Pastor Dr. phil. Johannes Heinrich Lhotzky2 wurde am 21. April 1859 in Claußnitz bei Burgstädt (Sachsen) geboren und starb am 24. November 1930 in Ludwigshafen am Bodensee.
Sein Vater Eduard Heinrich Julius (1.7.1816 Waldenburg –27.11.1862 Claußnitz)3 war ebenfalls Pfarrer und Sohn eines Kupferschmiedes aus Böhmen, seine Mutter Hephzibah Winkles aus London, hatte mit ihm fünf Kinder.
Seine Ausbildung genoss er 1858 in der Herrnhuter Erziehungsanstalt Niesky, wechselte 1860 an die Gymnasien in Bautzen und Dresden, eher er 1878 ein Studium der klassischen Philologie, dann der Theologie und Assyriologie an der Universität Leipzig aufnahm. In dieser Zeit verstarb sein Vater und seine Mutter heiratete erneut, ebenfalls einen Pfarrer (in Lausa), welcher acht Kinder hatte.
Im Jahre 1881 wurde er Lehrer auf einem Gut bei Dorpat, nach seiner Beschreibung ein einsames Gut von zwei Quadratmeilen Größe, die einzigen deutsch sprechenden Menschen waren die Hauseltern und ihre Kinder. Alle andern sprachen estnisch.4 Bereits 1882 nahm er sein Studium in Leipzig wieder auf, ehe er nach Berlin wechselte.
In den Jahren 1883 und 1884 folgte der Militärdienst im Leipziger Infanterieregiment Nr. 107, seine Promotion zum Dr. phil. bei Friedrich Delitzsch in Leipzig (Die Annalen Asurnazirpals, 884–860 vor Christus, nach der Ausgabe des Londoner Inschriftenwerkes umschrieben, übersetzt und erklärt) folgte 1885.
Zunächst als Lehrer und Prediger nach Bessarabien berufen (1886), wirkte er in Strembeni, Oneschti und Kischinew, ehe er 1890 Lehrer und Prediger auf der Krim wurde. Seinen Wechsel begründete er mit dem Eindruck, seine Freundschaft zu dem jüdisch-christlichen Missionar Joseph Rabinowitsch mißfiel der Gemeinde.
Joseph Rabinowitz/Rabinowitsch (Bild gemeinfrei)
Ich hätte gern länger dort gearbeitet unter unseren Aermsten und Verlassensten und wußte, daß nach mir sich niemand ihrer so annehmen würde, daß er unter ihnen wohnte und ihre Arbeit und Armut teilte. Allein eine peinliche Naturanlage verhinderte ein längeres Verweilen. Ich war zwar weit draußen in der Steppe, war aber doch der Angestellte meines Seniors. Die Natur hat mir aber leider versagt, Untergebener und Angestellter zu sein, und solche Leute können Vorgesetzte, namentlich wenn sie von ihrer Würde tief durchdrungen sind, schwer vertragen. Ich glaube, meine Freundschaft zu Rabinowitsch mißfiel auch auf die Dauer. Es gab allerhand heimliche christliche Nadelstiche in der bekannten herzlichen christlichen Liebe. So wurde mein Bleiben nach etlichen Jahren abgekürzt, und ich war froh, daß ich in der Krim ein ganz unabhängiges Amt überkam. Ich schied von meinen Kolonisten ungern, ging aber gern in ein neues, überaus freies und schönes Arbeitsfeld.
Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken Heinrich Lhotzky, Selbstverlag 1925
Lhotzky heiratete am 3. Januar 1888 in Kischinew Berta Emilie Bauer (24.09.1866 St. Petersburg 5– 20.05.1950 Überlingen6), Tochter des russischen Staatsrats Albert Heinrich Bauer und seiner Ehefrau Natalie Catharina geborene Siebert.
Seine bessarabischen Erlebnisse verarbeitete er in dem Roman Immanuel Müller, ein Roman aus der bessarabischen Steppe. Haus Lhotzky Verlag Ludwigshafen am Bodensee. 1912
Ich hatte langst die eigentliche Not des Kischinewer Kirchspiels durchschaut. Das umfaßte alle deutschen Kolonisten ganz Beßarabiens mit Ausnahme des Akkermaner Kreises. Dieses ungeheure Gebiet, zu dem im letzten Türkenkriege noch alles Land bis zum Pruth gekommen war, mußte auf Deutsche abgesucht und bereist werden. Also hatte ich den Vorschlag gemacht, selbst weit draußen mit zu siedeln und von einem größeren Pachtgute aus, das ich selbst betrieb, als Bauer und Pastor, die deutschen Siedler zu betreuen.
Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken Heinrich Lhotzky, Selbstverlag 1925
Eintragungen im Kirchenbuch Kischinew 1887 zu Trauungen des Pastors Dr. H. Lhotzky in Kischinew und Strembeni
Ich hatte in der Krim ein Gebiet zu verwalten so groß wie das halbe Königreich Sachsen – möge die Heimat mir verzeihen, ich wollte natürlich sagen, wie der halbe Volksstaat Sachsen. Auf diesem Gebiete hatte ich mehr als 30 Predigtorte zu bedienen, was mit Wagen oder Dampfer geschah. Mein Konsistorium lebte 2000 Kilometer entfernt in Petersburg, und es war eine Freiheit, wie sie selten Menschen zuteil wird.
Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken Heinrich Lhotzky, Selbstverlag 1925
In der Krim herrschte ein prachtvolles Verhältnis zwischen den Gemeinden und ihren Pfarrern. Es gab natürlich zuweilen Zusammenstöße, wie sie in jeder Ehe vorkommen und überall zwischen Hirt und Herde, aber schließlich gewann doch immer das Ansehen des Heilswahrers den befriedigenden Ausgleich. Ich führte mich damals ein mit den Worten des Apostels: »Gott hat uns nicht zu Herren über euer» Glauben gesetzt, sondern zu Genossen eurer Freude.« Dieses Wort des Paulus schwebte mir seit Jahren vor als kennzeichnend für die Stellung eines geistlichen Hirten. So haben wir auch gelebt. Nur habe ich unausgesetzt versucht, ihre höchste Freude, den Weizen, auf eine etwas höhere Stufe zu heben. Auf die Höhe, von der der Apostel redet. Es gelang nicht immer, aber doch zuweilen. Wo es nicht gelungen ist, hat der Weltkrieg seine bitterböse Predigt gehalten, und der ist durchgedrungen. Ein kleines Erlebnis darf ich wohl anführen, weil es unsere Krimmer Bauern kennzeichnet. Ich hatte kurz vor meinem Weggang einmal an einer Hochzeitstafel eine etwas freiere Bemerkung gemacht, als sie sonst im heiligen Rußland üblich war. Da stand der reichste Bauer auf und sagte: Wäre ich der Kaiser von Rußland, so würde ich bestimmen, daß Sie auf der Stelle Rußland zu verlassen hätten. Ich antwortete, das werde auch ohne das geschehen, und die Sache schien erledigt zu sein. Zehn Jahre nach diesem Worte stand der Bauer in meinem Hause am Bodensee. Er sei in Karlsbad gewesen zur Kur und habe die Gelegenheit benützen wollen, seinen alten Pfarrer wieder zu sehen. Er war also mein sehr willkommener Gast. Da sagte er: Eigentlich führt mich etwas anderes her. Sie erinnern sich vielleicht meiner Aeußerung bei unserem letzten Beisammensein. Ich mußte herkommen, Sie deshalb um Verzeihung zu bitten, daß wir ganz einig sind, ehe ich sterbe. Er wird wohl den schweren Krieg nicht überlebt haben. Gott segne ihn und alle unsere armen Volksgenossen in der Ferne. In Beßarabien war’s ja anders. Dort regierte der Sekteneigensinn mehr als der Weizen. Aber das schadet auch nichts. Unter allem Sektierertum schlummert und pulst ein ehrliches ernstes Wollen. Wenn das nicht immer die rechten Formen findet, muß man damit Geduld haben. Dazu ist gerade der Pfarrer in seiner priesterlichen Stellung da, die Güte des Vaters über Gerechte und Ungerechte und Sonnenschein und Regen über Böse und Gute gleichmäßig walten zu lassen. Er wird auch niemals gefragt werden nach seinen Erfolgen, sondern nur nach seiner Haltung, ob man des Vaters Geist an diesem geistlichen Vater gespürt habe. Nein, wer ein Pfarramt ohne ganz zwingende Gründe aufgibt, den verstehe ich nicht. Ich mußte es tun ohne irgend welche äußere Nötigung. Die Leute haben sich zwar den Kopf darüber zerbrochen und mir allerlei heimliche Schande und Laster nachgesagt, besonders die lieben Amtsbrüder, es war auch damals eine Denunziation im Gange, aber sie war längst im Sande verlaufen, als ich meinen Entschluß ausführen mußte. Eines wußte ich freilich dumpf und lastend, es würde ein sehr schweres Unglück über Rußland kommen. Ich wäre dem aber nicht ausgewichen. Ich glaubte später, es sei der japanische Krieg. Aber der berührte unsere Siedlungen ja gar nicht. Daß es dieses maßlose Entsetzen des Weltkrieges war, ist mir erst später deutlich geworden. Ja unsere Feinde haben mehr gelitten als wir und denen, die heute über ihren Lügensieg frohlocken, ist auch schon die Axt an die Wurzel gelegt. Deutschland hat ja den Krieg verloren, aber die anderen werden den Sieg verlieren, soweit es nicht schon geschehen ist
Der Planet und ich Lebenserinnerungen und Zukunftsgedanken Heinrich Lhotzky, Selbstverlag 1925
Dem Paar waren acht Kinder beschieden, Robert *1888, Bruno Johannes (1890–1917), Friedrich Christoph (1891–1916), Martha *1892, Josef *1894, Annamarie *1900, Eva Georgine *1902 und Heinrich *1904.8
Eva Georgine Lhotzky, geb. am 21. Juni 1902 in Berlin-Grunewald13
Ab 1902 wieder in Deutschland, nahm er eine Tätigkeit als Mitarbeiter Johannes Müllers (1846–1949) für die Blätter zur Pflege des persönlichen Lebens auf Schloss Mainburg an und arbeitete 1904 bis 1911 als freier Schriftsteller in Pasing. Zudem war er Herausgeber der Zeitschrift „Leben“. In dieser Zeit siedelte er nach Ludwigshafen am Bodensee über (1910), wo er bis zu seinem Lebensende 1930 blieb.
Er schrieb neben seinen Predigten eine Reihe von Aufsätzen, Zeitungsartikeln und eine größere Anzahl Bücher, wie Die Seele deines Kindes 1908 und Das Buch der Ehe, 1911, beides im Verlag Langewiesche veröffentlicht, später im Eigenverlag Haus Lhotzky.
Asch ist eine Stadt in Nordwestböhmen im heutigen Tschechien, im 11. Jahrhundert kamen Kolonisten aus Bayern, so erhielt sich bis ins 20. Jahrhundert, ebenso wie im südlich angrenzenden Egerland, der nordbayerische Dialekt. Auch im nördlich angrenzenden Vogtland wurde diese Mundart in etlichen Ortschaften nahe der tschechischen Grenze gesprochen.
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918 gehörte Asch zur Tschechoslowakei, eine Angliederung an Bayern wurde abgelehnt. Nach dem Münchner Abkommen gehörte die Stadt von 1938 bis 1945 zum Landkreis Asch im Reichsgau Sudetenland, weshalb zahlreiche Umsiedler hier in Umsiedlerlagern untergebracht wurden.
Am 14.10.1940 wurden die Bewohner Kisils zum Donauhafen Kilia gebracht und fuhren mit dem Donaudampfer „Schönbrunn“ am Abend des 15.10.1940 Donau aufwärts durch das „Eiserne Tor“ bis Semlin bei Belgrad, wo sie am 18.10.1940 vormittags von einer Musikkapelle empfangen wurden.
Nach kurzer Rast in einem Zeltlager ging es am 20.10.1940 abends, mit Bussen zum Bahnhof Belgrad und per Zug über Graz, Wien, Prag und Eger nach Asch.
Alle, die mit dem Treck fuhren, Väter gemeinsam mit ihren ledigen Söhnen oder auch kinderlose jüngere Ehepaare, lenkten ihre Gespanne am 17.10.1940 von Kisil bis Galatz. Bei Ankunft wurde das Gepäck auf die Schiffe verladen und die Pferde für das Militär gemustert. Von Galatz ging an Bord der Schiffe bis Prahowo in Jugoslawien und von dort mit der Bahn bis Asch, wo sie am 10. November 1940 eintrafen.
In Asch wurden die Kisiler mit den eintreffenden Umsiedlern aus Manscha (Annowka) und Raskajetz auf drei Lager verteilt.
Das Hauptlager war das Schützenhaus, hier waren unter anderem Renate Manske (1922–1945, sie starb zusammen mit ihren Eltern auf der Flucht beim Überqueren der Weichsel), Ida (*1924) und Anna Maria (*1921) Heller, Elfriede Winter (*1924), Gertrud Härter(*1924), Harald Mantz (*1937) und Klara Klaudt (*1921) untergebracht.
In der Jahnhalle waren die Familien Artur Flöther (*1908), Eduard Haas (*1914), Gotthilf Kehrer (1900–1945), Rudolf Kehrer (*1899), Rudolf Böpple (1909–1984), Oskar Schoon (1899–1946) und Oskar Witt (*1902, Cousin des Großvaters von Katharina Witt) untergebracht. Mütter mit Säuglingen bekamen einen eigenen Schlafsaal.
Weitere bekannte Namen der Umsiedler in der Jahnhalle waren Adolf, Gerber, Merz, Rauch, Schneck und Wirth. Außerdem gab es noch das Jägerhaus.
Für die Speisezubereitung in der Lagergroßküche waren die bessarabische Frauen zuständig, schulpflichtige Kinder hatten das Glück, in die Bürgerschule gehen zu können, das war nicht immer möglich, vor allem im Warthegau war es mit dem Schulunterricht nicht so gut bestellt. Die Kinder ab 10 Jahren kamen zum Jungvolk, ab 14 Jahren zur Hitlerjugend bzw. zum Bund deutscher Mädel (BDM).
Den Schulunterricht erteilten die bessarabischen Lehrer Robert Deiß und Oskar Mantz (*1910) aus Kisil, Robert Brenner aus Manscha und Heinrich Sonderegger aus Raskajetz.
Zudem wurden die Umsiedler zur Arbeit in Fabriken und Betrieben herangezogen, Asch war ein Zentrum der Textilindustrie, das war nicht in allen Lagern so und führte dort durch Herumsitzen und Langeweile zu Frust. Junge Männer wurden direkt eingezogen zum Wehrdienst.
Am 17.10.1941 ging es per Zug über Eger, Karlsbad, Dresden, Görlitz und Breslau in den Warthegau, in Freihaus (Stunska Wola) wartete auf die Umsiedler noch einmal ein Durchgangslager vor der Ansiedlung im Warthegau.
Asch wurde am 20. April 1945 durch US-amerikanische Truppen besetzt. Im November 1945 kam Asch nach der Übergabe an sowjetische Besatzungstruppen unter sowjetische Militärverwaltung und wurde danach tschechisch.
Quelle: 1 Overview of the development of various streams of German physical education in the Czech lands – Scientific Figure on ResearchGate. Available from: https://www.researchgate.net/figure/Abbildung-6-Neue-Turnhalle-des-Turnvereins-Jahn-in-As-Asch-aus-dem-Jahr-1933-Figure_fig4_354658790 [accessed 6 Jul, 2023] Creative Commons Attribution 4.0 International
2 Kisil, ein Schwabendorf in Bessarabien, Schriften des Heimatmuseums der Deutschen aus Bessarabien Nr. 36, herausgegeben von Ingo Rüdiger Isert, Stuttgart 1999
Für die Umsiedler wurde in Löbau die Kaserne genutzt. Ob noch andere Gebäude belegt wurden, ist nicht bekannt.
Etwa 1915: Jäger-Kaserne Löbau, erbaut 1912-14. In der DDR Offiziershochschule der Landstreitkräfte „Ernst Thälmann“. Kasernen-Außenansicht von SSW (GMP: 51.105785,14.681745)1
Das Umsiedlerlager Löbau in Sachsen wurde von Borodinoer Umsiedlern zwischen dem 30. Oktober 1940 und dem 3. Dezember 1940 belegt. Diese Daten kann man dem noch vorhandenen Lagerpass der Familie Scheurer2 entnehmen.
Bessarabiendeutsche im Lager Löbau, Foto: Privatarchiv M. Scheuer, welcher das Bild freundlicherweise zur Verfügung stellte.
1) Wikimedia: Etwa 1915: Jäger Kaserne Löbau, erbaut 1912-14. In der DDR Offiziershochschule der Landstreitkräfte „Ernst Thälmann“. Kasernen-Außenansicht von SSW (GMP: 51.105785,14.681745). Fotograf unbekannt – 19770427050AR.JPG/Repro Blobelt CC BY-SA 4.0
Zum Ende des Zweiten Weltkrieges waren noch viele Flüchtlinge in Dänemark, so auch in Hellebækgård (Haus Hellebæk). In Hellebæk wurde bereits 1576 ein Pachthof angelegt, im 18. Jahrhundert befand sich auf dem Gut eine Waffenfabrik (Kronborg Geværfabrik), dann eine Gewehrfabrik (Hellebækgård Götter) und ein Herrenhaus.
Heinrich Carl von Schimmelmann (1724–1782) erwarb den Grundbesitz3, welcher bis Ende des Zweiten Weltkrieges in Familienbesitz blieb. Die Familie Schimmelmann stellte das Haus den deutschen Besatzungstruppen zur Verfügung, 1945 wurden im Herrenhaus bessarabische und lettische Flüchtlinge untergebracht.
Im Jahre 1946 wurde das Gut von der dänischen Regierung konfisziert und 1951 an das Königlich dänische Waisenhaus verkauft, nach umfänglicher Renovierung von 1953 bis 2007 als Waisenhaus genutzt, dann als soziale Einrichtung, heute befindet sich seit 2014 eine Schule im Gebäude.
Brief aus dem Lager Hellebæk
Der folgende Brief2 beinhaltet eine „Liste von Insassen des Lagers Hellebäck“ und Grüße an den Onkel von J. Stock.
Die von mir vorgenommene Abschrift erfolgte in der Rechtschreibung des Schreibers. Folgen Sie einfach dem Link und klicken Sie die pdf. Datei an. Danke.
Brief vom 27.12.19452
Brief vom 27.12.1945 Rückseite2
1 Wikimedia, Hellebækgård, Fotograf Ole Rafn, 6.11.2007, CC BY-SA 3.0, Foto
2 Brief privat, Familienbesitz Oberlander-Seidel Nachkommen, freundlichst genehmigt durch Frau Melanie Zensner
Gewidmet der Familie Oberlander- Seidel, denen ich für Ihre privaten Fotos danke und in Erinnerung an Oskar (1922-1944) und Matthias (1925-1944), deren junges Leben – wie das vieler anderer – einen sinnlosen Tod in einem grausamen Krieg fand.
Leider ist mir der Verfasser dieser Chronik aus dem Jahre 1991, welche ich vorliegen habe, nicht bekannt, aber ich möchte sie – vorbehaltlich des Einwands, dann entferne ich das selbstverständlich – hier als Abschrift veröffentlichen, da sie einen wirklich schönen geschichtlichen Rückblick bietet.
Kurzchronik der Gemeinde Mariewka
Die Gründung der Gemeinde Mariewka hat eine bemerkenswerte Vorgeschichte. Vorbild für die Gründer war in etwa die Brüdergemeinde Korntal bei Stuttgart.
Es waren bei 30 bekehrte Brüder, die sich zusammentaten, um eine „reine“ Brüdergemeinde unter dem Namen Gnadenau oder Gnadenort in Mittelbessarabien zu gründen. Diese landarmen Bauern – später nannte man sie „landhungrig“ – fanden eine Gutsbesitzerin griechischer Herkunft, eine Gräfin Maria Radokonaki, in der Nähe des Marktfleckens Kauschani, die bereit war, von ihrem großen Landbesitz von 28 ooo Deßjatinen, 2128 Deßj. ihnen zu verkaufen. Für 28.-, bzw. 32.- Rubel je Deßjatine wurde der Kauf getätigt.
Die russische Regierung verwarf jedoch den vorgesehen Namen und so einigte man sich schließlich auf den Namen Mariewka in Anlehnung an den Namen der Gutsbesitzerin Maria Radokonaki. Zur Finanzierung dieses Landkaufs nahmen die 32 Bauern bei der Chersoner Landbank eine Hypothek á 20 Rbk. pro Deßj. mit einer Laufzeit von 25 Jahren auf. Bei der Aufteilung des Landes verfuhr man so, daß z.B. eine sogenannte ganze Wirtschaft 52,5 Deßjatinen umfasste.
Bei den Dorfgründungen in Bessarabien spielte ja das Wasser die Hauptrolle. Wo kein Wasser unter der Erde zu finden war, konnte auch kein Dorf stehen. Da Mariewka auf einer Hochebene von ca. 240 m liegt, war die Wasserversorgung das Hauptproblem. Der ursprünglich vorgesehene Standort erwies sich als ungeeignet. In einem weiter südlich gelegenen etwas krummen Tal wurde man in ca. 20-24 m fündig. Gutes trinkbares Wasser wurde auf der östlichen, weniger gutes auf der westlichen Talseite gefunden.
Im Winter 1891/92 wurden unermüdlich in den naheliegenden Steinbrüchen Bausteine gebrochen und im Frühling 1892 begann das große Bauen. Die meisten dieser Häuser standen noch in tadellosem Zustand bei der Umsiedlung im Jahr 1940. Das Dorf wurde in zwei parallelen Hofzeilen beiderseits des Tälchens angelegt. In der Dorfmitte sah man eine Kreuzstraße vor. Dort wurde auf der östlichen Seite ein großer Hofplatz für ein Bethaus/Kirche nebst Schule vorgesehen.
Bethaus Mariewka etwa 1938-1940; Foto privat, Familienbesitz Oberlander-Seidel Nachkommen, freundlichst genehmigt durch Frau Melanie Zensner
In zwei Anläufen 1895 und 1905 wurden beide Gebäude nebst einem Glockenstuhl erstellt. Eine gewaltige Leistung zu jener Zeit. Gegenüber, auf der westlichen Seite sparte man gleichfalls einen großen Platz für eine Dorfkanzlei aus. Sie, die Primaria wurde dann 1927/28 erbaut und ihrer Bestimmung übergeben. Heute, nach knapp 100 Jahren beherbergt dieser noch in passablen Zustand befindliche Bau, die Grundschule, die Dorfbibliothek und die Sanitätsstation des Rest-Dorfes „Marianofka de Sus“, wie Mariewka heute heißt.
Bethaus Mariewka um 1938-1940 Innenansicht; Foto privat, Familienbesitz Oberlander-Seidel Nachkommen, freundlichst genehmigt durch Frau Melanie Zensner
Die Hofparzelle einer „ganzen“ Wirtschaft war 50 m breit und 400 m lang. Oberhalb der Schulparzelle, ca. 50 m in Richtung Floroi hatte man den Friedhof angelegt. Eine breite Steinmauer umgab ihn. Auf der Außenseite des Eingangstors stand der Spruch: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Joh. 11, 25. Innen: Denk o Mensch an deinen Tod. Hier fand ich den einzigen noch gut lesbaren Grabstein 1991: „Katharina Scheffelmaier, geb. 1863, gest. 1899“.
Dank der verhältnismäßig guten Anbindung an das Verkehrsnetz – Bahnstation Zaim 3km, der Markt Kauschani 7km entfernt, entwickelte sich die wirtschaftliche Situation Mariewka´s recht günstig. Eine tiefe Humusschicht und ein nicht allzu trockenes Klima erbrachte, dank fortschrittlicher Arbeitsweise, meist gute bis sehr gute Ernten.
Die großen Bauern Mariewka´s sorgten schon frühe für ihre wachsenden Familien vor: So konnten bei Lunga 1575 Daßjatien im Jahr 19o8, 191o ein Landgut von 35oo Deßj., der späteren Kolonie Olgental, dann 34oo Deßj. mit dem späteren Dorf Mariental erworben werden. Olgental bei Odessa ging nach 1918 den Mariewka-ern verloren.
Wie schon zu Beginn erwähnt, waren die Einwohner Mariewka´s groß teils geprägt durch ihren bekennenden evangelisch-pietistischen Glauben. Für die innere Ordnung in der Gemeinde, etwa bei Streitigkeiten, sorgte ein Bruderrat von 8-10 Männern, sodaß die weltliche Gerichtsbarkeit soviel wie nie benötigt wurde. Eine besondere Persönlichkeit in dieser Beziehung und auch sehr geschätzt in vielen Dörfern Bessarabiens was der „blinde Hansjörgvetter“ Schmied. Er war ein nimmermüder Streiter für die Sache Jesu. Im Dorf waren zwei Brüderversammlungen. Auch eine lebendige Baptistengemeinde entstand und sie erbaute eine eigene Kapelle auf dem Grundstück von Wilhelm Schreiber.
Bevor die Schule gebaut wurde, unterrichtete ein Bauer, Michael Jose die Kinder des Dorfes in einer Bauernstube. An 1895 fand dann immer von November bis Februar der Unterricht durch Lehrer statt. In den letzten Jahren vor der Umsiedlung waren meist zwei bis drei Lehrer bei über 1oo Kindern tätig.
1896 erbauten Samuel Wiese, Matthias Oberlander und Christoph Irion am Unterende eine Dampfmühle, die mit Stroh befeuert wurde. Joseph Idler aus Sarata übernahm sie nachher, mußte sie aber nach dem Ersten Weltkrieg an einen jüdischen Unternehmer verkaufen, der sie vergrößerte und statt der Dampfmaschine einen MAN-Dieselmotor von 12o PS einbauen ließ. Bei Wilhelm Haas lief einige Jahre auch eine Ölmühle, gekoppelt mit einer Wollekämmlerei. Ein Gemeindeladen, die „Lafke“ wurde 1917 gegründet, er kam aber zunächst langsam voran, denn ein gutgehendes jüdisches Geschäft sorgte für kräftige Konkurrenz. Später wurde dem „Konsum“-Laden noch eine Molkerei angegliedert, zu Anfang neben der Kreuzstraße, dann aber neu erbaut und modernisiert oberhalb des Ladens.
Dorfplan zur Umsiedlung von mir auf googlemaps5 aufgelegt, damals 52 Wohnhäuser, im Jahre 2018 noch 18 vorhanden, Fotos8
Was wäre noch zu sagen? Auf zwei geeigneten Landflächen wurden Weinberge angelegt, so in Richtung Kauschani, ca. 1 km vom Dorf entfernt und eine neuere Weinberganlage am Hortop in der Nähe von Neu-Mariewka. Neben Direktträgern gab es schon viele edlen Sorten. Die Bauern von Mariewka begannen in den letzten Jahren vermehrt mit Sojaanbau, während man bei der Schafzucht von den Milchschafen zur Karakulzucht über ging. Sechs große Dreschgarnituren nebst Garbenbindern, Mähmaschinen, Treckern, Drillmaschinen u.a. blieben 194o dort. In der Kirche die 1912 angeschaffte, wohlklingende Orgel der Ev. luth. Kirche, die die Russen sehr bald demontierten und nach Rußland schafften.
Ein Einblick in das landwirtschaftliche Leben um und auf dem Hof eröffnet uns das Familienalbum der Familie Oberlander8 , vielleicht erkennt jemand seine Angehörigen unter den unbekannten Personen wieder?
Ein Zeichen großen Fortschritts war die Flurbereinigung 1938. Nach der Umlegung und Neuzuteilung waren alle Voraussetzungen für eine noch bessere Bewirtschaftung des Ackerlandes gegeben. Zwei gemeindeeigene Viehweiden in der Floroi und bei Neu-Mariewka hatten Futter für Vieh, Pferde und Schafe. – Es zeichnete sich allerdings die letzten Jahre ab, daß die Äcker auf Dauer ohne Düngung nicht mehr den erwarteten Ertrag bringen würde. Gottfried Scheffelmaier, langjähriger Schulz/Primar von Mariewka sollte noch erwähnt werden, als herausragende Persönlichkeit vertrat er wirkungsvoll diese unsere Gemeinde sowohl in russischer als auch in rumänischer Zeit.
194o war dann die Zeit eines deutschen Dorfes Mariewka vorbei. Infolge der Besetzung Bessarabiens durch die Sowjetunion wurden wir Deutschen ins Deutsche Reich umgesiedelt2. Es gibt heute noch den Rest des einstigen Mariewka, aber in welchem Zustand! Fast alle der wenigen noch stehenden Wohnhäuser gleichen Ruinen, Wirtschaftsgebäude sind schon garkeine mehr da, Hofmauern sind verschwunden, die Dorfstraße ist mit Mais bepflanzt, der Friedhof und die Hofräume mit Unkraut und Gestrüpp überwuchert. Wird Mariewka das zweite Jahrhundert überdauern?
Unmittelbar nach der Ansiedlung war es den Kindern nicht möglich, eine Schule zu besuchen, so wurde das Haus vom Michael Jose, einem Bauern, im Winter (November-Februar) zur Behelfsschule, in der restlichen Jahreszeit mussten die Kinder ihren Eltern helfen, ehe man sich 1895 an den Bau eines Schul- und Bethauses machte. In diesem unterrichteten nun endlich auch ausgebildete, von der Gemeinde bezahlte Lehrer, der Hauptlehrer war bis 1920 zugleich Rektor, Küster und Gemeindeschreiber.
Küster und Lehrer waren9:
1893-1897 Michael Jose, Bauer aus Mariewka
1898-1899 Jakob Herter, Lehrer aus Großliebental
1899-1901 Immanuel Baumann aus Lichtental
1902-1904 Gustav Witt aus Arzis.
1906-1906 Christian Kalmbach
1907-1909 Friedrich Rüb
1909-1915 Karl Knauer
1915-1922 David Baumann
1922-1931 Karl Knauer
1931-1936 Karl Knauer – nur Lehrer
1936-1940 Karl Knauer
ab 1930 als erste Lehrer: rumänische Lehrer
Die Änderung im Lehrkörper erfolgte, da in Bessarabien nun in rumänischer Sprache unterrichtet werden musste, zudem wurde weiter in Russisch unterrichtet, nur der zweite Lehrer durfte in einigen Fächern, wie Religion, auf Deutsch unterrichten.
Interessant in diesem Zusammenhang, in Folge der Russifizierung wurde in Bessarabien ab 1829 das Benutzen der rumänischen Sprache in der Verwaltung verboten. Ab 1833 durften Gottesdienste nicht mehr in rumänischer Sprache abgehalten werden und alle rumänischen Kirchenbücher wurden verbrannt. 1842 wurde in allen Gymnasien die rumänische Sprache durch die russische ersetzt. 1860 wurde der rumänische Unterricht sogar in den Grundschulen eingestellt. Mit dem Anschluß an Rumänien am 9. April 1918 endete die Russifizierung und Bessarabien bekam eine zentralistische Verwaltung sowie eine Neuordnung der Gebiete in neun Kreise (Județ).
Die Schule wurde ab 1919 staatlich verwaltet, der rumänische Staat bezahlte das Lehrergehalt, war für Anstellungen der Lehrer zuständig und letztlich damit auch für die Lehrpläne, zudem zahlte der Staat das Heizmaterial, welches die Gemeinde für die harten Wintermonate lieferte.
Wirtschaftlich nahm Bessarabien nun eine starke Entwicklung wahr, auch die Infrastruktur wurde deutlich ausgebaut. Durch eine Agrarreform 1920 mit der Enteignung von Großgrundbesitzern (mit mehr als 100 Hektar – unser Opa Kühn machte daher seine Frau – damals ungewöhnlich – zur Eigentümerin eines Teils des Landes, um es zusammen zu halten) konnten viele besitzlose Bauern zu eigenem Land gelangen. Die Durchführung dieser Reform dauerte bis in die 1930er Jahre an und wurde teilweise durch Korruption gehemmt.
Religionslehrer und Rektor in dieser Zeit war Karl Knauer, als er das zweite mal nach Mariewka kam, außer in den Jahren 1930-1935, da übernahmen die Stelle des Küsters, Religionslehrers9:
1931-1932 Otto Steudle,
1932-1933 Wilhelm Gäßler,
1933-1934 Herbert Merz und David Baumann
1935-1936 Theophil Frey
Weil die Mariewka-er Brüdergemeinde einen großen Kindersegen hatte, musste die Schule bald erweitert werden. Zunächst 32 Schüler fassend, waren es 1909 bereits 80 und zur Umsiedlung über 1003.
1908 hatte man daher im Gebäude bereits die Lehrerwohnung zum zweiten Klassenzimmer umgebaut und die Lehrerwohnung in das neu gebaute Bethaus verlegt.
Es gab auch Schulhelfer, eigentlich die Stelle des zweiten Lehrers, später 2. Gemeinde- bzw. Staatslehrer, 1936-1938 als dritte Lehrer eingesetzt9:
1908 Doris Hasenjäger
1908-1909 Gottlieb Lust
1909-1910 Leopold Gäßler
1910-1911 Immanuel Necker
1911-1912 Wilhelm Keller
1912-1915 Johannes Knauer
1920-1922 Arthur Witt
1922-1924 Bernhard Häußer
1924-1925 Otto Schaupp
1925-1927 Johannes Knauer
1927-1928 Adolfine Sonderegger
1929-1930 Anna Wagner
1930-1931 George Preda, Rumäne
1931-1938 Otto Eckert
1936-1938 Helene Dalibaltow, Bulgarin (III. Stelle)
1939-1940 Helene Dalibaltow, Bulgarin (II. Stelle)
Die Gemeinde Mariewka hatte der Schule immer die Religions- und Lesebücher kostenlos gestellt, das blieb auch mit der Verstaatlichung der Fall. Die deutschen Lehrer, zugleich Küster und Religionslehrer, blieben in der Gemeinde, wurden von dieser ebenfalls entlohnt, entsprechend gut war ihr Stand. Die Kinder genossen den mehrsprachigen Unterricht zu ihrem Vorteil, in anderen Regionen des Landes litten sie häufig unter dem Mangel der deutschen Unterrichtung, entsprechend waren ihre Lese – und Schreibkünste der deutschen Sprache, besonders auffällig in der Dobrudscha, wo zur Umsiedlung vieles bereits rumänisch in den EWZ-Unterlagen vermerkt wurde, bzw. in sehr schlechtem, eher rumänisch klingendem Deutsch.
Aus der Schulzeit gibt es noch einige Erinnerungen der Familie Oberlander8, vielleicht erkennt der eine oder andere Leser seine Angehörigen wieder, dann wäre es schön, wenn er dazu mit mir in Kontakt treten würde.
1930-1931 Erlse Oberlander – wer ist diese Lehrerin?5. Klasse 1931, Foto privat, Familienbesitz Oberlander-Seidel Nachkommen, freundlichst genehmigt durch Frau Melanie Zensner von ca. 1931 / 1932 1. Reihe ( von ) unten, (von) rechts : 8. Kind : Else Oberlander. 2. Reihe (von) unten, (von)rechts: 2 . “ Kind “ : Adele Oberlander 3. Reihe (von) unten, (von) links : 4. Kind : Lilli Otterstätter, Foto privat, Familienbesitz Oberlander-Seidel Nachkommen, freundlichst genehmigt durch Frau Melanie ZensnerBild ca. von 1937 letzte Reihe, oben, die dritte von links = Else Oberlander, die zweite von rechts neben ihr = Ella Irion, gleich rechts neben Ella Irion, wieder Lilli Otterstätter. Foto privat, Familienbesitz Oberlander-Seidel Nachkommen, freundlichst genehmigt durch Frau Melanie ZensnerCa. von 1939 2. von links = Else Oberlander, gleich rechts neben ihr : Lilli Otterstätter geb. : 16.02.1924; Foto privat, Familienbesitz Oberlander-Seidel Nachkommen, freundlichst genehmigt durch Frau Melanie Zensner
Da auch für die Jüngsten gesorgt war, gab es einen Kindergarten. Die Betreuung erfolgte durch9:
1925-1927 M. Lecka
1927-1928 M. Zeliony
1929-1930 Nedelsky
1931-1932 Georgiade
1933-1934 Segejencko
1935-1936 Dardu
1936-1938 Makaresku
1938 Missan
Umsiedlung der Mariewka-er
Als es im September 1940 zu konkreten Planungen kam, wurden für die einzelnen Dörfer Marschruten festgelegt.
Marschroute II A. Straße und Rastplätze: Mariewka, Borodino, Wittenberg, Kubej, Anatol, Überquerung des Pruth bei Girugiulesti. B. Futter besorgen bei Borodino und Wittenberg. C. Alle Umsiedler aus den Bezirken Beresina und Kischinjow werden diese Route nehmen.
Die Notwendigeit von Pferdefuhrwerken hatte mit den außerordentlich schlechten Straßenverhältnissen in Bessarabien zu tun. Nur wenige Abschnitte waren mit LKW´s zu befahren, zudem waren die Entfernungen und die Zahl der Menschen eine kaum zu bewältigende Transportorganisation. Dazu kamen starke Regenfälle, die den eigentlichen Termin vom 18. Oktober 1940 auf den 19. Oktober verlegten.
Für das Dorf Mariewka war ein Treck mit 538 Personen geplant, die Bewohner waren auf 269 Wagen mit 538 Pferden4 verteilt und hatten eine Weg von 259 km nach Galatz vor sich.
Weg von Mariewka nach Galatz mit Zwischenstationen5 6
Wie die Familie Oberlander zu berichten wußte, wurden einige Vorbereitungen zur Umsiedlung getroffen, Decken, Kopfkissen, Waschschüsseln, Schüsseln für das Essen, Tassen, Besteck und dergleichen sollten in einem kleinen Bündel verpackt werden, welches auch an Bord des Schiffes gut erreichbar sei, denn es gab keine Möglichkeit, das auf dem Vordeck verstaute Gepäck aufzusuchen. So entschied die Familie sich zum Vergraben ihres guten Geschirrs, ebenso kam der Familienschmuck in Erdverstecke, da man damit rechnete, zurück kehren zu können, wenn der Krieg vorbei wäre.
Man schlachtete, machte Schmalztöpfe, buk Brot, verlud Mehlsäcke und Kübel mit Wasser, um für die Reise versorgt zu sein.
Familie Oberlander 19388 1. Reihe von links : Else Oberlander, Matthias Oberlander, Martha Oberlander geb. Riethmüller, Matthias Oberlander. 2. Reihe von links: Adele Oberlander und Oskar Oberlander.
Am 13. Oktober startete ein Renault-Krankenwagen (Sankra)-Transport um 9.00 Uhr morgens, um die infektiösen Kranken direkt nach Galatz zu bringen. Da russisches Militär die Straße blockierte, musste eine Umwegroute gefunden werden, der Sankra traf um 12.15 Uhr in Mariewka an. Vor Ort stellte sich heraus, dass Ingeborg Eckert neben Scharlach auch an Diphtherie erkrankt war. Der verantwortliche SS-Sanitätsdienstgrad (SDG) Schnelle gab die Anweisung, den Bezirksarzt von Kischinew darüber zu informieren, dass er die Erkrankte nicht mitnehmen können, weil Ansteckungsgefahr bestand für die die anderen Scharlach-Patienten, zumeist Kleinkinder.
Die Großeltern von Ingeborg Eckert sollten sie ursprünglich begleiten. Als Ergebnis einer Diphtherie-Infektion konnten sie nicht mehr als Begleitpersonen mitgenommen werden. So wurde Elisabeth, die Tante des Scharlach-Patienten Gerhard Schreiber ausgewählt und die Transportliste geändert. Um 14.30 Uhr ging es nach Taraclia, die Fahrt dauerte eine Stunde. Im Krankenwagen gab es zwei Typhus-Patienten, als eine russische Eskorte Probleme machte und die Aufnahme weiterer Patienten um eine Stunde verzögerte. Für zwei Patienten wurde die Zeitverzögerung zu viel, sie verstarben an Typhus.
Um 17.00 Uhr ging es aus Traclia weiter nach Leipzig, wieder machte das russischen Militär Schwierigkeiten für die Weiterfahrt, nach langer Diskussion konnte die Fahrt fortgesetzt werden, da brannte einem der Fahrzeuge eine Dichtung durch und es musste abgeschleppt werden nach Tarutino, damit die Reparaturen von der Werkstattzug des Militärs durchgeführt werden konnten. Die Ankunft war gegen 21.00 Uhr und Dr. Franke, dem örtlichem Sanitätskommandanten, bereits gemeldet worden. Trotzdem gab es gab keine Unterkunft für die Patienten, sie mussten in den Krankenwagen übernachten. Auch die Verpflegung, die in den Zwischenstationen ausgereicht werden sollte, hatte bisher niemand erhalten.
Im Sankra mit den Scharlach-Patienten, 6 Kinder und die Begleiterin Elisabeth, gab es glücklicher Weise genügend Wolldecken, um nicht zu sehr unter der Kälte zu leiden. Die Typhus-Patienten konnten in einem leeren Haus untergebracht werden. In diesem Haus starb Frau Magdalena Schäfer gegen 23:00 Uhr. Sie bekam noch eine Injektion gegen 22.00 Uhr von Dr. Franke, was ihr nicht mehr half.
Die anderen Patienten hatten die Nacht einigermaßen gut überstanden, waren mit heißem Tee versorgt worden.
Am 14. Oktober um 5.00 Uhr früh wurden die Typhuskranken in den Krankenwagen verladen und um 7.00 Uhr brach der Transport nach Reni auf. Die Straße war in ziemlich gutem Zustand und mit etwa 35-40 km/h passierbar, so traf man um 11.45 Uhr in Reni ein.
Kurz vor 13.00 Uhr wurde der Wachposten Pruth-Überfahrt ohne besondere Kontrollen oder Probleme durchgefahren und um 14.00 Uhr das Lager Galatz erreicht. Hier wurden nach Übergabe der Patienten Fahrzeuge und alle Einrichtungsgegenstände umgehend desinfiziert.7
In Mariewka gab es inmitten dieser Aufregung einen Trauerfall, die kleine Gertrud verstarb noch am 13. Oktober, hätte die Fahrt also nie überlebt und wurde, keine drei Jahre alt, in Mariewka zu Grabe getragen.
Dann kam der Abreisetag, viele Menschen standen an den Straßenseiten und winkten mit Tüchern zum Abschied, ehe sich die lange Schlange von Menschen und Wagen in Bewegung setzte. Eine große Trauer machte sich breit und das Heulen der zurückgelassenen Hunde war noch lange zu hören.
Das Lied, das die Kinder so gern in ihrer Mariewka-er Schule gesungen hatten, sollte nun für den Rest ihres Lebens eine neue, tiefere Bedeutung bekommen:
Wenn alles wieder sich belebet, der Erde frisches Grün erblüht; die Lerche sich zum Himmel hebet, helljubelnd ihr melodisch Lied, dann füllt mein Auge isch mit Tränen, mein herz mit einer süßen Qual: Dann treibt mich ein unendlich Sehnen zu meinen Bergen in das Heimattal.
Ich denke an der Kindheit Tage und um mich reiht sich Bild an Bild. Es schau´n auf mich mit leiser Klage die Eltern und die Freunde mild. Es füllt mein Auge sich mit Tränen, mein Herz mit einer süßen Qual: Dann treibt mich ein unendlich Sehnen zu meinen Bergen in das Heimattal.
Wie nah aber Trauer und Hoffnung beieinander lagen, zeigte sich in Semlin, auch schwangere Frauen waren mit extra Transporten bereits weggebracht, am 17. Oktober wurde der Familie Eckert mitten in ihre Trauer um das Töchterchen ein Sohn geboren.
Während die Mariewkaer ins Umsiedlerlager kamen, wurden Oskar (1922-1944) und Matthias (1925-1944) Oberlander einberufen. Wo das Bild8 aufgenommen wurde, ist unbekannt, links in der Vergrößerung derrechts markierte Oskar.
Wie so viele, war auch er der SS beigetreten, ob aus Überzeugung, oder weil er gedrängt wurde, da man vielen Umsiedlersöhnen versprach, es würde ihren Familien helfen, diese würden bevorzugt angesiedelt werden und kämen so schneller aus dem Umsiedlerlager, ist bis heute unklar. Was jedoch bekannt ist, er kam als Grenadier zur 7. SS „Das Reul“ und erlag einem Oberschenkelsteckschuss auf dem Hauptverbandsplatz Proskurow im Alter von 21 Jahren.
Bruder Matthias wurde als Grenadier dem Grenadier-Ersatz-Bataillon 322 zugeordnet und starb als Angehöriger der 1. Kompanie, Füsilier-Bataillon 291, an einem Herzschuss in Winiarki. Er wurde nur 18 Jahre alt.
Einige der Mariewkaer befanden sich nach Kriegsende mit anderen Bessarabiern in Dänemark, von dort erreichte ein Brief8 mit Lagerliste aus dem Lager Hellebæk die Heimat.
Original: Dokumentation III der Vertreibung der Deutschen aus Ost- Mitteleuropa. Das Schicksal der Deutschen in Rumänien. hrsg. vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, 1957 S. 27-30
2 DAI, Mikrofilm 007953036
3 Steppenblumen. Heiteres und Ernstes in schwäbischer und hochdeutscher Sprache aus dem Leben der Deutschen in Bessarabien. Karl Knauer, Verlag Stuttgart-Vaihingen, Selbstverlag, 1954, p. 252ff
4 National Archives Microcopy #T-81; VOMI 920; Record Group 1035; Roll 317; Series 535; Frames: 2447170-2447172
Mein herzlicher Dank für die Dokumententexte, Zeitungsartikel und das Lagerlied geht an Herrn Friedrich Wimmer, Waxenberg. Ohne ihn hätte ich diesen Artikel in dieser Form nicht realisieren können.
Das Schloss Waxenberg liegt im Ortszentrum von Waxenberg in der Gemeinde Oberneukirchen im oberösterreichischen Mühlviertel.
Bereits im17. Jahrhundert unterhalb der Burgruine Waxenberg errichtet, diente es zwischen 1756 und 1848 als Sitz der Herrschaft Waxenberg und ist heute in Privatbesitz der Familie Starhemberg.
Neues Schloss Waxenberg 1)
Das heutige „Neue Schloß“, erbaut 1908 bis 1914, diente seit 1938 der Volksfürsorge, nachdem es durch die Nationalsozialisten enteignet wurde.
Mietvertrag 1938 3)
Im September 1940 richtete man nach Beschlagnahme der Gebäude ein Umsiedlerlager ein.
Beschlagnahme 1940 3)
Beschäftigte im Umsiedlerlager und Mietangebot Saal als Schulzimmer 1940 3)
Der „Heimatbrief für die Soldaten aus dem Kreis Freistadt, O. D.“3
berichtete im Brief Nr. 6 September/Oktober 19403 :
Als Neuigkeit muss ich euch noch sagen, dass wir dieser Tage 370 Bessarabien Deutsche erwarten. Wir wollen sie alle in den Waxenberger Schlösser unterbringen, da gibt es natürlich noch viel vorzubereiten, damit wir diesen braven Menschen wenigstens vorübergehend eine Heimat ersetzen können. Schon durch ihr Kommen zeigen sie uns ja, welche Liebe sie zu unserem Volk und zu unserem Führer haben. Sie, die ihre Heimat und ihren schwer erkämpften Boden verlassen, um Seite an Seite mit uns am Kampf und am Neuaufbau unseres Vaterlandes mitzuarbeiten, zeigen uns so recht, wie wir heute an der Geburt eines Reiches stehen, dessen Größe und innere Geschlossenheit das erste Mal in der Geschichte alles in seinen Bannkreis zieht, was bluts- und willensmäßig zu unserem Volke gehört. So entsteht Stein auf Stein das herrliche soziale deutsche Volksreich von dem zu allen Zeiten die Besten unseres Volkes geträumt haben und das Jahr jetzt durch Euren höchsten Einsatz für immer begründen helft.
Zeitgleich erhielten die Marienfelder ihren Umsiedlerpass, Mitte September 1940 wurden alle Frauen und Kinder, ebenso die arbeitsunfähigen und älteren Männer auf LKW verladen und nach Galatz ins Sammellager gebracht. Nach etwa einer Woche Lageraufenthalt setzten sie ihre Reise mit dem Schiff Donau aufwärts in das Sammellager Semlin in Jugoslawien fort. Wieder erwartete sie rund eine Woche Lageraufenthalt, ehe die Weiterreise mit der Bahn angetreten wurde. Nach der Ankunft in Wien wurden alle verteilt auf die Umsiedlungslager Eschelberg, Waxenberg und Schloß Riedegg bei Gailneukirchen (Linz/Oberdonau).
Näheres über die Vorbereitungen zur Aufnahme der Marienfelder in Waxenberg erfahren wir aus dem 7. Brief November 19403 :
Oberneukirchen empfing die Bessarabien Deutschen.
Wie wir im letzten Heimatbrief angekündigt haben, sind nun die Bessarabien-Umsiedler mit Kind und Kegel hier eingetroffen. Die Ortsgruppe Oberneukirchen hat das Möglichste getan, um ihnen schon von Anfang an zu zeigen, wie sehr wir bemüht sind, ihre Lage nach Möglichkeit zu erleichtern. Tage vorher schon wurde Jung und Alt mobilisiert, welche Tag und Nacht arbeiten mussten, um das Lager Waxenberg in einen Zustand zu setzen, der den gestellten Anforderungen gerecht wird. Es galt bei 400 Strohsäcke zu stopfen, Zimmer und Betten in Ordnung zu bringen und verschiedene andere kleine Arbeiten zu verrichten, die zur wohnlichen Ausgestaltung notwendig sind. Besonders in den letzten Tagen wurde oft bis 11 und 12 Uhr nachts mit Liebe und Fleiß gearbeitet, und als schließlich der Tag kam, wo das Eintreffen der Umsiedler gemeldet wurde, da konnten ihnen alle Beteiligten mit dem Bewusstsein entgegen blicken, ihre Pflicht als Volksgenossen den tapferen Heimwanderern gegenüber restlos nachgekommen zu sein.
Schnell wurde noch alles Notwendige zur Verpflegung heran geholt, Kartoffel und Kraut eingelagert, Brennmaterial besorgt und dann die Vorbereitung zum Empfang getroffen.
Um 4 Uhr nachmittags kam dann unser umsichtiger Kreisleiter, um noch alles zu überprüfen und die Umsiedler persönlich in ihrer vorübergehenden Heimat zu begrüßen. Inzwischen hatten die Gliederungen der Partei und der Reichskriegerbund Aufstellung genommen, auch die Ortsmusik von Oberneukirchen fehlte nicht, um den Empfang durch schneidige Märsche zu verschönern. Als dann um halb 8 Uhr abends die lange Autokolonne einfuhr und nach und nach die Familien, insgesamt 310 Personen, in das Schloss geleitet wurden, da ist wohl jedem von uns die Größe des Vaterlandes klar geworden, die diese Familien für Deutschland und für unseren geliebten Führer darbringen. Alte Leute, rüstige Männer, brave Mütter und viele, viele Kinder gingen an uns vorüber. Eine gute Organisation der Lagerführung sorgte dafür. Dass schon eine Stunde später alles in den zu geteilten Räumen untergebracht war. Die rührige Frauenschaft von Oberneukirchen und Warenberg verteilte sich sodann in den Räumen und hatte für jedes Kind und für jede Mutter ein besonderes Päckchen guter Sachen. Dankbare Blicke und Worte der bescheidenen Menschen belohnten reichlich die aufgewendeten Mühen.
So wurde auch diese Arbeit in gemeinschaftlichem Zusammenwirken geschaffen. Für Arbeit und Beschäftigung der Rückgeführten muss natürlich auch Sorge getragen werden. Um Arbeit sind wir ja in Oberneukirchen nicht verlegen. Es wurde deshalb sofort ein neuer Güterweg nach der Ortschaft Reindlsödt projektiert und sind die Vorbereitungen bereits so weit gediehen, dass wir hoffen, alle arbeitsfähigen Männer in Kürze beschäftigen zu können. Ein schöner Herbst wäre natürlich wie bei allen anderen Arbeiten auch hier dringend notwendig.
Die zurückgebliebenen Marienfelder Männer mussten ihr Vieh versorgen und das Getreide auf den Bahnhöfen Comrad oder Skinosse abliefern. Die meisten hatten seit der Abfahrt der Familien ihre Schweine geschlachtet, das Fleisch gebraten und mit Schmalz übergossen in verschlossenen Gefäßen verpackt.
Diese Art der Haltbarkeitsmachung kannte ich noch von den Schlachtetagen meiner Schwiegereltern – „Gselchtes“.
Das Schweinefleisch wurde nach dem Schlachten zunächst gepöckelt. Während die Spitz- und Eisbeine in einer Salzlake im Steintopf zogen, wurden die besseren Stücken mit einer Mischung aus Salz und Gewürzen eingerieben und in einem Steintopf gestapelt, dann kühl im Keller gelagert. Der austretende Saft wurde so zur Lake, nach einiger Zeit wurde umgestapelt. So zog die Salz-Gewürzmischung etwa 3 Wochen durch das Fleisch. Anschließend wurde alles abgespült, das Fleisch etwas gewässert, dann zum Trocknen aufgehängt. Das dauerte etwa einen Tag. Danach kam es in die Räucherkammer und wurde heiß geräuchert, meist nur 2-3 Stunden. Kalt geräuchertes, wie Schinken oder Salami dauerte deutlich länger und wurde zumeist mehrfach geräuchert und blieb hängen in der Räucherkammer.
Im nächsten Schritt wurden die gepöckelten und geräucherten Fleischstücken gekocht und angebraten. Das abfließende Fett wurde als Schmalz aufgefangen.
Wieder kamen Steintöpfe zum Einsatz. Alle waren peinlich sauber geschrubbt und wurden mit Schmalz ausgegossen, es befand sich also im Topf ein 1-2 cm dicke Schicht an den Wänden und dem Boden. Das Fleisch wurde Schicht um Schicht in den Topf gelegt und mit flüssigem Schmalz bedeckt. Es durfte nirgends Luft eingeschlossen werden, da hier das Fleisch zu schimmeln beginnt. Obenauf ein dicker Abschluss aus Schmalz, dann wurde der Topf mit Deckel zugebunden und kam in den Keller. So konnte das Fleisch durchaus bis zu einem halben Jahr stehen.
Wenn Gehacktes verarbeitet wurde, haben sie es ebenfalls für ein paar Tage roh in Schmalz eingegossen und in den Keller gestellt, so konnte es nach und nach verarbeitet werden. In der Regel wurde es eingeweckt.
Uns mag das heute abenteuerlich erscheinen, aber man hatte früher wenig Möglichkeiten, seine Nahrung zu konservieren und für den Transport war diese Methode sehr geeignet, zudem waren die Winter in Bessarabien ungleich kälter als in Deutschland, so war der Keller der beste Kühl- gar Gefrierschrank.
Anfang bis Mitte Oktober 1940 hatten auch die zurückgebliebenen Männer in Marienfeld ihre Pferdegespanne beladen und machten sich mit zwei Stopps in Jekaterinovka und Albota auf den Weg nach Galatz.
Dort nahm man ihnen allerdings die Pferdegespanne, einschließlich aller aufgeladener Güter, ab. Ihre ganze Mühe war umsonst.
Nach einer Woche Lageraufenthalt nahmen sie den Reiseweg ihrer Familien und kamen von Wien aus in das Auffanglager Kremsmünster in Österreich. Erst von dort wurden sie auf die Lager verteilt, in denen ihre Familien untergebracht waren.
Unter den im Schloss Waxenberg befindlichen Marienfeldern waren auch die Familie Samuel Grieb, denen ein Kind hier geboren und getauft wurde und die Familie Jacob Beierle, die später nach Amerika auswanderte..
Der 8. Brief Weihnachten 19403 berichtete erneut aus Waxenberg an die Front:
Es ist nicht immer leicht, von der engsten Heimat Neuigkeiten zu berichten, doch einiges gibt es auch diesmal wieder zu erzählen. Wie Euch bekannt ist, sind im Schloss Warenberg zirka 450 Volksdeutsche aus Bessarabien vorläufig über den Winter einquartiert. Es gelang der Gemeinde bereits, einem Teil der Männer entsprechende Arbeitsstellen zuzuweisen, so dass sie nun zum Unterhalt ihrer Familien schon selbst zum Teil beitragen können. Es sind meist recht kinderreiche Familien, durchwegs willige und fleißige Arbeitskräfte, die überall zupacken. Und Arbeit gibt es trotz der vorgeschrittenen Jahreszeit bei uns immer noch genug. So wird zum Beispiel derzeit die Wasserzuleitung zu unserem Marktbrunnen repariert. Eine Steinquetsche steht ferner zum Gaudium unserer Schuljugend hinter dem Schulhaus in Betrieb. Auch unsere Schuljugend zeigt wieder ihren bewährten Sinn für Arbeitseinsatz in jeder Form. So werden derzeit für die Kinder der Bessarabien Deutschen zirka 150 Stück Spielwaren als Weihnachtsgeschenk in gar vielen Bastelstunden hergestellt. Da geht’s oft recht lustig zu. Autos, Puppenküchen, Bettchen, Wiegen, Hampelmänner, Schlachtschiffe, Flieger, und vor allem Puppen entstehen in Serienerzeugung.
Aus dem Umsiedlerlager Waxenberg
Aus dem Umsiedlerlager Waxenberg
9. Brief – Jänner Februar 19413
Für die Bessaraber, die auf ihrer Zwischenstation in Wagenberg das Weihnachtsfest im Lager feiern mussten, wurde alles getan, was in unseren Kräften stand. Die Schulkinder von Oberneukirchen haben in mühseliger Arbeit einen vollen Monat gebastelt, so dass mit Hilfe der NSV ein reicher Gabentisch gedeckt werden konnte.
10. Brief – März 19413
Liebe Soldaten- Für diesmal gibt es in unserem Ort fast keine Neuigkeiten. Trotzdem sich die Sonne nach Kräften bemüht, uns zu helfen, umgeben uns noch unwahrscheinlich große Schneemassen nur mit dem Unterschied, dass das blendende Weiß der Gegend einem unfreundlichen, schmutzigen Grau gewichen ist. Wir sind dabei, die Straße Oberneukirchen-Waxenberg-Traberg frei zu legen, und wenn auch noch Schneepflüge mit Raupen helfen, hoffen wir doch, den Frühling auch in unserem Land mit Gewalt auf die Beine zu bringen.
Eine besondere Belebung erfährt Oberneukirchen durch den ständigen Besuch aus dem Umsiedlerlager in Waxenberg, dessen 450 Einwohner sowohl der Gemeinde, als auch dem Standesamt ständig zu tun geben.
11. Brief – April 19413
Liebe Soldaten! Die Heimat grüßt Euch. Endlich ist der harte Winter, der heuer besonders grimmig sich zeigte, gewichen, und sonnige Tage lassen uns den Frühling ahnen. Noch verunzieren allerdings schmutzige, oft meterhohe Schneehaufen den lieben Markt, doch Straßen und Wege sind schneefrei. Ab 9. März verkehrt endlich das Helfenberger Auto wieder nach langer Winterpause.
Fleischhauer Dunzendorfer hat zum Leidwesen der „Sonntag=Bürgertag=Besucher“ das Gastgewerbe aufgeben. Das Gasthaus Kafka hat einen neuen Pächter aus Enns bekommen.
12. Brief – Mai Juni 19413
An Ortsneuigkeiten gibt es diesmal nicht viel zu berichten.
Am 1. Mai setzte die Jugend den üblichen Maibaum an der Stelle, wo früher das »Park-Bründel« stand; dieses und der Park sind verschwunden Letzterer harrt einer neuen, schöneren Wiederanlage.
Im Bessarabienlager in Waxenberg erweckte das „Eierlesen“ viel Heiterkeit
Für die Marienfelder sollte sich die Zeit des Lagerlebens in Waxenberg nach etwa eineinhalb Jahren dem Ende zuneigen. Nachdem sie ihre Einbürgerungsunterlagen erhielte und nun offiziell „Deutsche“ waren, wurde ihre Ansiedlung auf Bauernhöfe in Polen vorbereitet.
Marienfelder Senioren 1941, links mit der Knickerbockerhose Lagerleiter Führlinger, ganz rechts Andreas Schaal (1879-1966), 5. von rechts Andreas Kraft (1873-1967)2)
Herr H. Grieb, im Lager Waxenberg geboren, hat 2006 den Ort und Herrn Wimmer besucht und einiges aus Familienerzählungen berichtet, Herr Wimmer schreibt am Heimatbuch Waxenberg und betreut zudem das Online-Archiv Waxenberg. Wer zu Waxenberg noch weitere Informationen und Familienerinnerungen teilen kann, den bitte ich, sich an Herrn Wimmer zu wenden.
Im Jahre 1942 zogen neue Bewohner in das Lager ein.
14. Brief – September Oktober 19413
Eine Schar Holländer-Kinder, welche zu einem sechswöchigen Aufenthalt teils bei Eckerstorfer in Oberneukirchen, teils bei Rader in Waxenberg lagermäßig untergebracht waren, wurden dieser Tage vom Ortsgruppenleiter in ihre Heimat zurückgebracht.
19. Brief – Juli August 19423
Die Erdäpfel, Kraut und Rüben sind auch recht schön. Obst zeigt sich auch so halbwegs eins. Und die Froschau hat Menschenzustrom wie ein kleiner Wallfahrtsort, da es ja heuer mehr Kirsche dort gibt als in vergangenen Jahren. Nur bei manchem Haus werden die ,,Kerschenbrocker vermisst. Sie stehen als Soldaten im Osten.
Denkt Euch; die ersten Ukrainer Landarbeiter sind eingetroffen. Es sind lauter Ehepaare, die wir haben. Wie sie bei der Arbeit sind, kann ich Euch noch nicht sagen, da sie erst ein paar Tage hier sind.
Leihvertrag Kindergarten und Schulgebäude 1943 3)
25. Brief – Juli August 19433
…das Land zu gehen und die Haferfelder anzusehen. Trotz des Leutemangels ist die Heuernte eigentlich sehr rasch eingebracht worden. Es hat alles, ob klein-, groß, Jung und Alt, fleißig mitgeholfen. Die Frauen aus den Westgebieten haben zum Teil sehr stramm mitgeholfen und werden uns auch bei weiteren Ernten sicherlich gern mithelfen.
In unsere Ortsgruppe sind schon über 130 Volksgenossen aus Westdeutschland gekommen Obwohl sie sehr viel mitgemacht haben, haben sie eine stolze Haltung an den Tag gelegt Mancher kann sich da ein Beispiel nehmen.
26. Brief September/ Oktober 19433
Am 31. Juli fand im Umsiedlerlager in Warenberg eine Namensgebung statt. Außer der Sippe nahmen auch Vertreter der volksdeutschen Mittelstelle und Ehrengäste der Partei und Gemeinde teil. Der Obersturmbannführer.
Die Arbeit beim Güterwegbau in Oberneukirchen (Mitterfeld) geht unentwegt vorwärts
29. Brief – März April 19443
Liebe Soldaten! Die herzlichsten Grüße sendet Euch die Heimat. Der Winter hat zwar kalendermäßig sein Ende genommen, aber in Wirklichkeit denkt er noch an dein Gehen. Diese Schneemassen hat Oberneukirchen mehrere Jahrzehnte nicht gesehen. Seit drei Wochen verkehrt bei uns kein Auto (Die Post wird wieder wie zu Zeiten des alten Vrenner von ZwettI geholt).
Seit einigen Tagen können doch die Fuhrwerke wieder fahren. Zwettl ist seit Wochen der Umschlagplatz von Waren, Lebensmittel und Kohlen. Der Postkraftwagen wird kaum vor Mitte April verkehren können. Nun könnt Ihr Euch ein Bild von diesem Winterende machen. hoffen wir, dass ein gutes Jahr für die Feldfrüchte folgen wird, an Feuchtigkeit für die Wiesen und Felder fehlt es nicht, nur die liebe Sonne muss ums viele warme Tage bescheren, dann ist auch in diesem Jahr für Ernährung wieder gesorgt Die Arbeiten werden durch den Einsatz aller verfügbaren Arbeitskräfte geschafft werden.
32. Brief – September Oktober 19443
Die Gauwehrmannschaften hielten am Sonntag den 17. September auf der Schießstätte in Waxenberg ein Schießen ab.
Aber in diesem Jahre denkt nicht nur ihr Söhne unserer Heimat unser liebes Oberneukichen. Mit euch gehen die Gedanken vieler Kameraden aus den Städten der Ostmark und der des Altreichs, die ihre Frauen und Kinder zu uns in Sicherheit brachten. Mit Euch gehen jetzt auch die Herzen der Siebenbürger SS-Kameraden, deren Familien in Gedanken sich bei einem Muehlviertler Fichtenbäumchen kreuzen. Ihnen allen aber, die Haus und Hof verloren haben, wollen wir zeigen, dass sie nie heimatlos sein können, solange es ein Deutschland gibt. Unsere Herzen aber sind immer bei Euch. Ihr kämpft für uns, wir arbeiten für Euch, damit wir uns am Ende den Sieg des Vaterlandes verdienen.
33. Brief – November Dezember 19443
Der Volkssturm unserer Ortsgruppe zählt 256 Mann, welche in den Wintermonaten ihre militärische Ausbildung erhalten. Am Montag den 13. November kam hier der erste Treck Siebenbürger Deutschen mit Pferd und Wagen an und wurden vorläufig in die Auffanglagern bei Eckerstorfer und in zwei Klassen der Volksschule gegeben. Diese Woche werden sie in die Quartiere eingeführt. Es sind durchwegs Bauern, große stattliche Menschen heute, Sonntag-, konnten sich die Frauen in ihrer malerischen Tracht sehen lassen. Die meisten Männer müssen in nächster Zeit zur SS einrücken.
2 Foto (p. 111) aus: Marienfeld, Kreis Bender – Bessarabien 1910-1940 Zusammengestellt von Artur Schaible, Kreisamtsrat a. D. Herausgeber: Christian Fiess, Vorsitzender des Heimatmuseums der Deutschen aus Bessarabien e. V., 1990
3 von mir nachbearbeitete Dokumententexte und Zeitungsartikel mit freundlicher Überlassung durch Herrn Friedrich Wimmer, Waxenberg. Autor von „Waxenberg hat Geschichte – hat Kultur“, Waxenberg 2008, 104 S. (Gem. Oberneukirchen)
General view of Flossenbürg concentration camp after liberation by the US Army 99th Infantry Division, April 1945. US Army photo. (public domain)
Das KZ Flossenbürg befand sich von 1938 bis zum 23. April 1945 nahe der Grenze zum damaligen Sudetenland, etwa auf halber Strecke zwischen Nürnberg und Prag. Das Stammlager gehörte zur Gemeinde Flossenbürg im Oberpfälzer Wald und besaß knapp 90 KZ-Außenlager. Heute befindet sich auf einem Teil des ehemaligen Lagergeländes eine Gedenkstätte.
Dieses Lager diente in erster Linie als Arbeitslager für Zwangsarbeiter, wobei die wirtschaftlichen Interessen an der Zwangsarbeit der Gefangenen im Vordergrund stand. Daher arbeiteten Gefangene nicht nur in den Steinbrüchen der Umgebung, sondern auch in der Produktion für das Jagdflugzeug Messerschmitt Bf 109. Die Bedingungen für die Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiter, jüdischen und politischen Gefangenen unterschieden sich jedoch nicht von anderen Lagern. In Steinbrüchen wurde 12 Stunden täglich abgebaut, in der Produktion im Drei-Schicht-System gearbeitet, unmenschliche Arbeitsbedingungen, Nahrungs- und Kleidungsmangel, Drangsalierungen, Misshandlungen und willkürliche Tötungen waren an der Tagesordnung.
Nach der Befreiung am 3. April 1945 durch die US-Armee1 wurde das Lager von Juni – Juli 1945 bis März 1946 als amerikanisches Kriegsgefangenenlager für SS-Angehörige genutzt.2,3,4
Von April 1946 bis Oktober 1947wurde durch die UNRRA für über 2.000 sogenannte polnische Displaced Persons (DP) das Lager nachgenutzt.2,3
Ab 1948 brachte man aus Böhmen und Schlesien geflüchtete und vertriebene Deutsche unter, ehe sie anderweitig unterkamen.3,5 Anschließend verschwanden die ehemaligen Lagerbaracken und andere Lagereinrichtungen.
Malkotscher in „Beugehaft“
Im „Sudetengau“ wurden ca. 25.000 Umsiedler in Lagern untergebracht, Schlackenwerth an der Eger nahm Dobrudschadeutsche auf. Da sich 88 Männer und 12 Frauen aus Malkotsch nicht einbürgern lassen, sondern in die Heimat zurückkehren wollten, wurden sie in das Konzentrationslager Flossenbürg gebracht, die Frauen schaffte man zeitgleich in das KZ Ravensbrück. Vom 2. Juli bis 17. Oktober 1942 wurden sie dort „behandelt“, am 18. Oktober erhielten sie eine „2. Chance“ und waren nun „bereitwillig“ zur Einbürgerung.
In der Tabelle finden sich die von mir bereits in den Archiven gefundenen Personen:
2 Jörg Skriebeleit: Flossenbürg-Hauptlager. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Flossenbürg. Das Konzentrationslager Flossenbürg und seine Außenlager. C. H. Beck, München 2007, S. 53 f.
3 Zeitleiste nach 1945. Begegnungsraum Geschichte auf der Website der Universität Passau, (PDF).
4 KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Stiftung Bayerische Gedenkstätten (Hrsg.): Was bleibt, Nachwirkungen des Konzentrationslagers Flossenbürg; Katalog zur ständigen Ausstellung. Wallstein Verlag, 2011, S. 54 (222 S.).
5 Peter Heigl: Konzentrationslager Flossenbürg. In Geschichte und Gegenwart. Mittelbayerische Druck-und-Verlags-Gesellschaft, Regensburg 1994, S. 81.
wikipedia, Foto wikipedia
https://memorial-archives.international
Arolsen Archives
Europa, Registrierung von Ausländern und deutschen Verfolgern, 1939-1947
Da auf dieser Briefmarke 1 der Bürgermeister von Kischinew gewürdigt werden sollte und es mich neugierig machte, wer er war, stellt sich mir inzwischen die Frage, ob es nicht zu einer Verwechslung der Personen auf der Marke kam.
Zunächst jedoch – wer war Karl Schmidt?
Geboren wurde er als Carl Ferdinand Alexander Schmidt am 25. Juni 1846 in Belz (Bel’tsy). Sein Vater war Dr. med. Alexander Christoph von Schmidt (26.8.1805 Riga-7.11.1886 Kischinew) – Arzt I. Klasse, Operateur der Bessarabischen Medicinal-Verwaltung, Hofrat, Stabsarzt und Sohn des Maurermeisters Carl Friedrich Schmidt aus Riga2. Seine Mutter war Teresia Iosifowna Tysskaja, Tochter eines polnischen Arztes.
Das Familienbuch von Kischinew gibt zudem noch eine Bruder Woldemar (Wladimir Iosif) an, der um 1845 geboren wurde und 1870 ertrunken sein soll.
Schmidt´s Vater hatte 1825-1829 in Dorpat studiert und wurde auf Grund seiner späteren Leistungen am 21.9. 1883 in den Adelsstand erhoben.
Carl Ferdinand Alexander Schmidt, Untersuchungsrichter – Kollegiums – Sekretär, ehelichte am 31.12.1874 in Kischinew Maria Iwanowna Kristi, Tochter des Gutsbesitzers Johann Kristi und der Alexandra geb. Nielielow aus Telesheu.
Aus dieser Ehe gingen die Kinder Alexander (1874-1954), Vladimir (1878-1938), Maria (*1880) und Tatiana (1881-1945) hervor.
Nachdem der Kischinewer Bürgermeister und Schwager Schmidt´s, Cliementie Sumanschi, überraschend bei einer Brandkatastrophe ums Leben kam, wurde Karl Schmidt im selben Jahr zum Bürgermeister gewählt und blieb es bis 1903. Sein Einfluss auf die Entwicklung und Ausgestaltung der Stadt durch Förderung einer regen Bautätigkeit ist noch heute unübersehbar.
Zu seine größten Projekten gehörte die öffentliche Wasserversorgung und Kanalisation. Als erstes öffentliches Verkehrsmittel wurde eine Pferdebahn eingerichtet, die an einen privaten Unternehmer vergeben wurde. Die Straßen wurden gepflastert und für die Pflege der öffentlichen Parks wurde Franz Kühn als Stadtgärtner eingestellt.
Альбома Городских Голов Российской Империи. 1903 г.3
Alexander Bernadazzi
Zusammen mit seinem Freund Alexander Bernadazzi und dem Stadtarchitekten Leopold Scheidewandt wurde eine Bauordnung erlassen, sie regelte die Hausgröße im Verhältnis zur Straßenbreite, den Abstand der Bauten, die Größe der Höfe, die Tiefe der Kellergeschosse, die zu verwendenen Baustoffe und mehr.
Schmidt war stetig unterwegs und überprüfte persönlich jedes neue Gebäude, das sich im Bau befand. Allein 1886 wurden 61 Neubauten geplant.
Natürlich wurde nicht alles, was angedacht wurde, auch umgesetzt. Die Duma umfasste damals wohlhabende Leute, vor allem Geschäftsleute. Sie hatten ihre eigenen Interessen. Stimmberechtigt waren nur diejenigen, deren Haus mehr als 1000 Rubel kostete. Bürgermeister Schmidt hatte zu diesem Zeitpunkt kein Eigentum, daher stimmte er durch einen Bevollmächtigten ab und wies auf das Eigentum seines Vaters hin. Dessen Haus befand sich in der Mitropolit Varlaam, 84 (colţ str. M. Eminescu).
Zu den heute noch vorhandenen Gebäuden gehört der Wasserturm, einst als Zwillingsturm angelegt, wurde einer im zwanzigsten Jahrhundert gesprengt.
Quelle: oldchisinau.com
Bereits 1877 wurde das neue Rathaus errichtet, das neue Wappen von Chisinau 1878 genehmigt. Es entstanden zwischen 1877 und 1881 Häuser für Behinderte, eine Kirche (1880), die Handwerksschule, die Alexander-Realschule (1881), eine Kapelle zu Ehren der bulgarischen Miliz (1881-1882), ein Kinderkrankenhaus (1884) und das Denkmal für Puschkin (1885). Die Stadtduma genehmigte dafür 1000 Rubel. Es entstanden eine Schule und Straßenbeleuchtung (1886), das Museum für Geschichte der Region und die Pferdebahn, es erfolgte der Wechsel der Turmuhr auf dem Triumphbogen (1889). Die Obstbauschule – spätere Weinbauschule – erbaut (1890), die Kirche des St. Panteleimon (1891) und die Uhr auf dem Narthex der Chuflin Kirche, am Eingang zum Rathaus und Mariä Himmelfahrt, sowie der erste Teil der Stadtwasserversorgung (1892). Eine Wasserversorgungsstation (1893) und die Psychiatrische Klinik (1893-1895). Man sorgte für Zeichenkurse der Studenten und gründete den Musikverein „Harmonia“, erbaute die Städtische Kunstschule (1894), sowie die Kapelle des Gymnasiums und die Kapelle der griechischen Gesellschaft (1895). Eine Handelsschule wurde durch Schmid 1899 gegründet.
Bis 1903 entstand so eine repräsentative Provinzmetropole mit zahlreichen prachtvollen Bauten, obwohl in der Stadtkasse ständiger Geldmangel herrschte. Als Vorsitzender der Stadtbank versuchte Schmidt sogar, die Schuldenlast abzubauen, indem er nach dem Vorbild von Warschau die Neuregelung der Immobiliensteuer und die Besteuerung von auf Straßenland abgestellten Baustoffen regelte.
Besondere Aufmerksamkeit widmete Schmidt dem Gesundheitswesen, der Armenhilfe und der Volksbildung. Das 1891 eröffnete Krankenhaus für Infektionskrankheiten führte Behandlung kostenlos durch und ließ Arzneimittel an Arme gratis ausgegeben. Auf eigene Kosten baute er u.a. ein Haus für die Armenspeisung.
Auch an der kulturellen Entwicklung der Stadt nahm Karl Schmidt regen Anteil. Eine besondere Vorliebe hegte er für die Musik, sein Traum war die Eröffnung eines Operntheaters wie in Odessa.
1901 wurde Schmidt zum letzten Mal zum Stadtoberhaupt gewählt. Jedoch mehrten sich die Stimmen, das sein Alter bereits bedenklich war.
Pawel Alexandrowitsch Kruschewan (1860-1909)
1897 wurde in der Stadt die russische Tageszeitung Бессарабец (Bessarabetz – der Bessarabier) durch den Journalisten Kruschewan gegründet. Sie hetzte offen mit antisemitische Schlagzeilen und propagierte, welche „Blutsauger, Parasiten, Ausbeuter und Betrüger“ die christliche Einwohnerschaft unter sich hätte. Unmerklich änderte sich die Stimmung in der Stadt. Dazu sollte man wissen, der Anteil der Juden in Chișinău (ca. 110.000 Einwohner) betrug im Jahr 1903 etwa 46%.
Dann begann die „Ritualmord“ Hetze.
Der christliche Junge Mikhail Rybachenko wurde etwa 40 Kilometer nördlich von Kischinew in Dubăsari in einem Brunnen tot aufgefunden. Die Zeitung Бессарабец verbreitete das Gerücht, der Junge wäre zu einem rituellen Zweck getötet worden und anschließend hätte man seine Leiche in den Brunnen geworfen. Sie forderte „Tod allen Juden!“ und „Kreuzzug gegen die verhasste Rasse!“. Das tatsächlich ein Christ diesen Mord begangen hatte, nahm niemand mehr wahr. Auch die durch die Regierung veranlasste Berichtigung in der Бессарабец änderte an der inzwischen aufgeheizten Stimmung nichts mehr.
Kurz darauf verstarb ein christliches Mädchen, welches Dienstmädchen bei einem jüdischen Kaufmann war. Der Kaufmann hatte nachts ihr schmerzvolles Stöhnen gehört und ließ sie, den Ernst der Lage erkennend, umgehende in das am nächsten liegende Krankenhaus bringen. Sie verstarb jedoch in dem jüdischen Krankenhaus, hatte den Ärzten jedoch zuvor erklärt, das ihr Dienstherr unschuldig sei, sie Gift genommen hätte, da sie sich umbringen wollte.Trotzdem machte die Mär vom „Ritual vor Ostern“ die Runde.
Der Staatsrabbiner begab sich zum russisch-orthodoxe Bischof von Kischinew, jedoch war dieser inzwischen von Zweifeln behaftet. Auch der Vize-Gouverneur Ustrugow, Zensor, Projektor und Mitarbeiter des Бессарабец, angeklagt und vom Senat der üblen Hetze für schuldig bekfunden, machte weiter wie bisher: „Für Juden gibt es kein Gesetz, man kann mit ihn tun was man will.“
Zwei Wochen vor Ostern traf man sich im Hotel „Rossia“, der „Wohltätigkeitsverein“, bestehend aus der Intelligenz und Beamtenschaft hatte Gelder gesammelt. Diese wurden nun für den Kauf von Waffen und den Druck von Flugblättern verwendet: „Auf Grund eines Ukas des Zaren ist es den Christen während der drei heiligen Ostertage erlaubt, mit den Juden ein blutiges Gericht („Krowawaja rasprawa“) zu halten“ oder „Gottes Strafe gegen die Bilderfrevler !“, man fand als Unterzeichner „Moskau, im Hause des Klosters zum heil. Macarius, Grosse Lubianka – Strasse. Gedruckt durch das Beichtkomitee des Heiligen Synods zu Petersburg, am 4. Februar 1903. Der Zensor: Alexander Jeremonach.“
Der Kischinewer Polizeimeister äußerte, in einigen Tagen werde man gegen die Juden losgehen. Einige Tage vor Ostern kam der Polizeikommissar Dobrosselski in die Zigarettenhandlung des Juden Bendersky und nahm 5 Rubel aus der Kasse. Der Jude sah verwundert diesem seltsamen Akt zu, da sagte der Kommissar : „So wie so werden wir zu Ostern alle Juden abschlachten“
In der Schenke „Moskwa“ war das Zentral-Agitationslokal. Ein Diener dieser Schenke, der Tausende Zettel verteilte, hatte später erzählt, dass er in einem Brief mit dem Tode bedroht worden sei, wenn er die Zettel nicht verteile.
Bedenken der jüdischen Bewohner wurden zerstreut, man hätte Vorkehrungen getroffen, sie sollen ruhig bleiben, während der Feiertage zu Hause bleiben, die Läden schließen und keinen Streit anfangen.
Die Nacht von Samstag (18. April 1903) auf Sonntag war finster und regnerisch. An jeder Ecke der äußeren Stadtstraßen stand ein Polizist. Sie sollten Fremde nicht in größerer Anzahl in die Stadt lassen, sie ließen natürlich scharenweise Fremde, vor allem Bauern, in die Stadt.
Am Sonntag Morgen dachte sich niemand etwas, man ging ganz normal in die Synagoge. Mittags überfiel plötzlich, ohne jeden Anlass, eine Gruppe Jugendlicher die ersten Juden. Sie liefen danach davon und begannen, die Fensterscheiben von Häusern und Läden einzuschlagen. Weil die Polizei sie nur verscheuchte und niemanden verhaftete, nahm man die Polizei nicht ernst.
Es war etwa 3 Uhr nachmittags, als plötzlich auf dem Platze Nowyi – Bazar ein Haufen von Männern in rote Hemden (Festkleidung der Arbeiter) erschien. Die Leute brüllten wie Besessene: „Tod den Juden ! Schlaget die Juden !“
Von der Schenke „Moskwa“ aus teilte sich dieser Mob von einigen Hundert in 24 Abteilungen zu etwa 10 bis 15 Mann. Nun begannen in 24 Teilen der Stadt systematische Plünderungen der jüdischen Häuser und Läden. Steine wurden in solcher Menge und mit solcher Wucht in die Häuser geworfen, dass man alles zertrümmerte. Türen und Fenster wurden heraus gerissen, alle Einrichtungen zerstört. Damen der „besten Gesellschaft“ nahmen Kleidungsstücke, zogen sich an Ort und Stelle seidene Mäntel an oder wickelten sich in kostbare Stoffe. Selbst die Polizei plünderte das Schuhwarenmagazin in der Gostinaja -Straße und stahl alle Stiefel.
Die Wut der Plünderer steigerte sich bis zur Raserei. Christlichen „Judenfreunden“ zerstörte man ebenfalls einzelne Häuser. Ironischer Weise wurde der Redaktion des Бессарабец und der Verwaltungskanzlei des Gouvernements ebenfalls einige Scheiben eingeschlagen.
Um 5 Uhr nachmittags gab es den ersten Mord an einem Juden. Man stürzte sich auf eine Pferdebahn, in der sich ein Jude befand, und rief: „Werft uns den Juden heraus !“ Der Jude wurde aus der Bahn geworfen und man gab ihm von allen Seiten so furchtbare Schläge auf den Kopf, dass der Schädel zerbrach und das Gehirn aus floss. Da die Polizei tatenlos zusah, riefen sie „Erschlaget die Juden!“. Gab es Versuche der Juden, sich zu wehren, wurden sie von der Polizei gehindert oder verhaftet.
Bis 10 Uhr nachts machten die Plünderer und Schläger in der Innenstadt weiter, es folgten in dieser Zeit sieben weitere Morde. Gegen 11 Uhr nachts waren in den Außenbezirken der Stadt noch einzelne Plünderungen zu vernehmen.
Unter der Leitung der Notare Pissarschewsky, Semigradow, Sinodino, Bolinsky, Popow und des Untersuchungsrichters Dawidowitsch wurde danach bis 3 Uhr nachts die Metzelei, die an den Juden vorgenommen werden sollte, geplant. Alle jüdischen Häuser wurden mit weißer Kreide markiert.
Mit Äxten, eisernen Stangen und Keulen bewaffnet, begannen die Schläger am Montag, den 20. April, von 3 Uhr nachts bis 8 Uhr abends zu plündern, rauben, zerstören, jüdisches Eigentum zu stehlen, zu brandschatzen, vernichten, die jüdische Bevölkerung zu jagen, zu erschlagen, zu schänden und martern.
Alle Schichten der Bevölkerung waren dabei, auch Frauen, die in Banden von 10-20 Personen, aber auch 80-100, über ihre Opfer herfielen.
Männer wurden niedergeschlagen, schwer verwundet oder getötet. Frauen wurden vor den Augen der Männer und Kinder der Reihe nach von den Mördern vergewaltigt. Kindern wurden Arme und Beine ausgerissen oder gebrochen, einzelne wurden aus unteren Stockwerken in die oberen geschleppt und hinab geworfen. Manchmal ergriff man ein Kind und schlug es mit dem Kopf an die Wand, dass das Gehirn austrat.
Vierzig Juden liefen zum Gouverneur, das er doch etwas unternehmen soll, doch dieser erklärte, er hätte noch keine Befehle aus St. Petersburg hätte. Zugleich untersagte er der Telegrafenstation, private Telegramme aufzunehmen, die womöglich nach St. Petersburg gelangen könnten. Danach ließ er die Schutzsuchenden von seinem Hof jagen, wo sie unter seinen Fenstern auf der Straße erschlagen wurden.
Damit es keine Christen traf, gab die Polizei den Schlägern Anweisungen, welche Häuser die jüdischen waren.
Männern und Frauen schlitzte man den Bauch auf, riss die Eingeweide heraus und stopfte Federn hinein. Man sprang und tanzte auf den Leichen, brüllte und berauschte sich an Getränken, Männer und Frauen der sogenannten „besten Gesellschaft“, Beamte und Polizisten sahen lachend zu oder machten mit. Schwangere Frauen wurden mit Stöcken auf den Bauch geschlagen, bis sie an Verblutung starben. Einer schwangeren Frau schnitt man den Bauch auf, nahm das ungeborene Kind heraus und zertrat es mit den Füßen. Frauen wurden, nachdem sie vergewaltigt wurden, die Brüste abgeschnitten, kleine Mädchen wurden vergewaltigt, bis sie unter der Bestialität der Verrohten starben. Ein kleines neunjähriges Mädchen wurde nach der Vergewaltigung in zwei Teile gerissen. In einem Hause wurde die Mutter der Reihe nach von allen Banditen in Anwesenheit ihrer zwei kleinen Töchter vergewaltigt, worauf die Kinder angesichts der Mutter vergewaltigt wurden. Dann wurden sie in ein Schlachthaus getrieben, dort durch Beilhiebe getötet und dann aufgehängt.
Die Liste der Grausamkeiten war unendlich länger und lässt sich hier nicht aufzählen.
Chaja Sarah Panaschi, David Chariton, Jechiel Selzer, Benzion Galanter, Meyer Weissmann, Hirsch Lys, N. Uschemirsky, Hirsch Bolgar, einige wenige Opfer sind noch immer namentlich bekannt.
Wer glaubte, sich durch das Aufstellen eines christlichen Heiligenbildes im Fenster retten zu können, wurde denunziert, angebunden, Hände, Arme und Füße mit großen Nägeln durchbohrt, danach ermordet.
Unter all dieser Gewalt gab es trotz allem einige Christen, die sich menschlich verhielten. Ein Priester, dessen Sohn unter dem Mob war, dann Herr Nasarow, ein Mitarbeiter der Zeitung „Nowosti“, der beinahe selbst erschlagen worden wäre, Ingenieur Kusch, der Obmann eines Feuerwehrvereins, der mittels Feuerspritze ein paar Straßen säuberte. Der Arzt Doroschewsky, der Polizeikommissar des dritten Rayons, der in dem ihm unterstellten Bezirk alle jüdischen Häuser vor den Banditen geschützt hatte. Hauptmann Michajlow, welcher mit seiner Kompanie aus Bendery nach Kischinew eilte, von seinem Oberkommandanten dafür eine Rüge wegen Disziplinarverstoßes bekam, dann jedoch durch Intervention des Oberkommandierenden des Odessaer Militärbezirkes Mussin-Puschkin in St. Petersburg eine Auszeichnung erhielt.
Aber auch der Bürgermeister von Kischinew, Alexander Schmidt, der Gouverneur und Vize-Gouverneur vergeblich aufforderte, etwas zu unternehmen, sowie der Adelsmarschall des Gouvernements Krupensky, durch dessen Hilfe von Bendery aus Montag früh der jüdische Doktor Mutschnik nach Petersburg die Geschehnisse telegrafieren konnte und der sein Haus als Lazarett für die verwundeten Juden zur Verfügung stellte.
Die „Times“ druckte am 7. April 1903 einen Brief ab:
Ministerium des Innern. Ministerialkanzlei. N 341, den 25. März 1903. Absolut geheim.
Dem Gouverneur von Bessarabien. Es ist zu meiner Kenntnis gelangt, dass in dem Ihnen anvertrauten Gebiete Unruhen gegen die Juden vorbereitet werden, die ja hauptsächlich die einheimische Bevölkerung ausbeuten. Angesichts der allgemeinen Unruhe der städtischen Bevölkerung und angesichts dessen, dass es unerwünscht wäre, durch allzustrenge Massregeln gegen die Regierung gerichtete Gefühle in die noch nicht von der revolutionären Propaganda berührte Bevölkerung hineinzutragen, wird Ihre Exzellenz die sofortige Unterdrückung der vielleicht ausbrechenden Unruhen nicht durch Waffengewalt, sondern durch Ueberredungsmittel zu erreichen suchen. Gezeichnet : Plehwe.
Vyacheslav Konstantinovich von Plehve (1846 – 1904)
Es wurde bewiesen, dass, so oft Plehwe im Ministerium war, Exzesse gegen die Juden, stattfanden, bei denen Plehwe die Hand im Spiel hatte. Kruschewan bekam von ihm für den Бессарабец 25.000 Rubel als Subvention. Durch Plehwe erhielt Kruschewan die sonst in Russland sehr schwer erhältliche Erlaubnis zur Gründung des Blattes „Znamja“ in Odessa. Als Kruschewan nochmals eine Subvention verlangte und Finanzminister Witte erklärte, diesen Posten nicht bewilligen zu können, verschaffte Plehwe ihm bei einer der Regierung unterstellten Bank einen hohen Kredit gegen dessen Solowechsel.
Endlich, Montag um 5 Uhr nachmittags, kam die Antwort des Ministers Plehwe, gegen 6 Uhr abends rückte dann Militär aus, die staatliche Gewalt wurde dem Militärkommandanten übergeben, die Lage in der Stadt beruhigte sich. Anrückende Plünderer des Umlandes wurden am Eindringen in die Stadt gehindert und nach Hause geschickt.
Die Bilanz dieser beiden Ostertage:
An Ort und Stelle wurden 47 Menschen getötet, 437 verwundet, davon 92 schwer. Von diesen schwer verletzten erlagen viele ihren Verwundungen, unter den leichter verletzten erlitten viele lebenslängliche Verkrüppelungen. Es gab über 100 Waisen, 8.000 Familien, das waren rund 25.000 Menschen, wurden an den Bettelstab gebracht. Die Opfer des überwiegenden Teil der aller ärmsten Schichten der Bevölkerung beklagten zudem rund 10.000 Obdachlose. Der jüdische Mittelstand wurde weniger hart getroffen, fast unberührt blieben die reichen Juden.
Dazu kamen über 700 zerstörte Gebäude und etwa 600 geplünderte Geschäfte mit einem Schaden von umgerechnet 8.000.000 Mark (1903).
Im Ganzen verstarb unter Nichtjuden ein Zigeuner eines natürlichen Todes und ein junger Mann, der zum Ende der Exzesse während einer Rauferei erstochen wurde.
Es gab im Anschluss etwa 800 Verhaftungen, man ließ 150 am nächsten Tag aus „Mangel an Beweisen“ frei. Polizeimeister Chanschenkow verkündete: „Wer die bei den Juden geraubten Sachen und Waren während der nächsten zwei Tage zurückerstattet, wird nicht bestraft werden.“
Mit der Untersuchung wurde unter anderen der an den Ausschreitungen beteiligte Richter Davidowitsch betraut.
Am Tage nach den Exzessen erfolgte die erste „Großtat“ des Gouverneurs von Raaben. Er bewilligte gnädigst, dass dem eben organisierten Hilfskomitee der Damen vom Roten Kreuz 5000 Rubel zur Verfügung gestellt werden. Das Geld entnahm er der Koscherfleischtaxe, die von den Juden zur Deckung der laufenden jüdischen Bedürfnisse gezahlt wurde und ließ es auch für die Familien der verhafteten Exzedenten verwenden.
Der Militärkommandant von Kischinew, dem die jüdische Bevölkerung danken wollte, erklärte:
„Ich habe nur meine Pflicht getan. Ihr Juden aber sollt wissen, dass der Exzess, unter dem ihr jetzt gelitten habt, von Euch herrührt. Davon, dass Ihr die Bevölkerung jahrelang ausgebeutet habt, Schon jetzt nach dem Exzesse habt Ihr alle Preise der Waren in die Höhe getrieben.“
Diese Lüge fand bald ihren Weg in alle antisemitischen Blätter.
Der militärische Oberkommandierende des Odessaer Bezirkes, Graf Mussin – Puschkin schilderte die Geschehnisse in Kischinew als „die Taten von Wilden in den fernsten Teilen Afrikas“.
Gouverneur von Raaben wurde daraufhin seine Amtes enthoben und dem Ministerium des Inneren (Plehwe) zugeteilt.
Der bisherige Vice-Gouverneur Ustrugow, ein Antisemit und verstrickt in die Vorgänge, wurde makaberer Weise zum neuen Gouverneur ernannt.
Gnetschin und Marosjeik, zwei der Rädelsführer, wurden zu fünf bzw. sieben Jahren Zuchthaus verurteilt, 22 Angeklagte erhielten Strafen von ein bis zwei Jahren, zwölf Angeklagte wurden frei gesprochen. 50 Schadensersatzklagen wurden abgewiesen.4
Bustul lui Carol Schmidt din fața Filarmonicii Naționale „Serghei Lunchevici“
Nach dem Juden-Pogrom am 19. April 1903, trat Carl Schmidt von seinem Amt zurück, entsetzt, zu welchen Ausschreitungen die Bürger seiner Stadt fähig waren.
Als Schmidt am 9. April 1928 starb, folgte man seinem Wunsch, kein großes Ehrenmal zu errichten und stellte nur ein einfaches Holzkreuz auf sein Grab.
Der lutherische Friedhof wurde in den 1950er Jahren eingeebnet, dort steht heute das Kino „Gaudeamus“, jedoch wurde ihm ein Denkmal errichtet.
Soweit zu Karl Schmitd, dem Bürgermeister von Kischinew.
Und nun zurück zur Eingangsfrage – wer ist auf der Briefmarke ? Der Architekt Carl Emil Michael Schmidt ?
Carl Schmidt (1866-1945) im Jahre 1897
Am 21. Dezember 1866 wurde in St. Petersburg der Architekt Carl Emil Michael Schmidt geboren. Sein Vater, der Schiffsingenieur Karl Friedrich Adolf Ferdinand Schmidt (4.1.1834 Anklam – 27.3.1919 Stralsund) und seine Mutter Olga geb. Wenig (27.1.1844 – 18.11.1911 St. Petersburg) heirateten in St. Petersburg am 5.6.1864.
Carl Schmidt studierte an der St. Petersburger Akademie der Künste. Seine Villen und Häuser im Backsteinstil schmücken die Straßen von St. Petersburg.
Einige Beispiele:
Sterbeurkunde Nr. 236/1945
1897/98. Villa von V. Tiss. Sjezzhinskaya ul, 3 1897/99. Alexandra Asyl für Frauen. Bolshoy Prospekt V. O., 49-51 1899/1900. Gebäude der Firma Faberge. Bolshaya Morskaya ul., 24 1900/01. Villa und das Büro von Paul Forostovski. 4 liniya V. O., 9 1900/04. Eigene Villa in Pawlowsk. 2-ya Krasnoflotskaya ul., 7 1901/02. Mehrfamilienhaus. Chersonskaya ul., 13 1907. Neubau einer Mädchenschule von Emilie Schaffe. 5-ya liniya O. V., 16
Verehelicht war Carl Schmidt mit Erika Sophie Leon. Johannsen (1.2.1875 Tver – 16.6.1953 Potsdam) seit dem 9.11.1897 in Tver. Im Herbst 1918 musste die Familie Schmidt Russland verlassen und nach Deutschland zurückkehren.
Hier starb er am 8. August 1945 in Groß Ottersleben bei Magdeburg.
Entscheiden Sie selbst – wer ist auf der Briefmarke? Karl Schmidt, der Bürgermeister oder Carl Schmidt, der Architekt?
2 Album der Landsleute der Fraternitas Rigensis 1823-1887; Riga 1888; Ernst Plates Buchdruckerei, Lithographie und Schriftgiesserei bei der Petri-Kirche, im eigenen Hause. S. 17
Fotos Kischinew aus: Berthold Feiwel: Die Judenmassacres in Kischinew von Told. Mit einem Weiheblatt von E. M. Lilien und Illustrationen. Juedischer Verlag Berlin SW. 47; 1903
E. Vogt, B. M. Kirikov. Architekt Karl Schmidt: Leben und Werk. St. Petersburg, 2011.
Voigt E., Heidebrecht H. Carl Schmidt. Ein Architekt in St. Petersburg. 1866—1945. Augsburg, 2007.
alle weiteren unbezeichneten Fotos: Wikipedia, public domain
Wer, wie wir, mit Indianerfilmen und Western aufgewachsen ist, wird sich gut an ihn und die Geschichte der Lakota erinnern, die Schlacht am Little Bighorn 1876 und sein Ende 1890, als man ihn, den Stammeshäuptling und Medizinmann der Hunkpapa–Lakota–Sioux, im Reservat umgebracht hat.
Sitting Bull / photographed & published by Palmquist & Jurgens, St. Paul, Minn. 1884
Sitting Bull hatte insgesamt 5 Frauen und zahlreiche Nachkommen. Aus der Verbindung mit Four Robes entstand unter anderem der Sohn Louis who hides under the snow, genannt „Custer Scout“ Little Soldier. Dieser hatte mit Sweet Gras Woman 1887 den Sohn Clarence Little Soldier. Dessen Tochter Lillian „White Corn“ heiratete 1929 Rev. Reinhold Klaudt.
Hier entsteht die bessarabische Verbindung, denn sein Vater Gottlieb Klaudt wurde 1870 in Paris, Bessarabien, geboren. Er emigrierte, wie bereits einige seiner Klaudt-Verwandtschaft, nach Amerika.
Gottlieb´s Großvater Matthias Klaudt kam ursprünglich als Kolonist aus Polen nach Paris, gemeinsam mit unserer Familie Kühn, und ehelichte Susanna, eine Schwester unseres Vorfahren Gottlieb Kühn. So verbinden sich die bessarabischen Kolonisten mit den Hunkpapa-Lakota-Sioux.
Teilstück unserer Familienlinien
Wer sind nun die Klaudt-Nachkommen? Gelistet habe ich in obiger Übersicht nur Vernon:
Lillian Little Soldier Klaudt (1906–2001), war ihr gesamtes Leben Mitglied der Church of God (Cleveland, TN) und Mitglied der Doraville Church of God.
Sie und ihr Ehemann, Rev. Reinhold Klaudt (1908–2001), gründeten eine Familie, die sich der Verbreitung des Evangeliums durch Gospel-Musik widmete.
Sie traten mit ihren Kindern Vernon, Ramona, Melvin, Raymond und Kenneth in typischer Stammeskleidung auf und spielten eine Vielzahl von Instrumenten. Sie waren eine der beliebtesten Gruppen der Wally Fowler All Night Singings. Die Popularität der Gruppe setzte sich in den 1960er Jahren fort, als sie sowohl in der Bob Poole Show, als auch in anderen Gospel Music Programmen, zu sehen waren. Den letzten Auftritt hatte Lillian im Alter von 90 Jahren bei der Grand Ole Gospel Reunion, gemeinsam mit ihrer Familie.
Am 24. November 2007 wurde die Klaudt-Indianerfamilie in die Atlanta Country Music Hall of Fame und Lillian Little Soldier Klaudt in das Southern Gospel Museum und die Hall of Fame aufgenommen.
Am 24. August 2008 erhielt die Klaudt-Indianerfamilie den Lifetime Achievement Award der Atlanta Society of Entertainer.
Klaudt Indian Family in the Shady Green Pastures, Blessed Assurance, youtube, hochgeladen von herecalico
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