Zur Erinnerung an unsere Vorfahren, die als Migranten aus Süddeutschland in die Welt zogen

Kategorie: Pfarrer (Seite 1 von 2)

Pastor Johannes Heinrich Lhotzky

Heinrich Lhotzky als junger Mann (ca. 1880)1

Pastor Dr. phil. Johannes Heinrich Lhotzky2 wurde am 21. April 1859 in Claußnitz bei Burgstädt (Sachsen) geboren und starb am 24. November 1930 in Ludwigshafen am Bodensee.

Sein Vater Eduard Heinrich Julius (1.7.1816 Waldenburg –27.11.1862 Claußnitz)3 war ebenfalls Pfarrer und Sohn eines Kupferschmiedes aus Böhmen, seine Mutter Hephzibah Winkles aus London, hatte mit ihm fünf Kinder.

Leipziger Zeitung : Amtsblatt des Königlichen Landgerichts und des Königlichen Amtsgerichts Leipzig sowie der Königlichen Amtshauptmannschaft Leipzig. 1856,7/9 p.4400

Seine Ausbildung genoss er 1858 in der Herrnhuter Erziehungsanstalt Niesky, wechselte 1860 an die Gymnasien in Bautzen und Dresden, eher er 1878 ein Studium der klassischen Philologie, dann der Theologie und Assyriologie an der Universität Leipzig aufnahm. In dieser Zeit verstarb sein Vater und seine Mutter heiratete erneut, ebenfalls einen Pfarrer (in Lausa), welcher acht Kinder hatte.

Im Jahre 1881 wurde er Lehrer auf einem Gut bei Dorpat, nach seiner Beschreibung ein einsames Gut von zwei Quadratmeilen Größe, die einzigen deutsch sprechenden Menschen waren die Hauseltern und ihre Kinder. Alle andern sprachen estnisch.4 Bereits 1882 nahm er sein Studium in Leipzig wieder auf, ehe er nach Berlin wechselte.

In den Jahren 1883 und 1884 folgte der Militärdienst im Leipziger Infanterieregiment Nr. 107, seine Promotion zum Dr. phil. bei Friedrich Delitzsch in Leipzig (Die Annalen Asurnazirpals, 884–860 vor Christus, nach der Ausgabe des Londoner Inschriftenwerkes umschrieben, übersetzt und erklärt) folgte 1885.

Zunächst als Lehrer und Prediger nach Bessarabien berufen (1886), wirkte er in Strembeni, Oneschti und Kischinew, ehe er 1890 Lehrer und Prediger auf der Krim wurde. Seinen Wechsel begründete er mit dem Eindruck, seine Freundschaft zu dem jüdisch-christlichen Missionar Joseph Rabinowitsch mißfiel der Gemeinde.

Joseph Rabinowitz/Rabinowitsch (Bild gemeinfrei)

Ich hätte gern länger dort gearbeitet unter unseren Aermsten und Verlassensten und wußte, daß nach mir sich niemand ihrer so annehmen würde, daß er unter ihnen wohnte und ihre Arbeit und Armut teilte. Allein eine peinliche Naturanlage verhinderte ein längeres Verweilen. Ich war zwar weit draußen in der Steppe, war aber doch der Angestellte meines Seniors. Die Natur hat mir aber leider versagt, Untergebener und Angestellter zu sein, und solche Leute können Vorgesetzte, namentlich wenn sie von ihrer Würde tief durchdrungen sind, schwer vertragen. Ich glaube, meine Freundschaft zu Rabinowitsch mißfiel auch auf die Dauer. Es gab allerhand heimliche christliche Nadelstiche in der bekannten herzlichen christlichen Liebe. So wurde mein Bleiben nach etlichen Jahren abgekürzt, und ich war froh, daß ich in der Krim ein ganz unabhängiges Amt überkam. Ich schied von meinen Kolonisten ungern, ging aber gern in ein neues, überaus freies und schönes Arbeitsfeld.

Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken
Heinrich Lhotzky, ‎ Selbstverlag 1925

Lhotzky heiratete am 3. Januar 1888 in Kischinew Berta Emilie Bauer (24.09.1866 St. Petersburg 5– 20.05.1950 Überlingen6), Tochter des russischen Staatsrats Albert Heinrich Bauer und seiner Ehefrau Natalie Catharina geborene Siebert.

Trauung Kirchenbuch Kischinew 1888

Seine bessarabischen Erlebnisse verarbeitete er in dem Roman Immanuel Müller, ein Roman aus der bessarabischen Steppe. Haus Lhotzky Verlag Ludwigshafen am Bodensee. 1912

Ich hatte langst die eigentliche Not des Kischinewer Kirchspiels durchschaut. Das umfaßte alle deutschen Kolonisten ganz Beßarabiens mit Ausnahme des Akkermaner Kreises. Dieses ungeheure Gebiet, zu dem im letzten Türkenkriege noch alles Land bis zum Pruth gekommen war, mußte auf Deutsche abgesucht und bereist werden. Also hatte ich den Vorschlag gemacht, selbst weit draußen mit zu siedeln und von einem größeren Pachtgute aus, das ich selbst betrieb, als Bauer und Pastor, die deutschen Siedler zu betreuen.

Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken
Heinrich Lhotzky, ‎ Selbstverlag 1925

Eintragungen im Kirchenbuch Kischinew 1887 zu Trauungen des Pastors Dr. H. Lhotzky in Kischinew und Strembeni

Ich hatte in der Krim ein Gebiet zu verwalten so groß wie das halbe Königreich Sachsen – möge die Heimat mir verzeihen, ich wollte natürlich sagen, wie der halbe Volksstaat Sachsen. Auf diesem Gebiete hatte ich mehr als 30 Predigtorte zu bedienen, was mit Wagen oder Dampfer geschah. Mein Konsistorium lebte 2000 Kilometer entfernt in Petersburg, und es war eine Freiheit, wie sie selten Menschen zuteil wird.

Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken
Heinrich Lhotzky, ‎ Selbstverlag 1925
Hochzeitstafel des Paares Kludt/Baumann im Garten des Pastor Lhotzky (x) 1899 in Prischib7

In der Krim herrschte ein prachtvolles Verhältnis zwischen den Gemeinden und ihren Pfarrern. Es gab natürlich zuweilen Zusammenstöße, wie sie in jeder Ehe vorkommen und überall zwischen Hirt und Herde, aber schließlich gewann doch immer das Ansehen des Heilswahrers den befriedigenden Ausgleich.
Ich führte mich damals ein mit den Worten des Apostels: »Gott hat uns nicht zu Herren über euer» Glauben gesetzt, sondern zu Genossen eurer Freude.«
Dieses Wort des Paulus schwebte mir seit Jahren vor als kennzeichnend für die Stellung eines geistlichen Hirten. So haben wir auch gelebt. Nur habe ich unausgesetzt versucht, ihre höchste Freude, den Weizen, auf eine etwas höhere Stufe zu heben. Auf die Höhe, von der der Apostel redet. Es gelang nicht immer, aber doch zuweilen. Wo es nicht gelungen ist, hat der Weltkrieg seine bitterböse Predigt gehalten, und der ist durchgedrungen.
Ein kleines Erlebnis darf ich wohl anführen, weil es unsere Krimmer Bauern kennzeichnet. Ich hatte kurz vor meinem Weggang einmal an einer Hochzeitstafel eine etwas freiere Bemerkung gemacht, als sie sonst im heiligen Rußland üblich war. Da stand der reichste Bauer auf und sagte: Wäre ich der Kaiser von Rußland, so würde ich bestimmen, daß Sie auf der Stelle Rußland zu verlassen hätten. Ich antwortete, das werde auch ohne das geschehen, und die Sache schien erledigt zu sein. Zehn Jahre nach diesem Worte stand der Bauer in meinem Hause am Bodensee. Er sei in Karlsbad gewesen zur Kur und habe die Gelegenheit benützen wollen, seinen alten Pfarrer wieder zu sehen. Er war also mein sehr willkommener Gast. Da sagte er: Eigentlich führt mich etwas anderes her. Sie erinnern sich vielleicht meiner Aeußerung bei unserem letzten Beisammensein. Ich mußte herkommen, Sie deshalb um Verzeihung zu bitten, daß wir ganz einig sind, ehe ich sterbe. Er wird wohl den schweren Krieg nicht überlebt haben. Gott segne ihn und alle
unsere armen Volksgenossen in der Ferne.
In Beßarabien war’s ja anders. Dort regierte der Sekteneigensinn mehr als der Weizen. Aber das schadet auch nichts. Unter allem Sektierertum schlummert und pulst ein ehrliches ernstes Wollen. Wenn das nicht immer die rechten Formen findet, muß man damit Geduld haben. Dazu ist gerade der Pfarrer in seiner priesterlichen Stellung da, die Güte des Vaters über Gerechte und Ungerechte und Sonnenschein und Regen über Böse und Gute gleichmäßig walten zu lassen. Er wird auch niemals gefragt werden nach seinen Erfolgen, sondern nur nach seiner Haltung, ob man des Vaters Geist an diesem geistlichen Vater gespürt habe.
Nein, wer ein Pfarramt ohne ganz zwingende Gründe aufgibt, den verstehe ich nicht. Ich mußte es tun ohne irgend welche äußere Nötigung. Die Leute haben sich zwar den Kopf darüber zerbrochen und mir allerlei heimliche Schande und Laster nachgesagt, besonders die lieben Amtsbrüder, es war auch damals eine Denunziation im Gange, aber sie war längst im Sande verlaufen, als ich meinen Entschluß ausführen mußte. Eines wußte ich freilich dumpf und lastend, es würde ein sehr schweres Unglück über Rußland kommen. Ich wäre dem aber nicht ausgewichen. Ich glaubte später, es sei der japanische Krieg.
Aber der berührte unsere Siedlungen ja gar nicht. Daß es dieses maßlose Entsetzen des Weltkrieges war, ist mir erst später deutlich geworden. Ja unsere Feinde haben mehr gelitten als wir und denen, die heute über ihren Lügensieg frohlocken, ist auch schon die Axt an die Wurzel gelegt. Deutschland hat ja den Krieg verloren, aber die anderen werden den Sieg verlieren, soweit es nicht schon geschehen ist

Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken
Heinrich Lhotzky, ‎ Selbstverlag 1925
Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst, Band 4 Nr. 3 März 1899

Dem Paar waren acht Kinder beschieden, Robert *1888, Bruno Johannes (1890–1917), Friedrich Christoph (1891–1916), Martha *1892, Josef *1894, Annamarie *1900, Eva Georgine *1902 und Heinrich *1904.8

Robert Lhotzky, geb. 21.12.1888 Oneschti9

Bruno Johannes Lhotzky, geb. 2. August 1890 in Oneschti. Gefallen am 30.11.1917 bei Frasnoy, Frankreich10

Friedrich Christoph Lhotzky, geb. 24. Oktober 1891 in Zürichtal, gefallen am 19. oder 20. Juli 1916 bei Aubers, Frankreich.11

Josef Lhotzky, geb. 8. Juli 1894 in Zürichtal12

Eva Georgine Lhotzky, geb. am 21. Juni 1902 in Berlin-Grunewald13

Ab 1902 wieder in Deutschland, nahm er eine Tätigkeit als Mitarbeiter Johannes Müllers (1846–1949) für die Blätter zur Pflege des persönlichen Lebens auf Schloss Mainburg an und arbeitete 1904 bis 1911 als freier Schriftsteller in Pasing. Zudem war er Herausgeber der Zeitschrift „Leben“. In dieser Zeit siedelte er nach Ludwigshafen am Bodensee über (1910), wo er bis zu seinem Lebensende 1930 blieb.

Er schrieb neben seinen Predigten eine Reihe von Aufsätzen, Zeitungsartikeln und eine größere Anzahl Bücher, wie Die Seele deines Kindes 1908 und Das Buch der Ehe, 1911, beides im Verlag Langewiesche veröffentlicht, später im Eigenverlag Haus Lhotzky.

Stockacher Tagblatt, Jg. 1922 (62)

Haus Lhotzky auf einer alten Ansichtskarte, heute ist dort eine evangelische Jugendbildungsstätte.

Seine Witwe Berta konnte das Haus nach seinem Tod allein nicht unterhalten, so wurde es verkauft. Auch der Verlag erfuhr Veränderungen.

Stockacher Tagblatt, Jg. 1933 (73)

Sie lebte noch einige Jahre in Konstanz, Taborweg 10, ehe sie in am 20. Mai 1950 in Überlingen starb und am 24. Mai beigesetzt wurde.


  1. Heinrich Lhotzky als junger Mann (ca. 1880), FranzTW – Eigenes Werk, 3.11.2016, CC BY-SA 4.0 ↩︎
  2. Ruhbach, Gerhard, „Lhotzky, Heinrich“ in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 440-441 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd116980176.html#ndbcontent ↩︎
  3. https://pfarrerbuch.de/sachsen/person/1110885323 ↩︎
  4. Der Planet und ich, Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken, Lhotzky, Selbstverlag 1925 ↩︎
  5. Erik Amburger Datenbank ID 96055 ↩︎
  6. „Deutschland, ausgewählte evangelische Kirchenbücher 1500-1971,“ database, FamilySearch (https://www.familysearch.org/ark:/61903/1:1:QP6H-18F1 : 9 March 2023), Berta Emilie Lhotzky, 24 May 1950; images digitized and records extracted by Ancestry; citing Burial, Überlingen, Bezirksamt Überlingen, Kreis Konstanz, Großherzogtum Baden, Deutsches Reich, , German Lutheran Collection, various parishes, Germany. ↩︎
  7. Foto der Hochzeitstafel S. 111 in: Heimatkalender der Russlanddeutschen 1959 ↩︎
  8. „Der Degener“ Wer ist’s?, Leipzig 1911, Band 5, p. 855 ↩︎
  9. bayerisches Reserve-Fußartillerie-Regiment Nr. 1 (München-Neu-Ulm)
    15222 Kriegsrangliste Bd 1 ↩︎
  10. Bayerisches Infanterie-Regiment (Lindau/Bayern) I Ersatz-Bataillon,
    07179-Kriegsrangliste ↩︎
  11. Bayerisches Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 17 (Augsburg), 03094 Kriegsrangliste Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 17 Bd. 1 ↩︎
  12. bayerisches Reserve-Fußartillerie-Regiment Nr. 1 (München-Neu-Ulm)
    15222 Kriegsrangliste Bd 1 ↩︎
  13. Berlin Grunewald, Standesamt Geburten Erstregister 1901 Nr. 32/1902 ↩︎

Der alte Kludt

aus der Geschichte der Kolonie Töplitz in Bessarabien.1

Geordnete Verhältnisse traten für die Töplitzer Schule erst mit der Anstellung August Kludts im Jahre 1836 als Lehrer ein. Da der „alte Kludt“ sehr lange im Dienste der Töplitzer Gemeinde stand und großen Einfluß auf das Schulleben ausübte, sei hier sein Lebenslauf etwas ausführlicher behandelt. Johann August Kludt war der Sohn des IX. Malojaroslawetzer Ansiedlers Wilhelm Kludt 2 und wurde am 1. Juli 1811 bei der Durchreise seiner Eltern durch Polen in Lusche bei der Stadt Dombie geboren. Da Kludts Eltern sich meistens auf der Wanderschaft befanden, waren die Kinderjahre des August sehr arm an Freuden. In Bessarabien angekommen, fand Kludts Vater bei dem Mausirer Fürsten eine Anstellung als Gärtner. Nachdem er mehreremal seine Anstellungen gewechselt hatte, ließ er sich endlich im II. Malojaroslawetz nieder. Der junge August erhielt seine Ausbildung meistens bei seinem Vater. Im Alter von 17 Jahren ging er nach Deutschland, um sich als Missionar ausbilden zu lassen, kehrte aber nach 8 Monaten wieder zurück, um seinen Vater, der unterdessen die Küsterstelle in Töplitz übernommen hatte, zu unterstützen. Von 1835-36 vervollständigte er seine Bildung unter der Leitung des Lehrers Utz aus Großliebental, wo er das Amt des Provisors bekleidete, und legte in der evangelisch-lutherischen Synode zu Odessa seine Lehrprüfung ab. Am 1. Mai 1836 wurde August Kludt von Probst Graubaum an der Töplitzer Schule angestellt. Am 4. Juni 1836 trat er in die Ehe mit der Gnadentaler Ansiedlerin Eva Katharina, geb. Hägele (gebürtig aus Hahnweiler, Württemberg), über den Einfluß der Studienzeit auf die Charakterbildung Kludts schreibt Johs. Kämmler Folgendes: „Sein kurzer Aufenthalt in Deutschland hatte jedoch für den Jüngling eine weittragende Bedeutung und wir sehen bei seiner Rückkehr, daß der junge Mensch seine Zeit nicht vergeudet hat, sondern wohl ausgenützt, denn er kam zurück, ausgerüstet mit vielen schönen Kenntnissen für die damalige Zeit. Natürlich kam ihm bei solch schnellem Reifen sein feuriger, von Wissensdurst getriebener, nach Wahrheit suchender Jünglingsgeist zu statten, überhaupt hatte die kurze Zeit, in welcher der Jüngling Gelegenheit hatte, in Deutschland sich um die dortigen Schulen und in anderen Kreisen umzusehen, einen großen Einfluß auf die Bildung des Charakters des jungen Kludt und manche Eindrücke haben sich in seinem Geiste befruchtend fortgesetzt, die später in seinem Amtsleben manch schöne Frucht zur Reife brachten, so ist er auch auf seiner Reise in die „Herrnhuter Brüdergemeinde“ gekommen und hat deren Leben, Liebe und Glauben durch einen kleinen Aufenthalt dort

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kennen gelernt. Dasselbe machte auf den lebhaften Geist des Jünglings solch tiefen Eindruck, daß er nach kurzer Zeit als einer der Ihrigen schied und nie, bis heute noch von den Hauptprinzipien dieser Gemeinschaft abgekommen ist, sondern im Gegenteil, auch in dieser Hinsicht in der Gemeinde fruchtbringend wirkte, besonders auch an Kranken- und Sterbebetten mit seinem trostreichen aus kindlichem Glauben fließenden Zuspruch, wie solches bei vielen ja heute noch in guter Erinnerung lebt,“ August Kludt war an der Töplitzer Schule 43 Jahre lang tätig. Ältere Leute können sich seiner noch lebhaft erinnern. Johs. Kämmler würdigt das Andenken des alten Schulmeisters in folgenden schönen Worten: „In unserem Gedächtnis taucht eine schöne, hehre, Liebe erweckende Mannesgestalt auf: Es ist der „alte Kludt“, wie wir ihn heute bezeichnen. Was und wieviel mit diesen beiden Worten ausgesprochen ist, können natürlich nur wir älteren Männer in der Gemeinde wissen. Das junge Geschlecht hat ja wohl auch manches gehört von ihm, vielleicht übertrieben und entstellt, indessen auch die Eindrücke und Vorstellungen von demselben verschiedenartig sich ausgebildet haben. Aber uns Älteren, die wir sozusagen unter seiner Hand aufgewachsen sind, schwebt sein edler Charakter, der für alles Schöne und Edle so empfänglich war, noch voll und deutlich vor der Seele“. Der alte Kludt hat es sich bei seiner großen Kinderschar oft recht sauer werden lassen. Bis 1864 mußte er allein unterrichten, was bei einer Schülerzahl von 100 und darüber eine nicht zu verachtende Leistung war. Es ging in der Schule oft bunt zu. Da der Schulmeister mit dem Abfragen nicht herumkam, stellte er sich bessere Schüler als Gehilfen an (Dieses Verfahren wurde übrigens auch von den Geistlichen empfohlen. Die Gehilfen des Lehrers wurden „Monitore“ genannt). Diese mußten die Schüler die Aufgaben hersagen lassen und die Nichtskönner dem Lehrer angeben. Da fielen dann die Schläge manchmal hageldicht. Doch nicht immer waren die aus der Mitte der Schüler ernannten Aufseher zuverlässig. Eine Handvoll geplatztes Welschkorn, ein Stückchen Süßholz oder sonst irgend ein Leckerbissen genügte, um dieselben zur Nachsicht zu bewegen, welchen Umstand natürlich manche Faulpelze fleissig ausnützten. Kam jedoch eine solche Vertuschung der Tatsachen ans Tageslicht, so hatte der Aufseher das Zusehen. Er wurde sofort von seinem Amt abgesetzt, und durfte mit des Schulmeisters Hand, die Übrigens von gewaltiger Größe gewesen sein soll, sehr nahe Bekanntschaft machen. Für faule Schüler hatte der alte Kludt eine ganze Auswahl von Strafen. Konnten sie ihre Lektion nicht, so mußten sie entweder knien oder bekamen Tatzen, je nachdem der Schulmeister in der Laune war. Ein von ihm geliebtes Verfahren war, den Schüler mit den Worten „Groß und faul gibt auch ein Gaul“ an den Ohren bis an das Katheder zu ziehen. Verspätete sich ein Schüler, so wurde er gewöhnlich mit den Worten „Komm i net heut, so komm i morga“, oder „Eine gut

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Ausred ist drei Batzen wert“ empfangen. Da bei der großen Schülerzahl immer viele ohne Beschäftigung waren, verübten die Kinder aus Langeweile verschiedene harmlose Streiche, deren Entdeckung von dem Schulmeister gewöhnlich ein böses Nachspiel mit sich brachte. Während den Pausen herrschte eiserne Strenge. Ballspielen und Schreien wurden nicht geduldet. Wehe dem Schüler der beim Schlittschuhlaufen auf dem Eise ertappt wurde. Der bekam gewöhnlich Hiebe im Überfluß, gepfeffert mit verschiedenen Moralsprüchen, wie z.B. „Gehorsam ist besser denn Opfer“ und dergl. Bei aller Strenge war der alte Schulmeister doch auch sehr gutmütiges kam oft vor, daß er den gezüchtigten Kindern hernach in seiner Wohnung Honigbrot gab. Da das Schuljahr damals etwa vom 1. Oktober bis 1. April dauerte, konnte sich der alte Kludt während der langen Sommerferien allemal von den Strapazen der Schule gründlich erholen. Das Gehalt des alten Schulmeisters war verhältnismäßig gut, hauptsächlich was die Naturalien anbelangt. Im Jahre 1838 bekam er z.B.230 Rubel Assignation, „Kisik“ (Mist zum Brennen) und 160 Kapizen Heu, im Jahre 1844 360 Rubel, 5 Faden Kisik, 20 Fuhren Heu und 12 1/2 Tschw. Weizen. Auch fehlte es nicht an verschiedenen Anerkennungen seitens der Gemeinde und der Schulobrigkeit. Im Jahre 1863 schenkte ihm die Gemeinde für seine getreue Arbeit in der Schule 23 Rubel. Pastor Hastig schreibt gelegentlich einer Inspektion der Schule im Jahre 1839 über Kludt: „Ist ein sehr brauchbarer und christlicher Schullehrer „Pastor Breitenbach im Jahre 1841: „Besitzt vorzügliche Fähigkeiten, ist fleißig und treu in der Führung seines Amtes und macht durch seinen gottseligen Lebenswandel demselben Ehre“. Am 3. Sepber 1847 bekam er eine Belobigungszeugnis von Generalsuperintendent Flittner unter N.524 und am 23. November vom Generalsuperintendenten Richter unter N. 135. Bei den Pastoren war der alte Schulmeister auch sehr beliebt.
Feindselige Gefühle hegten gegen ihn nur Pastor Knauer, weil er während des Streites um die „Goßner’sche Richtung“ auf der Seite der Gemeinde stand, und Pastor von Lösch (P. Lösch kam ein paar Jahre später ins Irrenhaus), weil er wenig Fähigkeiten und scheinbar auch Sympathien für die russische Sprache besaß. Als Kludt älter wurde, begann sich das harmonische Verhältnis, das zwischen ihm und der Gemeinde bestand, etwas zu trüben. Einige Gemeindeglieder waren mit seinen Leistungen, die wegen des hohen Alters nicht mehr gut sein konnten, nicht zufrieden; andere wieder konnten es ihm nicht verzeihen, daß er zu den Stundenbrüdern hielt. Die Unzufriedenheit nahm noch mehr zu, als Pastor von Lösch unter der Gemeinde heftig gegen den alten Schulmeister zu agitieren begann. Zur Lösung der aktuell gewordenen Schulmeisterfrage wurde im Jahre 1879 eine Gemeindeversammlung einberufen. Auf derselben machten
einige Männer den Vorschlag, dem alten Kludt aus Gemeindemitteln ein Häuschen zu bauen und ihm für seinen langjährigen und treuen Dienst bis zum Tode eine Pension („Das Ausgeding“) zu geben. Dieser Vorschlag rief unter Kludts Gegnern ein großes Geschrei hervor und sie ruhten nicht, bis sie die

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Gemeinde umgestimmt hatten. Es wurde der Beschluß gefaßt, den alten Kludt
zu entlassen und einen anderen Lehrer zu mieten. Wie sehr dieses Vorgehen
der Gemeinde den alten Mann kränkte, geht aus einem an die Gemeinde gerichteten Schreiben hervor, das folgenden Inhalt hatte: “Der werten Gemeinde zu Töplitz. Indem ich, liebe Gemeinde, bei Euch durch Gottes Gnade alt und grau geworden bin in Eurem Kirchendienste und in dieser langen Zeit mit Euch Freud und Leid geteilt habe und zu jeder Zeit bereit und willig war, in jeder Beziehung ohne Eigennutz Euch zu dienen, so viel nur in meinem Vermögen war, nun aber aus Altersschwäche nicht dienen kann, daher ich schon im vergangenen Jahr 1877 um Entlassung bitten wollte, aber dringendes Bitten und Anhalten veranlaßten mich, noch ein Jahr zu bleiben. Da sich aber unsere Verhältnisse seitdem, sowohl in Kirche wie Gemeinde verändert haben, und unser Herr Pastor (Lösch, der verrückt gewordene) mich neulich bei öffentlichem Gemeinde als einen Mann bezeichnete, der ihm nicht willfährig ist, gegen den russischen Unterricht ist und sogar behauptet, die Gemeinde selbst sei gegen das Russische und der Verstoß mit mir ihn veranlasse, sogar unsere Schule nicht zu besuchen, was mir unerträglich ist. Dazu kommt noch, daß einige Männer unserer Gemeinde bei der neulichen Gemeindeversammlung mich auf das schmählichste verunglimpft haben, das macht mir unmöglich, meine Stellung als Schullehrer so noch länger zu behalten. Ich bin daher entschlossen, das Schulhaus gleich zu räumen und mein Amt niederzulegen, denn wie kann ein Mann der Gemeinde noch Gottesdienst halten, der seine eigenen Kinder nicht liebt und vertreibt und mit Lug und Trug umgeht und den sein eigener Pastor als seinen Gegner ansieht. Ich bitte also um Eure gefällige Entlassung. Ich will kein Leibgedinge weder von Euch noch vom Herrn Pastor.
Ich danke recht herzlich für Euer bisheriges Vertrauen, Liebe und Teilnahme zu mir, was der liebe Gott Euch und Euren Kindern reichlich belohnen wolle.
Euer Euch treuer unvergeßlich liebender alter Schullehrer
August Kludt. „
Töplitz, den 3. Januar 1879.

So mußte der alte Schulmeister an seinem Lebensabend recht bitter den Undank der Gemeinde fühlen. Kämmler schreibt in seinem Tagebuch: „Unser alter Kludt ist schimpflich Fortkommen aus Töplitz, das bleibt feste Wahrheit

zur S c h a n d e f ü r T ö p l i t z.“

Nach einiger Zeit scheint bei der Töplitzer Gemeinde doch die Stimme des Gewissens aufgewacht zu sein und sie versuchte, das begangene Unrecht gut zu machen. Am 31.März 1879 beschloß sie, dem Lehrer August Kludt, weil er während seiner Dienstzeit in dem ihm zugeteilten Garten viel Obstbäume und Weinstöcke (im Jahre 1881 kaufte die Gemeinde zur Nutznießung für den Küster den Weinberg der verstorbenen Elisabeth Eckstein für 60 Rubel 30 3/7 Kop.) angepflanzt hatte, 190 Rubel zu schenken. Der alte Kludt zog im Jahre 1879 ins Chersonsche Burg (Neudorf?) zu seinem Sohn Benjamin Kludt, woselbst er ein halb Jahr

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blieb und hernach zu seinem Sohn Samuel Kludt nach Friedensfeld übersiedelte. Der alte Schulmeister war reichlich mit Kindern gesegnet. Er hatte
9 Söhne und 4 Töchter:
Johannes, geb.1837, Gebietsschreiber in Gnadenfeld,
Samuel, geb. 1840, Großbauer in Friedesfeld bei Sarata, Bess.,
August, geb. 1841, Baptistenprediger in Amerika,
Heinrich, geb.1846, Küster und Lehrer, Großliebental,
Benjamin, geb. 1850, Küster und Lehrer in Neudorf,
Wilhelm, geb. 1852,
Gotthilf, geb. 1860,
Karl, geb. 1861, Lehrer an der Zentralschule zu Freudental,
Woldemar, geb. 1863, Küster, Lehrer und Organist in Grunau, nachher
Buchhalter in Berdjansc,
Sophie, geb. 1843,
Maria, geb. 1853,
Johanna, geb. 1855,
Karoline, geb. 1858.
Er starb am 12. April 1897 im Alter von 85 Jahren, 10 Monaten und 12 Tagen
und wurde auf dem Kirchhof zu Friedensfeld begraben. Kludts Nachfolger
war David Dieno, der das Küsteramt von 1880-93 versah. 1896 starb er im
Hospital zu Gnadenfeld.

  1. Records of the National Socialist German Labor Party (NSDAP): National Archives Microcopy no. T-81 Roll 634 Frame 5434969-5436973
    Verfasser: Deutsches Ausland-Institut (Stuttgart) (Main Author) American Historical Association. Committee for the Study of War Documents (Added Author) Veröffentlichung: Washington, D.C.: American Historical Association. American Committee for the Study of War Documents ↩︎
  2. Anmerkung: hier irrt der Verfasser ↩︎

Pastor Martin Friedrich Schrenk

Martin Friedrich Schrenk1

Martin Friedrich Schrenk wurde als Sohn des Schneidermeisters Johannes Schrenk (1797–1848) und dessen Ehefrau Katharina geborene Breimaier (1807–1881) in Höfingen geboren.

Geburtseintrag im Kirchenbuch Höfingen 1833

Schrenk absolvierte die Baseler Missionsschule, ehe er in den Kaukasus entsandt wurde. Hier war er von 1862 bis 1877 in Elisabetthal (Assureti) und 1877–1880 in Katharinenfeld Pastor. Nach seiner Abberufung nahm er die Stelle des Pfarrers von Glückstal (1880–1892) und Großliebental (1904–1908) bei Odessa an.

Über seine Erfahrungen in Russland verfasste er verschiedene Bücher und Aufsätze.2

Verheiratet war er mit Auguste Sophie Denner aus Lauterburg. Sie war die Tochter des Pfarrers Johannes Denner (1806–1859) und dessen Ehefrau Sophie Friederika geborene Vögelin (*1813). Die Eheschließung fand am 4. Juni 1863 statt. Aus dieser Ehe sind Tochter Anna Marie Sophie (1864–1948) und Sohn Ernst (*1868) bekannt.

Geburt von Auguste Sophie Denner im Kirchenbuch Lauterburg 1806

Es sollten noch zwei Ehen folgen, Sophie Hofer aus Württemberg starb bereits am 3. November 1873, so ehelichte er Maria Gruner aus Esslingen am 28. November 1878. Auch diese Ehefrau sollte er überleben (†1892). Ihre gemeinsame Tochter Maria Lidia kam am 29. September 1881 in Glückstal zur Welt.

Seinen Lebensabend beendete Pastor Schrenk in Ditzingen am 22. November 1911 in Folge von Altersschwäche.

Sterbeeintrag im Kirchenbuch Ditzingen 1911

Auch Geschwister waren ausgewandert, so seine Schwester Katharina (1834–1904) verehelichte Seidenspinner, Maria Barbara (1839–1879), verheiratet mit Pastor Johann Jakob Stuber (1839–1906)3 und Carolina (1841–1882), verheiratet mit dem Käsereimeister Alexander Bieri.

Pastor Johann Jakob Stuber4

Von Anna Marie Sophie, der Tochter aus erster Ehe, ist uns ein bemerkenswertes Dokument erhalten geblieben. Sie war tätig als Pfarrfrau und Lehrerin, starb am 6. April 1948 unverehelicht in der Diakonissenanstalt Schwäbisch Hall an Altersschwäche.

In einem Rückblick berichtet sie vor allem über Erlebnisse innerhalb des ersten Weltkrieges in Russland.5

Es erlaubt uns auch, Einblick zu nehmen in den Lebensweg des Pfarrers Immanuel Winkler, der nicht nur in Russland tätig war, sondern auf dessen Initiative eine Ansiedlung der Russlanddeutschen in Tirpitz stattfand.

Meine Erlebnisse (im deutsch evangelischen Pfarrhaus) in Russland
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von Anna Schrenk, Korntal, Altersheim

Meine Erlebnisse erstrecken sich auf viele Jahre, denn unser lieber Vater war 45 Jahre als Pastor in Russland tätig, davon 19 Jahre in Transkaukasien, 22 Jahre im Odessaer Popstbezirk ind er Kolonie Glückstal und 4 Jahre noch als Hausgeistlicher in den Barmherzigskeitsanstalten es Herrn Probst Alber, da zur Führung des Amtes in dem grossen Kirchspiel die Kräfte nicht mehr ausgereicht hatten. Von dieser letzten Arbeitsstätte kehrte mein Vater als 75-jähriger müder und kranker Mann in die deutsche Heimat zurück, wo ich ihn noch 3 Jahre pflegen durfte, bis er im November 1911 eingehen durfte zur Ruhe des Volkes Gottes.

Nach seinem Tode ging ich im Frühjahr 1912 wieder nach Russland zurück, einem Ruf des jungen Pastors Winkler in der Kolonie Hoffnungstal im Odessaer Bezirk folgend. Da derselbe noch unverheiratet war und 2 jüngere Schwestern bei sich hatte, sollte ich im Pfarrhause Mutterstelle und in der Gemeinde die Pfarrfrau vertreten. Das hatte ich in meines Vaters Gemeinde schon Jahrelang getan, da unsere liebe Mutter schon im Jahre 1892 verstorben war.

Die ersten Jahre meines Aufenthaltes in Hoffnungstal vergingen in ruhiger, friedlicher Arbeit, wie ich das von früher her gewohnt war. Da kam 1914 der Weltkrieg und schuf eine ganz andere Lage. Mit ihm begann der Leidensweg der deutschen Kolonisten Russlands und somit auch des evang. Pfarrhauses. zunächst waren es hauptsächlich die Gemeinden und Pfarrhäuser im Westen

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und Süd-Westen des Reiches, die gefährdet waren, weil sie sehr bald in die Kriegszone zu liegen kamen. Wohl waren es nicht Bedrängnisse um des Glaubens willen, die man zu erdulden hatte, sondern um des Deutschtumswillen. Man sah plötzlich in den Deutschen, mit denen man vorher in Frieden und Eintracht gelebt hatte Feinde und Landesverräter. Zwar zogen die deutschen Söhne und auch viele Familienväter ihrem Fahneneid getreu ohne Murren in den Krieg, es ist mir auch kein Fall bekannt, dass einer Fahnenflüchtig oder zum Verräter geworden wäre. Aber sie zogen schweren Herzens hinaus, das kann ich bezeugen, ging es doch gegen deutsche Brüder, gegen das deutsche Mutterland, an dem die deutschen Kolonisten doch noch hingen, trotzdem sie es nicht kannten, – oder doch nur Einzelne von ihnen, – und trotzdem das deutsche Mutterland sich auch nie um seine nach Russland versprengten Söhne gekümmert hatte. So oft eine neue Einberufung stattfand, wurde ein Abschiedsgottesdienst mit Abendmahl abgehalten, und diese Gottesdienste waren immer sehr ergreifend. Mit der Zeit wurden sie aber verboten, wie ja später die deutsche Predigt überhaupt verboten wurde und die Pastoren sich damit halfen, dass sie passende Bibeltexte zusammenstellten und die dann verlasen. Dazwischen wurden dann immer wieder passende Verse gesungen. Auch diese Gottesdienste wurden gut besucht und brachten den besonderen Segen, dass man recht in die Bibel eingeführt wurde.

Doch in den beiden ersten Kriegsjahren bestand dieses Predigtverbot noch nicht, dagegen war es bei 3000,- Rubel (damals noch Rm. 6000,-) Strafe oder 3 Monate Gefängnis verboten auf der Strasse deutsch zu sprechen. Da wir geschlossene deutsche Siedlungen hatten, so konnte man durchkommen ohne diese Strafe, aber es kam öfter vor, dass der herumstreifende

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jemand ertappte beim Deutschsprechen, dann wurde ein Protokoll aufgenommen, von dem sich die Leute aber meist wieder loskaufen konnten durch Geld oder Lebensmittel. Ein Fall ist mir aber doch bekannt, wo einer der führenden Männer im Dorf, es unter seiner Würde hielt, sich loszukaufen und lieber ins Gefängnis ging.

Der junge Pastor W., bei dem ich war, wurde im Jahre 14/1915 als Feldgeistlicher einberufen, kam aber nach einem halben Jahr wieder zurück, weil er den Herren bei der Militärverwaltung seine deutsche Gesinnung nicht ganz verbergen konnte. Aber nicht ganz ein Jahr danach bekam er eines Nachts (das pflegte man immer nachts zu machen) den Ausweisungsbefehl wegen seiner „germanophilen Gesinnung“. Und nicht nur er, sondern auch alle unsere Hausgenossen: eine baltische Lehrerin, die bei uns in Pension gewesen, desgleichen die Gemeindeschwester und er Probejahrskandidat Merz, der im Hause gewesen war, sollten binnen 2 x 24 Stunden das Dorf verlassen und 100 Kilometer ostwärts ziehen, da ich in Deutschland erzogen und geschult worden war, blieb von dem Befehl ausgeschlossen. Es ist mir noch heute ein Wunder, wie Gott mich in der ganzen Kriegszeit beschützt hat in allen Gefahren, denen ich ausgesetzt war. „In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über mir Flügel gebreitet!“

Durch die Fürsprache eines hohen Beamten in Odessa, wurde aber für diesmal der Ausweisungsbefehl wieder zurückgenommen, jedoch einige Monate später nachdem Pastor W. kurz vorher geheiratet hatte, bekam er wieder den Ausweisungsbefehl und diesmal musste er fort und bald danach seine junge Frau auch. Sie hielten sich mit noch vielen andern, meist baltischen Pastoren

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im Osten der Stadt Saratow auf; Pastor W. durfte aber später nach Charkow übersiedeln.

Ich löste nun den Haushalt in Hoffnungstal auf und begab mich wieder nach Grossliebental, wo ich schon früher in den Anstalten gearbeitet hatte und wo Propst Alber mich erwartete.

Da fing nun die schwierigste Zeit für mich an. Es war im Sommer 1916 als ich dahin übersiedelte und Odessa mit Umgebung schon Grenzgebiet geworden. Immer lag Militär da, immer wurde man bewacht und beobachtet, auch das Predigtverbot kam in dieser Zeit. Propst Alber6, der selbst schon pensioniert war, aber immer noch amtierte, hatte ind er Zeit den jungen Pastor Koch als Amtsgehilfen bei sich, der dann auch sein Nachfolger wurde.

Am Weihnachtsabend 1916 kam ein ganzes Regiment Reservisten an die rumänische Front, durch Grossliebental. Die armen Menschen waren totmüde, viele liessen sich auf der aufgeweichten Strasse fallen, weil sie nicht mehr weiter konnten. In dieser Nacht war in allen Häusern Einquartierung, in manchen 50 bis 60 Mantt. Auch wie im Pfarrhaus hatten etliche Mann, Sibirier waren es. Oh wie leid taten mir diese Männer, die doch nur als Schlachtschafe dahingetrieben wurden.

Das war unser Weihnachten 1916. Im Februar darauf kam dann der Umsturz. Erst war man wie gelähmt als es hiess: „der Zar ist enttront, “ – der Mann der bisdahin beinahe göttlich verehrt wurde in Russland! Einige Monate, solange die Kerensky-Regierung am Ruder war, lebte man noch einigermassen ruhig, aber die Hoffnung, das der schreckliche Krieg ein Ende nehmen werde, erfüllte sich auch da nicht. Den äusseren Krieg zu Ende zu bringen und dafür den inneren anzufangen, das war erst der bolsche-

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wistischen Regierung beschieden. Bald wogten Strassenkämpfe in und um Odessa zwischen Ukrainern und Bolschewiken, bis schiesslich die Bolschewiken den Sieg davon trugen. Es begann die Zeit der bolschewistischen Agitation.

Doch vorher, noch zur Zeit der zaristischen Regierung und der Kerensky-Regierung hatten wir 2 tiefeinschneidende Erlebnisse. Das erste war der Kongress der Schwarzmeerdeutschen in Odessa, wo Vertreter von allen Kolonistenbezirken des Südens zusammen waren und ihnen das sogenannte „Liquidationsgesetz“ vorgelegt wurde, das der Zar selbst unterschrieben hatte. Da wurden die deutschen Kolonisten vor die Wahl gestellt, ob sie ihr Deutschtum ablegen und damit auch zur russischen Kirche übertreten wollen, oder aber müssten sie Russland verlassen, „arm“ wie sie gekommen seine, also ohne jede Entschädigung. Fast einstimmig erklärten sie „wir gehen lieber arm zum Land hinaus, als dass wie unser Deutschtum und unsern Glauben verleugnen.“

Das zweite Erlebnis fällt in die Zeit der Kerensky-Regierung, soviel ich mich erinnere. Da waren in Grossliebental serbische Offiziere stationier, die aus österreichischen Kriegsgefangenen meist Tschechen, ein neues Regiment für die russisch-rumänische Front formieren sollten. Was an diesen armen Kriegsgefangenen, die nun auch den russischen Fahneneid schwören sollten, für Grausamkeiten begangen wurden, darüber liesse sich viel sagen. Ich will mich aber damit nicht aufhalten, sondern nur eins erzählen, wovon auch das Pfarrahsu betroffen wurde. Eines abends wurde ein serbischer Offizier meichtlings ermordet. Das wurde nun den Deutschen zur Last gelegt und es kam tags darauf vom Generalgouverneur der Befehl, ganz Grossliebental müsse binnen 2 x 24 Stunden geräumt und alle Bewohner in die östlichen

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Provinzen, ich glaube an den Ural, verschickt werden. Da war nun die Not aufs höchste gestiegen. Die Gemeindevorsteher baten nun die beiden Pastoren inständig, sie möchten selbst beim Generalgouverneur Fürbitte tun, dass dieser Befehl rückgängig gemacht werde. Nachdem die Herren sich im Gebet gestärkt hatten, begaben sie sich auf die Reise nach Odessa. In voller Amtstracht, – de galt damals noch viel in Russland, – traten sie vor den hohen Herren und legten Fürbitte ein für die Gemeinde. Erst war er ziemlich ungnädig, wurde aber dann auf die Vorstellung des alten Propstes hin etwas freundlicher und versprach schliesslich den Befehl zurückzunehmen, dalls die Gemeinde binnen einer Woche den Täter ausfindig mache. Das gelang dann mit Gottes Hilfe, es war einer der tschechischen Soldaten, und so wurde das Unheil abgewandt. Aber solcher Vorkommnisse gab es mancherlei und immer hing das Schwert über der Gemeinde und auch über dem Pfarrhaus.

Das wurde auch nicht anders, als im Herbst 1917 das bolschewistische Regiment anfing sich auszubreiten. Erst wurden nur einzelne Ueberfälle unternommen, die andauernd die Kolonie in Angst versetzten, sodass jede Nacht 60 Mann Wache stehen mussten an den Dorfeingängen. Von diesen Ueberfällen war besonders auch das Pfarrhaus bedroht, sodass man keinen Abend wusste, ob man den Morgen noch erleben werde. Doch Gott wachte übe runs und liess uns nichts geschehen. Mit der Zeit setzten sich aber die Bolschewiken im Dorfe fest. Sie pflanzten an der Gemeindeverwaltung und am Krankenhaus die rote Fahne auf und wir waren somit in ihren Händen.

Eine ihrer ersten Taten sollte die Ermordung der Bourgoisie sein in Odessa und Umgebung, nachdem sie die zaristischen Offiziere schon alle umgebracht hatten, soweit dieselben ihnen

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nicht entkamen. Da gelang es der geängstigten Einwohnerschaft von Odessa an das deutsche Militär die Bitte um Hilfe durch ein Funktelegramm gelangen zu lassen und am Tag, vor der geplanten Bartholomäusnacht, erreichte eine Abteilung deutscher und österreichischer Soldaten die Stadt und auch unser Dorf. Das war ein Jubel und heisse Dankgebete stiegen zu Gott empor! Sofort verschwanden alle Roten und wir durften frei aufatmen, da Odessa vom deutschen Militär besetzt wurde. Das war im März 1918.

Nun kamen für uns noch einige schone, ruhige Monate, in denen wir im Pfarrhaus ab und zu Besuch von hohen deutschen Militärpersonen bekamen, was immer grosse Freude auslöste. So kam eines Tages, es war August, auch der Oberkommandierende der Besatzungsarmee, Graf Waldersee. Er speiste mit seinen beiden Adjutanten bei uns im Pfarrhaus zu Mittag. Ihm trug nun Propst Alber, die Bitte vor, ob er uns nicht die Einreisebewilligung nach Deutschland verschaffen könnte. Sehr freundlich ging der hohe Herr auf diese Bitte ein und versprach uns: Herrn Propst, seiner Frau und mir, innerhalb 2 Wochen die Erlaubnis zu verschaffen, von seinem Freund, dem König von Württemberg. Schon nach zwölf Tagen war die Erlaubnis in Odessa, wo uns von der Militärbehörde zugleich die Weisung gegeben wurde, innerhalb drei Tagen uns reisefertig zu machen, da wir mit einem deutschen Militärzug bis über die deutsche Grenze mitgenommen würden. So reisten wie dann in den letzten Septembertagen 1918 frohen und dankbaren Herzens aus Odessa ab, zusammen mit etwa 60 jungen Kolonistensöhnen, sie sich als Freiwillige für die Westfront gemeldet hatten.

Ich reiste allerdings damals in der Hoffnung ab, wenn die Kriegswirren vorüber sein würden, wieder an meine Ar-

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beitsstätte in Grossliebental zurückkehren zu können. Doch, es kam anders. Und heute danke ich Gott, dass er mich zur rechten Zeit aus diesem Lande herausgeführt hat, das für viele meiner Landsleute zu einer Hölle geworden ist. Mit wehem Herzen gedenke ich ihrer und bitte Gott, dass Er sie im Glauben stärken und erhalten möge!

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Anna Schrenk: Mein Erlebnis im deutsch evangelischen Pfarrhaus in Russland, Manuskript 8 S.

  1. BMA QS-30.001.0374.01 Title: Schrenk, Martin Friedrich. Creator: unknown studio Date: 1861 ↩︎
  2. Schrenk, Martin Friedrich:
    Jubiläums-Gedichte von Friedr. Schrenk, Pastor zu Glücksthal. – Als Manuskript für Freunde gedruckt – Odessa: L. Nitzsche, 1886, 17. S.
    Aus der Geschichte der Entstehung der evangelisch-lutherischen Kolonien in den Gouvernements Bessarabien und Cherson, speziell in kirchlicher Beziehung. Stuttgart, J.F. Steinkopf. III, 167 S.
    Geschichte der deutschen Kolonien. Zum Gedächtnis des fünfzigjährigen Bestehens desselben. Tiflis 1869, 197 S. ↩︎
  3. https://wolgadeutsche.net/lexikon/beilage/Pastor_Johann_Jakob_Stuber_Nekrolog.pdf ↩︎
  4. BMA QS-30.001.0434.01 Title: Stuber, Joh. Jakob. Creator: Magnat Frères, Basel, Switzerland Date: 1864 ↩︎
  5. Anna Schrenk: Mein Erlebnis im deutsch evangelischen Pfarrhaus in Russland, Records of the National Socialist German Labor Party (NSDAP): National Archives Microcopy no. T-81 Roll 634 Frame 5435004-5435011
    Verfasser: Deutsches Ausland-Institut (Stuttgart) (Main Author) American Historical Association. Committee for the Study of War Documents (Added Author)
    Veröffentlichung: Washington, D.C.: American Historical Association. American Committee for the Study of War Documents ↩︎
  6. Propst Johannes Alber, (20.10.1845 Nikolajew – 30.9.1932 Pfullingen) ↩︎

Gut Federowka

Der alte Friedhof

Verfallener Friedhof, am einsamen Ort,
Nun geht der Pflug bald über dich fort.
Noch hüllen mit traulichem Dämmerschein
Die alten Linden dich friedlich ein.
Verwitterte Steine nur ragen auf,
Wo die Hügel versanken im Zeitenlauf.
Und alles umwuchert Gras und Strauch,
Und drüber weht des Vergessens Hauch.
Ein einziges Grab ist an diesem Ort,
Drauf blühen die Veilchen und Rosen noch fort.
Wenn Lenzluft weht um dieses Grab,
Wankt her ein Mütterlein am Stab.
Sie trauert noch dem Einen nach,
Der einst das junge Herz ihr brach.

Paul Barsch (1860 – 1931), schlesischer Mundartdichter

Kostiantyn Antonets beschäftigt sich schon länger mit der Entdeckung der Geschichte der ehemaligen deutschen Dörfer und stellte mir daher freundlicherweise seine Fotos zur Verfügung. Der Fund dieser alten Grabsteine erzählt uns die Geschichte des Missionars Wilhelm Heine (1833–1897), seines Sohnes Pastor Wilhelm Heine (1866–1938) und aller mit ihnen verbundenen Familien. Der Friedhof befindet sich auf dem ehemaligen Familienbesitz Federowka (Wesselyj Haj, Novomykolayivka, Zaporiz’ka, UKR).

Missionar Wilhelm Heine

Foto aus: Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909

Mitunter sind die Lebenswege eines Menschen ungewöhnlich, so auch im Falle des Carl Wilhelm Heine. Geboren am 12. Februar 1833 als Sohn des Schuhmachers Wilhelm Hein(e) (1849) und seiner Frau Maria Schmidt (um 1805–1865) stammte er aus recht einfachen Verhältnissen. Seine väterlichen Vorfahren sollen aus Sachsen ausgewandert sein, vermutlich aus der Meißen, wie uns die Angabe im Sterbeeintrag des Schneiders Ludwig Hein(e) verrät, der als Pate wohl Bruder des Vaters war. Der Sterbeeintrag der Mutter Maria vermutete Bayern als ihre Herkunftsregion.

Geburt und Taufe im Kirchenbuch Molotschna 1833

Unter dem Einfluss des Pfarrers Eduard Wüst (1818–1859), der als Prediger der pietistischen Brüdergemeinde in Berdjansk wirkte, fühlte auch Wilhelm Heine eine religiöse Erweckung.

Pfarrer Eduard Wüst10

Wüst und seine Anhänger, darunter auch viele Mennoniten, verfolgten das Ziel, die Disziplin in den Kirchengemeinden und ihre eigene Frömmigkeit zu stärken, Wüst bekämpfte zudem sehr aktiv den weit verbreiteten Alkoholismus und Hexenglauben unter seinen Gemeindemitgliedern. Als Prediger der Ideen der pietistischen Erweckungsbewegung nahm er Kontakt zum Begründer der Bewegung der Jerusalemsfreunde, Christoph Hoffmann, auf.

Die strenge Bibelauslegung der Pietisten hatte allerdings zur Folge, dass aus der pietistischen Brüdergemeinde heraus durch unterschiedliche Auffassungen nicht nur die neue Separatistengemeinde, sondern auch die Hüpfer- und Springersekte („die Munteren“) entstand. 1857 musste Wüst sich auf Betreiben des Evangelisch‑Lutherischen Generalkonsistoriums verpflichten, nicht mehr außerhalb seiner Gemeinde zu predigen und keine geistlichen Handlungen an Lutheranern zu vollziehen.

Zu den Gleichgesinnten, bei denen die Gemeindeversammlungen unter Wüst stattfanden, gehörten die Familien Schaad, Heinrich, Blank, Brühler, Dillmann, Schwarz und viele andere, mit denen sich Heine auch in späteren Jahren noch stark verbunden fühlte.

Der Missionsgedanke war ein fester Bestandteil der pietistischen Gesellschaft, Pfarrer Wüst bemerkte die Gelehrsamkeit und tiefe Religiosität Heines alsbald und überzeugte ihn, in die Ausbildung der Inneren Mission zu gehen. Von dieser Idee erfüllt, führte ihn sein Weg zunächst, gemeinsam mit Jakob Knauer (Neuhoffnungstal), Hermann Sudermann (Berdjansk), Heinrich Bartel (Gnadenfeld) und Johann Klassen (Liebenau) nach Reval zur Bauer’schen Rettungsanstalt. In diese wurden arme Kinder und Jugendliche aufgenommen, um sie vor der Verwahrlosung zu bewahren.

Die Reise erfolgte mit einem Dreispänner 1854 über Liebenau (20. September), Orechow, Charkow (28. September), Kursk, Fatesch (4. Oktober), Moskau (12. Oktober). Von dort nach einwöchigem Aufenthalt mit dem Zug am 19. Oktober nach Sankt Petersburg, diese Fahrt dauerte 48 Stunden. Am 6. November, sieben Wochen nach ihrer Abreise, trafen sie in Reval ein, um ein Jahr zu bleiben.

Unter dem Eindruck der Predigten und Berichte des Missionars Carl Hugo Hahn (1818–1895), welcher über viele Jahre in Afrika tätig war, entwickelte sich bei Heine und Knauer das Bedürfnis, ebenfalls in die Äußere Mission der Rheinische Missionsgesellschaft (RMG) zu wechseln. Dazu war eine drei- bis vierjährige Ausbildung in Barmen notwendig.

Am 2. Januar 1856 war es so weit, mit neuen Pässen und einem Pferdeschlitten sollte die Reise von Reval über Pernau, Riga, Königsberg, durch die Niederung bei Marienburg, Berlin und Hamburg nach Barmen gehen. Mit einem Zwischenaufenthalt von 3 Tagen in Berlin, trafen sie am 15. Februar ein. Jakob Knauer wurde für seine Missionarstätigkeit in Afrika ausgebildet, Wilhelm Heine für Sumatra.

Während Heine an Pocken erkrankte Anfang 1858, war es für Jakob Knauer so weit, er reiste nach Afrika ab. Heines Abschied kam am 29. Oktober 1860. Seine Ordination galt nur für das Missionieren, er unterlag der absoluten Gehorsamsverpflichtung gegenüber der Rheinischen Missionsgesellschaft, musste in allen wichtigen Missionsfragen eine Erlaubnis einholen und durfte fünf Jahre nicht heiraten.

Am 12. November 1860 machte er sich auf den Weg zur Einschiffung in Holland. Die Seereise sollte 3 Monate dauern und um das Kap der Guten Hoffnung nach Sumatra führen. Nach schlimmen Stürmen, die das Schiff fast sinken ließen, erreichten sie Batavia auf der Insel Java, reisten weiter nach Padang/Sumatra. Nach neun Wochen Aufenthalt ging es am 7. August 1861 nach Siboga, wo er am 17. August ankam. Am 20. August reiste er weiter, Djagodjago, Batangtoru (23. August), Paggerutan, dann Sipirok. Es ging zu Fuß und auf dem Pferderücken durch Kampferbaumwälder, Flüsse ohne Brücken, über Berghänge, durch Kaffeeplantagen. Am 20. Oktober erreichte Heine den Ort seiner Mission, Sigompulan. Hier musste alles erst geschaffen werden, am 1. Januar 1862 war Einzug und Einweihung der neuen Missionsstation.

Bild aus: Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909

Die Missionarstätigkeit, die nun vor Wilhelm Heine lag, ist heute unter dem Begriff Batak-Mission bekannt und war im christlichen Sinne sehr erfolgreich.

Grund für diese Mission war der antikolonialen Aufstand in Borneo 1859, bei dem neun Missionsangehörige ums Leben kamen, die niederländischen Kolonialregierung daher die Missionsarbeit in dem Gebiet untersagte. So wandte man sich dem Inneren von Sumatra zu, hier lebte das indigene Volk der Batak, welches aus mehreren Volksgruppen bestand, welche auch eigene Stammessprachen besaßen. Die Batak waren keineswegs unzivilisiert im heutigen Sinne, sondern besaßen eine hochkomplexe Zivilgesellschaft, die sich von den Küstenbewohnern abschottete.

Karte aus „Mission, Kolonialismus und Missionierte; Über die deutsche Batakmission in Sumatra“ 2

Schon Marco Polo brachte 1292 Gerüchten über menschenfressende Bergvölker, die er „Batta“ nannte, mit nach Europa, weshalb bis etwa 1824 kaum Kontakt mit Europäern bestand, da diese die Bergvölker mieden. Heine befragte dazu einen Radja, der ihm erklärte, Verbrechen wie Ehebruch, Landesverrat usw., wurden mit Gefressenwerden bestraft. Auch Kriegsgefangene und Spione wurden verzehrt, an diesen Bestrafungsmahlzeiten nahmen nur Männer teil.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten die islamischen padri-Krieger aus Westsumatra Silindung mit Krieg überzogen und waren sogar bis an den Tobasee vorgedrungen, wo sie den Priesterkönig Singamangaraja X. töteten. Seit den 1840ern war die niederländische Regierung in kriegerischen Auseinandersetzungen mit den padri verwickelt, einer militanten, über Mekkapilger wahhabitisch beeinflussten islamischen Bewegung aus Westsumatra. So sollte das Gebiet der Batak zur Befriedung und Stabilität in der Region beitragen, die Christianisierung Verbündete schaffen.

Die Missionare brachten nicht nur die Bibel und öffentliches Bildungswesen mit, sie hatten die Sprache der Einheimischen erlernt und beachteten ihre Traditionen, sodass die Batak ihre kulturellen Eigenheiten bewahren und mit christlicher Tradition verbinden konnten. Die so entstandene Huria Kristen Batak Protestan ist heute die größte evangelische Kirche Indonesiens.

Zunächst galt es, das Vertrauen der Einheimischen zu gewinnen, was nicht so einfach war, da man Heine unterstellte, ein Spion der holländischen Regierung zu sein, der die Battas dazu bringen solle, für das Gouvernement Kaffee anzubauen und Wege anzulegen. Dann hieß es, er würde die Kinder behexen, mit seinem Fernrohr die edlen Metalle im Innern der Erde erspähen, in seiner Uhr einen Geist bei sich führen u.a.m.

Weil die RMG die Idee hatte, auch Fotografien anzufertigen zu lassen, waren die Missionare mit Apparaten und Fotochemikalien ausgestattet. Nachdem Heine ein Landschaftsfoto entwickelte, hieß es: „Seht, der fremde Mann bringt mit Hilfe der Geister, die in dem Kasten stecken, unser Land aufs Papier und trägt’s davon.“ Kein Einheimischer war daher bereit, sich fotografieren zu lassen. Als kurz darauf das tropischen Klima die mitgebrachten Chemikalien zersetze und für eine gewaltige Explosion derselbigen sorgte, riefen die Battas: „Haben wir’s nicht gesagt, dass der Mann ein großer Zauberer ist und viele Geister ihm zu Diensten stehen? Seht ihr, jetzt sind alle Teufel los.“8

Nachdem die 1864 für eine Reise nach Indien vorgesehene Lehrerin Therese Wilhelmine Barner (1842–1909)6, jüngsten Tochter des Hausvaters und Schulmeisters der Rettungsanstalt in Korntal/Württemberg, Andreas Barner (1773–1859) und seiner Ehefrau Maria Regina geborene Metzger (1806–1848), nach Sigompulan entsendet wurde11, fand sich auch für Wilhelm Heine eine Gefährtin.

Eintrag der Therese Wilhelmine Barner im Familienregister Blatt 7 Korntal17

Im Dezember 1865 reiste Heine der ihm aus Europa gesandten Braut nach Padang entgegen. Die Ehe wurde im Februar 1866 geschlossen unter den Gewehrschüssen der Volksmenge , er mußte dann einen Stier schlachten und mit den Vornehmen verzehren. Hatten bisher nur Männer die Station besucht, so bestürmten nun die Frauen und Mädchen das Haus um die njonnja (europäischen Frau) zu sehen und ein kleines Geschenk zu erhalten.

Die eigentliche Aufgabe der Missionarsfrauen bestand vorrangig darin, den einheimischen Frauen und Mädchen das Nähen und Singen christlicher Lieder beizubringen. Sie kümmerten sich um die Haushaltsführung und ihre Kinder. Sobald diese schulpflichtig wurden, mussten sie nach Deutschland in die Obhut der Rheinischen Missionsgesellschaft zur Ausbildung gegeben werden.

Heines Ehefrau fand sich ziemlich schnell zurecht. Sie wurde eine wichtige Person in Sigompulan. Befreundete Battas brachten Hühner und Reis zum Gruß, und aus verschiedenen Dörfern kamen Einladungen zu einer Mahlzeit, denen Heine sich nicht entziehen konnte und wollte, weil er darin eine Gelegenheit sah, den Leuten näher zu kommen. Besonders feierlich wurden die Neuvermählten im Dorfe Lumbandolok empfangen. Selbst der datu (Gelehrte des Dorfes) ehrte das Paar mit Reis, Siri, inländischem Brot und Segensgebeten.14

Es gab zwar zahllose Rückschläge, da den ersten getauften Einheimischen der traditionelle Familienrückhalt entzogen wurde und diesen eigene Dörfer und Felder für die Lebensgrundlage geschaffen werden mussten, damit sie von der Familie unabhängig leben konnten, aber die Schar der christlichen Gemeinde wuchs beständig.

Als es 1866 über mehrere Monate eine Pockenepidemie in Silindung gab, sich einer der Einheimischen infizierte und die Erkrankung nach Sigompulan brachte, zeigte sich der Vorteil, entweder gegen diese geimpft oder die Pockenerkrankung überstanden zu haben, um den isolierten Erkrankten betreuen zu können. Leider wurde Heine zu seinem Totengräber, als dieser letztlich starb.

Am 25. November 1866 kam Sohn Wilhelm Heine, zur Welt, er sollte später ebenfalls Pastor werden. Insgesamt kamen 4 Kinder in der Missionsstation zur Welt, Therese (*1868), die später den Gutsbesitzer Andreas Müller (1858-1911) ehelichte, Hugo (1870–1899), Chemieingenieur, nach kurzer Ehe heiratete sein Witwe Pauline Müller (*1873) im Jahre 1913 seinen Bruder Wilhelm und Friedrich (*1872), ebenfalls jung, ledig, in Russland verstorben.

Geburt und Taufe von Wilhelm und Therese Heine 1877 im KB Neustuttgart
Geburt und Taufe von Hugo und FriedrichHeine 1877 im KB Neustuttgart

Im März 1868 erlaubte der Radja Wilhelm Heine und einigen Begleitern, den bis dahin mit einem Tabu für Nichteinheimische belegten Tobasee zu besuchen. Dieser Besuch war hochgefährlich, weil die hier lebenden Bergstämme vermuteten, es handle sich um padri und wollten sich an den Eindringlingen rächen für die 1831–1832 ermordeten Bewohner ihrer Dörfer. Als sich herausstellte, dass es sich um Missionare handelte, welche große Unterstützung unter den Einheimischen fanden, wendete sich das Blatt nach Verhandlungen zum Guten.

Tobasee, größter Kratersee der Erde, 87 km lang und 27 km breit3

Im Jahre 1868 ging über Pfarrer Jakob Heinrich Staudt (1808–1884) aus Korntal das Gesuch des Missionars Heine und seiner Ehefrau im O.A. Kirchheim ein, Therese Wilhelmine aus dem Württembergischen Untertanenverhältnis zu entlassen unter Verzicht des Bürgerrechtes, da er von dem Angebot, das dortige Bürgerrecht zu erhalten, keinen Gebrauch machen wolle. Er war bereits russischer Untertan und wollte das auch bleiben. Das Amt bestätigte daher ihren Bürgerrechtsverzicht am 9. Juni 1868 und entließ Therese Wilhelmine als ausgewandert nach Russland.

Bürgerrecht-Verzichts-Urkunde Therese Wilhelmine Barmer18

1873 nahm die Familie Heine ihren Abschied und schiffte sich ein, die Reise ging durch den am 17. November 1869 eröffneten Suezkanal, über den Indischen Ozean, das Rote Meer und durch den Kanal ins Mittelmeer nach Jaffa. Von dort aus landeinwärts nach Jerusalem. Es folgten Besuche von Bethanien, Bethlehem, dem Jordan und des Toten Meeres, alles Orte, die in der christlichen Welt von hoher Bedeutung sind. Nach einem Monat Aufenthalt bestieg die Familie erneut ein Schiff und reiste über Konstantinopel nach Südrußland.

In Folge des für die Kinder ungewohnten Klimas und des extrem strengen Winters 1873/1874 in Russland bekamen sie alle eine Lungenkrankheit, welche Tochter Therese nur mithilfe eines Luftkurortes in Deutschland überwand, ihre beiden Brüder starben daran jung.

Im Mai 1874 trafen alle in Korntal/Württemberg ein, hier war Heine für die Mission unterwegs, ehe er im Herbst 1874 gänzlich nach Russland zurück kehrte und im Chutor Andrejewsk überwinterte, weil seine Frau hochschwanger war, Tochter Maria kam am 3. Dezember zur Welt.

Marias Geburt und Taufe im KB Neustuttgart 1877

Im Frühjahr 1875 nahm er seine Tätigkeit als Pastor des Kirchspiels Neustuttgart-Berdjansk7 auf und bezog das Pfarrhaus in Neustuttgart.

Bild aus: Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909

Hier traf er auf eine recht zersplitterte Gemeinschaft, die sich unter Pastor Wüst trennte und über die Jahre getrennt blieb. Die Bewohner des Kirchspiels lebten in Neustuttgart, Neuhoffnungstal und Rosenfeld und gehörten entweder der lutherischen Kirche oder der schwäbischen Brüdergemeinde (Separatisten) an. Die Neu­stuttgarter waren im Verhältnis 1:1 geteilt, in Neuhoffnungstal und Rosenfeld waren es überwiegend Mitglieder der Brüdergemeinde, Berdjansk dagegen hatte keine Anhänger der Brüder­gemeinde.

In Neustuttgart entstanden aus dieser Glaubensverschiedenheit zwei Bethäuser, Pastor Zeller, der 1867 das Kirchspiel übernahm, gelang es nicht, eine Einigung der zwerstittenen Parteien zu erzielen, weshalb er sich letztlich von seinem Amt entbinden ließ. In Neuhoffnungstal und Rosenfeld besuchten man zu diesem Zeitpunkt abwechselnd den Gottesdienst der Glaubensgemeinschaften im selben Bethaus gegenseitig.

Diese Kluft zu überbrücken, gelang Heine auf Grund seiner großen Erfahrungen aus Sumatra, er entschärfte die Glaubenszwistigkeiten, näherte die verstrittenen Kirchengemeinden einander an, um im Januar 1876 eine öffentliche Einigung der Separierten und Lutheraner zu erzielen.

Die Bedingungen sind folgende:
„Vereinigungspackt der freien evangelischen Gemeinde und der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Neustuttgart.
Die freie evangelische Gemeinde in Neustuttgart hat nach eingehender Beratung in ihrer Mitte den Beschluß gefaßt, mit Beginn des Jahres 1876 sich mit der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Neustuttgart auf die unten genannten Bedingungen hin zu vereinigen. Es kann dies Ereignis nur mit Freuden begrüßt werden – denn so nur kann für Zucht und Ordnung in der Gemeinde, für die Erziehung der Jugend, für Kirche und Schule zum Segen des Ganzen gewirkt werden. Welches von den beiden am Ort befindlichen Bethäusern zur Kirche erweitert und welches zur Schule eingerichtet werden wird, das bleibt einer späteren Beratung Vorbehalten.

  1. Die kirchliche Gemeinde kommt den Gliedern der freien Gemeinde entgegen, ihnen die Mitbenutzung ihres Bet­hauses bereitwillig zu gestatten.
  2. Das heilige Abendmahl soll gemeinschaftlich gefeiert werden.
  3. Bei Taufen und Trauungen bedient der Pastor die Glieder der freien Gemeinde nach der alten württembergischen Agende.
  4. Die Konfirmation soll bei den Kindern der freien Gemeinde im 14. Jahr stattfinden dürfen.
  5. Der Pastor übernimmt die Führung der Kirchenbücher der freien Gemeinde.
  6. Im Fall eines Sterbefalles bei Abwesenheit des Pastors soll dem Kirchenvorsteher der freien Gemeinde gestattet sein dem Sterbenskranken das heilige Abendmahl reichen zu dürfen – freilich nur im dringendsten Fall.
  7. Die Vereinigung soll für die ganze Zeit, die Pastor Heine in Neustuttgart im Amte steht, als bleibend und unlöslich betrachtet werden: im Fall eines Pfarrwechsels soll jedoch unter Umstanden der freien Gemeinde die Freiheit gewahrt bleiben, sich wieder loszulösen – was Gott verhüten wird.
  8. Die freie Gemeinde tritt beim Zahlen des Pfarrgehalts und bei der Übernahme anderer Verpflichtungen mit der kirch­lichen Gemeinde von: 1. Januar 1876 ab in gleiche Reihe.
  9. Die Kirchenvorsteher der freien Gemeinde und die Kirchenvormünder der kirchlichen Gemeinde treten unter Vorsitz des Pastors und unter Hinzuziehung des Schulzenamts zusammen, um die Ordnung in der Gemeinde, der Kirche und Schule aufrecht zu halten.

Der dreieinige Gott gebe seinen Segen zu dieser Ver­einigung, ihm zur Ehre, zum Wohl der Gemeinde!

Zur Bekräftigung und zu gegenseitiger Beobachtung dieses Bereiniguugsvertrages unterzeichnen heute:
Neustuttgart, den 12. Januar 1876.
seitens der freien Gemeinde: seitens der Kirchengemeinde:
Andreas Bihlmeier Adam Erlenbusch
Jakob Klotz Immanuel Bauer.“

Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909, p. 157f

Wie wohlwollend die Kirche das Wirken von Pastor Heine aufnahm, zeigte sich im folgenden Schreiben:

Schreiben des St. Petersburger Konsistoriums an Propst Behning vom 27. Februar 1876, wo diese Behörde sich folgendermaßen über die Bereinigung der Separierten und Kirchlichen äußert.
„…….. Ein anderes aber ist es, wenn man den in Rede stehenden Antrag aus Neustuttgart in dem Sinne auffaßt, daß die freie evangelische Gemeinde daselbst gar nicht gesonnen ist zu der evang.-lutherischen Kirche in Rußland über- und in unsern Konsistorialbezirk einzutreten, sondern daß sie nur das Zugeständnis begehre, sich unter Beibehaltung ihrer bisherigen bürgerlichen wie kirchlichen Stellung und ihres bisherigen inneren Glaubensstandes der Person und des Amtes des Herrn Pastor Heine bedienen zu dürfen, so daß also die ganze Vereinigung mit der evang.-luth. Gemeinde in Neu­stuttgart nichts als ein Akt persönlichen Vertrauens zu Herrn Pastor Heine wäre. Ja dies scheint auch in der Tat die Meinung
und der Wille der Petenten zu sein, die ja die „Bedingungen der Vereinigung“ klar und deutlich in Punkt 7 aussprechen, daß die Bereinigung „nur für die Zeit, da Pastor Heine in Neustuttgart im Amte steht, als bleibend und unumstößlich betrachtet wird, im Fall eines Pfarrwechsels jedoch – der freien Ge­meinde die Freiheit gewahrt werden soll, sich wieder loszulösen.“
In diesen! Sinn den Antrag verstanden trägt das Konsi­storium kein Bedenken, die vorgestellten Bedingungen zur Vereinigung der Gemeinde in Neustuttgart zu genehmigen und dem Herrn Pastor Heine die Autorisation zu erteilen, auch an den Gliedern der freien Gemeinde seines Amtes, aber in­ soweit, zu warten, als er bei aller Treue in Ausübung seines geistlichenHirtenamts mit seinem Gewissen wird verantworten können.
Das Konsistorium erteilt diese Genehmigung um so lieber, als es sich aufrichtig der Annäherung zwischen beiden Gemeindeteilen in Neustuttgart freut, welche durch den Beschluß ihrer Ver­einigung bezeugt ist, und in derselben eine starke Bürgschaft künftigen dauernden Friedens und gottgefälliger Einigkeit sieht.
Von den Gliedern der sogenannten freien Gemeinde aber erwartet das Konsistorium, daß sie ihrem nunmehr selbsterbetenen Seelsorger fortwährend alle Liebe und Ehrfurcht be­weisen, und allem, was er in geistlichen Dingen zu ihrem eigenen Heil vorschreiben oder anordnen wird, pünktlich Ge­horsam leisten werden. Nur so wird sich die Gemeinde des göttlichen Segens trösten dürfen, den wir von dieser Ver­einigung hoffen.

Präsident: Frommann.
Sekretär: Fabricius.“

Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909, p. 158f

Diese Einigung wurde bei einigen Mitgliedern der Brüdergemeinde jedoch alles andere als positiv aufgenommen. So unterstellte man ihm nur auf Betreiben Zellers die Stelle bekommen und die Separatisten in eine Falle gelockt zu haben mit seinem Einigungsvertrag, aus der sie nun nicht mehr entkommen könnten, zumal es einigen egal wäre, ob im Gottesdienst ein Bruder oder Pastor auf der Kanzel steht.4

So schreibt Kröker:

Als Jüngling kam er von seinem Heimatdorfe Prischib an der Molotschna oft nach Neuhoffnung, wurde hier bekehrt, und weil er Lust und Begabung zur Missionsarbeit zeigte, schickte Wüst ihn nach Barmen ins Missionshaus, wo er auf Kosten der Separatisten ausgebildet wurde. Nach seiner Rückkehr wurde er als Bruder und Gesinnungsgenosse mit offenen Armen aufgenommen. Gleichzeitig wurde ihm die vakante Predigerstelle der Separatisten, wie auch vom Konsistorium das Pastorat in Neustuttgart angetragen. Er entschied sich für letzteres. Das Vertrauen der Separatisten hat er schnöde mißbraucht, und für die genossene Liebe und Wohltaten hat er sich sehr undankbar erwiesen. Durch Anwendung von Mitteln, die eines gläubigen Christen unwürdig sind, ist es ihm gelungen, den größten Teil der vier Dörfer, halb gegen ihren Willen, zur lutherischen Kirche und unter das Konsistoriums zu bringen

Kröker, Abraham: Pfarrer Eduard Wüst, der grosse Erweckungsprediger in den deutschen Kolonien Südrusslands, Spat bei Simferopol, Selbstverlag, H.G. Wallmann Leipzig, Central Publ. C,. Hillsboro Kansas, 1903, p. 107

Heine sah sich als Bindeglied und Vermittler zwischen den Lutheranern und Mennoniten, zumal er mit dem Mennoniten Ältesten Dirks von Gnadenfeld, ebenfalls ehemaliger Missionar in Sumatra, eng befreundet war.

Für das Schulwesen war seine einstigee Tätigkeit ebenfalls von Vorteil, da er dafür sorgte, das in Neustuttgart das separierte Bethaus zum Schulhaus wurde, Neuhoffnungstal ein neues, zweistöckiges Schulgebäude errichtete, diese und die Lehrerwohnungen nun beheizbar waren. Es wurden Lehrer angestellt und besoldet, Schulbücher angeschafft.

Mit dem Ende seine Tätigkeit als Pfarrer im Frühjahr 1894 gab Heine öffentlich bekannt, wie im Vertrag geregelt, daß jeder Separierte, der sich der Kirche angeschlossen hatte, sich nun zu entscheiden habe, ob er bei der Kirche bleiben oder wieder zum Separatismus zurücktreten wolle.

Er zog dann mit seiner Frau zur Tochter Therese nach Michailowsk, um noch einmal im Auftrag der Mission zu reisen. Am 5. Juli 1895 traf er in New York/USA ein. Am 15. Juli reiste er nach Buffalo und zu den Niagarafällen, dann Erie (19. Juli), Brooklyn/Ohio (23. Juli), Sandwich (29. Juli), Amboy/Minnesota (13. August), Mountain Lake – hier lebten ehemalige Berdjansker, weiter nach Canada – Gretna/Manitoba (27. August). Es folgten Junkton/Dakota (9. September), Sutton/Nebraska (24. September), Scotland (29. September). In Scotland besuchte er die Witwe von Pastor Karl Bonekemper (1827-1903). In Menno traf er auf den 1887 ausgewanderten Gebietsschreiber Münch aus Zürichtal und besuchte auf dem Weg nach Sutton (1. Oktober) weitere Auswanderer. Traf in Ferberg auf Mennoniten der Molotschna und kam in Denver/Colorado an (14. Oktober). Besuchte den Pikes Peak, Colorado Springs, Newton und St. Louis/Illinois. Hier traf er seinen alten Freund Hermann Sudermann wieder, mit dem er in Reval war. Weiter ging es nach Chicago (18. November), Sandwich (27. Oktober) und 8 Monate nach Beginn dieser Reise traf er am 31. Dezember 1895 zu Hause ein. Pünktlich zum Jahreswechsel.

Das viele Reise begünstigte sein Steinleiden, am 25. Januar 1897 starb Missionar Wilhelm Heine an den Folgen einer Steinoperation in Michailowsk, seine Frau folgte ihm am 13. November 1909.

Mennonitische Rundschau9

Orte, die Wilhelm Heine in seinem Leben bereiste15

Sohn Wilhelm, als erstes Kind in Sigompulan 1866 geboren, trat in die Fußstapfen seines Vaters und nahm am 17. August 1884 ein Theologiestudium in Dorpat auf.5

Am 1. Mai 1891 in Tiflis/Kaukasus ordoniert, wurde er von 1892-1893 Pastor-Adjunkt in Batum-Kutais/Kaukasus, ab1893-1895 Adjunkt bei seinem Vater in Neu-Stuttgart, der im Frühjahr 1894 nach 19 Jahren im Amt in den Ruhestand ging.

1895 legte er das Gymnasiallehrerexamen ab und nahm eine Hauslehrerstelle in Sankt Petersburg an. Von dort kehrte er als Konsistorialvikar für die Kreise Bachmut und Slawjanoserbsk, Gouv. Jekaterinoslaw (1898–1899) zurück, wurde dann Pastor in Schidlowo (1899-1907) und scheidet aus dem geistlichen Amt aus.

Erneut im Dienst in Schidlowo (1914–1928), anschließend Pastor in Katharinenfeld/Kaukasus (1928–1930). In Katharinenfeld wurde er am 14. August 1931 wegen der angeblichen Bildung eines „antisowjetischen Agitationsnetzes16 verhaftet und bis 1934 nach Tymsk am Ob, Gebiet Tomsk (Westsibirien) verbannt.

Nach der Rückkehr lebte er in Feodosia/Krim und wurde am 4. Juli 1937 wurde er erneut verhaftet.12 Nach kurzem Aufenthalt im Simferopoler im Gefängnis wurde er nach Verurteilung zur Hinrichtung am 2. Januar 1938 erschossen. Offiziell wurde Wilhelm Heine am 9. Oktober 1989 rehabilitiert.13

Die Familienmitglieder, die auf dem kleinen Friedhof ruhen:

Andreas Müller, geboren am 17. Juli 1858 als Sohn des Kaufmannes und Gutsbesitzers Friedrich Michael Müller (1837-1860) und der Dorothea Heine (1835-1860). Dorothea Heine war eine Schwester des Missionars Wilhelm Heine.

Geburt und Taufe KB Hochstädt 1858
Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1911

Verstorben ist Andreas Müller am 28. August 1911 in Charkow, beigesetzt am 31 August.

Johanne Elisabeth Blank wurde am 8. Juli 1845 in Molotschna als Tochter des Schullehrers Friedrich Blank (1820-1878) und seiner Ehefrau Margaretha Brühler (1824-1850) geboren.

Geburt und Taufe KB Molotschna 1845

Ihr Ehemann, der Gutsbesitzer Friedrich Müller (*1841), war der Neffe des Andreas Müller (1858-1911). Hier treffen wir auf die Verbindung zu Ludwig Hein(e) (1789-1854). Dessen Tochter Maria Magdalena Heine (1844-1929) war verheiratet mit dem Cousin von Johanne – Lehrer Friedrich Blank (1841-1889)

Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1907

Verstorben ist sie am 16. Mai 1907 auf dem Gut Federowka und wurde am 19. Mai beigesetzt.

Michael Müller, beider Sohn, geboren am 29. November 1877 auf dem Gut Federowka

Geburt und Taufe KB Molotschna 1878
Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1899

Er starb am 30. April 1899 auf dem Gut Federowka an einer Entzündung des Abdomens und wurde dort am 2. Mai des Jahres beigesetzt.

Olga Müller war die Tochter von Friedrich Müller (*1870), ebenfalls ein Sohn des Gutsbesitzers Friedrich Müller (*1841), Olgas Mutter war Bertha Mathilde Ottilie Petersenn (*1874). Olga wurde auf dem Gut Federowka am 23. November 1904 geboren.

Geburt und Taufe KB Friedenfeld 1905
Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1911

Ihr kurzes Leben endete durch Scharlach und Diphterie auf dem Gut am 12. November 1911, beigesetzt am 14. November.

Friedrich Müller, genannt Fritz, ihr Bruder, wurde am 28. Juli 1907 auf dem Gut geboren.

Geburt und Taufe KB Friedenfeld 1907
Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1911

Auch sein Leben wurde von der Erkrankung dahin gerafft, er starb am 24. November und wurde am 26. November beigesetzt.

Vielleicht gehören die Bruchstücken auf dem Friedhof zu den Resten des Grabsteines der Schwester Margarethe Müller, sie starb bereits am 19. November im Alter von 10 Jahren ebenfalls an der Kinderkrankheit und wurde am 21 November beigesetzt. So entstanden innerhalb einer Woche drei Kidnergräber der selben Familie.

Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1911

Dr. med. Alexander Friedrich Gustav Petersenn, Arzt, war der Bruder der Bertha Mathilde Ottilie Petersenn (*1874) und verehelicht seit dem 12.11.1896 mit Johanne Heine (*1878), Tochter des Missionars Wilhelm Heine (1833-1897)

Geboren und getauft wurde er in Riga19, sein Vater Karl Johann Georg (1832-1892) war ebenfalls Arzt, seine Mutter Karoline Wilhelmine geborene von Erbe (1846-1907) ist ebenfalls auf dem Gut Federowka versotben und beigestezt worden.

Dr. med. Petersen verstarb am 5. Januar 1905 auf dem Gut an einer Auszehrung, beigesetzt wurde er am 8. Januar.

Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1905

Der Stein seiner Mutter ist nicht aufgefunden worden. Jedoch belegt ihr Sterbeintrag vom 21. Januar 1907 die Beisetzung am 24. Januar daselbst.

Sterbeeintrag KB Friedenfeld 1907

1Missionar Wilhelm Heine: ein Lebensbild aus Briefen und Berichten zusammengestellt von seinem Sohn; Wilhelm Heine, Druckerei Schaad, Prischib 1909

2Hans Angerler: Mission, Kolonialismus und Missionierte; Über die deutsche Batakmission in Sumatra in: Beiträge zur historischen Sozialkunde 2/93, 23. Jahrgang Nr. 2, April bis Juni 1993, p53-61

3lekuk keindahan pemandangan danau Toba dari pulau samosir. PL 05 SIGIT – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0 File:Danau Toba dari Samosir.jpg, 22. April 2017

4Prinz, Jakob; Die Kolonien der Brüdergemeinde: ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Kolonien Südrusslands. Prinz, Pjatigorsk, 1898, p.163f

5National Archives of Estonia Heine Wilhelm; EAA.402.2.9133; 17.08.1884

6Dorothee Rempfer: Biografisches Verzeichnis von Missionaren, Missionarsfrauen, Missionsschwestern und lokalen Mitarbeiter*innen der RheinischenMissionsgesellschaft (RMG ) in der Herero- und Batakmission. Stand Juli 2021 p.5

7Mittheilungen und Nachrichten für die evangelische Kirche in Rußland
begründet von Bischof Dr. E. E. Ulmann, gegenwärtig redigiert von J-Th. Helmsing, Oberlehrer in Riga, unter Mitwirkung der Pastoren: E. Kaehlbradnt in Neu-Pebalg, R. Räder in Goldingen, A.H. Haller in Reval u. A. 32. Band Neue Folge. Neunter Band. Jahrgang 1876. Riga 1876. Verlag von Brutzer & Comp., p.281

8Allgemeine Missions-Zeitschrift. Monatshefte für geschichtliche und theorethische Missionskunde. In Verbindung mit einer Reihe Fachmänner unter specieller Mitwirkung von D. Th. Christlieb, Professor d. Theologie zu Bonn und Dr. R. Gundemann, Pastor zu Mörz. herausgegeben von Dr. G. Warneck, Pfarrer in Rothenschirmbach bei Eisleben. Vierter Band. Gütersloh 1877. Druck und Verlag von C. Bertelsmann. p.12

9Mennonitische Rundschau. herausgegeben von der Mennonite Publishing Company, Elkhart, Ind. 21. Jahrgang 7, Februar 1900 No. 6, p.2

10Kröker, Abraham: Pfarrer Eduard Wüst, der grosse Erweckungsprediger in den deutschen Kolonien Südrusslands, Spat bei Simferopol, Selbstverlag, H.G. Wallmann Leipzig, Central Publ. C,. Hillsboro Kansas, 1903

11Dorothee Rempfer: Gender und christliche Mission; Interkulturelle Aushandlungsprozesse in Namibia und Indonesien. Global- und Kolonialgeschichte Band 11.Dissertation am Institut für Geschichte der FernUniversität Hagen. transcript Verlag, Bielefeld 2022. p.54

12Erik-Amburger-Datenbank für Ausländer im vorrevolutionären Russland ID 94848

13Dr. Viktor Krieger: Verzeichnis der deutschen SiedlerKolonisten, die an der Universität. Dorpat 1802-1918 studiert haben

14Evangelisches Missions-Magazin, Neue Folge. Herausgegeben im Auftrag der evangelischen Missionsgesellschaft von Dr. Hermann Gundert. Dreizehnter Jahrgang. 1869. Basel im Verlag des Missions-Comptoirs. In Commission bei J.F. Steinkopf in Stuttgart udn Bahnmaiser Verlag (E. Detloss) in Basel. Druck vomn E. Schulze. p.70ff

15Karte erstellt Jutta Rzadkowski, Nutzungsbedingungen für Google Maps/Google Earth

16Litsenberger, Olga, Evangelical Lutheran Church in the USSR in the 1930s (2007). Deutsche in Russland und in der Sowjetunion 1914-1941. Alfred Eisfeld, Victor Herdt, Boris Meissner (Hg.). Lit. Verlag Dr. W. Hopf. Berlin, 2007 p. 424

17Familienregister Blatt 7 der Gemeinde Korntal/Württemberg, Kopie freundlicher Weise überlassen von B. Arnold, Korntal

18Verzichtserklärung und Entlassung aus dem Württembergisschen Untertanenverband 9.6.1868, O.A. Kirchheim, Auswanderergesuche Bd. 69-71 1855-1890

19Kirchenbuch der St. Petris Kirche Riga 1867

Jutta Rzadkowski

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Johannes Kludt

Erste Mittheilungen von unserem Großvater Johannes Kludt. Aufgesetzt von meinem Bruder Wilhelm Kludt.1

Von unseren Urur- Großeltern ist nur so viel bekannt, daß sie ungefähr, zur Zeit des dreißig jährigen Krieges von dem Rheingegenden bei Köln nach Preußen auswanderten, und sich in der Gegend zwischen den Städten Schneidemühle, Bromberg und Gnesen in der Provenz oder Herzogthum Posen ansiedelten. Die nächsten Marktflecken waren Rogasen, Schönlank und Schocken. Sie waren evangelischer lutherischer Konfession, und redeten die blattdeutsche Mundart.

Unser Urgroßvater hieß: Johan Kludt und die Urgroßmutter, Katharine geb. Schönfeld.

Sie hatten sieben Söhne und zwei Töchter, unter welchen unser Großvater Johannes Kludt, geboren 1743, ihr jüngstes Kind, ein Zwillingssohn, war. Als 12jähriger Knabe, wurde er eine Vater und Mutterlose Waise, wurde, und mußte von dem an bei Bauersleuten sein Brod mit Dienen suchen. Zur Zeit des siebenjährigen Krieges mußte er als Fuhrknecht bei den Rußen, der fürchterlichen Schlacht, bei Zorndorf, beiwohnen, wo er von einem rußischen Barbier, ein Rasiermesser noch kaufte.

Im Jahre 1773 trat unser Großvater mit der Großmutter Katharine, geborene Dreher, geboren in dem Dorfe Ninke, 6 Meilen2 von Posen und eine Meile von Rogasen, in den Ehestand, und nährte sich von Schafzucht und Handarbeit. Einer von den Brüdern des Großvaters starb ledig, und ein zweiter wurde Katholik, übersetze seinen Familien Namen ins Polnische: Grundschinski, zum großen Ärger, seiner Verwandten.

Nach Beendigung des siebenjährigen Krieges wanderten viele Deutsche nach Polen ein und ließen sich besonders in den Weichselgegenden nieder; und auch unsere Großeltern entschlossen sich endlich dazu, und ließen sich in der Gegend der Städte Wrozlawek, Konin und Rostositz nieder. Ihre Kinder waren der Alterfolge nach folgende. Martin, Michaelx), Johannes (mein Vater), Maria und Christoph. Sie starben, die Großmutter 41, der

x) Katharine

Großvater: 60 Jahre alt. Martin und Michael haben in Polen bei der Stadt Peterkau, ihre gekauften Landgüter und Christoph Schneider und Schullehrer bei der Stadt Kowol.

Mein Vater Johannes Kludt wurde nach seiner eigenen Angabe, im Dorfe Turke bei der Stadt Konin in Polen geboren den 3./15 April 1783 geboren und in Muchlin getauft. Sieben oder achtjährig, verunglückte er bei einer Wasserschlause. Wer ihn errettet hat, weiß er nicht, nur das er beim wiedererhaltenen Bewußtsein schon geretet war, und seine Mutter sehr weinte.

Da es bei seinen Eltern wegen mancherlei Unglücksfälle sehr armselig herging, so hatte es auch mein Vater sehr schwer, zumal in polnischen Dörfern und Wäldern, besonders was den Unterricht der Kinder anbelangt. Er lernte bei seiner Mutter nur nothdürftig lesen, besuchte im Winter 1795 auf 1796 die Schule in dem deutschen Dorfe, Sporse, und wurde 1796 in Groß Neudorf confirmiert. Nach der Confirmation erwachte in ihm ein besonderer Drang zum Gebet und weiteren Schulkenntnissen; Durch imsige Selbstübung brachte er es im Deutschen und im polnischen lesen und schreiben, bei seinen armen Verhältnissen

ziemlich weit, und war dazu auch noch so glücklich, ein kleines Rechenbüchlein, Pescheks Rechenschüler, zu bekommen, um sich auch im Rechnen zu üben. Siebenzehn Jahr alt, trat er bei einem Schneidermeister in die Lehre. Im zwanzigsten wurde er Schullehrer und diente als solcher von 1802 bis 1804 in Ladna, von 1805 bis ins 1811 Jahr in Lusche, von 1811 bis 1815 in Groß-Neudorf, und von 1815 bis 1819 in Lipin.

Im Jahre 1803 den 23. Nov./5. Dec. trat er in Ladna mit meiner Mutter Anna Maria, geb. Will, in die Ehe. Sie ist in Polen geboren, in einem Dorfe bei Konin den 23sten April 1787, und confirmiert 1801. Ihre Eltern waren: Adam Will und Anna Maria geb. Milbrat, wohnten auf ihrem Landgut Dombjer Hauland bei der Stadt Dombje. Sie war eine gottesfürchtige, da bei sehr ökonomische, und für das leibliche Wohl ihrer Kinder bedachte Frau.

Ihre Kinder waren:

Karl Wilhelm Kludt, geboren in Lusche bei der Stadt Dombje d. 16./28. Mai 1807, Friedrich August Kludt, geboren in Lusche bei Dombje den 20. Mai/1. Juni 1811.

In Folge von einer von der russischen Regierung an die Deutschen in Polen erlassenen Aufforderung und Privilegien, zu einer Ansiedlung in Bessarabien, wanderten mein Vater und noch vier andere Familien Reinke, Hirsekorn, Makus, und Död aus dem deutschen Dorfe Lipin bei der Stadt Kolo im Jahre 1819 nach Bessarabien aus, und übernahm dort so gleich, in der ersten Kolonie Leipzig, den dortigen Schuldienst. Allein da uns das bessarabische Clima gewaltig zusetzte, und wir alle erkrankten, so entschloß sich mein Vater mit seiner Familie wieder nach Polen zurückzureisen. Auf dieser Rückreise, im Herbste 1820 traf uns bei unsern kranken Umständen, noch das Unglück, beim Dorfe Karbun, durch das Umwerfen des Wagens fast alle verwundet zu werden, besonders die Mutter, die sehr beschädigt war, und so genöthigt wurden, in Keschinoff zu bleiben. Unser Vater übernahm dann, in Folge diesem Unfalle, bei dem damals daselbst wohnenden Fürsten Kontagusin, eine Gärtnerstelle, die ganz nah bei dem, bei der Stadt liegenden Dorfe Durlest, ist; wo wir

sich alle von unseren kranken Umständen bald erholten.

Nach einem Jahre wurde der Garten verkauft, die Fürstliche Familie zog auf ihre Güter bei Magilleff, und mein Vater übernahm daher 1822 und 1823 die Gärtnerstelle des Obersten v. Stamo im Dorfe Horest. 1824 übernahm er die Gärtnerey in Galbin.

1825 die Schulstelle in Katzbach; 1827 bis 1834 verwaltete er die Schulstelle in Töplitz, und von 1834 bis 1839 wieder die Schule in Katzbach, und zog dann wieder zurück nach Töplitz, zu meinem Bruder August Kludt, welcher indessen die dortige Schulstelle angenommen hatte.

Wilhelm Kludt

Nachtrag zu dem vorstehenden Aufsatz meines l. Br. Wilhelm Kludt.

Diese, meine lieben Eltern, denen ich nächst Gott mein Leben und so unzähliges Gute zu verdanken habe, führten und hatten, besonders in ihren letzten Jahren ein etwas unstätes Leben, und hatten es daher, manchmal recht schwer. – Sie verließen 1939 Katzbach, – sich in den Ruhestand begebend, – und kamen und wohnten bei mir in Töplitz, zehn Jahre weniger zwei Monate, und zogen nachdem 1848 zu meinem Bruder Wilhelm in II. Malojaroslawetz. Hier aber erkrankte bald darauf meine Mutter Anna Maria Kludt geb. Will, an einer Art Lungensucht und starb den 19ten Oktober 1848, im Alter von 64 1/2 Jahren, und wurde den 22sten Octob. Nachmittags von Pastor Pingoud beerdigt. Sie hatte den Heiland schon seit längerer Zeit gesucht und kennen gelernt, und liebte ihn sehr, und so auch Jedermann; besonders aber war sie gegen ihre Kinder, eine gar zärtliche liebende und um sie besorgte Mutter. Der Herr vergelte ihr alles im ewigen Leben. In ihrer letzten Krankheit hatte sie manche schwere Anfechtungen von der Macht der Fensterniß in ihrem Innern durchzumachen und klagte mir ihre Trostlosigkeit; ich suchte sie zu beruhigen und zu trosten so gut ich wußte und konnte. Ich mußte ihr dann das14te Kapitel Johannes

vorlesen, was sei mit rechter Gespanntheit anhörte; und der Herr schenkte ihr in Gnaden wieder Trost und Frieden, und ging so, als eine gebeugte Sünderin im Glauben an den Herrn Jesum, still und sanft, in die ewige Heimath.

Von 1851 bis 1854 wohnte der Vater dann wieder,

als Witmann, alleine bei uns in Töplitz, und zog nach diesem wieder von uns, bis er 1857 wieder zu uns kam, aber auch nicht wieder auf eine lange Zeit, – sondern er kehrte noch einmal wieder zurück zu meinem Bruder Wilhelm in II. Malojaroslawetz. Jetzt erkrankte er nach einigen Wochen an einer sehr schmerzlichen Wassersucht, die von Zeit zu Zeit immer mehr zunahm und ihm so nach als sein letztes Läuterungsfeuer zu seinem Ende dienen mußte. Er war erweckt, liebte das Gute, und suchte oft mit Eifer und Ernst die Beförderung des Reiches Gottes nach seinen Ansichten, die manchmal gerade nicht die richtigsten waren; – und schadete sich selbsten damit, besonders durch seine lieblings Idee, von der Zukunft Christi, und den unsichtbaren und zukünftigen Dingen. Er sahe nun mit Schmerzen ein, daß er sich öfters geteuscht hatte. Er starb im kindlichen Glauben an Jesum, den 29sten März 1862, und wurde den 31 März von Pastor Pingoud beerdigt, im Alter von 79 Jahren. Beide Eltern ruhen nun dicht nebeneinander auf dem II. Malojarosl. Friedhofe, dem großen Tag der Auferstehung entgegenharrend.

Ach es wär zum weinen
Wenn kein Heiland wär,
Aber sein erscheinen,
Bracht den Himmel her.

Töplitz, den 31. Juli 1871 August Kludt

Die Johann Kludtschen Kinder

1 Carl Wilhelm Kludt

geboren den 16. Mai 1807 in Polen in Lusche, confirmiert 1823 den 22. März in Sarata. verheiratete sich den 18. Juli 1827, mit Susanna geb. König in Polen den 10. Decemb. 1811

Er übernahm 1826 die Schreiberstelle in Katzbach, 1827 und 1828 die Schreiberstelle in Krasna, 1829 und 1830 die Schulstelle in II. Ferechampenaise, 1831 und bis 1833 die in I. Malojaroslawetz, und von 1834 an übernahm er die Schulstelle in II. Malojaroslawetz, wo auch unsere ganze Kluds-Familie als Mitbürger eingetragen sind.

Wilhelm Kludt´s Kinder :

1) Christina, verehelichte Sannewald, geboren in I. Malojarosl. d. 28. Octob. 1831
2) Samuel geb. in II. Malojar. d. 5 Decemb. 1833
3) Louisa, den 25. Decemb. 1835

4) Eva Rosalia, verehel. Sannewald gebren. den 5. Januar 1838
5) Gotthilf Friedrich geb. d. 23. Sept. 1840; gest. in Amerika
6) Susanna geb. d. 3. April 1843 gest. 5/4 1843
7) Wilhelmine geb. d. 13 April 1844 gest. 4/11 1845
8) Gottlob Michael geb. d. 6. Juli 1846. gestorb.
9) Dorothea geb. d. 21. März 1849 gest. 27/6 1850
10) Jacob geb. d. 10. Juni 1851. gest. d. 15/6 1851
11) Gotthold geb. d. 12. Novemb. 1852
12) Emilie geb. d. 20. Nov. 1854 gest. 1856
13) Adolph geb. den

Carl Wilhelm Kludt
II. Malojaroslawetz
den 30. Mai 1856

II. Friedrich August Kludt.
geboren den 1. Juni 1811 in Lusche bei der Stadt Dombje in Polen, wurde mit meinem Bruder Wilhelm den 22sten März 1823 in Sarata von Pfarrer Lindl confirmiert, und habe von jener Zeit an, einen bleibenden und gesegneten Eindruck behalten.
Ich hatte die Wohlthat zu geniessen, von meiner Kindheit an bis in die Jünglingsjahre, im väterlichen Hause zu sein, nur daß ich, leider im eigentlichen keinen Schuluntericht hatte, als nur den Häuslichen, neben der Schule meines Vaters. welchen Mangel ich oft füllen mußte. – denn meine Eltern lebten meistens in nicht überflüßigen Umständen, und konnten daher nicht viel für mich verwenden, zudem für meinen Bruder Wilhelm seine Weiterbildung gesorgt werden muste, und man mich auch zu Hause nothwendig brauchte. Von 1831 bis 1832 übernahm ich die Schreiberstelle in I. Malojaroslawetz, und kam dann wieder zu Hause nach Katzbach. Von 1834 bis 1835 machte ich, besonders durch Betreibung meiner lieben Mutter, eine Besuchsreise zu unseren Verwandten in Polen

und nach Deutschland, in die Herrenhutter Brüdergemeinde Gnadenberg, Niske, Kleinwebke, Herrenhut und Bethelsdorf, – die für mich von großem Nutzen war. –

Von 1835 bis 1836 wurde ich durch Betreibung meines Bruders Wilhelm, – dem ich viel zu verdanken habe, in Befärderung was Bildung

anbelangt, – der Heer vergelte es ihm, – Schulgehülfe oder Proviser in Großliebenthal, was mir in Schulsachen sehr zu nutzen kam.
Vom 23sten April 1836 an mußte ich auf betreiben der Gemeinde Töplitz ihre Schulstelle übernehmen, die ich auch bis 1879, bei mancher Schwäche, Noth und Anfechtung, durch Gottes Gnade besorgte, aber auch dabei manchen Genuß des Guten und der Freude erfahren durfte.
In diesem Jahre 1836 den 5ten Juni verehelichte ich mich mit meiner lieben Gehilfen Eva Katharina geb. Hägele. Sie wurde den 15ten November 1819 in einem kleinen Dorfe Hahnweiler bei der Stadt Wennenden, geboren in Würtemberg. Ihre Eltern waren: Johann Conrad Hägele, und dessen Ehefr. Eva Katharine geb. Schäfer. Sie hatten sich in Deutschland, wohnend bei den ziemlich vermögenden Schwiegereltern in Hahnweiler, Ulrich Schäfer und dessen Ehefr. Eva Katharine geb. Fischer, mit der Schneiderey ernährt, und wanderten 1830 nach Rußland ein, wo sie sich in der Kolonie Gnadenthal niederließen. Meine Schwiegermutter Katharine Hägele hatte den Unfall gehabt, in ihren Jugendjahren, an einem Beine zu erlahmen, und mußte daher Krücken gebrauchen, bis an ihr Ende; was ihr freilich viele Beschwerden verursachte, aber ihre schöne Gestallt, besonders ihr christlicher Sinn und bescheidenes freundliche Benehmen machte sie allgemein beliebt. Im Jahre 1831 starb sie an der Cholera, im Alter von 33 Jahren.
Mein Schwiegervater Conrad Hägele wurde im November 1798 in Nelmerßpach in Würtemberg geboren. Seine Eltern waren Christian Hägele, und dessen Ehefr. Johanna. Er hatte folgende Geschwister: Einen Bruder Namens: Christian, und zwei Schwestern: Sara, und Anna Maria. Er war, wie sein Vater ein Schneider. Nach dem Tode seiner Frau, verehelichte er sich zum zweiten Mal, mit Katharine geb. Frick, von der er

folgende Kinder hatte: Friedrich, Christian, Johannes, Adam, Johanna Bizer, Louisa Käß, Christina Ridliger, Maria Wagner. Auch diese Frau starb ihm, und er verheirathete sich zum dritten Mal, mit Louise geb. Häcker, von der noch die Tochter Friederika vorhanden ist. Er selbsten starb etwa im Jahre 1856.

Meine Frau war das einzige Kind der ersten Frau meines Schwäers, Eva Katharine geb. Schäfer und wurde von derselben gar sorgfältig auferzogen, mit dem imsigen Anhalten des Schulbesuchs, dessen Untericht sie noch in Deutschland zu genißen hatte. Aber nach dem Tode dieser lieben Mutter, der gleich im anderen Jahre der Einwanderung erfolgte, fiel die ganze Last der Haushaltung auf sie, als einem 12jährigen Mädchen, und Noth aller Art, bittere Armuth, Krankheiten, später dazu auch noch dazu großer häuslicher Druck, von der Stiefmutter, wechselten miteinander, bis sie durch die Führung des Herrn, mit ihrer Verheiratung, davon befreit wurde. Die Veranlassung bei mir, ihr den Antrag zum Heirathen zu machen, war die Antwort des Herrn auf mein inniges Flehen zu Ihm: Joh. 14, 27, „den Frieden lasse ich auch, meinen Frieden geben ich euch. Nicht gebe ich euch wie die Welt giebt, Euer Herz erschrecke nicht, und fürchte sich nicht.“ –
Der Herr hatte jetzt geholfen und die Noth war gehoben, aber des ungeachtet hat Er uns dennoch so manchen Denkstein Seiner Errettung von Noth und Tod gesetzt, besonders bei einigen schweren Geburten, und einigen schweren und tödlichen Krankheiten. Lauter Beweise Seiner Gnade, daß Er uns nicht nur hier Gutes thun, sondern auch selig haben will. – und Gottlob! wir haben Ihn kennen und lieben gelernt, Seine Gnade an uns ist nicht vergeblich gewesen. – O möchte sie sich an allen, uns geschenkten lieben Kindern, so mächtig beweisen, an einem Jedem ins Besondere, daß wir alle, als ein Lohn Seiner Schmerzen einst rühmen könnten: „Siehe Herr, hier bin ich und die Du mir gegeben hast.“ –

Unsere Ehe ist reichlich gesegnet worden mit 16 Kindern, von denen 2 tod geboren sind, und hier folgen; alle sind in Töplitz geboren:

  1. Johannes den 14ten September 1837.
  2. Samuel Jacob den 3. Februar 1840.
  3. Friedrich August den 15ten December 1841.
  4. Sophia Katharina den 31ten October 1843
  1. Immanuel Heinrich den 13ten October 1846.
    Ein todgeborener Knabe den 2ten Januar 1849.
  2. Benjamen den 23. Februar 1850.
  3. Reinhold Wilhelm den 14. April 1852.
  4. Maria Salome den 12. October 1853.
  5. Johanne Friederika Amalia den 7ten Novemb. 1855.
    Ein todgeborener Knabe den 1856.
  6. Caroline Elisabeth den 17ten Januar 1858.
  7. Gotthilf den 27ten Februar 1860.
  8. Carl Immanuel den 19. August 1861.
  9. Woldemar den 11. August 1862.
  10. Gotthilf den 2. Januar 1868.

davon sind gestorben:

  1. Amalia den 15. Juni 1858. 3. Gotthilf den 19. Juni 1861.
  2. Caroline den 27. Decemb. 1859. 4. Gotthold den 7. Januar 1870.

Lebensende der lieben Mutter in Friedensfeld

Hier in Friedensfeld erkrankte unsere liebe theure Mutter, nach manchen vorhergehenden Unpäßlichkeiten und Krankheiten, zu Ostern 1890, aufs Neue, an sehr schmerzhaften Magen- und Urinbeschwerden, so daß sie oft 4-5 Tage lang keinen

Stuhlgang und Urinlassen hatte, und nur durch verschiedene Purigiermittel und Operationen wieder in den Gang kam. Zu diesen Leiden verbunden mit Gichtkrämpfen, erhielte sie noch zuletzt, einen sehr starlen brennenden braunrothen Friedel, der erst am fünften Tage etwas abtrocknete. Sie fühlte sich dann wie etwas besser und leichter, so daß sie nmanchen Tag einpaar Stunden auf war, nach unserer Wäsche nachsahe und andere Hausbedürfnisse anordnete, bei mir. So war sie noch am 4ten Juli etwas auf, küßte und drückte mich, mit dem Bedauren, daß ich so viele Arbeit und Mühe mit ihr haben müßte. Ich etgegnete ihr: Mir ist noch kein Gedanke gekommen, daß mir dein Kranksein zuviel oder lästig wäre, wenn es auch noch zwei Jahre dauerte, wenn Du nur nicht stirbst, – Sie antwortete: Aber siehe, ich bin schon schwach und elend, mir selbst und Anderen zur Last, für mich ist sterben das Beste. – Noch am Abend desselben Tages war sie auf, und hielten miteinander unsere Abendandacht. Ich las einen Aufschlag aus Hillers Liederkästlein und betete, und sie betete dann auch; indem sie sich als eine arme Sünderin, in das Erbarmen Jesu hineinwarf. – Wir gingen dann ganz gemüthlich beide zu Bette. Sie war ruhig und klagte nichts. Uum 2 Uhr Morgens, sagte sie zu mir, ich solle aufstehen, und meinen dicken Rock auf die Bettdecke noch legen, sie könne gar nicht warm werden, udn war dann wieder ganz stille, nach dem ich den Rock auf sie gelegt hatte. bis gegen 4 Uhr hörte ich auf einmal wie einwenig röchlen oder schnarchen. Ich rief ihr sogleich, aber sie gab keine Antwort mehr, sie war schon im Abscheiden. Ich eilte

sogleich den Samuel und seine Leute zu rufen, und wie sie kamen dauerte es nur noch einpaar Minuten, und sie hatte ihr Leben ausgehaugt. – Das war den 5ten Juli gegen 4 Uhr Morgens 1890.
Am 7ten Juli Abends wurde die Mutter von dem hiesigen Schullehrer Enßle beerdigt. Er eröffnete die Leichenfeier mit einem schönen mehrstimmigen Gesange, und las eine wichtige Leichenrede, über Luk. 12,41- 44 –
„Der Herr aber sprach: Wie ein großes Ding ist es um einen treuen und klugen Haushalter, welchen der Herr jetzt über sein Gesinde, daß er ihnen zu rechter Zeit ihre Gebühr gebe.

Selig ist der Knecht, welchen sein Heer findet also thun, wenn er kommt. Wahrlich, ich sage euch, er wird ihn über alle seine Güter setzen.“

Die ganze Leichenfeier wurde dann wieder mit einem mehrstimmigen Gesange geschloßen. –
Die Mutter hatte ihren irdischen Lauf vollendet im Alter von 70. Jahren 7 Monat und 20 Tagen: war

[hier endet die Aufzeichnung leider]

1Abschrift in der originalen Rechtschreibung, Akte DAI, R57 1405 Bundesarchiv

26 Meilen (9,66 Kilometer), 1 Meile (1.609,34 m)

Taganrog

„Uebrigens ist Taganrog ein so natürlicher Punkt für den Handel, daß hier, obgleich die Niederlassung oft von den Barbaren zerstört worden ist , immer wieder ein Emporium sich bildete“1

Wie treffend diese Aussage war, zeigt sich mit der ersten Erwähnung des Kaps Taganiy Rog (Tagan Rog) vom 6. September 1489, als Großherzog Ivan III zwei Briefe an die Krim schickte, der Krim-Khan Mengli Gerai und der Taman- Prinz Zakharia.3 Die Nachricht an Zakharia gab den Ort des geheimen Treffens an: „Und wir, so Gott will, werden unser Volk im Frühjahr zu Ihnen schicken, und ich habe meinem Volk gesagt, dass es an der Mündung des Miyush und am Taigan auf Sie warten soll.“3.

Taganrog (russisch Таганро́г, ukrainisch Таганрог Tahanroh oder selten Таганріг/Tahanrih) liegt am Nordufer des Asowschen Meeres, im Nordwesten der Stadt mündet der Fluss Mius in eine Bucht, die sich 20 km nach Westen erstreckt und über eine Meerenge mit dem Asowschen Meer verbunden ist.

Eine erste Siedlung entstand bereits im späten 7. Jh. v. Chr. und wurde vom griechischen Historiker Herodot als „Emprion Kremnoj“ erwähnt.2

Die Hafenstadt wurde durch Zar Peter der Große nach den Asowfeldzügen 1696 unter der Aufsicht des Engländers Andreas Krafft und unter der Leitung von Baron von Borgsdorf zur Festung und zum Kriegshafen ausgebaut und am 12. September 1698 offiziell vom Zaren eingeweiht.

Geographische Vorstellung der so genandten Kleinen Tartarey, wie auch einiger LandCarten, Plans u. Prospect wo derzeit sich das Kriegs Theatrum eröffnet und durch die Sieghaffte Waffen der Russen Grosse Progressen gemacht werden
„Geographische Vorstellung der so genandten Kleinen Tartarey“4

Nach wechselvoller Geschichte von Eroberungen und Kriegen wurde der Festungsstatus von Taganrog 1784 aufgehoben und der Kriegshafen entwickelte sich fortan zu einem bedeutenden Handelshafen.

Im Oktober des Jahres 1802 erhielt das Gebiet um Taganrog den Status eines eigenen Gouvernements, Baron Balthasar von Campenhausen wurde 1805 Oberbürgermeister von Taganrog.

Neben der einheimischen Bevölkerung fanden sich in der Hafenstadt sehr viele Griechen, die in Folge der Kriege aus dem Osmanischen Reich geflüchtet waren, Russen, jüdische Händler und Kaufleute, aber auch Handelstreibende vieler anderer Länder, deren Schiffe die Hafenstadt erreichten. Ein buntes Gemisch an Sprachen und Kulturen.

Die Handwerkerkolonie mit ihren zahlreichen Tuchmachern, Tuchfabrikanten und Tuchhändlern, die für die stetig wachsende russische Armee den Bedarf an Tuchen und Textilien für die Uniformen deckte, wurde um 1807 für Johann Georg Feine (1773-1824)12, einem Leinenweber aus Erfurt, der als Spezialist für die Einrichtung von Tuchfabriken nach Taganrog15 kam, der Ausgangsort für den Wohlstand seiner Nachkommen, er wurde der Stammvater der Familie Falz-Fein.

Von 1816 bis 1834 gehörten zum Kreis Taganrog die Städte Rostow-am-Don, Nakitschewan und Mariupol, ehe Rostow 1834 dem Gouvernement Jekaterinoslaw angegliedert wurde.

Mit der Einwanderung der Deutschen als Kolonisten ins russische Reich entstand eine größere deutsche Gemeinde in Taganrog. Diese Kolonisten wurden zunächst in der Zeit von 1832 bis 1872 durch Pfarrer Christian Eduard Holtstreter (*21.2.1806 Riga) von Grunau, Mariupol, Jekaterinoslaw betreut. Sein Einzugsbereich von 16 Dörfern erstreckte sich bis Elisabetsdorf, Ludwigstal und Kampenau.

Die Pfarrer der Kirchengemeinden leiteten die Aktivitäten der lutherischen Gemeinden nicht nur an den Orten, an denen sie sich befanden, sondern auch in den umliegenden Gebieten. Niederlassungen wurden überall dort gegründet, wo sich die deutschen lutherischen Kolonien am stärksten konzentrierten. Aufgrund der Streitigkeiten der Kolonien, wo die Gemeinde organisiert werden sollte, wurde meist beschlossen, sie in einer neutralen großen Siedlung zu gründen, irgendwo in gleicher Entfernung von verschiedenen Koloniegruppen. Die Alltagsgeschäfte der Kolonie wurden normalerweise von Lehrern erledigt, wenn der Pfarrer abwesend war.

Während des Krimkriegs wurde die Stadt am 22. Mai 1855 von einer englisch-französischen Flotte bombardiert und teilweise zerstört. Es folgte die Belagerung von Taganrog. Die russischen Truppen verließen Taganrog am 21. Juni 1856. Die zerstörte Stadt beklagte den Verlust von 20 Herrenhäusern, 74 weitere waren mehr oder weniger stark beschädigt, 189 andere Bauwerke, vorwiegend Kornspeicher und Lagerhäuser waren niedergebrannt und 44 beschädigt wordenund die lokalen Infrastruktur zerstört, insgesamt forderte der Krimkrieg der Stadt etwa 1 Million Rubel an Kosten ab. Zar Alexander II. befreite daher die Bürger von Taganrog von jeglichen Steuerzahlungen für das Jahr 1857.

Im Jahre 1859 beantragte der Attaman der Donschen Kosaken, Generaladjutant Chomutow den Bau einer neuen Kirche in Nowo-Tscherkassk für die Lutheraner, dazu gehörend Taganrog und Rostow. Das Problem war jedoch die geringe Zahl von 80 Kirchenmitglieder in Nowo-Tscherkask, welche nicht ausreichten, die Predigerstelle vor Ort zu erhalten, so entschied man sich nach Verhandlungen für den Bau in Taganrog mit einem Einzugsbereich von etwa 150 Gemeindemitgliedern und einen Zusammenschluß der drei Gemeinden.14

Der Pfarrer sollte seinen Wohnsitz in Riebensdorf nehmen und 150 Rubel jährlich erhalten, dazu kostenlose Wohnung und Heizmaterial. Die anderen Gemeinden sollten mindestens viermal jährlich besucht werden, zahlten die Kosten der Fahrten und zusammen 150 Rubel, die Unterstützungskasse bewilligte zudem für fünf Jahre eine Beihilfe von 300 Rubel jährlich. So wurde 1862 die lutherische Taganrog-Yeisk-Gemeinde gegründet und der Plan eines Gotteshauses in Angriff genommen.

Die Gemeinde erwarb 1864 für 4470 Rubel einen Platz an der Kreuzung Nikolaevskaya-Straße und Kampengauzensky-Gasse und richtete die vorhandenen Räumlichkeiten für den Gottesdienst her.

Lutherische Kirche Taganrog
Kirche Taganrog vor 1917 auf alter Ansichtskarte5

Als die Kirche geweiht wurde, hatte die Gemeinde 84 Mitglieder, 53 Männer und 31 Frauen. Vor allem Mitarbeiter von Botschaften – beispielsweise gab es 1911 noch elf diplomatische Vertretungen in Taganrog, in der Blütezeit waren es sogar 16 Vertretungen – aber auch Fabrikarbeiter, Handwerker und Kaufleute kamen zu Pastor Johannes Görtz.

Antrag auf Einrichtung eines hanoverschen Consulats in Taganrog 18586

Unter den Direktoren der Unternehmen in Taganrog, welche mit ihren Frauen und Kindern den Gottesdienst besuchten, waren auch der Gründer der Brauerei in Taganrog, Christian Friedrichovich Bille sowie der Direktor der Gerberei, Emil Feit, mit seiner Frau Olga Thyssen. Dessen Bruder Gustav Feit wohnte in Aachen, wo er ebenfalls den Posten eines Fabrikdirektors bekleidete. Als Emil Feits Sohn William geboren wurde, reiste Gustav Feith extra aus Aachen nach Taganrog, wie berichtet wurde.19

Bei Christian Bille wurde Münchener Bier, Schwarzbier sowie deutsches Pilsener gebraut. Christian war mit Amanda Neumann verheiratet. Sie hatten eine Tochter Selma, die am 5. April 1877 geboren wurde. Christian Bille starb am 5. April 1896 im Alter von 59 Jahren an Schwindsucht. Am 20. August 1903 heiratete Hermann Basener Billes Tochter Selma, diese Ehe verband die Brauerei des August Basener in Nowo-Tscherkassk mit der in Taganrog. Aber auch Baseners Tochter Maria heiratete einen Brauer – Eduard Klein. Sohn Oskar, nach dem Tode des Vaters Besitzer der Brauerei, heiratete mit Agnes Mann in die Rostower Brauerei Heinrich Mann ein. Witwe Amanda Bille starb im Alter von 75 Jahren an Lungenentzünduns am 14. Dezember 1914.19

Als Ernst Nikolaus Strauss (9.10.1838 Kurland-1.7.1914 Taganrog) im Jahre 1879 der Taganroger Pfarrer wurde und die umliegenden Dörfer mitbetreute, begann eine erhebliche Bautätigkeit in seiner Kirche bis etwa 1887. Alle Gebäude wurden umgebaut und auf der rechten Seite der Kirche entstand eine Pfarrschule, die Gemeinde wurde völlig unabhängig, und der Pastor selbst wurde Propst der „Zweiten Südrussischen Propstei“.

Probst Strauss ehelichte Elvira von Hahn, die gemeinsamen Kinder waren: Oskar Woldemar Nicolaus, Bergbauingenieur, verheiratet mit Maria Konstantinidis und Olga Wilhelmine, verheiratet mit dem Dresdner Fabrikbesitzer August-Hermann Bessel.

Die Abteilung für geistliche Angelegenheiten weigerte sich lange, die Städte Taganrog und Rostow am Don in zwei unabhängige Pfarreien aufzuteilen. Daher blieb die lutherische Gemeinde Rostow ein Zweig der Kirchengemeinde Taganrog. Erst 1895 gelang es Pfarrer I. von Turne, in Rostow eine eigene Pfarrei zu gründen, die Pfarrei Luhansk und die Pfarrei Rynovka (Donezk), die 1899 bzw. 1900 gegründet wurden, blieben weiter abhängig von Rostov. Die Pfarrei in der Stadt Nowotscherkassk entstand erst 1908.

Die Grabstätte von Probst N. Strauss ist verloren gegangen.

Der Stein befindet sich neben dem Durchgang zwischen den Nebengebäuden der Kirche.7

Als Probst Strauss in den Ruhestand eintrat, übernahm Probst Richard Keller 1907 seine Stelle in Taganrog. Unter ihm bekam die evangelisch-lutherische Kirche eine Schule, bis dahin bestand nur eine der katholischen Kirche10 , wenn man die städtischen Einrichtungen nicht betrachtet.

Dessen Vater, Pastor Gotthilf Heinrich Keller, stammte aus der deutschen Kolonie Alexandersdorf bei Tiflis (* 27. Mai 1834) und starb im Ruhestand an Altersschwäche und Lungenentzündung am 13. Juni 1911 im Alter von 77 Jahren. Er wurde in Taganrog begraben.8

Die Grabstätte von Pfarrer Keller ist verloren gegangen, der Stein noch erhalten.9

Gotthilf Heinrich Keller wurde am 27. Mai 1834 in Alexandersdorf bei Tiflis als Sohn von Melchior Keller und Johanna Margaret Hubner, Schwester des Pfarrers Georg Christoph Hubner geboren und starb am 30. Juni 1911 in Taganrog. Sein Bruder Isaak Theophil Keller (1865-1920) war ebenfalls Pfarrer

Pfarrer Richard Keller wurde am 16. Juni 186313 in Neu Freudenthal geboren und starb am 25. Januar 1949 in Ingweiler/Elsass, seine Mutter war Jenny Lang (1841-1892).

Der Beginn des Ersten Weltkrieges zerstörte das blühende Leben der deutschen Gemeinde, die in Rußland wohnenden Deutschen erregten das Mißtrauen der russischen Regierung, manche von ihnen wurden gezwungen, das Land zu verlassen, auch Hermann Basener, andere verbannt.

Die Sowjetmacht wurde am 22. Januar 1918 in Taganrog gegründet. Anton Glushko leitete den ersten lokalen Sowjet. Von März bis Mai 1918 blieb die ukrainische Sowjetregierung während der Besetzung der Ukraine durch deutsche Truppen in Taganrog. Taganrog selbst war von Mai bis August 1918 unter deutscher Besatzung. Der Friedensvertrag von Brest-Litowsk wurde am 3. März 1918 geschlossen.

Nach den Vorstellungen deutscher Militärs sollte die Ukraine jedoch zur „Kornkammer“ des Deutschen Kaiserreichs werden. Die dafür durch die Deutschen eingesetzte ukrainische Regierung machte Vergemeinschaftungen rückgängig, führte den Großgrundbesitz wieder ein und begann mit Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung. An den Kämpfen um Taganrog beteiligte sich auch die 1. Bayerische Kavalleriebrigade und das württembergische Ulanen-Regiment Nr. 20.

Der Nordstern, St. Cloud, Minnesota, , Donnerstag den 20, Juni 1918, Nr. 32 p1

Dazu Baumgart in seiner Dissertation16:

Ob an diesem Unternehmen auch Matrosen der Flotte von Novorossijsk beteiligt waren, läßt sich nicht ermitteln. Im Tagebuch Hoffmanns findet sich unter dem 16. Juni folgender Eintrag (I 198): »Bei Taganrog landeten plötzlich 10 000 Bolschewisten aus dem Kubangebiet und griffen unsere Truppen in Rostow an. Die württembergische Landwehr dort hat das übelgenommen.« – Die feindlichen Truppen wurden buchstäblich ins Meer zurückgetrieben und bis auf den letzten Mann niedergemacht. Nach Mordvinov (130) belief sich die Zahl der Landungstruppen auf mindestens über 6 000. Von ihnen sollen 6 000, also das Gros, umgekommen sein.

Winfried Baumgart, Dissertation, Saarbrücken, Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes, Oktober 1965 „DEUTSCHE OSTPOLITIK 1918 Von Brest-Litowsk bis zum Ende des Ersten Weltkrieges“

Nestor Machno (1888-1934) in Rumänien 192117

Mit der Besetzung durch die die deutschen Truppen bildeten sich im Frühling 1918 unter Nestor Machno Partisanenabteilungen die Machnowschtschina die sich kämpfend auf Taganrog, Rostow und Zaritzin zurückzogen. Die Truppen Machnos waren durch Verwendung von mit Pferden oder Maultieren bespannten (und oft mit Maschinengewehren bestückten) Kutschen und Bauernwagen hoch beweglich. Die Machnowschtschina konnte sich erfolgreich gegen die Besatzungstruppen der deutschen und österreichischen Mittelmächte sowie gegen die Armeen der Weißen behaupten. Im August 1918 wurde er von dem Hetman Pawlo Skoropadsky, der die Macht in der Ukraine besaß, sowie von den deutsch-österreichischen Militärbehörden, außerhalb der Gesetze gestellt. Machno kam heimlich in die Gegend Gulai-Pole zurück, bildete neue Partisanenscharen aus und führte seinenKampf gegen die Truppen Skoropadskys, vor allem aber gegen die Gutsbesitzer fort, die von seinen Truppen grausam zu Tode gemetzelt wurden.

Im August 1918 übernahmen Don Kosaken die Kontrolle über die Stadt, Truppen der Roten Armee unter dem Kommando von Nikolay Kuybishev marschierten am 24. Dezember 1919 in die Stadt ein.

Am 26. Februar 1920 erteilte die Militärrevolutionäre Kommission den Befehl Nr. 46 und schloss fünf ausländische Konsulate, die zu dieser Zeit in Taganrog geöffnet waren (spanisches, griechisches, belgisches, dänisches und schwedisches Konsulat).18

Die volle Macht wurde am 17. Dezember 1920 dem Exekutivkomitee des sowjetischen Arbeiterrates der Stadt übertragen, und die Stadt trat der ukrainischen SSR bei, wurde jedoch 1925 an die russische SFSR übertragen.18

Die lutherische Kirche hörte 1923 auf zu existieren.

Und dann… wird mancher fragen?

Die Deutschen blieben in ihrer Wahlheimat, trotz allem, 1926 machten sie noch etwa 3,2 Prozent der Bevölkerung im Kreis Taganrog aus. Der zweite Weltkrieg änderte die Situation schlagartig, wegen der falschen Bezichtigung der Kollaboration und Spionage für das Dritte Reich wurden die verbliebenen Deutschen deportiert.

Am 17. Oktober 1941 wurde die Stadt von deutschen Truppen im Rahmen der Offensive der Heeresgruppe Süd besetzt. Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD ermordeten die jüdische Bevölkerung Taganrogs, verschleppte viele Bewohner nach Deutschland als Zwangsarbeiter. In der Sommeroffensive der Roten Armee wurde die Stadt am 31. August 1943 von sowjetischen Truppen befreit und im September 1943 das Kriegsgefangenenlager 356 für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs eingerichtet.

Hier schließt sich das deutsche Kapitel Taganrogs.

1 Historische Fragen mit Hülfe der Naturwissenschaft beantwortet Dritter Teil, St. Petersburg 1873 von Dr. Karl Ernst von Baer, p.68

2 Heinz Setzer: Taganrog, die „Perle des russischen Südens“ im Überblick. Deutsche Tschechow-Gesellschaft e.V

3 Смирнов А. Неизвестный юбилей Таганрога // Таганрогская правда. 10. September 2014

4 Bodenehr, Gabriel (1664-1758): Geographische Vorstellung der so genandten Kleinen Tartarey, wie auch einiger LandCarten, Plans u. Prospect wo derzeit sich das Kriegs Theatrum eröffnet und durch die Sieghaffte Waffen der Russen Grosse Progressen gemacht werden

5 Ansichtskarte der Kirche Taganrog Wikipedia, gemeinfrei

6 Das hannoversche Konsulat in Taganrog 1858-1865 SignaturNLA AU Rep. 15 Nr. 6362Nds. Landesarchiv, Abt. Aurich

7 cemetery-su Foto Elena A.

8 Foto des Pfarrers Gottlieb Heinrich Keller AM F 5514:92 – auf der Museumsseite fälschlich Gottlieb (siehe Fotorückseite, dort steht Gotthilf)

9 cemetery-su Foto Elena A.

10 Eisfeld, A.: Die Russlanddeutschen. Vertreibungsgebiete und vertriebene Deutsche. Eine
Studienbuchreihe der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat, Band 2, Bonn: Langen Müller, 1999, p62

12 Kirchenbuch Erfurt, Taufen 1744-1773

13 Kirchenbuch Neu Freudental 1863

14 Ergänzungen der Materialien zur Geschichte und Statistik des Kirchen- und Schulwesens der Ev. Luth. Gemeinden in Rußland. Im Auftrage des Central-Comit´s der Unterstützungs-Kasse für Ev.-Luth. Gemeinden in Rußland, gesammelt und herausgegeben von E.H. Busch, Russisch-Kaiserlichem Staatsrath. Erster Band der St. Petersburgische, der Moskausche und der Kurländische Consistorialbezirk. St. Petersburg Gistav Haessel, Leipzog H. Haessel. 1867 p205f

15 Ingeborg Fleischhauer: Die Deutschen im Zarenreich. Zwei Jahrhunderte deutsch-russische Kulturgemeinschaft, Stuttgart 1986 S. 162f

16 Winfried Baumgart, Dissertation, Saarbrücken, Philosophischen Fakultät der Universität des Saarlandes, Oktober 1965 „DEUTSCHE OSTPOLITIK 1918 Von Brest-Litowsk bis zum Ende des Ersten Weltkrieges

17 wikimedia: English: Nestor Makhno (1888–1934) in a displaced persons camp in Romania
Нестор Иванович Махно (1888-1934) в лагере для перемещенных лиц в Румынии
1921 Quelle http://varjag-2007.livejournal.com/2110190.html

18 Geschichte von Taganrog

19 Der Reidemeister 05.04.1997 133/134 Juri N. Andrianow „Deutsche Siedler in Taganrog und
Umgebung. Eine Studie zur Geschichte von Verbindungen zwischen Taganrog und angesiedelten Deutschen“

Kaisertal

heute Solota Dolyna / Золота Долина

Aus „1838 – 1913 Die Evangelisch-Lutherische Gemeinde Kaisertal, Gouvernement Taurien, Kreis Melitopol, Wolost Eugenfeld) in den ersten 75 Jahren ihres Bestehens.” Jubiläumsschrift, herausgegeben im Verein mit mehreren Gemeindegliedern von J. Stach, Pastor. Verlag Eugenfeld“, Ergänzungen und Anmerkungen Jutta Rzadkowski

Die Ansiedlung

Die Kolonie Kaisertal wurde im Frühling 1838 von folgenden 49 Wirten angesiedelt:

Nr.Namen d. AnsiedlerWo geborenAus welcher Kolonie anges.?Wann gestorben?
1.Jakob KeckunbekanntKronsfeld1885
2.August BüschlerHoffental1889 zu Johannesruh
3.Christian FustWalldorf13.Sept. 1872, 61 J.
4.Christoph NagelTiefenbrunnunbekannt
5.Fredrich LinderLeitershausen
6.Karl UllrichKarlsruh10.Okt. 1864, 75 J.
7.Karl Wundersee1. Juli 1868, 62 J.
8.Michael BlochPolenTiefenbrunn25. Juni 1878, 77 J.
9.Gottlieb BüschlerunbekanntHoffental Vater v. Nr. 2.1885
10.Johann MaihöferFriedrichsfeld10.Nov.1864, 51 J. 8 Monate
11.Michael KirchmeierNeumontal1855
12.Philipp MeierLeitershausengest. bei Kertsch
13.Karl KühneDurlach26. Sept.1864, 50 J. 9 M.
14.Friedrich LeinichKronsfeldd. erste, der v. d. Ansiedlern starb 
15.Friedrich Schatzwand. n. Grusien aus
16.Karl MärtinsKarlsruh31. Juli 1876, 64 J. 8 M.
17.Gottlieb FöllReichenberg i. Württ.Reichenfeld14. März 1880,70 J
18.Johann FischerDeutschlandNeunassau2. Juli 1877, 60 J. 10 M., als Landb. i. Ebenfeld.
19.Gottlieb HeinunbekanntTiefenbrunnunbekannt
20.David RennerWeinau1863
21.Friedrich. DreherPrischib1846
22.Johann HesselReichenfeld1857
25.Christoph FreundReichenfeld1. März 1868, 50 J.
24.Alex. BurghardtJekaterinosl.Prischib29. Dez. 1889,77 J. 8. M.
25.Michael LörkeunbekanntRosental1887
26. .Karl SeelNeunassau26. Juni 1864, 55 J.
27.Jakob SchlechtSt.Petersh.Kronsfeld7. Febr. 1875, 64 J.
28.Gottlieb JekelunbekanntRosental1891
29.Adam EbingerHochstädt1855 in Okretsch
30.Friedrich SanneAltmontal12. Sept. 1888, 78 J. 7 M. 
31.Christian BalleKronsfeldunbekannt
52.Nikolaus EvaKarlsruh1861 
33.Michael BreitPrischib1854
34.Sebastian FöllSteinheim a. d. Murr in Wü.Karlsruh1. Aug. 1897, 91 J. 5 M.
55.Johann RuffunbekanntWeinauunbekannt
36.August ProbstAltmontal31. Mai 1882,72 J. 4 M.
37.Christian KonradRosental1885 
38.Friedrich GalsterPolenDurlach17. Apr. 1866, 65 J. 
39.Karl MärtinsunbekanntKarlsruh31. Juli 1876, 64 J. 8 M. 
40.Gottlieb ErsteinPrischibunbekannt
41.Georg MorgensternAltnassau
42.Johann ZiebarthPolenHochstädt30. Okt. 1892, 87 J. 
45.Johann FustunbekanntWalldorf18. Dez. 1866, 59 J.
4Christian HarwardtWeinau17. März 1891, 84 J. 7 M. 
45.Johann PolleStockholmKronsfeld14. Apr. 1884, 83 J. 3 M.
46.Gottlieb RufunbekanntWeinau29. Apr. 1872, 55 J. 
47.Jakob UllrichDurlach12. Nov. 1877, 57 J.
48.Johann WolfunbekanntFriedrichsfeld1855
49.Jakob WeberNeunassau1898
 Freiwirte:   
1.Joh. Andreas BeekGouv. St. Petersburg Karlsruh6.Aug.1867, 45 J. 3 M.
2.Georg MorgensternunbekanntAltnassauunbekannt
3.Friedrich SeelNeunassau
Abschrift DAI, Kommando Stumpp 1941

Alle Siedler aus den alten Mutterkolonien an der Molotschna waren junge Leute, die ohne Hof blieben und daher beschlossen, neues Land zu besiedeln. Nach langen Verhandlungen gab es Land von der Krone, jedoch keine weitere Unterstützung. Ein großes Problem war die Bedingung, dass die Siedler nicht ohne Kühe zur Ansiedlung aufbrechen durften, was Nachverhandlungen erforderte.

Die ersten Siedlungsjahre waren sehr schwer, zunächst wurden die Parzellen zu je 60 Dessjatinen (etwa 65 1/2 Hektar) festgelegt, man brach nach Ankunft 1838 das Land um, bestellte den Acker, grub einen Brunnen und baute sich einfachste Lehmhütten zur Unterkunft.

Das Land befand sich im Tal einer Hügelkette, die in späteren Jahren als „die alte Wertschaft“ bezeichnet wurde, hier befand sich zur Ansiedlung bereits ein altes Gebäude. Im zeitigen Frühjahr wurde dieses Gebiet aufgegeben und an seiner Stelle der heutige Siedlungsstandort gewählt.

Ein Teil der Siedler war gegen diesen Ort, weil ihnen eine Überschwemmung im Frühjahr durch den kleinen Utljuk-Fluss wahrscheinlich schien. So entschied der Dorfschulz, die Befürworter des Ortes sollen rechts siedeln, die anderen nach links, wobei sich die rechte Seite durchsetzte. So entstand das neue Dorf mit breiter Hauptstraße, rechts und links davon die Gehöfte mit ihren Gärten.

Warum das Dorf den Namen Kaisertal trägt, ist allerdings ungeklärt, sein russischer Name Золота Долина bedeutet „Goldenes Tal“.

Die Kolonie befand sich etwa 24 Werst südöstlich der Kreisstadt Melitopol, wobei 1 Werst = 1,0668 Kilometer entspricht. Um Bauholz zu beschaffen, musste man mit dem Ochsenkarren nach Iwanenko und Kamenka, eine Entfernung von 70 bis 100 Werst, Zimmermannsbretter mussten aus Jekaterinoslaw beschafft werden, über 200 Werst entfernt. Ebenso schwierig war der Weg zur Mühle in Schönwiese, in der Nähe der Stadt Alexandrowsk am Dnjepr, die rund 130 Werst entfernt lag, Getreidehandel fand in Berdjansk statt, ebenfalls rund 120 Werst entfernt. Daher gründeten die Siedler bereits im Jahr ihrer Ankunft ein Transportunternehmen.

Kleine Gemeindechronik

1838 war sehr verregnet, so verfaulte ein Teil der geringen Getreideernte, die Schilfdächer der Lehmhäuser stürzten ein. Nur mit größter Anstrengung gelang es den Siedlern, sich notdürftig auf den ersten Winter vorzubereiten, trotzdem wurden die Kinder unterrichtet, Carl Märtins (1811-1875), genannt „Krim-Märtins“, unterrichtete die Kinder gegen eine bescheidene Entschädigung der Gemeinde in seinem eigenen Haus, wo er Sonntags-, Fest- und auch Lesegottesdienste abhielt, da der Pfarrer die Gemeinde nur zweimal im Jahr besuchte, weshalb die zu konfirmierenden Kinder jedes Frühjahr nach Molotschna fuhren.

Da es zunächst weder eine Kirche noch eine Kirchenglocke gab, wurde ein hölzernes „Kirchenbüchel“ eingeführt, welches jeden Sonntagmorgen vor Beginn des Gottesdienstes von Haus zu Haus zirkulierte. Wenn das „Kirchenbüchel“ nicht ausgegeben wurde, fiel der Gottesdienst aus. Wer dem Gottesdienst fernblieb, zahlte 10 Kopeken Strafe. Um sich vor Raubüberfällen, wilden Tieren und Feuern zu schützen, gab es einen Nachtwächter- und Gerichtsvollzieherdienst, den jeder Wirt abwechselnd wahrnahm. Dazu übergab der diensthabenden Nachtwächter die eiserne „Gemeinschaftslanze“ und der Gerichtsvollzieher den hölzernen „Bürgermeisterhammer“ an den jeweils Beauftragten.

Der Gerichtsvollzieher ließ Bestrafungen durchführen, Männer wurden mit der Rute geschlagen, bei Diebstählen musste man mit den gestohlenen Gegenständen durch das ganze Dorf ziehen und die Männer riefen die Namen der gestohlenen Gegenstände. Für verbotenes Tanzen oder Streiche wurden die Jugendlichen mit gemeinschaftlicher Arbeit bestraft, wie dem Ausheben von Gräbern, dem Ausheben von Löchern für Zaunpfähle und so weiter.

Bereits 1839 kam der Lehrer Schill nach Kaisertal und 1840 wurde das erste Bet- und Schulhaus mit Lehrerwohnung gebaut, dringend notwendig, da es über 100 Schulkinder gab. Im gleichen Jahr wurde auf behördliche Anordnung die Anpflanzung von Obstbäumen vorgeschrieben. Bei einer Zählung 1864 hatte Kaisertal auf den 49 Höfen 6.300 Obstbäume und 86.522 in Waldstücken und Baumschulen gepflanzte Bäume und Setzlinge, eine enorme Leistung, wenn man bedenkt, nach dem Regenjahr folgten Dürren. Eine Missernte wechselte sich mit der nächsten ab, immer wieder musste um Hilfeleistung aus der Mutterkolonie Molotschna gebeten werden. Alles war vonnöten, Brot, Saatgetreide, Viehfutter und alles musste per Ochsenkarren herangeschafft werden, die Fuhrleute auf den langen Wegen hungerten ebenfalls, da in der Steppe keine Unterkunft zu finden war.

Die Enttäuschung der Siedler war groß und mancher entschloss sich, Kaisertal zu verlassen, die Abwanderung wurde jedoch 1843 behördlich untersagt, da mancher nach Grusien aufbrach, wo es seit 1818 deutsche Kolonien gab, die recht erfolgreich wirtschafteten.

Der Ackerbau erlitt weiterhin teilweise völlige Ernteausfälle (1848, 1855 nach Heuschreckenplage, 1863, 1864, 1871, 1873, 1887), man verfütterte die Strohdächer an das Vieh als Futter, nur die Schafzucht half über die Zeiten der bitteren Not. Trotz allem war der Fortschritt nicht aufzuhalten,

Um 1850 errichtete der Siedler Galster die erste Ziegelei und bald wichen die Lehmhütten massiven Gebäude aus gebrannten Ziegeln, zudem errichtete er die erste Putzmühle für das Getreide. Im Haus des Siedlers Maihöfer wurde ein Laden von einem Kondakower eröffnet.

Der Krimkrieg verlangte den Kaisertalern einiges ab, da vom 26. März bis 17. November 1855 in 54 Transporten 10.711 Kranken in ein eigens geschaffenes Lager gebracht wurden. Für den Krankentransport waren jeweils ein Beamter, ein Chirurg, ein Arzt oder Assistenzarzt und weiteres Hilfspersonal zuständig. Die Beerdigung verstorbener Soldaten erfolgte meist im Beisein von Offizieren.

Die durchreisenden Soldaten litten häufig an Typhus und Ruhr. Durch Infektionen verbreiteten sich die Krankheiten im gesamten Kaisertal und dadurch wurden etwa 10 Familien ihres Hausherrn und Versorgers beraubt.

Die Gemeinde spendete drei Waggons mit Kartoffeln und Hafer und beteiligte sich aktiv, oft unter Lebensgefahr, am Transport von Heu und Hafer von Sewastopol zum Einsatzgebiet. Auf einem solchen Transport kam der Kaisertaler Siedler Ebinger auf der Krim ums Leben.

Am 6. Oktober 1857 wurde die junge Frau Margaretha Föll abends auf dem Heimweg von einem Tanz am elterlichen Gartenzaun ermordet aufgefunden, der Täter nie ermittelt.4

Ein weiteres, besonders tragisches Unglück folgte am 1. März 1862. An diesem Tag sollte die Hochzeit von Christian Schatz und Katharina Wundersee stattfinden. Am frühen Morgen fuhren Braut und Bräutigam in Begleitung von 6 Personen zur Trauung in den etwa 60 Werst entfernten Pfarrort Hochstädt. Plötzlich kam von weit oben im Flusstal von Nowonikolajewka durch warmes Tauwetter und Schneeschmelze ein Hochwasser und der Wagenkasten wurde mit Wasser gefüllt. Es ertrank die ganze Gruppe zusammen mit den Pferden. Das Wasser, welches erst nach drei Tagen zurück ging, bedeckte sogar die Pferde so weit, ihre Köpfe wären auch dann bedeckt gewesen, wenn man sie hoch gehalten hätte. Die Namen der Unglücklichen lauten: Bräutigam Christian Schatz (*1840), Braut Katharina Wundersee (*1841), Daniel Föll, Katharine Galster (*1845), Bruder Jakob (*1844) und Schwester Rosina Schatz (*1842), darunter die beiden Fuhrleute Bruder der Braut Christian Wundersee (*1836) und Johann Gerbershagen (*1825).

Vorstehendes Brautpaar Christian Schatz und Katharina Wundersee ist mit den diesselbe begleitenden sechs Personen am 28 Februar 9 Uhr Vormittags in einem bedekten Wagen von Kaiserthal nach Hochstädt abgefahren um sich am 1 März in der hiesigen Kirche trauen zu lassen, allein sie kamen nur 20 Werst weit wo sie nahe bei dem Dorfe Schilowky in einem Thal zwischen zwei Dämmen in den, durch den schnellen Abgang der grossen Schneewasser des Gewässer schnell und hoch angeschwollen und gespannt war, sämtliche acht Personen ertrunken gefunden wurden.
Vorstehende drei ertrunkene Personen sub. No. 55, 56 und 57 sind nach gerichtlicher Untersuchung und Erlaubnis zur Beerdigung, von dem Schullehrer Ludwig Dieno ohne die Ankunft oder einen Auftrag des Orts Predigers abzuwarten, eigenmächtig auf dem Gottes Aker zu Kaiserthal zur Erde bestattet worden.
Beerdigt am 09.03.1862 Vorstehende fünf Personen sub. 58 bis No. 62 inclusive sind in Folge gerichtlicher Untersuchung und Erlaubniss zur Beerdigung eingesegnet und beerdigt worden auf dem Gottes Aker zu Marienfeld von dem Pastor Föll. Beerdigt am 10.03.18624

So kam es, dass dieser Tag zu einem jährlichen Bußtag innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland wurde, an dem niemand eine Hochzeit feiern durfte. Dieses Unglück war ein weiterer Grund für die Gründung der Eugenfelder Pfarrei.

Bereits in den Jahren 1858 und 1859 wurden wegen der Ernteausfälle der vergangenen Jahre zur Notversorgung ein Gemeindegetreidelager gebaut mit Vorrat an Brotgetreide zum Backen und Saatgut. Dieser Vorrat war auch deshalb notwendig, da die Gemeinde jährlich 60 % des geernteten Getreides zur Zahlung von Sachsteuern abgeben musste. So erhielt der Pferdeinspektor 7 ½, derSchullehrer 18 ½, die Hirten 30 und die Nachtwächter 4 Tschetwert (1 Tschetwert enthält rund 210 Liter Getreide). Aus Steuern und Pachten der Gemeinde erhielt der Lehrer 140 Rubel und 3 Dessj. Land, der Pfarrer 100 Rubel, der Bürgermeister 50 Rubel, der Arzt 25 Rubel und die Hirten 150 Rubel für ihre Arbeit.

Gegen Ende der 1850er und zu Beginn der 1860er Jahre begann das Handwerk zu blühen, ging jedoch kurze Zeit später wieder zurück, da die Handwerker nicht mit den Anforderungen der damaligen Zeit durch die Gründung von Fabriken Schritt halten konnten, so blieb ihnen überwiegend der Wagenbau und andere einfache Arbeiten. Im Allgemeinen fehlten den Handwerkern zudem die Kenntnisse über den Bau und die Verwendung landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte. Jeder, egal wie unfähig, hatte das Recht, sich Meister zu nennen und mit dem beruflich fähigen Arbeiter zu konkurrieren, die bestehenden Gesetze waren für die Handwerker damals insgesamt sehr ungünstig. Entsprechend dominierten die Hersteller landwirtschaftlicher Geräte und Maschinen der Mennonitengemeinde den Markt.

Zu dieser Zeit wurde auch der Maisanbau eingeführt, da er das Land für den Getreideanbau verbesserte und Ernteausfälle kompensierte. Seit Mitte der 1860er Jahre wurde zudem der Weizen nicht mehr nach Berdjansk gebracht, sondern nach Genitschesk.

Es erfolgte die Gründung eines Männergesangsvereines 1864, der 1914 sein 50. Jubiläum feierte.

Der Grundstein für den Neubau eines Schul- und Bethauses aus gebrannten Ziegeln wurde 1866 mit der Einweihung während des Reformationsfestes am 23. Oktober gelegt. Dieses Schulhaus war lange Zeit das größte der Pfarrei, so dass fortan Konfirmationen und große Pfarrgottesdienste in Kaisertal abgehalten wurden.

Mit öffentlichem Rundschreiben vom 21. Mai 1869 unter Nr. 5393 teilte man den den Dorfämtern mit, das sie es sich zur Aufgabe zu machen haben, den Unterricht in den Dorfschulen zu verbessern und die jungen Leute mit zeitgemäßem Wissen für das zukünftige Leben auszustatten; durch den Einsatz von Lehrkräften, die ausschließlich in diesem Bereich kompetent sind und keinem anderen Nebenziel nachgehen dürfen. Es gab gut gemeinte Anregungen an Geistliche und Lehrkräfte zur freiwilligen Umsetzung und vor allem eine Verlängerung des Schuljahres, bisher war nur im Winter Unterricht, nun sollte am Ende der Frühjahrssaat bis Ende Mai und dann Mitte oder Ende August erneut der Unterricht beginnen. In den 1870er Jahren wurden Heinrich Fust, Friedrich und Gottlieb Polle an die Prischiber Zentralschule geschickt.

Zu Beginn der 1870er und frühen 1880er Jahre konnten erstmals größere Flächen mit Winterweizen eingesät werden, da man nun den sächsische Pflug und den Spindelmäher verwendete. Jedoch verlief der Beginn der 1870er recht unerfreulich, 1871 wurden die Kolonien der Gemeinden Prischib und Hochstädt von verheerenden Bränden heimgesucht, die Ernte war nicht nur sehr schlecht, die Getreidepreise auch extrem niedrig.

Spindelmäher (Haspelmähmaschine)

Im September 1871 waren Wahlen, am 20. September wurde Friedrich Leinich, ursprünglich Kaisertaler Kolonist, vom Pfarrer als erster Oberbürgermeister (Oberschulz) des Regierungsbezirks Darmstadt vereidigt.

Dann wütete 1872 in Mordwinowka und Umgebung die Cholera, der Herr Cornies vom Gut Taschtschenak und der Kaisertaler Kolonist Christian Fust zum Opfer fielen und 1873 kam es zu einem erneuten totalen Ernteausfall.

Die Unglücke wollten nicht abreißen, am 27. Februar 1875 verfing sich der sechzehnjährige Christian Renner beim Schmieren der Mühle mit seiner Kleidung im Zahnrad und kam ums Leben. Ein Jahr später kam in derselben Mühle ein russischer Mühlenarbeiter auf ähnliche Weise ums Leben. Masern und Diphtherie traten 1877 auf. Am 15. Januar 1877 wurden drei Kinder begraben, am nächsten Tag zwei weitere. Die Diphtherie-Epidemie endete erst 1879, in vielen Familien starben alle Kinder.

Am 3. Dezember 1875 wurden die Militärrekruten in Melitopol vereidigt und am 12. Dezember nahmen sie an der Heiligen Kommunion im Eugenfelder Schulhaus teil. Christian Freund, Johann Keck, Daniel Märtins, Christian Probst, Karl Seel, Johann Renner, Jakob Ruf und Karl Weber. Johann Renner traf es doppelt schwer, da er mit Magdalena geb. Burghardt bereits verheiratet war.

Diese erste Rekrutierungsaktion hinterließ bei allen deutschen Kolonisten einen tiefen Eindruck, da sie nun ihre Söhne für sechs lange Jahre als Soldaten abgeben mussten, die schrecklichen Erinnerungen an den Krimkrieg waren noch allzu präsent.

Im Jahr 1878 brach die Rinderpest aus, sodass im ganzen Dorf nur noch 13 Rinder überlebten, die arg gebeutelten Bauern wurden erneut 1882 durch auftretende Rinderpest schwer getroffen.

Pastor Stach schreibt, am 22. Mai 1883 wurde das Schulhaus Kaisertal zur Krönung Seiner Majestät Kaiser Alexander III. und Ihrer Majestät Kaiserin Maria Fjodorowna genutzt.8 Tatsächlich fand die Krönungsfeierlichkeiten des Kaiserpaares am 27. Mai 1883 in der Moskauer Mariä-Entschlafens-Kathedrale statt. Daher ist anzunehmen, es handelt sich um eine Feier der Gemeinde anläßlich der Krönung. Am 29. Oktober desselben Jahres fand die Feierlichkeit zum 400. Geburtstag von Dr. Martin Luthers statt.

Der 1886 gegründete Waisenfond zur Unterstützung der Waisenkinder erhielt im Zuge der besseren Jahre mit guten Ernten beträchtliche Mittel zur Versorgung. Natürlich gab es nach und nach auch einen verfeinerten Lebensstil, vor allem in Bezug auf Kleidung und Dinge des Hauses, aber auch in der Bildung, es stieg die Zahl der Abonennten des St. Petersburger Sonntagsblattes, der Odessaer Zeitung und vieler anderer Blätter.

Im Jahre 1886 wurde zudem eine neue Talsperre errichtet, leider ertrank hier am 11. Juni 1891 der Familienvater Daniel Freund beim Schwimmen. Bereits im alten Damm ertranken einige Kaisertaler (Friedrich Kirchmeier, Linder und andere). Nikolai Föll ertrank 1905 im Alter von neun Jahren, im selben Jahr, in dem sein Bruder von einem Dreschstein erschlagen wurde. Eine Tochter Ludwig Märtins, Rosine, ertrank zweijährig1880 in einem Fass. Ein Sohn von Karl Beck, Johann, fiel 1874 einjährig in einen Brunnen und ertrank. Die Jungfrau Margaretha Beck wurde aus Unachtsamkeit von einem Jugendlichen erschossen (Mischlinsky). Beim Holztransport aus Akimowka kam Heinrich Fröscher, Sohn von Martin Fröscher, ums Leben. Frau Schwitzgäbel starb an Tollwut.

Im Jahr 1887 gab es eine derart schlechte Ernte, die Hungersnot groß, allein in der Gemeinde Eugenfeld wurden 167 Menschen bestattet, was etwa 50 % über der Norm lag, in Kaisertal starben 14 Kinder, als Folge der Schwäche, an Diphtherie, in einigen anderen Gemeinden sogar noch mehr. Daher wurde die Grünbrache1 eingeführt, um den Boden in der Fruchtfolge zu entlasten und zu verbessern, 1888 konnte man erstmals eine überdurchschnittliche Ernte von 12-16 Tschetw. pro Dessjatine einfahren, in den 1890er Jahren folgte der Einsatz von Schwarzbrachen2. Als die Dreschmaschine, der Bündelbinder (Garbenbinder), Naphta-Motoren und Federzugwagen in den Dienst des Bauern gestellt wurden, stiegen nicht nur die Erträge, leider auch die Preise für Ackerflächen, weshalb man begann, außerhalb der örtlichen Gemeinschaft Land anzukaufen. Johann Fischer war der erste Kaisertaler Siedler, der bereits 1859 Außengrundstücke erwarb in Ebenfeld, nahe des Bahnhofs Rykowe im Kreis Melitopol. So wurde er ein Mann von beträchtlichem Vermögen und seine Söhne und Enkel Großgrundbesitzer.

Im Spätherbst 1893 erhielt die Kirchengemeinde die Genehmigung zum Bau einer Pfarrkirche, die Einweihungsfeier der Kirche fand am 12. April 1895 statt.

Wie in den Anfängen der Errichtung der Gemeinde befürchtet, kam es in Kaisertal zu zahlreichen Überschwemmungen. Die größte ereignete sich am 24. Mai 1897, verursacht durch einen Wolkenbruch. Dadurch stürzten acht Häuser völlig ein und elf weitere wurden baulich so beschädigt, dass sie durch
neue ersetzt werden mussten. Für die Geschädigten wurde am 13. Juni im Rahmen der Einweihung der neu erbauten Pfarrkirche auf Betreiben des damaligen Bezirksarztes eine Kollekte in Höhe von 90 Rubel gesammelt.

Am 27. September 1898 wurde der Kaisertaler Leseverein mit 20 Mitgliedern gegründet, wodurch eine kleine Bibliothek mit 521 gebundenen Exemplaren entstand und es wurden neue Lehrer angestellt, daher unterrichteten 1899 drei Lehrer.

Im Jahr 1900 wurde die örtliche Konsumgenossenschaft „Soglasstje“ gegründet, sie eröffnete den Bau des großen Lagers und Wohnhauses für die Mitarbeiter am 4. August 1910. Den größten Verlust erlitt die Genossenschaft durch den Tod des Mitarbeiters Friedrich Mann, bei dem die Genossenschaft aus Kulanzverpflichtung seiner Familie 1.500 Rubel zahlte. Alle Mitarbeiter waren deutsche Staatsangehörige, das heißt die drei Geschäftsführer, fünf Buchhalter, 12 Verkäufer und Auszubildende, drei Hilfskräfte. Zwei Personen starben bis 1913 während ihrer Arbeit in der Genossenschaft.

1903 entstand ein Jugendverein, aus dem 1906 die Blaskapelle mit 16 Blechblasinstrumenten hervorging mit über 1.000 Rubel Vereinskapital.

Im November 1904 wurden für den Russisch-Japanischen Krieg die Heeresreserven einberufen und natürlich auch die Unteroffiziere der Infanterie. Jedes Dorf musste zulassen, dass einige seiner Bewohner eingezogen wurden, von denen die meisten verheiratete und unabhängige Bauern waren. Aus Kaisertal: Karl Burghardt, Friedrich Lörke, Jakob Ullrich, Friedrich Föll, Friedrich Breit, Christian Ullrich, Johann Polle, Heinrich Lörke, Friedrich Propst, Friedrich Beck, Jakob A. Propst, Philipp Propst, Jakob F. Propst . Außer den beiden Jakob Propst sah niemand einen aktiven Kampf. Einige von ihnen erlebten jedoch in verschiedenen Städten den ganzen Schrecken der Revolution.

1905 wurde das bestehende Schulhaus in ein geeignetes Gebäude mit drei Räumen umgewandelt: das Klassenzimmer, ein Zimmer für den Lehrer und ein Korridor für die Schüler, nun gab es Platz für 160 Schüler. Im selben Jahr wurden einstimmig 100 Rubel für Unterrichtsmaterialien bereitgestellt und eine deutsche Schulbibliothek gegründet

Bald darauf wurde ein extra Wohnhaus für den Lehrer mit Studentenwohnheim gebaut. Verantwortlich für den Bau dieses Gebäudes waren die Kaisertaler Siedler Philipp Kirchmeier, Johann Fust und Johann Lutscher. Viele Mitglieder der Kaisertalgemeinde waren Mitglieder der Eugenfelder Schulgesellschaft. Aus diesem Verein entstand 1907 eine Landwirtschaftsschule, an der Kaisertal maßgeblich beteiligt war, so spendeten etwa 15 Personen an die 20 Dessj. Grundstücke, Ehren- und Lebensmitgliedschaften wurden gezeichnet, über 800 Wagenladungen Baumaterial wurden unentgeltlich zur Verfügung gestellt und darüber hinaus wurde mit Hilfsgütern aller Art und Weise unterstützt, Mitglieder übernahmen die Führung beim Materialtransport, bei der Bauleitung, der Ressourcenbeschaffung usw.

Eine Reihe von sehr armen Familien wanderten 1906 und 1907 nach Sibirien aus. Sie erlebten auch dort viele Misserfolge, daher gab es zahlreiche private und kirchliche Spendensammlungen, um sie zu unterstützen.

Zum 75. Jahr der Gründung der Gemeinde wurde 1907 eine kostenlose, beheizten Unterkunft mit Stall für Reisende geschaffen. Es besuchen drei Jugendliche die Hochschule, zwei in Theologie: J. Föll in Dorpat und G. Breit in Basel; G. Weber am Riga Polytech. In der Mittelschule und speziell in den oberen Klassen gab es sechs junge Männer; in Zentral- und Landwirtschaftsschulen 10 Schüler. Der erste Kaisertaler Kolonist und zugleich der erste aus dem Kreis Eugenfeld, der das Gymnasium abschloss, war Jakob Jak. Bischler. Augustine Renner war die erste weibliche Schülerin, die in der Mädchenschule eingeschrieben wurde, da die Bildung von Frauen im Allgemeinen wenig Interesse fand.

1913 lebten in Kaisertal in 66 Häusern 100 Familien mit insgesamt 585 Seelen. 55 Familien waren in der Landwirtschaft tätig, 13 Familien waren Handwerker. Die Gemeinde hatte einen Viehbestand von 535 Pferden, 220 Kühen, 28 Hornrindern und 290 Schweinen.

Ein Kaisertaler: Pfarrer Johann Föll

Pfarrer Johann Föll 5

Pfarrer Johann Föll (*30.10.1891 Kaisertal 24.1.1976 Altenheim Faberschloss, Schwarzenbruck, Bayern, BRD) wurde im August 1918 zum Pastorengehilfen für Eigenfeld ordiniert, betreute dann ein Jahr lang die Gemeinde zu Kronau, war 1919-1930 Pfarrer im Kirchenspiel Grunau und wurde im Oktober 1930 verhaftet, sein Leidensweg wurde in einem Buch veröffentlicht6.

Pastor Johann Föll hatte sich noch 1928 auf der Generalsynode in Moskau eines merkwürdigen Gefühls nicht erwehren können, als er feststellte, daß er der einzige Pastor unter den Synodalen war, der bis dahin noch nicht zu einem Verhör bei der GPU vorgeladen gewesen war. Im Oktober 1930 wurde er verhaftet und brachte drei Monate im Gefängnis seines Heimatortes zu. Wenn er zum Verhör geführt wurde, gingen Polizisten mit gezogenen Pistolen vor und hinter ihm, um seinen Gemeindegliedern Furcht und Schrecken einzujagen. Die weiteren Leidensstationen — wir schildern sie stellvertretend für viele andere Schicksale — waren: drei Monate schwere Verhöre mit schlaflosen Nächten in Stalino, zweieinhalb Monate in einer Todeszelle im Gefängnis von Artjemowsk, anderthalb Monate Transportgefängnis in Charkow und ein halbes Jahr im Sowjos der GPU bei Charkow, dann drei Monate schwere Waldarbeit im Besserungslager in Potjma. Im Februar 1932 wurde Föll – nach einer 16tägigen Fahrt in einem Transport mit 500 Geistlichen und Mönchen – in Mariinsk im Gefängnis und auf einer Gemüsefarm zur Arbeit eingesetzt. Schon einige Wochen später setzte sich die unfreiwillige Wanderschaft fort: zum Bau des Weißmeerkanals bei Murmansk, schwere Arbeit bei ständig gefrorenem Boden. Nach einigen Monaten leichterer Arbeit wurde er in ein Moskauer Gefängnis gebracht und wiederum anderthalb Monate später, im Januar 1933, nach Deutschland ausgewiesen. Er war einer der wenigen, die der Hölle der Lager und Gefängnisse entkommen konnten.

Und siehe, wir leben! : Der Weg d. evang.-luther. Kirche Russlands in 4 Jh. Johannes Schleuning ; Heinrich Roemmich ; Eugen Bachmann. Mit e. Geleitw. von Ernst Eberhard;Martin-Luther-Verlag 1977

Es gelang Pfarrer Föll, gemeinsam mit seiner Frau Hildegard Margarethe Lindenberg im Februar 1933 nach Pfersdorf bei Hildburghausen,Thüringen zu kommen, dort war er Pfarrer bis 1949, (1940 – 1945 Kriegsdienst)7, danach bis 1956 Pfarrer in Waldbach (Baden-Württemberg).

Einigen der folgenden weggezogenen Kaisertalsiedler gelang es, erheblichen Wohlstand zu erreichen:

Daniel undJohann Keck; Johann, Friedrich und August Fust; Friedrich Banns und Söhne; Christoph Nagel; Jakob und Karl Wundersee; August Bischler mit seinen Söhnen Gottlieb, Christian, August, Friedrich, Karl und Jacob; Friedrich Bischler und seine Söhne August, Jakob, Friedrich und Johann; Jakob Bischler und sein Sohn Jakob; Philipp Kirchmeier mit seinen 6 Söhnen; Friedrich und Karl Kühne; Friedrich Leinich; Andreas und Lorenz Meier; die Brüder Friedrich, Gottlieb, Jakob, Johann und Ludwig Märtins; Philipp Dreher mit seinen Söhnen Friedrich, Jakob und Philipp; Christian Renner; Friedrich Hessel und seine 5 Söhne; die Brüder Christoph, Johannes und Christian Freund; die Brüder Karl und August Burghardt; die Brüder Karl, Christian, Johann, Daniel, Heinrich und Wilhelm Lörke; Wilhelm Lörke und Christian Lörke; die Brüder Johann, Friedrich, Jakob und Karl Seel; Johann, Karl und Samuel Hessel; die Brüder Friedrich und Christian Schlecht; die Brüder August, Daniel und Friedrich Jäckel; Karl, Friedrich, Joseph und Jakob Galster; Friedrich Sanne und sein Sohn Johann; die Brüder Johann, Gottlieb und Heinrich Renner; Wilhelm Polle mit seinen 5 Söhnen; die Familie Eva; Johann Breit; Johann Föll; Christian Fust; die Familie Propst; die Familie Konrad; die Brüder Christian und Heinrich Fust; die Familie Erstein; Johann Ebinger; die Familie Morgenstern; Friedrich und Johann Ziebarth; die Brüder Christian, Johann, Jakob, Friedrich, Gottfried und August Harwardt; die Brüder Martin, Gottlieb und Johann Ruf; die Brüder Jakob und Friedrich Ullrich; Gottlieb Burghardt.

bekannte Namen ehemaliger Lehrer mit Jahr der Anstellung in Kaisertal:

  • Karl Märtins (1838-1839)
  • Schill (1839-1840)
  • Ruhmann (Ausländer) (1840-1841)
  • Dino (1841-?)
  • Kneib (?)
  • Wild (?)
  • Rheinländer (Ausländer) (1855-1856)
  • Dino (1856-1863)
  • Karl Hoffmann (1863-1868)
  • Pade (1868-1869)
  • Mahnsey (1869-1878)
  • Eduard Beck (1878-1883)
  • Immanuel Fröscher (1883-1887)
  • Julius Mensch (1887-1890)
  • August Hoffmann (1890-1894)
  • Gottlieb Gellert (1894-1898)
  • Johann Jedig (1898-1907)
  • Wilhelm Nass (ab 1907)

Bürgermeister mit Amtsjahr waren:

  • Karl Märtins (nicht dieselbe Person wie der erste Lehrer Karl Märtins),
  • Philipp Meier,
  • Johann Fischer,
  • K. Märtins,
  • Christian Fust, während dessen Amtszeit eine Zahlung für das Amt von 19 Rubel und 28 ½ Kopeken eingeführt wurde
  • Gottlieb Föll (1855),
  • Christian Konrad (1857-58),
  • Johann Fust (1859-60),
  • Alexander Burghardt,
  • Jakob Weber,
  • Jakob Renner, Sr.,
  • Daniel Breit (1867-68),
  • Jakob Leinich (1869-70),
  • Karl Föll (1871-72),
  • Jakob Bischler Sr ., (1873-74),
  • Wilhelm Polle (1875-76),
  • Jakob Hartwig (1877-78),
  • Johann Föll (1879-81),
  • Friedrich D. Breit (1882-84),
  • Friedrich Burghardt (1885-87),
  • Johann Ullrich (1888-90),
  • Jakob Renner (1891-93),
  • Philipp Kirchmeier (1894-96),
  • Jakob Bischler Jr., (1897). -99),
  • Christian Polle (1900-02),
  • Johann Renner,
  • Daniel Föll,
  • Christian Seel,
  • Johann Kühne,
  • Christian Föll,
  • Heinrich Renner ,
  • Karl Burghardt.

Älteste der Kirche mit Amtsjahr waren:

  • Johann Fischer,
  • Johann Fust,
  • Sebastian Föll,
  • Gottlieb Föll,
  • Alexander Burghardt (1869-?),
  • Daniel Breit ?-1877 (langjähriger Kirchenvorstand, dessen Amt einst vom Amt des Kirchenältesten getrennt war, später ein einziges Amt),
  • Jakob Renner 1878-80 und 1887 bis 1889,
  • Karl Föll 1881-1883 und 1890-18892,
  • Wilhelm Polle 1884-86,
  • Johann Ullrich 1893-1902,
  • Jakob Renner Jr. 1903,
  • Friedrich Breit 1904-1905,
  • Daniel Föll 1906-1908,
  • Christian Polle (1909 bis 1909)

Pfarrer10/11 mit Amtsjahr waren:

  • Hugo Rudolf Woldemar Plohmann, *29. November 1833 in Ponjewesch (August 1863 – 21. Juli 1874)
  • Jojakim Tschachmachsjanz, *17. August 1841 Baku 1913 Orenburg (28. September 1875 – 10. Februar 1882)
  • Karl Christian Marian Schott, *19. April 1937 Sachsgrün/Sachsen 6. August 1919 in Reval/Estland (14. November 1882 – 22. Juni 1906) . Pfarrer Schott war bereits seit dem 13. November 1881 als Vikar für die Gemeinde tätig.
  • Wilhelm Konrad Johann Hörschelmann, *3. Mai 1871 Fellin/Livonia 4 April 1936 Arnstad (11. Juli 1899 – 12. Juli 1906)
  • Jakob K. Stach, *23. September 1865 Grunau 23. November 1944 Katzenelnbogen/Taunus (18. Oktober 1906 -1916)
  • Carl Eduard Ney, *2. Februar 1879 Reval/Estland 5. März 1964 Seggenbruch bei Stadthagen/Lippe, Deutschland (1916-1919)
  • Eduard Friedrich Heinrich Steinwand, *9. Juli 1890 Odessa 17. Februar 1960 Erlangen/ Deutschland
  • Albert Maier, *16. April 1892 Totanai/Krim nach 1937 (1919-1933)

  1. Grünbrache – Brache mit Vegetation die meist gesät wird aber auch von selbst entstehen kann. Nach einiger Zeit wird der Bewuchs in den Boden eingearbeitet oder auch geschnitten. Grünbrache kann die Stickstoffversorgung verbessern Unkraut unterdrücken und ist gut für die Entstehung von Humus und die Bodenstruktur.
  2. Schwarzbrache – Durch Pflügen oder andere Maßnahmen vegetationsfrei gehaltene Brache. Sie wird z.B. dazu eingesetzt eine Fläche unkrautfrei zu bekommen. Eine schwarzbrache Fläche ist anfällig für Wind- und Wassererosion.
  3. Ortsplan Heimatbuch der Russlanddeutschen 1957
  4. Kirchenbuch Hochstädt
  5. Arhivaal EAA.402.1.27313
  6. Carlo von Kügelgen: Das übertünchte Grab: Erinnerungen eines evangelischen Pfarrers aus der Sowjet-Union, Nibelungen-Verlag, 1934
  7. Thüringer Pfarrerbuch Band 10: Thüringer evangelische Kirche 1921 ‐ 1948 und Evangelisch‐Lutherische Kirche in Thüringen 1948 ‐ 2008; Zusammengestellt von Friedrich Meinhof, 2015, Heilbad Heiligenstadt
  8. „1838 – 1913 Die Evangelisch-Lutherische Gemeinde Kaisertal, Gouvernement Taurien, Kreis Melitopol, Wolost Eugenfeld) in den ersten 75 Jahren ihres Bestehens.” Jubiläumsschrift, herausgegeben im Verein mit mehreren Gemeindegliedern von J. Stach, Pastor. Verlag Eugenfeld“
  9. Wikipedia
  10. Erik Amburger: Die Pastoren der evangelischen Kirchen Rußlands vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1937″. Ein biographisches Lexikon. Institut Nordostdeutsches Kulturwerk. Martin-Luther-Verlag 1998.
  11. R 57/1281 [DAI 1278] Handakte Eduard Krause, enthält u.a. 1838 – 1913 Die Evangelisch-Lutherische Gemeinde Kaisertal, Gouvernement Taurien, Kreis Melitopol, Wolost Eugenfeld) in den ersten 75 Jahren ihres Bestehens.” Jubiläumsschrift, herausgegeben im Verein mit mehreren Gemeindegliedern von J. Stach, Pastor. Verlag Eugenfeld




Deportation der Hirschenhöfer 1916 nach Perm

Währen des ersten Weltkrieges wurden die Hirschenhofer Kolonisten in das Gouvernement Perm, und einige wenige nach Moskau, deportiert.  Die Anordnung zur „Evakuierung“ wurde im März 19161 erteilt. Pastor Adolf Oswald Plamsch (1866 – 1939) bereiste die Kolonien, in denen die Flüchtlinge nun lebten, dazu ein Bericht2:

Aus dem Gouvernement Perm.

Im Folgenden gebe ich einen Bericht nach den Worten des Pastors Plamsch , der in seiner Eigenschaft als Flüchtlingspastor das Gouvernement Perm mehrfach bereist hat. Er selbst ist ja auch ein Flüchtling. Unter dem Donner der deutschen Kanonen verließ er Grodno mit seiner Familie. Einen Teil seiner Habe konnte er noch mitnehmen, aber Vieles von dem, was er gerettet, ist ihm auf dem Wege abhanden gekommen und gehört zu den Dingen, die ihn nie erreichten.

Wie schwierig war es von den Gouvernementsbehörden zu erfahren, wo sich in den weiten wegelosen Gebieten die Flüchtlinge befinden. Der Permsche Gouverneur übermittelte dem Pastor eine Liste von 13 Orten mit über 4000 Flüchtlingen in den Städten und Kreisen Solikamsk, Schadrinsk, Jekaterinburg, Werchotursk, Kamyschlow, Krasnousimsk, Kungur, Ossa, Ochansk, Tschardyn. Zuerst wandte sich der Pastor von Perm aus nach dem Kreis und der Stadt Kungur, wo Flüchtlinge aus dem Wolhynischen, Polnischen und solche aus Livland leben. Die Flüchtlinge aus Livland sind die Aussiedler aus der deutschen Kolonie Hirschenhof. Mit den Hirschenhöfern hat es so seine eigene Bewandtnis: Sie wurden aus ihren Heimstätten teilweise unter Anwendung roher Gewalt weggeschleppt, und zwar weil sie dem an sie ergangenen Ausweisungsbefehl nicht sofort Folge leisteten. Eine hochgestellte Militärperson wollte sich nämlich für sie verwenden und hatte ihnen geraten, den endgültigen Bescheid aus Petrograd abzuwarten. Auf die örtlichen Behörden aber hatte das einen üblen Eindruck gemacht und wurde als trotziger Widerstand gegen die Militärobrigkeit ausgelegt. Nun wurden sie zwangsweise über Hals und Kopf von Haus und Hof verjagt und in das weite Permsche Gouvernement verbannt und diese Verfügung traf nicht blos die Hirschenhöfer, die in Hirschenhof selbst wohnten, sondern auch alle die, die dort nur angeschrieben waren, von dort ihren Paß bezogen, sonst aber keine Verbindungen mit ihrem Heimatorte besaßen — sie alle mußten gleicherweise in die wilde Fremde, Leute, die jahrelang in Riga lebten, dort in guten Stellungen standen und nun als „Verbannte“ hinaus mußten; denn als solche empfing sie die Kungursche Behörde, nicht als kriegsgeschädigte Flüchtlinge, sondern als zwangsweise administrativ verbannte und unter Polizeiaufsicht stehende Verbrecher, nicht als быженцы, sondern als выселенцы. Demgemäß war auch ihre Behandlung: eine Regierungsunterstützung wurde ihnen rundweg verweigert und erst später einem Teil der Nachzügler bewilligt.
Mit schwerem Herzen fuhr der Pastor die zwei Stunden Eisenbahn von Perm nach der Kreisstadt Kungur. Es ist ein wohlhabendes Städtchen von über 12.000 Einwohnern, am Zusammenfluß der beiden Ural-Flüsse Iren und Silwa gelegen, mit nicht unbedeutender Industrie, Talgsiedereien, Gerbereien, Schuhfabrikation, Eisengießereien, dazu kommt ein schwungvoller Handel mit Getreide, Eisenwaren und Schuhwerk. Die Bewohner bilden Russen und Permjaken. Die meisten Häuser sind aus Stein erbaut und überhaupt macht die Stadt einen wohlhabenden Eindruck. Die Straßen freilich sind ungepflastert und verwandeln sich unter den Herbstregen in eine dünn-

breiige asphaltfarbene Masse, die fußtief den Straßenzug bedeckt. — Sonnabend Mitternacht war es, als der
Pastor unter großer Verspätung endlich in Kungur anlangte. Trotzdem war es wie ein Lauffeuer durch die Stadt gegangen: der Pastor ist angekommen! und schon am frühen Morgen umstanden die Flüchtlinge, Hirschenhöfer, Polnische und Wolhynier, das Gasthaus. Nachdem den vielen Fragen der Erschienenen einigermaßen Genüge getan war, ging es zu den Flüchtlingsbaracken außerhalb der Stadt, wo der Gottesdienst stattfinden sollte.

Es mußte der weite Weg zu Fuß zurückgelegt werden, da um die Zeit ein Fahren förmlich nicht möglich war. Unter unaufhörlichem Ausgleiten und Herabrutschen auf der bergauf, bergab führenden Straße gelangte man endlich bei strömenden Regen zu den Baracken, die die Semstwo für die „anständigen“ Flüchtlinge, die polnischen und wolhynischen, erbaut hatte.

In Ermangelung eines geeigneteren Raumes mußte der erste evangelische Gottesdienst unter dem überhängenden Dache eines Stalles abgehalten werden. Das Brüllen des Viehs nebenan hat die Andacht nicht weiter gestört. Alles, was Flüchtling war, war natürlich erschienen und nahm die Trostverkündigung des Evangeliums mit großer Dankbarkeit hin. Nach dem Gottesdienst erfolgte eine Besprechung über der Flüchtlinge Wohl und Wehe; dabei erwies es sich, daß dis Wolhynier verhältnismäßig besser dran waren als die Hirschenhöfer, denn sie galten als ehrliche Flüchtlinge und erhielten als solche ziemlich regelmäßig ihre Kronsunterstützung und Herberge in den Semstwobaracken, was immerhin besser ist als Wohnungslosigkeit, Holzmangel und teures Brot in fremder Umgebung, dazu die Polizeibehelligungen als politisch Unzuverlässige. Gelegentlich des Gottesdienstes konnte der Pastor den Hirschenhöfern aber eine angenehme Botschaft ausrichten: er konnte ihnen mitteilen, daß die Regierung es nunmehr für möglich befunden, sie auch als „Flüchtlinge“ anzuerkennen und daß sie als unbescholtene Untertanen das Recht wiedererhalten im ganzen Reiche zu leben; nur nach Hause dürften sie nicht. Ihre Rückreise ins Reich müsse aber auf eigene Rechnung unter Verzicht auf jede weitere Regierungsunterstützung geschehen. Daraufhin sind gleich viele der Hirschenhöfer aus Kungur weggereist, manche trotz der Warnung direkt nach der alten Heimat; diese erlebten die schwere Enttäuschung, alsbald wieder nach Kungur zurückgeschickt zu werden, und zwar auf dem Etappenwege durch alle die schmutzigen Gefängnisse von Livland bis Perm ! Trotz mancher namhafter Zuwendung aus dem baltischen Heimatlande haben die Hirschenhöfer einen sehr schweren Winter überstehen müssen; auch dort hörte in vielen Betrieben die Arbeit infolge von Materialmangel fast ganz auf. Unzulänglichkeit von Nahrung, Kälte, feuchte Wohnräume, Mangel an ärztlicher Hilfe, ansteckende Krankheiten haben unter den Flüchtlingen unerbittlich aufgeräumt. Das Nämliche gilt und wohl in noch erhöhtem Maße von den wolhynischen Flüchtlingen, da diese noch weniger eigene Mittel besaßen.
Diesem Bericht des Pastors Plamsch über die Lage der Flüchtlinge im Kungurschen seien noch einige allgemeine Betrachtungen hinzugefügt: Immer wieder erhebt man gegen die Flüchtlinge den herben Vorwurf der Unwilligkeit zur Arbeit und in der Tat trifft das bei nicht Wenigen zu. Besonders zu Anfang fanden sich so manche, die

die Forderung aufstellten, die Regierung, die sie wider Recht und Billigkeit aus Haus und Hof gewiesen, müsse und solle sie nun auch ganz versorgen. So gerecht dieser Satz auch ist, so führt es doch zu nichts, sich auf sein gutes Recht zu steifen, wo allen Leuten deutscher Herkunft jedes Recht abgesprochen ward.

Andererseits aber fanden sich viele Flüchtlinge, die nur zu gerne passende Arbeiten verrichtet hätten, wären nur solche zu haben gewesen. Wie oft aber wurde Landarbeitern Fabrikarbeit und Fabrikleuten Feldarbeit angeboten. Dazu kam die große Not an passenden Kleidungsstücken, besonders der Schuhmangel, der viele von der Arbeit zurückhielt. Ferner war es den Müttern, Soldatenfrauen und Witwen, völlig unmöglich sich von Hause zu entfernen. Wer sollte ihnen den Hausstand versehen und die kleineren Kinder beaufsichtigen und verpflegen? Schließlich war die Zahl der wirklich Arbeitsfähigen unter den Flüchtigen nur gering. Daß die Flüchtlinge aber nach Möglichkeit sich selbst durchgeschafft haben, das bezeugen die doch nur ganz winzigen Unterstützungssummen, die den einzelnen zugewandt wurden, denn wenn eine Frau mit 3 Kindern monatlich 5 Rbl. erhielt, so ist das doch eine ganze Kleinigkeit gegenüber den großen Ausgaben, die die teure Zeit auch den Aermsten auferlegte. Ein trauriges Kapitel bilden diese Gaben der Liebe. Geben ist seliger denn nehmen, aber das Verteilen des Gegebenen ist ein gar unselig Geschäft. Jedesmal löst es die widerlichsten Szenen aus und bewirkt gespanntere gegenseitige Beziehungen. In Kungur wurde es schließlich so arg, daß die drei Bevollmächtigten des Pastors sich weigerten, weiterhin die Gaben zu verteilen, und alle weiteren Bemühungen des Pastors, eine geregelte Fürsorge unter den dortigen Flüchtlingen in die Wege zu leiten, scheiterten am Mißtrauen und der Mißgunst einzelner Schreier, die die gewählten Vorsteher mit gröbsten Reden überschütteten — eine Herde ohne Hirten. Rechtes, echtes Flüchtlingselend!


aus: Wspomnienie o pastorze z Michałowa i Grodna from Michałowo on youtube.

Pastor Adolf Oswald Plamsch (* 14. Dezember 1866 in Wenden (Cēsis), Lettland , gestorben 8. Februar 19393 in Grodno, Weißrussland bestattet in Michalowo)

  • 18.8.1886 Beginn des  Studiums der Theologie in Dorpat4
  • 13. November 1888 Ordination
  • 1892 Pfarrer in Marienburg, Livland. Er wurde wegen der verbotenen Aufnahme griechisch-orthodoxer Christen in die evangelische Kirche seines Amtes enthoben (dreijähriges Disziplinarverfahren).3
  • 1905-1939 Pfarrer in Grodno, mit dreijähriger Unterbrechung im Ersten Weltkrieg, als er in der Verbannung als Flüchtlingspfarrer in den Gouvernements Kasan, Wiatka und Perm tätig war
  • 5. Februar 1894 in Dorpat Eheschließung mit  „Tilla“ Mathilde Sophie  Christiani (* 2. Februar 1866 in Quellenhof), Tochter von Arnold Robert Ferdinand Rudolph Christiani und Emilie Margarethe geb. Rosenberg . Kinder Gustav Adolph * 1897, Ruth *1897 und Friedrich *1903.
  • Plamsch war ein bekannter Rosenzüchter und Philatelist, Spezialgebiet litauische Briefmarken
Verlobte, Aufgebote und Getraute 1794, luth Johanniskirche, Tartu [EAA.1253.1.605; 1878-1926]
Wspomnienie o pastorze z Michałowa i Grodna from Michałowo on youtube.



1Die deutsche Kolonie Hirschenhof in Lettland von Pastor F. Hollmann in Hirschenhof in: Zeitschrift für Deutschkunde 1923, Jahrgang 37, Verlag B.G. Teubner, Leipzig-Berlin p.117ff
2Pastor W. Ferhmann, Petrograd: „Bei den Flüchtlingen“ in: Kalender für die deutschen Kolonisten in Rußland auf das Jahr 1918, Petrograd, 1917, S. 56-58
3Eduard Kneifel: Die Pastoren der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen; Selbstverlag des Verfassers, 9359 Eging, Niederbayern; Freimund-Druckerei in Neuendettelsau bei Ansbach, Bayern; S. 149
4„13126 Plamsch (Plämšs), Adolph Oswald. 14.12.66. S2 Lvm kub Cêsis, Bêrzaine MaaG, teol 86……92. Surn 39. /402-2-18986,18987/ 11/12/20″, Richard Kleis, Valdek Putsep: TARTU ÜLIKOOLI ÜLIÕPILASKONNA TEATMIK ALBUM ACADEMICUM UNIVERSITAT1S TARTUENSIS III 1889-1918; Tartu 1988 S. 753

Pastor Hastig 1810-1841

Am 21.Decbr. Sarata 1840 verstarb der auf der Reise zu Sarata in Bessarabien, der Pastor zu Arcis, Johann Gottfried Heinrich Hastig. Geboren in unserer Stadt am 7.Septbr. 1810, Sohn unbemittelter Aeltern, mußte er schon früh, als Knabe, durch Unterricht so viel zu erwerben suchen, daß er seinen eigenen Unterricht in den Schulen fortsetzen konnte. Auf der Domschule und dem Gymnasium vorbereitet, bezog er die Universität Dorpat, wo er, von 1831-38, Philologie, Mathematik, Philosophie, und besonders Theologie, studirte. Wegen Mittellosigkeit> sah er sich genöthigt, um Aufnahme unter die Kron-Stipendiaten des theologischen Seminars anzusuchen, wodurch er verpflichtet ward, eine Prediger-Stelle im Innern Rußlands anzunehmen. - Nach beendigten Studien und bestandenem Examen wurde der Verstorbene Candidat für eine Pfarr-Stelle im südlichen Rußland in Vorschlag gebracht, und nach dem bei dem St. Petersburger Consistorium bestandenen Prediger-Examen, daselbst am 17. Januar 1837 für die Kolonial-Gemeinde zu Arcis ordiniert. Da jedoch die ihm bestimmte Pfarre von dem benachbarten Prediger in Tarutino bedient ward, Großliebenthal durch den Abgang des bisherigen Predigers erledigt war, so übertrug der dortige Propst Granbaum das Vikariat dem Pastor Hastig. Die Glieder der Gemeinde gewannen ihn so lieb, daß sie um seine feste Anstellung ansuchten, dabei seinen Gehalt zu verdoppeln versprachen. Doch über dieser festen Anstellung vergingen Jahre, und da der Verewigte unerdessen kränklich geworden war, wünschte die Gemeinde einen gesunden Mann als Seelsorger zu haben. Ungeachtet nun das Consistorium auf Vollziehung dieser seiner Vokation nach Großliebenthal drang, wollte der Redliche doch lieber zu der ihm Anfangs bestimmten Gemeinde nach Arcis gehen. Auf den Wege dahin aber wurde er von heftigen Brustschmerzen befallen, und starb in dem Pastorate zu Sarata am 21. Decbr. 1840. (Aus den gedruckten Protokollen der St. Petersburger Synode vom Jahre 1841.)

Geboren wurde Pastor Hastig in Riga am 7. September 1810, Vater war der Maurergeselle Heinrich Hastig, Mutter Charlotte Gottliebe Hastig, geborene Leitschik.

Taufeintrag aus dem Kirchenbuch Riga, St. Gertrud, I und II Gemeinde (Rīgas sv. Ģertrūdes Vecās un Jaunās) 1801-1828 Lettische, Deutsche, Geborene, S. 373

Pastor Hastig starb laut Kirchenbuch ledig am 2. Januar 1841 um 11 Uhr vormittags an Auszehrung, die Beisetzung fand am 5. Januar vormittags um 10 Uhr auf dem Gottesacker von Sarata durch Pastor Breitenbach statt.

Auschnitt aus dem Kirchenbuch Sarata 1841; Россия, Смерти и Погребения, 1815-1917 LDS 004265434 img 342

Allgemeine Kirchenzeitung, Band 20, 11. Februar 1841 Nr. 24, S. 195

Groß-Liebenthal im Gouvernement Cherson. - (Pastor Hastig.) In Ermanglung einer Kirche wird der Gottesdienst im Schulhause gehalten, das aber viel zu klein ist. Die Fortschritte in den Religionskenntnissen sind ziemlich gut. Die Entheiligung des Sonntages wird durch den allgemeinen Handel von Odessa gefördert. Confirmirte: 22 M. 27 W.

Bericht der Beata Kludt 1942


Hochzeitstafel des Paares Kludt/Baumann im Garten des Pastor Lhotzky (x) 1899 in Prischib1

B e r i c h t 2

Das äußre sowie innere Bild der deutschen Kolonien in Süd-Rußland hat sich ab 1929/3o total verändert. Bis dahin waren alle im Besitz von 16 Dessj. Land, Haus, Hof und Garten. Die Kinder konnten endlich alle in guten Schulen in deutscher Sprache lernen, russisch wurde nur von der 5. Klasse als Sprache gelernt. Durch den NOP. waren endlich wieder Waren in die Dörfer gekommen, die Leute konnten sich ankleidern, nachdem man durch den Welt- und Bürgerkrieg ganz abgerissen und verkommen war. 1929 wurde aber die Kollektivisierung “freiwillig” durchgeführt, d.h. alle die sich widersetzten wurden arretiert, die wohlhabenden Bauern sogen. Kulaken verschickt nach Archangelsk, Wologda und Komi ACCP, wo viele noch bis zum heutigen Tage leben. Die übrigen unterschrieben dann schon den “freiwilligen” Eintritt in den Kolchos.

Die ersten Jahre bis 1934 ging die Wirtschaft sehr zurück, die Leute arbeiteten schlecht, die Felder wurden nicht gehackt, das Inventar nicht geschont. Unerbittlich mußte die angesetzten Norm abgeliefert werden, einerlei, ob für Menschen und Vieh noch etwas übrig blieb oder nicht. In jenen Jahren sind viele verhungert aber hauptsächlich unter den Russen. Die Deutschen bekamen ja die Hitler-Pakete noch zur rechten Zeit, die manchen vor dem Hungerstod geretten haben. In den Torginen war überall angeschlagen : Schreibt euren Verwandten, sie sollen euch Anweisungen schicken“. Wenn man es tat, so kam man in die Zeitung, kam vom Dienst, wurde verhaftet, verschickt. Viele mußten sich zum Besten der Kinderbewahranstalten entsagen, obgleich gar keine andere Möglichkeit bestand auch nur 1 Kilo Mehl oder Fett zu bekommen. 1934 war das Land schon besser bearbeitet, es kamen neue Maschinen, Traktoren, vor allem die Schulen lieferten schon Agronomen, Techniker, Traktoristen, Kombainer, Lehrer, Ärzte und Arztgehilfen.

Das Leben fing wieder an sich allmählich zu regeln, es wurde die Losung herausgegeben: Das Leben wird besser und fröhlicher.

Da fingen im Jahr 1937 schon von September die Massenverhaftungen an. Die meisten wurden 15. Dezember verhaftet, und zwar alle deutsche Intellegenz wurde aufgeräumt, in erster Linie alle Pastore (Pastor Willi Heine in Feodosia, Pastor Meier, Eigenfeld, Pastor Luft, Prischib, Pastor Altmann, Hochstadt, Pastor Bird, Charkow)3, von Ärzten Dr. Belz, Charkow (starb beim Verhör, Dr. Hottmann, Chortitza starb im Gefängnis, Dr. Eisenbraun, Dr. Wilms, Dr. Bauer, Halbstadt, Dr. Dick, Berdjansk, 2 Brüder Dr. Dircks, Orloff, waren schon 33 verschickt auf 1o Jahre4. Alle deutschen Lehrer mit Hochschulbildung, Fr. Heckel, Bd. Ruff, O. Baitinger, Dir. des dt . Pädtechnikuims, 4 Brüder Lutz aus Neumontal, 4 Brüder Oberländer aus Eigenfeld, Dir. Fischer in Feodosia und viele andere5. Auch viele Frauen: Helene Fürst in Nakejewka. Hatten die bis 37 Verhafteten noch Korrespondenzfreiheit, durften Pakete erhalten, die Anverwandten sehen, so war das diesen 37/38 Repressierten vollständig untersagt.

Die Beschuldigung war standart: von Deutschland bekauft Brücken zu sprengen, Elektrizitätswerke zu zerstören, gew. Leute zu vergiften. Die Verhöre wurden sehr geheim gehalten. Es gelang uns aber doch einiges zu erfahren, ich erfuhr manches durch Erni Aman, der jetzt am 2o. März 1941 aus dem Konzentrationslager in Sucho-Beswodnaja bei Gorki freikam. Nach dem Bündnis mit Deutschland hörten die Repressierungen auf, man konnte wieder aufatmen, aber die NKWD hatte gut aufgeräumt.

Unsere ganze deutsche Intellegenz war eben weg und wenige von ihnen werden wohl noch am Leben sein, denn Hunger, Kälte, schwere körperliche Arbeit, Schläge und besonders die moralischen Qualen waren unerträglich. Man ließ sie bis 7 Tage lang ohne Essen und Wasser stehen, von großen Hunden bewacht, Tag und Nacht auf demselben Platz, ließ sie systematisch nicht schlafen u. dergl. Erni Aman hatte nur noch 5 % Sehkraft, hört schwer, geschw. Füsse, infolge der Schläge auf den Kopf plötzliches Verlieren des Bewußtseins und doch kam er leichter davon als andere, er kam nach 3 Jahren frei. Es war eine furchtbare Zeit, man konnte keinen Verkehr haben, jeder lebte nur für sich selbst aus Angst, durch einen anderen auch hereingezogen zu werden.

Die deutschen Schulen wurden „freiwillig“ russisch. Da kam im September 1939 das Bündnis. Was hatten wir da für Hoffnungen für unsere Lieben! Leider waren sie umsonst. Die Verhaftungen hörten auf, man durfte nicht mehr „Faschist“ geschimpft werden, darauf stand Strafe, doch wagen wir noch nicht aufzuatmen. Wir trauten dem Frieden nicht nach den gemachten Erfahrungen. Die Frauen der Repressierten durften wieder angestellt werden, die Kinder lernen, man mußte aber immer Fragebogen ausfüllen, angeben, ob man Verwandte in Deutschland hat, wer in der Familie repressiert ist, ob man Briefe bekommt und von wem.

Schon im Mai 1941 war eine Veränderung zu spüren. In öffentlichen Vorträgen über die internationale Lage wurde betont, daß Deutschland und England jetzt durch den Krieg geschwächt seien, Rußland allein steht in niegesehener Kraft da und habe noch ein Gelöbnis an Lenins Grab zu erfüllen, den Bolschewismus auf der ganzen Welt einzuführen. Da wußten wir, was es geschlagen hatten und warteten stündlich auf eine Kriegserklärung. Ich war damals in Feodosia, als es am 22. VI. auf einmal hieß, der Krieg hat angefangen. Einige Deutsche wurden arretiert (die Frau von Fr. Wilms und ihre Schwester, die Frau des Ing. Schulz der aus Berlin geschrieben hatte und ihre Schwägerin, Fr. Föll und andere, die Briefe aus Deutschland bekommen hatten), die übrigen ließ man in Ruhe bis zum 17. August (Einnahme von Dnjepropetrowsk).

Da bekamen wir den Befehl, in 3 Stunden in Sarigol auf dem Bahnhof zu sein. Wir durften Kleider und Betten mitnehmen. In dunkler Nacht wurden wir da verladen zu 5o Mann durchschnittlich in den Waggon, der Zug hatte 7o Waggons. Da kam jetzt alles herein. Frauen und Kinder, ein paar Männer, Parteileute u.a., sogar Dr. Zeichner (Jude), da seine Frau eine Deutsche war. In diesen Zug kam Feodosja – Zürichtal – Stary Krim. Vor uns war schon Kertsch und Simf.-Kurmann durchgegangen, nach uns Frauen noch Scidlar Itschki, Djankoj-Eupatoria, im ganzen glaub ich 9 Züge aus der Krim. In Melitopol merkten wir, daß wir auf der Frotn [sic!] waren, wohin es ging, wußten wir nicht, man sprach von Kasakistan. Wunderbarer Weise bog der Zug nach Osten bei Feodorowka und hielt in Halbstadt, da durften wir zum ersten Mal heraus.

Ich riskierte es und blieb ohne Erlaubnis, ohne Sachen zurück und ging zu meiner Tochter nach Halbstadt, wo ich dieselbe Sache einen Monat später wieder durchmachen mußte. In Halbstadt gelang es aber der HBD nicht den Zug fortzubringen. 6 Tage lang lagen wir neben der Station, streng bewacht von der HKBD. Hier entdeckten uns die deutschen Flieger und am 5. Oktober wurden wir befreit. Die letzte Nacht war die schwerste, man sah sie die Brücke, die große Mühle in Pirischib gesprengt wurden, es hieß, in 15 min. wird die Station neben uns und die Fabrik auf der anderen Seite gesprengt. Unheimliche Stille ringsherum, überall war Stroh verteilt worden “damit wir es bequemer haben”, am Tor standen Feuerspritzen mit Petroleum gefüllt. Das große Haus nebenbei unterminiert.

Auf einmal fing es erst leise an zu singen, was uns über 2o Jahre verboten war, ließ sich nicht mehr halten. Es waren etwa 5000 Menschen, die den Gesang anschweIlen ließen: Näher mein Gott zu Dir, harre meine Seele, So nimm denn meine Hände. Sie singen schon Hitler-Lieder, so sagten die HKB.-disten. Am Morgen war die HKB. verschwunden und wir schafften uns schnell auseinander. Gesprengt wurde in Halbstadt nichts. Wie wir ins Dorf kamen, trafen wir die ersten deutschen Soldaten. Das wer eine Freude, dieses Gefühl, endich zu Haus. – Dank dem Führer, Dank den tapferen deutschen Soldaten, der sein Leben für uns einsetzt!

Die Dörfer Prischib, Hoffental, Nassau, Weinnau, Halbstadt, Mantan, Tiegenhagen, Schönau, die Hälfte des Gnadenfelder Gebietes sind geblieben. Leider sind aber die oberen Dörfer an der Molotschna von Reichenfeld ab, das ganze Hochstädter Kirchspiel, Heidelberger und Kostheimer fortgebracht. Die Krimer sind in den Nordkaukasus gekommen, sollen von dort schon fortgebracht sein. Die Männer aus der Molotschna von 16 – 7o Jahren sind zwischen dem 5. – 26 September verschleppt, sollen teils im Ural, teils in Caukasien sein, wo sie Bahnen und Fabriken bauen müssen. Die Männer aus der Krim wurden am 29. September aus dem Kaukasus nach Kiew und Poltawa geschickt Schaznen [sic!] graben, sind schon in Gefangenschaft bei den Deutschen. Wo aber die Frauen und Kinder geblieben sind, haben wir auch nicht erfahren.

So sind alle Familien auseinandergerissen und uns hält jetzt nur der feste Glaube an den Führer und seine deutsche Wehrmacht aufrecht, die uns vielleicht doch noch jemand unserer Lieben zurückholt.

gez.

Beata Kludt

Frau des gest. Reinhold KIudt in Prischib, Tochter des 1909 ermordeten Pastors Baumann in Prischib.

Lied eines deutschen Gefangenen!

Wir sind weit im fremden Lande
weit von Weib und Kind getrennt,
Ach, voll Jammer, Leid und Heimweh
schmerzvoll unser Herze brennt.

Ach, wir haben viel gelitten
Auf dem schweren, langen Weg.
Niemand hat für uns gestritten,
Keine Hilfe uns gewährt.

Als wir wurden transportieret
wie Verbrecher allzumal,
Keiner konnte protestieren
das vermehrte unsre Qual.

Im Gefängnis hinter Gittern,
saßen wir so manches mal,
Brot und Wasser war uns bitter
doch wir hatten keine Wahl.

Vierzig Werst zu Fuß ohn Essen
gingen wir von Astrachon
Brot und Wasser war vergessen,
mancher kam halbtot hier an.

180 Mann zusammen
waren wir auf dieser Reis.
Bis nach Krasnojarsk wir kamen
Todesmatt durch Schnee und Eis.

Hier sind wir jetzt einquartieret
Heimlich überall bewacht,
überall wird nachgespüret,
überall hat man Verdacht.

Ach wie sind wir verloren,
hier in diesem fremden Ort.
Traurig gehn wir durch die Straßen,
hören manches bittre Wort.

Schreiben wir an unsre Lieben,
die Zensur den Brief erbricht.
Ist ein Wort zuviel geschrieben,
geht er in die Heimat nicht.

Unsre Sprache ist verboten
Unser Leben in Gefahr,
Mancher wird von wilden Rotten
oft geschlagen blutig gar.

Jedermann kann mit uns machen
alles was ihm nur beliebt.
Kann uns spotten, kann uns schlagen
Niemand Schutz und Recht uns gibt.

Und so leben wir in Sorgen
Und in Ängsten alle Tag.
Müssen alles duldend tragen,
wer weiß, was noch kommen mag.

Durch das Elend, Sorg und Jammer
Und die Krankheit aller Art,
Wird so mancher deutsche Dulder
Auf dem Kirchhof hier verscharrt.

Mancher fern von seinen Lieben,
ruht hier in der Erde weit,
wenn er wär zu Haus geblieben,
lebt wer wohl noch lange Zeit.

Wer ist schuld an diesen Plagen?
Der mit Deutschland ist verwandt
Welche deutsche Namen tragen
Werden hier verfolgt, verbannt.

Drum wir alle hier mit Sehnen
warten auf die schöne Zeit,
wenn von allem Leid und Elend
endlich werden wir befreit.

Unsre Frauen, Kinder weinen,
Goßer Gott, erhöhr ihr Schrein!
Und laß bald den Tag erscheinen,
wo wir endlich ziehen heim!

O, welch große Freud und Wonne
wird bei der Begrüßung sein,
wenn einst sie, die Gottessonne
uns mit Freuden bringet heim!

Da wird unser Herze springen
Weib und Kind wird mit uns singen
Dem, der unser Leid gewandt!

Beata Kludt


1Foto der Hochzeitstafel S. 111 in: Heimatkalender der Russlanddeutschen 1959

Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken
Heinrich Lhotzky, ‎ Selbstverlag 1925:

Ein kleines Erlebnis darf ich wohl anführen, weil es unsere Krimmer Bauern kennzeichnet. Ich hatte kurz vor meinem Weggang einmal an einer Hochzeitstafel eine etwas freiere Bemerkung gemacht, als sie sonst im heiligen Rußland üblich war. Da stand der reichste Bauer auf und sagte: Wäre ich der Kaiser von Rußland, so würde ich bestimmen, daß Sie auf der Stelle Rußland zu verlassen hätten. Ich antwortete, das werde auch ohne das geschehen, und die Sache schien erledigt zu sein. Zehn Jahre nach diesem Worte stand der Bauer in meinem Hause am Bodensee. Er sei in Karlsbad gewesen zur Kur und habe die Gelegenheit benützen wollen, seinen alten Pfarrer wieder zu sehen. Er war also mein sehr willkommener Gast. Da sagte er: Eigentlich führt mich etwas anderes her. Sie erinnern sich vielleicht meiner Aeußerung bei unserem letzten Beisammensein. Ich mußte herkommen, Sie deshalb um Verzeihung zu bitten, daß wir ganz einig sind, ehe ich sterbe. Er wird wohl den schweren Krieg nicht überlebt haben. Gott segne ihn und alle unsere armen Volksgenossen in der Ferne.

2Abschrift aus: Deutsches Ausland-Institut, Stuttgart ; Teil I und Teil II (GS Buchnummer 943 B4na Nr. 16 und Nr. 21). Mikrofilm Nr. 007953035 Rolle 606 Frame 5396804, datiert 1.5.1942

 3Anmerkung: Pastor „Willi“ Wilhelm Heine, (13.11.1866-2.1.1938), verhaftet 1930 in Georgien, verbannt nach Sibirien 1930-1934. Lebte 1934-1937 in Feodosia, verhaftet am 4.07.1937, erschossen am 2.01.1938.
Pastor Albert Maier (16.4.1892 – nach 1937), Verhaftung 1936, Verbannung 1937 nach Birobidschan.
Pastor Eduard Luft (1890-1938), führende Persönlichkeit der separatistischen, sogenannten „Freien bzw. lebendigen Kirche“ in der Ukraine, war am 12. März 1926 aus disziplinarischen Gründen vom Moskauer Oberkirchenrat suspendiert, alle Amtshandlungen, die nach dem 12. März 1926 vollzogen wurden, verloren ihre Gültigkeit. Luft wurde zum ersten Mal 1934 verhaftet. Die zweite Verhaftung erfolgte am 9. Juni 1938 wegen angeblicher nationalistischer konterrevolutionärer Propaganda. Am 28 Oktober 1938 erschossen.
Pastor Gustav Birth, (2.3.1887-3.12.1937), lutherischer Pfarrer und Propst, verhaftet am 15. Januar 1934 in Charkow, zu 10 Jahren Haft verurteilt und in ein Arbeitslager in Karelien verbannt. Dort wurde er am 18. November 1937 verhaftet, am 20. November erschossen.

Quellen: Dr. Viktor Krieger Verzeichnis der deutschen Siedler-Kolonisten, die an der Universität Dorpat 1802-1918 studiert haben

Wilhelm Kahle, Geschichte der evangelisch-lutherischen Gemeinden in der Sovetunion 1917-1938; E.J.Brill, Leiden, Netherlands, 1974

4Prof. Dr. med. Adam Adamowitsch Belz (1871-12.5.1946), Chirurg, Professor an der Universität Charkow.
Verhaftet am 05.03.1938 in Charkow. Angeklagt nach § 54-1а des Strafgesetzes der Ukrainischen SSR. Verurteilt am 28.10.1938 von einem Militärtribunal des NKWD des Kiewer Wehrkreises zu 8 Jahren Besserungs-/Arbeitslager und 5 Jahren Entzug der politischen Rechte. Traf am 21.12.1939 aus dem Wladimirsker Gefängnis um KrasLag, Ingaschsker Lagerabteilung, ein. Ab dem 28.12.1939 in der Kansker Lagerabteilung, wo er am 12.05.1946 verstarb.
Dr. med. Hottmann, Theodor (Fedor Jwanowitsch) (2.12.1871-11.9.1938), Gynäkologe, seit 1902 Chefarzt des Chortiza-Krankenhauses. Verhaftung 1937. Offizielle Version: Selbstmord im Gefängnis in Saporoschje, nach Familieninformation Erschießung. Sein Leichnam wurde 1942 von Saporozhje nach Chortiza überführt.
Dr. med. Emil Wilhelmowitsch Eisenbraun (11.4.1897-28.9.1968), Chefarzt des Krankenhauses in Molotschansk, 1933 verhaftet, 1934 zu drei Jahren Ausweisung in die Komi ASSR verurteilt, nach drei Monaten entlassen..

Quellen: Karl Lindeman: Von den deutschen Kolonisten in Russland: Ergebnisse einer Studienreise 1919-1921.Ausland und Heimat Verlags-Aktiengesellschaft, 1924

„Memorial“-Gesellschaft, Krasnojarsk

Enzyklopädie der Russlanddeutschen

5Nikolai Lutz (3.3.1908-1937?), Mathematik- und Physiklehrer, Leiter eines Bau Technikums in Feodosia/Krim, Ehemann von Else Kludt, der jüngsten Tochter von Beata. 1937 wurde er mit 30 Lehrern und Studenten festgenommen und verurteilt.

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Deutsche Kolonisten

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