressende Bergvölker, die er „Batta“ nannte, mit nach Europa, weshalb bis etwa 1824 kaum Kontakt mit Europäern bestand, da diese die Bergvölker mieden. Heine befragte dazu einen Radja, der ihm erklärte, Verbrechen wie Ehebruch, Landesverrat usw., wurden mit Gefressenwerden bestraft. Auch Kriegsgefangene und Spione wurden verzehrt, an diesen Bestrafungsmahlzeiten nahmen nur Männer teil.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten die islamischen padri-Krieger aus Westsumatra Silindung mit Krieg überzogen und waren sogar bis an den Tobasee vorgedrungen, wo sie den Priesterkönig Singamangaraja X. töteten. Seit den 1840ern war die niederländische Regierung in kriegerischen Auseinandersetzungen mit den padri verwickelt, einer militanten, über Mekkapilger wahhabitisch beeinflussten islamischen Bewegung aus Westsumatra. So sollte das Gebiet der Batak zur Befriedung und Stabilität in der Region beitragen, die Christianisierung Verbündete schaffen.
Die Missionare brachten nicht nur die Bibel und öffentliches Bildungswesen mit, sie hatten die Sprache der Einheimischen erlernt und beachteten ihre Traditionen, sodass die Batak ihre kulturellen Eigenheiten bewahren und mit christlicher Tradition verbinden konnten. Die so entstandene Huria Kristen Batak Protestan ist heute die größte evangelische Kirche Indonesiens.
Zunächst galt es, das Vertrauen der Einheimischen zu gewinnen, was nicht so einfach war, da man Heine unterstellte, ein Spion der holländischen Regierung zu sein, der die Battas dazu bringen solle, für das Gouvernement Kaffee anzubauen und Wege anzulegen. Dann hieß es, er würde die Kinder behexen, mit seinem Fernrohr die edlen Metalle im Innern der Erde erspähen, in seiner Uhr einen Geist bei sich führen u.a.m.
Weil die RMG die Idee hatte, auch Fotografien anzufertigen zu lassen, waren die Missionare mit Apparaten und Fotochemikalien ausgestattet. Nachdem Heine ein Landschaftsfoto entwickelte, hieß es: „Seht, der fremde Mann bringt mit Hilfe der Geister, die in dem Kasten stecken, unser Land aufs Papier und trägt’s davon.“ Kein Einheimischer war daher bereit, sich fotografieren zu lassen. Als kurz darauf das tropischen Klima die mitgebrachten Chemikalien zersetze und für eine gewaltige Explosion derselbigen sorgte, riefen die Battas: „Haben wir’s nicht gesagt, dass der Mann ein großer Zauberer ist und viele Geister ihm zu Diensten stehen? Seht ihr, jetzt sind alle Teufel los.“8
Nachdem die 1864 für eine Reise nach Indien vorgesehene Lehrerin Therese Wilhelmine Barner (1842–1909)6, jüngsten Tochter des Hausvaters und Schulmeisters der Rettungsanstalt in Korntal/Württemberg, Andreas Barner (1773–1859) und seiner Ehefrau Maria Regina geborene Metzger (1806–1848), nach Sigompulan entsendet wurde11, fand sich auch für Wilhelm Heine eine Gefährtin.
Eintrag der Therese Wilhelmine Barner im Familienregister Blatt 7 Korntal17
Im Dezember 1865 reiste Heine der ihm aus Europa gesandten Braut nach Padang entgegen. Die Ehe wurde im Februar 1866 geschlossen unter den Gewehrschüssen der Volksmenge , er mußte dann einen Stier schlachten und mit den Vornehmen verzehren. Hatten bisher nur Männer die Station besucht, so bestürmten nun die Frauen und Mädchen das Haus um die njonnja (europäischen Frau) zu sehen und ein kleines Geschenk zu erhalten.
Die eigentliche Aufgabe der Missionarsfrauen bestand vorrangig darin, den einheimischen Frauen und Mädchen das Nähen und Singen christlicher Lieder beizubringen. Sie kümmerten sich um die Haushaltsführung und ihre Kinder. Sobald diese schulpflichtig wurden, mussten sie nach Deutschland in die Obhut der Rheinischen Missionsgesellschaft zur Ausbildung gegeben werden.
Heines Ehefrau fand sich ziemlich schnell zurecht. Sie wurde eine wichtige Person in Sigompulan. Befreundete Battas brachten Hühner und Reis zum Gruß, und aus verschiedenen Dörfern kamen Einladungen zu einer Mahlzeit, denen Heine sich nicht entziehen konnte und wollte, weil er darin eine Gelegenheit sah, den Leuten näher zu kommen. Besonders feierlich wurden die Neuvermählten im Dorfe Lumbandolok empfangen. Selbst der datu (Gelehrte des Dorfes) ehrte das Paar mit Reis, Siri, inländischem Brot und Segensgebeten.14
Es gab zwar zahllose Rückschläge, da den ersten getauften Einheimischen der traditionelle Familienrückhalt entzogen wurde und diesen eigene Dörfer und Felder für die Lebensgrundlage geschaffen werden mussten, damit sie von der Familie unabhängig leben konnten, aber die Schar der christlichen Gemeinde wuchs beständig.
Als es 1866 über mehrere Monate eine Pockenepidemie in Silindung gab, sich einer der Einheimischen infizierte und die Erkrankung nach Sigompulan brachte, zeigte sich der Vorteil, entweder gegen diese geimpft oder die Pockenerkrankung überstanden zu haben, um den isolierten Erkrankten betreuen zu können. Leider wurde Heine zu seinem Totengräber, als dieser letztlich starb.
Am 25. November 1866 kam Sohn Wilhelm Heine, zur Welt, er sollte später ebenfalls Pastor werden. Insgesamt kamen 4 Kinder in der Missionsstation zur Welt, Therese (*1868), die später den Gutsbesitzer Andreas Müller (1858-1911) ehelichte, Hugo (1870–1899), Chemieingenieur, nach kurzer Ehe heiratete sein Witwe Pauline Müller (*1873) im Jahre 1913 seinen Bruder Wilhelm und Friedrich (*1872), ebenfalls jung, ledig, in Russland verstorben.
Geburt und Taufe von Wilhelm und Therese Heine 1877 im KB NeustuttgartGeburt und Taufe von Hugo und FriedrichHeine 1877 im KB Neustuttgart
Im März 1868 erlaubte der Radja Wilhelm Heine und einigen Begleitern, den bis dahin mit einem Tabu für Nichteinheimische belegten Tobasee zu besuchen. Dieser Besuch war hochgefährlich, weil die hier lebenden Bergstämme vermuteten, es handle sich um padri und wollten sich an den Eindringlingen rächen für die 1831–1832 ermordeten Bewohner ihrer Dörfer. Als sich herausstellte, dass es sich um Missionare handelte, welche große Unterstützung unter den Einheimischen fanden, wendete sich das Blatt nach Verhandlungen zum Guten.
Tobasee, größter Kratersee der Erde, 87 km lang und 27 km breit3
Im Jahre 1868 ging über Pfarrer Jakob Heinrich Staudt (1808–1884) aus Korntal das Gesuch des Missionars Heine und seiner Ehefrau im O.A. Kirchheim ein, Therese Wilhelmine aus dem Württembergischen Untertanenverhältnis zu entlassen unter Verzicht des Bürgerrechtes, da er von dem Angebot, das dortige Bürgerrecht zu erhalten, keinen Gebrauch machen wolle. Er war bereits russischer Untertan und wollte das auch bleiben. Das Amt bestätigte daher ihren Bürgerrechtsverzicht am 9. Juni 1868 und entließ Therese Wilhelmine als ausgewandert nach Russland.
1873 nahm die Familie Heine ihren Abschied und schiffte sich ein, die Reise ging durch den am 17. November 1869 eröffneten Suezkanal, über den Indischen Ozean, das Rote Meer und durch den Kanal ins Mittelmeer nach Jaffa. Von dort aus landeinwärts nach Jerusalem. Es folgten Besuche von Bethanien, Bethlehem, dem Jordan und des Toten Meeres, alles Orte, die in der christlichen Welt von hoher Bedeutung sind. Nach einem Monat Aufenthalt bestieg die Familie erneut ein Schiff und reiste über Konstantinopel nach Südrußland.
In Folge des für die Kinder ungewohnten Klimas und des extrem strengen Winters 1873/1874 in Russland bekamen sie alle eine Lungenkrankheit, welche Tochter Therese nur mithilfe eines Luftkurortes in Deutschland überwand, ihre beiden Brüder starben daran jung.
Im Mai 1874 trafen alle in Korntal/Württemberg ein, hier war Heine für die Mission unterwegs, ehe er im Herbst 1874 gänzlich nach Russland zurück kehrte und im Chutor Andrejewsk überwinterte, weil seine Frau hochschwanger war, Tochter Maria kam am 3. Dezember zur Welt.
Marias Geburt und Taufe im KB Neustuttgart 1877
Im Frühjahr 1875 nahm er seine Tätigkeit als Pastor des Kirchspiels Neustuttgart-Berdjansk7 auf und bezog das Pfarrhaus in Neustuttgart.
Bild aus: Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909
Hier traf er auf eine recht zersplitterte Gemeinschaft, die sich unter Pastor Wüst trennte und über die Jahre getrennt blieb. Die Bewohner des Kirchspiels lebten in Neustuttgart, Neuhoffnungstal und Rosenfeld und gehörten entweder der lutherischen Kirche oder der schwäbischen Brüdergemeinde (Separatisten) an. Die Neustuttgarter waren im Verhältnis 1:1 geteilt, in Neuhoffnungstal und Rosenfeld waren es überwiegend Mitglieder der Brüdergemeinde, Berdjansk dagegen hatte keine Anhänger der Brüdergemeinde.
In Neustuttgart entstanden aus dieser Glaubensverschiedenheit zwei Bethäuser, Pastor Zeller, der 1867 das Kirchspiel übernahm, gelang es nicht, eine Einigung der zwerstittenen Parteien zu erzielen, weshalb er sich letztlich von seinem Amt entbinden ließ. In Neuhoffnungstal und Rosenfeld besuchten man zu diesem Zeitpunkt abwechselnd den Gottesdienst der Glaubensgemeinschaften im selben Bethaus gegenseitig.
Diese Kluft zu überbrücken, gelang Heine auf Grund seiner großen Erfahrungen aus Sumatra, er entschärfte die Glaubenszwistigkeiten, näherte die verstrittenen Kirchengemeinden einander an, um im Januar 1876 eine öffentliche Einigung der Separierten und Lutheraner zu erzielen.
Die Bedingungen sind folgende: „Vereinigungspackt der freien evangelischen Gemeinde und der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Neustuttgart. Die freie evangelische Gemeinde in Neustuttgart hat nach eingehender Beratung in ihrer Mitte den Beschluß gefaßt, mit Beginn des Jahres 1876 sich mit der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Neustuttgart auf die unten genannten Bedingungen hin zu vereinigen. Es kann dies Ereignis nur mit Freuden begrüßt werden – denn so nur kann für Zucht und Ordnung in der Gemeinde, für die Erziehung der Jugend, für Kirche und Schule zum Segen des Ganzen gewirkt werden. Welches von den beiden am Ort befindlichen Bethäusern zur Kirche erweitert und welches zur Schule eingerichtet werden wird, das bleibt einer späteren Beratung Vorbehalten.
Die kirchliche Gemeinde kommt den Gliedern der freien Gemeinde entgegen, ihnen die Mitbenutzung ihres Bethauses bereitwillig zu gestatten.
Das heilige Abendmahl soll gemeinschaftlich gefeiert werden.
Bei Taufen und Trauungen bedient der Pastor die Glieder der freien Gemeinde nach der alten württembergischen Agende.
Die Konfirmation soll bei den Kindern der freien Gemeinde im 14. Jahr stattfinden dürfen.
Der Pastor übernimmt die Führung der Kirchenbücher der freien Gemeinde.
Im Fall eines Sterbefalles bei Abwesenheit des Pastors soll dem Kirchenvorsteher der freien Gemeinde gestattet sein dem Sterbenskranken das heilige Abendmahl reichen zu dürfen – freilich nur im dringendsten Fall.
Die Vereinigung soll für die ganze Zeit, die Pastor Heine in Neustuttgart im Amte steht, als bleibend und unlöslich betrachtet werden: im Fall eines Pfarrwechsels soll jedoch unter Umstanden der freien Gemeinde die Freiheit gewahrt bleiben, sich wieder loszulösen – was Gott verhüten wird.
Die freie Gemeinde tritt beim Zahlen des Pfarrgehalts und bei der Übernahme anderer Verpflichtungen mit der kirchlichen Gemeinde von: 1. Januar 1876 ab in gleiche Reihe.
Die Kirchenvorsteher der freien Gemeinde und die Kirchenvormünder der kirchlichen Gemeinde treten unter Vorsitz des Pastors und unter Hinzuziehung des Schulzenamts zusammen, um die Ordnung in der Gemeinde, der Kirche und Schule aufrecht zu halten.
Der dreieinige Gott gebe seinen Segen zu dieser Vereinigung, ihm zur Ehre, zum Wohl der Gemeinde!
Zur Bekräftigung und zu gegenseitiger Beobachtung dieses Bereiniguugsvertrages unterzeichnen heute: Neustuttgart, den 12. Januar 1876. seitens der freien Gemeinde: seitens der Kirchengemeinde: Andreas Bihlmeier Adam Erlenbusch Jakob Klotz Immanuel Bauer.“
Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909, p. 157f
Wie wohlwollend die Kirche das Wirken von Pastor Heine aufnahm, zeigte sich im folgenden Schreiben:
Schreiben des St. Petersburger Konsistoriums an Propst Behning vom 27. Februar 1876, wo diese Behörde sich folgendermaßen über die Bereinigung der Separierten und Kirchlichen äußert. „…….. Ein anderes aber ist es, wenn man den in Rede stehenden Antrag aus Neustuttgart in dem Sinne auffaßt, daß die freie evangelische Gemeinde daselbst gar nicht gesonnen ist zu der evang.-lutherischen Kirche in Rußland über- und in unsern Konsistorialbezirk einzutreten, sondern daß sie nur das Zugeständnis begehre, sich unter Beibehaltung ihrer bisherigen bürgerlichen wie kirchlichen Stellung und ihres bisherigen inneren Glaubensstandes der Person und des Amtes des Herrn Pastor Heine bedienen zu dürfen, so daß also die ganze Vereinigung mit der evang.-luth. Gemeinde in Neustuttgart nichts als ein Akt persönlichen Vertrauens zu Herrn Pastor Heine wäre. Ja dies scheint auch in der Tat die Meinung und der Wille der Petenten zu sein, die ja die „Bedingungen der Vereinigung“ klar und deutlich in Punkt 7 aussprechen, daß die Bereinigung „nur für die Zeit, da Pastor Heine in Neustuttgart im Amte steht, als bleibend und unumstößlich betrachtet wird, im Fall eines Pfarrwechsels jedoch – der freien Gemeinde die Freiheit gewahrt werden soll, sich wieder loszulösen.“ In diesen! Sinn den Antrag verstanden trägt das Konsistorium kein Bedenken, die vorgestellten Bedingungen zur Vereinigung der Gemeinde in Neustuttgart zu genehmigen und dem Herrn Pastor Heine die Autorisation zu erteilen, auch an den Gliedern der freien Gemeinde seines Amtes, aber in soweit, zu warten, als er bei aller Treue in Ausübung seines geistlichenHirtenamts mit seinem Gewissen wird verantworten können. Das Konsistorium erteilt diese Genehmigung um so lieber, als es sich aufrichtig der Annäherung zwischen beiden Gemeindeteilen in Neustuttgart freut, welche durch den Beschluß ihrer Vereinigung bezeugt ist, und in derselben eine starke Bürgschaft künftigen dauernden Friedens und gottgefälliger Einigkeit sieht. Von den Gliedern der sogenannten freien Gemeinde aber erwartet das Konsistorium, daß sie ihrem nunmehr selbsterbetenen Seelsorger fortwährend alle Liebe und Ehrfurcht beweisen, und allem, was er in geistlichen Dingen zu ihrem eigenen Heil vorschreiben oder anordnen wird, pünktlich Gehorsam leisten werden. Nur so wird sich die Gemeinde des göttlichen Segens trösten dürfen, den wir von dieser Vereinigung hoffen.
Präsident: Frommann. Sekretär: Fabricius.“
Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909, p. 158f
Diese Einigung wurde bei einigen Mitgliedern der Brüdergemeinde jedoch alles andere als positiv aufgenommen. So unterstellte man ihm nur auf Betreiben Zellers die Stelle bekommen und die Separatisten in eine Falle gelockt zu haben mit seinem Einigungsvertrag, aus der sie nun nicht mehr entkommen könnten, zumal es einigen egal wäre, ob im Gottesdienst ein Bruder oder Pastor auf der Kanzel steht.4
So schreibt Kröker:
Als Jüngling kam er von seinem Heimatdorfe Prischib an der Molotschna oft nach Neuhoffnung, wurde hier bekehrt, und weil er Lust und Begabung zur Missionsarbeit zeigte, schickte Wüst ihn nach Barmen ins Missionshaus, wo er auf Kosten der Separatisten ausgebildet wurde. Nach seiner Rückkehr wurde er als Bruder und Gesinnungsgenosse mit offenen Armen aufgenommen. Gleichzeitig wurde ihm die vakante Predigerstelle der Separatisten, wie auch vom Konsistorium das Pastorat in Neustuttgart angetragen. Er entschied sich für letzteres. Das Vertrauen der Separatisten hat er schnöde mißbraucht, und für die genossene Liebe und Wohltaten hat er sich sehr undankbar erwiesen. Durch Anwendung von Mitteln, die eines gläubigen Christen unwürdig sind, ist es ihm gelungen, den größten Teil der vier Dörfer, halb gegen ihren Willen, zur lutherischen Kirche und unter das Konsistoriums zu bringen
Kröker, Abraham: Pfarrer Eduard Wüst, der grosse Erweckungsprediger in den deutschen Kolonien Südrusslands, Spat bei Simferopol, Selbstverlag, H.G. Wallmann Leipzig, Central Publ. C,. Hillsboro Kansas, 1903, p. 107
Heine sah sich als Bindeglied und Vermittler zwischen den Lutheranern und Mennoniten, zumal er mit dem Mennoniten Ältesten Dirks von Gnadenfeld, ebenfalls ehemaliger Missionar in Sumatra, eng befreundet war.
Für das Schulwesen war seine einstigee Tätigkeit ebenfalls von Vorteil, da er dafür sorgte, das in Neustuttgart das separierte Bethaus zum Schulhaus wurde, Neuhoffnungstal ein neues, zweistöckiges Schulgebäude errichtete, diese und die Lehrerwohnungen nun beheizbar waren. Es wurden Lehrer angestellt und besoldet, Schulbücher angeschafft.
Mit dem Ende seine Tätigkeit als Pfarrer im Frühjahr 1894 gab Heine öffentlich bekannt, wie im Vertrag geregelt, daß jeder Separierte, der sich der Kirche angeschlossen hatte, sich nun zu entscheiden habe, ob er bei der Kirche bleiben oder wieder zum Separatismus zurücktreten wolle.
Er zog dann mit seiner Frau zur Tochter Therese nach Michailowsk, um noch einmal im Auftrag der Mission zu reisen. Am 5. Juli 1895 traf er in New York/USA ein. Am 15. Juli reiste er nach Buffalo und zu den Niagarafällen, dann Erie (19. Juli), Brooklyn/Ohio (23. Juli), Sandwich (29. Juli), Amboy/Minnesota (13. August), Mountain Lake – hier lebten ehemalige Berdjansker, weiter nach Canada – Gretna/Manitoba (27. August). Es folgten Junkton/Dakota (9. September), Sutton/Nebraska (24. September), Scotland (29. September). In Scotland besuchte er die Witwe von Pastor Karl Bonekemper (1827-1903). In Menno traf er auf den 1887 ausgewanderten Gebietsschreiber Münch aus Zürichtal und besuchte auf dem Weg nach Sutton (1. Oktober) weitere Auswanderer. Traf in Ferberg auf Mennoniten der Molotschna und kam in Denver/Colorado an (14. Oktober). Besuchte den Pikes Peak, Colorado Springs, Newton und St. Louis/Illinois. Hier traf er seinen alten Freund Hermann Sudermann wieder, mit dem er in Reval war. Weiter ging es nach Chicago (18. November), Sandwich (27. Oktober) und 8 Monate nach Beginn dieser Reise traf er am 31. Dezember 1895 zu Hause ein. Pünktlich zum Jahreswechsel.
Das viele Reise begünstigte sein Steinleiden, am 25. Januar 1897 starb Missionar Wilhelm Heine an den Folgen einer Steinoperation in Michailowsk, seine Frau folgte ihm am 13. November 1909.
Mennonitische Rundschau9
Orte, die Wilhelm Heine in seinem Leben bereiste15
Sohn Wilhelm, als erstes Kind in Sigompulan 1866 geboren, trat in die Fußstapfen seines Vaters und nahm am 17. August 1884 ein Theologiestudium in Dorpat auf.5
Am 1. Mai 1891 in Tiflis/Kaukasus ordoniert, wurde er von 1892-1893 Pastor-Adjunkt in Batum-Kutais/Kaukasus, ab1893-1895 Adjunkt bei seinem Vater in Neu-Stuttgart, der im Frühjahr 1894 nach 19 Jahren im Amt in den Ruhestand ging.
1895 legte er das Gymnasiallehrerexamen ab und nahm eine Hauslehrerstelle in Sankt Petersburg an. Von dort kehrte er als Konsistorialvikar für die Kreise Bachmut und Slawjanoserbsk, Gouv. Jekaterinoslaw (1898–1899) zurück, wurde dann Pastor in Schidlowo (1899-1907) und scheidet aus dem geistlichen Amt aus.
Erneut im Dienst in Schidlowo (1914–1928), anschließend Pastor in Katharinenfeld/Kaukasus (1928–1930). In Katharinenfeld wurde er am 14. August 1931 wegen der angeblichen Bildung eines „antisowjetischen Agitationsnetzes16 verhaftet und bis 1934 nach Tymsk am Ob, Gebiet Tomsk (Westsibirien) verbannt.
Nach der Rückkehr lebte er in Feodosia/Krim und wurde am 4. Juli 1937 wurde er erneut verhaftet.12 Nach kurzem Aufenthalt im Simferopoler im Gefängnis wurde er nach Verurteilung zur Hinrichtung am 2. Januar 1938 erschossen. Offiziell wurde Wilhelm Heine am 9. Oktober 1989 rehabilitiert.13
Die Familienmitglieder, die auf dem kleinen Friedhof ruhen:
Andreas Müller, geboren am 17. Juli 1858 als Sohn des Kaufmannes und Gutsbesitzers Friedrich Michael Müller (1837-1860) und der Dorothea Heine (1835-1860). Dorothea Heine war eine Schwester des Missionars Wilhelm Heine.
Geburt und Taufe KB Hochstädt 1858Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1911
Verstorben ist Andreas Müller am 28. August 1911 in Charkow, beigesetzt am 31 August.
Johanne Elisabeth Blank wurde am 8. Juli 1845 in Molotschna als Tochter des Schullehrers Friedrich Blank (1820-1878) und seiner Ehefrau Margaretha Brühler (1824-1850) geboren.
Geburt und Taufe KB Molotschna 1845
Ihr Ehemann, der Gutsbesitzer Friedrich Müller (*1841), war der Neffe des Andreas Müller (1858-1911). Hier treffen wir auf die Verbindung zu Ludwig Hein(e) (1789-1854). Dessen Tochter Maria Magdalena Heine (1844-1929) war verheiratet mit dem Cousin von Johanne – Lehrer Friedrich Blank (1841-1889)
Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1907
Verstorben ist sie am 16. Mai 1907 auf dem Gut Federowka und wurde am 19. Mai beigesetzt.
Michael Müller, beider Sohn, geboren am 29. November 1877 auf dem Gut Federowka
Geburt und Taufe KB Molotschna 1878Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1899
Er starb am 30. April 1899 auf dem Gut Federowka an einer Entzündung des Abdomens und wurde dort am 2. Mai des Jahres beigesetzt.
Olga Müller war die Tochter von Friedrich Müller (*1870), ebenfalls ein Sohn des Gutsbesitzers Friedrich Müller (*1841), Olgas Mutter war Bertha Mathilde Ottilie Petersenn (*1874). Olga wurde auf dem Gut Federowka am 23. November 1904 geboren.
Geburt und Taufe KB Friedenfeld 1905Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1911
Ihr kurzes Leben endete durch Scharlach und Diphterie auf dem Gut am 12. November 1911, beigesetzt am 14. November.
Friedrich Müller, genannt Fritz, ihr Bruder, wurde am 28. Juli 1907 auf dem Gut geboren.
Geburt und Taufe KB Friedenfeld 1907Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1911
Auch sein Leben wurde von der Erkrankung dahin gerafft, er starb am 24. November und wurde am 26. November beigesetzt.
Vielleicht gehören die Bruchstücken auf dem Friedhof zu den Resten des Grabsteines der Schwester Margarethe Müller, sie starb bereits am 19. November im Alter von 10 Jahren ebenfalls an der Kinderkrankheit und wurde am 21 November beigesetzt. So entstanden innerhalb einer Woche drei Kidnergräber der selben Familie.
Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1911
Dr. med. Alexander Friedrich Gustav Petersenn, Arzt, war der Bruder der Bertha Mathilde Ottilie Petersenn (*1874) und verehelicht seit dem 12.11.1896 mit Johanne Heine (*1878), Tochter des Missionars Wilhelm Heine (1833-1897)
Geboren und getauft wurde er in Riga19, sein Vater Karl Johann Georg (1832-1892) war ebenfalls Arzt, seine Mutter Karoline Wilhelmine geborene von Erbe (1846-1907) ist ebenfalls auf dem Gut Federowka versotben und beigestezt worden.
Dr. med. Petersen verstarb am 5. Januar 1905 auf dem Gut an einer Auszehrung, beigesetzt wurde er am 8. Januar.
Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1905
Der Stein seiner Mutter ist nicht aufgefunden worden. Jedoch belegt ihr Sterbeintrag vom 21. Januar 1907 die Beisetzung am 24. Januar daselbst.
Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1907
1Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909
2Hans Angerler: Mission, Kolonialismus und Missionierte; Über die deutsche Batakmission in Sumatra in: Beiträge zur historischen Sozialkunde 2/93, 23. Jahrgang Nr. 2, April bis Juni 1993, p53-61
4Prinz, Jakob; Die Kolonien der Brüdergemeinde: ein Beitrag zur Geschichte der deutschen KolonienSüdrusslands. Prinz, Pjatigorsk, 1898, p.163f
5National Archives of Estonia Heine Wilhelm; EAA.402.2.9133; 17.08.1884
6Dorothee Rempfer: Biografisches Verzeichnis von Missionaren, Missionarsfrauen, Missionsschwestern und lokalen Mitarbeiter*innen der RheinischenMissionsgesellschaft (RMG ) in der Herero- und Batakmission. Stand Juli 2021 p.5
7Mittheilungen und Nachrichten für die evangelische Kirche in Rußland begründet von Bischof Dr. E. E. Ulmann, gegenwärtig redigiert von J-Th. Helmsing, Oberlehrer in Riga, unter Mitwirkung der Pastoren: E. Kaehlbradnt in Neu-Pebalg, R. Räder in Goldingen, A.H. Haller in Reval u. A. 32. Band Neue Folge. Neunter Band. Jahrgang 1876. Riga 1876. Verlag von Brutzer & Comp., p.281
8Allgemeine Missions-Zeitschrift. Monatshefte für geschichtliche und theorethische Missionskunde. In Verbindung mit einer Reihe Fachmänner unter specieller Mitwirkung von D. Th. Christlieb, Professor d. Theologie zu Bonn und Dr. R. Gundemann, Pastor zu Mörz. herausgegeben von Dr. G. Warneck, Pfarrer in Rothenschirmbach bei Eisleben. Vierter Band. Gütersloh 1877. Druck und Verlag von C. Bertelsmann. p.12
9Mennonitische Rundschau. herausgegeben von der Mennonite Publishing Company, Elkhart, Ind. 21. Jahrgang 7, Februar 1900 No. 6, p.2
10Kröker, Abraham: Pfarrer Eduard Wüst, der grosse Erweckungsprediger in den deutschen Kolonien Südrusslands, Spat bei Simferopol, Selbstverlag, H.G. Wallmann Leipzig, Central Publ. C,. Hillsboro Kansas, 1903
11Dorothee Rempfer: Gender und christliche Mission; Interkulturelle Aushandlungsprozesse in Namibia und Indonesien. Global- und Kolonialgeschichte Band 11.Dissertation am Institut für Geschichte der FernUniversität Hagen. transcript Verlag, Bielefeld 2022. p.54
13Dr. Viktor Krieger: Verzeichnis der deutschen Siedler–Kolonisten, die an der Universität. Dorpat 1802-1918 studiert haben
14Evangelisches Missions-Magazin, Neue Folge. Herausgegeben im Auftrag der evangelischen Missionsgesellschaft von Dr. Hermann Gundert. Dreizehnter Jahrgang. 1869. Basel im Verlag des Missions-Comptoirs. In Commission bei J.F. Steinkopf in Stuttgart udn Bahnmaiser Verlag (E. Detloss) in Basel. Druck vomn E. Schulze. p.70ff
16Litsenberger, Olga, Evangelical Lutheran Church in the USSR in the 1930s (2007). Deutsche in Russland und in der Sowjetunion 1914-1941. Alfred Eisfeld, Victor Herdt, Boris Meissner (Hg.). Lit. Verlag Dr. W. Hopf. Berlin, 2007 p. 424
17Familienregister Blatt 7 der Gemeinde Korntal/Württemberg, Kopie freundlicher Weise überlassen von B. Arnold, Korntal
18Verzichtserklärung und Entlassung aus dem Württembergisschen Untertanenverband 9.6.1868, O.A. Kirchheim, Auswanderergesuche Bd. 69-71 1855-1890
Sparwasser – aus Hessen über Schlesien nach Russland
Sparwasser – viele werden sagen: „Da klingelt doch was?“ Der bekannte Namensvertreter und Fußballer Jürgen Sparwasser ist jedoch nicht gemeint, sondern die Büdesheimer BrüderJohann Jacob1 (1.12.1745-24.3.1819) und Johannes1 (17.11.1752-19.5.1790) Sparwasser, welche dem Aufruf des Werbers Johann Hartmann Schuch, Verwaltungsbeauftragter der neuen Kolonien in Schlesien, folgten.
Schuch war ursprünglich selbst Kolonist, als Richter für eine neue Kolonie im Kreise Brieg vorgesehen, machte er eine Eingabe mit dem Verweis auf seine besondere Eignung als Werber an den Grafen Karl Georg von Hoym im September 1771, in der er erklärte, über 800 Familien geworben zu haben. Hoym, davon überzeugt, wendete ihn im Spätherbst und Winter 1771 in die Ämtern Nidda und Schotten, die Grafschaft Solms-Laubach, ins Hanauische und auch ins burgfriedbergische Territorium.
Seine Abwerbung blieb dort nicht unbeachtet, der Amtmann des Karbener Amtes meldete im Dezember die unerwünschte Tätigkeit Schuch’s, worauf das Burgregiment Friedberg am 20. Dezember 1771 eine Untersagung aussprach. Am 9. Januar 1772 wies die Burg den Amtmann an, Schuch, „falls er sich nicht fügen und den Ort räumen wolle, in Arrest zu ziehen und nach Burg Friedberg gefänglich einzuführen.“
Am 27. Januar 1772 teilt die Burg dem Amtmann zu Büdesheim mit, man sei wegen Schuch mit dem königlich preußischen Minister von Hochstetten in Korrespondenz getreten und am 3. Februar 1772 war ein Gesinnungswechsel eingetreten, Schuch konnte werben und den als Kolonisten angeworbenen wurde der Abzug gestattet, sofern sie Zehnt-Pfennig, Auszugs- und Ledigungsgeld bezahlt hätten.6
Wenn man sich nun fragt, warum Schuch überhaupt so erfolgreich war, und warum der Amtmann so harsch reagierte, muss man in diese Zeit zurückblicken:
Einerseits waren die Lebensbedingungen der Landbevölkerung durch Leibeigenschaft geprägt, Leibeigene gehörten dem Grundherrn, sie bewirtschafteten seine Ländereien und waren zu Frondiensten verpflichtet, durften ohne seine Genehmigung weder wegziehen noch heiraten und unterlagen seiner Gerichtsbarkeit, im Gegensatz dazu waren Bürger einer Stadt freie Menschen. Während Frankreich diesen Zustand 1789 beendete, war man auf den deutschen Territorien in dieser Frage uneins, im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel seit 1433 aufgehoben, behielt man sie in Mecklenburg bis 1822 bei und erst 1832 wurden die Frondienste in Sachsen abgeschafft. Im Großherzogtum Hessen wurde die Aufhebung der Leibeigenschaft per Gesetz am 25. Mai 1811 verordnet und zum 13. Juli 1813 rechtskräftig. Es wurde eine Entschädigungsleistung der ehemaligen Leibeigenen an die vormaligen Leibherren vorgesehen, was im Grunde die Abhängigkeit mangels Kapital aufrechterhielt.
Der zweite, viel wichtigere Aspekt war jedoch der Bevölkerungsmangel und damit verbundene Arbeitskräftemangel, der die Herrschaft aufhorchen ließ. Diese geht auf die erheblichen Hungerjahre zurück, die in Europa eine Ursache in der kleinen Eiszeit nahmen und durch kriegerische Auseinandersetzungen verstärkt wurden.
Die Verringerung der Sonnenaktivität, auch Vulkanismus mit erheblichem Ausstoß in die Atmosphäre und veränderten Meeresströmungen bestimmten bis ins frühe 19. Jahrhundert das Klima in Europa. Die Temperaturen gingen seit etwa 1570 deutlich zurück, bis 1610 reihten sich Missernten, Orkane und harte Winter aneinander und bildeten den Nährboden für Missgunst, Neid, Auseinandersetzungen und letztlich Kriege.
1636-1637. Schreckliche Hungersnoth in Deutschland und zum Theil in der Schweiz als Folge des 30-jährigen Krieges, ganz besonders in Sachsen, Hessen und Elsaß. Die Menschen verthierten infolge der entseglichen Zustände derart, daß sie nicht blos Gras, Baumblätter, Eicheln, Wurzeln, Baumrinden, Erde, Thierfelle und krepirte Thiere verschlangen, sondern sogar menschliche Leichname verzehrten, indem sie das Fleisch auf dem Schindanger holten, Leichen vom Galgen herabstahlen, die Gräber nach Menschenfleisch durchwühlten und lebende Kinder schlachteten. Blutsverwandte mordeten und fraßen sich auf und nahmen sich dann, über die entsehliche Sättigung in Wahnsinn verfallend, selbst das Leben. Es bildeten sich Banden, die auf Menschenfleisch behufs Verzehrens förmlich Jagd machten; so wurde z. B. zu Worms eine Menschenfresserbande vertrieben. Die Chroniken berichten so gräßliche Details und haarsträubende Episoden, daß man sich mit Eckel davon abwendet.
Unglücks-Chronik oder die denkwürdigsten elementaren Verheerungen und Zerstörungen in Natur- und Kulturleben aller Zeiten. Wenger, J.:Verlag: Bern Verlag von Rudolf Jenni’s Buchhandlung (H. Köhler). (Ca. 1889)., 1889 p.49
Hongersnood in Duitsland, 1637, Caspar Luyken2
Unsere Sparwasser waren in Büdesheim lange ansässig, Daniel, hochadlige schützischer Jäger und Waldförster, aus Florstadt stammend, heiratete 1666 in Büdesheim, der Pfarrer schätze sein Alter auf 31 oder 32 Jahre, nach dem Sterbealter war er schon 34. Er war der Vater von Georg Wilhelm, Daniels Schwiegervater Henrich Volz stammt aus der Zeit um 1600, Enkel Georg Philipp, Vater unserer Auswanderer kam im Jahre 1717 zur Welt, sie erlebten die Zeiten, mit Sommern, so kurz, dass Korn und Früchte nicht mehr reiften.
Die Not war extrem, man kannte zu diesem Zeitpunkt noch keinen Kartoffelanbau, nur Hackfrüchte, die ebenfalls kaum wuchsen, die Preise explodierten für das Wenige, was vorhanden war, Fleisch war rar, da auch das Vieh nicht mehr versorgt werden konnte, das Wild zurückging, Seuchenzüge waren die Folge, sie trafen sowohl die geschwächten Menschen, als auch das Vieh.
Es folgten weitere Jahre mit extremen Teuerungen, auch verursacht durch Ankauf von guten Ernten und Preiswucher, die ebenfalls Hungersnöte ausbrechen ließen.
In den Jahren 1770 und 1771 fielen zudem nicht nur die Kornernten schlecht aus, weshalb es erneut zu einer erheblichen Verteuerung kam (europäische Hungerkrise 1770–1773), Ursache waren extremen globale Klimaanomalien – während es in Zentralamerika, Indien und Teilen Afrikas zu schweren Dürren kam, versank Europa im Schlamm verheerender Regenfälle, die überwiegend die Sommermonate betrafen. Die Ernteausfälle breiteten sich über den Kontinent von Frankreich bis in die Ukraine und von Skandinavien bis in die Schweiz. In Folge des sich ausbreitenden Hungers und der Nässe, die alles faulen ließ, grassierten Ruhr, Typhus und die Pest, die zu einer drastischen Sterblichkeit führten, die Preise explodierten um 300 bis 1000 Prozent.
So findet sich in der Chronik der Stadt Ellrich4 folgender Bericht:
Man kennt Zahlen aus Kur-Sachsen, wo 150.000 Menschen 1772 am Hunger und seinen Folgen starben, in Böhmen etwa 180.000 und das ebenso in allen anderen Teilen des damals noch zersplitterten Deutschlands.3
So versteht sich die Erklärung der künftigen Kolonisten, die 1772 die Auswanderung nach Schlesien wünschen, von selbst, da sie ,,bei diesen theuren und nahrungslosen Zeiten sich das benöthigte Brod zu ihrem Lebensunterhalte nicht zu schaffen vermögten und daher gesonnen seien, nach Schlesien zu ziehen, in Hoffnung, es daselbsten besser zu treffen“
Der weitaus größere Teil wanderte bis Ungarn, da diese Region von den Wetterunbilden verschont geblieben war.
Johann Jacob war zum Zeitpunkt der Auswanderung verwitwet, vermutlich hatte seine Frau den Hunger nicht überstanden, daher wanderte er mit den Kindern Johann Georg (1768 – nach 1814) und Anna Elisabeth (1770-1804) in die neu zu gründende Kolonie Süssenrode aus. Sein Bruder Johannes und dessen Frau waren noch kinderlos. Zuvor zahlte Johann Jacob Sparwasser 5 Guldenb, 15 Albusb, Bruder Johannes 3 Gulden Ledigung (Loslösung aus Leibeigenschaft)1.
Geburtseintrag Johann Jacob Sparwasser 1745 im Büdesheimer Taufregister 1701-1756 (Archion)
Geburtseintrag Johannes Sparwasser 1752 im Büdesheimer Taufregister 1701-1756 (Archion)
Für unsere kleine Sparwassersippe war es verlockend, Schuch versprach in Schlesien geschenkt ein Haus und Grundbesitz von 40 rheinischen Morgena, es sollte freies Bau- und Brennholz geben, eine Steuerfreiheit der nächsten acht Jahre, danach lediglich eine Abgabe von sechs Albus je Morgen, das klang gut. Zudem zahlte die preußische Regierung 2 Thalerc pro Kopf Reisekosten.6 So machte man sich Anfang März 1772 mit den anderen Kolonisten auf den rund 740 km langen Weg in die neue Heimat, für Süssenrode sollten 14 andere Familien die neuen Nachbarn sein. Der Zeitpunkt war so gewählt, dass die Ankömmlinge bei Ankunft noch die Saat einbringen konnten.
Strecke Büdesheim – Süssenrode (Mlodnik) (google maps9)
Die Strapazen der Reise waren unsäglich, Nahrung knapp und teuer, zehrte daher das wenige Habe auf, viele der Kolonisten wurden krank, wie schlimm es stand, berichtete Schuch dem schlesischen Provinzialminister Graf von Hoym, in den elf neuen Kolonien waren im Mai 1772 insgesamt 266 Männer, 195 Frauen und 449 Kinder, davon 113 krank, 31 Personen verstorben.7
In Süssenrode fand Schuch bei seiner Kontrolle am 21. Mai 1772 insgesamt 15 Männer, 14 Frauen und 22 Kinder vor, 6 davon inzwischen Waisen, 10 Erkranke, zwei Männer und zwei Frauen gestorben. Doch lesen wir selbst:
Nummero 10. d. 21. May 1772. Sussenrothen. Diese Colonie stehet unter der aufsicht des Herrn Oberfürsters Büttner; soll bestehen auß 16 wohnungen; sind aufgeschlagen vom Zimmerman und sind in voller arbeit. Die Colonisten von dieser Colonie sind nach folgender Liste: No 1) Casper Jost, ein Bauer und Schumacher von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 33; Fr.: 40; To.: 20; So.: 8 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch. No 2) Jacob Sparwaßer ; ein Bauer von Biedesheim, kaiserl. Burg Frieb. Hoheit. alt: 27; So.: 4; To.: 2 Jahr; 3 Köpf. R.: Evangelisch. No 3) Joh. Schäfer ; ein Bauer von Biedesheim Friebbergischer Hoheit. alt: 56; Fr.: 58; So.: 18; So.: 12 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch. No 4) Joh. Jacob Sparwaßer ; ein Bauer von Biedesheim Friebbergischer Hoheit, alt: 25; Fr.: 30 Jahr; 2 Köpf. R.: Evangelisch. No 5) Joh. Cun ; ein Bauer von Biches, Biedingischer Hoheit, alt: 30; Fr.: 35; So.: 8; To.:10; To.: l Jahr; 5 Köpf. R.: Reverwirtd. No 6) Daniel Sefftel; ein Bauer von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 25; Fr.: 24; So.: 2 Jahr; 3 Köpf. R.: Reverwirth. No 7) Stofel Lipp ; ein Bauer von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 29; Fr.: 30; So.: 7; To.: 2 Jahr; 4 Köpf. R.: Reverwirth. No 8) Hein. Meister ; ein Bauer von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 25; Fr.: 20 Jahr; 2 Köpf. R.: Reverwirth. No 9) Anderas Nickelaus; ein Bauer von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 24; Fr.: 22 Jahr; 2 Köpf. R.: Reverwirth. No 10) Martin Holtzheimer; ein Bauer von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 30; Fr.: 25 Jahr; 2 Köpf. R.: Reverwirth. No 11) Peter Mehrling ; ein Bauer von Ostheim aus der Grafschaft Hanau. alt: 25; Fr.: 22 Jahr; 2 Köpf; R.: Reverwirt. No 12) Casper Jost; ein Bauer von Ostheim aus ; der Grafschaft Hanau. alt: 30; Fr.: 40; So.: 8 Jahr; 3 Köpf. R.: Reverwirth. No 13) Joh. Lick ; ein Bauer von Ostheim auß der ; Grafschaft Hanau. alt: 25; Fr.: 22 Jahr; 2 Köpf. R.: (fehlt) No 14) Conrath Meßer ; ein Bauer von Biches, Biedingischer Hoheit. alt: 30; Fr.: 22 Jahr; So.: 4 Tage; Schwie.: 20 Jahr; 4 Köpf. R.: Reverwirth. No 15) Conrath Buhsch ; ein Bauer von Kroßen Karben Kayserl. Burg Frieb. Hoheit, alt: 46; Fr.: 45; So.: 20; To.: 12 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch. No 16) Diese Nummero ist vagant;
Auf dieser Colonie befinden sich 15 Mann, 14 Frauen, 16 Kindern, die 6 weisen dazu gerechnet macht 22; Summa: 51 Seelen. Kranck: 10 Personen. Gestorben von dieser Colonie: 2 Mann, 2 Frauen; Summa: 4 Seelen. Auf dieser Colonie ist noch nichts von sommerfrüchten hinaußgesäet, weil diese Colonisten mehrst alle kranck gewesen sind; sie liegen noch alle in Butgewitz, weilen ihre Häuser noch nicht alle vom Zimmerman aufgeschlagen sind. Der Grund und Boden ist sehr gut; es stehet aber ein gar starcker wald drauf, daß es also hier zeit erfodern wird, biß er urbar gemacht wird, indem er naß liegt und ein starcker graben geschrodt werden muß. Diese Colonisten haben noch kein Vieh.
Monatsschrift für Sippenkunde und Sippenpflege, Heft 6 und 7, 1939, Berlin
Ortsplan Süssenrode6
Was den Kolonisten nicht bewusst war, man suchte in Schlesien vor allem Holzfäller, die den Wald roden sollten und die Hochöfen der Eisenproduktion mit Holzkohle versorgen. Daher waren die Landflächen nur als „Gartenwirtschaft“ ausgelegt, reichten daher einem Bauern nicht zur Vollversorgung seiner Familie, zumal nur ein kleines Stück gerodeter Acker zur Ansaat des Nötigsten übergeben wurde, den Rest mussten die Kolonisten selbst roden. Dafür erhielten sie pro Morgen 4-20 Taler, je nach Schwierigkeit des Geländes. Da ihre Kolonien noch nicht fertiggestellt waren, zog der Oberforstmeister Süßenbach, der diese Arbeiten überwachte, die Kolonisten zur Handlangerdiensten heran, dafür zahlte er 4 Groschen täglich. Zudem wurden die Kolonisten mit Brotgetreide und jeweils 2 Kühen unterstützt.
Süssenrode hatte einen nassen Wald, die Kolonisten waren die ungewohnt schweren Waldarbeiten nicht gewohnt und kränkelten und waren trotz aller Bemühungen und allen Fleißes in einem so erbärmlichen Zustand, dass der Oberförster Büttner 1774 nach Breslau schrieb:13
Die Hungersnot unter den Kolonisten ist nunmehr aufs höchste gestiegen und deren Jammern und klägliches Lamentieren mit Worten nicht zu beschreiben. Ich selbst muss bekennen, daß ungeachtet sich sämtliche das Roden mit besonderem Fleiß angelegen sein lassen, in Sonderheit bei dem harten Winter sie nicht im Stande sind, sich das Brot zu verdienen.
Oppelner Heimat-Kalender für Stadt und Land, 1934, Jg. 9 p77
Johann Jacob ehelichte 1773 in Tauenzinow (ehemals Ostenbrug) Anna Elisabeth Rohn (Rahn), sie war aus Gonterskirchen mit ihrem Vater Heinrich ausgewandert und findet sich ebenfalls in Schuch’s Bericht7.
Geburtseintrag Anna Elisabeth Rohn 1749 im Gonterskirchener Taufregister 1665-1767 (LDS)
Nummero 9. d. 21. May 1772. Ostenbrug. Diese Colonie stehet unter der aufsicht des Herrn oberforstmeister Büttner; soll bestehen aus 20 wohn Häuser, sind alle fertig vom Zimmermann und Mäuren biß zur folgender aufebauung der Scheuern. Diese Colonisten, die auf der Colonie wohnen sollen, sind nach folgender Liste:
No 1) Philippus Lenhing ; ein Bauer und Schmidt aus dem Fürstenthum Gedern. alt: 48; Fr.: 35; So.: 15; To.: 10; To.: 7; So.: 5; So.: 3 Jahr; 9 Köpf. R.: Evangelisch. No 2) Peter Weißbecker; ein Bauer und Zimmerman aus Käichen, Friebbergischen Hoheit. alt: 34; Fr.: 33; So.: 8; So.: 3 Jahr; 4 Köpf. R.: Catolisch. No 3) Thomas Görtler ; ein Bauer und Zimmerman aus Käichen, Friebbergischer hoheit. alt: 36; Fr.: 38; To.: 13; So.: 7; So.: 5; To.: l Jahr; 5 Köpf. R.: Revermirt. No 4) Joh. Georg Schmeißer ; ein Bauer aus dem Heilbrunnischen. alt: 48: To.: 22; To.: 18; To.: 15; So.: 11; S.: 8 Jahr; 6 Köpf. R.: Evangelisch. No 5) Andereas Marthin ; ein Bauer und Zimmerman auß dem Dorf Käichen, Frieb. hoheit. alt: 32; Fr.: 35; So.: 5 Jahr; 3 Köpf. R.: Catolisch. No 6) Georg Reinhart Dorß ; ein Bauer auß dem Württbergischen. alt: 28; Mut.: 55; Schw.: 20; Br.: 17; Br.: 15; Schw.: 8; Schw.: 6 Jahr; 7 Köpf. R.: Evangelisch. No 7) Joh. Conrath Fickel; ein Bauer aus Gonterskirchen aus dem Laubachischen. alt: 34; Schw.: 28; To.: l Jahr; 3 Köpf. R.: Evangelisch. No 8) Nickelaus Schneidmüller; auß Gedern ein Bauer. alt: 25; Fr.: 44; So.: 18; So.: 13 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch. No 9) Conrath Weifert; ein Bauer von Kaichen Burg Frieb. Hoheit, alt: 32; Fr.: 36; So.: 4 Jahr; 3 Köpf. R.: Catolisch. No 10) Joh. Adam Geiger; aus der Pfaltz ampt Bocksberg. alt: 36; Fr.: 34; To.: 14; So.: 8 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch. No 11) August Crach; ein Bauer, Burg Frieb. Hoheit. alt: 36; Fr.: 35; So.: 9; So.: 3 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch. No 12) Johannes Löß; ein Bauer und Schuhmacher aus Gedern. alt: 32; Fr.: 24 Jahr; 2 Köpf. R.: Evangelisch. No 13) Heinrich Rahn ; aus Gonderskirchen ein Bauer.alt: 62; To.: 23 Jahr; 2 Köpf. R.: Evangelisch. No 14) Johannes Landmann ; ein Bauer aus dem Dorf Gedern. alt: 45; Fr.: 33; So.: 20; So.: 18 Jahr; 4 Köpf. R.: Evangelisch. No 15) Jacob Hiltebrand ; ein Bauer und Steindecker auß Gedern. alt: 43; Fr.: 22 Jahr; 2 Köpf. R.: Evangelisch. No 16) Peter Hartman ; ein Bauer aus dem Dorf Freiesehe. alt: 26; Fr.: 36; So.: 3 Jahr; To.: 6 Wochen; 4 Köpf. R.: Evangelisch. No 17) Michel Bopp ; ein Bauer von Frohnhaußen, Grafschaft Biedingen. alt: 36; Fr.: 36 Jahr; 2 Köpf. R.: Reverwirth. No 18) Joh. Georg Mänttler ; ein Bauer aus dem Württbergischen. alt: 32; Fr.: 34; So.: 2; So.: l Jahr; 4Köpf. R.: Evangelisch. No 19) Joh. Nieckel aus Maul; auß dem Anspaischen. alt: 32; Fr.: 21; 2 Köpf. R.: Evangelisch. No 20) Johannes Dörr; ein Bauer von Erbstadt, Fürstl. Heßischer Hoheit. alt: 44; Fr.: 49; To.: 12; To.: 7; So.: 4 Jahr; 5 Köpf.
Diese Colonie bestehet auß 20 wirthe, 17 Frauens, 41 Kindern; Summa: 78 Seelen. Kranck sind auf dieser Colonie: 8 Personen. Diese Colonisten haben fleißig gearbeitet; sie haben mit der Hand gerothet zu 10 Schefel erdoffeln, 12 morgen zu hirsche, welches sath ihnen gereichet worden von Herrn oberfürster Büttner; hat auch ein jeder Colonist eine Kuh bekommen; haben auch ihr Land mehrentheils geräumt vom Holtz, daß sie können eine gute winder ernde hinauß stellen. Diese Colonie ist die beste, vor allem, indem der erdboden allhier sehr gut ist.
Monatsschrift für Sippenkunde und Sippenpflege, Heft 6 und 7, 1939, Berlin
Ortsplan Tauentzinow (Ostenbrug)8
Johann Georg Sparwasser, geboren am 21. Mai 1768 in Büdesheim heiratet am 23. Dezember 1793 in Tauenzinow, wie Ostenbrug später genannt wurde, Maria Magdalena Copp (um 1773 -1813), aus dieser Ehe sind vier Kinder bekannt, Johannes (1794-1876), Katharine (1796-1872), Johann Peter (1798-1805) und Gottlieb (1805-1809).
Geburt Johann Georg Sparwasser 1768 im Büdesheimer Taufregister 1757-1807 (Archion)
Eheschließung von Johann Georg Sparwasser mit Maria Magdalena Copp 1793 in Carlsruhe (Pokoj) (LDS)
aus: Oppelner Heimat-Kalender für Stadt und Land, 1934, Jg. 9, p73, (von mir colorisiert)
Warum nun wanderte Johann Georg aus?
Die Erklärung ist tatsächlich das Wetter, Schlesien erlebte seit der Ansiedlung mehrere Jahre mit Missernten, bereits 1784/1785,1789, 1795, 1800 und 1803/1804 waren Hungerjahre12, da es teilweise extrem nass war, sodass wieder alles Getreide faulte, die Krankheits- und Sterberate durch den Hunger war in den Kolonien erheblich. Entsprechend suchte man sein Heil in der Flucht nach Süden, in der Hoffnung, hier nicht nur die versprochenen Siedlungsbedingungen zu finden, von denen die Werber für Russlands Kolonien sprachen, sondern vor allem endlich bessere Witterungsbedingungen, um keinen Hunger mehr zu leiden.
Geburtseintrag Johannes Sparwasser 5. März 1794 in Tauenzinow (Okoly), KB Carlsruhe (Pokoj) (LDS) – Vermerk bei Johannes und Vater Johann Georg „nach Russland“
So zogen man erneut in die Fremde, diesmal auf einem Weg von etwa 1.960 km, die Reise dauerte mindestens 5 Monate, eher mehr, da man mit dem Wagen, meist von Ochsen gezogen, selten Pferdefuhrwerke, mit Zwischenlagern und je nach Wetter nicht so schnell wie heute unterwegs war. Es gab keine gut ausgebauten Straßen, sondern unbefestigte Wege. Die 900 km aus Hessen nach Schlesien hatten bereits gute 2 Monate gedauert.
Wanderweg von Tauenzinow über Grodno Richtung Molotschna (google maps9)
Am 27. Februar 1804 passieren sechs Kolonistenfamilien, fünf hatten sich unterwegs angeschlossen, unter der Führung von Johann Georg Sparwasser den Kontrollpunkt Grodno (Hrodna). Die Sparwasser bekamen für den Zeitraum vom 26. Februar bis 10. März 1804, also 13 Tage, 9 Silberrubel und 10 Kopeken Verpflegungsgeld, und für die nächsten 40 Tage 28 Silberrubel, dazu in Banknoten und Kupfermünzen 50 Rubel Futtergeld für Pferde. Außer ihnen war nur noch eine Familie mit Pferden unterwegs.10
Nach kurzem Lager zogen sie innerhalb eines Monats nach Schitomir und erhielten auch dort ein Verpflegungsgeld von 21 Rubel zur Weiterreise, wie wir der erhalten gebliebenen Akte entnehmen können:14
Etwa Mitte Mai 1804 trafen sie in Jekaterinoslaw (Dnipro) ein, wo sie zusammen mit 209 anderen Familien für ein Jahr im Quartier lagen, ehe sie ihre Kolonistenstellen übernehmen konnten.
1805 finden wir im Zensus von Wasserau den Vermerk: Sparwasser, Georg 40, seine Frau Magdalena 37, seine Kinder Johann 16 und Catharina 14. Wirtschaft: 12 Rinder, 1 Pflug, 1 Egge, 1 Wagen.11
Johann Georg wird noch einmal heiraten, eine Witwe, seine Frau hat die Strapazen der Auswanderung ebenso wenig verkraftet, wie seine jüngsten Söhne. Die beiden ältesten Kinder bekommen noch ein kleines Geschwisterchen, ehe sie eigene Familien gründen.
Die zahlreichen Nachkommen finden sich heute nicht nur wieder in der alten Heimat Deutschland, sondern auch in den USA und Kanada.
Anmerkungen:
a1 rheinischer Morgen = 3176 m²
b1 Reichstaler = 1 ½ Gulden = 22 ½ Batzen = 30 Groschen = 45 Albus = 90 Kreuzer = 360 Pfennige = 384 Heller
c1 Reichsthaler in Preußen = 90 neuen Groschen zu je 18 Pfennig
dReverwirth – Ansiedler der ein Revers (Dokument) unterschreiben musste
Sachakte HStAD, R 21 B, NACHWEIS Sparwasser, Johann Jakob, Herkunft: Büdesheim / Ziel: Schlesien. – Alter/geb.: 25 Jahre. Bemerkungen: Mit Frau. Zahlt 5 Gulden, 15 Albus für Loslösung von Leibeigenschaft
verz227144 Signatur: HStAD, R 21 B, NACHWEIS Beschreibungsmodell: Sachakte Titel: Sparwasser, Johann Jakob, Herkunft: Büdesheim / Ziel:
2Hongersnood in Duitsland, 1637, Caspar Luyken (print maker), Johann David Zunnern (publisher) Kupferstich, Rijks Museum, Amsterdam, Objektnr. RP-P-1896-A-19368-1952, public domain
3Unglücks-Chronik oder die denkwürdigsten elementaren Verheerungen und Zerstörungen in Natur- und Kulturleben aller Zeiten. Wenger, J.:Verlag: Bern Verlag von Rudolf Jenni’s Buchhandlung (H. Köhler). (Ca. 1889)., 1889 p.49
4Chronik Stadt Ellrich von K. Heine, Rektor in Ellrich Ellrich. verlag der G Krause´schen Buchhandlung 1899, p20
5Abbildung Hungergedenkmünze aus: Die Auswirkungen der Hungerjahre 1770-1772 auf die letzte Großepidemie der Mutterkornseuche und die damals und in der Folgezeit veranlaßten Gegenmaßnahmen Von Karl Böning, München [Nachrichtenbl. Deutsch. Pilanzenschutzd. (Braunschweig) 24. 1972, 122-127] p.123
6Schlesienwanderer aus dem Freigericht Kaichen Fritz H. Herrmann Sonderdruck aus Band 9 der „Wetterauer Geschichtsblätter“ Friedberg L H., 1960 inkl. Karte Süssenrode
7Schuch’s Siedlerlisten von 1772 Friderizianische Kolonistenverzeichnisse aus Schlesien von Staatsarchivrat Dr. Karl G. Bruchmann 1939
10Litauer Grodnoer Schatzkammer Oktober 1803 bis 16. März 1809. RGIA Akte 347 Nr. 38 Akte freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Taurien e.V.
11Stumpp K. Die Auswanderung aus Deutschland nach Rußland in den Jahren 1763 bis 1862. – Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland. 8. Auflage, 2004
12Joachim Poppe: Podewils in Oberschlesien: Zur Geschichte des Dorfes im Kreis Oppeln. 250 Jahre Friderizianische Kolonisation Books on Demand 2022 9232
13Oppelner Heimat-Kalender für Stadt und Land, 1934, Jg. 9, p77 Hrsg. Stumpe, Friedrich. , Obmann der „Vereinigung der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft im Kreise Oppeln“ Verlag: Heimatkreisstelle Oppeln
14Listen des Gouverneurs von Schitomir. RGIA Akte 215 Nr. 1. Akte freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Taurien e.V.
Geschichtliche Ortsnachrichten von Brieg und seinen Umgebungen herausgegeben von Karl Friedrich Schönwälder, Professor am Königl. Gymnasium Erster Theil Einleitung, Vorstädte, Umgebung In Commission bei I. U. Kern in Breslau, Druck von G. Falck in Brieg 1845/1846
Dominik Collet: Die doppelte Katastrophe Klima und Kultur in der europäischen Hungerkrise 1770–1772 in: Umwelt und Gesellschaft Bd. 18 Herausgegeben von Christof Mauch und Helmuth Trischler 2018 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525355923 — ISBN E-Book: 9783647355924
Thore Lassen Hungerkrisen Genese und Bewältigung von Hunger in ausgewählten Territorien Nordwestdeutschlands 1690-1750 2016 Universitätsverlag Göttingen
Wikipedia
genealogische Recherche, Bildbearbeitung, inklusive Karten, und Text: Jutta Rzadkowski
„Mamma, Mamma, stell dir mol vor, die Ur-Ur-Omma war ene Baronin, das hot die Babbe eäben verzählt!“ „Ach, Kindche, was de Eoldere fer Geschischte verzehle. Warum sollte en Hoaggeboorne en Schneider heirate un mit m ihm noch Molodschna ziehe?“
So, oder ählich klang es wohl im Hause Littich (Littig) und man schüttelte ungläubig den Kopf. Der Pfarrer selbst hatte doch den Sterbeeintrag der Urgroßmutter ins Kirchenbuch Molotschna eingetragen, da stand nichts von adlig, Baronesse oder „von“… es war einfach nur Henriette Littich, geborene Gottesheim aus der Stadt Straßburg, die 1844 an Auszehrung starb.1
So hielt sich das „Gerücht“ der adligen Herkunft in der Familie, welches sich im Zuge meiner Nachforschungen als echt bestätigt.
Beginnen wir ganz am Anfang, seit etwa 1300 findet sich die Familie Gottesheim im Elsaß, man vermutete eine Einwanderung aus Tirol oder der Schweiz. Kaiser Maximilian bestätigt im Jahre 1513 den Brüdern Friedrich und Philipp von Gottesheim ihren Adelstitel.
„Innerhalb breiter g. Bordur, in B. ein mit 3 g Sternen hintereinander belegter r. Schrägrechtsbalken. Auf dem Helme ein b. Schwanenrumpf mit dreizackigem r., mit g. Stern je bestetzten Rückenkamm. Decken b. g.“2
Aus der Geschichte wird berichtet, dass die Edlen von Gottesheim zunächst in Hagenau lebten, Philipp II. von Gottesheim war Ende des 16. Jahrhunderts einer der wichtigsten Bürger Hagenaus.
Im Jahr 1560 wurde er zum Schöffen gewählt, 1580 Salzbeseher, dann Verordneter zu St. Georgen, Armbrustversorger, Winterherr, und Pfleger zu Marienthal, in der Elendherberge, bei den Wilhelmitern, den Reuern und den Barfüssern. Michel, Philipps Sohn, war Rendherr in den Jahren 1610 und 1611.
In Strasbourg lebte der Neffe von Philipp II., Matthias II., ihm gehörte das Lehen Geudertheim, er war Mitglied des Rates seit 1581, so war es einfach, um 1625 nach Strasbourg überzusiedeln aus Gründen der Religion, man war nun protestantischen Glaubens.
Mathias von Gottesheim Dreüzehener der Zunfft, gestiftet 161114
Wie lange die Edlen von Gottesheim bereits Lehnsträger waren, zeigen alte Urkunden:
1586, ist ertheilt worden : “ … güter und zinse in Geudertheim und zehenten in etlichen Dörfern, wie 1471, und an der andern Seiten an den weg zum bach gelegen ; it. das halb dorf Geudertheim, den blutbann allda mit zwing und bann, und aller rechten und herrlichkeiten, zinsen, nutzen, gülten und zugehörungen …“3
An. 1680, den 29. Mai, erhalten die Edlen von Gottesheim nochmals von Kaiser Leopold, und am 27. jän.1681, von dem Könige Frankreichs ihr Lehen : „Wir Leopold, röm.kaiser, … bekennen und tun kunt… dass uns des richs lieber getreuer Johan Friedrich von Gottesheim , für sich als der älteste und Lehenträger, und für seine Brüder Eliam und Philipp Friedrich von G., unterthänigst angerufen und gebeten, dass wir ihn auf absterben ires vaters Johann Friedrich, gewesener Lehnträger, die hier nachgeschrieben stück und gilt mit namen : … wie 1586 … so von uns jüngst hiebevor unter dato 12. mai 1671 irem vater verliehen worden… wiederumb zu Lehen verleihen , … angesehen demüthige bitte und nützliche dienste… haben ihn dieselbe stück… gnadiglich zu Lehen gereichet. Prag, 29. mai 1680“3
Den 22. jän. 1726, zu Geudertheim, attestiren die Edlen von G., Phil . Friedrich , Joh . Philipp, und Joh . Friedrich, dass sie, zuvor von k. k. Majestät, jetzt von kön. Maj. in Frankreich, zu lehen tragen: „Das haus mit seiner zugehör in der burg zu hagenau , an der einen seit neben denen von Weitersheim, und uf der andern an dem weg zum bach gelegen. Nota: Peter Barbier als einwohner und besitzer dieses häusleins gibt järlich an lehnung zins 10 gl.; item Felix Bechtold gibt järlich von dem garten plätzlein zu bemeltem haus gehörig …. 1 gl . 5 f.„3
Wie aus diesen Urkunden ersichtlich, lebten die von Gottesheim nicht nur in und um Geudertheim, sie waren auch in hohen militärischen Rängen. Der urkundlich 1726 genannte Philipp Friedrich lebte in seinem Schloss in Geudertsheim, später Château du général baron de Schauenburg.4
Verehelicht seit dem 7. Oktober 1699 in Geudertsheim mit Marie Elisabeth Krusenmarch sind mir namentlich bekannt aus den Kirchenbüchern die Kinder Jeoan Philipp Görg (1703-1760), Friedrich Nicolay Emanuel (*1709), Catharina Louisa und Philipp Jacob (um 1714-vor 1779). Letzterer, verrehelicht mit Maria Magdalena Louise Kuder, wurde Vater von Friedrich Heinrich Freiherr von Gottesheim (1749-1808).
Jeoan Philipp Görg (1703-1760), verehelicht am 13. März 1637 in Strasbourg mit der Tochter des dortigen Juweliers Johann Georg Finx, Catharina Dorothea, wurde Vater von Philipp Georg (1738), Friederica Barbara (1739), Friedrich Carl Ludwig (1741), Ernst Friedrich Emmanuel (1742), Franciscus Ludwig (1744), Ludwig Samuel (1746) und Johann Gottlieb (1753). Am 17. Oktober 1760 ist er in der Schlacht bei Kloster Kamp im Siebenjährigen Krieg gefallen.5
Ludwig Samuel Baron von Gottesheim, hier im Gemälde mit weiblichen Familienmitgliedern zu sehen, wurde am 27. August 1746 in Geudertheim geboren.
Geburtseintrag des Barons von 17466
Wie sehr sich sein Leben wandeln würde, war ihm am 2. April 1782 sicher nicht bewußt, als er Catharina, Tochter des Georg Gruber aus Eckwersheim, heiratete. Eine Ehe, die schnell erfolgen musste, da Wilhelmina Henriette bereits am 2. Mai 1782 zur Welt kam, ihre Schwester Magdalena Catharina Louisa, wurde in den Wirren der Französischen Revolution am 13.11.1790 geboren und starb am 5. November 1851 in Wintzenheim.
Geburtseintrag von Wilhelmina Henrietta 17826.1
Der Vulkanausbruch vom 8. Juni 1783 auf Island verursachte erhebliche Veränderungen der klimatischen Bedingungen in Europa, infolge der Kleinen Eiszeit im Jahr 1788 erlitten die Bauern, also etwa vier Fünftel der Bevölkerung Frankreichs, eine massive Missernte, dann folgte ein äußerst harter Winter. Während überall Not herrschte, waren die Speicher vieler weltlichen und geistlichen Grundherren, denen sie Abgaben zu entrichten hatten, wohl gefüllt. Es kam zu Protesten und Forderungen nach Verkauf von Brot zu einem „gerechten Preis“, weil die Getreidepreise stark gestiegen waren. Auch in den Städten stiegen die Preises um das Dreifache des Üblichen. Im Frühjahr 1789 zogen organisierte Bettlerbanden von Hof zu Hof, um bei Tag und bei Nacht, oft unter heftigen Drohungen, Nahrungsmittel zu erzwingen. Zeitgleich brodelte es zwischen den Katholiken und Protestanten um die Rechte der Kirchen, der Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 war daher nur der Beginn dessen, was Frankreich ein für allemal verändern sollte. Die Angst vor einem aristokratischen Komplott bei den anberaumten Wahlen zu den Generalständen führte zur „Großen Furcht“ (Grande Peur), ab Mitte Juli bis Anfang August 1789 gab es massiven bäuerlichen Angriffe auf Schlösser und Klöster, die vom 17./18. Juli an geplündert und in Brand gesteckt wurden mit dem Ziel, die Archive mit den Urkunden über die Herrenrechte zu vernichten und den Verzicht der Grundherren auf ihre feudalen Rechte zu erzwingen.7
Unter dem Eindruck dieses Geschehens und nach Angriffen der „Schreckenszeit“ 1793 flüchtete der Baron von Gottesheim, „mit nicht mehr als meinen armen Kindern entblößt von allen Mitteln“ zusammen mit der Familie seiner Schwester, eine verehelichte de Mauroy nach Ludwigswinkel.11 Ebenso floh die Ehefrau seines Bruders Ernst Friedrich Emanuel, Marie Anna, geborene Schillinger, mit Sohn Ferdinand Friedrich Ludwig Emanuel, der noch am 20. August 1793 in Geudertsheim geboren wurde.
Ludwigswinkel ist ein kleiner Ort, entstanden 1783 rund um den Reißlerhof, als der Landgraf Ludwig IX. von Hessen-Darmstadt einen Erholungsort für seine Soldaten gründete. Dieser Hof wurde von den Erben des Hanau-Lichtenbergischen Zollpächter Hans Georg Schlick aus Fischbach nach seinem Tod 1745 auf dem von ihm 1722 erworbenen Grund erbaut und diente als zunächst als Forsthaus.
Der örtliche Amtmann Namens Hopffenblatt wollte von dem Hof aus jedoch die Ludwigswinkler Siedlungsgeschäfte leiten und so wurde ein Teil des Hofhauses entsprechend umgebaut und ausgestattet. Als Hofmann berief man Peter Röckel von der Martinshöhe, leider starb dieser im August 1784, es folgten zwei weitere Pächter, Georg Süß aus Fröschweiler und der Wiedertäufer Daniel Steiner.9
Ebenso errichtete man in den Jahren 1785/86 an der Stelle der örtlichen Mahlmühle einen Blechhammer.
Wetterunbilden der kleinen Eiszeit trafen aber auch hier die Pächter, im Jahre 1790 vernichteten Hagelunwetter und mehrere Überschwemmungen alle Feldfrüchte, eine Viehseuche raffte einen großen Teil der Herde dahin, daher konnten die Pächter die bereits ermäßigten Abgaben nicht mehr entrichten und mussten den Hof verlassen.
Am 6. April 1790 verstarb Landgraf Ludwig, so wurden die Pachtverträge zwei Jahre später neu geordnet, das Gut für eine neunjährige Lehne ausgeschrieben.
Baron Ludwig Samuel von Gottesheim und sein Schwager, der Herr von Mauroy, bewarben sich um das Lehen9 , mussten jedoch schnell einsehen, dass das für zwei Familien zu klein war, daher übernahm der Baron das Anwesen 1793 allein und verlor so den Rest seines Vermögens.
Der Witwer ehelichte Maria Eva Nagel und zeugte mit ihr die mir bekannten Kinder Maria Anna Sophie (1798-1817), Jacob Christian Friedrich Ludwig (1802-1872) und Philipp Georg Heinrich Ludwig (1814).
Die Französischen Revolution erreichte bereits 1792 Ludwigswinkel, alle linksrheinischen Gebiete, auch das Amt Lemberg samt Ludwigswinkel fielen im Jahre 1794 bis 1804 an Frankreich und wurden nach 1804 Teil des Napoleonischen Kaiserreichs.
Der Baron führte das Hofgut „wie ein Taglöhner“ und war gezwungen, in der Hoffnung auf bessere Zeiten, nach und nach 3000 fl. Schulden anzuhäufen. In Folge der politischen Entwicklungen wandte er sich 1804 nach Baden, und bat in einem Brief vom 23. Oktober 1804 um Unterstützung, da er ohne jedes Vermögen, welches er 1793 verlor, erhebliche Schulden machen musste und nun von seinen Gläubigern angegriffen wurde.11
Tochter Wilhelmina Henriette Baronesse von Gottesheim heiratet vor 1803 den Schneidermeister Philipp Heinrich Lüttig (1773-1830), Sohn des Philipp Heinrich Ludig (1736-1785), einem Dreher, und der Marie Eva Andreß (um *1738) aus Vinningen. Ihre Herkunft spielte nun keine Rolle mehr, die Familie war arm und musste wie Jedermann um ihr Auskommen kämpfen, Standesdünkel waren fehl am Platz, das Schneiderhandwerk sorgte für eine Mahlzeit auf dem Tisch.
Geburtseintrag von Philipp Heinrich Lüttig 177312
Wo die Eheschließung statt fand, entzieht sich noch meiner Kenntnis, die Familie wanderte stark, Peter kam 1803 in Weilerbach zur Welt, Mariana 1805 in Strasbourg, Sophia Margaretha 1807 in Langmühle, Katharina Magdalena 1809 in Pirmasens. Ob es am Beruf des Vaters lag oder an den Verhältnissen der damaligen Zeit, wir wissen es nicht.
Fakt ist, 1811 wird die Familie in Alt Montal, Taurien in der Revisionsliste erfasst:
Nr. 46 Littig, Phillip 37, aus Lemberg/Pirmasens-Pf, seine Frau Hendrietta 26, seine Töchter Mariana 8, Magaretha 5 und Catharina 2. Wirtschaft: 6 Pferde, 10 Rinder, 1 Pflug, 1 Egge, 1 Wage und 1 Spinnrad.
Als die die französischen Revolutionsgarden 1815 den Wasgau einnahmen, verstaatlichten sie die Hofsiedlung. Die Familie von Gottesheim war wieder auf der Flucht, wo der Baron starb, ist mir nicht bekannt. Sein oben erwähnter Cousin Friedrich Heinrich (1749-1808) starb in Prag. Die Nachkommen unternahmen ab 1910 noch einmal den Versuch, den Titel eines Freiherren zu führen, was ihnen jedoch verwehrt wurde.13
Nachkommen der Auswanderer in die Molotschna leben heute in Deutschland, Russland und Canada.
„Do hot die Grommer awer rechd gehatt!“
Vorfahren von Wilhelmina Henriette Baronesse von Gottesheim (1782-1844), Spitzenahn Clauss Edler von Gottesberg (um 1300)
1 Kirchenbuch Molotschna 1844
2 Gritzner, Maximilian [Bearb.]; Siebmacher, Johann [Begr.] J. Siebmacher’s großes und allgemeines Wappenbuch: in einer neuen, vollständig geordneten u. reich verm. Aufl. mit heraldischen und historisch-genealogischen Erläuterungen (Band 2,10): Der Adel des Elsass — Nürnberg, 1871, p 10., Tafel 12
3 Das Eigenthum in Hagenau im Elsass, von Franz Batt, Zweiter Theil: Die Burglehen und, beiläufig, das etichonische Besitzthum in der Umgegend. Colmar, Buchdruckerei und Lithographie von M. Hoffmann 1881, p. 579ff
4 Le château du général baron de Schauenburg à Geudertheim. M. Bertola 1799, Museum der Stadt Straßburg, Kupferstichkabinett, public domain
Im Vordergrund der Baron (mit dem Gesicht zum Betrachter stehend), die Frauen sind Mitglieder seiner Familie, der Zeichner Bertola (sitzend) auf dem Stuhl.
5 Geschichte der Fremd-Truppen im Dienste Frankreichs, von ihrer Entstehung bis auf unsere Tage, sowie aller jener Regimenter, welche in den eroberten Ländern unter der ersten Republik und dem Kaiserreiche ausgehoben wurden: (in zwei Bänden, mit Kupfern). Von Eugène Fieffé. Deutsch von F. Symon de Carneville, München Deschler 1857, Bd. 1, p.460
6 Archives d´ Alsace, Geudertheim, Registre de baptêmes 1736-1777 – 3 E 155/3
Um die Bestrebungen der Kolonien in Übersee zu unterdrücken, mietete die britische Krone reguläre Truppen, der größte Anteil von etwa 12.000 Mann kam aus der Landgrafschaft Hessen-Kassel, unter dem Regenten Friedrich II. von Hessen-Kassel, weshalb die Amerikaner bei den kämpfenden deutschen Truppen allgemein von den „Hessen“ sprach. Hessen-Kassel schloss einen Subsidienvertrag mit der britischen Krone und verpflichtete sich gegen Entgelt zur Entsendung von fünfzehn Regimentern, vier Grenadier-Bataillonen, zwei Jäger- (bestehend aus gutausgebildeten Gewehrschützen und Förstern) und drei Artillerie-Kompanien.1 Hessen-Kassel stellte somit das weitaus größte Kontingent an deutschen Soldaten für die britische Krone.
Zu diesen Truppenverbänden gehörte das Regiment von Bose, (bis 1778 von Generalmajor von Trümbach), 1724 bis 1786 stand das Regiment in Diensten des Grafen von Hanau, ab 1778 befehligt von Generalmajor C. E. J. von Bose.
Die angeworbenen Soldaten waren in der Regel freiwillig in den Kriegsdienst eingetreten, da der Verdienst lockte, viele „Ausländer“ wurden jedoch zwangsrekrutiert, was jeder Mann ausserhalb der Einwohnerschaft der Landgrafschaft Hessen-Kassel war. So auch Johann Gottfried Seume (1763-1810), der schilderte: „Ich wurde nach Ziegenhayn verhaftet, wo ich viele Unglücksgefährten aus Land allen Teilen der Welt fand. Dort warteten wir darauf, im Frühjahr nach Amerika geschickt zu werden, nachdem Faucitt uns hätte inspizieren sollen. Ich habe mich meinem Schicksal hingegeben und versuchte, das Beste daraus zu machen, so schlimm es auch sein mochte. Wir blieben lange in Ziegenhayn (Ziegenhayn war ein ungesunder) Ort, an dem die meisten Männer an Skorbut oder Juckreiz erkrankten.“2
Der Büchsenmacher Johannes Konrad Hansen hingegen war bereits 1774 in Diensten, wie wir dem Hochfürstlichen Hessen-Casselischen Staats- und Adreß-Calender3 entnehmen können.
Für ihn war es ein Teil seines Millitärdienstes, keine Zwangsrekrutrierung. Er kümmerte sich u.a. um die Instandhaltung des verwendeten Musketenmodells Potzdam M17409
Die Hoffnung, den Krieg zu überstehen und mit finanziellem Gewinn der Familie danach ein besseres Leben bieten zu können, hatten viele der Soldaten. Entsprechen blieb ein Soldatenlied erhalten.
Juchheisa nach Amerika, Dir Deutschland gute Nacht! Ihr Hessen, präsentiert’s Gewehr, Der Landgraf kommt zur Wacht.
Ade, Herr Landgraf Friederich, Du zahlst uns Schnaps und Bier! Schießt Arme man und Bein‘ uns ab So zahlt sie England Dir.
Ihr lausigen Rebellen ihr, Gebt vor uns Hessen Acht! Juchheisa nach Amerika, Dir Deutschland gute Nacht!
Ein schön und wahrhaftig Soldatenlied, Anno 1775 am 19. Oktober zu Kassel auf der Parade von den abziehenden Militärs mit admirabler bonne humeur vor Ihrer Durchlaucht gesungen ward.
Eine zeitgenössische Darstellung der Uniformen zeigt auch das Bajonett, weitere Fotos zur Uniform und Ausrüstung findet man hier
Abbildung und Beschreibung des Fürstlich Hessen-Casselischen Militair-Staates unter der Regierung Landgraf Friedrich des zweiten, bis zum Jahre 1786, S. 328
Am 13. Februar 1776 verließ das Regiment Bose Hofgeismar und überquerte von Bremerlehe aus den Atlantik nach Staten Island (23. März – 15. August).
Verschiffung der Soldaten nach Amerika (Kupferstich eines unbekannten Künstlers), nachträglich von mir colorisiert
Die Überfahrt war hart, fast vier Monaten an Bord eines englischen Truppentransporters. Seume berichtete über seinen Transport: „… in den englischen Transportschiffen wurden wir gedrückt, geschichtet und gepökelt wie die Heringe … Die Lager unter Deck waren übereinander geschichtet, so dass man nicht einmal aufrecht in ihnen zu sitzen vermochte. Je sechs Mann teilten sich eines. Es war so eng, dass sie sich auch nicht auf den Rücken drehen konnten. Alle mussten sich zugleich umwenden, wenn der seitliche Mann „umdrehen“ rief. Die Soldaten erhielten, wenn überhaupt, nur gesalzenes Fleisch.“2
Trotz aller Unbilligkeiten waren auch Familienangehörige der Soldaten mit dabei, so wurde über Ludwig Clausing, Gemeiner im Regiment von Loßberg, bekannt, das er, von seiner Ehefrau begleitet, laut einer Eintragung des Februars 1777, zusammen mit ihr in Gefangenschaft geriet.8
Wir müssen annehmen, auch unser Büchsenmacher Johann Konrad Hansen hatte seine Frau Elisabeth (um 1761-1814) dabei, denn errechnet im März 1783 wurde seine Tochter in New York geboren.
Elisabeth Lupp, geb. Hansen starb am 2. September 1841 in Neu Nassau, Molotschna, im Alter von 58 Jahren und 6 Monaten an der Ruhr, geboren in New York, Nordamerika
Mit der Ankunft in Amerika nahm das Regiment Bose an den Gefechten von Pell’s Point (Schlacht von Pelham, 18. Oktober 1776), Fort Clinton (6. Oktober 1777), Schlacht von Stono Ferry Rall (20. Juni 1779) sowie an der Belagerung von Charleston (29. März – 12. Mai 1780) teil.
Deutscher Holzschnitt der Belagerung von Charleston, South Carolina im Mai 1780. Die Darstellung von Charleston ist imaginär. Da Donnhaeuser eine Ansicht von Charleston fehlte, modifizierte er eine bereits vorhandene Ansicht einer unbekannten deutschen Stadt, um die Belagerung zu zeigen.5
Nachricht von der Belagerung und Einnahme der Stadt und Hafens Charlestown in America6
Es kämpfte unter dem Kommando des in Irland geborenen Majors von O’Reilly in Yorktown (28. September – 17. Oktober 1781) bis zur Kapitulation Cornwallis‘ am 19. Oktober 1781.
Die Kapitulation von Lord Cornwallis, 19. Oktober 1781 bei Yorktown7
Ab Januar 1783 lagerten die hessischen Truppen in New York, am 15. August 1783 schiffte sich das Regiment in New York ein und erreichte am 13. November desselben Jahres Hofgeismar.
Der Weg von Hofgeismar und zurück beträgt über 14650 km, da man hier nur Luftlinie sehen kann.
Rund 6.000 der „Hessen“ kehrten nicht zurück in die Heimat, sondern nahmen das Angebot an, als Siedler zu bleiben, davon gingen ca. 2.500 nach Kanada.
Einfache Soldaten konnten kaum lesen und schreiben. Wenn überhaupt Nachrichten die Heimat erreichten, so blieb sie, im Gegensatz zur offiziellen Offizierskorrespondenz, kaum erhalten oder erreichte nie die Archive. Um so interessanter ist das, was der Nachwelt erhalten blieb:
Die Erlebnisse eines hessischen Soldaten, Namens Valentin Asteroth, im nordamerikanischen Freiheitskriege, auf Grund des von demselben geführten Tagebuchs.
Asteroth, zu Treysa geboren, war 1776 in dem meist aus Schwälmern bestehenden hessischen Regimente v. Huym als Soldat eingestellt worden, als im Mai desselben Jahres der Befehl zum Ausmarsch erging. Nach Musterung auf dem Bowlingreen bei Kassel zog das Regiment durch das hannoversche und bremensische Gebiet nach Rizebüttel und langte nach einer mehr als 100tägigen, durch Stürme und ausbrechende Krankheiten gefährdeten Seefahrt am 7. October an der nordamerikanischen Küste an. Im November bewährte sich schon die hessische Tapferkeit in glänzender Weise, indem das hoch auf einer Klippe gelegene Fort Washington unter Führung des Generals Knipphausen durch einen in der Kriegsgeschichte ewig denkwürdigen Sturm genommen wurde. Dann wurde das Regiment Huym mit 8 englischen Regimentern nach der Küste von Rhode-Island übergesezt und blieb auf dieser Insel, welche die Amerikaner eiligst räumten, als Besagung, sich an den stattlichen Häusern und dem herrlichen Viehstand, sowie den eigenthümlichen Trachten der amerikanischen Bauern erfreuend, aber auch in manche Vorpostengefechte mit amerikanischen Truppen verwickelt. Im Juni 1779 schiffte sich das Regiment nach New-York ein und wurde von da aus wieder nach gefahrvoller Fahrt nach Süd-Carolina befördert, wo es am 31. Januar 1780 landete und nach einem Sturme auf das Fort Maltry die Stadt Charlestown besezte und in dieser längere Zeit als Garnison liegen mußte, welche Zeit Asteroth vorzugsweise zum Unterrichte der dortigen Kinder benußte. Erst im December 1782 wurde Charles town geräumt, worauf die Rückkehr nach New-York und im folgenden Jahre nach der Heimath erfolgte, in der die Hessen im November 1783 eintrafen. Asteroth hat dann als einfacher Bürger noch bis zum 16. October 1831 in seiner Vaterstadt Treysa gelebt.
Mitteilungen an die Mitglieder des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde, Jg. 1876 1. Viertelsjahssheft, p.2f
Nach der Rückkehr bezieht das Regiment am 29. Mai 1784 die Kaserne in Marburg, Konrad, noch immer beim Militär, ist 1805 im Kurfürstlichen Regiment Landgraf Carl, welches 1806 beurlaubt wird.
Tochter Elisabeth heiratet am 15. April 1805 Friedrich Karl Lupp (1778-1833), Sohn des örtlichen privilegierten Stadt- und Kanzleibuchbinders Daniel Ludwig Lupp.
Im Jahre 1806, mit der Auflösung des Regimentes, wandert die Familie in die Molotschna aus.
Auswanderungsort, über 1900 km entfernt
Mit dabei die Kinder Rosina und Friedrich Gottlieb, Elisabeth mit Schwiegersohn Friedrich Karl und Sohn Karl. Die Famile erfährt danach nichts mehr in Deutschland über den Verbleib und veranlaßt eine Suchanzeige im Jahre 1818.
Suchanzeige von 1818 der Geschwister Hansen zum Verbleib ihres Bruders Konrad10
Im ferner russischen Reich erfährt man davon nichts. Vermutlich wurde er dann für tot erklärt und man verteilte, was ihm hätte zugestanden, denn Akten der Jahre 1830-1834 melden eine Beschwerde der Kinder:
„Forderungen der Geschwister Hansen zu Molotchna in Neu-Russland an den Buchhändler J. F. Lupp in Hersfeld auf Auszahlung einer dem Büchsenmacher [C.] Hansen von der kurhessischen Kriegsbehörde für den Verlust von Gerätschaften während der Feldzüge 1793-1794 bewilligten, von ihm vereinnahmten Entschädigung“
Aus dieser Forderung müssen wir den Zeitpunkt seines Todes auf vor 1830 datieren, seine Frau war schon 1814 verstorben. Der Buchhändler Lupp, Neffe seines Schwiegersohnes Karl Friedrich Lupp, war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits Mittelpunkt eines anderen Skandals, als Beschuldigter eines „Meuchelmordes“.
Wer nun fragt – wie ging es weiter …. diese Geschichte war der Beginn einer langen Reise, Konrad´s Nachkommen schlossen den Kreis und leben heute als Spätaussiedler wieder in Deutschland.
1 Max von Eelking: Die deutschen Hülfstruppen im nordamerikanischen Befreiungskriege, 1776 bis 1783 Bd.1 und 2, E.F. Kius´sche Buchdruckerei in Hannover 1863
2 Johann Gottfried Seume, Schreiben aus Amerika nach Deutschland in: Neue Literatur und Völkerkunde, zweiter Band Julis bis Dezember 1789, Hrsg. J.W von Archenholz, p 362-381
3 Hochfürstlicher Hessen-Casselischen Staats- und Adreß-Calender 1774 p20
5 Deutscher Holzschnitt der Belagerung von Charleston, South Carolina im Mai 1780. Die Darstellung von Charleston ist imaginär. Da Donnhaeuser eine Ansicht von Charleston fehlte, modifizierte er eine bereits vorhandene Ansicht einer unbekannten deutschen Stadt, um die Belagerung zu zeigen. 1780 (CC BY-NC-SA)
10 Allgemeiner Anzeiger der Deutschen, Der öffentlichen Unterhaltung über gemeinnützige Gegenstände aller Art gewidmet. Zugelich Allgemeines Intelligenz-Blatt zum Behuf der Justiz, der Polizey und der bürgerlichen gewerbe. Fünzundfünzigster Band. Jahrgang 1818 Erster Band. Gotha. p671
Manchmal ist es ein Zufall, ein Name, ein Ort, der Dinge zusammen fügt – Ahnenforschung ist oft wie ein Puzzlespiel, hat man ein Teil, fügt es andere plötzlich zu einem Bild zusammen. Was eben noch wirr aussah, ist nun ein Ganzes…
Eines dieser Puzzleteilchen ist auf dem Friedhof der Kriegsgefangenen des ersten Weltkrieges in Frankfurt/a.O. zu finden.
Hier liest man „Seel, Friedrich 1880-04.01.1917„1, eine nüchterne Zeile, die eines der vielen menschlichen Kriegsschicksale beinhaltet.
Die Initiativgruppe “Kriegsgefangenenfriedhof Erster Weltkrieg in Frankfurt (Oder)”2 hat einen Auszug aus den Sterbebüchern des Standesamtes Frankfurt (Oder) (1914 bis 1921) veröffentlicht, hier kann man auf Seite 72 lesen:
Seel Friedrich Russ. Kriegsgefangener Soldat seit Dezember 1914 Berufsschullehrer * 06. 09. 1878 evangelisch Wh. u. * Eugenfeld, Kreis Melitopol, Gebiet Saparoschje oo Berta Seel, geborene Springer Vater: Friedrich Wilhelmowitsch Seel Mutter: Anna Seel, geb. Strohm beide in Eugenfeld/Ukraine + 04. 01. 1917 Wo? Eine Recherche erbrachte noch kein Resultat. Im Sterbebuch des Standesamtes Frankfurt (Oder) bzw. in jenen der heutigen Ortsteile Frankfurts ist Friedrich Seel nicht verzeichnet. Es ist zu vermuten, dass er aufgrund seiner Deutschkenntnisse und Bildung in einem anderen Ort tätig war. Die Todesumstände sind nicht ganz geklärt. War es Mord oder Selbstmord durch Strangulation? Über die Beerdigung von Friedrich Seel auf dem Kriegsgefangenen-Friedhof Frankfurt gibt einen dokumentarischen Hinweis: Ein zeitgenössischen Foto von dem Grab mit Inschrift des Namens und der Lebensdaten auf dem Holzkreuz, zu erkennen ist das Umfeld, welches zwei orthodoxe Kreuze zeigt. Somit ist klar, dass Friedrich Seel auf dem Frankfurter Kriegsgefangenen-Friedhof seine letzte Ruhe gefunden hat.
Geboren wurde er als Friedrich Carl Seel am 23. August 18793 in Eugenfeld, sein Vater Wilhelm Seel (1845-vor 1915) war aus Neu Nassau, die Mutter Elisabeth Barbara Schill (1848-1915) aus Hochstädt. Diese Orte liegen im ehemaligen Gouvernement Taurien und gehören heute zur Ukraine. Außer Friedrich Carl sind mir noch 13 weitere Geschwister bekannt. Seine Mutter starb 1915 als Witwe, zu diesem Zeitpunkt waren bereits mindestens sieben ihrer Kinder verstorben, soweit ich das bisher ermitteln konnte. Die hohe Kindersterblichkeit war damals nicht ungewöhnlich, es gab viele Kinderkrankheiten, aber Medikamente zur Behandlung leider noch nicht.
Der Mitteilung aus Frankfurt/a.O. können wir entnehmen, er war Berufsschullehrer – es gab viele landwirtschaftliche Schulen, so dass anzunehmen ist, Friedrich war an einer dieser tätig. In Eugenfeld gab es eine landwirtschaftliche Schule, in Odessa konnte man Landwirtschaft studieren, ebenso in Dorpat, aber auch in Deutschland fanden sich viele der Kolonistennachkommen zu einer Ausbildung ein, um ihr Wissen dann in die Heimat mitzunehmen.
Friedrich heiratete Berta Springer (*1881 Alt Nassau)4, die genannte Anna Strohm (*1851) war nicht seine Mutter, sondern seine Schwiegermutter, verehelicht mit Andreas Springer (*1847). Woher die falschen Angaben kommen, ist für mich nicht ermittelbar – falsche Übertragung von Dokumenten oder gar bewusst falsche Angaben seinerseits als Kriegsgefangener?
Der Auszug des Kirchenbuches belegt uns die Eltern von Berta.
Dem Paar werden drei mir bekannte Kinder geboren: Otto Friedebert (1906-1977), Ernst Jakob (1907-1915) und Olga Christine (*1910).
Der Ausbruch des ersten Weltkrieges verändert alles, Friedrich wird ihn nicht überleben.
Wie er nach Deutschland kam, ist nicht bekannt, vermutlich, wie viele der Kolonistensöhne, als Dolmetscher, da sie nicht nur deutsch sprachen – sondern hervorragend russisch, oft auch weitere Sprachen örtlicher Volksgruppen – nahmen die deutschen Truppen sie als Dolmetscher mit und entließen sie nach Endes des Krieges in Deutschland, hier habe ich bereits einige ähnliche Personalien ermittelt.
Dieser entstand aus Notwendigkeit, da man in Frankfurt/a.O. 1915 ein Kriegsgefangenenlager geschaffen hatte, in dem bei Kriegsende 1918 noch 22.986 Männer interniert waren. Neben Briten, Franzosen, Belgiern, Rumänen, Serben und Italienern weit über 17.000 Soldaten der russischen Armee.
Die Bedingungen des Lagerlebens sorgten durch schlechte Ernährung und Krankheiten für zahlreiches Todesfälle, daher wurde im Sommer 1915 in Lagernähe ein gesonderter Friedhof angelegt, auf dem die Toten gemäß den Bestattungsritualen5 ihrer Religionen beigesetzt wurden.
Nur durch die Registrierung der Friedhofsverwaltung und ihrer Personenangaben, kann man heute auf ein Register2 mit 581 Namen zurück greifen.
Die Haager Landkriegsordnung von 1899/1907 gestattete Kriegsgefangenen die Ausübung ihrer Religion und Kultur, so entstand im nahegelegenen Eichenweg die Heilandskapelle.
Auf dem Foto das Richtfest 19156, ein einfacher Holzbau, im Volksmund „Russenkirche“, deren Gestaltung7 der Innenräume ebenfalls von den Kriegsgefangenen ausgeführt wurde.
Hier fanden Theateraufführungen, Konzerte, Gottesdienste und Lesungen für die Kriegsgefangenen aller Nationen und Religionen statt.
Nach Ende des Krieges verfiel die Kirche, ehe im Jahre 1923 der Heimkehrerbauverein gegründet wurde, der eine freie, zivile Siedlung aufbaute. Am 9. August 1925 gründete sich der „Verein zur Förderung des kirchlichen Lebens im Heimkehrlager“ und 1928 übergab der Magistrat der Stadt Frankfurt/a.O. die Kapelle der evangelischen Kirchengemeinde. Bei der feierlichen Einweihung am 2. September 1928 wurde ihr vom Generalsuperintendenten D. Vits der Name Heilandskapelle verliehen.8
Vielleicht ist dem einen oder anderen Leser mehr über die Familie des Friedrich Seel bekannt, dann würde es mich freuen, davon zu erfahren.
Sein Gedenken wurde in Frankfurt/a.O. für die Nachfahren bewahrt.
Was ich Ihnen erzählen kann, ist die Herkunft seiner Vorfahren. Der Urgroßvater von Friedrich, Johann Friedrich Seel, wurde am 16. Juli 1788 in Burgschwalbach geboren und wanderte mit Familie nach Alt Nassau in Taurien aus. Sein Vater Johann Jacob Friedrich (*1751) starb kurz nach der Durchquerung der Passstelle Grodno im Mai 1804, denn seine Ehefrau, Friedrichs Mutter Anna Sophia Sänger (1752-1834), trifft ohne ihn im Dezember 1805 in Taurien ein.
Ganz unbekannt war der Familie Russland jedoch nicht, bereits 1767 hatten sich Verwandte auf den Weg gemacht und lebten mit Familien in Kaltschinowka und Rundewiese.
Was ich ebenfalls berichten kann, ist die Geschichte ihres gemeinsamen Vorfahren, Johann Philipp Seel (1618-1680), ehemals hochherrschaftlicher Schultheiß von Burgschwalbach, der sich plötzlich in die Hexenprozesse von Idstein im Jahre 1676 verstickt sah und in deren Verlauf seine Ehefrau Anna Elisabeth „die alte Schultheißin“ (um 1604-1676) zum Tode verurteilt und verbrannt wurde.
Die Umstände waren nicht vorhersehbar und erscheinen aus heutiger Sicht makaber, trotzdem möchte ich sie hier kurz anreißen, da Anna Elisabeth eine Erwähnung verdient hat.
Ihr gemeinsamer Sohn Johann Jakob (+1690) – Kirchensenior und Schultheiß in Burgschwalbach – ehelichte am 20. September 1666 die Tochter des örtlichen Pfarrers, Anna Veronica Heymann. Das junge Mädchen hatte am 20. November 1668 ein totes Söhnlein zur Welt gebracht unter schweren Geburtsumständen und starb Tags darauf.9
Ihr Vater, Pfarrer Johannes Heymann (um 1619-1690) zeigte daraufhin die anwesende Hebamme und die Schwiegermutter Anna Elisabeth Seel als Hexen an, da er glaubte, sie hätten seine Tochter mit Verzauberung und das tote Enkelkind durch teuflischen Segen (es erhielt einen Nottaufe unter der Geburt) umgebracht.
So nahm der Hexenprozess mit seinem gut dokumentierten Fragenkatalog seinen Lauf, die Frauen wurden angeklagt und beschuldigt. Die Liste der Vorwürfe erweiterte sich erheblich, es wurden Zeugen befragt, darunter die eigene Familie und Anna Elisabeth antwortete wahrheitsgemäß, was ihr letztlich als Hexerei ausgelegt wurde.
So wurde am 23. Oktober 1676 das Urteil gefällt: „….Zu wohl verdienter straf undt anderen zu einem abscheulichen Exempel mit dem Feuer vom Leben zum Todt hinzurichten undt zuverbrennen seye…“10
Wer meint, das Zeitalter der Hexenverfolgung wäre vorbei, der sei eines Besseren belehrt, am 10. August ist der Internationale Tag gegen Hexenwahn, der an die heutigen Opfer weltweit erinnert und unsere Aufmerksamkeit darauf lenken soll, wie man im Namen von Religionen und Ideologien Menschen ausgrenzt, ihrer Würde beraubt, sie verurteilt und um Leben, Gesundheit, Heimat, Familie, Hab und Gut bringt.
5 wikimedia, Frankfurt an der Oder, Kriegsgefangenenlager, Beerdigungszug eines russischen Gefangenen
6 wikimedia, Heilandskapelle Frankfurt (Oder). Richtfest 1915 aus: Monumente. Magazin für Denkmalkultur in Deutschland. 28. Jahrgang, Nr. 5. Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Oktober 2018, ISSN 0941-7125, S. 60
Zur Geschichte der deutschen Kolonien am Schwarzen Meer
Abschrift vom Original mit Ergänzungen von J. Rzadkowski
aus einem Brief von Jakob Großmann1
Neumontal.6 Diese Kolonie wurde im Jahre 1815 angesiedelt. Die Vorfahren der Bewohner von Neumontal ließen sich ebenfalls 1804 im Molotschnatale bei Altmontal nieder, brachen dann aber ihre Gebäude im oben genannten Jahr ab und siedelten auf der Steppe an, wo sie das Land bequem rings um das Dorf her haben. Dieses Dorf hat wie auch Grüntal und Andreburg bei der Bodenbearbeitung viel vor den Taldörfern voraus, weil das ganze Land keine Bodenerhöhungen aufweist. Das Dorf hat eine gerade Straße, die von Osten nach Westen führt. Höfe sind nur 40 mit ca. 242 Seelen (131 männl.,111 weibl.). Zur Kirche, Wolostamt und Doktor sind 12, zur Bahnstation Prischib 15 und zur Kreisstadt 58 Werst2. Die Schule ist ein älteres Gebäude. Die Fenster schmal, weshalb das Licht auch nur in ungenügendem Maße eindringen kann. In hygienischer Hinsicht lässt dasselbe überhaupt viel zu wünschen übrig. Die Bänke sind unpraktisch. Die Lehrerwohnung ist eng und klein, was übrigens auch im größten Teile der übrigen Dörfer dieser Wolost der Fall ist. Jeder Bauer beansprucht für sich und seine Familie 4 – 6 Zimmer – der Lehrer hat zwei, schreibe und sage zwei. Zu seiner Arbeit hätte er doch dringend ein besonderes Arbeitsstübchen nötig, aber – das muss er sich denken. Im Jahr 1912 waren 49 Schulkinder, die von einem Lehrer unterrichtet werden. Zeitweise hatte die Kolonie auch einen Hilfslehrer. Das Gehalt des Lehrers ist gering. Rechnet man die Belohnung für den Schreiberdienst, der mit Ausnahme Prischibs, Heidelbergs und einiger anderer Kolonien sonst leider überall noch mit dem Lehreramt verbunden ist, ab, so bleibt dem Lehrer höchstens – ein Knechtlohn. In Weinau und einigen anderen Orten hat man schon eingesehen, daß, da die Preise auf alle Lebensmittel und was man sonst zur Lebensnahrung und Notdurft gebraucht, so sehr gestiegen sind, der Lehrer mit einem Gehalt von 500 – 600 Rbl. nicht bestehen kann. – Hier sei noch ehrend eines Mannes – Jakob Bogdanowitsch Schwarz – gedacht, der, aus dieser Kolonie hervorgegangen, nach Absolvierung der Universität sich in Berdjansk niederließ, wo er zuerst гласный3 war, dann Präsident der Semstwouprawa4 wurde. In diesem Amt blieb er bis zu seinem Tode im Jahr 1909. Er tat viel für die Hebung der Bildung des Volkes. – Neumontal ist wie alle Dörfer auf der Steppe ein Ackerbau treibendes Dorf. Handel und Gewerbe sind schwach vertreten. Zum Dorf gehören 1.765,3 Deßjat.5 brauchbaren und 32,8 Deßj. unbrauchbaren Landes. Der Boden eignet sich vortrefflich zum Anbau aller Getreidearten. Da aber Ackerbau rationell betrieben wird, so sind die Ernten in den letzten zwei Jahrzehnten auch gute, selten mittelmäßige und unter mittel gewesen. Schöne Pferde sind der Stolz des Bauern, und für die Aufzucht schöner Tiere scheut er keine Kosten. Nach der letzten Statistik hatte das Dorf 285 Pferde, 195 Stück Rindvieh und 105 Schweine.
Foto Neumontal6, im Vordergrund die Schule [koloriert J. Rzadkowski]
Neumontal, gegründet 1816 (evang.)7, 21 Fam. kamen aus Altmontal
1 Baitinger, s. Friedrichsfeld Nr. 16
2 Bischler
3 Ebert, s. Alt-Montal Nr. 34: Ebert, Georg 41, aus Hochstetten/Karlsruhe-Ba. seine Frau Maria 36, seine Kinder Jacob 17, Elisabeth 17, Georg 16, Regina 12, Adelgunda 11, Christina 6, Mathias 5, Maria 4 und Frantz 1. Wi: 5 Rd. und 1 Wag.
4 Gilling
5 Grosse
6 Guggenheimer, s. Hochstaedt Nr. 28
7 Hoffmann
8 Jung
9 Kaefer, s. Alt-Montal Nr. 6: Kaefer, Jacob 30, aus Muenchweiler/Pirmasens-Pf, seine Frau Magdalene 30, sein Sohn Jacob 3, seine Brueder Valentin 25 und Adam 16. Wi: 3 Pfd., 4 Rd., 1 Pfl., 1 Wag., 1 Sprd.
10 Keck aus Nordheim/Heilbronn-Wue
11 Kirschmeier, s. Alt-Montal Nr. 44: Kirchmeyer, Michael 31, seine Frau Anna 25, seine Kinder: Johann 6, Michael 3, Ferdinand 2, Anna 1, „Wirths Mutter“ Anna 61, Sohn Gottlieb 25 und Tochter Maria 20. Wi: 5 Rd., 3 Schw., 1 Pfl., 1 Wag. und 1 Sprd.
12 Koehler, s. Leutershausen Nr. 19
13 Kuebler, s. Alt-Montal Nr. 7: Kuebler, Michael 31, seine Frau Anna 45, seine Kinder Heinrich 17 und Anna 13. Wi: 7 Pfd., 11 Rd., 8 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag., 1 Sprd. und 1 Wbst.
14 Leippi, aus Steinfurt/Sinsheim-Ba
15 Lutz, s. Hochstaedt Nr. 19
16 Mermann
17 Morast aus Schriesheim/Mannheim-Ba
18 Nasseide
19 Neuberger, s. Friedrichsfeld Nr. 19
20 Neusser
21 Olegaln?
22 Ott aus Ehrstaedt/Sinsheim-Ba
23 Palmtag, s. Weinau Nr. 17
24 Pfeffer, Jakob Ullrich siehe Alt-Montal Nr. 49, Pfeffer, Ulrich 39, seine Frau Catharina 27, seine Kinder Carolina 4 und Johann 3. Wi: 3 Pfd., 3 Rd., 1/2 Pfl. und 1 Wag.
1 Abdruck in der Eureka Rundschau, 24. Oktober 1917
2 1 Werst = 1,0668 Kilometer
3 гласный (glasnyy) im vorrevolutionären Russland: Mitglied der lokalen Regierung (z.B. Stadtduma)
4 Semstwo = eine Form der Selbstverwaltung der Kreise und Gouvernements in Russland 1864 – 1917, bestand aus Vertretern des Adels, der Bürger und der Bauern; der Wahlmodus sicherte die Vorherrschaft des Adels. Uprawa = Verwaltung
Zur Geschichte der deutschen Kolonien am Schwarzen Meer
Abschrift vom Original mit Ergänzungen von J. Rzadkowski
aus einem Brief von Jakob Großmann1
Altmontal hat bis zum Pfarrdorfe, Gebietsamt und Arzt 5, zur Bahnstation 23 und zur Kreisstadt 55 Werst2. Es wurde im Jahre 1805 von 21 Familien angesiedelt. Diesen steht heute eine Gesamtzahl von 215 Seelen (106 männliche und 109 weibliche) auf 45 Höfen entgegen. Das Dorf selbst dehnt sich von Nordosten nach Südwesten aus, während alles Acker- und Weideland nordwestlich von der Ansiedlung liegt. Der Rücken der Hügelkette ist hier leichter zu ersteigen als bei den vorher beschriebenen Taldörfern, da der Abhang derselben ganz sanft emporsteigt. Doch ist das Bewirtschaften der Felder auch hier nicht leicht. Die Ansiedler erhielten 1803 Deßj.3 brauchbaren und 318 Deßj. unbrauchbaren Landes zugeteilt. Von dem sogenannten Unlande ist jedoch schon manche Deßj. kultiviert worden. Haupterwerb ist Ackerbau und Viehzucht. Die Stückzahl des Viehs belief sich nach letzter Zählung (1912) auf 290 Pferde, 310 Stücke Rindvieh und 200 Schweine. Die Gärten und Plantagen sind – von wenigen abgesehen – in gutem Zustande. Handel und Gewerbe sind nur schwach vertreten: eine Wagenbaufabrik, Schmiederei, Tischlerei, Ziegelei. Die Bewohner des Dorfes sind sehr wirtschaftlich. Aus dieser Kolonie stammte auch der von allen geachtete Landrichter (er hatte seinen Wohnsitz in Michailowka) Th. Werner, der viele Jahre hindurch die verschiedensten Klagesachen der deutschen Kolonisten zu schlichten hatte und wie wohl kaum ein anderer die Charaktereigenschaften derselben kennenlernen konnte. Wenn er Aufzeichnungen darüber hinterlassen hat, dann müssten dieselben recht interessant sein und sollten kommenden Geschichtsschreibern nicht vorenthalten werden.
Die Bewohner Altmontals sind wohl durchgängig recht wohlhabende Leute und ist mancher intelligente Mann unter ihnen zu finden, aber für die Schule wird hier eben auch zu wenig getan, es ist dieselbe ein älteres Gebäude, das den Anforderungen, die heute an ein gutes Schulgebäude gestellt werden, nicht gerecht werden kann. Anschauungsbilder sucht man vergebens. Der Lehrer, Herr Albert Krämer, ist schon lange Jahre am Ort tätig und stammt selbst aus einer alt eingebürgerten Familie dieses Dorfes. An ihm hat sich das Wort: „Kein Prophet gilt etwas in seinem Vaterlande“ nicht bewahrheitet. Die Schule besuchen 19 Kinder.
Foto Altmontal6 [koloriert J. Rzadkowski]
Kolonisten Altmontal Revisionsliste 18115
1, Hardwig, Phillip 39, Weber, seine Frau Catharina 33, seine Soehne Johann 13, Conrath 6 und August 4. Wi: 2 Pfd, 10 Rd., 1 Pfl, 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
2, Scheufele, Johann 43, Weber, seine Frau Regina 45, seine Kinder Johann 17, Magdalena 15, Regina 13, Michael 10 und Catharina 5. Wi: 10 Rd., 1 Schw., 1 Pfl., 1 Egg. und 1 Wag.
3, s. auch 28 Rueger, Jacob 30, Weber, seine Frau Magdalena 28, seine Kinder Christina 7 und Jacob 1. Wi: 2 Pfd., 3 Rd., 1 Wag. und 1 Sprd.
4, s. auch 15 Mann, Jonas 59 senior, Maurer, seine Frau Maria 54, seine Tochter Ester 15, ferner die Witwe Dorothea Schieneman, 20, „dessen“ (deren) Kinder August 4 und Dorothea 2. Nachtrag: Des Jonas Mann Sohn Jacob 30. Wi: 6 Pfd., 17 Rd., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag., 1 Sprd. und 1 Wbst.
5, Billmann, Jacob 55, seine Frau Barbara 57, sein Sohn Johann 18. Wi: 2 Pfd., 5 Rd., 1 Pfl., 1 Wag. und 1 Sprd.
6, Kaefer, Jacob 30, aus Muenchweiler/Pirmasens-Pf, seine Frau Magdalene 30, sein Sohn Jacob 3, seine Brueder Valentin 25 und Adam 16. Wi: 3 Pfd., 4 Rd., 1 Pfl., 1 Wag., 1 Sprd.
7, Kuebler, Michael 31, seine Frau Anna 45, seine Kinder Heinrich 17 und Anna 13. Wi: 7 Pfd., 11 Rd., 8 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag., 1 Sprd. und 1 Wbst.
8, Bueschler, Johann 58, Zimmermann seine Frau Maria 37, seine Kinder Gottlieb 23 und Lovisa 18. Wi: 2 Pfd., 8 Rd., 2 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
9, Rohde, Johann 31, seine Frau Christina 35, seine Kinder Maria 16, Michael 13 und Martin 6. Wi: 2 Pfd., 9 Rd., 4 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. 1 Sprd. u. 1 Wbst.
10, Reschke, Martin 62, aus Schleswig-Holstein, seine Frau Eva 49, seine Soehne Johann 14 und Christian 11. wi: 10 Rd., 8 Schw., 1 Pfl., 1 Egg. und 1 Wag.
11, Fuehrus, Daniel 37, seine Frau Dorothea 27, seine Kinder Maria 9, Friedrich 7, Daniel 3, Carolina 4. Wi: 7 Rd., 2 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag., 1 Sprd.
12, s. auch 4 Schieneman, Friedrich 39, Tischler, seine Frau Sophia 37, sein Sohn Daniel 19. Wi: 20 Rd., 7 Schf., 2 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 2 Wag., 1 Sprd.
13, Probst, Gottlieb 25, seine Frau Charlotte 21, seine Soehne Johann 3 und August 1/2. Zugeschrieben: Fried. Jeschow, 43, und dessen Sohn August 6. Wi: 7 Rd., 3 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. u. 1 Sprd.
14, Waechter, Friedrich 30, aus Spechbach/Heidelberg-Ba (?), seine Frau Maria 28 und Tochter Maria 11. Wi: 5 Pfd., 12 Rd., 3 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
15, s. auch 4 Mann, Jonas junior 23, aus Mueckenloch/Heidelberg-Ba (?), seine Frau Barbara 21, sein Sohn Jacob 2 und seine Magd Catharina X… 18. Wi: 1 Pfd., 12 Rd., 1 Pfl., 1 Egg. und 1 Wag.
16, s. auch 21 Martin, Martin 29, Schneider, seine Frau Barbara 20, seine Tochter Christina 1. Wi: 3 Pfd., 6 Rd., 1/2 Pfl., und 1 Wag.
17, Misch, Georg 38, seine Frau Margaretha 27, seine Toechter Eva 7 und Maria 5. Wi: 3 Pfd., 3 Rd., 1 Pfl., 1 Wag. und 1 Sprd.
18, Speyer, Carl 40, Weber, seine Frau Maria 26, seine Kinder Magaretha 8, Georg 5 und Catharina 2. Wi: 1 Pfd., 1 Rd. und 1 Pfl.
19, Bischof, Theodor 35, Weber, aus Helmsheim/Bruchsal-Ba, 1809, seine Frau Maria 33, seine Kinder Catharina 7 und Michael 5. Wi: 1 Pfd., 1 Rd. und 1 Egg.
20, Stein, Carl 36, aus Helmsheim/Bruchsal-Ba, 1809, seine Frau Dorothea 34, seine Kinder Friedrich 13, Catharina 9, Barbara 7 und Jacob 4. Wi: 2 Pfd., 6 Rd., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
21 s. auch 16 Martin, Frantz 37, Schumacher, seine Frau Christina 24 und Sohn Martin 1. Wi: 3 Pfd., 5 Rd., 1 Wag. und 1 Sprd.
22, Leibel, Adam 47, seine Frau Elisabeth 33, seine Kinder Johan 17, Michael 15, Catharina 11 und Adam 9. Wi: 4 Pfd., 6 Rd., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
23, s. auch 39, 32, 33 Bauer, Adam 52, aus Leutershausen/Mannheim-Ba oder Muenzesheim/Bruchsal-Ba, 1809, seine Frau Mariana 43, seine Toechter Susana 6 und Catharina 2. Wi: 2 Pfd., 1 Rd., 1 Egg., und 1 Wag.
24, Kirsch, Conrad 53,. aus Spechbach/Heidelberg-Ba, 1809, seine Frau Eva 40, seine Kinder Magaretha 16, Phillipina 14, Kilian 11, Catharina 6 und Andreas 4. Wi: 2 Pfd., 2 Rd., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
25, Schlee, Mathias 30, Weber, aus Tumlingen/Freudental-Wue (?), seine Frau Barbara 26 und Sohn Joseph 1, ferner sein Schwager Alois Nagel, 13, aus Ivesheim/Mannheim-Ba, 1809. Wi: 3 Rd., 1 Wag., 1 Sprd. und 1 Wbst.
26, Schulz, Friedrich 39, Tischler, aus Leutershausen/Weinheim-Ba (?), seine Frau Rosina 35, seine Kinder Maria 14, Johan 12, Heinrich 9 und Friedrich 5. Wi: 2 Pfd., 3 Rd., 5 Schw., 1 Pfl. 1 Egg., 1 Wag., 1 Sprd. und 1 Wbst.
27, Buehler, Jacob 30, seine Frau Carolina 37 und Tochter Catharina 6. Wi: 2 Pfd., 2 Rd., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
28, s. auch 3 Rueger, Johann 30, seine Frau Christina 24, sein Sohn Friedrich 2. Wi: 2 Pfd., 14 Rd., 1 Pfl., 1 Egg. und 1 Wag.
29, Elser, Christoph 49, aus Spoeck/Karlsruhe-Ba, 1809, seine Frau Willhelmina 34, seine Kinder Friedrich 12, Michael 10, Willhelmina 7 und Conrad 4. Wi: 2 Pfd., 2 Rd. und 1 Wag.
30, Witowsky, Jacob 37, Sattler, seine Frau Maria 40, seine Soehne Andreas 8 und Carl 5. Wi: 2 Pfd., 16 Rd., 5 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 2 Wag., 1 Sprd., 1 Wbst.
31, Fischer, Carl 49, seine Frau Anna 47, sein Schwiegersohn Ludwig Schmidt 20 und dessen Frau Carolina 20. Wi: 4 Pfd., 12 Rd., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
32, s. auch 23 Bauer, Michael 36, aus Zaisenhausen/Bretten-Ba, 1809, seine Frau Elisabetha 43, seine Soehne Michael 16 und Jacob 7. Wi: 4 Pfd., 5 Rd., 1 Pfl., 1 Wag. und 2 Sprd.
33, s. auch 23 Bauer, Georg 30, seine Frau Catharina 43, seine Kinder Catharina 12, Andreas 10, Georg 7, Regina 5 und Christina 1. Wi: 3 Pfd., 5 Rd., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
34, Ebert, Georg 41, aus Hochstetten/Karlsruhe-Ba. seine Frau Maria 36, seine Kinder Jacob 17, Elisabeth 17, Georg 16, Regina 12, Adelgunda 11, Christina 6, Mathias 5, Maria 4 und Frantz 1. Wi: 5 Rd. und 1 Wag.
35, Seifried, Anthon 43, aus Bruchhausen/Karlsruhe-Ba (?), seine Frau Magaretha 26, seine Kinder Catharina 12, Ignatz 7 und Maria 6. Wi: 11 Rd., 2 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. u. 1 Sprd.
36, Schilke, Gottlieb 38, seine Frau Anna 27, seine Kinder Carolina 4, Ferdinand 3 und Johann 1, sein Bruder Christoph 55.
37, Klems, Johann 21, seine Frau Rosina 20, seine Kinder Rosa 1 1/2 und Jacob 1. Wi: 22 Rd., 2 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag., u. 1 Sprd.
38, Conrad, Michael 47, seine Frau Christina 37, seine Kinder Sophia 13, Friedrich 9, Willhelmina 7, Christina 4 und Michael 1. Wi: 3 Pfd., 6 Rd., 1 Schw., 1 Pfl., 1 Wag. und 1 Sprd.
39, s. auch 23 Bauer, Johann 56, aus Leutershausen/Mannheim-Ba, seine Frau Catharina 46, sein Knecht Johann Bekel 22 Wi: 2 Pfd., 2 Rd., 3 Schw., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
40, Albsteiger, Karl 35, Schmied, seine Frau Dorothea 32, seine Kinder Willhelmina 5, Carl 4 und Ludwig 3. Wi: 5 Pfd., 15 Rd., 3 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag., 2 Sprd. und 1 Wbst.
41, s. auch 43, 47 Kraemer, Daniel 53, aus Menzingen/Bruchsal-Ba (?), seine Frau Eva 53, seine Kinder Ludwig 20, Christina 15 und Anna 13. Wi: 3 Pfd., 5 Rd., 3 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
42, Runge, Joseph 50, seine Frau Anna 25, seine Kinder Wilhelm 20, Daniel 16 und Rosina 2. Wi: 4 Pfd., 11 Rd., 5 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
43, s. auch 41 Kraemer, Daniel 21, seine Frau Dorothea 31, seine Kinder Carolina 4 und Friedrich 1. Wi: 2 Pfd., 6 Rd., 4 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
44, Kirchmeyer, Michael 31, seine Frau Anna 25, seine Kinder: Johann 6, Michael 3, Ferdinand 2, Anna 1, „Wirths Mutter“ Anna 61, Sohn Gottlieb 25 und Tochter Maria 20. Wi: 5 Rd., 3 Schw., 1 Pfl., 1 Wag. und 1 Sprd.
45, Walther, Adam 29, aus Kirchhardt/Sinsheim-Ba, seine Frau Catharina 30, seine Kinder Johan 3 und Jacobina 1. Wi: 2 Pfd., 4 Rd. und 1 Wag.
46, Littig, Phillip 37, aus Lemberg/Pirmasens-Pf, seine Frau Hendrietta 26, seine Toechter Mariana 8, Magaretha 5 und Catharina 2. Wi: 6 Pfd., 10 Rd., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
47, s. auch 41 Kraemer, Johann 30, seine Frau Regina 41, seine Kinder Beata 7, Regina 4 und Ferdinand 1. Wi: 2 Pfd., 8 Rd., 2 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
48, Beutelsbach, Jacob 41, Schneider, seine Frau Beata 24, seine Soehne Daniel 6, Michael 4 und Jacob 3. Wi: 1 Pfd., 8 Rd., 1 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
49, Pfeffer, Ulrich 39, seine Frau Catharina 27, seine Kinder Carolina 4 und Johann 3. Wi: 3 Pfd., 3 Rd., 1/2 Pfl. und 1 Wag.
50, Schwar(t)z, Paul 32, seine Frau Anna 33, seine Kinder Michael 10, Johann 6, Carolina 3 und Carl 2. Wi: 2 Pfd., 18 Rd., 3 Schw., 1 Pfl., 1 Egg., 1 Wag. und 1 Sprd.
Aus „1838 – 1913 Die Evangelisch-Lutherische Gemeinde Kaisertal, Gouvernement Taurien, Kreis Melitopol, Wolost Eugenfeld) in den ersten 75 Jahren ihres Bestehens.” Jubiläumsschrift, herausgegeben im Verein mit mehreren Gemeindegliedern von J. Stach, Pastor. Verlag Eugenfeld“, Ergänzungen und Anmerkungen Jutta Rzadkowski
Die Ansiedlung
Die Kolonie Kaisertal wurde im Frühling 1838 von folgenden 49 Wirten angesiedelt:
Nr.
Namen d. Ansiedler
Wo geboren
Aus welcher Kolonie anges.?
Wann gestorben?
1.
Jakob Keck
unbekannt
Kronsfeld
1885
2.
August Büschler
„
Hoffental
1889 zu Johannesruh
3.
Christian Fust
„
Walldorf
13.Sept. 1872, 61 J.
4.
Christoph Nagel
„
Tiefenbrunn
unbekannt
5.
Fredrich Linder
„
Leitershausen
„
6.
Karl Ullrich
„
Karlsruh
10.Okt. 1864, 75 J.
7.
Karl Wundersee
„
„
1. Juli 1868, 62 J.
8.
Michael Bloch
Polen
Tiefenbrunn
25. Juni 1878, 77 J.
9.
Gottlieb Büschler
unbekannt
Hoffental Vater v. Nr. 2.
1885
10.
Johann Maihöfer
„
Friedrichsfeld
10.Nov.1864, 51 J. 8 Monate
11.
Michael Kirchmeier
„
Neumontal
1855
12.
Philipp Meier
„
Leitershausen
gest. bei Kertsch
13.
Karl Kühne
„
Durlach
26. Sept.1864, 50 J. 9 M.
14.
Friedrich Leinich
„
Kronsfeld
d. erste, der v. d. Ansiedlern starb
15.
Friedrich Schatz
„
„
wand. n. Grusien aus
16.
Karl Märtins
„
Karlsruh
31. Juli 1876, 64 J. 8 M.
17.
Gottlieb Föll
Reichenberg i. Württ.
Reichenfeld
14. März 1880,70 J
18.
Johann Fischer
Deutschland
Neunassau
2. Juli 1877, 60 J. 10 M., als Landb. i. Ebenfeld.
19.
Gottlieb Hein
unbekannt
Tiefenbrunn
unbekannt
20.
David Renner
„
Weinau
1863
21.
Friedrich. Dreher
„
Prischib
1846
22.
Johann Hessel
„
Reichenfeld
1857
25.
Christoph Freund
Reichenfeld
„
1. März 1868, 50 J.
24.
Alex. Burghardt
Jekaterinosl.
Prischib
29. Dez. 1889,77 J. 8. M.
25.
Michael Lörke
unbekannt
Rosental
1887
26. .
Karl Seel
„
Neunassau
26. Juni 1864, 55 J.
27.
Jakob Schlecht
St.Petersh.
Kronsfeld
7. Febr. 1875, 64 J.
28.
Gottlieb Jekel
unbekannt
Rosental
1891
29.
Adam Ebinger
„
Hochstädt
1855 in Okretsch
30.
Friedrich Sanne
„
Altmontal
12. Sept. 1888, 78 J. 7 M.
31.
Christian Balle
„
Kronsfeld
unbekannt
52.
Nikolaus Eva
„
Karlsruh
1861
33.
Michael Breit
„
Prischib
1854
34.
Sebastian Föll
Steinheim a. d. Murr in Wü.
Karlsruh
1. Aug. 1897, 91 J. 5 M.
55.
Johann Ruff
unbekannt
Weinau
unbekannt
36.
August Probst
„
Altmontal
31. Mai 1882,72 J. 4 M.
37.
Christian Konrad
„
Rosental
1885
38.
Friedrich Galster
Polen
Durlach
17. Apr. 1866, 65 J.
39.
Karl Märtins
unbekannt
Karlsruh
31. Juli 1876, 64 J. 8 M.
40.
Gottlieb Erstein
„
Prischib
unbekannt
41.
Georg Morgenstern
„
Altnassau
„
42.
Johann Ziebarth
Polen
Hochstädt
30. Okt. 1892, 87 J.
45.
Johann Fust
unbekannt
Walldorf
18. Dez. 1866, 59 J.
4
Christian Harwardt
„
Weinau
17. März 1891, 84 J. 7 M.
45.
Johann Polle
Stockholm
Kronsfeld
14. Apr. 1884, 83 J. 3 M.
46.
Gottlieb Ruf
unbekannt
Weinau
29. Apr. 1872, 55 J.
47.
Jakob Ullrich
„
Durlach
12. Nov. 1877, 57 J.
48.
Johann Wolf
unbekannt
Friedrichsfeld
1855
49.
Jakob Weber
„
Neunassau
1898
Freiwirte:
1.
Joh. Andreas Beek
Gouv. St. Petersburg
Karlsruh
6.Aug.1867, 45 J. 3 M.
2.
Georg Morgenstern
unbekannt
Altnassau
unbekannt
3.
Friedrich Seel
„
Neunassau
„
Abschrift DAI, Kommando Stumpp 1941
Alle Siedler aus den alten Mutterkolonien an der Molotschna waren junge Leute, die ohne Hof blieben und daher beschlossen, neues Land zu besiedeln. Nach langen Verhandlungen gab es Land von der Krone, jedoch keine weitere Unterstützung. Ein großes Problem war die Bedingung, dass die Siedler nicht ohne Kühe zur Ansiedlung aufbrechen durften, was Nachverhandlungen erforderte.
Die ersten Siedlungsjahre waren sehr schwer, zunächst wurden die Parzellen zu je 60 Dessjatinen (etwa 65 1/2 Hektar) festgelegt, man brach nach Ankunft 1838 das Land um, bestellte den Acker, grub einen Brunnen und baute sich einfachste Lehmhütten zur Unterkunft.
Das Land befand sich im Tal einer Hügelkette, die in späteren Jahren als „die alte Wertschaft“ bezeichnet wurde, hier befand sich zur Ansiedlung bereits ein altes Gebäude. Im zeitigen Frühjahr wurde dieses Gebiet aufgegeben und an seiner Stelle der heutige Siedlungsstandort gewählt.
Ein Teil der Siedler war gegen diesen Ort, weil ihnen eine Überschwemmung im Frühjahr durch den kleinen Utljuk-Fluss wahrscheinlich schien. So entschied der Dorfschulz, die Befürworter des Ortes sollen rechts siedeln, die anderen nach links, wobei sich die rechte Seite durchsetzte. So entstand das neue Dorf mit breiter Hauptstraße, rechts und links davon die Gehöfte mit ihren Gärten.
Warum das Dorf den Namen Kaisertal trägt, ist allerdings ungeklärt, sein russischer Name Золота Долина bedeutet „Goldenes Tal“.
Die Kolonie befand sich etwa 24 Werst südöstlich der Kreisstadt Melitopol, wobei 1 Werst = 1,0668 Kilometer entspricht. Um Bauholz zu beschaffen, musste man mit dem Ochsenkarren nach Iwanenko und Kamenka, eine Entfernung von 70 bis 100 Werst, Zimmermannsbretter mussten aus Jekaterinoslaw beschafft werden, über 200 Werst entfernt. Ebenso schwierig war der Weg zur Mühle in Schönwiese, in der Nähe der Stadt Alexandrowsk am Dnjepr, die rund 130 Werst entfernt lag, Getreidehandel fand in Berdjansk statt, ebenfalls rund 120 Werst entfernt. Daher gründeten die Siedler bereits im Jahr ihrer Ankunft ein Transportunternehmen.
Kleine Gemeindechronik
1838 war sehr verregnet, so verfaulte ein Teil der geringen Getreideernte, die Schilfdächer der Lehmhäuser stürzten ein. Nur mit größter Anstrengung gelang es den Siedlern, sich notdürftig auf den ersten Winter vorzubereiten, trotzdem wurden die Kinder unterrichtet, Carl Märtins (1811-1875), genannt „Krim-Märtins“, unterrichtete die Kinder gegen eine bescheidene Entschädigung der Gemeinde in seinem eigenen Haus, wo er Sonntags-, Fest- und auch Lesegottesdienste abhielt, da der Pfarrer die Gemeinde nur zweimal im Jahr besuchte, weshalb die zu konfirmierenden Kinder jedes Frühjahr nach Molotschna fuhren.
Da es zunächst weder eine Kirche noch eine Kirchenglocke gab, wurde ein hölzernes „Kirchenbüchel“ eingeführt, welches jeden Sonntagmorgen vor Beginn des Gottesdienstes von Haus zu Haus zirkulierte. Wenn das „Kirchenbüchel“ nicht ausgegeben wurde, fiel der Gottesdienst aus. Wer dem Gottesdienst fernblieb, zahlte 10 Kopeken Strafe. Um sich vor Raubüberfällen, wilden Tieren und Feuern zu schützen, gab es einen Nachtwächter- und Gerichtsvollzieherdienst, den jeder Wirt abwechselnd wahrnahm. Dazu übergab der diensthabenden Nachtwächter die eiserne „Gemeinschaftslanze“ und der Gerichtsvollzieher den hölzernen „Bürgermeisterhammer“ an den jeweils Beauftragten.
Der Gerichtsvollzieher ließ Bestrafungen durchführen, Männer wurden mit der Rute geschlagen, bei Diebstählen musste man mit den gestohlenen Gegenständen durch das ganze Dorf ziehen und die Männer riefen die Namen der gestohlenen Gegenstände. Für verbotenes Tanzen oder Streiche wurden die Jugendlichen mit gemeinschaftlicher Arbeit bestraft, wie dem Ausheben von Gräbern, dem Ausheben von Löchern für Zaunpfähle und so weiter.
Bereits 1839 kam der Lehrer Schill nach Kaisertal und 1840 wurde das erste Bet- und Schulhaus mit Lehrerwohnung gebaut, dringend notwendig, da es über 100 Schulkinder gab. Im gleichen Jahr wurde auf behördliche Anordnung die Anpflanzung von Obstbäumen vorgeschrieben. Bei einer Zählung 1864 hatte Kaisertal auf den 49 Höfen 6.300 Obstbäume und 86.522 in Waldstücken und Baumschulen gepflanzte Bäume und Setzlinge, eine enorme Leistung, wenn man bedenkt, nach dem Regenjahr folgten Dürren. Eine Missernte wechselte sich mit der nächsten ab, immer wieder musste um Hilfeleistung aus der Mutterkolonie Molotschna gebeten werden. Alles war vonnöten, Brot, Saatgetreide, Viehfutter und alles musste per Ochsenkarren herangeschafft werden, die Fuhrleute auf den langen Wegen hungerten ebenfalls, da in der Steppe keine Unterkunft zu finden war.
Die Enttäuschung der Siedler war groß und mancher entschloss sich, Kaisertal zu verlassen, die Abwanderung wurde jedoch 1843 behördlich untersagt, da mancher nach Grusien aufbrach, wo es seit 1818 deutsche Kolonien gab, die recht erfolgreich wirtschafteten.
Der Ackerbau erlitt weiterhin teilweise völlige Ernteausfälle (1848, 1855 nach Heuschreckenplage, 1863, 1864, 1871, 1873, 1887), man verfütterte die Strohdächer an das Vieh als Futter, nur die Schafzucht half über die Zeiten der bitteren Not. Trotz allem war der Fortschritt nicht aufzuhalten,
Um 1850 errichtete der Siedler Galster die erste Ziegelei und bald wichen die Lehmhütten massiven Gebäude aus gebrannten Ziegeln, zudem errichtete er die erste Putzmühle für das Getreide. Im Haus des Siedlers Maihöfer wurde ein Laden von einem Kondakower eröffnet.
Der Krimkrieg verlangte den Kaisertalern einiges ab, da vom 26. März bis 17. November 1855 in 54 Transporten 10.711 Kranken in ein eigens geschaffenes Lager gebracht wurden. Für den Krankentransport waren jeweils ein Beamter, ein Chirurg, ein Arzt oder Assistenzarzt und weiteres Hilfspersonal zuständig. Die Beerdigung verstorbener Soldaten erfolgte meist im Beisein von Offizieren.
Die durchreisenden Soldaten litten häufig an Typhus und Ruhr. Durch Infektionen verbreiteten sich die Krankheiten im gesamten Kaisertal und dadurch wurden etwa 10 Familien ihres Hausherrn und Versorgers beraubt.
Die Gemeinde spendete drei Waggons mit Kartoffeln und Hafer und beteiligte sich aktiv, oft unter Lebensgefahr, am Transport von Heu und Hafer von Sewastopol zum Einsatzgebiet. Auf einem solchen Transport kam der Kaisertaler Siedler Ebinger auf der Krim ums Leben.
Am 6. Oktober 1857 wurde die junge Frau Margaretha Föll abends auf dem Heimweg von einem Tanz am elterlichen Gartenzaun ermordet aufgefunden, der Täter nie ermittelt.4
Ein weiteres, besonders tragisches Unglück folgte am 1. März 1862. An diesem Tag sollte die Hochzeit von Christian Schatz und Katharina Wundersee stattfinden. Am frühen Morgen fuhren Braut und Bräutigam in Begleitung von 6 Personen zur Trauung in den etwa 60 Werst entfernten Pfarrort Hochstädt. Plötzlich kam von weit oben im Flusstal von Nowonikolajewka durch warmes Tauwetter und Schneeschmelze ein Hochwasser und der Wagenkasten wurde mit Wasser gefüllt. Es ertrank die ganze Gruppe zusammen mit den Pferden. Das Wasser, welches erst nach drei Tagen zurück ging, bedeckte sogar die Pferde so weit, ihre Köpfe wären auch dann bedeckt gewesen, wenn man sie hoch gehalten hätte. Die Namen der Unglücklichen lauten: Bräutigam Christian Schatz (*1840), Braut Katharina Wundersee (*1841), Daniel Föll, Katharine Galster (*1845), Bruder Jakob (*1844) und Schwester Rosina Schatz (*1842), darunter die beiden Fuhrleute Bruder der Braut Christian Wundersee (*1836) und Johann Gerbershagen (*1825).
Vorstehendes Brautpaar Christian Schatz und Katharina Wundersee ist mit den diesselbe begleitenden sechs Personen am 28 Februar 9 Uhr Vormittags in einem bedekten Wagen von Kaiserthal nach Hochstädt abgefahren um sich am 1 März in der hiesigen Kirche trauen zu lassen, allein sie kamen nur 20 Werst weit wo sie nahe bei dem Dorfe Schilowky in einem Thal zwischen zwei Dämmen in den, durch den schnellen Abgang der grossen Schneewasser des Gewässer schnell und hoch angeschwollen und gespannt war, sämtliche acht Personen ertrunken gefunden wurden. Vorstehende drei ertrunkene Personen sub. No. 55, 56 und 57 sind nach gerichtlicher Untersuchung und Erlaubnis zur Beerdigung, von dem Schullehrer Ludwig Dieno ohne die Ankunft oder einen Auftrag des Orts Predigers abzuwarten, eigenmächtig auf dem Gottes Aker zu Kaiserthal zur Erde bestattet worden. Beerdigt am 09.03.1862 Vorstehende fünf Personen sub. 58 bis No. 62 inclusive sind in Folge gerichtlicher Untersuchung und Erlaubniss zur Beerdigung eingesegnet und beerdigt worden auf dem Gottes Aker zu Marienfeld von dem Pastor Föll. Beerdigt am 10.03.18624
So kam es, dass dieser Tag zu einem jährlichen Bußtag innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland wurde, an dem niemand eine Hochzeit feiern durfte. Dieses Unglück war ein weiterer Grund für die Gründung der Eugenfelder Pfarrei.
Bereits in den Jahren 1858 und 1859 wurden wegen der Ernteausfälle der vergangenen Jahre zur Notversorgung ein Gemeindegetreidelager gebaut mit Vorrat an Brotgetreide zum Backen und Saatgut. Dieser Vorrat war auch deshalb notwendig, da die Gemeinde jährlich 60 % des geernteten Getreides zur Zahlung von Sachsteuern abgeben musste. So erhielt der Pferdeinspektor 7 ½, derSchullehrer 18 ½, die Hirten 30 und die Nachtwächter 4 Tschetwert (1 Tschetwert enthält rund 210 Liter Getreide). Aus Steuern und Pachten der Gemeinde erhielt der Lehrer 140 Rubel und 3 Dessj. Land, der Pfarrer 100 Rubel, der Bürgermeister 50 Rubel, der Arzt 25 Rubel und die Hirten 150 Rubel für ihre Arbeit.
Gegen Ende der 1850er und zu Beginn der 1860er Jahre begann das Handwerk zu blühen, ging jedoch kurze Zeit später wieder zurück, da die Handwerker nicht mit den Anforderungen der damaligen Zeit durch die Gründung von Fabriken Schritt halten konnten, so blieb ihnen überwiegend der Wagenbau und andere einfache Arbeiten. Im Allgemeinen fehlten den Handwerkern zudem die Kenntnisse über den Bau und die Verwendung landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte. Jeder, egal wie unfähig, hatte das Recht, sich Meister zu nennen und mit dem beruflich fähigen Arbeiter zu konkurrieren, die bestehenden Gesetze waren für die Handwerker damals insgesamt sehr ungünstig. Entsprechend dominierten die Hersteller landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen der Mennonitengemeinde den Markt.
Zu dieser Zeit wurde auch der Maisanbau eingeführt, da er das Land für den Getreideanbau verbesserte und Ernteausfälle kompensierte. Seit Mitte der 1860er Jahre wurde zudem der Weizen nicht mehr nach Berdjansk gebracht, sondern nach Genitschesk.
Es erfolgte die Gründung eines Männergesangsvereines 1864, der 1914 sein 50. Jubiläum feierte.
Der Grundstein für den Neubau eines Schul- und Bethauses aus gebrannten Ziegeln wurde 1866 mit der Einweihung während des Reformationsfestes am 23. Oktober gelegt. Dieses Schulhaus war lange Zeit das größte der Pfarrei, so dass fortan Konfirmationen und große Pfarrgottesdienste in Kaisertal abgehalten wurden.
Mit öffentlichem Rundschreiben vom 21. Mai 1869 unter Nr. 5393 teilte man den den Dorfämtern mit, das sie es sich zur Aufgabe zu machen haben, den Unterricht in den Dorfschulen zu verbessern und die jungen Leute mit zeitgemäßem Wissen für das zukünftige Leben auszustatten; durch den Einsatz von Lehrkräften, die ausschließlich in diesem Bereich kompetent sind und keinem anderen Nebenziel nachgehen dürfen. Es gab gut gemeinte Anregungen an Geistliche und Lehrkräfte zur freiwilligen Umsetzung und vor allem eine Verlängerung des Schuljahres, bisher war nur im Winter Unterricht, nun sollte am Ende der Frühjahrssaat bis Ende Mai und dann Mitte oder Ende August erneut der Unterricht beginnen. In den 1870er Jahren wurden Heinrich Fust, Friedrich und Gottlieb Polle an die Prischiber Zentralschule geschickt.
Zu Beginn der 1870er und frühen 1880er Jahre konnten erstmals größere Flächen mit Winterweizen eingesät werden, da man nun den sächsische Pflug und den Spindelmäher verwendete. Jedoch verlief der Beginn der 1870er recht unerfreulich, 1871 wurden die Kolonien der Gemeinden Prischib und Hochstädt von verheerenden Bränden heimgesucht, die Ernte war nicht nur sehr schlecht, die Getreidepreise auch extrem niedrig.
Spindelmäher (Haspelmähmaschine)
Im September 1871 waren Wahlen, am 20. September wurde Friedrich Leinich, ursprünglich Kaisertaler Kolonist, vom Pfarrer als erster Oberbürgermeister (Oberschulz) des Regierungsbezirks Darmstadt vereidigt.
Dann wütete 1872 in Mordwinowka und Umgebung die Cholera, der Herr Cornies vom Gut Taschtschenak und der Kaisertaler Kolonist Christian Fust zum Opfer fielen und 1873 kam es zu einem erneuten totalen Ernteausfall.
Die Unglücke wollten nicht abreißen, am 27. Februar 1875 verfing sich der sechzehnjährige Christian Renner beim Schmieren der Mühle mit seiner Kleidung im Zahnrad und kam ums Leben. Ein Jahr später kam in derselben Mühle ein russischer Mühlenarbeiter auf ähnliche Weise ums Leben. Masern und Diphtherie traten 1877 auf. Am 15. Januar 1877 wurden drei Kinder begraben, am nächsten Tag zwei weitere. Die Diphtherie-Epidemie endete erst 1879, in vielen Familien starben alle Kinder.
Am 3. Dezember 1875 wurden die Militärrekruten in Melitopol vereidigt und am 12. Dezember nahmen sie an der Heiligen Kommunion im Eugenfelder Schulhaus teil. Christian Freund, Johann Keck, Daniel Märtins, Christian Probst, Karl Seel, Johann Renner, Jakob Ruf und Karl Weber. Johann Renner traf es doppelt schwer, da er mit Magdalena geb. Burghardt bereits verheiratet war.
Diese erste Rekrutierungsaktion hinterließ bei allen deutschen Kolonisten einen tiefen Eindruck, da sie nun ihre Söhne für sechs lange Jahre als Soldaten abgeben mussten, die schrecklichen Erinnerungen an den Krimkrieg waren noch allzu präsent.
Im Jahr 1878 brach die Rinderpest aus, sodass im ganzen Dorf nur noch 13 Rinder überlebten, die arg gebeutelten Bauern wurden erneut 1882 durch auftretende Rinderpest schwer getroffen.
Pastor Stach schreibt, am 22. Mai 1883 wurde das Schulhaus Kaisertal zur Krönung Seiner Majestät Kaiser Alexander III. und Ihrer Majestät Kaiserin Maria Fjodorowna genutzt.8 Tatsächlich fand die Krönungsfeierlichkeiten des Kaiserpaares am 27. Mai 1883 in der MoskauerMariä-Entschlafens-Kathedrale statt. Daher ist anzunehmen, es handelt sich um eine Feier der Gemeinde anläßlich der Krönung. Am 29. Oktober desselben Jahres fand die Feierlichkeit zum 400. Geburtstag von Dr. Martin Luthers statt.
Der 1886 gegründete Waisenfond zur Unterstützung der Waisenkinder erhielt im Zuge der besseren Jahre mit guten Ernten beträchtliche Mittel zur Versorgung. Natürlich gab es nach und nach auch einen verfeinerten Lebensstil, vor allem in Bezug auf Kleidung und Dinge des Hauses, aber auch in der Bildung, es stieg die Zahl der Abonennten des St. Petersburger Sonntagsblattes, der Odessaer Zeitung und vieler anderer Blätter.
Im Jahre 1886 wurde zudem eine neue Talsperre errichtet, leider ertrank hier am 11. Juni 1891 der Familienvater Daniel Freund beim Schwimmen. Bereits im alten Damm ertranken einige Kaisertaler (Friedrich Kirchmeier, Linder und andere). Nikolai Föll ertrank 1905 im Alter von neun Jahren, im selben Jahr, in dem sein Bruder von einem Dreschstein erschlagen wurde. Eine Tochter Ludwig Märtins, Rosine, ertrank zweijährig1880 in einem Fass. Ein Sohn von Karl Beck, Johann, fiel 1874 einjährig in einen Brunnen und ertrank. Die Jungfrau Margaretha Beck wurde aus Unachtsamkeit von einem Jugendlichen erschossen (Mischlinsky). Beim Holztransport aus Akimowka kam Heinrich Fröscher, Sohn von Martin Fröscher, ums Leben. Frau Schwitzgäbel starb an Tollwut.
Im Jahr 1887 gab es eine derart schlechte Ernte, die Hungersnot groß, allein in der Gemeinde Eugenfeld wurden 167 Menschen bestattet, was etwa 50 % über der Norm lag, in Kaisertal starben 14 Kinder, als Folge der Schwäche, an Diphtherie, in einigen anderen Gemeinden sogar noch mehr. Daher wurde die Grünbrache1 eingeführt, um den Boden in der Fruchtfolge zu entlasten und zu verbessern, 1888 konnte man erstmals eine überdurchschnittliche Ernte von 12-16 Tschetw. pro Dessjatine einfahren, in den 1890er Jahren folgte der Einsatz von Schwarzbrachen2. Als die Dreschmaschine, der Bündelbinder (Garbenbinder), Naphta-Motoren und Federzugwagen in den Dienst des Bauern gestellt wurden, stiegen nicht nur die Erträge, leider auch die Preise für Ackerflächen, weshalb man begann, außerhalb der örtlichen Gemeinschaft Land anzukaufen. Johann Fischer war der erste Kaisertaler Siedler, der bereits 1859 Außengrundstücke erwarb in Ebenfeld, nahe des Bahnhofs Rykowe im Kreis Melitopol. So wurde er ein Mann von beträchtlichem Vermögen und seine Söhne und Enkel Großgrundbesitzer.
Im Spätherbst 1893 erhielt die Kirchengemeinde die Genehmigung zum Bau einer Pfarrkirche, die Einweihungsfeier der Kirche fand am 12. April 1895 statt.
Wie in den Anfängen der Errichtung der Gemeinde befürchtet, kam es in Kaisertal zu zahlreichen Überschwemmungen. Die größte ereignete sich am 24. Mai 1897, verursacht durch einen Wolkenbruch. Dadurch stürzten acht Häuser völlig ein und elf weitere wurden baulich so beschädigt, dass sie durch neue ersetzt werden mussten. Für die Geschädigten wurde am 13. Juni im Rahmen der Einweihung der neu erbauten Pfarrkirche auf Betreiben des damaligen Bezirksarztes eine Kollekte in Höhe von 90 Rubel gesammelt.
Am 27. September 1898 wurde der Kaisertaler Leseverein mit 20 Mitgliedern gegründet, wodurch eine kleine Bibliothek mit 521 gebundenen Exemplaren entstand und es wurden neue Lehrer angestellt, daher unterrichteten 1899 drei Lehrer.
Im Jahr 1900 wurde die örtliche Konsumgenossenschaft „Soglasstje“ gegründet, sie eröffnete den Bau des großen Lagers und Wohnhauses für die Mitarbeiter am 4. August 1910. Den größten Verlust erlitt die Genossenschaft durch den Tod des Mitarbeiters Friedrich Mann, bei dem die Genossenschaft aus Kulanzverpflichtung seiner Familie 1.500 Rubel zahlte. Alle Mitarbeiter waren deutsche Staatsangehörige, das heißt die drei Geschäftsführer, fünf Buchhalter, 12 Verkäufer und Auszubildende, drei Hilfskräfte. Zwei Personen starben bis 1913 während ihrer Arbeit in der Genossenschaft.
1903 entstand ein Jugendverein, aus dem 1906 die Blaskapelle mit 16 Blechblasinstrumenten hervorging mit über 1.000 Rubel Vereinskapital.
Im November 1904 wurden für den Russisch-Japanischen Krieg die Heeresreserven einberufen und natürlich auch die Unteroffiziere der Infanterie. Jedes Dorf musste zulassen, dass einige seiner Bewohner eingezogen wurden, von denen die meisten verheiratete und unabhängige Bauern waren. Aus Kaisertal: Karl Burghardt, Friedrich Lörke, Jakob Ullrich, Friedrich Föll, Friedrich Breit, Christian Ullrich, Johann Polle, Heinrich Lörke, Friedrich Propst, Friedrich Beck, Jakob A. Propst, Philipp Propst, Jakob F. Propst . Außer den beiden Jakob Propst sah niemand einen aktiven Kampf. Einige von ihnen erlebten jedoch in verschiedenen Städten den ganzen Schrecken der Revolution.
1905 wurde das bestehende Schulhaus in ein geeignetes Gebäude mit drei Räumen umgewandelt: das Klassenzimmer, ein Zimmer für den Lehrer und ein Korridor für die Schüler, nun gab es Platz für 160 Schüler. Im selben Jahr wurden einstimmig 100 Rubel für Unterrichtsmaterialien bereitgestellt und eine deutsche Schulbibliothek gegründet
Bald darauf wurde ein extra Wohnhaus für den Lehrer mit Studentenwohnheim gebaut. Verantwortlich für den Bau dieses Gebäudes waren die Kaisertaler Siedler Philipp Kirchmeier, Johann Fust und Johann Lutscher. Viele Mitglieder der Kaisertalgemeinde waren Mitglieder der Eugenfelder Schulgesellschaft. Aus diesem Verein entstand 1907 eine Landwirtschaftsschule, an der Kaisertal maßgeblich beteiligt war, so spendeten etwa 15 Personen an die 20 Dessj. Grundstücke, Ehren- und Lebensmitgliedschaften wurden gezeichnet, über 800 Wagenladungen Baumaterial wurden unentgeltlich zur Verfügung gestellt und darüber hinaus wurde mit Hilfsgütern aller Art und Weise unterstützt, Mitglieder übernahmen die Führung beim Materialtransport, bei der Bauleitung, der Ressourcenbeschaffung usw.
Eine Reihe von sehr armen Familien wanderten 1906 und 1907 nach Sibirien aus. Sie erlebten auch dort viele Misserfolge, daher gab es zahlreiche private und kirchliche Spendensammlungen, um sie zu unterstützen.
Zum 75. Jahr der Gründung der Gemeinde wurde 1907 eine kostenlose, beheizten Unterkunft mit Stall für Reisende geschaffen. Es besuchen drei Jugendliche die Hochschule, zwei in Theologie: J. Föll in Dorpat und G. Breit in Basel; G. Weber am Riga Polytech. In der Mittelschule und speziell in den oberen Klassen gab es sechs junge Männer; in Zentral- und Landwirtschaftsschulen 10 Schüler. Der erste Kaisertaler Kolonist und zugleich der erste aus dem Kreis Eugenfeld, der das Gymnasium abschloss, war Jakob Jak. Bischler. Augustine Renner war die erste weibliche Schülerin, die in der Mädchenschule eingeschrieben wurde, da die Bildung von Frauen im Allgemeinen wenig Interesse fand.
1913 lebten in Kaisertal in 66 Häusern 100 Familien mit insgesamt 585 Seelen. 55 Familien waren in der Landwirtschaft tätig, 13 Familien waren Handwerker. Die Gemeinde hatte einen Viehbestand von 535 Pferden, 220 Kühen, 28 Hornrindern und 290 Schweinen.