Es gab Zeiten auf dem Planeten Phaeton, da gab es dort nur Schmetterlinge, ihren König und Königin, einen Prinzen und eine Prinzessin – eine ganze Kolonie von Schmetterlingen mit verschiedenem Status. Der König hieß Machaon und die Königin Santurija und sie regierten ihr Schmetterlingskönigsreich nach den Gesetzen der Güte und Gerechtigkeit.
Den ganzen Frühling und den Sommer über lebten sie in der freien Natur. Im Winter siedelten sie ins Schloss um, das wie ein großer Kokon aussah. Es war so eingerichtet, dass es den Schmetterlingen für die kalte Jahreszeit die freie Natur ersetzen konnte, geschmückt aber nicht mit echten Blättern und Blumen, sondern mit Mosaiken aus Edelsteinen mit den schönsten und lustigsten Szenen aus dem Leben der Schmetterlinge und Festen, die sie gerne feierten.
Die lasurblauen Decken waren dem Himmel ähnlich und die Schmetterlinge zeigten gerne einander ihre Kunst des Fliegens. Wenn die Nacht den Tag ablöste, funkelten die Diamanten wie Sterne und der Bernsteinmond strahlte ruhig das tagsüber getankte Sonnenlicht.
Alle Bewohner des Schlosses gingen friedlich mit einander um und jeder hatte seine Pflichten. Das weise Königspaar passte auf, dass die Allgemeinregeln eingehalten wurden und es allen gut ging. Jeder machte das, was er am besten konnte.
Die Schmetterlinge, die den leckersten Blumenstaub fanden, sammelten ihn und legten Vorräte für den Winter an. Die Seidenweberinnen stellten wunderschöne Stoffe her. Dann kamen die Malerinnen, die sehr gut die Blumen malen konnten, die im Schloss wuchsen.
Im Sommer flogen sie weit weg und suchten die schönsten Gräser und Blumen für ihre Bildermotive heraus. Im Schlossgarten gab es so viele besondere Pflanzen, Beeren und Obstbäume, dass niemand all ihre Bezeichnungen sich merken konnte. Sie wurden im Winter nachgemacht aus verschiedenen Stückchen Stoffen. Jedes hatte seine Geschichte und wurde aus verschiedenen Teilen des Planeten ins Schloss gebracht.
So etwas gibt es, dass innerhalb von etwas Großem auch etwas Kleines lebt. Eins wohnt im anderen so, wie wir auf der Planeten und das Planet im Weltall, und unsere Gedanken sind grenzenlos.
Im Schlossgarten gab es eine besondere Blume, die Morgenröte hieß, weil sie immer mit den ersten Sonnenstrahlen wach wurde und nur am frühen Morgen aufblühte. Wer länger schlief, der bekam seine purpurrote Farbe und das süße Aroma gar nicht mit. Das war sehr stark und für die Schmetterlinge so etwas, wie für uns der Morgenkaffee oder der Geruch von frischem Gebäck für Leckermäulchen.
Die Glockenblume begann eine sehr schöne Melodie zu spielen. Die hohen Noten waren für die Schmetterlinge das Signal: Der Morgen ist wieder da. Wenn die Sonne ganz hoch am Himmel stand und seine Sonnenstrahlen die hohe Schlosskuppel erreichten, verkündeten die Glockenblumen „Ding-dong, ding-dong“ und die Schmetterlinge wussten, dass es Mittagszeit ist. Genau so versammelten sie sich auch zum Abendessen und zum Abendspaziergang. Sie brauchten nicht hektisch auf die Uhr zu schauen und Angst haben, etwas zu verpassen.
So lebten sie alle zusammen in voller Harmonie und Zufriedenheit. Keiner konnte ahnen, dass eines Tages sich alles plötzlich verändern würde. Aber in der Welt, über die wir glauben alles zu wissen, kann trotzdem etwas Unverhofftes passieren.
Der Planet Phaeton war sehr klein im Vergleich zum großen Universum. Was wissen wir über das Weltall? Wahrscheinlich viel zu wenig, um zu ahnen, was alles in der Zukunft passieren könnte, bevor es tatsächlich geschieht.
Also beschloss der Sonnengott, der viel mehr weiß über die Planeten und das Universum, die großen und kleinen Planeten anders aneinander zu reihen. Er beobachtete lange den großen blauen Planet, der Erde hieß, und genau so schön war wie der kleine Planet der Schmetterlinge.
Er dachte, dass in der Nähe von der Erde und dank deren Wärme, es den Schmetterlingen viel besser gehen würde und sie sich nicht im Winter in ihrem Kokonschloss zu verstecken brauchten.
Er machte aber einen Fehler, wie ihn jeder macht, der sich in lang bewährte Lebensabläufe einmischt.
Der näher von ihm zur Erde gerückte Planet Phaeton erreichte nicht ihre Atmosphäre und zerbrach in kleine Stücke, die durch das Weltall in verschiedene Richtungen flogen. Und nur ein größeres Stück, auf dem das kokonartige Schloss sich befand, stürzte auf die Erde. Wahrscheinlich hatte man es nicht einmal auf der Erde bemerkt, aber es war kein Stern, sondern eine ganze Schmetterlingskolonie, die auf einer der schönsten Insel der Erde landete, auf Rhodos.
Die Königsfamilie der Schmetterlinge blieb unversehrt. Sie lebten sich langsam ein und bevölkerten immer neue Landstriche der Erde. Die Nachricht über die Schönheit der Schmetterlinge verbreitete sich unter vielen Völkern. Alle schwärmten davon, das Schmetterlingskönigspaar irgendwann einmal zu sehen, dessen Schönheit schwer zu überbieten war. Zu dieser Zeit lebten die Völker in Ländern, die auch von Königen regiert wurden und ihre eigene Sitten und Bräuche hatten.
Jeder Staat bewachte und schützte sein Territorium. Doch die Menschen träumten schon immer von etwas, was ihnen fehlte.
In einem Königreich in den Alpen regierten König Karl und Königin Karoline. An einem warmen Sommertag kam ihre Tochter auf die Welt. Als die Prinzessin die Augen öffnete und sich umschaute, sah sie als erstes Schmetterlinge, die ganz nah über ihren Kopf flatterten. Das Königspaar nannte ihre kleine schöne Tochter Alina. Dieser Name klang wie Musik.
Das Mädchen liebte die Musik, malte gern, aber am liebsten sammelte sie Schmetterlinge.
„Sie sind so wunderschön“, sagte sie: „Ich will in meiner Sammlung alle Schmetterlinge der Welt dabei haben.“ Und ihre Kollektion wurde tatsächlich mit jedem Jahr größer, nur fehlten ihr noch das Schmetterlingskönigspaar Machaon und Santurija.
„Ach wie glücklich wäre ich, wenn ich diese beiden Schmetterlinge auch noch hätte“, schwärmte sie.
Sie war die einzige Tochter von König Karl und Königin Karoline, die versuchten jeden ihrer Wünsche zu erfüllen.
Das Königspaar verbreitete einen Erlass, nach dem jeder Bewohner des Alpenkönigsreiches für die schönsten von ihm gefangenen Schmetterlinge eine Belohnung bekommen könnte. Den größten Preis sollte derjenige bekommen, der den Schmetterlingskönig und die Schmetterlingskönigin in den Königspalast bringt. Alle wussten, dass es fast unmöglich war. Dann versprach Alina, den Mann zu heiraten, der dies schafften würde.
Ach, es war eine sehr schwierige Aufgabe! Die ganze Schmetterlingskolonie beschützte den Machaon und die Santurija. Bei kleinster Gefahr verschwanden der König und die Königin der Schmetterlinge zwischen Gräser und Blumen.
Die Verkünder des Erlasses machten ihn auf dem Marktplatz bekannt, wie es in solchen Fällen üblich war: Nur ein Tauber hatte ihn nicht gehört. Alle Untertanen waren verwundert darüber und machten sich sogar über diese Kunde lustig.
„Was für eine launige Prinzessin wir doch haben“, sagte sie.
Und nur die alte Bettlerin Matilda und ihr Sohn Albert, die jeden Tag auf diesem Platz bettelten, wunderten sich über nichts. Es gibt Menschen, die nur daran denken, wie sie den heutigen Tag überleben können, dann den nächsten, ohne sich große Gedanken zu machen und nur hoffen, dass irgendwann etwas Gutes von selbst passieren wird.
Aber wenn dann etwas geschieht, dann gibt es eine Kettenreaktion, wobei viel anderes sich auch verändern wird, als man es sich vorher vorgestellt hatte.
Mittlerweile herrschte große Hektik am Stand des Verkäufers, der mit Schmetterlingsnetzen handelte. Im Nu waren sie alle verkauft, weil einige sich sogar zwei davon kauften.
Als die Menge sich langsam auflöste, sah Albert direkt vor seinen Füßen ein Schmetterlingsnetz liegen.
„Als ob das Schicksal selbst es für mich hier fallen ließ“, dachte Albert und machte sich auf den Weg zu der Alm und war dort schneller als die anderen auf der Suche nach Schmetterlingen. Er kannte sich gut aus in den Wäldern und Wiesen, weil er mehr Zeit in der Natur verbrachte als in seiner armen Hütte.
Bald kam er zu einer Stelle, wo er oft viele fröhlich flatternde Schmetterlinge und Motten gesehen hatte, und sah sich um. Er beobachtete die Umgebung stundenlang. Es war nicht schwierig für einen Menschen, der so viel Zeit auf dem Marktplatz verbracht hatte. Albert verfolgte die Schmetterlingsspiele und dachte, dass jede von ihnen die Königin sein konnte.
Als diese tatsächlich auftauchte, war er sofort sicher, dass es sie ist. Die wunderschöne Königin Saturnija leuchtete in vielen schillernden Farbnuancen, welche nur die Natur zu verschenken hatte. Sie landete so graziös auf der größten und schönsten Blume, als ob sie ein natürliches Recht auf das Beste hätte.
Natürlich konnte es nur die Königin sein! Albert kroch vorsichtig näher, damit sein Schatten nicht auf ihre Blume fiel und die Schöne nicht aufschreckte. Eine Handbewegung und sie landete im Schmetterlingsnetz! Was für ein Glück! Jetzt könnte er von einer unbeschwerten Zukunft träumen. Jetzt wird alles gut! Da hörte er plötzlich eine leise zarte Stimme: „Lass mich bitte los!“
Erst dachte Albert, dass er sich verhört hätte. Er löste vorsichtig die Schmetterlingskönigin aus dem Schmetterlingsnetz heraus und bedeckte sie mit den Händen.
„Lass mich los! Ich werde dir ein Zauberamulett geben, dass dich reich und glücklich machen wird.“
Er öffnete die Hände, um sie besser zu sehen. Sie flatterte nach oben und verschwand in der Luft. Auf Alberts Handfläche lag ein Anhänger in Form eines Schmetterlings, bestückt mit glitzernden Steinen. Nie hatte er ein so schönes Schmuckstück in den Händen gehalten und war stumm vor Begeisterung. Er hörte immer noch diese helle Stimme, die wie eine kleine Glocke klang: „Es ist kein einfacher Anhänger, er wirkt Wunder. Er wird dich vor jeder Gefahr beschützen: Wenn du dich verirrst, berühre leicht die Flügelchen und sofort kommen die Schmetterlinge aus meiner Leibgarde und zeigen dir den Weg. Doch es ist nicht das Wichtigste…“
Die Stimme klang wie ein Echo: „Der Zauberanhänger gehört dir allein! Bewahr ihn gut auf und trage ihn immer bei dir. Im Schicksalsbuch der Könige steht, dass du uns vor dem bösen Spinnenzauberer Karakurt aus dem Spinnenreich retten wirst.“
„Wie erfahre ich, dass euch Gefahr droht?“ rief Albert laut und hörte dieselbe Stimme weit abseits: „Wenn die Smaragde in den Augen des Talisman-Schmetterlings matt werden. Dann sag nur: „Zeig mir, wohin ich gehen soll und beschütze mich unterwegs“.
Wenn du wirklich bereit sein solltest uns zu helfen, wird der Zauberanhänger dich zu unserem Schloss führen. Es ist weit weg von hier, dort, wo es keine Menschen gibt.“
Als die Stimme verstummte, dachte Albert, ob er nicht vielleicht alles nur geträumt hätte…! Aber in seiner Hand lag der Anhänger, der in allen Regenbogenfarben glitzerte. Er überlegte noch kurz, warum ausgerechnet ihm die Ehre und Verantwortung übertragen wurde und wie die Schmetterlingskönigin hier auf die Alm gelang.
Es war die Vorsehung. Nach einiger Zeit ging Albert wieder mit dem Schmetterlingsnetz in die Berge, um Schmetterlinge für die Prinzessin Alina zu fangen. Er brachte ihr die schönsten Schmetterlinge, die es in der Gegend gab, und sie wurde auf ihn aufmerksam. Auf ihren Befehl hin wurde er in den Königsgarten gebracht und die Prinzessin begann ihn neugierig über Schmetterlinge und sein Geschick beim Fangen auszufragen:
„Wieso hast du bis jetzt für mich nicht die Schmetterlingskönigen gefangen?“ fragte Alina. Albert erzählte ihr die ungewöhnliche Geschichte vom Zauberanhänger, den er unter dem Hemd auf der Brust trug.
Alina schaute sich ihn lange an und sagte: „Du hast ein Schmuckstück, dass der Schmetterlingskönigin ähnlich ist, aber ich will sie lebendig für meine Sammlung!“
Albert antwortete der überheblichen Prinzessin: “Ich denke, man muss das, was man liebt, beschützen und nicht in einen Goldkäfig einsperren“.
Als Antwort auf seine Worte hörte er plötzlich einen Donner aus am klaren Himmel, der sich rasch verdunkelte. Die Augen des Schmetterlings auf dem Anhänger, den die Prinzessin immer noch in der Hand hielt, wurden matt.
„Die Kolonie der Schmetterlinge ist in Gefahr! Nur ich kann sie retten!“ rief Albert aufgeregt.
„Du musst mich mitnehmen!“ erwiderte die Prinzessin bestimmend, aber dann bat sie etwas weicher: „Ich kann doch wenigstens das Schloss der Schmetterlingskönigin und sie selbst einmal sehen?“
Albert willigte ein. Sie ließen die königlichen Pferde satteln und alles Notwendige wurde schnell eingepackt. Als sie aus dem Schloss heraus waren, stieg Albert vom Pferd, legte seinen Zauberanhänger auf die Erde und flüsterte: „Zeig mir, wohin ich gehen soll und beschütze mich unterwegs“, und sofort sah er einen Weg, der wie ein blaues Band in die Ferne führte. Er war von einem leichten Nebel umhüllt und sah so luftig und durchsichtig wie Flügel der Schmetterlinge aus.
Der böse Zauberer aus dem Spinnenreich hatte mittlerweile schon begonnen, das Königsschloss der Schmetterlinge mit seinem Spinnennetz zu umgarnen. Als Albert und Alina näher kamen, merkte er es sofort.
Karakurta unterbrach seine schwarze Tat und schickte den Rettern der Schmetterlinge eine ganze Wolke von Spinnen entgegen. Der Anhänger schützte sie aber und bildete um die Reiter eine kokonartige Schutzzone. Albert und Alina konnten eine ganze Spinnenarmee sehen, die sie auf Spinnenfäden umringte. Der Schutzkokon aber bewegte sich sehr schnell kreisartig zum Schmetterlingsschloss und war schon ganz in seiner Nähe. Plötzlich tauchte vor ihnen ein Meer auf. Der böse Zauber von Karakurt versperrte ihnen den Weg.
„Beschütz uns, Anhänger, auf dem Wasser und auf der Erde!“ rief Albert und eine Welle trug sie zum Ufer der Insel Rhodos in Griechenland. Die beiden sahen, dass die ganze Insel schon mit Spinnengewebe umwoben war. Albert und Alina begannen es mit Messern durchzuschneiden. Das gefiel Karakurt nicht, er verließ das Schmetterlingsschloss und eilte ihnen entgegen. Als er das Glitzern des Zauberanhängers bemerkte, war er geblendet von seiner Schönheit, den Albert in die Mitte des großen Kokons gelegt hatte. Der Zauberer merkte nicht, dass Albert vorsichtig ein paar Schritte nach hinten gemacht und den Kokon verlassen hatte. Karakurta starrte auf den Anhänger, der immer heller leuchtete.
Der Spinnenzauberer kroch in die Mitte des Kokons. Sein Licht verwandelte sich in Feuer, die Funken sprühten wie Motten, der Kokon drehte sich wie in einem Tanz im Kreis und ging zusammen mit Karakurt in Flamen auf. Er flog weit nach oben und zog das ganze Spinnennetz mit sich, das auch Feuer fing und sofort verbrannte, wenn die Funken sie berührten.
Unten blieben nur die zwei Retter und der Anhang, der etwas mit Asche bestaubt war.
Das Schloss war bald frei vom Spinngewebe und die Prinzessin und Albert konnten es endlich in seiner ganzen Pracht sehen. Die Bewohner versammelten sich um sie herum und bedankten sich bei ihren Rettern.
„Das war doch der Zauberanhänger, der euch geholfen hat“, sagte der entzückte Albert. „Ich habe doch nur…“
„Du hattest den Mut, dich auf den unbekannten Weg zu begeben, um uns zu helfen und hast dabei keine Minute gezögert. Der Anhänger hat nur deinen Wunsch den Notleidenden zu helfen erfüllt und jetzt wirst du reich belohnt. Du kannst dir so viele Edelsteine mitnehmen, wie du willst.“
Die Schmetterlinge beschenkten ihre Retter reichlich. Albert und Alina hatten sich ineinander verliebt und eine reiche Mitgift zur Hochzeit erworben. Alina hörte auf, Schmetterlinge zu sammeln. Sie hatte begriffen, dass die Schönheit nur in der Natur selbst schön bleibt, in Gefangenschaft stirbt sie oder verliert ihre Farbenpracht. Die Blumen sollen die Sonne genießen, die Schmetterlinge von einer Blüte zur anderen in schönen Gärten flattern, und der Mensch soll ein Zuhause haben, in dem er sich gut und geborgen fühlt.
Das Märchen ist zu Ende, aber der Leser und der Hörer können sich das alles noch einmal ruhig durch den Kopf gehen lassen.
Autor: Alexander Weiz
Titelbild: Jutta Rzadkowski
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