leb wohl Süddeutschland


Ja, die Württemberger sind ein ganz besonderes Völkchen, „reiselustig“ zogen sie um die ganze Welt. Der Knute ihrer Herrschaft entfliehend zogen die Einen gen Osten bzw. nach Amerika – oder beides, die Anderen blieben hier, und am Ende trafen sich die Familien wieder und heirateten munter einander, als wären sie nie getrennt gewesen. So finden sich in unserem gemeinsamen „Baum“ natürlich auch gemeinsame Namen und Orte, als wären sie nicht aus Ost und West aufeinander zugekommen, am Ende einer zuletzt ungewollten „Völkerwanderung“.

Die Welt ist ein Dorf. Oder, um es mit den Worten meines Vaters auszudrücken: „Wir sind die Fußlahmen der Völkerwanderung“

Dieses bekannte Hotel in Herrenalp gründeten Familienmitglieder, verkauften es später.

Dieses Haus gehört Familienmitgliedern in Bernbach.


Wie eng den Württembergern ihre Heimat war, zeigt sich in einer kleinen Statistik1:

Jahr ausgewanderte Personen
1812 – 1822 24.108
1822 – 1832 22.997
1832 – 1843 21.660
1842 – 1852 54.285
1852 – 1855 14.279 davon 1853 14.282 und 1854 21.320 !
1855 – 1858 14.048
1858 – 1861 11.382
1852 – 1861 66.709
1812 – 1861 189.759 gesamt

Ab 1857 versuchte man genauer zu sein, so erfasste man die Zielorte detaillierter, 70% der Personen gaben als Ziel Amerika an, man schätzte deshalb den Verlust an Männern im „besten“ Alter auf etwa 120.000, welche in den vergangenen Jahrzehnten Amerika als Arbeitskräfte zuflossen.

Einerseits begriff man, das die Missstände im Land die Ursache waren, andererseits waren 1850 bis 1854 im Land Hungertyphus und Seuchen so stark verbreitet, das der Bevölkerungsabfluss den positiven Nebeneffekt hatte, das Überleben der zurück gebliebenen zu sichern.

Um zu verstehen, was unsere Vorfahren bewegte, muss man ein wenig zurück gehen in der Geschichte:

Der 30jährige Krieg brachte den Württembergern Elend und Leid. Nach Niederlagen 1622 wurden die nördlichen Landesteile verwüstet. Danach durchzogen Truppen Wallensteins das Land, es folgten Schweden, Knittlingen wurde eingeäschert. 1634 fielen bei Nördlingen 4.000 Württemberger. Schweden, Sachsen, Spanier, Franzosen, Österreicher und Bayern brachten bei ihrem Durchzug Verwüstung, Hungersnot und Seuchen. Die Zahl der einwohnenden Familien sank von 69.000 auf 18.000 Familien, allein in Stuttgart starben 4379 Einwohner (1639), ganze Orte wurden wüst. Ab 1642 hatten die Schweden sich das Ziel gesetzt, dem Hause Württemberg nicht einen Bauernhof zurück zu lassen und erst der Friedensschluss vom 14.10.1648 rettete die letzten Bewohner. Weder die zurückkehrenden Flüchtlinge, noch die Soldaten, welche blieben, konnten den Schaden, den dieser Landstrich genommen hatte, wieder gut machen. Noch 6 Jahre später fehlten 50.000 Familien, standen 36.000 private Häuser leer, lagen 270.000 Morgen Acker und 40.000 Morgen Weinberge brach. Der finanzielle Schaden belief sich auf 118 2/3 Mill. fl. Seit 1673 mit Frankreich im Krieg, betrugen die Schäden der durchziehenden Truppen binnen 4 Jahren 1 Mill. Gulden. Der Friedensschluss von 1678 währte nur kurz, ein auf 20 Jahre dauernder Waffenstillstand (1684) war 1687 bereit das Papier nicht mehr wert, auf welchem er nieder geschrieben war, und man befand sich wieder im Krieg. Man hatte zwar begonnen, den Bevölkerungsschwund ab 1686 über Waldenser und Hugenotten zu kompensieren, aber die folgenden Zeiten ließen die Bevölkerung wieder ausbluten.

Die Waldenser siedelten vornehmlich ab 1699 im Maulbronner Amt und gründeten dort u.a. den Ort Neuhengstett. Sie gehen auf Petrus Valdes zurück, welcher als reicher Tuchhändler in Lyon lebte. Um 1170 begann er zu predigen und Anhänger um sich zu sammeln. Die Bewegung war geprägt von der Rückbesinnung auf das Evangelium, der Bergpredigt, von Volkssprachlichkeit und Laienpredigt. 1184 verdammte das Konzil von Verona die Waldenser, was das Laterankonzil 1215 ausdrücklich bestätigte, danach galten die Waldenser als Ketzer, die blutig verfolgt, verbrannt und in weiten Landstrichen ausgerottet wurden.


Mit der Ansiedlung in Württemberg treten die Zahn 2/3 in Althengstett und Calw auf, welche sich als Waldenser dort ansiedelten. Obwohl ich die direkte Familienline bisher nicht nachweisen konnte, lassen die Namen der Auswandererfamilien nach Bessarabien, welche untereinander heirateten und die Familien, welche im Schwarzwald bereits untereinander heirateten – sowie deren Auswanderer, nur einen Schluss zu, hier ist die richtige Region gefunden. Zudem gehörte unser bessarabischer Familienteil zu einem großen Teil der separatistischen Glaubensgemeinschaft an, welche ihren Ursprung bei den waldensischen und hugenottischen Auswanderern hat.


Doch zurück zu den Ereignissen jener Jahre:

1688, französische Heere verwüsten große Teile Badens und Württembergs, 1692 wüten sie in den Städten des Nordschwarzwald, danach werden Reichstruppen im Land einquartiert. 1693 zerstören die Franzosen einen Großteil Württembergs und brennen neben Marbach, Beilstein, Großbottwar, Backnang, Winnenden und Vaihingen insgesamt 40 Orte nieder. Ab 1697 entschloss man sich, ein stehendes Heer aufzubauen, da bisher die Pflicht, bewaffnet zu sein, galt, und jeder Mann bis zum 60. Lebensjahr dienstpflichtig war.

Nach kurzer Ruhepause fallen bayerische Truppen 1702 in Württemberg ein, 1707 erneut die Franzosen. Die Verluste von 1702 bis 1709 beliefen sich auf 15,5 Mill. Gulden. Um die Lasten der Einquartierungen zu senken, begann man 1719 Kasernen zu bauen.

Kaum kehrte ein wenig Normalität in den Alltag zurück, sammelte man 1733 bei Esslingen ein Heer für den polnischen Erbfolgekrieg, die Franzosen rückten über den Rhein vor und in Mergentheim, Heilbronn und Esslingen standen die Russen. Acht Jahre später wird Südwestdeutschland Durchmarschgebiet für Reichstruppen und Franzosen (von 1741 – 1748). Man hatte sich davon nicht erholt, stand man im Siebenjährigen Krieg (1756 – 1763), wieder war man Durchmarschgebiet, nun für die Österreicher, Württemberg stelltet für die Franzosen Truppen.

Aber nicht nur das Kriegsgeschehen, sondern vor allem ein kostspieliger Lebensstil des Hofes, führten zu Monatssteuern, Vermögenssteuern, Tabak- und Salzmonopol, Lotto u.v.m. Die Teuerungen der Jahre 1770/71 waren enorm, die Lasten für die Bevölkerung untragbar. Mit Steuern, Zöllen, Stempelgeldern und dergleichen mehr kannten sie sich bereits aus, da man seit dem 30jährigen Krieg bereits immer neue Lasten entwickelte, die dem einfachen Mann zu Teil wurden.

Nach Kriegsende kam für die Weber der Calwer Region ein harter Einbruch, ihre Produkte waren nicht mehr so gefragt und die maschinell gewebten Tuche aus England konnten billig eingeführt werden. Als dann die Aufrufe aus Preußen kamen, um Kolonisten zu werben, setzte 1781/82 ein reger Auswanderungsstrom ein, welcher erst um 1803 versiegte.

1786 wurden 3200 Soldaten an Holland „verkauft“, 1796 und 1799 fallen die Franzosen erneut ein.

Der Frieden wurde 1796 hart erkauft, 8 Mill. Franken, z. T. in Naturalien, mussten erbracht werden, dazu wurden Teile des Landes abgetreten. Die Einquartierungen und Forderungen der Österreicher 1796/97 kosteten 18 Mill. Gulden. Die Brandschatzungen des Franzoseneinfalls 1800 kosteten die Württemberger 6 Mill. Franken. 1805 mussten 8.000 Württemberger ins napoleonische Heer, da nun Allianzpartner. Im Dezember des selben Jahres wurde Württemberg souveränes Königreich.

1806 mussten 12.000 Mann in den preußischen Krieg, ab 1.6.1807 herrschte Auswanderungsverbot, 1809 befand man sich im österreichischen Krieg. Die Ernten der Jahre 1809/10 waren schlecht. Der Krieg zwischen Frankreich und Russland 1812 zwang Württemberg 18.000 Mann zu stellen, nur wenige hundert kehrten zurück. 1813 standen 12.000 Mann, gegen Napoleon, da man nun im Bündnis mit Russland, Österreich und Preußen war, die Ernten von 1812 – 1815 waren wieder schlecht, 1815 abermals 20.000 Mann im Krieg, am 1.4.1815 wurde das Auswanderungsverbot wieder aufgehoben, 1816/17 folgte eine Hungersnot, nach totaler Missernte durch Kälte und Nässe – erst nach 1819 kehrte eine ruhigere Zeit ein, nach beinahe 200 Jahren!

Nicht unwesentlich in diesem Zusammenhang ist die Bedeutung der Religionsfreiheit, da trotz der Reformation die Macht der katholischen Klöster noch lange Zeit ungebrochen war, man an Hexerei selbst in gebildeten Schichten glaubte und bis zum Ende des 17. Jhds. noch Hexenprozesse führte. 1655 berief man gar „Kometenprediger“, erst 1806 bekamen die drei christlichen Konfessionen gleiche Rechte, den Calvinisten waren die vollen Bürgerrechte lange Zeit versagt . Auch Sekten zählte man bis 1861 einige: Deutschkatholiken, Baptisten, Methodisten und Irvingianer, die Zahl der Anhänger des jüdischen Glaubens sank schon damals erheblich, da diese überwiegend auswanderten.

Ein weitere Punkt ist besonders für Bauernsöhne die Tatsache gewesen, das die wenigsten vor dem 28. – 30. Lebensjahr selbständig wirtschaften- und damit heiraten konnten, die Art des Vererbens von Grund und Boden nahm vielen ebenfalls die Hoffnung, jemals von der kleinen Fläche, welche sie bewirtschaften konnten, leben zu können. Aber selbst dann, wenn man diese Sorge nicht hatte, sorgte der dauernde Militärdienst und die Steuerlasten für Ungewissheit, wie schön hörten sich da die Zusicherungen von Steuerfreijahren, Glaubens- und Militärfreiheit sowie Landbesitz an.

Wer will diesem gebeutelten Volk verdenken, das es seiner Heimat den Rücken kehrte und versuchte, ein Leben zu finden, welches deutlich erträglicher zu sein schien.

Ab 1722 ließen sich viele Schwaben ins Banat anwerben, dazu mussten sie den katholischen Glauben annehmen, um siedeln zu können. Die Aussicht auf geringere Steuerlasten, Land und Frieden gab vielen den Anstoß, die Heimat zu verlassen, in welcher nun fast 100 Jahre kriegerische Auseinandersetzungen herrschten, von wenigen kurzen Unterbrechungen abgesehen. Etwa 75% der Siedler starben in den ersten Jahren an Sumpffieber und Durchfallerkrankungen – Ungarn wurde ihr Grab.

1763, mit dem Ende des siebenjährigen Krieges, schwoll der Zustrom ins Banat erneut stark an, die letzte große Kolonisationswelle in Ungarn erfolgte ab 1781, als viele Familien auch preußischen Werbern folgten. Man kann anhand der Familiennamen verfolgen, wie sich nun der Weg über die Gebiete des heutigen Polens und Ungarns bis nach Bessarabien erstreckte. Manche blieben ein paar Jahre in Polen oder Ungarn und zogen dann weiter, als Familie oder nur einzelne Mitglieder von ihnen.

Bereits 1803 hatte der Werber Franz Ziegler Winzer, Landwirte und Handwerker für die Ansiedlung um Odessa geworben, damals zogen 325 Männer, 245 Frauen und 571 Kinder mit ihm, viele von ihnen, vor allem die Kinder, überstanden die Strapazen der Reise nicht.

Unter Ihnen waren auch Teile meiner Ahnenfamilien. So zog Rosina Beata Geckle über Erdmannsweiler (Kochanow) nach Borodino, Bessarabien, Jakob Friedrich nach Alt Posttal, einige in die Dobrudscha, die meisten jedoch nach Neusatz auf die Krim.

Mit der Aufhebung des Auswanderungsverbotes kam es erneut zum „Schwabenzug“, von April 1815 bis März 1817 verließen 53% der Handwerker, 20% der Bauern, 15% der Weinbauern, sowie 13% der Tagelöhner und Hirten das Land.4

Graf Jurij Aleksandrovic Golovkin

Nachdem sich auswanderungswillige Chiliasten (Separatisten) 1817 beim russischen Gesandten Graf Jurij Aleksandrovic Golovkin in Stuttgart meldeten, schickte dieser im Februar 23 Familien, kurz darauf 60 los. Vom 7. Mai bis 7. August 1817 machten sich in neun Transporten 5.508 Menschen auf den Weg in den Kaukasus, die Harmonien bestanden jedoch nicht nur aus Separatisten, es schlossen sich viele andere an.

500 Familien der Separatisten zogen bis Tiflis und gründeten dort 1818 acht Kolonien, eine davon war Katharinenfeld, dort gehe ich näher auf diese Familien ein.

Eine Statistik erfasste die Auswanderungsgründe von 1817 – 1820:

53,1% mangelnde Nahrung, Vermögenszerfall, Hoffnung auf besseres Glück, 25,1% religiöse Schwärmerei, 12,4% bessere Erwerbsaussichten, 7,8% Verheiratung, feste Anstellung im Ausland, 1,6% Verwandtschaft mit früher Ausgewanderten.5



Adolf Stieler’s Hand Atlas über alle Theile der Erde und über das Weltgebäude (1891), Verlag: JUSTUS PERTHES, GOTHA
Das Deutsche Reich in 4 Blättern, Blatt 3 (Bayern, Württemberg, Baden, Elsass-Lothringen, Hessen, Hessen-Nassau, Rheinland)

1) Das Königreich Württemberg, Eine Beschreibung von Land, Volk und Staat. Königl. Statistisch-Topographischen Bureau (Hrsg.) Stuttgart: Nitschke 1863 XVI
2) Südwestdeutsche Blätter für Familien- und Wappenkunde (Bd.10-23, 1949-2003), Blätter für Württembergische Familienkunde (Bd.1-9, 1921-1950), Badische Familienkunde Bd.1-17, 1958-1974), Ergänzungen zu Schwäbischen Ahnentafeln; Hansmartin Decker-Hauff: Vol. 10 (1947-1958) 7 (1955) pp. 317-321 Die Abstammung der Calwer Zahn.
Wunder, Gerd Die Württembergischen Familien-Stiftungen Vol. 10, S. 150-153, 176-179
3) Ferd. Friedr. Faber: 1940 , (Neudruck mit Berichtigungen von Adolf Rentschler, Pfarrer in Möglingen), herausgegeben vom Verein für Württembergische Familienkunde (e.V.), Stuttgart, Verlag von Adolf Bonz & Cie., Stuttgart. Fickler’sche Stiftung (mit Korrekturen)
4) Leibbrandt, Georg (Hg.): Die deutschen Kolonien in Cherson und Bessarabien. Berichte der Gemeindeämter über Entstehung und Entwicklung der lutherischen Kolonien in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Stuttgart 1926
5) Hans-Christian. Diedrich: Siedler, Sektierer und Stundisten. Die Entstehung des russischen Freikirchentums. Berlin, Evangelische Verlagsanstalt, 1985. pg 29 ff

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