Cherson

Ausschnitt aus: Paul Langhans, Nr. 7. Deutsche Kolonisation im Osten. II. Auf Slavischem Boden.; Justus Perthes Gotha, 1897

Bis 1774 gehörte die Region zum Khanat der Krim und war lange Zeit Durchzugsgebiet der Ansiedler der Chortitza. Im Jahre 1778 wurde auf Weisung der russischen Zarin Katharina II. und auf Vorschlag des Fürsten Grigori A. Potjomkin neben der 1737–1739 erbauten russischen Befestigungsanlage Alexanderschanze die Stadt Cherson gegründet.

Zunächst entstand eine Festungsanlage, umgeben von einem großen Wall, innen das Admiralitätshaus. Hier wurden Kriegsschiffe gebaut, welche zur Betakelung mit Kamelen etwa 30 Werst2 entfernt in einen Hafen gebracht werden, da der Dnjepr teilweise nicht tief genug für diese Schiffe war. Am Ufer des Dnjeprs, zu beiden Seiten der Festung, lagen die zivile und die militärische Vorstadt auf insgesamt etwa 6 Werst Länge. Die Baumaterialien wurden von sehr weit herangeschafft, da das Material in der Steppe nicht vorhanden war. Die Anlage der Straßen, Plätze und Gebäude erfolgte in Form eines regelmäßigen Schachbretts. Cherson war jahrelang ein wichtiger Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte.

Steppe im Cherson1

Der Chersonsche Kreis hatte eine Fläche von ~668.240 Dessatinen3, es gab kaum Ackerbau, die wenigen Bewohner lebten in kleinen Hütten in Flußnähe, die Flüsschen Dalnik, Klein-Akerscha, Groß-Akerscha und Baraboi durchflossen den Kreis von Nord nach Süd, und bauten mangels Holz aus Rohr, welches sie auch zum Heizen nutzten. In der waldlosen Ebene der Steppe fanden sich auch Bewohner, die ihre Wohnungen in die Kurgane (Hügel) bauten, da ihnen nicht einmal Rohr zur Verfügung stand. Das Gebiet bot sich daher förmlich an für die geplante Kolonisation.

Porträt des Armand Emmanuel Sophie Septimanie du Plessis, duc de Richelieu4

Durch Ukas des Zaren Alexander I. vom 17. Oktober 1803 wurde Herzog Richelieu beauftragt, in der Umgegend von Odessa Land anzukaufen, um darauf deutsche Kolonien anzulegen. Er erwarb von den Gutsbesitzern Graf Potoski und General Kishinski 17.935 Dessatinen Land, vom Edelmann Kujashewitsch 8.000 Dessatinen, von Majaki, Gaililei und Belajewka 8.000 Dessatinen und erhielt Kronsland, sodass die geplanten Großliebentaler Kolonien auf insgesamt 34.212 Dessatinen anlegt werden konnten.

Als erste Kolonie wurde Großliebental zu beiden Seiten des Flüsschens Groß-Akerscha gegründet, die Ansiedler waren meist Württemberger, der Bau der Kolonien erstreckte sich teilweise über Jahre. Es entstanden die Grossliebentaler Kolonien:

  • Großliebental, evangelisch (1803-1804)
  • Alexanderhilf, evangelisch (1805) am Flüsschen Baraboi, überwiegend Siedler aus Württemberg und Ungarn
  • Peterstal, evangelisch (1805) am Flüsschen Baraboi, überwiegend Württemberger
  • Lustdorf, evangelisch (1805)
  • Neuburg, evangelisch (1805), überwiegend Siedler aus Württemberg
  • Freundental, evangelisch (1806) am Flüsschen Baraboi
  • Güldendorf, evangelisch (1817)
  • Neu-Freudental, evangelisch (1828)
  • Helenental (Tochterkolonie), evangelisch (1838)
  • Klein-Liebental, katholisch, (1804) am Flüsschen Klein-Akerscha, Siedler zumeist aus dem Elsass und der bayerischen Pfalz
  • Josefstal, katholisch, gegr. (1804-1810)
  • Mariental, katholisch (1804-1809)
  • Franzfeld, katholisch (1805-1809)

Die ausserordentlich schwierigen Bedingungen in der Steppe und die vielen in der Landwirtschaft unerfahrenen Siedler forderten in den ersten Jahren einen hohen Tribut, so starben von 65 Familien, die in Neuburg siedelten, 36 Familien, die Siedler für Alexanderhilf, die zur Überwinterung im Lager Owidopol lagen, beklagten 1804 binnen weniger Wochen 366 Tote, 1805-1806 starb die Kolonie fast aus und wurde erst in den Jahren 1807-1817 und 1825 mit Neusiedlern wieder belebt.

Richelieu wurde 1803 Statthalter von Odessa, von hier aus unterstützte er die in Odessa angekommenen deutschen Auswanderer, brachte sie im ersten Winter in Kasernen unter und sorgte für Landkäufe, um sie anzusiedeln. Im Jahre 1805 wurde er Generalstatthalter von Cherson, Jekaterinoslaw und der Krim, zu dieser Zeit Neurussland genannt. Richelieu kommandierte im türkischen Krieg von 1806/1807 eine Division und war häufig mit Expeditionen in den Kaukasus beschäftigt. In den elf Jahren seiner Verwaltung entwickelte sich Odessa zu einer wichtigen Stadt.

Großliebental schaffte ebenfalls den Aufschwung seiner Kolonie und wurde aus der Umgegend zu seinem alljährlichen Maibasar besucht. So entwickelte sich die Kolonie zum zentralen Ort der Region mit Zentralschule, Mädchenschule, Krankenhaus, Waisenhaus, Waisenkasse, Konsumverein und dem Sitz des Wolostgerichts.


Ein weiteres Siedlungsgebiet der Kolonisten im Cherson waren die Glückstaler Kolonien:

  • Bergdorf, evangelisch (1808-1809), Ansiedler waren ursprünglich bereits 1803 nach Grigoriopol ausgewanderter Württemberger, Pfälzer, Elsässer und eine Familie aus Ungarn
  • Glückstal, evangelisch (1809), überwiegend Württemberger Familien, einige Pfälzer, Sachsen, Hessen und Preussen sowie ehemalige Ungarnauswanderer, dazu Siedler, die bereits nach Polen ausgewandert waren, ehe sie 1814 nach Südrussland weiter wanderten, teilweise 1815 weiter nach Bessarabien.  Mit den Auswanderern in den Kaukasus, die hier Winterlager bezogen, zogen 1818 einige Familien ebenfalls ab in den Kaukasus.
  • Neudorf, evangelisch (1809), Kolonisten aus Württemberg, Baden, der Pfalz, dem Elsass, und ehemaligen Kolonisten aus Polen, die ab 1814 einwanderten, sowie ehemaligen Kolonisten aus Ungarn
  • Kassel, evangelisch (1810), Siedler aus Württemberg, Baden, der Pfalz, dem Elsass und ehemaligen Kolonisten aus Polen, die ab 1814 einwanderte
  • Hoffnungstal, evangelisch (1819), gegründet durch Württemberger
  • Grigoriopol, evangelisch (1803-1809), in diesem ursprünglich armenischen Ort kamen viele Einwanderer aus Württemberg an, dazu ehemalige Kolonisten aus Polen und Ungarn, um sich später in umliegenden Kolonien niederzulassen

Weitere im Jahre 1808 eingewanderte ~500 Familien wurden durch die russische Verwaltung auf Siedlungsland am Fluss Beresan angesiedelt und gründeten folgende Beresaner Kolonien:

  • Rohrbach, evangelisch (1809), Kolonisten aus Württemberg, Bayern, dem Elsass und ehemaligen Kolonisten aus Polen, 1818 zogen 10 Familien nach Kaukasien
  • Worms, evangelisch, (1809), überwiegend Kolonisten aus dem Elsass, Bayern, Württemberg, der Pfalz
  • Waterloo, evangelisch (1819), Kolonisten aus Württemberg, Bayern, der Pfalz und ehemaligen Kolonisten aus Polen. Wegen Wassermangel aufgegeben. Die Siedler gründeten Güldendorf bei Odessa (1830).
  • Johannestal, evangelisch (1820), zumeist Ansiedler aus Württemberg, Bayern und ehemaligen Kolonisten aus Polen
  • Waterloo, evangelisch, (1833) 20 Familien verbliebene Familien gründeten mit 14 weiteren Familien Waterloo erneut
  • München, katholisch (1809), Kolonisten aus Bayern, der Pfalz und dem Elsass
  • Speyer, katholisch (1809), Gründer waren aus Bayern, der Pfalz, den Elsass
  • Sulz, katholisch (1809), zumeist aus der Pfalz, Bayern und dem Elsass
  • Landau, katholisch (1809-1810), überwiegend aus der Pfalz, Bayern und dem Elsass
  • Rastatt, katholisch (1809-1810), überwiegend Kolonisten aus der Pfalz, Bayern und dem Elsass
  • Karlsruhe, katholisch (1817), Kolonisten aus Bayern, der Pfalz und dem Elsass
  • Katharinental, katholisch (1817), überwiegend aus Bayern, der Pfalz, Württemberg und Baden und ehemaligen Kolonisten aus Polen

Die russische Regierung hatte 1808 bereits die Einwandererquote auf 200 Familien im Jahr gesenkt, um alle Neuansiedler sachgerecht versorgen zu können. Für weitere Kolonisten besorgte der russische Generalgouverneur Herzog von Richelieu daher Land am Kutschurganer Liman.

Im Kolonistenbezirk Kutschurgan entstanden am gleichnamigen Fluss:

  • Baden, katholisch, (1808), Kolonisten aus Bayern, der Pfalz und dem Elsass
  • Elsass, katholisch, (1808), überwiegend Bayern, Pfälzer, Elsässer
  • Kandel, katholisch, (1808), überwiegend Bayern, Pfälzer, Elsässer
  • Mannheim, katholisch, (1808), neben Elsässern, Bayern und Pfälzern siedelten ehemalige Kolonisten aus Polen, die dort abzogen
  • Selz, katholisch, (1808), die meisten Siedler kamen aus dme Elsass und der Pfalz, einige aus Bayern und Preussen
  • Strassburg, katholisch, (1808), gegründet von Elsässern und preußischen Kolonisten, die aus Polen abzogen

1 wikimedia, Ausschnitt aus Ukraine, Kherson, island district – panoramio, Fotograf Alx R, 15.8.2009, CC BY 3.0
2 1 Werst = 1,0668 Kilometer
3 Dessätine (Deßjätina, Dessatine), russisches Flächenmaß = 2400 Quadratfaschen = 1,0925 ha
4 Etienne Frederic LignonNational Portrait Gallery: NPG D15923 Gemeinfrei

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